Spirit9 10 2013

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE 09–10/2013 29. Jg. B 6128

Unterwegs zu einer neuen Geldanschauung

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Schweiz 16,80 sfr, übrige EU-Länder 9,40 €

Unterwegs zu einer neuen

Geldanschauung

Für eine neue Geldanschauung plädieren: Adam Smith(!), Roland Rottenfußer, Helmut Creutz, Michael Habecker, Dennis Wittrock, Gerd Soballa und andere

9€


Lebensfreude Messen

SEPTEMBER-OKTOBER 9-10/2013

gesund · nachhaltig · spirituell

Unterwegs zu einer neuen

Geldanschauung Ursachen für Elend, Unglück und Misswirtschaft gibt es viele, die mächtigsten von allen aber finden wir in unserem Geldsystem, das permanent von unten noch oben umverteilt, die Natur zerstört und zyklisch Crashs produziert. Sieben ConnectionAutoren sagen, wie sie damit umgehen und welche Auswege sie wissen.

S. 18 – 55 Der Narr und die Göttin Wir sind Narren, die lernen, haben aber auch eine göttliche Instanz in uns, die lehrt. Das Gewahrwerden des inneren Dialoges zwischen den beiden und der Gestaltungskraft unserer Worte und Taten macht uns zu cokreativen Mitschöpfern unserer Realität, sagt die Münchner Malerin Rosie Jackson.

Mit i Vegg ! g n Livi

S. 14 – 17

22. – 23. November ’13 Messehalle Schnelsen

6. – 8. Dez. ’13 Jahrhunderthalle

Isha Judd 230 Aussteller 240 Vorträge & Events Programm unter:

04502 / 788 90 40

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In einer Lebenskrise entdeckte die Australierin Isha Judd Meditation und Spiritualität für sich, verließ ihr Land, ging nach Lateinamerika und lehrt dort nun Selbstliebe, Meditation und die Fähigkeit, sich für ein besseres Leben zu entscheiden – mit großem Erfolg auch bei Politikern, Kriminellen, Behinderten und Kindern.

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Editorial

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Weisheit: Geld kann zur Religion werden

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Hier & Jetzt: Die Kurzmeldungen

12 Das Netz des Lebens – eine Bildcollage von Christina von Puttkamer 14 Wie der Narr zu Gott wurde. Die Malerin Rosie Jackson erzählt von der Begegnung des Narren mit der Göttin

E R O S · L I E B E M E D I T A T I O N

Regina König und Hellwig Schinko OFFENE SEMINARE

LIEBE – DAS GROSSE TOR 29.9. – 6.10.13 Tantra-Paargr. im Odenw.

TANTRA YOGA 15. – 20.10.13 Kaschmirisches Tantra mit Daniel Odier/Schweiz, bei Ulm

TANTRA-BODY 8. – 10.11.13 bei Schwäbisch Hall

Schwerpunkt: Neue Geldanschauung

DER KREIS DER FRAUEN

18 Für eine neue Welt, mit einem anderen Geld plädiert Wolf Schneider

FEUER, HERZ UND STILLE

14. – 17.11.13 bei Schwäbisch Hall

22 Spiritueller Kapitalismus. Roland Rottenfußer legt dar, wie sich unsere heutige Religiosität dem Wirtschaftssystem angepasst hat 28 Wirtschaft & Geld. Michael Habecker betrachtet den Bereich aus integraler Sicht 33 Die Ökonomie des Babysittens. Der Keynesianer Paul Krugmann zeigt an einem Beispiel die Funktion eines umlaufenden Geldvolumens 38 Ursachen und Folgen der Staatverschuldung. Helmut Creutz über Staatsverschuldung und den Umverteilungsmechanismus der Zinsen 42 Haste mal ’n Euro? Isch bin integral! Dennis Wittrock kennt die integrale Job-Misere – das Leiden der Pioniere – aus eigener Erfahrung 47 Hirnen, Spüren, Staunen. Carlson Reinhard hat erlebt, dass manchmal das Geld auf der Straße liegt

25.12. – 1.1.14 Tantra-Silvestergruppe bei Salzburg

TANTRA-BODY 7. – 9.3.14 mit Beatrix Rettenbacher und Jens Hartwig, bei Ulm TRAININGS & AUSBILDUNGEN

