NATUR • WEISHEIT • HEILEN
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Schamanen heute Vermittler einer Anderswelt
connection Schamanische Wege Nr. 12
Schamanen heute
Schamanische Wege Nr. 12
Mit Beiträgen von Wolf-Dieter Storl, Christina Kessler, Angelika Kotzur, Bobby Langer und vielen anderen
Wie Atem zum hochintelligenten Heiler wird Dr. Christina Kessler lehrt Verbundes Atmen im Kontext von Energetischem Heilen und Bewusstseinserweiterung Das Verbundene Atmen ist eine uralte spirituelle Praxis der östlichen Traditionen. Dabei wird der Organismus intensiv mit Sauerstoff, an den die Lebensenergie gebunden ist, geflutet. Die amoBreathwork lenkt diesen Energiestrom in einen Prozess, der seelische, geistige und körperliche Blockaden sprengt und Zugang zur inneren Ordnung ermöglicht. Bereits eine Session kann lebensverändernd sein. Info, Anmeldung und Buchbestellung: www.christinakessler.com info@christinakessler.com +49-(0)8802-8171 Die zertifizierten amoBreathworker sind autorisiert in eigener Praxis, an Yogazentren und öffentlichen Institutionen mit dem 3 in 1-Konzept von Dr. Christina Kessler zu arbeiten: Atem-Arbeit. Bewusstseinstraining. Energetisches Heilen. amoBreathwork eignet sich gleichermaßen zur Einzel- wie zur Gruppenarbeit. „… die Völkerkundlerin, die durch ihre mutigen Werke zur Wissenschaft und Weisheit der Liebe neue Wege des Denkens beschritt“ (Prof. Maik Hosang)
Nächster Ausbildungszyklus Beginn 26. Juni 2014. MaRah Seminarhaus in Rahden Voraussetzung für die Ausbildung ist ein Essenzkurs: 08. – 11. Mai 2014: Gut Saunstorf (bei Wismar) oder 17. – 20. Mai 2014: Glarisegg, Bodensee (CH) Das lange vergriffene Buch jetzt wieder erhältlich! Christina Kessler: 33 Herzensqualitäten – Die Intelligenz der Liebe 24,90 Euro. HQ- Affirmationskarten-Set 18,80 Euro edition amo ergo sum, Berlin (bei gemeinsamer Bestellung portofrei)
Editorial
Schamanisch fühlen mmer mehr Menschen interessieren sich für Schamanisches, und immer mehr Heilpraktiker, Ärzte und geistige Heiler bezeichnen sich als Schamanen oder schamanisch Praktizierende. Teils haben sie von weit entfernten Kulturen gelernt und sind dort initiiert worden, teils haben sie sich ureuropäischen Traditionen zugewandt, sie wiederbelebt und wenden sie in ihrem eigenen Alltag an, im Freundeskreis und bei ihren Klienten. Warum tun sie das? Weil unsere Kultur eine metropolen orientierte, der Natur und ihren Rhythmen entfremdete geworden ist. Weil immer mehr Menschen unserer entseelten Medizin misstrauen. Weil die Religionen der aggressiven Hochkulturen, die einst die Welt unter sich aufteilten, uns keine Heimat mehr bieten, vom wissenschaftlichen Weltbild überholt sind sie sowieso schon längst. Und weil der heutige umweltbewusst – besser »mitwelt«-bewusst – lebende Mensch gewissermaßen schamanisch fühlt.
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Foto: Aniela Adams
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Glückliche »edle Wilde«?
Der Weg zurück zur Natur und zu einer Lebensweise, die vielleicht einmal schön und harmonisch war, oder uns heute wenigstens so scheint (meist war das Leben damals eher hart), ist aber nicht so leicht. Die sogenannten Naturvölker lebten nicht immer in Harmonie mit der Natur (Beispiel: die Osterinseln) und auch nicht untereinander, und sie entsprechen auch heute in vielem nicht unseren Idealen. Die Idee des »edlen Wilden« lässt sich angesichts unserer heutigen Kenntnisse nicht aufrechterhalten. Und doch hat es was, zu den Wurzeln unserer Religionen und der diversen Medizinkulturen zurückzukehren, die ja alle im Schamanischen liegen. Man sollte nicht alles übernehmen, was man dort findet, meine ich, aber ein Blick dorthin lohnt auf jeden Fall!
