Spirit 7/8-14

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE 7–8/2014 30. Jg. B 6128

Anders essen

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Schweiz 16,80 sfr, EU-Länder außer Deutschland 9,40 €

Anders essen Wie wir gesünder und leckerer essen können, ohne dabei unseren Lebensraum zu zerstören

9€


ANDERS ESSEN

»Ich hege keinen Zweifel darüber, dass es ein Schicksal des Menschengeschlechts ist, im Verlauf seiner allmählichen Entwicklung das Essen von Tieren hinter sich zu lassen«

FLICKR.COM © ILRI

Henry David Thoreau (1817 – 1862)

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Es geht ums

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FLICKR.COM © JEREMY RICHARDSON

nders essen sollen wir? Nicht mit mir! Die Forderung anders zu essen geht ans Eingemachte wie kaum sonst etwas. Sie stellt unser Weltbild infrage – »Das haben wir schon immer gegessen. So isst man eben bei uns.« Und, als wäre das nicht schon genug, sie rührt an tiefe Gefühle, von Abscheu über Befremden bis zur höchsten Verzückung. Wie wir essen und was wir essen, das wurde uns in frühester Kindheit eingeprägt. Es ist zwar individuell höchst unterschiedlich, aber durchweg kulturell geprägt und deshalb von Kultur zu Kultur sehr verschieden.

Widerstände

FOTO: ANIELA ADAMS

Die Wirtschaft Wenn wir mit mehr Genuss das essen, was uns guttut, und uns dabei der Kontext bewusst ist, in dem die Nahrung entstanden ist, wird sich unser Einkaufsverhalten ändern. Wenn viele das tun, wird sich auch die Landwirtschaft ändern, dann wird sich das Nahrungsangebot verändern und ebenso die Art, Nahrung zu behandeln, zu lagern und für den Verkauf zuzubereiten. Schließlich würde sich dadurch die

Erdoberfläche ändern, deren bewohnbare Flächen jetzt hauptsächlich für Landwirtschaft genutzt werden. Noch vor Behausung und Kleidung braucht der Mensch zum Überleben etwas zu essen, insofern ist dieser Teil der Wirtschaft der wichtigste, und was da produziert wird, hängt mit der Entscheidung zusammen, was wir essen wollen. Politik, Wirtschaft, Genuss, Kultur und Gesundheit sind bei der Erzeugung unserer Lebensmittel aufs engste miteinander verwoben.

Das Essen und der Rest Was hat ein spirituellles Magazin dazu beizutragen? Auch wenn viele Tischgebete gute Geister (spirits) herbeirufen – einen Geist, Spirit oder Gott des Essens kenne ich nur als Metapher für einen guten Umgang mit unseren Nahrungsmitteln. Connection hat sich dieses Themas angenommen, weil es hier ums Ganze geht. Weil unser Name für Verbindung steht, und das gute Essen und ein gutes Bewirtschaften der Ernährung mit allem anderen zu tun hat, was wir auf dieser Erde sonst noch tun und erleben.

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Im Garten Erde Auch wenn der Apfel auf unserem Cover das suggeriert, unsere Erde ist nicht essbar. Sie ist aber zerstörbar. Deine Art der Ernährung kann nicht nur einen einzelnen Körper zerstören – deinen Kör per–, sondern wenn massenhaft falsch gegessen wird, zerstören wir die ganze Oberfläche unseres Planeten, der unsere Heimat ist und aus dem wir nicht emigrieren können. Um hier auf diesem Planeten gut essen und gut leben zu können, sollten wir ihn nicht wie eine Plantage oder Fabrik behandeln, sondern eher wie einen Garten. Und wir, die Gärtner, sind darin ein Teil des Gartens. Wir sind ein Teil des Kreislaufs, der unsere Nahrung produziert, und stehen mitten drin in diesem Garten.

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Wenn nun massive gesundheitliche, ethische oder ökologische Gründe uns zu einer anderen Essweise bringen wollen, wehrt sich einiges in uns, egal wie gut die Gründe für eine Umstellung auch sein mögen. Wer für eine andere Essweise wirbt, sei es biologisch produziertes, vegetarisches, lokalistisches oder saisonales Essen, tut gut daran, sich auf Widerstände dieser Art einzustellen. Trotzdem will dieses Heft für eine andere Art zu essen werben – für eine bewusstere, gesündere und umweltgerechtere –, denn wir glauben, dass das gut ist und die Widerstände überwindbar sind.

Editorial

Ganze

Wolf Schneider, schneider@connection.de Weblog: www.schreibkunst.com

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JULI-AUGUST 7-8/2014

Anders essen Barmet, Pascale A. 154 S., kartoniert

16,90 €

Die verschiedenen Lebensphasen und Bedürfnisse des weiblichen Körpers stellen besondere Anforderungen an die Ernährung. Pascale Anja Barmet, Spezialistin für Chinesische Heilkunde und Ernährungslehre, zeigt klar und unterhaltsam, wie Frauen ihre Gesundheit mit einfachen Mitteln in den Griff bekommen – ohne sich neuen Zwängen zu unterwerfen. Versandkostenfreie Lieferung in Deutschland! fon: 0 61 54 - 60 39 5-0 fax: 0 61 54 - 60 39 5-10 mail: info@syntropia.de

www.syntropia.de nt

Neu-E

Alle Welt spricht von Ernährung, Gesundheit, Küche, Kult und Körper, und endlich auch von der Ethik unserer Essweise. Denn mit einer anderen Ernährungseise können wir nicht nur uns selbst Gutes tun, sondern auch Tieren, Pflanzen und dem ganzen Planeten. Die Wurst auf dem Teller kommt ja nicht aus einem 3D-Drucker, sondern dafür wurden Wälder gerodet und Tiere, entwürdigt als »Vieh« und »Geflügel«, für uns in Fleischfabriken gehalten und geschlachtet

S. 18 – 43 Capitalism forever Ein Gespenst, nein: ein Buch geht um in Europa, mehr noch in den USA. »Kapitalismus im 21. Jahrhundert« heißt es, und sein Titel erinnert nicht nur zufällig an Karl Marx. Kann Pikettys Buch mehr bewirken als nur ein paar Debatten? ReinO Kropfgans hört hier nur den pseudodemokratischen Weltkapitalismus ein weiteres Wiegenlied von Liberalität und »spannender Kontroverse« säuseln, während die Welt bleibt, wie sie ist

ng! decku

Der 10. EnneagrammTyp

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Viele spirituelle Sucher haben sich bisher unter den neun Typen des Enneagramms nicht richtig einordnen können. Kein Wunder: Forscher auf der Azoren-Insel Neu-Atlantis haben kürzlich entdeckt, dass es einen 10. Typen gibt, der schon den Einwohnern des antiken Atlantis bekannt war. Wenn es bisher bei Ihnen bei keinem der neun richtig „klick“ gemacht hat, sind Sie wahrscheinlich eine 10. Die Checkliste mit Buch und CD gibt es jetzt für schlappe 10x10 € im Verlag Neu-Atlantis Rua do Melo, n.º 75, PT 9500 - 187 Ponta Delgada, Açores, www.enneagram-10.com

S. 14 – 17

Daniel Barron Ja, wie isses denn nu mit dem Ego? Gibt es das, oder ist es nur eine Illusion? Und ist es (bzw. sie) in der Wirkung gut oder schlecht? Ron Engert, der Herausgeber der Zeitschrift Tattva Viveka, hat nicht nur Daniel Barrons Schriften gelesen, sondern ihn auch persönlich erlebt und fürchtet nun, man müsse hier »das Werk vor dem Autoren schützen«

S. 54 – 59

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Editorial

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Viktor Frankl über kreative Menschen

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Hier & Jetzt: die Kurzmeldungen

12 Eine Collage von Christina von Puttkamer 14 Gibt es ein richtiges Leben im falschen? fragt Burkhardt Kiegeland 17 Das Leben ist wie ein scheues Tier – ein Gedicht von Rani Kaluza

Schwerpunkt: Anders essen 18 xxx findet Wolf Schneider 23 Michael Ende über den wirklichen Apfel 24 Essbare Landschaften, die Revolution auf dem Acker praktizieren Barbara und Erich Graf auf ihrer permakulturellen Landkommune 28 Urban Gardening am Beispiel Kassel – Peer Barcelona freut sich, dass an seinem früheren Wohnort jetzt Gemüse gezogen wird 34 Wie ich zur Veganerin wurde erzählt Saskia Drungowski 38 Vegetarisch, vegan, roh, naturbelassen – Mareike Reimer sucht nach einer menschen- und (um)weltgerechteren Ernährungsweise

