DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE
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11–12/2014 30. Jg. B 6128
Die Welt als Ganzheit
www.connection.de
Schweiz 16,80 sfr, EU-Länder außer Deutschland 9,40 €
Die Welt als
Ganzheit Netz & Innenraum
Mit Texten von Konstantin Wecker, Joachim Kamphausen, Rainer Maria Rilke, Tom de Toys, Jean Gebser, Roberto Assagioli und anderen
Die Connection Sonderhefte connection Tantra LIEBE · EROS · WEISHEIT
Abo Tantra J 2 Ausgaben für 16 / 18 €* J 4 Ausgaben für 30 / 33 €* J 6 Ausgaben für 42 / 46 €*
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Kombi-Abo (Tantra + Schamanische Wege) J 1 Jahr (2x Tantra, 1x Schaman.) für 23 / 25 €* J 2 Jahre (4x Tantra, 2x Schaman.) für 42 / 44 €* J 3 Jahre (6x Tantra, 3x Schaman.) für 62 / 64 €* Angebot für Abonnenten von Connection Spirit: Für 18 € zusätzlich bekommst du das Kombi-Abo (Tantra + Schamanische Wege) dazu! * jeweils erster Preis Inland, zweiter Preis europ. Ausland
Connection AG · Hauptstraße 5 · D-84494 Niedertaufkirchen · Fon: 08639-9834-14 · www.connection.de · vertrieb@connection.de
02.11.2014 | 18:00 Uhr Generalprobenkonzert „40 Jahre Wahnsinn“ Markmillersaal Straubing 04.11.2014 | 20:00 Uhr Circus Krone M nchen
14.11.2014 | 20:00 Uhr Capitol Mannheim 15.11.2014 | 20:00 Uhr Central-Garage Korn Rothenburg ob der Tauber
26.11.2014 | 20:00 Uhr Mathias-JakobsStadthalle Gladbeck
14.12.2014 | 20:30 Uhr Hörsaal H1 der Universität M nster
27.11.2014 | 19:30 Uhr Konzerthaus Bad Pyrmont
20.02.2015 | 20:00 Uhr Stadtsaal A Vöcklabruck
28.11.2014 | 20:00 Uhr Beethovenhalle Bonn
21.02.2015 | 20:00 Uhr Kultur- und Kongresszentrum KuKo Rosenheim
05.11.2014 | 20:00 Uhr Circus Krone M nchen
16.11.2014 | 19:30 Uhr Liederhalle Hegelsaal Stuttgart
06.11.2014 | 20:00 Uhr Hofgarten-Stadthalle Immenstadt
18.11.2014 | 20:00 Uhr Alte Oper Frankfurt am Main
07.11.2014 | 20:00 Uhr Posthalle W rzburg
19.11.2014 | 20:00 Uhr Gewandhaus zu Leipzig Leipzig
08.11.2014 | 20:00 Uhr Congresshalle Saarbr cken
20.11.2014 | 20:00 Uhr Steintor Variete Halle Saale
10.11.2014 | 20:00 Uhr Konzerthaus Rolf-Böhme-Saal Freiburg
21.11.2014 | 20:00 Uhr Meistersingerhalle N rnberg
40Jahre
12.11.2014 | 20:00 Uhr Theater im Kurgastzentrum Bad Reichenhall
23.11.2014 | 19:00 Uhr Stadttheater Festsaal Ingolstadt
12.12.2014 | 19:30 Uhr FORUM Leverkusen
12.03.2015 | 20:00 Uhr Stadthalle Göppingen
ahnsinn W
13.11.2014 | 20:00 Uhr Kongress am Park Augsburg
24.11.2014 | 20:00 Uhr Zentrum am Park Emmelshausen
13.12.2014 | 20:00 Uhr Stadthalle Kreuztal
21.03.2015 | 20:00 Uhr Kulturetage Oldenburg Oldenburg
WEITERE INFOS UNTER WWW.WECKER.DE
29.11.2014 | 20:00 Uhr Fabrik Hamburg 05.12.2014 | 20:00 Uhr UdK Konzertsaal Hardenbergstraße BerlinCharlottenburg 07.12.2014 | 19:00 Uhr Alte Oper Erfurt 10.12.2014 | 20:30 Uhr Seidenweberhaus Krefeld
04.03.2015 | 20:00 Uhr Kölner Philharmonie K ln 06.03.2015 | 20:00 Uhr Bürgerzentrum Rechbergsaal Bruchsal 08.03.2015 | 20:00 Uhr Saalbau Neustadt Neustadt an der Weinstrasse
Achtsam und nachhaltig … Während um uns herum von Machtgelüsten und Besitz Besessene mit Kriegführung und der Plünderung der Natur beschäftigt sind, gibt es doch auch Inseln der Hoffnung. Das sind einerseits Menschen, die aus diesem System aussteigen, um auf eine menschenfreundliche und die Natur achtende Art zu leben. Andererseits gibt es Tendenzen, die aus den Randgruppen in den Mainstream hinein driften und dort plötzlich zu leitenden Paradigmen werden. Dazu gehören der aus den spirituellen Randgruppen stammende Begriff der Achtsamkeit und der aus den ökologischen Randgruppen stammende der Nachhaltigkeit. Beide sind inzwischen im Mainstream akzeptiert und trendbildend, kaum jemand kann sich ihnen mehr entziehen. Wer vordem nur drei Monate weit in
… aber bitte nicht geheuchelt Ja, wenn die Vermarktung dieser beiden Begriffe nicht auch ihre Schattenseiten hätte. So manch langjähriger Meditierer ist inzwischen angeödet, wenn wieder mal jemand vollmundig Achtsamkeit predigt, fast immer mit einem Anliegen im Gepäck, das den eigentlichen Sinn dieses Begriffs konterkariert. Und wenn der Herausgeber eines der führenden Medien im Bereich der Nachhaltigkeit mir am Telefon witzelnd eingesteht, seine Zeitschrift sei »das Magazin für Greenwashing«, dann bewundere ich zwar seinen Humor, aber zugleich fröstelt mich. Anscheinend ist unsere auf Konsum und Wachstum getrimmte Wirtschaft imstande, jedweden Trend zu vermarkten. Dieses Wirtschaftssystem wird auch noch mit seinen Totengräbern dealen und aus dem Verkauf der Särge für die eigene Beerdigung ein Geschäft machen – die meisten der Totengräber werden ja dabei weich und wollen dann das, was ihnen jetzt ein Auskommen verschafft, nicht achtsam zu Grabe tragen, ihr Geschäft mit den Särgen wäre dann ja nicht mehr nachhaltig.
schon ein einziges Gegenbeispiel genügt, und sie ist erledigt. Mit einem Hinterfragen dessen, was Worte überhaupt leisten können, wäre ein erster Schritt getan auf dem Weg zu einer Welt, die als Ganzes wahrgenommen wird. Die Ökologie nähert sich dem ja bereits mit ihrem Konzept von Gaia – dem Verständnis der Biosphäre der Erde als eines Lebewesens –, und auch andere Bereiche der Wissenschaft denken systemisch. So könnte vielleicht auch Otto Normalverbraucher die Welt eines Tages als ein Ganzes, Netz und Innenraum wahrnehmen. So wie sie in der Antike von Buddha und Heraklit verstanden wurde, im Mittelalter von Omar Khayyam, Rumi und Meister Eckhart, und in der Moderne von Einstein, Rilke, Ramana, Osho, Tolle und vielen anderen.
Frieden Dann hätte auch der Frieden eine Chance. Der innere Frieden in den Individuen, in Paarbeziehungen und Familien, der soziale Frieden und der zwischen Nationen. Und damit meine ich nicht eine allzu nachgiebige oder gar unterwürfige Geisteshaltung, sondern eine, die zwar Ausgleich sucht, aber Spannungen erträgt, und die auf Gewalt verzichtet oder diese durch einen weisen Umgang damit minimiert.
