Urs Kramer, Thomas Zaugg: Der erste Schweizer Aussenminister. Bundesrat Numa Droz (1844–1899)

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Neuenburger Autodidakt in die Politik auf und wurde Ende 1875 im Alter von 31 Jahren zum bislang jüngsten Schweizer Bundesrat der Geschichte gewählt. Der den Radikalen zugehörige Droz war der erste eigentliche Aussenminister des jungen Bundesstaats. Seine Amtszeit von 1876 bis 1892 fiel in eine belebte Phase der Geschichte Europas und der Schweiz. Droz reorganisierte die stark wachsenden Bundesinstitutionen, professionalisierte im Zeitalter des Protektionismus die Aussenpolitik, schloss zahlreiche neue Handelsverträge ab und beschwichtigte ausländische Mächte, die in der Schweiz eine geheime Hochburg der internationalen anarchistischen Bewegung sahen. Nie frei von finanziellen Sorgen, verstarb der Aufsteiger mit nur 55 Jahren. Der Schweizer Historiker Urs Kramer (1938–2017) forschte für dieses Buch umfassend zu Leben und Wirken des wenig bekannten Numa Droz. Thomas Zaugg, dessen Dissertation Bundesrat Philipp Etter (1891–1977) bei NZZ Libro erschienen ist, hat das Manuskript redigiert, erweitert und aktualisiert. Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann betont in seinem Vorwort, dass

Der erste Schweizer Aussenminister

Bundesrat Numa Droz (1844–1899). Aus einfachen Verhältnissen stieg der

Urs Kramer Thomas Zaugg

«Il est un self made man», schrieb 1892 eine Westschweizer Zeitung über

Urs Kramer Thomas Zaugg

Der erste

Numa Droz zu Unrecht in Vergessenheit geraten sei.

ISBN 978-3-907291-25-2

9

783907 291252

www.nzz-libro.ch

Schweizer Aussenminister Bundesrat Numa Droz (1844-1899)


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Autor und Verlag danken für die Unterstützung: Elisabeth Jenny-Stiftung, Riehen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel Lektorat: Regula Walser, Zürich Umschlagabbildung: Schweizerische Nationalbibliothek, Graphische Sammlung, Sammlung Fotoporträts Umschlaggestaltung: Anna Bröckers, Willich Gestaltung, Satz Inhalt: Claudia Wild, Konstanz Druck, Einband: CPI books GmbH, Leck Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-907291-25-2 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.


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Inhalt

Abkürzungsverzeichnis  Vorwort  Einleitung

9 10 13

Teil 1 Aufstieg aus einfacher Herkunft (1844–1875)

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Herkunft, Jugend, Ausbildung  Der Wechsel in den Journalismus  Ein schwieriger Staatsrat  Der Ständerat  Die knappe Bundesratswahl  Reaktionen in Neuenburg

21 22 27 31 36 40 45

Teil 2 Turbulenzen und finanzielle Not (1875–1883)

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Die Bundesverfassung von 1874 als Herausforderung  Spannungen unter den Neuenburgern  Die eidgenössischen Wahlen und die Wiederwahl als Bundesrat 1878  Handelspolitik als neues Interesse  Turbulenzen in Bundesbern um 1881  Stellenwert der Aussenpolitik in der Schweiz von 1848  Finanzielle Sorgen und bezahlte Nebenbeschäftigungen  Aussenpolitische Lage von 1875 bis zum Amtsantritt Droz’ im EPD 1881  Die Behandlung der Affäre um den Anarchisten Kropotkine

49 50 56

61 70 73 78 81 85 88


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6 Inhalt

10. Neuenburger Unverträglichkeiten vor den eidgenössischen Wahlen 1881  11. Endlich in der Handels- und Wirtschaftspolitik  12. Droz schwankt zwischen Politik, Privatindustrie und Diplomatie  13. Schwierige Zolltarifrevision 1883/84

96 98 119 133

Teil 3 Die Macht im «System Droz» (1883–1887)

1. 2. 3. 4. 5.

Forderungen nach einer Teilrevision der Bundesverfassung 1884/85  Wiederwahl als Bundesrat mit einem Spitzenresultat 1884  Eine klare Haltung gegenüber Anarchisten  Sorgen und Professionalisierung in der Handelspolitik  Das «System Droz» ab 1887

139

141 147 149 156 160

Teil 4 Unter Bismarcks Druck (1887–1890)

1. Düstere aussenpolitische Atmosphäre    2. Sicherstellung der Neutralität Nordsavoyens    3. Verhaftung deutscher Agents Provocateurs Ende 1887 in Zürich    4. Vorlage des Bundes zur Überwachung von Anarchisten    5. Ausweisung linker Redaktoren am 18. April 1888    6. Lagebeurteilung vor der Eskalation    7. Der Wohlgemuth-Handel 1889    8. Wendepunkt in der Affäre Wohlgemuth    9. Russland und Österreich-Ungarn folgen Bismarcks Drohkulisse nicht  10. Erneute Untergrabung der Autorität Droz’ durch Hammer  11. Hintergründe des Politikwechsels Bismarcks  12. Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland und Bismarcks Rücktritt 1890

173 174 182

185 197 200 207 213 223 234 238 240 244


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7

Teil 5 Handelskriege und Demission (1887–1892)

257

1. Schwierige Handelsvertragsverhandlungen in Zeiten des Protektionismus    2. Verhandlungen mit Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien    3. Droz’ Kampf gegen die protektionistischen Kräfte    4. Zolltarifgesetzesvorlage des Bundesrats vom 2. Mai 1890    5. Frankreichs Hinwendung zum Protektionismus    6. Deutschlands neue Aussenhandelspolitik, ein Hoffnungsschimmer für die Schweiz?    7. Die Handelsverträge von 1892 mit Deutschland und Österreich-Ungarn    8. Kurzer Handelskrieg mit Italien    9. Frankreichs Bruch  10. Handelskrieg mit Frankreich  11. Der Rücktritt

320 324 331 357 362

Anmerkungen  Quellen- und Literaturverzeichnis  Autoren  Zeittafel

373 429 437 438

258 264 288 295 303 310


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Vorwort

Wann wir uns das erste Mal gesehen haben, weiss ich nicht mehr, aber unser letztes Gespräch bleibt mir in lebhafter Erinnerung, als sei es gestern gewesen. Urs Kramer sprach mit grosser Begeisterung von der erstaunlichen Karriere des Neuenburger Bundesrats Numa Droz (1844–1899) und den zahlreichen Archivfunden, die er im Lauf seiner Forschungsarbeit gemacht habe. Zu Unrecht sei Droz von der Öffentlichkeit vergessen worden. Er habe einen ausserordentlichen Beitrag zur schweizerischen Aussenpolitik geleistet, ja er sei der eigentliche Begründer des modernen Departments für auswärtige Angelegenheiten und habe deshalb schon längst eine umfassende Biografie verdient. Entdeckt hatte Urs Kramer die besonderen Leistungen von Numa Droz bei der Arbeit an seiner Studie über den schweizerisch-französischen Handelskrieg von 1893 bis 1895, die er nach der Pensionierung beendete und 2012 publizierte. Es fiel ihm auf, wie geschickt Bundesrat Droz durch die Untiefen der europäischen Diplomatie navigierte und die Grossmächte gegeneinander ausspielte. Leider konnte Urs Kramer seine im März 2015 begonnene Bundesratsbiografie nicht mehr fertigstellen. Er verstarb unerwartet vor vier Jahren. Das hinterlassene Manuskript war aber so weit fortgeschritten, dass es durchaus realistisch erschien, eine Publikation anzustreben, um die Erinnerung an Numa Droz wieder zum Leben zu erwecken. Der Text umfasste rund 1 900 000 Zeichen mit einer ebenso umfangreichen Kapitelstruktur. Urs Kramer studierte minutiös nicht nur die bundesrätlichen Botschaften, Geschäftsberichte und Beschlüsse, sondern erarbeitete seine äusserst quellennahe Darstellung unter anderen in Westschweizer Archiven und im Bundesarchiv. Der Umfang des Ursprungsmanuskripts rührt auch daher, dass Kramer ganze Briefwechsel und Bundesberichte integral wiedergab. Es war aber auch klar, dass die Biografie ohne umfangreiche redaktionelle Arbeit für ein breiteres Publikum nicht publiziert werden konnte. Diese Aufgabe übernahm Thomas Zaugg. Er kürzte Kramers Werk auf rund die Hälfte seiner Länge, übersetzte einen Grossteil der französischen