*HOLHEWHU

6DPDUSDQ Lebensgeschichte eines modernen Bodhisattva

“...wunderschön erzählt.“ “Bin gerade wieder aus Samarpans Leben aufgetaucht. Es hatte mich wie ein Zauberband umfasst.“ “Diese Buch ist Satsang auf neue Weise.“ “Leicht, poetisch und berührend.“ “Vielen Dank Rani, dass du das Buch geschrieben hast. Es ist ein Geschenk für uns alle.“

geliebtersamarpan.de

43 Henry David Thoreau über das Essen von Tieren

44 Kapitaldelikte und Transzendenz – ReinO Kropfgans fragt sich, ob Pikettys Buch über »Das Kapital im 21. Jahrhundert« wirkungslos bleibt 48 Feurig, weiblich, afrikanisch, frei – Wolf Schneider über Mahima Lucille Klinge 51 Alan Watts über den Fluss des Lebens 52 Kann man den Buddhismus neu erfinden? – Rani Kaluza war auf einer Veranstaltung des Karmapa 54 Lehrer, Gefühle und andere Untiefen versuchte Ronald Engert auszuloten anlässlich seiner Begegnungen mit Daniel Barron 63 WerWasWo 64 Promotion: Spielräume zu schaffen ist Anspruch und Ziel der Galli-Methode®, sagt Marion Martinez

Die Seite für den erwachten Leser! Gefüllt mit eBooks von:

66 Tom de Toys über Scheinprobleme und das Staunen 68 Filme über Vertreibung (von Menschen) und die Ethik der veganen Ernährung 70 Bücher über Vegetarismus, Götz Werner, Buddhismus, den Islam und anderes 74 Leserbriefe über Drogen, Transspiritualität und Daniel Barron 79 Marktplatz 80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis 82 Vorschau/Impressum

, Zeitschrift für Lebenskunst, Weisheit, Humor und ein integrales Verständnis des menschlichen Lebens. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

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www.eBook-Spirit.de

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ANDERS ESSEN

Essbare Landschaften die Revolution auf dem Acker Eine Landkommune auf La Palma versorgt sich mit Permakultur weitgehend selbst

© BARBARA GRAF

Um anders essen zu können, müssen wir anders leben – und vor allem erstmal anders Nahrung erzeugen. Barbara und Erich Graf tun das auf ihrem zwei Hektar großen Grundstück auf der Kanareninsel La Palma. Vor sieben Jahren haben sie dort mit der Renaturierung des Landes begonnen, und schon heute können sechs Menschen fast vollständig davon leben – und sie haben mehr als nur Essbares zu geben!

VON BARBARA UND ERICH GRAF

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m 1. Juni 2014 feierte die Gemeinschaft Autarca-Matricultura auf der kanarischen Insel La Palma ihren siebten Geburtstag. Was uns die Permakultur versprochen hatte, ist wahr geworden: Wir konnten hier umsetzen, was wir in den Theorie- und Praxis-Kursen in Australien und – mitarbeitend – in vielen Gemeinschaften und auf unzähligen Äckern dieser Welt erlernt hatten. Am Anfang unseres Weges stand das Verständnis der Zusammenhänge von Neoliberalismus, Krieg, Ausbeutung und der endgültigen Zerstörung des wahren Reichtums der Erde. Wir haben in der Küche experimentiert und unterschiedliche Ernährungsweisen in Langzeit getestet, immer wieder mit dem Blick auf faire Herkunft, nachhaltige Gesundheit und eine respektvolle Produktion. In Autarca bringen wir uns nun aktiv und in Eigenmacht in den Produk-

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ANDERS ESSEN

In intakten Ökosystemen, wie die Essbaren Landschaften es sind, gibt es weder Herrschende noch Beherrschte, es gibt keine Hierarchie

tionsprozess ein, wir rufen wieder ins Leben, was beinahe zerstört war.

Biodiverse Agrarwaldwirtschaft Essbare Landschaften sind die typische Anbaumethode der Permakultur. Oft werden Essbare Landschaften auch Waldgartensysteme genannt oder als Biodiverse AgrarWaldwirtschaft bezeichnet. Die Essbare Landschaft ist der nachhaltige, sich selbst über Jahrhunderte nährende und erneuernde »Acker«. Hier interagien die natürlichen Zyklen unterschiedlichster Lebensformen und Lebewesen, sie schließen Kreisläufe und erhalten sich gegenseitig. Humus wird fortwährend aufgebaut, Erosion verhindert, Nährstoffe und Wasservorräte werden gespeichert, umverteilt und allen zugänglich gemacht. Die Biodiversität vermehrt sich, und dadurch wird das Gesamtsystem stabi-

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ler und stärker, das Biokapital wächst. Fülle breitet sich aus. Nun hat jede folgende Generation es leichter. Das Klima wird ausgeglichener, regionale Regenfälle werden wieder möglich. Extreme Wettererscheinungen werden von einem reifen Wald abgefedert. Quellen entstehen. Je mehr die Natur, das Lebendige, zugelassen wird, umso aktiver gestaltet sie sich selbst. Das reduziert unsere Arbeit mit dem Pflanzen, so können wir uns mehr dem Ernten und Genießen zuwenden und einer lebendigen, reichhaltigen und integrierten Kultur mit Handwerk, Spiel, Kunst, Philosophie, Heilkunst und Ingenieurwissen für angepasste Technologien.

Der Natur folgen Die Permakultur entstand aus der Beobachtung noch intakter natürlicher Öko-Systeme wie primären Wäldern, Riffen, Randzonen wie Seeufern, Flussläufen, Waldwegen

und den Verhaltensweisen von unterschiedlichen indigenen Völkern. Das Ziel war dabei, Produktionsmethoden »wieder«zufinden, die nicht nur alle Menschen ernähren, bilden und behüten, sondern auch den Bedürfnissen unseres Planeten, der Elemente und aller anderen Lebewesen in voller Weite Rechnung tragen. In intakten Ökosystemen, wie die Essbaren Landschaften es sind, gibt es weder Herrschende noch Beherrschte, es gibt keine Hierarchie. Im Patriarchat wird das Lebendige als unberechenbar, dunkel und gefährlich beschrieben. Sogenannte Naturkatastrophen gibt es aber eben nicht (Sepp Holzer vertritt das, der Begründer der Permakultur). Es sind immer menschengemachte Katastrophen – wir leben in der Zeit des Bumerangs (Claudia von Werlhof, in ihrem Buch »Über die Liebe zum Gras an der Autobahn«). Die Permakultur stülpt den Blick auf »natürliche« Werte komplett um, indem sie die Natur versteht als alle versorgend, in sich ruhend und in absehbaren, höchst variantenreichen Zyklen maßlos schöpferisch. Deshalb wird die Natur in matriarchalen, also egalitären und friedvollen Gesellschaften auch »Große Mutter« genannt (mehr dazu in Heide Göttner-Abendroths Buch »Gesellschaft in Balance«). So wie die Permakultur von Lisa und Bill Mollison, Sue Dennett und David Holmgren, Mansanobu Fukuoka, Veronika und Sepp Holzer ins Leben gerufen wurde und von Wangari Maathai, Bunker Roy, Jeff Nugent, Julia Boniface, Linda Woodrow und vielen anderen über alle Kontinente verstreut gelebt wird, bietet sie uns unzählige Werkzeuge, die wir im Alltag einsetzen können, um tiefgreifend nachhaltig und eigenständig zu leben und dabei auch anderen ein nährendes Leben zu ermöglichen. Alle lehren uns: Imitiert intakte Ökosysteme, baut Essbare Landschaften an, schließt permanent Kreisläufe!