Das Nonverbale Ein Grund zur Hoffnung wäre auch, wenn die Wissenschaft begänne, die ihrem Metier so fundamental eigene Wortgläubigkeit zu hinterfragen. Das Prinzip der Wissenschaft ist ja das Prüfen und Hinterfragen – keine Theorie kann sich je sicher sein, ein bleibendes Bild eines Objektbereichs zu zeichnen,
www.connection.de · November-Dezember 11-12/2014
Editorial
Auch wenn die Chancen, hierbei verstanden zu werden, nicht groß sind: Die mystische Wahrnehmung der Welt hat nichts mit Mystifizierung zu tun. Mystik ist eine außerbegriffliche Wahrnehmung der Welt, die sich sprachlich nicht fixieren, sondern nur dichterisch umschreiben lässt. Sie nimmt die Welt als in sich zusammenhängendes Ganzes wahr, nicht als Anhäu fung von Partikeln. Das ist für unsere Gesundheit gut, unser Zusammenleben, die Natur und sogar für die Politik, die heute ja ausnahmslos Weltinnenpolitik ist – wenn die Beziehungen zwischen Bayern und Baden-Württemberg keine außenpolitischen sind, dann können auch die zwischen Deutschland und China heute keine außenpolitischen mehr sein.
die Zukunft dachte und dem es egal war, ob jemand etwas bewusst tat oder in der üblichen Trance der Massen, versucht heute vielleicht durch den Konformitätsdruck dieser Trends achtsam und nachhaltig zu leben. Kann das die Tür zu einer transrationalen, mystischen Wahrnehmung des Ganzen immerhin einen Spalt weit aufstoßen?
Konstantin Wecker info@wecker.de
FOTO: ANIELA ADAMS
Der Weltinnenraum
Mystik
FOTO: THOMAS KARSTEN
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eil sie so leicht mit Mystifizierung verwechselt wird, hat die Mystik keinen guten Ruf, und erst recht nicht irgendwo eine Lobby. Politik wird heute ja von Lobbyisten gemacht, immer weniger von Wählerstimmen. Wenn dann auch noch die transrationale Wahrnehmung der Welt, wie Meditierer sie einüben, keinen guten Ruf hat, steht es schlecht um die Welt und den Frieden.
Wolf Schneider, schneider@connection.de
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NOVEMBER-DEZEMBER 11-12/2014
Die Welt als
Ganzheit, Netz und Innenraum Seit ein paar Jahrzehnten spricht eine gewisse alternative Szene von »ganzheitlichen« Methoden. Fast immer ist damit nur der Blick auf einen etwas größeren Kontext gemeint, als der vordem allzu winzige. Echte Ganzheit hingegen bezieht alles ein, womit das Beobachtete in Interaktion steht. Also auch den Beobachter. Womit wir unvermeidlich im Großen Ganzen ankommen, in der Mystik. Und die ist auch politisch höchst relevant. Es wird auf der Welt keinen Frieden geben ohne mystischen Weltbezug.
S. 14 – 49 veranstaltungen.familienaufstellung.org
Frauenpower Aufzeichnungen eines Scharlatans
Weltpolitisches Engagement und tiefe Innenschau, wir brauchen beides. Deshalb berichtet Connection weiterhin über solche Projekte wie das von der Afrikanerin Tiyada Abala gegründete CIDAP in Togo, wo heute mehr als tausend Frauen und Männer organische Landwirtschaft betreiben. Ebenso über Kongresse wie »Erwachen einer neuen Weiblichkeit« in Oberlethe bei Oldenburg, initiiert von Mayonah und Tatjana. Das eine wie das andere hilft bei der Ablöse vom auch heute noch die Welt dominierenden Patriarchat.
Scholze, Helmut Scholli
Bei objektiver Betrachtungsweise muss man allerdings feststellen, dass die bahnbrechenden Erfindungen der letzten 300 Jahre größtenteils von Menschen stammen, die zur Zeit ihres Lebens als Scharlatane bezeichnet wurden. Vor unseren Augen wächst jedoch alles und bewegt sich ziemlich lautund reibungslos. Bei diesen energetischen Vorgängen werden die Qualitäten von Luft und Wasser verbessert. Wir können die Wachstumsgesetze erkennen und eine friedliche Energieform in Geräten konzentrieren. Dazu müssen wir aber erst einmal den Blickwinkel verändern. Wenn du dein Weltbild verändern möchtest, ist das ein gutes Buch für dich. 116 S., m. Abb., kart. ISBN: 978-3-94461-511-0
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S. 42 – 45 und 56 – 58
Spirituelles Lehren auf Augenhöhe Der Lehrer weiß mehr als der Schüler, sonst bräuchte der Schüler ihn doch gar nicht. Zumindest für den Zweck des Unterrichts sind Lehrer ranghöher als ihre Schüler und sollten entsprechend respektiert werden. Ist das auch in der mystischen Lehrer-Schüler-Beziehung so? Oder wäre dort ein Gefälle vielleicht sogar hinderlich? Wolf Schneider sprach mit dem Advaita-Lehrer Gaia Michael Zipf
S. 52 – 54
November-Dezember 11-12/2014 · www.connection.de
Ausgabe: 9.2014 E
Ausgabe: 11.2014 E R O S · L I E B E M E D I T A T I O N
I N H A LT 3
Editorial
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Marshal B. Rosenberg kann Das Leben wunderbar machen
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Wie es ist: Nachrichten von heute
10 Wie es sein könnte: Nachrichten aus einer Welt von morgen 12 Bildkomposition von Christina von Puttkamer
Regina König und Hellwig Schinko OFFENE SEMINARE
TANTRA-BODY 14. – 16.11.14 mit Regina König, bei Schwäbisch Hall
DER KREIS DER FRAUEN 20. – 23.11.14 bei Schwäbisch Hall
Schwerpunkt: Die Welt als Ganzheit 14 Ich bin die Mitte. Du auch, findet Wolf Schneider bei der Erklärung der Welt als Hologramm 18 Wir dürfen Nicht aufgeben, uns einzumischen, fordert Konstantin Wecker im Connection-Gespräch über »Politik und Spiritualität« 22 Frieden innen und außen. Die Meditierer sollten von den Aktivisten lernen und umgekehrt, empiehlt Torsten Brügge 27 Die Überklarheit der Transparenz wollen wir, nicht den heiligen Rausch, sagt Jean Gebser, der Philosoph des Aperspektivischen 28 Kooperierende Individuen im Weltinnenraum, das wäre es, findet Joachim Kamphausen im Gespräch über das Gedicht von Rilke 30 Weltinnenaußenpolitik. Wolfgang Aurose untersucht den Separatismus und das Entstehen und Vergehen von Nationen 32 Einsamkeit kann sehr schmerzhaft sein oder ein großes Glück, erklärt Matthias Mala 36 Egolos? Besser ichfrei als ichlos, das ist die Devise der Liga der Leeren
FEUER, HERZ UND STILLE 25.12. – 1.1.15 Tantra-Silvestergruppe, bei Ulm
TANTRA-BODY 27.2. – 1.3.15 mit Beatrix Rettenbacher & Jens Hartwig, bei Ulm
LIEBE – DAS GROSSE TOR 28.3. – 4.4.15 Oster-Paargruppe, bei Ulm
TANTRA YOGA 14. – 19.4.15 Kaschmirisches Tantra, mit Nathalie Delay/Frankreich, bei Ulm
DER KREIS DER FRAUEN 29.4. – 3.5.15 bei Ulm
Infos & Programm: ARUNA-Institut St. Nepomukstr.13 · 74673 Mulfingen Tel. 07936/6 21 · Fax 079 36/6 46 info@aruna-tantra.de www.aruna-tantra.de
38 Vom Sinn und Unsinn der Arbeit spricht Peer Barcelona, der demnächst aussteigen will, um sich mit einem Herzensprojekt selbständig zu machen 42 Ein Frauenprojekt in Afrika gegen die Landflucht beschreibt Leila Dregger 46 Der erste Neurosoziologe? Tom de Toys feiert schon jetzt den 100. Geburtstag von Alan Watts 49 Das Ego als Diener ist das Konzept des Psychiaters Ronald D. Laing 50 Let’s talk about God. Gabriele Palm berichtet vom Forum Erleuchtung 52 Spirituelles Lehren & Lernen auf Augenhöhe ist das Anliegen von Gaia Michael Zipf 56 Die neue Weiblichkeit. Sibylle Schütz war auf dem Frauenkongress in Oberlethe 60 WerWasWo 61 Mystik für Anfänger. Adam Zabajewski beginnt zu verstehen 62 Resilienz statt Burnout war das Motto eines Kongresses der Akademie Heiligenfeld in Bad Kissingen, berichtet Rahel Willhardt 66 Promotion: Der Waldkindergarten Wichtelfreunde von Sigrid Beckmann-Lamb 68 Promotion: Befreundet mit Lichtbündelwesen, die Gutes wollen ist Alexander, der etwas sieht, das helfen kann 70 Filme: über den Psychiater Irvin D. Yalom und über einen Priester in Irland 72 Bücher: über Transluzenz, den Karmapa, Aurobindo im Vergleich mit Steiner und die Weisheit der Sufis 76 Leserbriefe: über das Erwachen, das Ego und die Weisen auf dem Marktplatz 79 Marktplatz 80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis 82 Vorschau/Impressum , Zeitschrift für Spiritualität & Politik, Mystik & Widerstand, Ökologie, Lebenskunst und Humor. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.