IM GARTEN DER LIEBE 46-täg. tantrisches Selbsterfahrungs- und Fortbildungstraining; Beginn des 19. Basistrainings: 3. – 14.8.14 Ortasee / Italien Infos & Programm: ARUNA-Institut St. Nepomukstr.13 · 74673 Mulfingen Tel. 07936/6 21 · Fax 079 36/6 46 info@aruna-tantra.de www.aruna-tantra.de

50 Für eine Permakultur des Geldes. Gerd Soballa ruft Frauen, Indigene und Naturliebhaber zum Widerstand gegen das gefräßige Geld auf

56 Wir können Liebe wählen statt Angst. Wolf Schneider sprach mit der spirituellen Lehrerin und Botschafterin des Friedens Isha Judd 60 Gandha. Gabriele Palm traf einen Naturmenschen, Adligen und Freigeist, der sich schon immer mit allem verbunden fühlt 64 Promotion: Wer bin ich? Und wofür bin ich da? Mahamudra Emanuel Schaaf erklärt die Dynamische, Kundalini und AUM Meditation 68 Der Spielfilm Zwei Leben zeigt eine Frau (Juliane Köhler), die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Der Dokumentarfilm Mut zum Leben (auf DVD) eine Botschaft von Auschwitz-Überlebenden. Die DVD Rasa-Yatra einen nonverbalen Dokumentarfilm über Indien. 71 Bücher: über Unvollkommenheit, Angst, Rudolf Steiner, Meditation, Arbeit und anderes 76 Leserbrief – von Roland Rottenfußer über die Jean-Ziegler-Kritik von ReinO Kropfgans 78 Marktplatz 79 Adam Smith über Armut und das Glück der Gesellschaften 80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis 82 Vorschau/Impressum

, Zeitschrift für Lebenskunst, Weisheit, Humor und ein integrales Verständnis des menschlichen Lebens. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

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NEUE GELDANSCHAUUNG

Spiritueller Kapitalismus Im spirituellen Ökonomismus wird Religion als Handelsbeziehung zwischen dem Menschen und einer kosmischen Macht interpretiert. Wer im Soll ist, muss Ausgleich schaffen; moralisch wie pekuniär müssen wir für alles bezahlen. Wenn dieses Prinzip eskaliert, entsteht der Spirituelle Kapitalismus mit dem Alptraum einer untilgbaren Schuld und Gott als unersättlichem Gläubiger. Der Protestantismus entstand ungefähr zur Zeit des modernen Kapitalismus und etablierte eine Kultur des Reichen(selbst)lobs und Armen-Bashings. Heute regiert die neoliberale Weltanschauung, in der ein spiritueller Wachstumswahn den ökonomischen widerspiegelt. Das Prinzip »Gott segnet die Reichen« hat sich ausgeweitet auf alle Schichten zu: »Das Gesetz der Anziehung gibt jedem, was er verdient«

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Die heutige Religiosität, speziell die esoterische, hat sich dem Wirtschaftssystem angepasst

VON ROLAND ROTTENFUßER

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NEUE GELDANSCHAUUNG

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piritueller Ökonomismus ist die Grundlage für spirituellen Kapitalismus. Folgender Satz aus Gerhard Polts Film »Man spricht deutsch« verdeutlicht beider Prinzipien: »Wenn man brav ist, bekommt man ein Eis, wenn man nicht brav ist, bekommt man kein Eis.« Dem liegt das Machtgefälle zwischen Eltern und Kind zugrunde, spirituell zwischen einer Gottheit und dem »einfachen Gläubigen«, und es findet eine Art Tauschhandel zwischen den kosmischen Mächten und den irdisch Unterworfenen statt. »Do ut des« ist dessen Urprinzip: »Ich gebe, damit du gibst.« Du gibst gute Taten, Gehorsam, Regelkonformität, und es wird dir dafür das Paradies, Vorschonung vor Höllenqualen oder (in der asiatischen Variante) Erleuchtung gegeben.