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Zitate und entwickelte eine schlankere Kapitelstruktur. An der Sprache des Autors wurden formale Eingriffe vorgenommen, seine inhaltlichen Einordnungen hingegen unverändert übernommen. Die vielen von Kramer angebrachten Korrekturen an Datierungen in der Forschungsliteratur wurden ebenfalls in den Endnoten belassen. Wegen seiner entscheidenden redaktionellen Arbeit wird Thomas Zaugg deshalb als Mitautor aufgeführt. Dass im Lektorat wichtige Details verloren gingen, ist selbstredend. Interessierten Forschenden kann deshalb das unbearbeitete Manuskript mit Stand 2017 auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden. Im Vergleich mit dem Original fehlen in dieser Verlagsausgabe verschiedene längere Teile zur Zolltarifrevision von 1883/84, Droz’ Bemühungen um den Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums, ausgiebige Darstellungen seiner publizistischen Werke, ein Teil von Kramers Ausführungen zu den Konflikten Droz’ mit den Neuenburger Radikalen und nicht zuletzt ein Schlusskapitel über die Zeit nach Droz’ Rücktritt 1892 bis zu seinem Tod 1899. Ich bin nicht nur Thomas Zaugg dankbar, dass er dazu beigetragen hat, die beeindruckende Forschungsleistung von Urs Kramer der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zu grossem Dank bin ich auch Susanne Steiner Kramer verpflichtet. Sie hat mir alle vorhandenen Unterlagen ihres verstorbenen Manns übergeben, sodass es möglich war, seine Gedankengänge bis ins letzte Detail nachzuvollziehen und die von ihm erschlossenen Quellen zu sichten. Schliesslich gilt mein Dank dem Verlag NZZ Libro, insbesondere Urs Hofmann, Helmut Stalder, Tamara Ulrich und Nadja Borer, sowie der Elisabeth Jenny-Stiftung, der Stadt La Chaux-­ de-Fonds, der Loterie Romande, der Oertli-Stiftung und der Ria & Arthur Dietschweiler Stiftung. Tobias Straumann, im April 2021


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Die Schweiz sucht im Zeitalter des Protektionismus nach Absatzmärkten für ihre Industrie. Nebelspalter, Nr. 2, 1889


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Einleitung

«Il est un self made man», schrieb 1892 die Gazette de Lausanne.1 Numa Droz wurde am 27. Januar 1844 als zweites von fünf Kindern in La Chauxde-Fonds geboren. Wenig wies auf eine spätere Laufbahn als Politiker hin. Als Numa sechs Jahre alt war, starb sein Vater, der Uhrmacher Eugène Droz. Zwei Jahre später verlor die Witwe Droz auch ihren zweiten Ehemann. Früh musste sich Numa um die eigene Familie kümmern. Als Autodidakt aus einfachen Verhältnissen brachte er es dennoch zum Graveur, Lehrer, Journalisten, Staatsrat und Ständerat der Neuenburger Radikalen. Ende 1875 wurde Numa Droz mit 31 Jahren zum bislang jüngsten Bundesrat der Geschichte gewählt. Von 1876 bis zu seinem Rücktritt 1892, in Zeiten der Wirtschaftskrise und des Protektionismus, professionalisierte er die Aussenpolitik des jungen Bundesstaats, handelte zahlreiche neue Verträge aus und musste die als Unterschlupf für Anarchistenkreise berüchtigte Schweiz vor Vergeltungsmassnahmen insbesondere Deutschlands bewahren. Mit erst 55 Jahren starb Droz 1899 als verdienter, aber mit gesundheitlichen und finanziellen Problemen belasteter alt Bundesrat an einer Hirnhautentzündung. Er war, schrieb Botschafter Paul Widmer 2003, «der erste Bundesrat, den man zu Recht als Aussenminister bezeichnen kann».2 Umso mehr erstaunt, dass bislang keine neuere Droz-Biografie vorlag. Bis heute stützen sich die interessierte Leserschaft und die Forschung etwa auf einen Nachruf von Droz’ Freund Edouard Tallichet aus dem Jahr 1900, die 1944 auf Französisch erschienene Biografie Samuel Roberts, Paul Widmers essayistische Würdigung von 2003, eine Lizenziatsarbeit von Jérôme Salmeron von der Universität Neuenburg oder die Beiträge von Jean-Marc Barrelet und Marc Perrenoud aus den beiden Auflagen des Bundesratslexikons von Urs Altermatt.3 Urs Kramers Droz-Biografie füllt jedoch nicht nur eine wichtige Lücke mit umfangreichem Quellenmaterial insbesondere aus dem Staatsarchiv Neuenburg. Vielmehr schildert sie Numa Droz’ Amtszeit als Bundesrat in einer belebten Phase der Geschichte Europas und der Schweiz.


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14 Einleitung

1848 war die Bundesstaatsgründung gegen den Widerstand ultraföderalistischer Kreise nach einem kurzen Bürgerkrieg gelungen. 1856/57 übte eine aussenpolitische Bedrohungslage eine gegen innen einigende Wirkung aus, als royalistische Kreise in Neuenburg sich an die Macht putschten und der König von Preussen als gleichzeitiger Fürst von Neuenburg mit Krieg drohte. Ab den 1860er-Jahren setzten sich demokratische Bewegungen in verschiedenen Kantonen für den Übergang von einer repräsentativen zu einer direkten Demokratie ein und forderten soziale Reformen. In den 1870er-Jahren kam es auch in der Schweiz zu dem als «Kulturkampf» bezeichneten Konflikt zwischen der katholischen Kirche und dem liberalen Bundesstaat. 1875 jedoch, als Numa Droz in den Bundesrat eintrat, standen Europa und die Schweiz bereits wieder vor neuartigen Konfliktlagen. Der DeutschFranzösische Krieg 1870/71 hatte die Verletzlichkeit des Bundesstaats und die Notwendigkeit einer geregelten Aussenpolitik offenbart. 1873 setzte die Zeit der Grossen Depression ein.4 Europaweit erlebten bald protektionistische Wirtschaftsrezepte Hochkonjunktur. 1874 wurde in der Schweiz eine neue Bundesverfassung angenommen.5 Sie brachte einen Zentralisierungsschub und den Ausbau der Volksrechte mit sich, was auch hiess, dass sich die Regierenden mit Referendumsstürmen auseinandersetzen mussten. Die Bundesinstitutionen riefen unter der Last der neuen, durch die Verfassung bestimmten Aufgaben nach einer Reorganisation und nach weiteren Finanzierungsquellen. In den 1870er-Jahren wurde die Schweiz zudem eines der Zentren der internationalen anarchistischen Bewegung. Diese Dynamik wurde aussenpolitisch brisant, weil der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck immer stärker gegen den organisierten Sozialismus vorging. Die Schweiz geriet vonseiten Deutschlands unter Verdacht, staatsfeindliche Flüchtlinge anzuziehen und sie bevorzugt zu behandeln.6 Diese Zeittendenzen behandelt die vorliegende Biografie: Aussenhandelspolitik und Protektionismus, Reorganisation der Bundesinstitutionen und Staatsschutz. Besonders lesenswert machen diese Studie jedoch vier wiederkehrende Erzählstränge: ein biografischer, ein aussenpolitischer, ein bundesinstitutioneller und ein parteigeschichtlicher. Was sich erstens durch Droz’ ganzen Lebenslauf zieht, ist die Prägung durch seine einfache Herkunft. Bereits frühere Biografen faszinierte «der erstaunliche Aufstieg des Arbeiterkindes und Autodidakten Numa


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Droz».7 Auch die gesundheitlichen Probleme von Droz’ Frau Sophie Colomb, die sich vom frühen Verlust von zwei Kindern nie gänzlich erholte, sind bekannt. Doch Urs Kramer kann aufgrund neuer Quellenfunde die Geschichte des Aufsteigers Droz und seiner Familie noch detailreicher schildern. So berichtet er von Versuchen Droz’, von seinem wenig lukrativen Bundesratsamt zurückzutreten und in der Privatwirtschaft oder als Berufsdiplomat Fuss zu fassen. Hinweise lassen vermuten, dass sich Droz nicht nur um Arztrechnungen und Kuraufenthalte seiner Frau, sondern auch um die finanziellen Belange seines weiteren Familienkreises kümmerte. Droz’ viel gerühmte Schaffenskraft war letztlich auch den schwierigen materiellen Umständen geschuldet, deren Druck er selbst als Departementsvorsteher spürte. Eine Pension sollte den Bundesräten bis 1919 verwehrt bleiben. Zweitens war Numa Droz, wie eingangs erwähnt, der erste Bundesrat, der sich systematisch der Aussenpolitik widmete. Die Eidgenossenschaft war zwar seit je ein von Handel und später von Exportindustrie geprägtes Land. Aussenbeziehungen wurden vonseiten des Bundes jedoch eher von Ausnahmefiguren gesucht und gepflegt. Zu nennen sind etwa der erste eigentliche Berufsdiplomat des neuen Bundesstaats Johann Konrad Kern oder die im Jahrzehnt vor Droz gewählten Bundesräte Jakob Dubs (1861), Carl Schenk (1863) und Emil Welti (1866).8 Dubs beispielsweise schloss wichtige Handelsverträge ab, so etwa denjenigen mit Frankreich von 1864, mit dem sich die Emanzipation der Juden in der Schweiz anbahnte.9 Einen schweren Stand wiederum hatten Dubs’ Pläne, die Schweiz zusammen mit konföderierten Staaten als neutralen Gürtel ins Konzert der Grossmächte Deutschland und Frankreich schlichtend eingreifen zu lassen. Aussenpolitik spielte in der stark föderalistisch fundierten Eidgenossenschaft lange Zeit eine nachrangige Rolle. Erst Numa Droz baute aufgrund der neuen Lage der Schweiz in Europa eine institutionell professionalisierte Diplomatie auf. Weil sich die europäischen Staaten ab den 1870er-Jahren mit protektionistischen Massnahmen gegen aussen schützten, mussten viele Handelsverträge, insbesondere diejenigen mit Frankreich und Deutschland, neu ausgehandelt werden. Urs Kramer hat hierzu 2012 seine zweibändige Studie Der schweizerisch-französische Handelskrieg von 1893 bis 1895 publiziert.10 Als Exportland war die Schweiz seit je dem Freihandel besonders zugetan. Droz war ein überzeugter Freihändler und verhandelte im Zeitalter des Protektionismus vielfach gegen seine innere Überzeugung.