www.connection.de · November-Dezember 11-12/2014
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DIE WELT ALS GANZHEIT
Ich bin die Mitte. Du auch Wie unser Selbst- und Weltverständnis Strukturen erschafft Die Weltanschauung der sogenannten Realpolitiker, die überall Grenzen sehen und immer wieder Kriege führen, und die der Poeten und Visionäre, die das zusammenhängende Ganze sehen – können die sich treffen? Ja, wenn man genauer hinsieht und dabei die Erkenntnisse der Ökologie, Systemtheorie und der modernen Physik einbezieht VON WOLF SCHNEIDER
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November-Dezember 11-12/2014 · www.connection.de
DIE WELT ALS GANZHEIT
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er so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut.« So sprach einst Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, als er am 4. August 1914 im Deutschen Reichstag für die Zustimmung zu den Krediten warb, die dem Deutschen Reich den ersten Weltkrieg ermöglichen sollten. Er hatte Erfolg! Mit der Gewährung der Kredite, nicht mit dem Krieg. Wenige Wochen später, im August/September 1914, schrieb der damals in Deutschland schon recht bekannte und in Dichterkreisen sehr geschätzte Rainer Maria Rilke: »Durch alle Wesen reicht der eine Raum: Weltinnenraum. Die Vögel fliegen still durch uns hindurch. O, der ich wachsen will, ich seh hinaus, und in mir wächst der Baum.«
Die Welt als Innenraum Zwischen diesen beiden Arten des Selbstund Weltverständnisses liegt eine kaum überbrückbare Kluft. Auf der einen Seite der Politiker, der – wie alle von Kriegen und Zugewinnen begeisterbaren Politiker – sich und sein Land als Opfer sieht oder, um Zustimmung zu bekommen, immerhin vortäuscht, sein Land würde angegriffen: »Wer so bedroht ist wie wir …«. Obwohl dieses Land bis an die Zähne bewaffnet war und hier nicht als Verteidiger, sondern als Aggressor auftrat; unter all den Nationen, die einander 1914 den Krieg erklärten, war Deutschland dasjenige, das diesen Krieg am meisten wollte und diese erste Megakatastrophe des 20. Jahrhunderts am ehesten hätte verhindern können. Für Bethmann Hollweg waren der Schutz und die Größe, auch die Vergrößerung des eigenen Landes »das Höchste«, um das wollte er kämpfen. Auf der anderen Seite stand der zarte, androgyne, von vielen als weltfremd empfundene und doch mit der Welt so innig verbundene Dichter Rainer Maria Rilke, der beim Blick nach draußen, in die Welt hinaus, diese nicht nur keineswegs als feindlich erlebte, sondern sogar das Gefühl hatte, die Vögel flögen durch ihn selbst hindurch. Der sich selbst als wachsend empfand und das Gefühl hatte, die Bäume ›da draußen‹ wüchsen in ihm selbst. Für Rilke war die Welt ein Innenraum, in dem wir alle, ausnahmslos alle, uns bewegen: Freund und Feind, Menschen, Tiere, Pflanzen, du und ich.
Das größere Bild Wenn ich nun in Zeiten, in denen auch in Deutschland sogar bei den einst pazifistischen Grünen der Kriegswille wieder erstarkt (Özdemir: »Auch die Kurden gehen nicht mit der Yogamatte unter dem Arm gegen die Islamisten vor«), wenn ich hier auf Rilke verweise, dann drücke ich mich damit nicht vor der eventuell unbequemen Ver-
antwortung, bedrohte Menschen mit Macht und notfalls auch mit Gewalt zu schützen. Stattdessen verweise ich auf ein viel größeres Bild des Menschen in der Welt, das Rilke da in seinem Gedicht so wunderschön in Worte gefasst hat – ein Bild, in dem der Mensch nicht des Menschen Feind ist, und auch sonst keines Wesens oder gar der Natur Feind, sondern in dem der Mensch integraler Teil des Ganzen ist. Unauflöslich verbunden mit allem, unvermeidlich, unentrinnbar, unabtrennbar verbunden. Wir sind mitten drin, wir sind sogar das Ganze – und das Ganze ist in uns. Und das ist nicht etwa die romantische Spinnerei eines Dichters, der die Realität, so wie sie ist, nicht würde wahrhaben wollen, weil er sie nicht erträgt. Der die »Realpolitik« verachtet, um sich lieber in seine schönen Traumwelten zurückzuziehen. Nichts dergleichen: Die Welt als alles umfassender Innenraum ist so wahr wie die Erkenntnisse der Ökologie, der Systemtheorie und der modernen Physik, des Tao Te King (Daodejing) und der Weisen aller Zeiten.
nehmen, während wir uns auf der Oberfläche dieser Kugel bewegen. Immer haben wir den Horizont mit dabei, die Illusion eines Randes, und immer sind wir dabei in der Mitte. Da waren die Chinesen offenbar gar nicht so dumm, als sie ihr Land »Chong hua« nannten, Land (oder Reich) der Mitte. Alles andere ist drumrum. Wenn sie doch nur auch jedem anderen Land zugestanden hätten, »Land der Mitte« zu sein! So wie jeder Mensch sich selbst die Mitte ist. Bei vielen Völkern lässt sich die Eigenbezeichnung für ihr Volk übersetzen als »Menschen wie wir«, und die Bezeichnung der eigenen Sprache ist sowas wie »Laute, wie wir sie sprechen«. Das Individuum ist sich selbst die Mitte der Welt, das Volk die Mitte aller Völker, und es wohnt im »Land der Mitte«, so wie alle Bewohner der Oberfläche einer Kugel sich unvermeidlich immer in der Mitte der Welt befinden, in einer Mitte, die sie nie verlassen können, wohin (auf der Kugel) auch immer sie gehen.
Wir Kugelbewohner
Das ist die Sicht der Welt als Hologramm. Das ist die Weltanschauung des Käfers auf dem Möbiusband: Er läuft immer weiter, immer weiter und kommt schließlich auf der Unterseite dieses zweidimensionalen Bandes an – sagen wir, die wir uns das von der dritten Dimension aus ansehen und aus dieser Perspektive auf den Käfer blicken. Geht es uns Menschen auf der Erde mit unserer Position im Universum vielleicht ebenso? Sind wir mit dem Sonnensystem, das sich ja am Rand der Milchstraße befindet, vielleicht
Stell dir vor, du seist eine Ameise, die auf einer Kugel lebt, und du fragst dich, wo der Rand der Welt ist und wo ihre Mitte. Was heißt da Vorstellung: Wir leben ja tatsächlich auf einer Kugel, die für uns aber aussieht wie eine Ebene, so dass wir Menschen jahrtausendelang dachten, wir würden auf einer Ebene leben, die einen Rand hätte, an dem man runterfallen könnte in einen unermesslichen Abgrund hinein.
Die Welt als Hologramm
Für Rilke war die Welt ein Innenraum, in dem wir alle uns bewegen: Freund und Feind, Menschen, Tiere, Pflanzen, du und ich
Auf einer begrenzten Ebene gibt es immer die eine oder andere Art von Mitte und entsprechend auch Randpositionen, eine Peripherie, so wie das Römische Reich eine Peripherie hatte und das antike China. Auf einer Kugel aber ist jeder Punkt auf der Oberfläche stets die Mitte dieser Oberfläche. Wenn ich auf der Erde in eine Richtung immer weitergehe (oder mit dem Schiff fahre oder mit dem Flugzeug fliege), komme ich nach ungefähr 40.000 km wieder dort an, wo ich aufgebrochen bin. Und das gilt ausnahmslos für jeden dieser Punkte auf der Kugel. Es gibt keinen Rand. Der Horizont ist nur die Illusion eines Randes, die wir mit-
www.connection.de · November-Dezember 11-12/2014
nicht in der Mitte, sondern irgendwo am Rand des Universums, das ganz woanders seine Mitte hat? Sollte die biblische »Krone der Schöpfung« sich etwa nur am Rand des Universums befinden? Vielleicht würde es uns, flögen wir von hier aus ans Ende des Universums, so ergehen wie dem Käfer auf dem Möbiusband: Wir kämen auf irgendeiner Unterseite unserer jetzigen dritten Dimension (betrachtet aus der vierten) zu uns selbst zurück? Auch ohne diese Spekulation befinden wir uns in der Mitte, denn seit dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren dehnt sich das Universum aus. Wo fing das denn an? Könnten
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DIE WELT ALS GANZHEIT
wir dort nicht einen Gedenkstein hinsetzen? Das wäre doch mal ein viel wichtigeres Denkmal als die Heldengräber auf diesem kleinen Planeten von all denen, die für viel kleinere Ziele gestorben sind. Dieser Punkt des Beginns aber ist überall und nirgends,
kra, im japanischen Zen und den Kampfkünsten das Hara, in China den Dantien – »Dan« bedeutet Elixier, »Tien« Feld, also sowas wie der Bereich des himmlischen Elixiers. Es ist der himmlisch-irdische Punkt, von dem aus wir wahrnehmen und handeln
zu denken und zu handeln, das wäre echte Herzlichkeit und möge bitte nicht verwechselt werden mit dem gefühlsduseligen Begriff des Herzens in unseren Herzschmerzmedien und der heutigen spirituellen Boulevard-Literatur.