Handelspartner möglichst viel für die eigene Person herauszuschlagen. Der historisch lange Zeitraum, in dem sich diese Veränderung vollzog, nennt Graeber Achsenzeit. Die Epoche ist identisch mit den Gründungsphasen der großen Religionen und liegt etwa zwischen 500 vuZ (Buddha, Laotse) und 600 nuZ (Mohammed). »Dies führte in der Achsenzeit zu einer neuen Art des Denkens über die Beweggründe der Menschen, zu einer radikalen Vereinfachung von Motiven, die es ermöglichen, Begriffe wie ›Gewinn‹ und ›Vorteil‹ zu verwenden. Es begünstigte die Vorstellung, dies seien die eigentlichen Beweggründe und Be-

Die »Humane Ökonomie« der Urzeit Diese ökonomistische Grundhaltung (Interaktion als Tausch zum jeweils eigenen Vorteil) ist umso bemerkenswerter, wenn man die Alternative kennt. In seinem ausgezeichneten Buch »Schulden – die ersten 5000 Jahre« belegt David Graeber anhand vieler ethnologischer Untersuchungen, dass es vor den modernen Formen der Marktökonomie eine Urform gab, die er »Humane Ökonomie« nennt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass wirtschaftliches Handeln immer aus mehreren Motiven erfolgt. Eine hoch gestellte Persönlichkeit in einem Stammeskollektiv verschenkt zum Beispiel Nahrung, Werkzeug oder Waffen an eine sozial weniger angesehene Person. Dies beinhaltet 1. den ehrlichen Wunsch, dieser anderen Person zu nützen, 2. die Absicht, sich gegenüber dem ganzen Stamm als Person von Ehre und Großzügigkeit zu zeigen, 3. im Schenken einen Beweis des eigenen Reichtums zu liefern, eines Überflusses an »Schenkbarem«, 4. schließlich war vielleicht auch ein Stück Berechnung dahinter. Der Beschenkte könnte dem Schenkenden ja später einmal nützlich sein.

Tauschgeschäfte mit den Göttern Ging es nicht mehr um Geschenke, sondern um Tausch, waren alle vier Motive bei beiden Tauschpartnern im Spiel, soweit ihre materielle Lage ihnen Großzügigkeit erlaubte. In archaischen Gesellschaften, so Graeber, spielte stets das gesellschaftliche Umfeld eine große Rolle, weil es sich beim Stamm um ein Kollektiv persönlich bekannter Menschen handelte. Erst als anonymere ökonomische Beziehungen üblich wurden, Beziehungen zu Fremden, wandelten sich auch die Motive des Handelns. Das Bündel von Gründen reduzierte sich auf einen einzigen, den vierten: Man gab aus Berechnung, um beim

In der heutigen Esoterik werden spirituelle »Sach verhalte« oft in eine ökonomische Sprache übersetzt, so z.B. in der Vorstellung des Universums als Versandhaus (Bärbel Mohr)

strebungen der Menschen, und zwar in sämtlichen Bereichen ihrer Existenz.« Diese Mentalität, nennen wir sie eigennutzorientiert, hinterließ deutliche Spuren auch in den Religionen der Achsenzeit. Es gab natürlich auch schon in den archaischen Kulten »Tauschgeschäfte mit den Göttern«: Opferte der Mensch Lebensmittel, Hausrat oder Tiere, gaben die Götter dafür Schutz, Segen, Verschonung von Katastrophen. Insofern beginnt die spirituelle Händlermentalität nicht mit der Lebenszeit Buddhas, sondern eher mit dem Übergang von Stammesgesellschaften zu den frühen »Hochkulturen«.

Den Karma-Berg abtragen Ein besonders auffälliges Beispiel von Spirituellem Ökonomismus beschreibt Graeber anhand des chinesischen Buddhismus. Der Buddhismus, so Graeber, sei über die zentralasiatischen Karawanenrouten nach China gekommen und dort zunächst vor allem von Händlern praktiziert worden. Dies habe abgefärbt. Obwohl es im Buddhismus of-