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16 Einleitung

Auch im Inneren musste er sich mit den zerstrittenen Parteien auf neue Zolltarife einigen, um Vertragsverhandlungen mit den europäischen Nachbarländern suchen zu können. Die gescheiterten Verhandlungen mit Frankreich waren letztlich mit ein Grund, weshalb Droz 1892 aus dem Bundesrat ausschied. Der dritte Schwerpunkt von Urs Kramers Darstellung liegt auf der Reorganisation der Bundesinstitutionen im Nachgang der neuen Bundesverfassung von 1874. Droz erkannte früh, dass sich angesichts der wachsenden Bundesaufgaben einige institutionelle Veränderungen aufdrängten. Das sogenannte System Droz ab 1887 war eine dieser Neuerungen. Bis dahin führte gemäss dem Rotationsprinzip im Bundesrat der Bundespräsident des jeweiligen Jahrs das Politische Departement, das auch für die Aussenpolitik verantwortlich zeichnete. Droz beklagte diesen Missstand bald, als er sich in den 1880er-Jahren vermehrt der Handelspolitik zuwandte. Urs Kramer beschreibt, wie Droz sein «System» und ein richtiges Aussendepartement aufbaute. Droz wirkte als Modernisierer vor allem auch mit seiner Präsenz, seinem permanenten Austausch mit den diplomatischen Vertretern der Schweiz und des Auslands. Er verstetigte zudem den Kontakt mit den wichtigen Wirtschaftsverbänden. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem 1870 gegründeten Handels- und Indus­ trieverein schloss Droz auch Freundschaft mit Conrad Cramer-Frey, einem finanziell ungleich besser gestellten Politiker aus Kaufmannskreisen. So kann in Droz ein früher Vertreter des Verbandskorporatismus gesehen werden, in dem Wirtschaft und Politik Ende des 19. Jahrhunderts näher zusammenrückten. Wenige Jahre nach Droz’ Demission übernahm zwar wieder der jeweilige Bundespräsident das Aussendepartement, doch kehrte man kurzzeitig ab 1914 und definitiv ab 1920 zum System Droz zurück. Ein vierter Punkt betrifft Droz’ Parteizugehörigkeit und die Entwicklung seiner politischen Haltung. Urs Kramers Studie vertieft dieses Thema nicht explizit, doch stellt sich bei der Lektüre immer wieder die Frage, wo die politischen Loyalitäten Droz’ eigentlich lagen. Erich Gruner hat mit Blick auf die Politiker des jungen Bundesstaats das Wort von der «freisinnigen Grossfamilie» geprägt.11 Bis zur Wahl des Katholisch-Konservativen Josef Zemp aus Luzern 1891 gehörten alle Bundesräte jener heterogenen Grossfamilie an, die sich als freisinnig-demokratische Dachorganisation erst 1894 bildete. Numa Droz, sicherlich auch Mitglied der


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«Grossfamilie», wird gemeinhin als Vertreter des Westschweizer Radikalismus bezeichnet. Die Radikalen setzten sich im Gegensatz zu den Liberalen für mehr Volksbeteiligung ein und waren auch gegenüber der sozialen Frage aufgeschlossener. Als Bezugspunkt mag das «System Escher» dienen: Als Chef der liberalen «Bundesbarone» dominierte der Zürcher Alfred Escher die schweizerische Politik bis in die 1860er-Jahre und war der Motor des wirtschaftlichen Fortschritts, während er demokratische Anliegen oft mehr als zweitrangig behandelte. Doch liegen die Unterschiede im liberal-radikalen Koordinatensystem nicht selten in den De­­ tails, die auch aus Droz mehr als nur einen Radikalen machen. Er wies, schrieben Perrenoud und Barrelet, «sowohl konservative wie progressive Züge auf» und stand der repräsentativen Demokratie zumeist näher als der direkten.12 Als Staatsrat im Kanton Neuenburg vertrat Droz zunächst die Anliegen der Radikalen: Als Vorsteher des Erziehungs- und Kultusdepartements setzte er in den frühen 1870er-Jahren nicht nur ein neues liberales Schulgesetz, sondern auch ein Kirchenorganisationsgesetz durch. Die Spaltung der reformierten Kirche und die Gründung der staatsunabhängigen Eglise indépendante nahm Droz dabei in Kauf. In einem anderen Dossier, das sich kurz vor der Wahl in den Bundesrat aufdrängte, stand er jedoch kaum eindeutig aufseiten der Radikalen. Die kompromisslose Auseinandersetzung in der Frage der Verstaatlichung der Bahnlinie Le Locle–Neuenburg 1874/75 führte sogar zu einem Zwist innerhalb der radikalen Partei. Droz war überzeugt, dass die Verstaatlichung ein zu grosses finanzielles Risiko für den Kanton darstellte.13 Als Befürworter der zentralistischen Bundesverfassungsvorlage von 1872 zeigte er sich wiederum bereit, den 1874 angenommenen Kompromissvorschlag mitauszuarbeiten. Ab 1877 setzte er als Bundesrat das Fabrikgesetz um, einen wichtigen Programmpunkt der Radikalen. Je mehr aber Droz sich in seine aussenhandelspolitischen Dossiers vertiefte, desto stärker wurde sein Engagement von inneren Notwendigkeiten geleitet. Selbst mit dem Vertreter der katholisch-konservativen Innerschweiz, dem späteren Bundesrat Josef Zemp, schien er als Pragmatiker in gewissen Fragen zusammenarbeiten zu können. In der Flüchtlingsfrage nahm Droz gegenüber den Anarchisten eine Haltung ein, die derjenigen seines Kollegen Louis Ruchonnet, des anderen Westschweizer Radikalen im Bundesrat, widersprach. Um keine aussenpolitischen Schwierigkeiten zu riskieren, distanzierte sich Droz von den anarchistischen Umtrieben und sprach von


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18 Einleitung

einem radikalisierten Sozialismus. Auch in der Handelspolitik warnte er vor einem drohenden staatssozialistischen Protektionismus und vertrat eine freihändlerische Position. Für eine gewisse politische Heimatlosigkeit steht auch Droz’ Stellungnahme von 1898 kurz vor seinem Tod: Als er sich gegen die Gründung der Bundesbahnen aussprach, distanzierten sich von ihm einige politische Freude, die Droz in den Fängen der Hochfinanz wähnten. Urs Kramer zeichnet das Gesamtbild eines von Lebens- und Sachnotwendigkeiten geprägten Politikers: Numa Droz hatte einst Missionar werden wollen, wechselte aber in die Politik, wo er einerseits als kirchenkritischer Radikaler und Befürworter einer zentralistischen Verfassung, andererseits als zunehmend liberaler, staatskritischer und wirtschaftsnaher Bundesrat wirkte. Nur der Schlussstein in der Biografie von Droz fehlt in Urs Kramers Werk. Nach dem Rücktritt übernahm Droz die Leitung des neu eröffneten Zentralamts für den internationalen Eisenbahnverkehr. Stellenangebote als Gouverneur Kretas sowie als Berater und Minister des Königs von Siam schlug der auch im fernen Ausland bekannte Neuenburger jedoch aus. Diese von weiteren gesundheitlichen Problemen, familiären Sorgen und einem Bruch mit Freunden geprägte Zeit lag im Manuskript nur in Fragmenten vor. Dafür aber eröffnet Kramers Darstellung bis 1892 neue Perspektiven und Forschungsfragen. Sein Blick auf Numa Droz ist institutionen­ geschichtlich und auf die Funktionsbedingungen der sich entwickelnden Bundesverwaltung ausgerichtet. Die Prozeduren und Eigenheiten der Diplomatie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden durch Kramers faktenreiche Arbeit zuweilen so fassbar, dass der Autor fast eine Kulturgeschichte der eidgenössischen Bürokratie und Diplomatie mit ihren Etiketten vorzulegen scheint. Droz’ antiklerikale Seite wird von Kramer zwar behandelt, aber ebenso erwähnenswert ist die Beobachtung, dass sich Bundesrat Droz mit den Ultramontanen mitunter einigen konnte. Netzwerke der Parteien bleiben oftmals unterbeleuchtet, doch zeigt Kramer an Droz’ Beispiel auch die zunehmende Durchlässigkeit der «freisinnigen Grossfamilie» auf – einen Aspekt, der weiterverfolgt werden könnte. Besonders interessant ist Droz’ Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverbänden. Hier trägt Kramer bei zur Geschichte des sich in die Politik ausdehnenden schweizerischen Verbandswesens. Im 19. Jahrhundert forderten einige Stimmen eine Beteiligung der Schweiz an Kolo-