Innen- oder Außenraum Wenn wir uns auf der Oberfläche einer Kugel fortbewegen, haben wir immer den Horizont mit dabei, die Illusion eines Randes, und immer sind wir dabei in der Mitte
denn seitdem bewegt sich alles auseinander. Er ist also genau hier! Hier, wo ich gerade dies schreibe, und ebenso dort, wo du dies liest. Vor genau 13,8 Milliarden Jahren und soundsoviel Tagen, Stunden, Minuten, Sekunden und Nanosekundenbruchteilen ist das passiert. Genau hier. Und von hier aus dehnt es sich aus. Der Rand des Universums ist von dir aus ungefähr 40 Milliarden Lichtjahre weit weg und von mir aus ebenso, und sogar diese Ränder sind in der Mitte, sie sehen nur von hier aus so aus wie ein Rand, so wie der Horizont auf der Kugel, auf der ich mich bewege. Du bist in der Mitte, ich bin es, und ebenso der Mond, der Sirius, die Milchstraße und all die anderen Galaxien.
können, wenn wir unser Bewusstsein in die Mitte von dem lenken, was wir zu sein glauben, in die Mitte unseres Ich – vor allem in die Mitte des Körpers, mit dem wir uns in der Regel noch viel mehr identifizieren als mit allem anderen. Von dort aus zu fühlen,
Wenn jeder von seiner Mitte aus handeln würde und dabei wüsste, dass alle diese Mitten auf derselben Kugel liegen, die in der nächsthöheren Dimension nur eine Mitte hat, dann müssten wir verstehen können, dass wir alle in demselben Innenraum leben. Mathematisch gesehen wäre das Bewohnen der Innenseite der Kugeloberfläche eine sogar noch bessere Metapher für die Welt als Innenraum, weil dann der Inhalt der Welt der Inhalt der Kugel wäre, also in der dritten Dimension ein endlicher. Das Bewohnen der Außenseite passt aber besser zu unserer geografisch-astronomischen Wirklichkeit, wie wir sie als dreidimensional Wahrnehmende uns darstellen. In dieser Darstellung/Weltanschauung sehen wir von jedem Punkt der
Bewegt er sich auf der Ober- oder auf der Unterseite des Bandes?
Das Herz
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FLICKR.COM © BRASILEM REDE, UWE SCHMIDT, C. V. PUTTKAMER
Zurück zur Erde, zu unseren Körpern und Seelen, zu unserer Psyche und unserem ›seelischen Herzen‹, das ja mit der Pumpe, die für unseren Blutkreislauf sorgt, nicht viel zu tun hat. Zigtausende von Dichtern und Barden haben seit Jahrtausenden das Herz besungen, und heute tun es auch die Therapeuten und spirituellen Lebensberater: Geh ins Herz! Dort findest du das Glück, die Liebe, die Freiheit, dich selbst! Nicht im Kopf, nicht in deinen Gedanken, sondern im Herz. Wo aber ist dieses Herz? Das allseits gefeierte Kitschchakra der esoterischen Lebensphilosophien kann es nicht sein, denn das bedeutet ja mal dies, mal das, je nach Propheten, Sänger und Channelmedium, und meist das, was der Jeweilige für seine Zwecke gerade promoten will. Nein, das Herz ist die Mitte! Nichts anderes macht Sinn, wenn man die Seichtgebiete der allgegenwärtigen Lebensberatungen mit ihren Herz-Parolen einmal verlassen will. Das Herz ist die Mitte unserer Welt und Wahrnehmung, die Mitte unseres Weltbildes. Auch einige unserer Vorfahren in den großen Weltkulturen wussten das: In Indien nannten sie es Manipura, das Powercha-
November-Dezember 11-12/2014 · www.connection.de
DIE WELT ALS GANZHEIT
re Schublade besitzen wollen, die wir dann zu zweit bewachen, so wie vorher unsere jeweiligen Einzel-Egos, dann brauchen wir als Paar (oder Achse zweier Freunde) eine Einbettung in ein noch größeres Kunstwerk, in die uns umgebende Gemeinschaft oder Gesellschaft, unseren Freundeskreis, unsere
»Je mehr eine Kultur begreift, dass ihr aktuelles Weltbild eine Fiktion ist, desto höher ist ihr wissenschaftliches Niveau« Albert Einstein
rechenbare Masse von circa 1053 kg (Quelle: Wikipedia).
Neuronale Systeme Wenn jeder von uns Menschen von seinem Herz aus handeln, fühlen und denken würde, von seiner jeweiligen Mitte aus, ergäbe sich das Bild eines Netzes, vielleicht so ähnlich wie das neuronale Netz unseres Nervensystems mit seinen über hundert Milliarden Neuronen. Oder auch wie das Internet, mit seinen Milliarden einzelner Adressen, die alle miteinander vernetzt sind. Die Neuronen sind durch Synapsen vernetzt, die Internetadressen durch Kabel oder drahtlos, die Gedanken durch den Austausch mit anderen Gedanken. Die dabei sich miteinander austauschenden (aus Gedanken aufgebauten) Identitäten sind durch die Fremdund Selbstbilder vernetzt, die sie von sich und voneinander haben. In den sozialen Netzwerken geschieht das durch die publizierten Profile, aber auch ohne absichtlich gestaltete Profile stecken wir einander in geistige Schubladen und weisen uns so Identitäten zu, aufgrund derer wir dann handeln, Erwartungen und Enttäuschungen kreieren und diese aufgrund von Erfahrungen jeweils mehr oder weniger wieder korrigieren, die Selbstbilder ebenso wie die Fremdbilder.
Liebesbeziehungen Was bedeutet nun in einem solchen Netzwerk von Identitäten die Liebesbeziehung? Sie ist ein soziales Kunstwerk, sagt die Liebesforscherin Dolores Richter in ihrem Buch »Die Liebe als soziales Kunstwerk«. Sie wird gestaltet aus zweien oder mehreren solcher Schubladen, Fächer, Herzen, Haras oder Neuronen mit ihren einander berührenden Synapsen, vor allem aber aus zweien solcher Identitäten, aus mir und dir, wenn wir beide uns miteinander verbinden. Wenn wir meine und deine Schublade zusammengetan haben und nun nicht einfach nur eine größe-
soziale Umgebung. Das wird erleichtert, wenn wir die Membrane unserer Identitäten – als Einzelne ebenso wie als Paar oder Freundschaftsbeziehung – ähnlich unseren Zellmembranen als semipermeabel verstehen, als teilweise durchlässig. Eine Zelle kann nicht bestehen, wenn sie nicht einiges aus ihrer Umgebung hindurchlässt, anderes nicht, ihre Membran wirkt als Filter. So können wir durch die richtigen Einstellungen unserer Filter unsere sozialen Beziehungen als Kunstwerke gestalten. Liebe gibt es natürlich auch außerhalb solcher Strukturen, als Hinwendung, Zuwendung, Caritas und mystische Verbindung – hier habe ich nur versucht, die Liebe als Beziehung, das heißt als soziale Struktur im Rahmen eines holografischen Weltbildes verständlich zu machen.