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fiziell keinen Gott, also kein Gegenüber für einen Tauschhandel gab, scheint das Prinzip »do ut des« dort die spirituelle Praxis bestimmt zu haben. Menschen gaben ihren ganzen Besitz einem Kloster. Viele von ihnen gaben sogar ihr Leben. Graeber spricht von dutzenden ritueller Selbstmorde in China um die Mitte des 5. Jh. nuZ, mit dem Ziel, »die Sünden aller Lebewesen zu sühnen«. Die dahinter stehende Logik besagt: Das eigene Leben ist das wertvollste Tauschobjekt, das ein Mensch geben kann, ein entsprechend hoher Gegenwert ist also zu erwarten. Graeber: »Sie verwandelten sich also in ein Objekt von ewigem Wert, in eine Investition, die in alle Ewigkeit Erträge abwerfen würde.« Ein Mönch dieser Epoche schrieb: »Du kaufst Glück und verkaufst deine Sünden, ganz wie in einem Handel.« Besonders die spirituelle Schule der »Drei Stufen« pflegte ein ökonomisches Spiritualitätsverständnis: Zentral war die Vorstellung einer karmischen Schuld, »wonach sich sämtliche Sünden, die sich ein Mensch in seinem früheren Leben hatte zuschulden kommen lassen, zu einem Schuldenberg anhäuften, der abgetragen werden musste.« Zahlungsunfähige Schuldner würden als Tiere oder Sklaven wiedergeboren. Auch eine Lösung bot die »Drei Stufen«-Schule an: »Man musste nur regelmäßig für den unerschöpflichen Schatz eines Klosters spenden – und augenblicklich waren sämtliche Schulden aus allen früheren Leben getilgt.« (Graeber) Die Selbstbereicherung der spirituellen Dienstleister soll hier aber nicht im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Es ist ja verständlich, dass jemand, der etwa im Bereich des Spirituellen Heilens arbeitet, auch leben muss und für die aufgewendete Zeit Bezahlung verlangen kann.

Ausgleich fürs kosmische Konto Auch in heutigen spirituellen Veröffentlichungen finden wir Varianten der skizzierten Lehre: Auf der Seite astrosophie.briem le.net findet sich zum Stichwort »Karma« die Erklärung: »Karma ist vergleichbar mit einem Bankkonto im Jenseits: Die himmlische Geisterwelt führt die Soll- und Haben-Bewegungen aufs Genaueste.« Bedeutungsgleich auf »puramaryam.de«: »Unter Karma versteht man also eine Art ›kosmisches Konto‹, d.h. die Summe aller noch nicht bewältigten Ursachen, die ihre Wirkung in jeder Existenz neu entfalten, um uns mit der Nase darauf zu stoßen, dass wir endlich Lieben und Vergeben lernen sollten.« Vergebung? Es gibt nichts Unbarmherzigeres als ein Geldinstitut, das bei einem ins Minus gefallenen Konto auf Ausgleich bis auf den letzten Cent pocht. Zum körperlichen, psychischen oder sozialen Leid, das Menschen erfahren, manchmal unvermeidlich, kommt

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dann noch die Opferbeschimpfung durch die Karmaablösungs-Coaches hinzu: »Wir selber haben uns alles eingebrockt und entscheiden, was wir tun können, um unser Konto auszugleichen, mit liebevoller Unterstützung durch das Licht und alle Lichtwesen.« (puramaryam.de) »Du musst für alles bezahlen« gehört also zu den grundlegenden Maximen des spirituellen Ökonomismus. Das suggeriert einen Erbsenzähler-Gott, der Strafpunkte in einer kosmischen Flensburg-Datei verbucht. Mindestens ebenso absurd ist die Frage, welche Maßnahmen denn zur karmischen Kontobereinigung geeignet wären. Vielfach läuft es auf »spirituelle Austeritätspolitik« hinaus. Der spirituelle Schuldnerberater rät zu eine Phase des Wohlverhaltens, die – wie in einem Privatinsolvenzverfahren – zum vollständigen Schuldenerlass führen kann. Auch in anderen Bereichen der zeitgenössischen Esoterik werden spirituelle »Sachverhalte« in eine ökonomische Sprache übersetzt. Am bekanntesten ist die Vorstellung vom Universum als Versandhaus (Bärbel Mohr). Man bestellt, das Universum liefert, und sogar Reklamationen sind möglich. Generell gehört zum spirituellen Ökonomismus auch die Definition der spirituellen Dienstleistung als Ware, obwohl dies in einer durchkommerzialisierten Gesellschaft zugegebenermaßen schwer zu vermeiden ist.