Unsere Gespaltenheit
Was macht nun ein heutiger Städter mit Facebookprofil, PKW und mobilem Endgerät mit alledem? Ab und an mal eine zweiwöchige Reise zu den Burjaten in Sibirien oder einem Ayahuasca-Retreat im Regenwald des Amazonas, dann wieder zurück an die Arbeit, Montag früh um neun geht’s los, in der Kaffee pause kann man dann von den Erfahrungen erzählen? Tiefer Suchenden ist das nicht genug. Zum einen, weil die Fernreisen ja gerade unserer angeblichen Liebe zur Natur widersprechen: Kaum etwas verschiebt die ökologischen Konsequenzen unserer Lebensweise so sehr ins Negative wie Fernflüge.
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Zum anderen, weil die Gespaltenheit unserer Lebensweise dabei ja bleibt: Hier das Weitermachen mit einer Seelen und Natur zerstörenden Lebensweise, dort das kurze Aufatmen, das den Burnout vielleicht um ein paar Jahre hinausschieben kann und der geliebten dortigen Kultur zwar ein bisschen Anerkennung verleiht, aber nicht mal den Löwenanteil des für diesen Urlaub ausgegebenen Geldes lässt. Ist nicht wirklich befriedigend.
Die Natur als Lebewesen
Dieses Heft von Connection Schamanische Wege stellt Menschen vor, die auf tiefere Weise suchen. Vieles von dem Ersehnten mögen sie schon gefunden haben, manches vielleicht noch nicht, aber sie sind bereit, ihren 9-to-5-Job infrage zu stellen (oder haben ihn längst aufgegeben), weil die Seele mehr sucht als nur ein bisschen Erholung und das Bestaunen fremder oder längst vergangener Kulturen. Auch unsere eigene europäische Kultur hat schamanische Wurzeln, und wenn wir den Bezug zur Natur und die ökologische Wende hier, in dieser heutigen Kultur, nicht sehr bald finden, dann wird unser ganzes Wirtschaftssystem kollabieren, zusammen mit all den Annehmlichkeiten, die es uns jetzt noch bietet. Auch deshalb sind die schamanischen Wege einen Blick wert – nicht nur, weil sie Heilung bieten können und Sinn, sondern auch, weil sie die uns umgebende Natur als ein Lebewesen verstehen, das einen eigenen Geist und eine Seele hat und deshalb nicht nur genutzt, sondern auch geschützt und verehrt zu werden verdient. n
Wolf Schneider Herausgeber von Connection Schamanische Wege schneider@connection.de
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Als ich schlief letzte Nacht da träumte ich – Wunschbild wundervoll! –, in mein Herz sei eingebracht ein Bienenstock: summend schwoll der Bienen goldener Schwarm, und der verwandelte insgeheim all meinen bitteren Harm in weiches Wachs und in Honigseim. Antonio Machado
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Schamanen heute
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Bildkomposition: Christina v. Puttkamer, www.innergardens.de, mit einer Skulptur von Guntram Prochaska, www.guntram-prochaska.de
Marákate Männer und Frauen des Wissens Die Huichol-Indianer im Westen Mexikos und ihr Peyote-Kult Es gibt heute nur noch weniger als 20.000 Huichol-Indianer. Sie leben im Westen Mexikos, nennen sich Wirrarika (Heiler, Zauberer) und fallen auch durch ihre psychedelische Kunst auf. Unter allen Indianervölkern Mexikos sind sie das noch am meisten mit ihren vorkolumbianischen Traditionen verbundene