Gut vernetzt oder bös verstrickt? Gesellschaften sind Gebilde aus Identitäten mit semipermeablen Membranen, darin ein bisschen ähnlich den Organismen der Mehrzeller, sogar noch bewegter als diese. Wenn es uns in diesem Gebilde gut geht, sagen wir, dass wir vernetzt sind, und wollen mehr davon: mehr Freunde, Beziehungen, in Cliquen sein und Teilnehmer, Teilhaber sein von sozialen Gebilden. Wenn es uns damit schlecht geht, sagen wir, dass wir darin verstrickt sind, und wollen da raus. So sind die Gesellschaften wie Ameisenhaufen – ständig in Bewegung, mal im Aufbau, mal im Abbau, und alle auch zerstörbar. Die systemischen Aufstellungen von Familien, Organisationen und Beziehungen versuchen davon Momentaufnahmen zu geben, die Einsichten verschaffen in Zusammenhänge und im Idealfall imstande sind, lokale Strukturen zu korrigieren. Wenn das nicht hilft, kann vielleicht Humor helfen, die Identitäten zu relativieren und auf diese Weise gestaltbar zu machen.
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Weltinnenpolitik Ähnlich wie die Individuen sind auch die Städte, Staaten, Firmen und andere Organisationen der globalen Welt miteinander vernetzt bzw. verstrickt. Schon längst gibt es auf der Welt keine Außenpolitik mehr, alles ist Weltinnenpolitik. Bleibt die Frage, wie gut wir Weltenbürger dieses Gebilde föderal und subsidiär (von unten nach oben nur so viel Macht abgebend wie für das Ganze nötig) organisieren. Eine Weltdemokratie gibt es noch nicht und auch kein weltweit geltendes Recht. Zwischen den Nationen herrscht heute noch das Recht des Stärkeren. Der scheinheilig-heuchlerisch die Demokratie promotende Westen fürchtet eine solche Demokratie (leider ohne diese Furcht zu thematisieren), weil dann ein Fünftel der Stimmen aus dem indischen Subkontinent käme und ein weiteres Fünftel aus China. Die jetzt noch sehr mächtigen USA würden dann weniger als 5 Prozent der Stimmen stellen und die EU ungefähr 7 Prozent.
Fakten und Fiktionen Die Welt ist Fakt, die in ihnen agierenden Individuen und gesellschaftlichen Strukturen sind Fakten schaffende Fiktionen. Vielleicht so ähnlich wie bei einem Leuchtglobus, der ohne Licht die geografische Weltkarte zeigt, die physikalischen Fakten. Mit eingeschaltetem Licht zeigt er die Länder, die nur Fakten schaffende Fiktionen sind. In Wirklichkeit ist ja nicht Polen blau, Deutschland grün und Frankreich rot, so wie auf der politischen Weltkarte, und dazwischen gibt es auch keine schwarzen Linien, vielleicht nicht mal Zäune, sondern die Grenzen sind nur so real, wie die Menschen mit ihren Identitäten, ihren Selbst- und Fremdbildern sie aufrecht erhalten. »Je mehr eine Kultur begreift, dass ihr aktuelles Weltbild eine Fiktion ist, desto höher ist ihr wissenschaftliches Niveau«, sagte Albert Einstein einst dazu. Statt »wissenschaftliches Niveau« könnten wir auch »Faktenkenntnis« sagen. Fakt und Fiktion unterscheiden zu können hilft im Leben – in den Beziehungen und auch in der Politik. Wer Fakt und Fiktion gut unterscheiden kann, hat bessere Chancen, Krieg zu vermeiden und Frieden zu bewirken. Einem Rainer Maria Rilke würde ich hierbei bessere Chancen einräumen als einem Reichskanzler von Bethmann Hollweg.
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Kugeloberfläche dasselbe Firmament. Es erscheint uns als dort hinaus Schauende unendlich, ist aber in der vierten Dimension wohl doch endlich, sagt eine gängige Theorie der heutigen Astronomie – das Universum hat nicht nur ein berechenbares Alter, sondern auch eine (ebenfalls annähernd) be-
WOLF SCHNEIDER, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften und Philosophie (1971–75) in München. 1975–77 in Asien. 1985 Gründung der Zeitschrift Connection. Seit 2008 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: schneider@connection.de
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DIE WELT ALS GANZHEIT
Vom
Sinn und Unsinn der Arbeit Das Aussteigen aus der Tretmühle will gut vorbereitet sein An einem sinn- und trostlosen Arbeitsplatz träumt er wie so viele von einem anderen Leben. Schon zweimal ist er ausgestiegen, beide Male scheiterte die Selbständigkeit. Nun hat er erkannt, dass er anders vorgehen muss: Erst der eigenen Gedanken und Gefühle gewahr werden und den Status quo liebevoll annehmen, dann den Schritt zur Realisierung der eigenen Vision wagen
VON PEER HENRIK BARCELONA
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as ich hier tue, erfüllt mich zutiefst. Schreiben, noch dazu über die großen Sinnfragen des Lebens, das ist es, was mich begeistert. Es sind inspirierte Momente, in denen ich Glück und Freude empfinde. Ist das Arbeit? Ist das meine Arbeit? Was ist denn unsere Arbeit für uns? Das Geld für meinen Lebensunterhalt verdiene ich mit diesem Schreiben nicht. Vielleicht kommt es noch dazu, doch morgen früh gehe ich wieder einer anderen Arbeit nach. Mit ihr verdiene ich das Geld für all die Dinge, für die man in dieser Gesellschaft Geld braucht. Eine völlig andere Tätigkeit – Ingenieurdienstleistungen. Mit welcher der genannten Tätigkeitsfelder antworte ich normalerweise, wenn mich jemand nach meiner Arbeit fragt? Meist mit der Arbeit, die die Haupteinnahmequelle darstellt. Es ist geradezu so, als sei das Geld der Indikator dafür, wer wir sind. Darf ich sagen, dass ich Autor bin, solange ich nicht auch mein Geld als Autor verdiene? Da werde ich schnell als Hochstapler verrufen.
Geld ist der Maßstab Wir halten Geld für den wichtigsten Maßstab für Leistung. Ist das sinnvoll? Sollte Geld nicht besser nur ein vereinfachendes
ich arbeite, wie wohl in fast allen heutigen wirtschaftlichen Unternehmen, geht es um das Mehr (an Geld). Auf dem letzten sogenannten Kick Off Meeting – das ist die Großveranstaltung, auf der alle Mitarbeiter deutschlandweit zusammenkommen, um sich die Ergebnisse des letzten Jahres und die Ziele der Zukunft von der Unternehmensleitung präsentieren zu lassen – geht es ausschließlich um Geld.
»Unsere Strategie ist Wachstum« Mit riesigem technischem Aufwand, Extrembergsteigern und Weltumseglern als Rednern und emotionalen Filmen wird eine Powerpoint-Folie vorbereitet, die die Krönung dieser Veranstaltung zu sein scheint: die Präsentation der geplanten Zahlen für das nächste Jahr. Unsere Unternehmensstrategie ist einfach, verkündete selbst der Personalleiter mit großer Begeisterung. Unsere Strategie ist Wachstum! Wow, dachte ich, das ist ja mal eine tiefgreifende Strategie – und wie sie mich emotional erreicht … toll! Da hat sich mal jemand richtig was einfallen lassen. Leider ist es exakt die gleiche Strategie wie die einer Krebszelle. Wie ich mir dieses Spektakel so anschaue, frage ich mich, ob ich denn der einzige un-
Geld ist für uns der wichtigste Maßstab für Leistung. Sollte es nicht besser nur ein vereinfachendes Tauschmittel sein und nicht Selbstzweck? Tauschmittel sein und nicht Selbstzweck? Verehren wir damit nicht den Hammer und den Nagel anstelle des Bildes, das wir damit an die Wand hängen? Die Probleme unserer Welt hängen doch wesentlich damit zusammen, dass wir eher dem Werkzeug als dem, was wir damit machen, unsere Aufmerksamkeit schenken. In der Firma, in der
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ter den Hunderten von Angestellten bin, der bemerkt, dass die Geldgier der Handvoll Unternehmensinhaber der einzige Grund für diese Begeisterung am inhaltlosen Wachstum ist. Vor allem frage ich mich, ob diese Handvoll Unternehmer nicht selbst merkt, dass da etwas fehlt. Etwas wirklich Lebendiges. Etwas, das über den schicken Fir-
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menwagen und die nächste Provisionszahlung – also über tote Materie – hinausgeht. Es waren solche Momente, in denen ich mich gefragt habe, was ich in dieser Firma eigentlich noch zu suchen habe. Die sinnlose Arbeit in dieser Firma hatte mich bis zum Burnout getrieben. Ich stieg dann für ein paar Wochen aus, besuchte ein Selbstfindungsseminar auf der Kanareninsel La Palma und kam wieder zu mir – zu meinem wahren Wesen.