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nisierungsprojekten. Droz lehnte dies 1885 ab: «Darüber sind alle Nationalökonomen einig, dass, um zu kolonisiren, ein Stat ein Küstenland sein und also auch eine Flotte haben muss.»14 Die kommende Forschung könnte sich um solche Zusammenhänge und um den Hintergrund von Aussenminister Droz’ Argumentation kümmern. Thomas Zaugg, im April 2021


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Numa Droz bringt es in jungen Jahren als Autodidakt zum Lehrer, Journalisten und Politiker der Neuenburger Radikalen. Er wird mit 31 Jahren der jüngste Bundesrat der Geschichte. Hier auf einem undatierten Porträt wohl des Neuenburger Atelierfotografen Louis Colin (1821–1881). Schweizerische Nationalbibliothek, Graphische Sammlung, Sammlung Fotoporträts


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Teil 1 Aufstieg aus einfacher Herkunft (1844–1875)

1874 wurde die Totalrevision der Bundesverfassung angenommen. Sie hatte in Armee, Recht und teilweise auch im Schulwesen eine dringend nötige Zentralisierung des jungen Bundesstaats zur Folge. Ganze vier Bundesratssitze waren wenig später, im Dezember 1875, neu zu besetzen. Einige der Zurücktretenden scheuten offenbar vor der Aufgabenlast in der neuen Verfassungsrealität zurück. Am 18. Dezember 1875 wurde Numa Droz in den Bundesrat ge­­wählt. Der Neuenburger Ständerat, ein Befürworter des Zentralismus, hatte allerdings nur ein knappes Wahlresultat vorzuweisen – eine Folge auch der Uneinigkeit von Droz’ Neuenburger Parlamentskollegen. In den ersten Bundesratsjahren sollte der Konflikt Droz’ mit seiner Neuenburger Basis immer wieder seinen Schatten nach Bern werfen. Woher aber kam der 31-Jährige, der bis heute jüngste Bundesrat? Schnell war er in die Bundespolitik aufgestiegen: Bereits 1869 hatten ihn die Neuenburger in den Grossen Rat gewählt. Zwei Jahre später wurde er mit 27 Jahren Staatsrat und Ende 1872 Ständerat. Dabei hatten schwierige finanzielle Verhältnisse und ein früher Vaterverlust Droz’ Jugend geprägt. Die Literatur enthält zwar kaum gesicherte Aussagen zu seiner Politisierung.1 Doch ergibt sich für die ersten Jahre das Bild eines rastlosen Autodidakten. Nach der Lehre als Graveur bildete er sich im Selbststudium weiter und wurde Primarlehrer. Ursprünglich Anwärter auf einen Missionarsposten, wurde Droz zurückgewiesen. Durch seine Kontakte zu Intellektuellenkreisen sattelte er auf den Journalismus um und stieg in die Politik auf, in der er sich den Radikalen anschloss.


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Der neu zusammengesetzte Bundesrat Anfang 1876, in der Mitte Bundespräsident Emil Welti, prägender Bundesrat bis 1891. Numa Droz lässt den Nebelspalter jedoch «im Stich», wie dieser schreibt, und liefert kein Konterfei. Nebelspalter, Nr. 2, 1876


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Teil 2 Turbulenzen und finanzielle Not (1875–1883)

In den ersten Jahren als Bundesrat, 1876 bis 1878, übernahm Numa Droz das Departement des Innern, wobei er insbesondere das Fabrikgesetz von 1877 umsetzte. Droz realisierte allerdings bald, dass es sich beim EDI um eine Art Gemischtwarenladen von unübersichtlicher Aufgabenvielfalt handelte. Die Bundesverfassung von 1874 hatte dem EDI, aber auch anderen Departementen eine grosse Mehrlast beschert. Die Bundesinstitutionen waren auf diese Herausforderung kaum vorbereitet. So wurde die Reorganisation der Departemente zu einem von Droz’ Hauptanliegen. 1879 übernahm er das neue Handels- und Landwirtschaftsdepartement, das zu weiten Teilen auf seine Initative hin geschaffen worden war. Im DHL kümmerte sich der gelernte Graveur etwa um den Schutz des ge­­ werblichen und künstlerischen Eigentums. Die Aussenhandelspolitik entsprach Droz’ Vorlieben und Fähigkeiten. Die Zeit der Grossen Depression seit 1873 brachte europaweit protektionistische Wirtschaftsrezepte mit sich. Droz, ein überzeugter Verfechter des Freihandels, musste die Zolltarife erneuern und zahlreiche Handelsverträge mit den Nachbarstaaten neu verhandeln. Die Stellung Droz’ blieb in diesen ersten Jahren nicht unangefochten. Wegen des Zwists unter den Radikalen in seinem Heimatkanton musste er sich seine Wiederwahl als Bundesrat hart verdienen. Dazu kam seine finanzielle Notlage: Das bundesrätliche Einkommen reichte kaum aus, um den Lebensunterhalt der Familie und die Kuren seiner gesundheitlich angeschlagenen Frau zu bestreiten. Zwischen 1882 und 1883 stand Droz aus diesen privaten Gründen, aber auch aus Frust über die mangelnden aussenhandelspolitischen Fortschritte kurz vor dem Rücktritt. Er interessierte sich für einen Posten in der Diplomatie und führte aber auch Verhandlungen mit der Privatwirtschaft, die ihm ein höheres Einkommen versprechen konnte als der Bund. Letztlich aber blieb Droz dem Bundesrat erhalten und konnte sein Gehalt mit regelmässigen publizistischen Beiträgen aufbessern, die seinen Ruf als gewandten Rhetoriker konsolidierten.


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1.  Die Bundesverfassung von 1874 als Herausforderung

1948 hat der Schweizer Diplomat William Rappard die Verfassungsrevision von 1874 mit dem Satz charakterisiert: «C’est donc bien d’une révision et non pas d’un bouleversement, qu’il s’agit.»1 Hans von Greyerz fasste einige Jahre später unter der Überschrift «Der schweizerische Bundesstaat als säkularisierte Referendumsdemokratie» die Ergebnisse der Verfassungsrevision wie folgt zusammen: «Im allgemeinen Teil der Bundesverfassung, der das Grundverhältnis zwischen Bund und Kantonen regelt, war durch die Totalrevision nur wenig verändert worden. Der Bundesstaat hatte seine Aufbauprinzipien nicht ausgewechselt. Aber es waren Tore geöffnet worden, durch die die Wege von den Ursprüngen weit weg zu führen vermochten. Der Bundesstaat war jetzt vollständig säkularisiert durch die Proklamation konfessionell unbeschnittener Glaubens- und Niederlassungsfreiheit und die Aufhebung des geistlichen Gerichts. Das liberale System erschien gekrönt von der Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit.»2 Die Kantone büssten im Militär- wie auch im Rechtswesen an Souveränität ein. Im liberalen Geist waren auch die Gewaltentrennung, der Ausbau des Rechtsstaats und die Verselbstständigung des Bundesgerichts als dritter Bundesgewalt vollzogen worden. Die repräsentative Demokratie wurde durch das fakultative Referendum für Bundesgesetze und allgemeingültige Bundesbeschlüsse an den Volkswillen gebunden. Neben diesen wichtigsten Veränderungen gab es noch eine Reihe weiterer Kompetenzübertragungen beziehungsweise die Schaffung neuer Bundeskompetenzen. Alles in allem blieben in der Bundesverfassungsrevision von 1874, im Vergleich zur Verfassung von 1848, 60 Artikel un­­ verändert, 14 wurden fallengelassen, 40 modifiziert, und es kamen neu 21 Artikel hinzu.3 Peter Dürrenmatt bemerkte 1963 zur Bedeutung der Revisionsvorlage von 1874: «Das Jahr 1874 leitete, im weiteren und engeren Sinne, einen neuen Abschnitt der modernen Schweizer Geschichte ein.» Es habe sich vor allem bald gezeigt, «dass das gleiche Volk, das dem zentra-