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Maxima Culpa – die untilgbare Schuld Was ist nun, vor diesem Hintergrund, »Spiritueller Kapitalismus«? Spiritueller Ökonomismus drückt religiöse Inhalte in Kategorien eines Tauschverhältnisses zwischen dem Menschen und einer kosmischen Macht aus. Er wahrt insofern also noch den Anschein einer gewissen Gerechtigkeit und sinnvollen Ordnung. Demgegenüber stellt der Spirituelle Kapitalismus eine Übertreibung, eine fast karikaturhafte Steigerung ins

Mit ihrem Ablasshandel hat die Katholische Kirche den Klassiker des Spirituellen Kapitalismus erschaffen

Maßlose dar. Im Spirituellen Kapitalismus versuchen die kosmischen Mächte (bzw. ihre irdischen Stellvertreter) den Gläubigen zu übervorteilen, indem sie weitaus mehr von ihm verlangen, als sie selbst geben. Mittel dazu ist vor allem der Begriff der Schuld, der nicht umsonst an »Schulden« erinnert. Im Spirituellen Kapitalismus wird die Fiktion einer untilgbaren Schuld kreiert. Die »Culpa« (Schuld) in der Liturgie schwillt zur »Maxima Culpa« an, zur übergroßen Schuld. Die Höhere Macht erscheint in einer solchen Konstruktion als schier unersättlicher Großgläubiger, als spirituelles Pendant zum »raffenden Kapital«, das sich durch Schuld(en)dienst die Lebensenergie der Schuldner ad infinitum einverleibt. Friedrich Nietzsche hat schon 1887 in »Zur Genealogie der Moral« gegen eine derartige Ideologie protestiert: »Dies ist eine Art Willens-Wahnsinn in der seelischen Grausamkeit, der schlechterdings nicht seinesgleichen hat: der Wille des Menschen, sich schuldig und verwerflich zu finden bis zur Unsühnbarkeit, sein Wille, sich bestraft zu denken, ohne dass die Strafe je der Schuld äquivalent werden könnte, sein Wille, den untersten Grund der Dinge mit dem Problem von Strafe und Schuld zu infizieren und giftig zu machen.« Auf der ökonomischen Ebene entspricht die Fiktion einer »untilgbaren Schuld« der Überschuldung. Sie begegnet uns täglich in den Nachrichten im Kontext

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der Eurokrise. Noch schlimmer ist teilweise die Überschuldung der Länder des globalen Südens. Margrit Kennedy zitiert in ihrem Buch »Occupy Money« den nigerianischen Präsidenten Obasanjo: »Wir haben bis 1985 oder 1986 etwa 5 Milliarden Dollar geliehen: Bis jetzt haben wir 16 Milliarden Dollar zurückgezahlt. Nun wird uns gesagt, dass wir immer noch 28 Milliarden Schulden haben […] wegen der Zinsraten der ausländischen Kreditgeber.« Eine solche Dynamik ist im Zeitalter des Zinseszinses nicht selten.

»Durch die Geburt wird jedes Wesen als eine Schuld gegenüber den Göttern, den Heiligen, den Vätern und den Menschen geboren«

Der unerbittliche Gläubiger-Gott Auf religiöser Ebene entspricht die hoffnungslose Überschuldung der Deutung des Menschseins als prinzipiell schuldhaft – unabhängig von konkreten Taten. Die Parallele zwischen ökonomischem und spirituellem Kapitalismus kann also so beschrieben werden: Eine vom Menschen selbst erschaffene, immaterielle Instanz (Kapital bzw. Gott oder andere kosmische Mächte) unterwirft sich alle Lebensbereiche des Menschen bis in sein innerstes Denken und Fühlen hinein. Besagte Instanz rafft alle Lebensenergie an sich und bewirkt drastische materielle bzw. psychische Verelendung. (Wobei ich Gott nicht schlicht als menschliche Erfindung deuten würde, wohl aber die Figur des unersättlichen Gläubiger-Gottes.) Im zweiten Schritt etabliert sich eine Gruppe von »Finanzexperten« als Mittler zwischen Mensch und Kapital, etabliert sich eine Priesterkaste als Mittlerin zwischen Mensch und Gott. Diese Vermittlergruppe beansprucht erfolgreich die Deutungshoheit über den Umfang und die Art der Schuld und über die Bedingungen, unter denen Schuld(en)erlass gewährt werden kann. Die Katholische Kirche hat mit ihrem Ablasshandel den Klassiker des Spirituellen Kapitalismus erschaffen. Der Bußprediger Johann Tetzel war zu Lebzeiten Luthers für diesen Spruch berühmt: »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!«