Von Marius Enrico Hannig m Nordwesten Mexikos in der Hochwüste der Sierra Madre Occidental lebt ein Naturvolk, das seit Jahrtausenden seine spirituelle Kultur bewahrt hat. Die Spanier nannten sie Los Huicholes. Sie selbst nennen sich Wirrarika – Menschen, die heilen. Die weisen Männer und Frauen dieses Volkes begeben sich auf eine lebenslange Ausbildung, bei der sie in die spirituellen Prozesse der Natur eingeweiht werden und nach und nach zu wissenden Menschen werden, zu Marákames (auch Marákates genannt). Die Marákames sind die spirituellen Führer ihres Volkes. Sie erlernen die Fähigkeit des Sehens der Dinge, wie sie wirklich sind, entwickeln außergewöhnliche Heilkräfte und bestimmen in Übereinstimmung mit den Naturkräften alle Abläufe des alltäglichen Lebens ihrer Gemeinschaft. Die Wirrarika haben ihre spirituellen Praktiken bis heute bewahrt. Das daraus erwachsene schamanische Wissen ist tief in ihrem Leben verankert und wird durch Zeremonien, Pilgerreisen und Feste stets erneuert und erweitert. Somit ist es
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Marákame mit Peyote Kakteen
Hannig: Marákate – Männer und Frauen des Wissens
Für die Wirrarika ist das Leben eine sich stets erneuernde Initiation in die Mysterien der Natur
ihnen möglich, ihre Tradition über die Generationen weiter zu tragen und das Wissen lebendig zu erhalten. Sie leben ihr Leben voller Hingabe und ohne maßlose materielle Ansprüche. Für sie ist das Leben eine sich stets erneuernde Initiation in die Mysterien der Natur.
Pilgerreise nach Wirikuta
Mit ihrer jährlichen Pilgerreise in das heilige Gebiet Wirikuta, das energetische Zentrum der Erde, sorgen sie mit Zeremonien und Opfergaben für das Gleichgewicht von Geben und Nehmen zwischen Mensch und Natur und initiieren sich selbst in die Mysterien der Schöpfung. Auf dieser beschwerlichen Reise in ein Wüstengebiet werden jahrtausendealte heilige Orte aufgesucht, um dort direkt mit den Naturkräften zu kommunizieren und Visionen zu empfangen. Die gesamte Pilgerreise nach Wirikuta ist für die Marákames und Pilger ein kontinuierliches Opfern und Bekennen ihres eigenen Lebens. Über mehrere Tage und Nächte werden unter Verzicht von Schlaf und Nahrung eine Vielzahl von Zeremonien und Ritualen abgehalten.
Die Nacht des blauen Hirschs
Im Zentrum aller Aktivitäten steht die Begegnung mit dem blauen Hirsch, der (in der Anderswelt) mit Hilfe des PeyoteKaktus (Hikuri) in dem Gebiet von Wirikuta traditionell gejagt wird. Durch die Einnahme des Kaktus in den nächtlichen Zeremonien werden durch das Ritual, durch Opferungen, durch Tänze und durch die eindringlichen Gesänge der Marákames machtvolle Visionen und tiefe Einsichten in das Leben zugänglich. Die Zeremonien sind eine tiefe emotionale, spirituelle und körperliche Reinigung, bei der große Kräfte freigesetzt werden. In diesem Prozess erfahren sich die Marákames als Verkörperungen ihrer Gottheiten und Ahnen. Die archaischen Rituale in den langen, kalten Nächten der Wüste sind Spiegel für die eigene Seele, bei denen die Marákames in die Tiefen des eigenen inneren Kosmos eintauchen, andere Welten betreten, mythischen Wesen begegnen und das Mysterium des Todes und des Lebens erfahren. Die Zeremonien enden mit dem Sonnenaufgang. Die Sonne transformiert die Erfahrungen der Dunkelheit und ermöglicht die Wiedergeburt in ein neues Leben, um mit neuen Kräften einen Weg des Herzens zu gehen, und um Heilung erfahren und teilen zu können.
Fotos © Marius Hannig
Minenkonzerne bedrohen das Heilige Land
Das Volk der Wirrarika ist eines der wenigen Urvölker der Erde, das seinen Kult mit sakralen Pflanzen bisher gegenüber allen äußeren Einflüssen verteidigen konnte. Heute ist ihr heiliges Gebiet Wirikuta jedoch bedroht von Minenkonzernen, die durch den Abbau von Edelmetallen die Erde mit Chemikalien verseuchen und damit die Grundlage für das Wachstum des vom Aussterben bedrohten Peyote-Kaktus stark gefährden.