Klimazonen eines Waldes Essbare Landschaften bestehen aus unterschiedlichen Klimazonen, Feuchtbiotopen, Teichen, Seen, Bachläufen, Hügeln, Gräben und Lichtungen mit Windschatten und Sonnenfallen. Dabei werden natürlich nicht nur Bäume gepflanzt, sondern von Anfang an alle natürlichen Stufen eines Waldes geplant und gepflanzt. Von unten nach oben: Eine mit den Jahren immer dickere Humusschicht wird mit Mulch bedeckt, sodass das Wachstum von Pilzen und Wurzelgemüsen gefördert wird. Dann kommen bodendeckende Heilkräuter, Beeren, Moose, Farne, Salat, Blatt- und KnollenGemüse. Zwischen den kleinen Büschen auch viele Beerenstauden, Tomaten, Bohnen, Chilis, Paprikas, Blumen, Baumwolle, Leinen, Hirse, Amaranth, Senf, Getreide, Mais und Sonnenblumen. Daneben wachsen

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ANDERS ESSEN

Um einen Menschen zu ernähren, brauchen wir in einem intakten Waldgartensystem nur 50 m², auf einem Acker aber 2000 m²

größere Büsche und kleine Bäume, 4 bis 10 Meter hoch, darüber erheben sich große Bäume, 10 bis 40 Meter hoch, dazwischen ab und an auch Baumriesen, die bis zu um die 100 Meter erreichen können. Die letzte Stufe ist die Vertikale, das sind all jene Arten, die klettern, schlingen oder »schweben«.

Lebensgrundlagen für alle

© BARBARA GRAF

Essbare Landschaften können mit der an die jeweilige Region angelehnten, üppigen Flora und Fauna in Eigenregie der Menschen geplant, gepflanzt und oft ohne Einsatz von Maschinen gepflegt und beerntet werden. Dann sind sie gemäß Vandana Shiva beinahe 70 Mal produktiver als ein alljährlich um-

gepflügter Acker, wenn man sämtliche Ressourcen einrechnet: Land, Wasser, Luft, Energie und Biodiversität. Im Gegensatz zum Kapitalismus, der höchstens GeldverdienGrundlagen für wenige schafft und dabei den wahren Reichtum der Erde verdunsten lässt, schaffen Essbare Landschaften Lebensgrundlagen für alle. Weil sie so erfolgreich nährend, bildend, vollständig versorgend und tiefgreifend nachhaltig ist, wird diese natürliche Anbaumethode für die Menschheit immer attraktiver und für die Erde immer dringender. In allen Teilen der Erde schließen sich Menschen zusammen und schaffen sich damit Lebens-

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grundlagen. Sie machen sich unabhängig vom globalen Warenproduktions-Fanatismus, von GATS, MAI, Großkonzernmanipulationen, WTO, und leisten stattdessen der Erde, den Elementen und allen anderen Lebewesen unschätzbar gute Dienste. »Wo ein Wille, da ein Weg« (so lautet ein Buch von Sepp Holzer): Alle können an der Wiederbepflanzung des Planeten und bei der Neukreation von Waldgartensystemen mitmachen. Kinder und Jugendliche rufen dazu auf, dass jeder Mensch 150 Bäume pflanzen und in Essbare Landschaften verwandeln soll. Land ist auf der Erde genügend vorhanden, der Bedarf ist offensichtlich, und die Wirkung wäre für alle ein Gewinn. Ein Mensch im Norden der Erde braucht, um 150

anlagen und Schulen selbst Essbare Landschaften anlegen, sondern vor allem alle Nährstoffe (Bioabfälle, Urin und Fäkalien) sammeln und in Form von Kompost, Wurmkompost, Bokashi und Terra Preta (Schwarzerde) an die umliegenden Landschaften zurückgeben, von denen sie mitversorgt werden. In den Städten gibt es eine reiche Infrastruktur, wo gebündelt mit Photovoltaik und Wind-Energie erzeugt werden kann. Gemäß einer Studie der ETH Zürich wäre, falls in der Schweiz jedes bereits bestehende gut ausgerichtete Dach mit Solarzellen ausgestattet würde, der gesamte Strombedarf des Landes gedeckt.

Der integrierte Mensch ist ein Nützling Um einen Menschen zu ernähren, brauchen wir in einem intakten Waldgartensystem nur 50 m², auf einem Acker aber 2000 m² (diese Angabe haben wir aus dem Buch »Terra Preta« von Ute Scheub; sie basiert auf Langzeituntersuchungen). Außerdem braucht ein konventioneller Acker 300 Einheiten Ressourcen von außen, um 100 Einheiten Nahrung zu produzieren. Der durch Subventionsregelungen willkürlich gestaltete Gewinn geht an die Großkonzerne, Chemiefirmen und die Erdöllobby. Essbare Landschaften hingegen produzieren sämtliche Ressourcen, Energie und Nährstoffe aus sich selbst heraus und speichern sie. Der Gewinn geht dabei voll und ganz zurück ins System und an die Menschen, die darin leben. Geschlossene Kreisläufe sichern nicht nur den Gewinn, sie potenzieren ihn sogar: Mit der Terra Preta, die ein Mensch aus seinen Fäkalien herstellt, schafft er die Grundlage für eine Menge von Humus, mit der zwei Menschen voll ernährt werden können. Ein integrierter Mensch ist ein Nützling – das ist wahrhaftig eine Revolution!

Autarca als Modell Nach Sepp Holzer, dem Begründer der Permakultur, können auch die Wüsten der Erde wieder begrünt werden

Bäume zu pflanzen, eine Fläche von 3750 m² Grund. Auf einem Quadratkilometer können 266 Personen ihre Essbare Landschaft anpflanzen. Dabei bleibt bei der Bevölkerungsdichte in Deutschland von satten 220 Personen pro km² immer noch freier Raum für alle Städte und andere versiegelte Flächen, die bereits bestehen, heute sind das circa 46.000 km².

… auch in den Städten Auch Städte können sehr gut in Essbare Landschaften integriert werden. Stadtmenschen können nicht nur zum Beispiel in Park-

Wir zeigen hier, was zwei Erwachsene mit zwei Kindern erschaffen können. Als aufmerksame Menschen auf dem Weg zu echten Alterna-Tiefen folgen wir dabei dem Bild intakter Ökosysteme und dem konkreten Aufruf der Kinderorganisation Plant-for-thePlanet. Wir haben in einer der heute so typischen Agroindustriewüsten begonnen. Der Boden war steinig, ausgelaugt und zum großen Teil durch Intensivanbau und Erosion abgetragen, außerdem mit Chemikalien, Pestiziden, Kunstdünger, Fungiziden und Abfall verseucht. Den Abfall haben wir in sechsmonatiger Kleinstarbeit entsorgt. Für die Bodengesundheit haben wir Chemikalien abbauende Kräuter gesät, Effektive Mikroorganismen eingesetzt, sofort angefangen, Wurmkompost herzustellen, und bald ange-

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ANDERS ESSEN

umsetzbare Revolution auf dem Acker, im Kopf und in der Küche, sie ist altvertraut privat und radikal politisch

fangen, biologisch-dynamische Präparate auszubringen. Unsere Herangehensweise ist matriarchal geprägt. Wir leben mütterliche Werte: nähren, integrieren, ausgleichen, behüten. Wir fragen nicht: »Was kann ich haben?«, sondern »Was kann ich geben, damit es dir, Mutter Erde, bald besser geht?« Wir entscheiden im Konsens, in Bezugnahme zu den Elementen und den anderen Lebewesen. Bevor wir eine Entscheidung fällen, fragen wir uns, was das Element und was die anderen Lebewesen dazu sagen würden. Wir arbeiten mit den verschiedensten Hilfsmitteln, mit strukturiertem Wasser, biologisch-dynamischen Präparaten, Kupferwerkzeugen, mit krankheitsresistenten Bienen, energetischen Methoden zur Wiederbelebung erstarrter Atmosphäre, mit der bewussten und respektvollen Integration von Wildtieren, mit positiven Gedanken, Gesang und Musik. Wir respektieren konsequent den natürlichen Rhythmus, indem wir nach dem Mondkalender und dem Sonnenjahr arbeiten. Die ursprünglich circa 1000 m² von Avocados dominierte Monokultur, auf deren Fläche wir jetzt wohnen, haben wir mit Hilfe von Rückveredelungen und der Integration von allen anderen Waldstufen aufgebrochen. Um den Boden zu nähren, haben wir auf dem ganzen Grundstück alle zwei bis drei Meter Stickstoff bindende einheimische Förderpflanzen eingesetzt und andere einheimische Pionierpflanzen, Büsche, Blumen und Kräuter. Die ersten drei Jahre konnten wir noch kaum etwas ernten, aber dann hatten wir genug Futterpflanzen, um die erste Ziege und einige Hühner zu halten. Tiere sind beim Humusaufbau sehr hilfreich.