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Die Bundesverfassung von 1874 als Herausforderung

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listischen Grundsatz an und für sich zugestimmt hatte, kritischer und föderalistischer eingestellt war, sobald es über die Ausführung entscheiden musste». Der Kampf der Föderalisten und Zentralisten habe sich nun aus der Bundesversammlung ins Volk verschoben.4 Die neu und wiedergewählten Bundesräte standen somit ab dem 1. Januar 1876 vor geradezu herkulisch anmutenden Herausforderungen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Organisation der Zentralverwaltung sowie deren Personalbestand bei Weitem nicht den Anforderungen der neuen Bundesverfassung entsprachen, wie Droz 1899 in seiner Politischen Geschichte der Schweiz im neunzehnten Jahrhundert vermerkte. So trieb ein jeder für sich «im Bundesrat, in den Räten, sogar im Lande den Wagen vorwärts und beklagte sich dann doch über die allgemein überhandnehmende Reglementiererei», wobei deren Finanzierung längst noch nicht gesichert war.5 Für Hans von Greyerz sind die auf 1874 folgenden 16 Jahre durch den «politischen Kampf um die Durchführung der Bundesverfassung» gekennzeichnet, «welche in vielen Fällen bloss Befugnisse des Bundes geschaffen hatte, die es erst noch durch Gesetzgebung auszuwerten galt».6 Das Gesetzesreferendum wurde nun zum neuen Kampfmittel. Unter diesen schwierigen politischen und äusseren Voraussetzungen trat Numa Droz als der jüngste Bundesrat aller Zeiten am 1. Januar 1876 sein Amt an. Erschwerend kam dazu, dass er im Bundesrat der einzige Repräsentant der sprachlichen Minderheiten der Schweiz war und mit dem Departement des Innern zugleich das wohl schwierigste und vielgestaltigste Departement hatte übernehmen müssen, das die Mehrzahl der in der neuen Bundesverfassung verlangten Änderungen gesetzgeberisch und organisatorisch vorzubereiten und auch umzusetzen hatte. Droz habe ein Ministerium erhalten, das über die Jahre zu einem «mammouth» angewachsen sei, meinte Pierre-André Bovard. Die nicht weniger als 18 Unterabteilungen hätten oftmals keine natürliche Verbindung zueinander aufgewiesen: von der Kanzlei und dem Archiv über die Wasserbetriebe, die Polytechnische Schule bis hin zu den Wäldern und der Gesundheitspolizei.7 «La plus grande partie des lois nouvelles tombait dans le ressort de l’Intérieur», meinte auch Droz im Rückblick.8 Es ist nicht anzunehmen, dass er sich vom Schwierigkeitsgrad der Aufgaben beeindrucken liess, wohl aber grossen Respekt hatte gegenüber den ihn erwartenden Herausforderungen. Aufgrund seiner Erfahrungen im Kanton Neuenburg wusste er, wie man schwierige, ja oft fast aussichtslos scheinende Geschäfte und


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Ein Kunde wünscht sich eine mehrfach massgeschneiderte Uniform nach Vorbild der von Numa Droz stark beeinflussten Reorganisation des Bundesrats von 1887. Nebelspalter, Nr. 30, 1887


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Teil 3 Die Macht im «System Droz» (1883–1887)

Handelspolitisch hatte Numa Droz um 1882 einige Erfolge aufzuweisen. Nicht zuletzt stärkten die Vertragsabschlüsse mit Deutschland und Frankreich seine Stellung im Bundesrat. Dennoch spielte er bis 1883 mit dem Gedanken, aus der Landesregierung auszuscheiden und seine finanzielle Situation in der Berufsdiplomatie oder in der Privatwirtschaft aufzubessern. Bis in die frühen 1880er-Jahre bedeutete für ihn auch die Opposition von Parteikollegen aus Neuenburg eine stete In­­fragestellung. Danach hingegen konnte sich Droz mit neuem Elan seiner Regierungsaufgabe widmen. Im Juni 1884 gelang ihm nach langwierigen innenpolitischen Aushandlungen eine Zolltarifrevision, die ihm in den Handelsvertragsverhandlungen als Grundlage dienen sollte. Er beschäftigte sich auch mit Reformprojekten wie etwa den neuerlichen Revisionsfragen der Bundesverfassung von 1884/85. Droz hatte die Stärken und Schwächen der Funktions- und Arbeitsweisen des Bundesrats und seiner Departemente inzwischen kennengelernt. Sein Organisationstalent, seine direkt modernen Führungsmethoden, die Droz im DHL bereits eingeführt hatte, riefen nun nach einer tiefgreifenden Reorganisation. So schuf Droz 1887 das nach ihm benannte «System Droz». Dieses System bedeutete den Bruch mit dem Rotationsprinzip im Bundesrat. Bis 1887 hatte der jährlich neu bestimmte Bundespräsident in das Aussendepartement übergewechselt. Dadurch war dieses Departement starken Fluktuationen ausgesetzt gewesen, die Droz gerade in den anstehenden Handelsvertragsverhandlungen vermeiden wollte. Der Neuenburger erfreute sich zunehmender Beliebtheit und die Kritiker aus seinem Heimatkanton verstummten, wie die erfolgreiche Wiederwahl 1884 zeigte. So gelangte Droz Mitte der 1880er-Jahre nach und nach aus der persönlichen Krise und etablierte sich um 1887 als aussenpolitische Instanz und institutioneller Modernisierer im Bundesrat. Dennoch blieb die Aussenhandelspolitik, die Droz ebenfalls professionalisierte, eine konstante


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Die Macht im «System Droz» (1883–1887)

Sorge. Am Horizont drohte auch die Radikalisierung von anarchistischen Kreisen: Aussenpolitisch wurde deren Agitation im Schweizer Exil mo­­ niert und es machten gar Gerüchte um eine geplante Sprengung des Bundeshauses die Runde.


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1.  Forderungen nach einer Teilrevision der Bundesverfassung 1884/85

Dass sich Numa Droz nun offenbar längerfristig im Bundesratsgremium einrichten wollte, zeigt sein zunehmendes Interesse an mittleren bis grösseren Reformprojekten. So engagierte er sich nicht nur in der Aussenhandelspolitik, sondern auch in Verfassungsfragen. Am 6. Juni 1884 reichten drei Vertreter der katholisch-konservativen Rechten eine Motion ein, worin sie in einem Fünf-Punkte-Programm eine Teilrevision der Bundesverfassung verlangten.1 Die erste Forderung betraf den Artikel 73 der Bundesverfassung, der so modifiziert werden sollte, dass pro Nationalratswahlkreis höchstens drei Vertreter im Majorzsystem gewählt werden durften. Alternativ sollte auch die Einführung des Proporzsystems geprüft werden. Drei weitere Forderungen betrafen Einzelaspekte der Bundesverfassung. Die fünfte Forderung schliesslich verlangte eine Ausweitung der Mitwirkungsrechte der Bürger.2 Da von verschiedenen Seiten, unter anderem auch von Radikalen, seit Jahren weitere Vorstösse zu Einzelaspekten der Bundesverfassung eingebracht worden waren, wurde das Revisionsanliegen im Nationalrat nach fünftägiger Ausmarchung am 24. Juni 1884 als erheblich erklärt.3 Die Irritation über die Stossrichtung der Motionen war vor allem bei den Radikalen gross gewesen. Zum einen lehnten viele Radikale Teilrevisionen kategorisch ab, weil sie befürchteten, dass damit Breschen in die als Kompromiss verstandene Bundesverfassung von 1874 geschlagen werden könnten. Manche Radikale aber hegten Sympathien für die eine oder andere Motion. Wiederum andere befürchteten, dass bei einer kategorischen Ablehnung aller Motionen Initiativen für eine Gesamtrevision ergriffen würden, die möglicherweise sogar eine Mehrheit der Stimmbürger finden könnten. Die Sache verkomplizierte sich bei den Radikalen und Liberalen, als bekannt wurde, dass auch der Bundesrat in dieser Frage uneins war. Drei der vier radikalen Bundesräte, nämlich Ruchonnet, Schenk und Deucher, waren erklärte Gegner einer Überweisung der Motionen, während Droz, der vierte Radikale, und die Liberalen Hammer,


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Reichskanzler Bismarck sieht sich 1889 in der Affäre um den aus der Schweiz aus­ gewiesenen deutschen Polizeibeamten Wohlgemuth (rechts unten) ungerecht behandelt. Nebelspalter, Nr. 25, 1889


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Teil 4 Unter Bismarcks Druck (1887–1890)