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Ein Altar der Wirrarika
Auch die traditionelle Hirschjagd, die im Anschluss der jährlichen Pilgerreise nach Wirikuta stattfindet, kann aufgrund der Privatisierung von geschützten Gebieten von den Wirrarika nicht mehr durchgeführt werden. Sie werden von den neuen Eigentümern mit Waffengewalt vertrieben und sind nun gezwungen, für die Hirschjagd eigene Gehege in ihren Lebensräumen anzulegen, um dort die traditionelle Jagd durchführen zu können. Dafür benötigen die Wirrrarika dringend finanzielle und fachkundige Hilfe. Wer mehr über die Wirrarika erfahren, an Projekten mitwirken oder an Pilgerreisen teilnehmen möchte, wende sich an das Mother Earth Institute e.V., erreichbar über die Webseite des Mother Earth Project. n Marius Enrico Hannig erforscht seit zwanzig Jahren westliche Naturmagie und indigenes Schamanentum. Er ist Initiator des Mother Earth Projektes, und Organisator von Kolloquien, Seminaren und Veranstaltungen zu bewusstseins-erweiternden Themen. www.mother-earth-project.de
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Die Kraft des
Wie man sie anruft, ohne dass das Ego dazwischen kommt Otto Richter kennt westliche Methoden der Psychotherapie und des Growth Movement und hat bei nord- und südamerikanischen Schamanen gelernt. Hier erklärt er, wie sehr Heilung mit unserer Wahrnehmung zu tun hat: Erst durch den Zugang zum »Nagual«, der Welt außerhalb unserer Begriffe und Konzepte, können wir spirituelle Heilung erfahren
Von Otto Richter
önnen die echten Schamanen bitte aufstehen! So wie die Ameisen es machen, so ist es auch mit den Menschen, wenn sie Gemeinschaften bilden: Wir organisieren uns in eine kooperierende Gruppe von Individuen, von denen jedes eine bestimmte Rolle hat und damit zu der Gemeinschaft beiträgt. Wir können annehmen, dass diese Rollen, die sich im Lauf der Geschichte entwickelt haben, einen Versuch darstellen, unsere wichtigsten Bedürfnisse zu erfüllen und die Techniken gut zu nutzen, die zu einer gegebenen Zeit in der Gemeinschaft jeweils existierten, wie z.B. Jäger, Sammler, Zimmermann, Marktschreier, Polizist, Astronaut usw.
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Die Rolle des Heilers
Im Lauf der Zeit hat die Rolle des Heilers viele Formen angenommen. Meist gab es eine Vielfalt an Gründen, die be-
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stimmten, wer ein Heiler wird, welche »Krankheit« oder »Wunde« Heilung braucht und wie genau Heilung stattzufinden hat. Die Verfügbarkeit von Pflanzen und Kräutern, der aktuelle religiöse und kulturelle Glaube, die traditionellen Werkzeuge und Methoden sowie auch die Frage, ob der Heiler seine Position in der Gesellschaft geerbt hat – alles das hat eine Rolle gespielt bei dem, was für Namen wir ihnen gegeben haben, um sie zu identifizieren. Das Wort »Schamane«, so wie wir es heute in unserer Kultur verwenden, ist ein sehr allgemeiner Begriff. Er bezieht sich auf jemanden, der Zugang zur geistigen Welt hat und von dort mit Heilkraft zurückkehrt. Er spezifiziert nicht, wie das genau erreicht wird oder was genau die Wirkung davon ist. Und es impliziert auch nicht notwendigerweise, dass die Absichten des Schamanen mehr auf das Heilen anderer gerichtet sind als
Richter: Die Kraft des Heilens
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Heilens
Können die echten Schamanen bitte aufstehen!
auf seinen eigenen Ruhm oder die eigene Macht. Tatsächlich ist es das, was Schamanen von Zauberern unterscheidet. Schließlich glaube ich, dass die Heiler, die wirkliche Schamanen sind, ihre Fähigkeiten zugunsten derer anwenden, die in Not sind – weil ein innerer Ruf sie dorthin führt. Ob es eine physische Wunde ist, ein psychologisches Problem, ein emotionales Dilemma, eine hormonelle Schwankung, ein Einfluss der Vorfahren oder eine geistige Besetzung, das Herz des wirklichen Schamanen lässt ihn mit der Absicht handeln, damit Gutes zu bewirken für alle Betroffenen, wie auch immer das gerade möglich ist.