Protestantismus: Gottes Segen für die Reichen Wie Erich Fromm in seinem grandiosen Buch »Die Furcht vor der Freiheit« aufgezeigt hat, darf der Protestantismus diesbezüglich aber seine Hände nicht in Unschuld waschen. Luther und vor allem Calvin haben ein negatives Menschenbild zur Blüte gebracht, wonach nur äußerste Selbsterniedrigung Gottes Gnade verdienen könne. So schrieb Calvin, nie habe es »ein Werk eines frommen Menschen gegeben, das, wenn es nach Gottes strengem Urteil geprüft wurde, nicht verdammenswert gewesen wäre.« Nach Calvin hat Gott die Menschen schon vor der Geburt zu Paradies oder ewiger Ver-

(aus den Veden)

dammnis bestimmt. Durch keine noch so gute Tat könne der Mensch der Prädestination entrinnen. Der Arme, Entrechtete hat im Calvinismus zwar nicht »schlechtes Karma«, wohl aber »schlechte Prädestination«, so dass Mitgefühl unnötig erscheint. Erich Fromm versteht diese Wertehaltung als kompatibel mit sozialer Härte und teilweise ursächlich für die Heraufkunft der modernen Industriesysteme. Im Calvinismus ging es nach Fromm »hauptsächlich um berufliche Tüchtigkeit und deren Ergebnis, das heißt um den geschäftlichen Erfolg oder Miss erfolg. Erfolg wurde zum Zeichen von Gottes Gnade, Misserfolg deutete auf ewige Verdammnis.« Der Protestantismus habe den Menschen auf seine Rolle vorbereitet, »die eigene Person außermenschlichen Zwecken unterzuordnen« und somit »die Rolle des Dieners einer Wirtschaftsmaschinerie zu akzeptieren«.

Von Geburt an sündig und verschuldet Die Idee hoffnungsloser spiritueller Überschuldung bzw. ererbter, zum Wesen des Menschen gehörender Schuld ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der auf Paulus und Augustinus zurückgehenden Lehre von der Erbsünde. In der vedischen Schrift »Satapatha Brahmana«, die mindestens 2500 Jahre alt ist, heißt es: »Durch die Geburt wird jedes Wesen als eine Schuld gegenüber den Göttern, den Heiligen, den Vätern und den Menschen geboren. Wenn man ein Opfer bringt, dann deshalb, weil man den Göttern von Geburt an etwas schuldet.« In den vedischen Hymnen gibt es auch die Vorstellung, Yama, dem Gott des Todes, sein Leben zu schulden. Durch die Geburt rutscht der Mensch automatisch ins Soll, und erst der Tod führt zum Ausgleich des Kontos. David Graeber fasst diese Philosophie so zusammen: »Die menschliche Existenz an sich ist

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eine Form von Schuld.« Als Beleg zitiert er einen Ausschnitt aus der Satapatha Brahmana: »Ein Mensch ist, wenn er geboren wird, eine Schuld; durch sein eigenes Selbst wird er zum Tod geboren, und nur wenn er opfert, erlöst er sich vom Tod.« Opfer (Sachoder Tieropfer) sind demnach »Tributzahlungen an den Tod« (Graeber). »In diesem Sinn ist der ›Tribut‹ des Opfers eine Art Zinszahlung; das Leben des Opfertiers ersetzt vorübergehend das, was wirklich geschuldet wird, nämlich unser eigenes Leben.«