Bäume pflanzen In der Zwischenzeit haben wir das »Soll von 600 Bäumen« für vier Personen auf nur 8000 m² längst erreicht. Die Essbare Landschaft, die dabei entsteht, kann bereits jetzt ausgiebig beerntet werden. Die AutarcaLandschaft produziert pro Tag 400 l veganes Biogas aus Küchen- und anderen organischen Abfällen (das Gerät: www.arti-in dia.org) und 300 l sauberes, recyceltes Trink-

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wasser aus dem gesammelten Grauwasser der Gemeinschaft, womit wir 70 junge Bäume und die umliegenden Gemüse und Kräuter gießen können. Pro Jahr produzieren wir aus vier verschiedenen Wurmkompost-Kleinanlagen 2000 l Flüssigdünger sowie 5000 l Autarca-Effiziente-Mikroorganismen aus der Biogasproduktion mit strukturiertem Wasser und organischen Abfällen, 800 kg Terra Preta aus den gesammelten Fäkalien, 500 kg Wurmerde aus Küchenabfällen (in einer Hand voll Wurmerde sind mehr Mikro-und Makroorganismen als Menschen auf dem Planeten), 300 kg Hühnermist, 8 Tonnen Grünmasse als Ziegen- und Hühnerfutter, 2,5 Tonnen biologisch dynamisch fermentierten Ziegenmist, 2000 kg Avocados, 800 kg Orangen, 1080 l Ziegenmilch, davon machen wir Rahm, Butter, Paneer, Joghurt und Kefir. 700 Eier, je 200 kg Pflaumen, Kastanien und Mandeln, 150 kg Äpfel, Birnen, Nektarinen, Guaven, Mispeln, Pfirsiche, Quitten und Aprikosen, von denen wir viele mit direkter Sonnenenergie zu Dörrobst, Marmeladen, Wein oder Essig weiterverarbeiten. Außerdem variantenreiches Gemüse, 260 kg Honig (als Bienenfutter in Krisenzeiten), samenfestes Saatgut, Baumsetzlinge, Heilkräuter und Solaröfen. Mit der Anbaumethode der Essbaren Landschaften hinterlassen wir jedes Jahr 2–3 cm zusätzlichen Humus auf dem gesamten bearbeiteten Grund. Die Energie zum Kochen, Backen, Heizen, Kühlen und Ventilieren gewinnen wir solar. Das Wissen, das wir bei alledem gewinnen, teilen wir auf unserer Webseite, in Kursen, Tagesseminaren und bei Beratungen mit Freude. Es ist ein unendlicher, stetig wachsender Erfahrungsschatz, der uns befriedigt und emotional, intellektuell, spirituell und materiell bereichert. Rund tausend Menschen pro Jahr besuchen Autarca. Sie lassen sich von der Hoffnung und Lebensfreude begeistern und von dem authentisch Gelehrten anstecken.

Gelebte matriarchale Werte und das Dorf

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Die Essbare Landschaft bietet die praktisch

Weisheiten, lassen uns beraten und helfen. Wir tauschen Saatgut und Pflanzen aus und unterstützen uns gegenseitig bei Geburten, Krankheit und im Todesfalle. Die Kinder gehen in verschiedenen Häusern ein und aus. Angefangen haben wir mit einem knappen Hektar. Vor einigen Monaten wurde uns von einigen Nachbarn ein zweiter Hektar Land anvertraut, den wir ebenfalls mit Essbaren Landschaften und gesunden Bienen bevölkern werden. Einen weiteren Hektar werden wir gemeinsam mit den Nachbarn zu einer Allmende wiederaufforsten. Unsere Umgebung, viele Besucher und Experten geben uns dabei tüchtig Rückenwind. Danke! Die Gemeinschaft wächst, die Erde unter unseren Füßen wird wieder heil. Danke! Die Essbare Landschaft bietet die praktisch umsetzbare Revolution auf dem Acker, im Kopf und in der Küche, sie ist altvertraut privat und radikal politisch. Es ist eine Revolution für eine ganze, gute Welt – und wir haben sie selbst gemacht! Literaturempfehlungen: • Andreas Weber: Biokapital, Berlin Verlag, 2010 • Sepp Holzer: Wüste oder Paradies, DOK, 2013 • Claudia v. Werlhof: Über die Liebe zum Gras an der Autobahn, Christel Göttert Verlag, 2010 • Heide Göttner-Abendroth (Hrsg.): Gesellschaft in Balance, Edition Hagia, V.W.Kohlhammer, 2006 • Vandana Shiva: Geraubte Erde, Rotpunktverlag Zürich, 2004 • Bernd Senf: Die blinden Flecken der Ökonomie, Verlag für Sozialökonomie, 2007 • Sepp Holzer: Wo ein Wille, da ein Weg, Goldmann Verlag, 2013 • Ute Scheub: Terra Preta, oekom Verlag, 2013 • Claudia v. Werlhof: West-End, Papy Rossa Verlag, 2010 • Heide Göttner-Abendroth: Am Anfang die Mütter, V W. Kohlhammer, 2011 • Bernd Senf: Die Wiederentdeckung des Lebendigen, Omega Verlag, 2003 • Sepp Holzer: Wüste oder Paradies, Leopold Stocker Verlag, 2011

BARBARA ELISABETH GRAF, Eidg. Dipl. Architektin, ETH Z, Dipl. Pädagogin und ERICH ALFRED GRAF, Dipl. Körperpsychotherapeut, Eidg. Dipl. El. Ing. ETH Z, sind die Schöpfer/innen von Autarca-Matricultura©. Sie lehren Permakultur-Design und lernen selbst in allen Bereichen. www.matricultura.org

Autarca ist Teil eines kleinen Dorfes. Wir üben regen Austausch mit unseren Nachbarn, fragen sie nach ihren Erkenntnissen und

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ANDERS ESSEN

Wie ich zur

Veganerin wurde

FOTOLIA.COM © FISHER PHOTOSTUDIO

Vegan zu essen ist lecker, gesund, ethisch gut und außerdem cool

Schon viele Jahre lang weitgehend vegetarisch lebend, wandte sich die Therapeutin und Autorin Gabriele~Saskia Drungowski vor gut zwei Jahren der veganen Lebensweise zu. Anlass war das Kulinarische: Vegan ist lecker! Dann kamen gesundheitliche, ethische und politische Gründe hinzu. Heute ist sie eine hoch engagierte Veganerin und erzählt hier von den Schritten, die dazu geführt haben, und nennt die Quellen, die sie dabei motivierten VON GABRIELE~SASKIA DRUNGOWSKI

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ANDERS ESSEN

so unglaublich lecker, ich konnte es kaum fassen. Schlagartig fühlte ich mich wohler in meinem Körper und nahm ohne große Anstrengung ab.

Das Kulinarische war nur der Anfang

s ist jetzt gut zwei Jahre her, dass ich anfing, mich ernsthaft mit der veganen Ernährung auseinanderzusetzen. Vorher ernährte ich mich meist vegetarisch. Dem rein pflanzlichen Essen gegen über, das auch Eier und Milchprodukte weglässt, war ich nicht abgeneigt, es schien mir allerdings etwas schwieriger umsetzbar. Dann bekam ich eines dieser angesagten Kochbücher geschenkt. Es ist von Attila Hildmann geschrieben, einem ehemals moppeligen jungen Mann aus Berlin, der sich durch den Umstieg auf die vegane Ernäh rung zu einem voll durchtrainierten und durchaus ansehnlichen Typen entwickelt hatte. Attila Hildmann kombiniert die Ernäh rung mit viel Bewegung und sogar Meditation. Inzwischen ist er der Vorreiter des gro ßen Hypes für rein pflanzliche Nahrung, tourt durch die Talkshows, gilt als der Vorzeigekoch der Szene und ist inzwischen auch schon ein gern gesehener Gast in den USA. Attila Hildmann ist es gelungen, eine vorher nie erreichte Menge an Menschen zu inspirieren, sich diese Ernährungsform einmal näher zu betrachten. Auch mich hat er angesteckt. In erster Linie wollte ich damit meiner Gesundheit etwas Gutes tun.