Was ist schwarze Magie?
Ich möchte hier einen Auszug aus dem Brief einer langjährigen Schülerin zitieren. Sie hatte viele Jahre mit Heilenergie gearbeitet, doch als eine geliebte Person schwer krank wurde und eine riskante Operation nötig war, begann sie die Heilarbeit aus berechtigten Gründen in Frage zu stellen. Die Operation verlief erfolgreich, die geliebte Person überlebte und erholte sich. Trotzdem berührt ihr Brief, den sie während der Rekonvaleszenz schrieb, sehr wichtige Punkte. »Nun, da fürs Erste alles vorbei ist und ich damit beschäftigt bin, für meinen Liebling zu sorgen, frage ich mich manchmal, ob meine Hoffnung auf eine Heilung und die besondere menschliche Absicht ›zu heilen‹ nicht von Hause aus schwarze Magie ist. Ist nicht alle schamanische Arbeit mit der spezifischen Absicht zu heilen schwarze Magie? War es schwarze Magie, als ich eine Adlerfeder nahm und die Kräfte des Heilens anrief? Ich frage, weil ich merke, dass ich nicht sicher bin, ob ich wirklich weiß, was das Beste ist.
Alles in Frage stellen
Was also ist schamanische Arbeit? Wofür ist sie gut? Ich arbeite gern mit Visualisierungen und dem MeisterBewusstsein, trommle gern, erlebe Ekstase und channele diese Energie. Doch unter welchen Umständen soll ich diese Möglichkeiten einsetzen? Oder sollte ich einfach bei meinem kranken Liebling sitzen und abwarten? Ja, ich erinnere mich, was du gesagt hast: ›Erwarte das Beste und akzeptiere auch das Schlimmste.‹ Doch da ist noch etwas, das ich nicht verstehen kann. Im Moment stelle ich alles in Frage, was ich gelernt habe. Was mache ich mit diesen Schätzen, wenn ich sie nicht für meine Absichten einsetzen darf? Irgendetwas zieht mich zurück zur Essenz, und ich spüre ein starkes Gefühl von Demut. Ich beginne zu verstehen, dass ich nach all den Jahren des Lernens gar nichts weiß.«
te zu verdeutlichen, die bei der Arbeit mit Heilenergien auftreten können. »Dein starkes Gefühl der Demut, das du nach deinen Worten erlebst, mag der Beginn einer Antwort auf deine Frage sein. Ja, viele heilerisch Tätige hängen am Erfolg ihres Tuns, wenn sie weiße Magie ausüben, und verwandeln sie dadurch in schwarze. Der Grad, in dem das Ego aus welchem Grund auch immer an einem bestimmten Ergebnis interessiert ist, entspricht dem Anteil an schwarzer Magie. Betrachte es einmal so: Das Ego glaubt, es wisse, was gut oder schlecht ist, richtig oder falsch, was sein sollte und was nicht. Mit dem Versuch, die Bestimmung oder das Schicksal einer anderen Person zu ändern, maßt sich das Ego zu wissen an, was das Beste für dieses Wesen ist und was es braucht. Die eigenen, selbstbezogenen Interessen blenden das Ego und halten es davon ab, auch nur für möglich zu halten, dass dieses Wesen bestimmte Herausforderungen vielleicht für sein Wachstum benötigt. Das eigene Herz ist möglicherweise liebevoll und voller guter Absichten, doch wenn die Anhaftung an oder die Abneigung gegen ein bestimmtes Ergebnis zu stark ist, mischt sich das Ego in die Angelegenheiten anderer ein.