Das Weite suchen
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Wozu schreibe ich das alles? Weil ich denke, dass ich etwas erlebt habe, das auf viele von uns zutrifft. Wenn wir erkennen, was in der Welt vor sich geht, reagieren wir fast ausnahmslos erstmal mit Ablehnung. Wir suchen das Weite. Doch heute weiß ich, dass die Suche nach dem Weiten in der Außenwelt uns nur vom Regen in die Traufe bringt. Wir müssen das Weite – oder besser die Weite – in uns selbst suchen und zwar da, wo wir sind. Diese Erkenntnis kann sehr frustrierend sein. Es ist doch so verlockend, einem Aussteiger-Traum nachzugehen, alles hinzuschmeißen und den Tag anstatt mit Mehr nur noch am Meer zu verbringen. Auch ich habe das zweimal versucht. Zweimal habe ich einen scheinbar sicheren, aber frustrierend leblosen Job hinter mir gelassen und eine Selbständigkeit angefangen, die das zum Gegenstand hatte, womit ich die angenehmsten Gefühle verbunden habe: inspirierende Bücher. Doch es war dann nicht so, wie wir so oft lesen, dass wir geführt werden, wenn wir uns nur trauen, unseren Traum zu leben, und sich dann ein glücklicher Umstand an den nächsten reiht, um am Ende ein glückliches neues Leben feiern zu können. Es ist vielmehr so, dass das, was wir in unserem heutigen Job erleben, das Abbild dessen ist, was wir in uns selbst sind. Ohne bewusste Innenschau und Annahme dessen, was das ist, erschaffen wir uns in der neuen Existenz dann wieder genau dieselben Gefühle wie in unserem alten, verhassten Job.
Die Reproduktion des Alten So hatte ich mich aus Angst, nicht schnell genug ins Geldverdienen zu kommen, anstatt auf meine ursprüngliche Zielkundschaft schnell auf große Firmen ausgerichtet, die ich mit den mir vertrauten Mitteln aus meinem alten Job akquirierte. Auf einmal fand ich mich in einer Situation wieder, wo ich völlig von meiner ursprünglichen Vision abgekommen war und krampfhaft versuchte, die fast unmöglichen Forderungen dieses Unternehmens zu erfüllen. Auf einmal fand ich mich in den gleichen Zwängen und Ängsten wieder, von denen ich doch nie wieder was hatte wissen wollen. Deshalb hatte ich doch gekündigt! So erkannte ich schmerzhaft, dass
An manchen Arbeitsplätzen ist der Schritt von der inneren Kündigung zur inneren Abwesenheit schon getan
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erkennen, dass alles im Universum vollkommen ist. Alles verläuft nach ewig gültigen Gesetzmäßigkeiten ab. Eine dieser Gesetzmäßigkeiten ist das Prinzip des »innen wie außen«. Das bedeutet, dass die Situation in der Außenwelt exakt den Bildern und Glaubensvorstellungen in unserem Innern entspricht und ihnen immer entspringt. Was ich da draußen erlebe, ist also mein eigenes Werk – kein fremd erschaffenes, böses Schicksal! Erst wenn ich das annehmen kann,
Es bleibt uns also nichts übrig, als anzuerkennen, dass die hier und jetzt wahrnehmbare Lebenssituation die vollkommene ist, die uns genau die Gefühle fühlen lässt und uns genau die Eigenschaften widerspiegelt über uns, vor denen wir die Augen verschließen wollten. Kein verklärtes, ach so tolles Selbstbild, das wir von uns hegen und pflegen, ist in der Lage, die aktuelle Lebenssituation zum Verschwinden zu bringen. Unser jetziger Arbeitgeber ist also trotz all seiner
Wie verlockend, einem Aussteiger-Traum nachzugehen, alles hinzuschmeißen und den Tag anstatt mit immer Mehr nur noch am Meer zu verbringen
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ich z.B. das Thema Existenzangst zunächst in meinem Inneren zu lösen habe. Dass ich die Weite nicht äußerlich suchen sollte, sondern sie erstmal in meinem Inneren herzustellen habe. Dass ich Vertrauen und Annahme zu lernen habe. Zuerst kommt die Arbeit und dann das Vergnügen, oder wie war das? Na ja, nicht ganz, aber so ähnlich. Denn um Weite in uns zu finden, müssen wir uns tatsächlich von etwas trennen. Das ist nicht immer unser aktueller Arbeitgeber. Und diese Trennung ist schmerzhaft, weil sie unseren angenehmen, aber leider allzu oft illusionären Phantasien entgegenläuft. Wir müssen zunächst unser gefühlsmäßiges Erleben von den äußeren Umständen trennen. Auf den Punkt gebracht heißt das: Wir müssen erst glücklich sein – egal wo oder was wir arbeiten –, dann tritt die Änderung in der Außenwelt ein. Es sollte also eher heißen: Erst das Vergnügen – Glück durch innerliche Annahme dessen, was ist –, dann kommt die erfüllende, sinnvolle Arbeit. Das scheint zunächst unmöglich, doch es ist der logische Weg und jedem möglich. Wir können nur in der realen Welt vorankommen, wenn wir auch an einem realen Ort loslaufen. Von einem Ort der Phantasie aus geht das nicht. Unsere Welt braucht zwar dringend schöne Phantasien, aber auch reale Veränderungen und Visionen, die umsetzbar sind.
Die Realisierung des Neuen Die Erschaffung realer Veränderung erfolgt meiner Erfahrung nach in folgenden Schritten: 1. Dankbare Annahme dessen, was ist 2. Neue Gedanken darüber, wer wir sind und wie wir leben wollen (die Vision) 3. Neue Handlungen entlang der neuen Vision Ab hier wiederholt sich der Prozess immer wieder aufs Neue: 1.1 Dankbare Annahme dessen, was jetzt (neu) ist 2.1 Neuausrichtung unserer Gedanken auf unsere ursprüngliche Vision 3.1 Neuausrichtung unserer Handlungen. Und so weiter, bis in alle Ewigkeit. Das Fehlen von Schritt 1 ist meiner Meinung nach der Grund, warum so viele Träume platzen. Uns gefällt unser Spiegel nicht (der aktuelle Arbeitgeber und die gesamte aktuelle Lebenssituation), deshalb suchen wir uns einen neuen Spiegel. Wenn wir bemerken, dass dort dasselbe Bild erscheint, sind wir frustriert, denn damit haben wir nicht gerechnet.
Innen wie außen Annahme dessen, was ist, heißt nicht, dass wir alles toll finden sollen, was unser Arbeitgeber so treibt. Es heißt lediglich anzu-
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kann ich beginnen, mich innerlich neu auszurichten und zu Schritt 2 überzugehen. Denn erst dann übernehme ich die Verantwortung für mein Leben und beginne da loszulaufen, wo ich in Wirklichkeit gerade stehe. In der Realität des Hier und Jetzt, anstatt von einem Ort der Phantasievorstellungen über mich. Doch im Hier und Jetzt gibt es eine Menge Gefühle, die ich nicht weiter fühlen will, wird jeder ehrlicherweise feststellen müssen. Darum geht es: Wir streben immer nach den guten Gefühlen. Das ist auch gut so, sie sind Hinweise auf unsere Sehnsüchte und damit wichtige Wegweiser für Schritt 2. Doch die unangenehmen Gefühle dürfen nicht abgelehnt werden. Auch sie sind im Hier und Jetzt vorhanden und somit Realität. Sie abzulehnen bedeutet, sie ins Unbewusste wegzudrücken. Das kostet unseren Organismus nicht nur eine Menge Energie, die uns dann für ein aktives Leben fehlt, sondern diese verdrängten Gefühle – allesamt schöpferische Energien – sind es, die uns immer wieder Situationen erschaffen lassen, die uns sie wieder fühlen lassen.
möglichen Widrigkeiten genau der richtige, um uns mit unserer eigenen Wahrheit zu konfrontieren. Der Wandel in uns und somit unserer (Wirtschafts-)Welt kann erst eintreten, wenn wir die Realität anerkennen und sie als Ausgangspunkt unserer weiteren Reise annehmen.