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Vegane Küche als Diätprogramm? Wohl eher nicht. Für mich war es vor allem eine neue Form des Essens. Eine Ernährungsumstellung, die nicht aus dem Weglassen von Lebensmitteln bestand – dem Verzicht auf Fleisch, Eier und Milchprodukte –, sondern eine Umstellung hin zu einer völlig eigenständigen Ernährung, die ausgestattet war mit all den Raffinessen einer guten, schmackhaften und gesunden Küche. Anfangs sammelte ich vor allem Kochbücher, weil es so viele abwechslungsreiche Richtungen gab. Zum Beispiel die wunderbare, asiatisch angehauchte Küche von Surdham Göb! Mhmmm. Oder Björn Moschinski, der es versteht, mit gehobener veganer Küche jeden Fleischesser, zumindest für den Moment, davon zu überzeugen, dass tierische Produkte nicht zu einem großartigen Essen gehören müssen. Und weil ich so begeistert war, begann ich mich weiter zu informieren. In den Internetforen erfuhr ich auch von anderen Dingen, die mit dem veganen Leben einhergehen, zum Beispiel von Kosmetik, die ohne Tierversuche auskommt und die natürlich auch ohne tierische Inhalts produkte wie Läuseblut oder Bienenwachs hergestellt wird.

»Günstig einkaufen« mit Folgen Alles hängt miteinander zusammen, wie oft sage ich diesen Satz in meinen Seminaren! Da wird im Amazonasgebiet billiges Soja angebaut, um für Europa und Asien Rinder zu füttern, die wir dann als Billigfleisch in unseren Supermärkten kaufen. Und nicht nur, dass diese Tiere weder artgerecht gehalten und gefüttert werden, es werden dabei auch noch die Ureinwohner der betroffenen Anbaugebiete enteignet und so zum Verhungern verdammt. Nur damit wir hier »günstig einkaufen« können! Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Wir, die Konsumenten, sind quasi mitverantwortlich für das Hungern auf der Welt. Eigentlich nichts Neues, aber zum ersten Mal war es mir richtig bewusst geworden. Als nächstes erfuhr ich, dass man für die Herstellung von einem Kilo Rindfleisch circa 30.000 Liter Wasser benötigt. Was für ein Wahnsinn!!!

Der Film »Earthling« Aber es ging noch weiter: Ich sah mir den Film »Earthling« an, der in den vegetarischen Foren kursierte. Earthling ist eine Dokumentation über den Konsum von Fleisch und die Nutzhaltung von Tieren. Die Tiere dienen unter anderem als Rohstofflieferanten für Kleidung, sogar für die Unterhaltungsindustrie und als Testobjekt im Rahmen von Tierversuchen. Dieser Film ist eine vielfach ausgezeichnete Dokumentation, produziert

Viele Tiere werden vor dem Schlachten nicht einmal richtig betäubt und müssen dadurch grauenhafte Qualen erleiden

Voll lecker Also begann ich die 30 Tage »Challenge« (Herausforderung), die er in seinem ersten Buch »Vegan for Fit« beschrieben hatte. Der Einkauf gestaltete sich allerdings etwas komplizierter, als ich mir das vorgestellt hatte. Die meisten Zutaten gab es nur in gut sortierten Bioläden oder im Internet. Außerdem überschritt das Ganze mein Einkaufsbudget beträchtlich. Ich wurde konfrontiert mit für mich neuen Nahrungsmitteln wie Mandelmus, gepopptem Amaranth und Braunhirseflocken. Ich lernte den extrem gesunden Matcha Tee kennen, eine spezielle und kostbare Grünteesorte, die zu dem sogenannten Superfood zählt und als Wundermittel angepriesen wird. Ich ließ mich nicht abschrecken, und nach einigen Mühen konnte ich endlich beginnen. Und … war begeistert! Noch nie in meinem Leben hatte ich so schmackhaft gegessen. Und das täglich! Alles, was Hildmann da anbot an Rezepten, war

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Das Buch »Peacefood« So wechselten mit der Zeit die Themen der Bücher. Ich bekam das grandiose Buch »Pea cefood« von Ruediger Dahlke in die Hände und begriff plötzlich die Zusammenhänge. Natürlich wusste ich, dass die Massentierhaltung etwas Grausames ist. Kaum einer dachte wirklich darüber nach oder sprach davon, aber was Dahlke dort schrieb, schockierte mich dennoch. Musste ich erst über 50 Jahre alt werden, um auch in dieser Hinsicht aufzuwachen? Was er da über die Milch-, Eierund Fleischindustrie schrieb, erschütterte mich so sehr, dass ich mich nun fast schämte, mir das bisher noch nie so richtig angeschaut zu haben. Ich begriff, was wir den Tieren antun – und nicht nur den Tieren, auch unserer Umwelt und den Ärmsten der Armen auf dieser Erde.

von Shaun Monson, der auch das Drehbuch schrieb und Regie führt. Also … angesehen habe ich ihn eigentlich nicht wirklich, ich hielt das nicht aus. Es war zu krass. Obwohl dort ›nur‹ Szenen aus der Haltung, Schlachtung und Tötung von Tieren gezeigt werden, wie sie überall auf der Welt üblich sind. Viele der Tiere werden vor dem Schlachten nicht einmal richtig betäubt und müssen dadurch grauenhafte Qualen erleiden. Und das sind nicht etwa Ausnahmen, sondern das ist der Regelbetrieb der gängigen Massentierhaltungen und Schlachthäuser auf der ganzen Welt. Massenhaft werden männliche Küken vergast oder bei lebendigem Leib geschreddert, weil sie für den Markt nicht brauchbar sind. Hühner leben ihr kurzes Leben teilweise in völliger Dunkelheit, damit keine Panik ausbricht in den Ställen. Werden die Tiere dann zu Hunderten für die Schlachtung zusammengetrieben, dann wer-

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ANDERS ESSEN

Gesunde Milch von glücklichen Kühen? Die wenigsten Milchkühe sind glücklich, und vielen Erwachsenen schadet Milch

den sie getreten, geschlagen und so grob behandelt, dass man sich fragt, ob die Menschen, die dort arbeiten, eher pervers sind oder nur völlig abgestumpft, wie sie da ohne jegliches Mitgefühl diese Lebewesen behandeln. Und all die Angst und die Qualen und die Perversion, die dort herrschen, essen wir mit!

»We feed the world – Essen global« Der Film von Erwin Wagenhofer war das nächste, was mir zuflog. Wagenhofer zeigt in seinem Film »We feed the world – Essen global« die Folgen der industriell organisierten Rohstoffgewinnung durch die großen Lebensmittelkonzerne am Beispiel der Europäischen Union. Da sieht man Bilder vom südspanischen Almeria, wo die meisten Tomaten herkommen, die wir in Deutschland und Österreich kaufen. Die Region Almeria ist ein Gebiet, ungefähr zehn mal so groß wie das Bundesland Berlin, das fast völlig unter Plastikplanen verschwindet. Der nächste Drehort ist Rumänien, hier zeigt man die Aufzucht von Pflanzen aus Hybridsaatgut, die alles andere als an der Natur orientiert sind. Außerdem begleitet der Film einen kleinen Fischer aus der Bretagne, und man bekommt mit, was die von der EU unterstützte Fischereigroßindustrie alles vernichtet: nicht nur die üblichen Speisefischarten, sondern auch die Familienbetriebe, die sie einst fingen. Globalisierung ist hier das Zauberwort. Bei all den spannenden Interviews war

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für mich das Erschreckendste, hier den Vorsitzenden des weltweit größten Lebensmittelkonzerns Nestlé zu hören, der für einen Marktpreis für Wasser eintritt. Wasser als Ware! Das ist die neueste und perfideste Art

Krankheiten und der Ernährung mit tierischen Produkten. Krebs, Diabetes, HerzKreislauf-Erkrankungen, aber auch Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose und Rheuma stehen in direkter Verbindung mit der Aufnahme von Milchprodukten und tierischen Eiweißen. In vielen Interviews mit Betroffenen und Wissenschaftlern wird dabei deutlich, dass eine einfache Umstellung zu einer rein pflanzlichen Ernährung zu den erstaunlichsten Heilungen führen kann. Unfassbar! Wieso weiß man das nicht? Ich erfuhr, wie ungesund eigentlich alle Milchprodukte für den Körper sind und wie unnatürlich. Milch ist immer Muttermilch. Und die hat die Aufgabe, die Zellen so schnell wie möglich zu vermehren, um die körperlichen Strukturen aufzubauen. Der Abbau von alten Zellen ist den Hormonen und Enzymen der Muttermilch nicht so wichtig. Wozu auch? Das bedeutet, bei Milchproduktverbrauchern im erwachsenen Alter wird durch genau diese Aufgabe der Milch das Krebswachstum gefördert und der Abbau von befallenen Zellen verhindert. Keine einzige Spezies auf dieser Welt

Ich fragte mich, wie dies alles an mir, einem Menschen, der sich bisher für bewusst gehalten hatte, unbemerkt hatte vorübergehen können

der Ausbeutung dieser immer knapper werdenden lebenswichtigen Ressource. Je mehr ich las und sah, desto tiefer tauchte ich in das Thema ein und konnte nun aus einer ganz neuen Perspektive die Zusammen hänge zwischen unserer Ernährung und dem Zustand der Welt erkennen. Und fragte mich, wie dies alles an mir, einem Menschen, der sich bisher für bewusst gehalten hatte, unbemerkt hatte vorübergehen können.

