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Lobautunnel

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Permakultur

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Fixes that fail? Oder: Warum der Lobautunnel wenig Sinn macht.

Der Bau der Nordostumfahrung und des Lobautunnels ist hochkontrovers diskutiert. Während manche das Projekt als notwendig erachten, blockieren Aktivist*innen die Umsetzung der dazugehörenden „Stadtstraße“. Doch wie sinnvoll ist das Vorhaben? Ein Kommentar.

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Autorin: Rebekka Jaros / Foto: System Change not Climate Change

Seit Jahren streiten sich Politiker*innen, Umweltschützer*innen und Vertreter*innen der Privatwirtschaft um die Umsetzung der sogenannten Nordostumfahrung der Stadt Wien. Die geplante Umfahrung soll nach Angaben der Stadt den „Regionenring“ um Wien schließen und somit die durch die Stadt verlaufende A23 entlasten. Das Vorhaben schließt die Errichtung eines unterirdischen Tunnels durch die Lobau – und damit durch den Nationalpark Donauauen – mit ein.

Im letzten Jahr hat das Projekt wieder vermehrt Einzug in die Medien gehalten: So hat Umweltministerin Leonore Gewessler letzten Sommer bekanntgegeben, anstehende Autobahn- und Schnellstraßenprojekte der ASFINAG1 einem „Klimacheck“ unterziehen zu wollen.2 Tatsächlich wird im Gutachten zur Umweltverträglichkeitsprüfung des Projekts davon ausgegangen, dass in Prognosen für das Jahr 2025 die Gesamtemissionen auf der S1, zu welcher die geplante Umfahrung gehört, ohne zusätzliche Maßnahmen um rund 38 000 Tonnen CO2-Equivalente pro Jahr steigen würden.3 Andere Schätzungen gehen von einer Wien-weiten Zunahme von etwa 100 000 Tonnen pro Jahr aus.4

Diese Tatsache hat im letzten Jahr viele Menschen auf die Straße getrieben. Seit August besetzen Aktivist*innen zudem die Baustelle, an der die „Stadtstraße“, eine Verbindung zwischen der Seestadt Aspern und der Nordostumfahrung, entstehen soll.5 „Eine Politik, die ohne Rücksicht auf Verluste alles dafür tut, um mit Vollgas in die Klimakrise zu rasen – und das, obwohl Autoverkehr der Klimakiller Nummer eins ist, werden wir nicht zulassen!“, schreiben die Fridays for Future auf ihrer Homepage.6

Neben dieser erschreckenden Klimabilanz gibt es aber noch weitere Argumente gegen das Projekt: Einem Factsheet der „Scientists for Future“ zufolge könne die Umsetzung des Projektes den Grundwasserspiegel in der umliegenden Gegend absenken und somit Ökosysteme und Landwirtschaft gefährden. Zudem gehe der Bau der Autobahn mit einer großräumigen Flächenversiegelung einher.7

Was spricht nun also angesichts dieser Tatsachen für die Durchführung des Vorhabens? Ein häufig gebrachtes Argument der Befürworter*innen des Projektes ist die Entlastung der Südosttangente als östlichen Abschnitt des Regionenringes sowie der A23, welche durch die Stadt verläuft und seit Jahren stark überlastet ist. Vom Bau der Umfahrung erhofft man sich eine Beruhigung des Stadtverkehrs. So schreibt die Stadt Wien auf ihrer Homepage: „Laut einer Studie namhafter Expert*innen bringt die Nordostumfahrung Wiens inklusive einer Vielzahl weiterer Maßnahmen, wie dem flächendeckenden Parkpickerl, welches mit März 2022 eingeführt wird, und dem Öffi-Ausbau, eine Reduktion Anmerkung der Autorin: Der Artikel wurde vor dem 1.12.2021 verfasst. Klimaministerin Leonore Gewessler hat an diesem Tag in einer Pressekonferenz bekannt gegeben, den Bau der S1 und des Lobautunnels aufgrund der als „Klimacheck“ bekannten Evaluierung zu stoppen. Neben Verkehrssicherheit, wirtschaftlichen- und Regionalentwicklungsaspekten sei Klimaschutz ein zentraler Evaluierungsaspekt gewesen. Bürgermeister Ludwig hat angekündigt, die Entscheidung anzufechten. Die Stadtstraße sowie die S1-Spange sind vom Baustoppausgeschlossen und könnten aufgrund ihrer rechtlichen Voraussetzung für zukünftige Siedlungsgebiete noch gebaut werden. (Der Standard 2.12.2021: Ludwig will Aus für Milliardenprojekt Lobautunnel bekämpfen)

von rund 77.000 Pkws täglich auf der Südosttangente.“8

Der Bau des Lobautunnels wird zudem mit dem raschen Wachstum der Stadt Wien begründet. Insbesondere im 21. und 22. Bezirk steigen die Einwohner*innenzahlen fortlaufend an. Während in den meisten anderen Bezirken die Zahl der Autos vom Bevölkerungswachstum entkoppelt ist, nimmt sie im 22. Bezirk

Seit August blockieren Aktivist*innen den Bau der Stadtstraße.)