Lieben, was ist Es macht also Sinn, beim nächsten Auslöser negativer Gefühle uns selbst zu beobachten und uns diesen Gefühlen zu öffnen, anstatt direkt zum Gegenangriff oder sonstigen Abwehrstrategien unseres Ego-Verstandes überzugehen. Zur Abwechslung also besser erstmal mal gar nichts tun, sondern nur wahrnehmen. Der Chef unterstellt uns Faulheit? Die Kollegin wirft uns einen verachtenden Blick zu? Wir fühlen in uns rein und öffnen uns dem, was das in uns auslöst. Wir atmen tief in dieses Gefühl rein, gehen mit unserer Aufmerksamkeit dort hin, egal wie schmerzhaft das ist. Je nach Situation genügen dafür einige Momente oder mehrere Minuten. Tue das, wenn es irgend geht, so lange, bis sich ein
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tauchen und in dem wir uns selbst erleben können. Wo wir die Realität bereits gedanklich vorwegnehmen können und uns darin fühlen. Unsere Gefühle sind dabei die treibende Kraft. Das Wort Emotion kommt von E wie Energie und dem lateinischen Wort motio, was Bewegung bedeutet. Das lat. Wort emovere (frz. émouvoir) bedeutet, sich aus etwas herausbewegen, sich emporwühlen. Gefühle und Emotionen treiben uns und die Welt an und formen sie.
Die Vision schon jetzt leben Da Gefühle, wie wir nun wissen, unabhängig von der äußeren Situation existieren können, sind sie für uns als Werkzeug geeignet, um die Brücke zu schlagen von unserem alten in unser neues Leben. Wir machen uns dazu phantasievoll bewusst, welche Gefühle wir in unserem neuen Leben in den neuen Lebenssituationen fühlen wollen. Diese Gefühle bringen wir nun in unser aktuelles Leben ein, da wo wir sind. Sehen wir in unserer Lebensvision also z.B. Freundlichkeit im Umgang mit anderen Menschen als wesentlich, so setzen wir diese Essenz bereits heute – hier und jetzt – um und realisieren sie unabhängig von der äußeren Situation. So schlagen wir die Brücke von da, wo wir
Es gibt ein Wort für das innerliche Jasagen zu allem und Annehmen von Allem: Liebe te, heißt Angela. Sie ist also ein Engel, obwohl sie mir allzu oft genau das Gegenteil zu sein schien. Mein Chef – ein nicht weniger konfliktträchtiger Mensch für mich – heißt Gabriel. Zufall? Alles hängt zusammen und kann unserer Befreiung dienen. Haben wir die sich aufdrängenden negativen Gefühle durch Annahme aufgelöst, dürfen wir (Schritt 2 und 3, s.o.) dort natürlich nicht stecken bleiben. Aus der inneren Weite und Ruhe heraus, die durch Annahme entstanden ist, erdenken wir uns unsere erwünschte Vision, den Lebensentwurf, der der höchsten Version von uns selbst entspricht, die wir uns vorstellen können. Das sollten wir regelmäßig tun, am besten jeden Tag in bewusster Atmosphäre, z.B. in einer Medita tion. Auch lange Autofahrten eignen sich dafür, um diese Lebensvision gedanklich zu entwerfen. Wir sollten uns darüber klar werden, wie wir uns unser Leben und die (Wirtschafts-)Welt vorstellen. Diese Vision darf sich nicht alle paar Tage ändern, weil wir uns nicht entscheiden können, sonst zerstreut sich die schöpferische Kraft in verschiedene Richtungen, und nichts kann sich manifestieren. Natürlich darf sie sich weiterentwickeln und vervollkommnen. Nur sollte sich dabei eine klare Richtung herausbilden. Ein Bild entstehen, in das wir gedanklich ein-
gerade stehen, zu unserer Lebensvision. Wir sind also selbst ab sofort freundlich zu so vielen Menschen, wie wir nur können. Die nächste Person, die uns begegnet, ist die beste Gelegenheit, unsere Vision sofort zu leben. Seien wir also so freundlich, wie wir nur können. Aber bitte nicht nur aufgesetzt – es geht immer ums Fühlen. Auch für die Freundlichkeit müssen wir uns zunächst innerlich öffnen. Aufkommende innere Blockaden können wir wieder in der oben beschriebenen Weise auflösen. Die Freundlichkeit sollte aus dem Herzen kommen. Genauso verfahren wir mit allen anderen Eigenschaften, die wir in unserer Lebensvision erdenken. Verlässlichkeit? Sei da verlässlich, wo du jetzt gerade bist. Ersehnst du einen liebevolleren Umgang der Menschen in den Unternehmen miteinander? Sei ab sofort liebevoll zu deinen Kollegen – fang’ mit denen an, wo es leichter fällt.
Sei die Veränderung! So ist auch die Aussage von Mahatma Gan dhi zu verstehen: Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst! So schlägst du die Brücke im Hier und Jetzt zum ersehnten neuen Leben und wirkst effektiv an der Erschaffung einer besseren Welt mit. Die äußere Si-
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tuation entwickelt sich entlang deiner neuen Gedanken, bewusst eingenommenen Seinszustände und umgesetzten Handlungen. So hängt alles zusammen und gibt alles Sinn. Die Wahrheit (nenne sie Gott, wenn du willst) ist alles und in allem zu finden. Im cholerischen Chef wie in der duftenden Blüte. Nur die Nichtakzeptanz dieser Realität und die Identifikation mit nur der guten Seite in uns schafft Leiden. Alles dient uns und unserem Glücklichsein. Alle uns begegnenden Umstände sind nur Hilfsmittel, das sogenannte Böse in uns zum Vorschein zu bringen, um es mit dem Licht der Bewusstheit (Annahme) heilen zu können. In diesem Sinne wünsche ich allen, um glücklich zu sein, auch das Unglücklichsein annehmen zu können.
Mit Liebe arbeiten Zum Schluss möchte ich noch den libanesischen Dichter Khalil Gibran (1883–1931) zitieren, eine Stelle aus seinem berühmtesten Werk (Der Prophet): »Aber wenn ihr in eurem Schmerz die Geburt ein Leid nennt und die Erhaltung des Fleisches einen Fluch, der euch auf die Stirn geschrieben steht, dann erwidere ich, dass nur der Schweiß auf eurer Stirn das wegwaschen wird, was geschrieben steht. Es ist euch auch gesagt worden, das Leben sei Dunkelheit, und in eurer Erschöpfung gebt ihr wieder, was die Erschöpften sagten. Und ich sage, das Leben ist in der Tat Dunkelheit, wenn der Trieb fehlt, und aller Trieb ist blind, wenn das Wissen fehlt. Und alles Wissen ist vergeblich, wenn die Arbeit fehlt, und alle Arbeit ist leer, wenn die Liebe fehlt; und wenn ihr mit Liebe arbeitet, bindet ihr euch an euch selber und aneinander und an Gott. Und was heißt, mit Liebe zu arbeiten? Es heißt, das Tuch mit Fäden zu weben, die aus euren Herzen gezogen sind, so als solle euer Geliebter dieses Tuch tragen. Es heißt, ein Haus mit Zuneigung zu bauen, so als solle eure Geliebte in dem Haus wohnen. Es heißt, den Samen mit Zärtlichkeit säen und die Ernte mit Freude einbringen, so als solle euer Geliebter die Frucht essen. Es heißt, allen Dingen, die ihr macht, einen Hauch eures Geistes einzuflößen.«
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Gefühl von Weite einstellt, eine Art innerer Frieden. Es kann sogar ein Gefühl von tiefem Glück sein. Dabei bemerkst du, dass dieser Glückszustand tatsächlich getrennt ist von der äußeren Situation. Glück ist in der Wahrheit zu finden, egal ob die Situation von uns gerade als eine negative oder als eine positive bezeichnet wird. Diese Bewertungen nehmen nur wir vor, für das Leben selbst sind das nur Etiketten. Dem realen Leben geht es nur um Erfahrung dessen, was ist, und das quittiert es uns mit Glücksgefühlen. Nun geschieht wahre Transformation. Wie durch ein Wunder ändern sich die äußeren Umstände allmählich, je nachdem, wie bereitwillig wir uns ihnen öffnen. Es gibt ein Wort für dieses innerliche Jasagen zu allem und Annehmen von Allem als eigen und vollkommen: Liebe. Es ist tatsächlich so, dass wir unsere aktuelle Lebenssituation lieben müssen, wenn wir sie verschwinden lassen oder ändern wollen. Dies zu verstehen und täglich anzuwenden ist die Voraussetzung dafür, um eine neuen Realität mittels gezielter Ausrichtung der Gedanken und entsprechenden Handlungen erschaffen zu können. Meine derzeitige Kollegin, die zeitgleich mit mir angefangen hat und mit der ich von Beginn an die größten Konflikte zu lösen hat-
PEER HENRIK BARCELONA, Jg. 74, zunächst klassische Wirtschaftskarriere, dann auf der Sinnsuche. Begleitete seine an Lungenkrebs erkrankte heutige Frau bis zur Heilung und Selbstverwirklichung. Verbindet nun Ratio und Leistung mit spirituellem Verständnis und Erleben. Dazu Retreats, Vorträge, Texte. www.SonneInsLeben.de
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Der Waldkindergarten
Wichtelfreunde VON SIGRID BECKMANN-LAMB
Heute in den Wald, morgen an die Uni!