»Gabel statt Skalpell« Aber es ging gnadenlos weiter. Jemand legte mir den Film »Gabel statt Skalpell« ans Herz, der behauptet: »Wenn wir alle wüssten, was die Wissenschaft schon lange weiß, würden wir vermutlich unseren Speiseplan sofort umstellen.« Diese Doku zeigt anhand der längsten je gemachten Studie über Er nährung, der »China Study« von 1970 (!), die Zusammenhänge auf zwischen den großen

außer dem Menschen nimmt einer anderen Art über so einen langen Zeitraum die Muttermilch weg. Und diese Spezies ist das Lebewesen auf der Welt mit der höchsten Rate an Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen …

Die »China Study« Die »China Study« wurde von dem renommierten Biochemiker T. Colin Campbell geleitet. Das Buch von ihm heißt ebenso. Vor allem wer schon erkrankt ist, sollte sich damit beschäftigen, am besten aber auch alle, die noch nicht krank sind. Diese Studie vertritt natürlich nicht die Interessen der Fleisch-, Milch- und Geflügelindustrie. Wahrscheinlich ist das in ihr enthaltene Wissen deshalb noch nicht so weit verbreitet, weil es, wie so vieles, von den Menschen und Mächten, die damit ihr Geld verdienen, unter den Teppich gekehrt wird. Trotz

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ANDERS ESSEN

Panikmacher Vitamin B12 Am meisten wird dabei der Mangel an Vitamin B12 hervorgehoben, und man warnt vor den gefährlichen Folgen. Wer die Tatsa-

und Lebensmittelerzeugung – und jeder kann mitmachen.

Vegane Supermarktkette Einer, der das sehr gut vorlebt, ist Jan Bredack, der Begründer der Supermarktkette Veganz. Er war leitender Angestellter bei Mercedes Benz und auf dem Weg zur ganz großen Karriere, als ein Burn-out ihn jäh stoppte. Durch seinen Zusammenbruch begriff er, was er bis dahin nicht gelebt und gefühlt hatte, und veränderte sein Leben radikal. Dazu gehörte auch der bewusste Umgang mit Nahrungsmitteln. Ruckzuck wurde er zum strikten Veganer – gelernt ist gelernt. Und stellte dabei sehr schnell fest, dass es ziemlich schwierig ist, an rein vegane Lebensmittel heranzukommen. Immer dieses Studieren der klein gedruckten Inhaltsstoffe auf den Lebensmittelverpackungen, um

Eigentlich wäre alles ganz einfach: Umstellung auf eine neue Art der Ernährung und Lebensmittelerzeugung – und jeder kann mitmachen

chen kennt, weiß, dass das völlig unverhältnismäßig und total übertrieben ist. Ich musste schmunzeln: Nun hatte ich ja auch schon viel gelesen und selbst erforscht und wusste mittlerweile, dass dieser Mangel leicht durch angereicherte Nahrungsmittel oder ein einfaches Nahrungsergänzungsmittel behoben werden kann, sollte er denn jemals auftreten. Also nichts als Panikmache. Niemals wurde ich so massiv gewarnt vor dem Verzehr von Fleischprodukten, Milch oder Fast Food. All das scheint keinerlei Mangelerscheinungen auszulösen, wohl aber die vegane Ernährung wegen B12 – was für ein Witz. Bis zum heutigen Tag werden die Folgen durch die Aufnahme tierischer Produkte und deren gesundheitliche Risiken verharmlost. Mir begegnen fast täglich Menschen, auch in meinem unmittelbaren Umfeld, die teils sogar aggressiv auf meine »Forschungen« reagieren. Dabei hatte ich nie das Gefühl, dass ich irgendwen bekehren oder zur Veränderung seiner Ernährungsgewohn heiten bringen wollte, und staunte über soviel Angst vor Veränderung sogar in meinem Freundeskreis. Wie verdreht einem die Welt doch vorkommen kann, wenn man über etwas mehr an Informationen verfügt als manch anderer. Es schrie quasi aus allen Ecken: Warnung vor dem Veganer! Und wa rum? Weil wieder mal irgendeine Gruppierung, diesmal die Großkonzerne der tierverarbeitenden Industrie, Angst um ihre Gewinne hatte. Dabei wäre alles so einfach: Umstellung auf eine neue Art der Ernährung

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am Ende doch festzustellen: Es ist Milch drin oder sonst ein tierisches Produkt. Das wollte er ändern und beschloss, einen rein veganen Supermarkt in Berlin zu eröffnen. Die Idee schlug ein. Inzwischen hat er neun Filialen. Bis 2015 sollen es 21 sein, europaweit. Und das Erstaunlichste: Die erste Filiale hat er erst 2011 eröffnet. Für Jan Bredack ist das Vegane nicht nur eine Ernährungsform, sondern eine Lebensform, eine Lebenseinstellung und ein völlig neues Wertesystem. Gerade hat er sein erstes Buch herausgebracht: »Vegan für alle – warum wir richtig leben sollten«. Es inspiriert ohne den erhobenen Zeigefinger.

Vegan, aber nicht strikt Begonnen hatte ich mit dem Veganen, weil es lecker ist und um meiner Gesundheit etwas Gutes zu tun. Was dann kam, war eine Kaskade von Informationen, die mich unvermittelt trafen. Auf einmal konnte ich die Zusammenhänge sehen zwischen dem, was wir essen, und der ganzen Welt. Zwischen dem Hunger auf Erden, dem Klima, den Krankheiten und unserem allgemeinen Wohlergehen. Ich bin mir sicher, dass ich noch nicht alle Türen zu diesem Thema geöffnet habe. Das wird wohl noch kommen. Spontan fallen mir dazu die vegane Kleidung und Schuhe ein – und noch einiges andere. Um hier keinen falschen Eindruck zu hinterlassen: Ich lebe nicht strikt vegan. Ich le-

be abgeschieden auf dem Land und bin fürs streng Vegane viel zu viel unterwegs. Aber ich beobachte mit wachsender Freude, wie sich die vegane Welt ausbreitet und immer leichter zugänglich wird. Es ist vor allem eine Sache von Gewohnheiten, von eingefahrenen Verhaltensmustern, die viele, vor allem ältere Menschen, von der Umstellung abhält. Am meisten freut es mich zu sehen, wie oft junge Menschen – Studenten, Lehrlinge, Schüler, ihr Konsumverhalten radikal ändern, weil sie etwas verstanden haben und dadurch ein völlig neues Lebensgefühl entsteht. Schließlich werden auf diese Weise auch die Großindustrien zum Umdenken gezwungen.

Vegan leben ist ziemlich cool Danke auch an all die wundervollen Blogger, zum Beispiel die Melly Glückskeks auf YouTube, die damit sehr eindrücklich beweist, dass man nicht viel Geld haben muss, um wirklich gut und jeden Tag vegan zu essen. Sie ist Studentin und eine total authentische Powerfrau. Ansehenswert! (»MillionDollarMelly« auf YouTube eingeben). Oder bei Facebook der »wilde« Stefano Vicinoadio, der nach einer kompletten Veränderung seines Leben sein unsagbares Talent als veganer Koch entdeckt hat. Auch er hat gerade sein erstes Kochbuch herausgebracht: »Cook Wild Vegan«. Seine Lebensgeschichte ist lesenswert! (Stefano Vicinoadios Veganes Experiment, auf Facebook). Und dies sind nur zwei von vielen! Diese Menschen beweisen, dass man auch ohne steife und starre Einstellung zu einem Veganer werden kann. Sie sind wunderbare Vorbilder für eine neue Generation, die natürlicher, gesünder, umweltbewusster und mit mehr Liebe und Respekt für die Tiere lebt. Vegan ist eine Lebensform, das habe ich begriffen. Und die kommt ziemlich cool und gelassen daher. Ihre Devise lautet: Jedes Essen zählt! Vielleicht magst du dir jetzt den einen oder anderen Film ansehen, eines von den genannten Büchern lesen oder dich selbst auf die Suche nach neuen Informationen machen. Es gibt zum Glück unglaublich viel davon. Wir sehen uns dann in einem der vielen neuen, leckeren, veganen Restaurants irgendwo in Deutschland!