1887 war das Jahr der endgültigen Konsolidierung, in dem Droz sich im Amt als Aussenminister auf längere Zeit installierte. Zugleich begannen die aussenpolitischen Schwierigkeiten überhandzunehmen. Das französisch-deutsche Verhältnis hatte sich nach einer kurzen Entspannung wieder eingetrübt. Ein französisch-russisches Bündnis drohte eine Zeit lang, Deutschland in einen Zweifrontenkrieg zu verwickeln, eine Aussicht, die Bismarck mit Österreich und Italien in Verhandlungen treten liess. Der Konflikt zwang Droz zu Abklärungen, wie die Neutralität Nordsavoyens im Kriegsfall gesichert werden könnte. Seit dem Wiener Kongress 1815 hatte die Schweiz die Auflage, die Neutralität jenes Territoriums zwischen der Schweiz, Italien und Frankreich zu gewährleisten. Die allgemeine Schutzzollpolitik trug auch nicht zur Beruhigung der Lage bei. Für Spannungen mit Deutschland sorgte aber vor allem die Frage der politischen Flüchtlinge. Gegenüber den Sozialisten vertrat Bismarck in den 1880er-Jahren eine immer repressivere Haltung. Die Schweiz hatte sich zu einem wichtigen Exilland entwickelt, aber auch zu einem Ort, von dem aus politische Flüchtlinge ihre Agitation gegen Deutschland weiterführten. Besonders gefordert war Droz 1889 in der Wohlgemuth-Affäre. Der kaiserliche Polizeibeamte August Wohlgemuth versuchte, in der Schweiz Spitzel gegen Sozialistenkreise anzuwerben, war jedoch im aargauischen Rheinfelden als verdeckter Ermittler verhaftet worden. Die Affäre um den deutschen Agent Provocateur führte zu einer heftigen Reaktion Bismarcks, die Droz im Austausch mit seinem europäischen Gesandtennetzwerk beantworten musste. Zwar hatte Droz Verständnis für die Lage der Flüchtlinge, vertrat aber im Unterschied zu seinem ebenfalls radikalen Bundesratskollegen Ruchonnet eine entschiedenere Haltung gegenüber der politischen Agitation. Auch Ruchonnet drängte jedoch 1889 auf die Einsetzung eines ständigen Bundesanwalts, um die Überwachung von Anarchisten und mithin das Verhältnis mit Deutschland zu verbessern.


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1.  Düstere aussenpolitische Atmosphäre

Beim Amtsantritt als Bundespräsident Anfang 1887 wurde Droz mit einer sich immer mehr verdüsternden aussenpolitischen Situation in Europa konfrontiert.1 1967 hat Adolf Lacher diese Verschärfung wie folgt um­­ schrieben: «Durch die von Bismarck angebahnte Umgruppierung des Mächtegefüges anfangs der achtziger Jahre geriet die Schweiz in ein neuartiges Spannungsfeld. Im Zweibundvertrag hatten sich Deutschland und Österreich für den Fall einer russischen Bedrohung Hilfe zugesagt. Wurde Deutschland mit Frankreich, Österreich mit Italien in einen Krieg verwickelt, so versprachen Österreich, respektive Deutschland, sich neutral zu verhalten. Italien, das bei den Zentralmächten Unterstützung gegen Frankreich suchte, liess sich anlässlich seines Beitritts zu deren Allianz, die dadurch keine Beeinträchtigung erfuhr, Hilfe für den Fall eines Krieges gegen Frankreich ‹ohne direkte Provokation seinerseits› versprechen. Als Gegenleistung verpflichtete es sich, Deutschland allenfalls gegen Frankreich beizustehen und – sollte dieses in den Krieg mit Russland treten – wohlwollende Neutralität beobachten.»2 Angesichts dieser Entwicklung war es nicht verwunderlich, dass sich Frankreichs Diplomatie und Militär in den folgenden Jahren eingehend mit der Haltung der Schweiz in einem Kriegsfall zu beschäftigen begannen, nicht zuletzt deshalb, weil die Sicherung der Neutralität Hochsavoyens, obschon seit den 1860er-Jahren französisches Territorium, von der Schweiz seit 1815 garantiert werden musste. Nach einer zwischenzeitlich leichten Entspannung zwischen Frankreich und Deutschland hatte sich das französisch-deutsche Verhältnis ab Mitte 1885 verschlechtert.3 Verstärkt wurde diese Entwicklung im Januar 1886 durch den Eintritt von General Georges Ernest Jean-Marie Boulanger als Kriegsminister in das Kabinett von Charles Louis Freycinet. Boulanger war der Führer jener Kräfte Frankreichs, die die «Sehnsucht nach Wiederherstellung des verstümmelten Vaterlandes» mit der «Idee der Re­­vanche» verbanden.4 Er brachte Frankreich damit in eine gefährliche Frontstellung zu Bismarck. Dieser sah besorgt die russisch-französische Annäherung. Ein


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Düstere aussenpolitische Atmosphäre

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Zweifrontenkrieg bahnte sich an.5 Beidseits wurden nun Massnahmen zur Verstärkung der Armee beschlossen, wobei heftige persönliche Angriffe der Kontrahenten die Stimmung zusätzlich anheizten. Die beiden Botschafter, der Franzose Jules-Gabriel Herbette in Berlin und der Deutsche Georg Hubert Münster in Paris, mussten sich immer wieder darum bemühen, die Wogen zu glätten. Doch die gegenseitigen Angriffe und Verdächtigungen verhalfen wiederum Bismarck zum Erfolg.6 Er ge­­ wann am 21. Februar 1887 die Reichstagswahlen überlegen und konnte sein Bündnissystem verstärken (Erneuerung des Dreibunds am 20. Februar 1887 und deutsch-italienischer Separatvertrag mit Mitspracherecht im Balkan). Der Erzfeind Frankreich wurde dadurch noch mehr isoliert. Schliesslich konnte Bismarck am 23. März 1887 auch noch England in das Mittelmeerabkommen mit Italien, Spanien und Österreich einbinden und, wenige Wochen später, als indirekte Erfolge auch noch den Sturz Boulangers und am 17. Mai 1887 den Rücktritt der französischen Regierung verbuchen.7 Obwohl das Dreikaiserbündnis mit Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland von 1873 faktisch schon seit Ende der 1870er-Jahre zu existieren aufgehört hatte, gelang es Russland im Sommer 1887, Deutschland wieder für den Abschluss eines Separatvertrags zu gewinnen, des sogenannten Rückversicherungsvertrags. Dieser enthielt unter anderem eine gegenseitige Neutralitätsverpflichtung sowie die Anerkennung und Förderung der ostbalkanischen Interessen Russlands. Für Bismarck war der Vertrag wichtig, weil er damit die Verbindung mit Russland aufrechterhalten konnte. «Bismarck selbst hielt den damit geschaffenen Zustand für provisorisch; er war tatsächlich brüchig und kaum auf die Dauer zu halten», schrieb dazu Werner Näf.8 Wie beurteilten die Bundesbehörden und der neue Bundespräsident zum Jahreswechsel 1886/87 die aussenpolitische Lage? Ruchonnet hat sich in seiner Agenda zweimal zur aussenpolitischen Situation 1886 geäussert. «Noir, noir», schrieb er aber am 28. Dezember 1886 nach der Lektüre eines Berichts des EPD zur Lage in Europa.9 «Pour moi, je ne crois nullement à la guerre, et ce pour de très solides raisons», hatte er wenige Tage zuvor noch notiert.10 Leider machte Ruchonnet keine Angaben, worauf sich seine Beurteilungen stützten. Der noch amtierende Bundespräsident Deucher erhielt am 24. Dezember 1886 überraschend Besuch des deutschen Gesandten Bülow. Die Informationen, die Deucher in dieser Unterredung erhielt, waren für ihn so


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Ein Sinnbild für den Handel in Zeiten des Protektionismus um 1887. Nebelspalter, Nr. 43, 1887


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Teil 5 Handelskriege und Demission (1887–1892)

Die meisten europäischen Staaten versuchten seit den späten 1870er-Jahren, sich mit hohen Zöllen voneinander abzuschirmen. Ein zweiter Industrialisierungsschub, eine lange anhaltende Wirtschaftskrise seit 1873 und die grosse Konkurrenz aus Grossbritannien, den USA und Russland führten in vielen Wirtschaftszweigen zu Schutzmassnahmen. Der Protektionismus verdrängte immer mehr den Freihandel. Numa Droz schuf innenpolitisch eine gute Ausgangslage für neue Handelsverträge. In der Folge glückte eine Reihe von Vertragsabschlüssen mit Deutschland, ÖsterreichUngarn und Italien. Doch Frankreich erwies sich als schwieriger Verhandlungspartner. Ausgerechnet der grosse westliche Nachbar, der während Jahrhunderten auf die Schweiz prägenden Einfluss ausgeübt und für wechselseitige Prosperität gesorgt hatte, entzog sich Droz’ Verhandlungskunst. Zwischen der Schweiz und Frankreich entbrannte ein Handelskrieg, der erst 1895 zu einem Ende kam. Droz erlebte diese Wiederannäherung nicht mehr im Amt. Er war bereits am 31. Dezember 1892 als Bundesrat zurückgetreten. Dass die Demission mit dem für ihn traumatischen Bruch mit Frankreich zusammenhing, ist anzunehmen. Doch hatte auch die zunehmende Kritik am «System Droz» seinem Namensgeber zu schaffen gemacht. Einige Bundesräte beobachteten Droz’ Reorganisation mit Argwohn, beklagten eine gewisse Eigenmächtigkeit und wollten in aussenpolitischer Hinsicht wieder mitreden können. Nicht zuletzt aber war es die familiäre Situation gewesen, die Droz nun endgültig aus dem Bundesrat scheiden liess. 1893 übernahm er die Direktion des Zentralamts für den internationalen Eisenbahnverkehr.