Die Kraft des Heilens anrufen
Reine Hingabe an den Willen des Höchsten und die Erlaubnis, dass der Geist sein Werk tut, können hilfreich sein, um die Einmischungen des Egos zu verringern. Dann stellt sich ein neues und stärker holographisches Verständnis des Heilens ein. Statt sich ausschließlich damit zu beschäftigen, was das Ego für das Beste hält, erweitert sich dieses Konzept und begrüßt alles, was auch immer der große Geist, das große Netz des Lebens, vorsieht, zum Wohle aller Beteiligten und im Dienste am Licht. Wenn du also die Kraft des Heilens anrufst, denke daran, dass dies nicht unbedingt etwas mit den Ergebnissen wie guter statt schlechter Gesundheit, Freude statt Schmerz oder Leben statt Sterben zu tun hat. Vielleicht können wir das Licht, das uni-
© Otto Richter
Demut
Es folgt der Brief mit meiner Antwort. Er hilft an dieser Stelle, die möglichen Fallgruben wie auch die potenziellen Kräf-
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Agustin Rivas Vasques beim Vorbereiten eines Ayahuasca-Rituals (ca. 1985)
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Viele heilerisch Tätige hängen am Erfolg ihres Tuns, wenn sie weiße Magie ausüben, und verwandeln sie dadurch in schwarze Einige präkolumbianische Kulturen, die im Mesoamerika des 16. und 17. Jahrhunderts ihre Blütezeit hatten, verehrten eine übernatürliche Wesenheit namens »Gefiederte Schlange«. Die meisten verbinden diesen archaischen Gott mit dem Namen Quetzalcoatl, obwohl nur die Azteken diesen Namen verwendeten. Mayas und Olmeken gebrauchten andere Namen. Der Quetzal ist ein Vogel, der für seine leuchtenden Farben und bunten Federn bekannt ist. Es gibt ihn noch heute. Das Wort Quetzal stammt aus der aztekischen Sprache Nahuatl und bedeutet wörtlich große leuchtende Schwanzfeder. Coati heißt Schlange. Zusammen bedeutet Quetzalcoatl also gefiederte Schlange. Dieser Gottheit werden viele widersprüchliche Bedeutungen zugeschrieben wie Fruchtbarkeit, Erneuerung der Natur, der Planet Venus, Wind, Schöpfer der Menschheit, Intelligenz, Selbstreflexion, Beschützer von Priestern, innere politische Strukturen, Krieg und militärische Expansion. Doch die offensichtlichen Attribute, die auch den Namen bilden, zeigen die wesensmäßige Bedeutung. Quetzalcoatl verbindet Himmel und Erde. In dieser Doppelnatur symbolisiert er das Gleichgewicht und die Vereinigung von Gegensätzen. Wir sind gleichzeitig göttlich und menschlich. Es steht auch für das Gleichgewicht des männlichen und weiblichen Prinzips in uns. Wenn wir die gefiederte Schlange als Krafttier anrufen, laden wir damit die innere Vereinigung von Mutter Erde und Vater Geist ein und feiern sie. Die Federn können leicht als Flammen oder Lichtstrahlen interpretiert werden, die Erleuchtung offenbaren. Während die feurige Energie von Mutter Erde durch die Energiezentren eines Menschen aufsteigt, erfüllt ihn von oben Vater Geist mit Licht. Das Ergebnis ist die Transformation des Individuums in Gott.