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überwältigender Beweislage von seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen wird in der Presse dem immer noch vehement widersprochen. Vermeintliche Ernährungsexperten, uninformierte Ärzte und natürlich die Tierindustrie verbreiten gern falsche Tatsachen über die rein pflanzliche Ernährung, weil sie Kunden verlieren würden, wenn die Wahrheit bekannt würde. Kaum erscheint ein Artikel über das vegane Leben oder ein Interview im Fernsehen, treten sofort von der Fleischindustrie bezahlte Experten auf und warnen vor den großen Schäden, die man durch die rein vegetarische Art der Ernährung erleiden würde.

GABRIELE~SASKIA DRUNGOWSKI, Jg. 59,Autorin, Seminarleiterin und Bewusstseinstrainerin. Sie arbeitet deutschlandweit mit den Menschen an ihren ur eigenen Geschichten. Die Essenz ihrer Arbeit lautet: »Du selbst bist es, den Du immer gesucht hast.« www.lebensmosaik.de

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ADVAITA

Feurig, weiblich, afrikanisch, frei Mahimas Weg von Zimbabwe über Indien in die spirituelle Szene Europas

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eine aus Zimbabwe im südlichen Afrika stammende spirituelle lehrerin reist in europa herum, coacht und gibt Satsang. Gerade hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht Von Wolf Schneider

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ADVAITA

eit wir uns vor circa drei Jahren auf einem Kongress kennenlernten, fasziniert mich diese Frau. Das erste, was es mir angetan hatte, war ihre Schönheit. Als ich beim näheren Kennenlernen merkte, wie sehr bei Mahima die innere Schönheit der äußeren entspricht, verstärkte sich dieser Eindruck noch. Diese African Beauty war so schön, intelligent, in sich ruhend und bei alledem so wenig eitel – wow, was für eine Frau! Ich lud sie ins Connectionhaus ein, wo sie bei uns zwei Mal auf den Frühjahrsfesten 2013 und 2014 Satsang gab. Einmal besuchte ich sie und ihren Mann Kai in Zürich. Nun hat Mahima ihr erstes Buch vorgelegt, und wieder bin ich fasziniert von ihr. Vor allem von ihrer Lebensgeschichte.

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doch nichts und blieb bei ihm bis zu ihrem Tod. Ab dem Alter von 14 verdiente Mahima sich mit Modelling Geld. Sie ging sehr gerne zur Schule, es fiel ihr leicht, und sie bekam gute Noten, ohne sich anstrengen zu müssen. Die Schulen waren damals nach Hautfarben getrennt. Eine ihrer größten Freuden damals war das Tanzen, und das ist es bis heute geblieben. Tanzen versetzt sie in Ekstase. Nachmittags allein zu Hause hörte Mahima stundenlang die Platten ihrer Mutter, tanzte dazu und tauchte so in eine Welt ein, die so ganz anders war ihre bedrückende häusliche Umgebung.

die – sei es auch irreversible – Einsicht des heutigen Satsangbesuchers, dass sein Ego eine überschreitbare Begrenzung ist und irgendwie auch eine Illusion. Mahimas Erwachen wurde durch Oshos Worte ausgelöst, als sie ihn in der Buddhahalle von Pune auf einer großen Leinwand sah und sprechen hörte: »Dieser Augenblick ist alles, was wir haben« – Pause. »Zelebriere diesen Augenblick!« – Pause. »Wenn dieses Feiern des Augenblicks dich einmal durchdrungen hat, geht es weiter – dann brauchst du keine Ferien mehr, dann wird dein ganzes Leben zu einer Feier!« Sie war baff, berauscht und glücklich. Und: Für sie ging es weiter, und so wurde ihr Leben zu einer Feier, einer celebration.

Erste Liebe und Heirat

Aufwachsen in Zimbabwe

© MAHIMA

Mahima wurde 1971 als Lucille Jones in Harare geboren, der Hauptstadt von Zimbabwe. Außer ihrer älteren Schwester hat sie keine Geschwister. Sie wurde katholisch erzogen, erst von ihrer Mutter, die als alleinerziehende Krankenschwester nicht viel Zeit für ihre beiden Mädchen hatte. Mahimas Vater war Musiker und verschwand nach ihrer Geburt. Als sie vier war, tauchte er noch einmal auf, wurde aber von der Großmutter verjagt. Als Kind wurde sie geschlagen. Als Mahima fünf war, gab die Mutter ihre beiden Töchter an ihre dominante Mutter ab. Im Alter von etwa zwölf durfte Mahima endlich zu ihrer Mutter zurück, aber nun wurden die beidem Schwestern vom neuen Freund der Mutter sexuell missbraucht. Kei-

Papaji Im Alter von 15 bis 18 hatte sie ihren ersten festen Freund. Sie liebte ihn sehr. Zum ersten Mal Sex hatte sie jedoch erst mit 18, so wie sie es sich vorgenommen hatte. Dann lernte sie Chris kennen, einen reichen Schweizer, mit dem sie in die High Society von Harare einkehrte. Mit 21 heiratete sie ihn, ließ sich jedoch ein Jahr später von ihm scheiden. In der Zeit verdiente sie auch selbst sehr gut mit ihrer Modelagentur, und sie bekam durch ihre Ehe einen Schweizer Pass. Das gab ihr die Möglichkeit, nach der Scheidung ihr Land zu verlassen und zu reisen, was sie sogleich weidlich nutzte. Auf einer dieser Reisen kam sie 1993 nach Indien und landete dort, drei Jahre nach Oshos Tod, im Ashram von Pune. Im Lauf der sechs Monate, die sie dort blieb, »lernte ich mehr über Spiritualität, Liebe, Sex, Meditation, Wahrheit und Freiheit als in meinem ganzen vorherigen Leben«, schreibt sie. Und gleich zu Beginn erlebte sie das, was sie in ihrem Buch ihr »Erwachen« nennt. Erst am Ende der sechs Monate nahm sie dort Sannyas und erhielt einen neuen Namen: Mahima (übersetzt: Anmut, Gnade, engl. grace).

Erwachen in Pune Mahima (rechts) mit Mutter und Schwester

nes der beiden Mädchen traute sich, darüber zu sprechen. Sie sei durch ihre feurige Natur vor dem Schlimmsten bewahrt worden, schreibt Mahima, ihrer Schwester setzte er mehr zu. Mit 14 unternahm sie wegen der nicht nachlassenden sexuellen Belästigung ihres Stiefvaters einen Selbstmordversuch. Mit 17 wollte sie die Schule verlassen und in ein Mädchenwohnheim ziehen, auch, um nicht mehr zuhause sein zu müssen. Da sie dafür die Zustimmung ihrer Mutter brauchte, erzählte sie von den sexuellen Übergriffen, woraufhin die Mutter sofort die Zustimmung gab. Ihrem Freund gegenüber, der ihre Töchter missbraucht hatte, sagte Mahimas Mutter je-

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Heutzutage ist in der spirituellen Szene bald jeder erwacht, der etwas auf sich hält oder aus geschäftlichen Gründen dieses Label braucht. Was genau damit gemeint ist, bleibt in aller Regel offen, und ebenso, mit welchem Grad von Wachheit der durch dieses Ereignis gesegnete Mensch dann durchs Leben geht. Dass eine bestimmte Illusion ein für alle Mal von einem abgefallen ist, sagt ja noch nicht viel über das, was danach noch bleibt. »Forum Erleuchtung« beschäftigt sich mit diesen Fragen – gut so. Die erwachten Gurus miteinander zu konfrontieren und so eine möglicherweise desillusionierende Gruppendynamik zu erzeugen – gut so. Aber auch das ist noch nicht alles. Ein Erwachen vom Format eines Bud dha, Osho oder Ramana hat noch eine andere Dimension von Wachheit und Weisheit als