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1.  Schwierige Handelsvertragsverhandlungen in Zeiten des Protektionismus

Numa Droz hatte mit der von ihm angestossenen und schliesslich vom Bundesrat und Parlament genehmigten Partialrevision der Bundesratsorganisation von 1878 und der Übernahme des neu geschaffenen Departements für Handel und Landwirtschaft zwar schon ab 1879 die Verantwortung für den Politikbereich des Handels und der Aussenhandelspolitik übernehmen können.1 Doch war die Ausgangslage für eine Erfolg versprechende Vertretung der schweizerischen Interessen in der Aussenhandelspolitik alles andere als optimal gewesen, weil die Zolltarifrevision im Juni 1878 ein Fragment geblieben war. Droz’ Verhandlungsposition in den wichtigen Handelsvertragsverhandlungen mit Frankreich, aber auch mit den drei anderen Nachbarstaaten war belastet. Den Widrigkeiten zum Trotz hatte er sich aber schnell in die Materie einarbeiten und die immer stärker werdenden protektionistischen Veränderungen in der europäischen Wirtschafts-, Zolltarif- und Aussenhandelspolitik erkennen können. Der Protektionismus konnte für die Schweiz mit ihrer freihändlerischen Tradition im Handelsaustausch und den eigenen tiefen Zolltarifen für verschiedene bedeutende Wirtschaftszweige zu einer Existenzfrage werden. Droz versuchte daher nicht nur durch eine strukturierte und vorausschauende Arbeitsweise in seinem Departement, sondern auch durch die Publikation von Aufsätzen, zu wirtschaftlichen Fragen eine öffentliche Debatte über seine wirtschaftlichen Vorstellungen und Lösungsansätze zu lancieren, um die wichtigsten Verantwortlichen in Wirtschaft, Landwirtschaft und Politik in einem freihändlerischen Sinn beeinflussen zu können. In den Jahren 1883 und 1884 mischte sich Droz dann politisch und publizistisch auch in die heftige Auseinandersetzung um ein neues Zolltarifgesetz ein, das das Provisorium von 1878 endlich ablösen sollte. Er hatte erkannt, dass die Schweizer Wirtschaft durch die eigene Gesetzgebung benachteiligt wurde und dass diese daher dringend neu konzipiert werden sollte, wenn man die unbefriedigenden Handelsverträge mit Italien, Österreich-Ungarn und Deutschland neu aushandeln wollte.


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Schwierige Handelsvertragsverhandlungen in Zeiten des Protektionismus

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Das Hin und Her in den Räten kritisierte die Bibliothèque Universelle et Revue suisse im Juli 1883 in ihrer Rubrik «Chronique Politique», wohl von Droz geschrieben oder initiiert. Niemand habe vor zehn Jahren gedacht, dass in der Schweiz je derart über Freihandel gestritten würde, «que dans ce pays de liberté qu’on appelle la Suisse, on en viendrait à discuter si le libreéchange est réellement une bonne chose, ce libre-échange qui fait la grandeur de la force de notre industrie».2 Diese Situation veranlasste Droz zum Schrei­ben vom 25. Juli 1883 an Arthur Chenevière, in dem er neuerliches Interesse am Angebot der La Genevoise bekundete. In den Sommermonaten 1883 schien Droz die resignative Phase im Zusammenhang mit der Zolltarifdebatte jedoch allmählich zu überwinden. Er wollte den Kampf gegen die Protektionisten, die vor allem in Verbänden der Ostschweiz und der Landwirtschaft zu finden waren, direkt aufnehmen. In kürzester Zeit verfasste er die Studie Protectionnisme ou libre-échange im Umfang von mehr als 40 Seiten, die im November 1883 in der Bibliothèque universelle et Revue suisse erschien und auf Deutsch übersetzt wurde.3 Für Droz stand offensichtlich viel auf dem Spiel, er fühlte sich nach den negativen Erfahrungen in der Junisession 1883 des Parlaments herausgefordert.4 Droz ging von der Tatsache aus, dass die Schweiz bis vor wenigen Jahren noch stolz war auf ihre freihändlerische Tradition, die zu Wohlstand geführt hatte. Nun müsse man sich, so Droz, fragen, warum seit einiger Zeit ein ansehnlicher Teil der schweizerischen Politiker «sich bemüht, unsere Handelspolitik auf ganz andere Bahnen zu lenken? Woher kommt es, dass jener Theil die individuelle Thätigkeit immer mehr und mehr durch diejenige des Staates ersetzen will und einzig noch im Schutzzoll das Heil unserer Industrien erblickt?»5 Droz’ Artikel erregte Aufsehen und trug zur Lösung in der Zollrevision von 1884 bei.6 Er habe, schrieb die Bibliothèque universelle et Revue suisse in ihrer nächsten Nummer, «pas seulement intéressé le public, il a produit une grande sensation dans le monde officiel».7 Droz erreichte ein Aufbäumen aller moderaten Kräfte zugunsten der Erarbeitung eines freihändlerisch geprägten Zolltarifs.8 Mit der Vorgehensweise hatte er indirekt auch seinen Führungsanspruch in der Wirtschafts- und Aussenhandelspolitik zum Ausdruck bringen wollen, wie er dies schon einige Monate zuvor für die Landwirtschaftspolitik gemacht hatte.9 Als Ergebnis der mühevollen innerschweizerischen Auseinandersetzungen konnte 1884 zwar ein neues Zolltarifgesetz verabschiedet werden,


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8.  Kurzer Handelskrieg mit Italien

Die Frage, ob die Schweiz den Handelsvertrag von 1889 mit Italien im Hinblick auf die durch Frankreich und Deutschland zu erwartenden Kündigungen der Handelsverträge auch auf den 1. Februar 1892 vorsorglich kündigen sollte, hatte im Dezember 1890 und Januar 1891 nicht nur den Bundesrat beschäftigt, sondern kurze Zeit zuvor auch massgebliche Wirtschaftskreise, die am 24. Dezember 1890 von Droz zu dieser Frage um eine Meinungsäusserung gebeten worden waren.248 Im Zusammenhang mit dieser Bitte hatte am 29. Dezember 1890 auch der Vorort des SHIV generell die Frage der Kündigung der Handelsverträge diskutiert.249 Dabei vertrat der Vizepräsident des Vororts, Hans Wunderly-von Muralt, bezüglich des Vertrags mit Italien die Auffassung, dass die Schweiz von sich aus den Vertrag kündigen sollte, da dieser «so verhasst» sei, dass «man mit einer Kündigung der öffentlichen Meinung entgegenkommt». Cramer-Frey als Präsident machte demgegenüber auf mögliche Konsequenzen aufmerksam, denn sobald «Frankreich uns gekündigt hat und wir Italien, so müssen wir wegen des Weins und der Südfrüchte auch Spanien kündigen. Er glaube, dass auch Deutschland der Schweiz künden werde, sobald Frankreich es tut.» Alfred Frey, der Sekretär des Vororts, meinte zu dieser Frage, dass «Italien etwas Odioses darin sehen müsse, wenn wir ihm alleine kündigen. Wenn die Schweiz im Übrigen mit den Kündigungen zuwarten will, so muss sie dies auch Italien gegenüber tun, schon im Hinblick auf seine politische Verbindung mit Deutschland. Es ist zweifelhaft, ob wir die Mittel zu einer Repressionspolitik finden werden. Unter diesen Umständen wäre es vorzuziehen, allen zu kündigen.» Cramer-Frey fasste schliesslich die Aussprache in Bezug auf das Verhältnis mit Italien am Schluss der Sitzung vom 29. Dezember 1890 wie folgt zusammen: «Auch für OesterreichUngarn ist der Wein von grösster Bedeutung: es wird also schwierig sein, sich nur in Hinsicht auf diesen Punkt mit Italien auf einen Zollkrieg einzulassen. Man könnte auch die bestehenden Verträge lediglich auf ein Jahr verlängern; doch werden das die Schutzzöllner im eigenen Lande nicht