Der erhabene Nagual Agustin (li) vom Amazonas und Eduardo Calderon Palomino (re), der mit dem San Pedro Kaktus arbeitete (ca. 1985). Eduardo war Ottos schamanischer Lehrer
Aufgabe, diesen Wunsch in die Hände des Höchsten zu legen. Das Beste zu erwarten, heißt nicht, ungeduldig herumzustehen und darauf zu warten, dass es passiert. Sobald du es dem Netz zurückgibst, ist es nicht mehr deine Aufgabe. Nachdem du ermöglicht hast, dass es sich manifestieren kann, geh aus dem Weg, damit es geschehen kann.«
Die gefiederte Schlange
Nicht nur die gute Absicht macht einen echten Schamanen aus, sondern auch sein inneres Gleichgewicht und die Fähigkeit, die eigenen Lebensenergien zu lenken. Er muss fähig sein, sich in einen anderen Bewusstseinszustand zu heben, wo er feinere Dimensionen der Wirklichkeit wahrnehmen kann. Viele schamanischen Erzählungen weisen darauf hin und bestätigen das; hier ist eine, die ich für sehr repräsentativ halte:
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Der Eintritt in das sechste Energiezentrum (das dritte Auge) ist ein Zeichen für den Kontakt mit dem Unsagbaren, oder, wie es im mesoamerikanischen Schamanismus genannt wird: mit dem Nagual. Das Wort selbst kann sich auf eine Person oder den Aspekt einer Person beziehen. Als Nagual werden traditionell Menschen bezeichnet, denen gewisse magische Kräfte zugeschrieben werden, die sie angeblich befähigen, ihre Gestalt zu verändern. Ursprünglich waren sie die örtlichen Priester, und bis heute sind einige von ihnen in die religiöse Hierarchie eingebunden. Im weiteren Sinne werden sie aber oft als Zauberer oder Hexen angesehen, die geachtet oder gefürchtet sind und teilweise sogar verfolgt werden. Für uns ist Nagual als Aspekt einer Person interessant, was sich vielleicht am besten im Gegensatz zu einem anderen Aspekt diskutieren lässt, dem so genannten Tonal, der Ebene, auf der alles rational verstanden werden kann. Der Schriftsteller Carlos Castaneda (1925-1998) hat in seinen Schriften über die Ausbildung bei seinem Lehrer Don Juan Matus das Tonal mit einer Insel verglichen, auf der sich alles befindet,
Richter: Die Kraft des Heilens
© Otto Richter
verselle Hologramm, die Quelle, die Matrix und so weiter als kosmisches Energienetz sehen, das alles überall durch Zeit und Raum miteinander verbindet, ins Gleichgewicht und in Einklang bringt. Die Fähigkeit, uns damit zu verbinden und uns anzuschließen, nennen wir die Kraft des Heilens. Durch das Anrufen der Kraft des Heilens setzt du einen Austausch in Gang, bei dem der zu Heilende Energie bekommt und du dem Netz Energie zurückgibst. Deine Beiträge an Liebe, Dankbarkeit und Demut sind kostbare Energien von großer Kraft. So wie es deine Aufgabe ist, klar zu sagen, für welchen Zweck du diese Energie eingesetzt sehen möchtest, ist es auch deine
Was wir gelernt haben, bestimmt unsere Wahrnehmung
was sich beschreiben lässt. Diese Insel aber ist sehr klein, und die Welt um sie herum sehr groß! Nur wer die Welt außerhalb dieser Insel des Beschreibbaren betritt, in der nichts verstanden oder identifiziert werden kann, wird das Reich des Nagual entdecken. Obwohl der Nagual nicht beschrieben werden kann, kann er jenseits des Bekannten lokalisiert werden. So wissen wir immerhin, in welche Richtung wir gehen. Sobald wir das Reich des Geistes betreten, ist es wichtig, uns darauf vorzubereiten, unsere innere Sicht nicht nur für neue Territorien jenseits unserer normalen Selbstbezogenheit zu öffnen, sondern für Bereiche, die unser Verständnis bedrohen und sogar unser Verständnis von Wahrheit wandeln.