Dann fuhr Mahima wie so viele andere OshoSannyasin zu Papaji, dem »Löwen von Lucknow«, einem in Advaita-Kreisen hoch verehrten Lehrer. Was dort im einzelnen geschah, ist wieder spannend zu lesen. Sie fasst die Ereignisse dieser Zeit so zusammen: »Papajis Lehren waren für mich höchst einfach und dabei überragend wirkungsvoll und zutiefst ehrlich.« Sie bringt sie in drei Motti auf den Punkt: »Sei still! Hör auf zu suchen! Die einzige Zeit, die es gibt, ist jetzt!« und »Du musst genau jetzt ein für alle Mal entscheiden frei zu sein. Jeder, der in diesem Leben Frieden gefunden hat, hat diese Entscheidung getroffen … Ich glaube nicht an den Prozess des Werdens … Freiheit ist hier, jetzt.« Mahimas Erzählung ist durchsetzt von der Beschreibung ihrer Einsichten, die übergehen in Lebensberatung, gerichtet an Menschen, die das vielleicht noch nicht so verstanden haben wie sie. Ich liebe Mahimas Erzählung! Ihre Erkenntnisse stimmen weitgehend mit meinen überein. Die meisten ihrer Ratschläge aber überspringe ich lieber, weil mir das alles schon allzu bekannt ist, aber auch, weil ich Menschen en masse kenne, die diese Worte auf den Lippen haben, ohne dass ihr Leben von Weisheit, Glück und Liebe erfüllt wäre. Für viele Menschen ist Mahimas Coaching jedoch genau das Richtige – das sage ich, weil ich erlebt habe, wie sie mit Menschen umgeht und wie sehr das hilft, unterstützt und ermutigt. Auch wenn ich offenbar nicht zur Zielgruppe ihres Coachings zähle – wohl aber zu der ihrer Erzählung.

Sex, Beziehung, Alltag Mahimas Lehre ist sexpositiv. Trotz ihrer katholischen Erziehung mit der Androhung von Höllenqualen, trotz der Missbrauchserfahrungen ihrer Jugend und der folgenden Schwierigkeiten, in den Jahren danach Sex gutzuheißen und zu genießen, hat sie eine klare Position hierzu: Sex ist gut und natürlich. Spi-

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rituelle Lehrer sollten Vorbilder sein (Walk your talk), und wenn sie Menschen coachen ohne eigene Beziehungserfahrung, ist das dementsprechend meist eine Luftnummer. Über ihre Ehe mit Kai, mit dem sie seit 14 Jahren verheiratet ist, spricht sie in einem ganzen Kapitel, gleich nach ihrem Bericht über die Begegnungen mit Osho und Papaji: »Die Mutter aller Teachings kam, als ich Kai kennenlernte … Er mag nicht wie Osho oder Papaji ein spiritueller Lehrer sein, aber was ich mit ihm lernte, ist ebenso unbezahlbar und wichtig.« Über die Zeit nach dem Honeymoon, wenn der Alltag einkehrt und man einander nicht mehr nur die schönsten Seiten zeigt: »Einige Momente fühlten sich an die eine Operation am offenen Herzen – aber ohne Narkose.« Auf die Frage nach den drei Geheimnissen einer bleibenden Liebe und Partnerschaft würde sie mit: 1. Aufrichtigkeit, 2. Aufrichtigkeit und 3. Aufrichtigkeit antworten – da spürt man ihre eigene Wahrhaftigkeit und die Leidenschaft, mit der sie für die Wahrheit hinter zurückgehaltenen Geheimnissen kämpft.

rekt, ich halte das aber für theoretisch falsch und praktisch voller Tücken. Hier scheint mir ihre Intuition besser zu sein sein als ihre Theorie. Das Paradigma des Ego als abzulehnenden, negativen Teil der Persönlichkeit unterstütze ich nicht, weil es zu so vielen Irrtümern und Missbrauch führt. Im Praktischen geht Mahima jedoch gut damit um. 2. Liebe bedingungslos! Was für ein schöner Begriff – und eine weitere Falle. Mahima vertritt hier aber nicht den Standpunkt, dass du alles akzeptieren sollst, was dein Partner dir zumutet. Sie sagt hier viele kluge Sachen über Männer und Frauen, die Frauenbewegung, Selbstliebe, Vergebung und wie man trotz Verwundungen das Herz offen hält und verletzlich bleibt. 3. Sei still! Hier entfaltet Mahima ihr ganzes Potenzial als erwachte spirituelle Lehrerin, die tief in sich selbst verankert ist, in ihrer inneren Stille, Freiheit und Bedingungslosigkeit. Von dort aus spricht sie über die praktischen Angelegenheiten, die wir im Leben zu bewältigen haben.

Drei Schritte

Kreieren wir unser Leben selbst?

Den zweiten Teil ihres Buchs, in dem sie coacht, will ich hier nur kurz zusammenfassen. Sie rät dort zu drei Schritten: 1. Entdecke, wer du bist! Das Ego liegt zwischen dir und deinem tiefsten Selbst, und es behindert dich. Das ist zwar szenemäßig kor-

Ich will hier noch eine Auseinandersetzung erwähnen, die ich mit Mahima während eines Spaziergangs in Niedertaufkirchen hatte. Da kämpfte sie voller Leidenschaft für ihre Überzeugung, dass man »die Beziehung« (für sie ist das die mit Kai) an die höchste

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Stelle im Leben setzen müsse. Für mich ist das die Arbeit mit Connection, sagte ich, das ist meine Nummer-eins-Beziehung, und die sei mindestens so herausfordernd wie die Liebespartnerschaft mit einem Menschen. Ich glaube, dass Mahima schließlich sehen konnte, dass für mich Connection eine noch größere Killer- und Erwachens-Applikation ist als eine Zweierbeziehung. Aber ich bewundere es, wie sie darum kämpfte, dass ich mich an diesem Punkt irre. Und noch an einem weiteren Punkt differieren wir. Sie sagt, dass unsere Gedanken die Welt erschaffen, die wir erleben. Wenn wir unsere Gedanken ändern, dann ändern wir die Welt – bedingungslos. Ich hingegen meine, dass das nur bedingt möglich ist. Wenn du im dritten Stock auf dem Fenstersims stehst und denkst, du kannst fliegen, wirst du nach einem Sprung trotzdem runterfallen, sagte ich, egal wie intensiv du was anderes gedacht haben magst. Sie darauf: »Das ist doch common sense! So dumm wird doch keiner sein, aus dem Fenster zu springen mit dem festen Glauben, Flügel zu haben!« Das vielleicht nicht, aber die Leute glauben zum Beispiel, auf Safe Sex verzichten zu können, wenn sie nur positive Gefühle dabei haben. Wenn man das Resonanzprinzip wörtlich nimmt, müssten sie damit recht haben. Und wenn sowieso der common sense ein besserer Führer ist als das Resonanzprinzip, denn nehmen wir doch besser gleich von Anfang an den.

Witzig, afrikanisch, frei Ich habe das Buch in der englischen Version gelesen, um Mahima in ihrer Originalsprache in mich aufnehmen zu können. Es ist witzig geschrieben, frech, in gutem afrikanisch-britischem Englisch (Zimbabwe war bis 1963 englische Kolonie und ist erst seit 1980 ganz selbstständig). Das Buch (ich kenne nur das englische) hätte ein Lektorat verdient, aber auch so ist es ein Lesegenuss. Man entdeckt hier eine Frau, die auf weibliche und unterschwellig auch afrikanische Art die Freiheit des Menschen ausdrückt, ganz zu sich zu stehen und er selbst zu sein. Ein großer Wurf, sehr empfehlenswert! Mehr über Mahima findet ihr auf www.lovesilence. com und www.mahimasworld.com

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© MAHIMA

ADVAITA

die englische original-Ausgabe von A Rebel’s Guide to Inner Peace ist im eigenverlag 2013 erschienen. 204 S., Sc, 19,50 €, 8,23 € als Kindle ebook. die deutsche Ausgabe Mahima, Love Silence – Dein Weg ins Abenteuer des Jetzt ist 2013 im Allinthi Verlag erschienen, 208 S., hc, 18 €. die kommende Ausgabe von Connection Spirit hat Advaita zum Schwerpunkt, also das, was ramana Maharshi, Papaji und nun auch Mahima lehren. Mehr dazu auf S. 82 in diesem heft.

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WEISHEIT

Ich träumte von einem Ort, an dem es mir gegönnt sein sollte, meine Grundintuition mit anderen zu teilen und zu klären, dass nämlich hier und jetzt, ohne künstliches Streben und Bemühen, der Fluss des Lebens im Menschen untrennbar eins ist mit dem Tao, dem Fluss des Universums – ob man dabei Gott, Brahman, den Göttlichen Urgrund oder was auch immer meint

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Alan Watts

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