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wollen.» Die Diskussion über die dem Bundesrat zu empfehlende Strategie wurde schliesslich an der 16. Sitzung der Schweizerischen Handelskammer vom 22. Januar 1891 und, wie bereits erwähnt, in Anwesenheit von Bundesrat Droz zu Ende geführt.250 Nachdem in der zweiten Januarhälfte des Jahrs 1891 Frankreich, Deutschland und Österreich-Ungarn ihre Handelsverträge mit der Schweiz gekündigt hatten, kündigte am 10. Februar 1891 die Schweiz nun auch den Handelsvertrag vom 23. Januar 1889 mit Italien auf den 12. Februar 1892.251 Deutschland und Österreich-Ungarn hatten ursprünglich geplant, ihre Vertragsverhandlungen mit Italien gemeinsam mit der Schweiz in Bern zu führen.252 Nach erfolgreichem Abschluss der Handelsvertragsverhandlungen zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn und danach zwischen diesen beiden Staaten und der Schweiz hoffte man, mit der gemeinsamen Aufnahme von Verhandlungen mit Italien um den 20. Juli 1891 herum beginnen zu können.253 Um für diese Verhandlungen gut vorbereitet zu sein, bat Droz am 3. Juni 1891 den Vorort des SHIV, bei den am Handel mit Italien interessierten Wirtschaftskreisen die notwendigen Abklärungen durchzuführen. Fristgerecht erhielt Droz den umfangreichen Bericht des Vororts Mitte Juli 1891.254 Schon am 4. Juli 1891 konnte der Bundesrat die Verhandlungsdelegation bestimmen, die von Droz in Bern geleitet werden sollte. Neben Droz wurden Bavier, der schweizerische Gesandte in Rom, und Cramer-Frey sowie alt Bundesrat Hammer als Delegationsmitglieder bestimmt.255 Der vorgesehene Terminplan konnte aber nicht eingehalten werden, da bis zum 20. Juli 1891 die Handelsvertragsverhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland sowie Österreich-Ungarn, bedingt durch den von Deutschland und Österreich-Ungarn verlangten Unterbruch wegen des Referendumskampfs in der Schweiz um das neue Zolltarifgesetz, noch nicht hatten abgeschlossen werden können. Aus diesen Gründen hatten sich Deutschland und Österreich-Ungarn Mitte Juli 1891 entschieden, mit Italien in München allein zu verhandeln. Aber auch diese Verhandlungen stiessen auf grosse Schwierigkeiten, sodass sie erst im Dezember 1891 abgeschlossen werden konnten, also nahezu gleichzeitig mit den Verhandlungen mit der Schweiz.256 Infolge dieser Verzögerungen konnten die Kontakte zwischen der Schweiz und Italien im Hinblick auf die Eröffnung von Handelsvertragsverhandlungen erst im November 1891 wieder aufgenommen werden.257 Die Schweiz befand sich nach Abschluss der Verhandlungen mit Deutsch-


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Während sich die Schweiz mit anderen Nachbarländern handelspolitisch allmählich findet, wird die Uneinigkeit mit Frankreich grösser. Die französische ­Politik wird 1890 im Nebelspalter als besonders emotionalisiert dargestellt.


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Nebelspalter, Nr. 7, 1890


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Handelskriege und Demission (1887–1892)

land und Österreich-Ungarn in einer besseren Position, sodass nun Droz gegenüber Italien sofort Druck machen konnte. Er stellte klar, dass eine Verlängerung des Handelsvertrags von 1889 über den 12. Februar 1892 hinaus nicht infrage kommen werde, da dieser Vertrag Italien zu einseitig bevorteile – «ou bien un nouveau traité de commerce entre la Suisse et l’Italie, ou bien une situation sans traité avec toutes les conséquences fâcheuses qu’elle entraîne», schrieb er in diesem Sinn an Bavier.258 Diese klare Festlegung des Bundesrats sollte sich auszahlen, zeigte Italien sich nun doch endlich bereit, am 4. Januar 1892 zwar nicht in Bern, aber in Zürich in Handelsvertragsverhandlungen einzutreten.259 Nach dieser Zusage bestätigte der Bundesrat am 24. Dezember 1891 neben Droz als Leiter der Unterhandlungen auch Cramer-Frey und alt Bundesrat Hammer als bevollmächtigte Unterhändler.260 Nur Bavier figurierte nicht mehr unter den Mitgliedern der schweizerischen Verhandlungsdelegation. Die Gründe sind aus den Quellen nicht ablesbar.261 Schon kurz nach Beginn der Verhandlungen wurde bald klar, dass sich diese als weit schwieriger erweisen sollten als angenommen. Es konnte kaum damit gerechnet werden, bis zum 12. Februar 1892, also vor Ablauf des geltenden Handelsvertrags, erfolgreich zu einem Abschluss zu kommen. Die italienische Delegation hatte sich seit Beginn der Verhandlungen immer wieder beklagt, dass die Begehren der Schweiz unannehmbar seien, weil sie in ihrem neuen Zolltarifgesetz von 1891 Tariferhöhungen be­­ schlossen habe.262 Die Schweiz aber, so schrieb Droz 1894, «était fermement décidée à réagir contre le protectionnisme dont elle avait trop longtemps souffert de la part de ce pays».263 Am 11. Februar 1892 wurden die Verhandlungen daher unterbrochen, nicht zuletzt deshalb, weil Italien der Schweiz auf Baumwollgarne und Stickereien nur ungenügende Konzessionen angeboten hatte, während es beispielsweise für Wein von der Schweiz grössere Zugeständnisse verlangt hatte.264 Da die italienische Delegation bei einer Ablehnung ihrer Forderung durch die Schweiz von der Regierung Weisung erhalten hatte, Zürich zu verlassen, wurden die Verhandlungen abgebrochen. Der Bundesrat beschloss am 12. Februar 1892, ab dem 13. Februar 1892 auf die italienische Einfuhr den Generaltarif vom 10. April 1891 anzuwenden.265 Er begründete diesen Beschluss damit, dass er «n’ayant pu accepter les dernières propositions italiennes qui revêtaient du reste le caractère d’un ultimatum». Die Unterbrechung der Handelsbeziehungen


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Autoren

Urs Kramer (1938–2017) studierte nach dem Lehrerdiplom an der Universität Bern Geschichte und Germanistik. Er war viele Jahre Vorsteher der Abteilung Unterrichtswesen der Erziehungsdirektion des Kantons Bern und später Stv. Generalsekretär der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz. Nach der Pensionierung führte er seine wissenschaftlichen Studien weiter. Thomas Zaugg (*1985) hat Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte in Zürich studiert und mit einer Biografie über Bundesrat Philipp Etter promoviert. Verschiedene journalistische Arbeiten, unter anderem für das Magazin des Tages-Anzeigers und die Neue Zürcher Zeitung. Zuletzt bei NZZ Libro von ihm erschienen: Bundesrat Philipp Etter (1891–1977) (2020).


Neuenburger Autodidakt in die Politik auf und wurde Ende 1875 im Alter von 31 Jahren zum bislang jüngsten Schweizer Bundesrat der Geschichte gewählt. Der den Radikalen zugehörige Droz war der erste eigentliche Aussenminister des jungen Bundesstaats. Seine Amtszeit von 1876 bis 1892 fiel in eine belebte Phase der Geschichte Europas und der Schweiz. Droz reorganisierte die stark wachsenden Bundesinstitutionen, professionalisierte im Zeitalter des Protektionismus die Aussenpolitik, schloss zahlreiche neue Handelsverträge ab und beschwichtigte ausländische Mächte, die in der Schweiz eine geheime Hochburg der internationalen anarchistischen Bewegung sahen. Nie frei von finanziellen Sorgen, verstarb der Aufsteiger mit nur 55 Jahren. Der Schweizer Historiker Urs Kramer (1938–2017) forschte für dieses Buch umfassend zu Leben und Wirken des wenig bekannten Numa Droz. Thomas Zaugg, dessen Dissertation Bundesrat Philipp Etter (1891–1977) bei NZZ Libro erschienen ist, hat das Manuskript redigiert, erweitert und aktualisiert. Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann betont in seinem Vorwort, dass

Der erste Schweizer Aussenminister

Bundesrat Numa Droz (1844–1899). Aus einfachen Verhältnissen stieg der

Urs Kramer Thomas Zaugg

«Il est un self made man», schrieb 1892 eine Westschweizer Zeitung über

Urs Kramer Thomas Zaugg

Der erste

Numa Droz zu Unrecht in Vergessenheit geraten sei.

ISBN 978-3-907291-25-2

9

783907 291252

www.nzz-libro.ch

Schweizer Aussenminister Bundesrat Numa Droz (1844-1899)


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