Sehen ist ein aktiver Vorgang
Dr. Daniel Glaser, Neurowissenschaftler und Forscher am University College in London, führte eine bahnbrechende Untersuchung über Spiegelneuronen durch, die uns zu verstehen hilft, warum wir die Welt so sehen, wie wir sie sehen. Zu den Ergebnissen seiner Studie sagte er 2005 in einem Fernseh interview mit PBS: »Was wir mehr und mehr entdecken – und tatsächlich hatten die Gelehrten der Griechen und der Renaissance auch schon ein Verständnis davon –, ist, dass Sehen ein aktiver Vorgang ist. Beim Sehen projiziert man das, was man erwartet, in die Welt hinaus. Gleichzeitig werden eigene Erfahrungen, Vorurteile und Erwartungen ständig an das angepasst, was da draußen ist. Für mich sind die Spiegelneuronen ein besonderes System, das dieses Prinzip verkörpert, was eine sehr fruchtbare Idee für mich ist.«
Unsere Konzepte halten wir für die Wirklichkeit
In der Sprache der Schamanen könnten wir sagen, dass wir die Öffnung des dritten Auges unterstützen können, indem wir wagen, über unsere unbewussten Projektionen hinaus das anzuschauen, was ist. Mit anderen Worten: Um sehen zu können, was tatsächlich existiert, müssen wir uns von unserer gewohnheitsmäßigen Abhängigkeit vom System der Spiegelneuronen lösen, unsere Konzepte der Wirklichkeit (wie wir sie kennen) aufgeben und das Reich des Nagual betreten. Dies kann eine ziemlich große Herausforderung sein, denn alles, was wir in der Vergangenheit gelernt haben, ist zu einem Fundus von mentalem Wissen und Glaubenssätzen geworden, die unsere Wahrnehmung und das Erleben der Gegenwart bestimmen. Unsere Abhängigkeit von den begrenzten Möglichkeiten unserer Kultur und Sprache hat dazu geführt, dass wir aus dem unendlichen Schwingungsspektrum, das für die Manifestation der Realität zur Verfügung steht, nur wenige Frequenzen nutzen, die wir in leicht identifizierbare und kommunizierbare Segmente zusammenfassen und bündeln können. Unser Verstand gruppiert diese Segmente zu Konzepten. Das Problem dabei ist, dass wir projizieren, wenn wir
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unsere Realität wie gewohnt betrachten, und deshalb nur diese Konzepte wahrnehmen und nicht mehr das gesamte Spektrum. Die Konzepte werden unser Bezugsrahmen für das, was wir als Wirklichkeit definieren.
Das Öffnen des dritten Auges
Nehmen wir zum Beispiel das Farbspektrum. Unter allen Sprachen der Welt gibt es wahrscheinlich keine zwei, die auf genau die gleiche Weise Segmente dieses Spektrums zusammenfügen. Das bedeutet jedoch nicht, dass einige Kulturen Farbschattierungen besser als andere unterscheiden können, es zeigt nur, dass sie den kontinuierlichen Verlauf des Spektrums anders segmentiert haben. Was im Englischen als Rot bezeichnet wird, ist im Ungarischen in zwei verschiedene Farben unterteilt. Die Russen unterscheiden mindestens zwei Farben, wo es im Englischen nur Blau heißt. Wie wir die Nuancen des Farbspektrums zu gruppieren lernen, bestimmt, was wir wahrnehmen und wie wir es beschreiben, wenn wir Farben sehen. Entsprechendes geschieht auf allen anderen Ebenen der sinnlichen Wahrnehmung. Denke daran, wie oft du etwas zu hören geglaubt hast, was sich dann als etwas völlig anderes herausstellte. Oder wie du vielleicht zu einem Feinschmecker für Weine geworden bist und dir nun kaum noch vorstellen kannst, wie du früher dieses furchtbare Zeug trinken konntest, das du immer getrunken hast. Was wir gelernt haben, bestimmt unsere Wahrnehmung. Sobald wir also das erhabene Reich des Nagual betreten und das dritte Auge öffnen, ist es unsere Aufgabe, die Menge der von uns im Tonal zu verarbeitenden Daten zu verringern. Es ist fast so, als würden wir ein Radio ausschalten, das meist mit voller Lautstärke läuft, und auf einmal hören wir die köstliche Mischung ungewohnter Geräusche, die uns in ihre geheime Welt locken. Konzepte werden gelöscht, und Sensibilität wird geboren. Wenn wir den denkenden Verstand hinreichend lange beruhigen und das Anfluten von Sinneswahrnehmungen im Gehirn verringern, können wir uns auf die feineren Bereiche des Geistes einstimmen. n Teile dieses Textes sind Auszüge aus dem sechsten Band von Human Hologram, des siebenbändigen Hauptwerks von Otto Richter, das auf deutsch 2013 im Param Verlag erschienen ist (unsere Rezension davon findest du in Connection Spirit 5-6/14).
Otto Richter (USA/D) lernte bei spirituellen Lehrern in Nord- und Südamerika. In den 70er Jahren gründete er in New Jersey die holistische Gemeinschaft Common Ground. Human Holographics®, sein Programm zur Persönlichkeitsentwicklung, war das Thema der ZDF Sendereihe »Psychologie der Hoffnung«. www.HumanHolographics.de
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