parallel dazu zu. Diese Zahlen machen deutlich, dass es dort nach wie vor Mängel bei der öffentlichen Anbindung gibt.9 Ein Nicht-Bau bremse Verkehrsstadträtin Ulli Sima zufolge außerdem die Stadtentwicklung im 22. Bezirk, da die Implementierung des Projekts in städtebaulichen Umweltverträglichkeitsprüfungen teils als Voraussetzung für die Genehmigung neuer Wohngebiete vorgeschrieben sei.10 Grund hierfür sei die hohe Verkehrsbelastung in manchen Entwicklungsgebieten, die mit der gegebenen Infrastruktur derzeit schwer zu bewältigen wäre.11

Die Sache hat jedoch einen Haken: Der oben zitierte Bericht einer Expert*innengruppe, welche im Auftrag der Stadt Wien das Projekt evaluiert hat, spricht sich zwar tatsächlich für eine Durchführung des Projekts aus, allerdings nur in Kombination mit einem ausführlichen Katalog an zusätzlichen Maßnahmen. Der alleinige Bau einer Schnellstraße führt der Studie nach zu keiner Entlastung.12 Paul Pfaffenbichler vom Institut für Verkehrswesen erklärt: „Wie theoretische Systemanalysen, aber auch die beobachtete Realität immer wieder zeigen, führen neue (MIV-)Verkehrsinfrastrukturen nicht zu einer Lösung des Stauproblems, sondern es resultiert daraus ein Mehrverkehr mit etwa dem gleichen Niveau an Stau.“ Verkehrsplaner*innen sprechen hierbei von einem sogenannten „Fixes-that-fail“-Problem: „Beim Ausbau neuer Verkehrsinfrastrukturen wirken zwei ineinander verschachtelte Regelkreise: Einer, der stabilisierend ist, und einer, der selbstverstärkend wirkt. Mit diesen beiden Regelkreisen erhält man eine Struktur, die über eine gewisse Zeit ein dynamisches Gleichgewicht erreicht und bei der ein gewisser Stau entsteht“, so Pfaffenbichler. Wenn man nun zeitverzögert zusätzliche Infrastruktur errichte, reduziere sich also kurzfristig der Stau, was es aber wiederum attraktiver mache, die Straße zu nutzen. Durch diese Steigerung komme es zum Mehrverkehr, bis sich das Ganze wieder auf einem höheren Niveau einpendle. Ein Beispiel hierfür sei der Bau der A23, welche damals mit einer Reduktion des Staus in der Schlachthausgasse argumentiert worden war.

Ironischerweise ist es nun gerade die A23, welche durch das Umfahrungsprojekt entlastet werden soll. Eine Studie der TU Wien hat verschiedene Alternativen zum Bau des Lobautunnels evaluiert und kommt zum Schluss, dass die größte Verkehrsentlastung durch Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Verkehrs und der Parkraumbewirtschaftung – aber ohne Nordostumfahrung – zu erreichen wäre. Auch das Argument einer besseren Anbindung der äußeren Bezirke wird von der Studie in Frage gestellt. „Mehr als 90% der Erreichbarkeitsvorteile durch die S1 gehen in das nordöstliche Umland von Wien und nicht in die Donaustadt“, heißt es in dem Bericht.13

Natürlich muss man sich überlegen, wie man den 22. Bezirk vernünftig anbinden kann. Das mag auch manche bisherigen Pläne zur Stadtentwicklung, die von der Umsetzung des Projekts ausgegangen sind, durcheinander werfen und ist sicher keine einfache Aufgabe. Aber angesichts der zusätzlichen Treibhausgasemissionen, die durch das milliardenschwere Projekt entstehen, angesichts der Tatsache, dass der geplante Tunnel durch einen Nationalpark verläuft, und angesichts dessen, dass Wien im Zuge der Klimakrise ohnehin in ein möglichst CO2-neutrales Verkehrssystems investieren wird müssen – wäre es da nicht wesentlich besser, sich auf den Ausbau von Öffis, Radwegen und Co. zu konzentrieren?

Fußnoten: 1 Die Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ist ein staatliches Unternehmen und für Bau, Finanzierung und Instandhaltung österreichischer Bundesstraßen zuständig. | 2 Der Standard (1. Juli 2021): Projekt Lobautunnel muss erst Klimacheck standhalten. https://t1p.de/8q8j | 3 Ahrens et al. (2018) | 4 Knoflacher et al. (2017) | 5 Fridays for Future (2021): Lobau-Protestcamp verlängert – DU wirst gebraucht! https://t1p.de/bw8m | 6 Fridays for Future (o.J.): Lobau? Bleibt! https://t1p.de/3ct3b | 7 Laa et al. (2021) | 8 Stadt Wien (o.J.): Regionenring und Nordostumfahrung. https://t1p.de/5hnq | 9 Knoflacher et al. (2017) | 10 Der Standard (16. Juli 2021): Lobau-Schnellstraße: Wiens Verkehrsstadträtin Sima pocht auf Umsetzung https://t1p.de/l6nh | 11 Ahrens et al. (2018) | 12 Ahrens et al. (2018) | 13 Knoflacher et al. (2017)

Quellen: Ahrens et al. (2018): Bericht der ExpertInnengruppe: Wiener Außenring Schnellstraße Schwechat Süßenbrunn. S1-Donauquerung. https://t1p.de/94j7 | Laa et al. (2021): Factsheet zur Lobau-Autobahn und zugehörigen Straßenbauprojekten. Scientists for Future Wien. https://t1p.de/juxk9 | Knoflacher et al. (2017): Auswirkungen der Lobauautobahn auf die Stadt Wien. Studie des Instituts für Verkehrswissenschaften TU Wien im Auftrag der MA18. https://t1p.de/boakm

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