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or etwa 25 Jahren wurden die ersten Waldkindergärten gegründet. Mittlerweile gibt es davon in Deutschland weit über tausend. Neben den üblichen Kindergartenzielen nimmt die Naturpädagogik in den Waldkindergärten einen bedeutenden Stellenwert ein. Der Kindergarten Wichtelfreunde in Forst-Seifen im Westerwald wird vegan geführt und erhielt im Jahr 2009 von der Peta die Auszeichnung »Tierfreundlichster Kindergarten Deutschlands«. Da die Grenze zwischen den Bundesländern NRW und Rheinland-Pfalz mitten durch unseren Ort verläuft, haben wir dafür gesorgt, dass die Kriterien für Waldkindergärten beider Bundesländer erfüllt sind. Wir sind 70 km von Köln und 10 km von Waldbröl entfernt. Hier ist der ideale Nährboden für die Vision einer besseren Welt für die Zukunft unserer Kinder. Ökologie, Natur- und Umweltschutz sowie Natur-
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pädagogik gewinnen immer mehr an Bedeutung für unsere Zukunft, deshalb werden in unserem Kindergarten Bildung, gesund Leben, Spielen, Lernen, Bewegung und gesund Essen ganz groß geschrieben. Unser Modell lässt die Waldkinder-Gemeinschaft die Natur spielerisch erfahren und macht sie stark fürs Leben und ihren zukünftigen Schritt in die Grundschule.
Naturpädagogik Eine lebenswerte Zukunft für die Menschheit basiert in erster Linie auf einer Pädagogik, die die Grundsätze des harmonischen Zusammenlebens vermitteln kann. Deshalb erfolgt die Betreuung in unserem Kindergarten in kleinen Gruppen. Unser Motto ist: Wir helfen einander! Wir sind liebevoll und einfühlsam im Umgang mit den Kindern und richten uns auf die jeweilige Individualität
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Natur und Kultur treffen sich – im Bildungsprojekt von Sigrid Beckmann-Lamb
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des Kindes aus, die wir fördern wollen, gemäß der jeweiligen Altersstufe. Die Kinder können hier Fühlung mit der Natur aufnehmen (auch mit ihrer inneren Natur), sie können staunen, bewundern, sich wundern und vor allem: sich freuen! Der an das Vereinsgebäude angrenzende Garten bietet ein lebendiges und liebevoll gepflegtes Beispiel der Eintracht von wilder und kultivierter Natur. Unser Kräuter- und Gemüsegarten ist nicht nur optisch äußerst ansprechend gestaltet, sondern lädt auch zur Mitarbeit und zum Verweilen ein. Auf abwechslungsreichen Ausflügen und Streifzügen lernen die Kinder rücksichtsvoll und achtsam mit der Tierund Pflanzenwelt umzugehen.
Beste Bildung von Anfang an! • Maximal 7 Kinder pro Gruppe • Lernen mit Leib & Seele – Starkmachen fürs Leben • Für die Kleinen nur das Beste: Go Veggie! • Ohne Pauken Basiskenntnisse in Englisch und Französisch • Förderung von Intelligenz, Kreativität und Entdeckergeist • Bildung eines reichen Wortschatzes • … und das alles mit viel Spaß und frischer Luft
Das Gelände
»Ihr müsst die Menschen lieben, wenn ihr sie ändern wollt« Johann Heinrich Pestalozzi
gen und ihnen Möglichkeiten zum Entdecken und Verstecken zu geben, und die Kindern können ein Feuchtbiotop mit den vielfältigsten Tier- und Pflanzenarten beobachten. Damit ist hier in zwei Jahren Vorbereitung ein ideales, zur ganzheitlichen Naturerfahrung geschaffenes Gelände vorbereitet worden, das für unsere kleinen Waldkinder trotz der Größe in sich geschlossen und völlig überschaubar ist.
Wasser Die Landschaft hier an der Grenze von Bergischem Land und Westerwald ist durchzogen von vielen Quellen, die sich überall aus der Erde drängen und in kleinen Bächen die Waldlandschaft bereichern. Immer wieder entdecken wir neue solcher kleinen Wasserstraßen und fragen uns: Wo kommt all das Wasser her? Und wo mögen diese Ströme enden? So machen wir uns auf den Weg von der Quelle stromabwärts. Wir folgen auf diesen »Pilgerwegen« den Fragen und sprechen dabei über den Wasserkreislauf und die Bedeutung des Wassers für Menschen, Tiere und Pflanzen. Ein Quelle zu suchen ist etwas Wunderbares. Den Ort aufzuspüren, an dem das Wasser den Boden verlässt und als Bach seinen Anfang nimmt, begeistert die Kinder immer wieder aufs Neue. Es regt sie zu weiterem Forschen an: Was macht das Wasser unter der Erde? Wie kann es von selbst aufsteigen? Bachabwärts begleiten wir das Wasser auf seiner Reise ein Stück weit und überlassen es dann wieder seinem Schicksal. Es weiterziehen zu sehen, gibt zu Gedankenreisen Anlass: Wir sehen uns Bilder von Bächen, Flüssen, Seen und dem Meer an und stellen uns vor, wir selbst wären ein Tropfen Wasser auf der Reise …
Boote bauen
wir den Bach. Auf der Wasseroberfläche tanzen erste Blättchen. Sorgsam betten die Kindern Gräser auf dem Wasser und lassen sie von den kleinen Wellen sanft mittragen. Kann auch eine Nussschale, eine Eichel oder gar ein Stein schwimmen? Weiter gehen die Versuche mit Stöcken, Zweigen und kleinen Muscheln. Am Ufer falten wir erste Schiffchen aus Papier. Bald tanzen ganze Schwärme mit weißen Segeln dahin, werden am Ufer begleitet und wieder aufgefangen. Später sitzen wir im Schatten eines großen Baumes, und ich erzähle den Kindern die Geschichte von zwei Fröschen und ihrer Reise auf einem Floß. Dann fangen wir an zu schnitzen. Die Kinder sitzen auf Baumstümpfen und bearbeiten Stöcke. Sie schnitzen sie zurecht, so dass sie später mit dicker Schnur zu einem Floß verknotet werden können. Durch Wickeln, Binden und Schnüren entsteht schlussendlich eine Fläche. Ein knallrotes Segel mit einem Pferdewappen schmückt den Mast. Eine lange Schnur und eine Spule zum Aufwickeln wird festgeknotet und soll verhindern, dass uns das Floß entwischt. Und jetzt endlich: Ab zum Bach!
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An der Holper Straße 1 in Forst-Seifen liegt die Alte Schule, der Sitz des Waldkindergartens. Direkt neben dem Gebäude beginnt das Gelände des Naturkindergartens. Unser gesamtes Areal umfasst 11.000 Quadratmeter. Es enthält einen Zwergenweiher, in dem sich Kaulquappen tummeln, deren Entwicklung zum Frosch sich ganz nah verfolgen lässt. Vielfältige Wassertierchen bringen die Kinder zum Staunen, Nachfragen und Forschen. Hier wohnen auch zwei dicke, alte Kröten. Wenn es still ist, zeigen sie sich. Libellen schwirren über diesem Plätzchen, und die Eichhörnchen vergraben zwischen den Baumstümpfen ihre Nüsse. Der parkähnlichen Gartenanlage schließt sich ein 5.000 Quadratmeter großes Waldgebiet an. Dort ist genügend Platz zum Austoben, Klettern und Laufen. Trotzdem können wir dabei alle Kinder im Auge behalten. Anhand der in diesem Gebiet entspringenden Quelle und des Bachlaufes erschließt sich ein weiterer Naturkreislauf mit unerschöpflichen Spielmöglichkeiten. Umgestürzte Bäume lassen wir bewusst liegen, um der Abenteuerlust der Kinder zu genü-
Bildung und Mensch e.V., Holper Str. 1, D-57537 ForstSeifen. Tel. 02742-8251. info@bildung-und-mensch.de. www.waldkindergarten-wichtelfreunde.de Wir suchen noch eine vegan-vegetarische Waldkindergartenerzieherin, die Lust hat, bei uns mitzumachen!
SIGRID BECKMANN-LAMB ist die Gründerin des »Seifener Modells« und des Waldkindergartens Wichtelfreunde. www.seifener-modell.de, www.bildung-undmensch.de
Der Frühling lockt, und wir schwärmen aus in die Natur. In heiterer Stimmung erreichen
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