Götter als Energie-Vampire Eine eingeschüchterte Menschheit denkt sich die Götter (oder Gott) als kleinliche Wesen, die jede Wohltat nur unter dem Vorbehalt genau quantifizierbarer Gegenleistungen gewähren. Schlimmer noch: Sie erwarten von den Menschen einen Zins in Form eines Opfers an Lebensenergie. Es scheint, als würden die Himmlischen menschliche Selbstentwürdigung wie einen giftig gewordenen schwarzen Rauch als Nahrung genießen können. Auch der Buddhismus hat seine eigene Variante der Idee einer untilgbaren Schuld entwickelt. So leitet eine Schule des chinesischen Buddhismus die Schuldhaftigkeit der menschlichen Existenz von der so genannten Milchschuld ab. Gegenüber dem Quantum der als Säugling verzehrten Muttermilch und anderer Vorleistungen der Mütter stehen wir ausweglos im Soll. Eine als unendlich gedachte Schuld kann logischerweise nur durch ebenso unendliche Tilgungsanstrengungen beglichen werden. In den Schulen des Mahayana-Buddhismus stellten die »unerschöpflichen Verdienste des Bodhisattvas« diesen (gedachten) Ausgleich her. »Seine unendliche karmische Schuld oder seine unendliche Milchschuld konnte man nur begleichen, indem man aus diesem ebenfalls unendlichen Reservoir der Erlösung schöpfte, das wiederum zur Grundlage für die tatsächlichen materiellen Mittel der Klöster wurde.« (Graeber)

Spiritueller Wachstumsdruck Wenn wir also von der Idee eines durch menschliche Anstrengung nicht ausgleichbaren Defizits ausgehen, wird auch verständlich, warum der Begriff des Wachstums sowohl im neoliberalen Kapitalismus als auch in der zeitgenössischen Spiritualität hoch im Kurs steht. Nach Graeber gehört »unablässige Expansion« z.B. zur Lehre des chinesischen Buddhimus. »Denn das Dharma musste wachsen, bis es irgendwann jeden und jedes Ding einschloss, um Erlösung für alle Lebewesen zu bewirken.« Wachstum ist im Kapitalismus wie im spirituellen Kontext das verzweifelte Ankämpfen gegen

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NEUE GELDANSCHAUUNG

Offiziers- und Unteroffiziersränge zu erklimmen, scheuen viele Klienten keine Kosten und Mühen. Sie nehmen selbst im Grunde beleidigende Entwertungen des Status Quo klaglos hin (der Mensch schlafe nur, sei unbewusst, befinde sich permanent in einem verdunkelten Dämmerzustand und andere).

Ich habe es mir doch so intensiv gewünscht! Warum ist das Universum nicht so fair, es mir zu geben?

einen gefühlten Abwärtssog. Wirtschaftlich kann Wachstum den durch eskalierende Zinszahlung verursachten Abfluss von Geldmitteln ausgleichen. Spirituell kämpft der Mensch mit seinem Wachstumsstreben gegen einen gefühlten permanenten Wertverlust an, der durch »Sünde« oder spirituelle Unkorrektheiten aller Art verursacht wird. Wer wachsen will, hält sich für zu klein. Ein sehr negatives Menschenbild muss dem zugrunde liegen – vergleichbar dem des Protestantismus zu Lebzeiten Luthers und Calvins. Ich meine hier nicht die Hingabe an ein natürliches, sich spontan vollziehendes Wachstum, sondern eine eskalierende Kultur der spirituellen Wachstumsbeschleunigung. In vielen Lebenshilferatgebern sind Beruf, Partnerschaft, Gesundheit und spirituelles Wachstum die vier Säulen eines erfüllten Lebens. Kein Lebensbereich – außer Geldanlagen – unterliegt einem so starken Wachstumsdruck wie das Feld der spirituell-therapeutischen Selbstoptimierung. Das Hinzufügen von immer mehr gilt als gleichbedeutend mit dem Guten schlechthin. Mit Sicherheit kommt dies auch daher, dass ein negatives Selbstbild ökono-

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misch verwertbar ist, die Einstellung »Ich bin gut, so wie ich bin« dagegen nicht. Manche Anbieter von spirituellen Dienstleistungen verweisen uns in einer imaginären spirituellen Hierarchie auf einen Platz ganz unten, um uns die Leiter nach oben verkaufen zu können. Im Verlangen, spirituelle

»Das Resonanzprinzip besagt, dass jeder das erhält, was er verdient« (Thorwald Dethlefsen)

Im Himmel, in den Buddhaparadiesen und Nirvanas der Religionen dürften sich nur frühere Angehörige der Oberund Mittelschicht aufhalten. Die anderen können sich die Kosten für erleuchtungsbeschleunigende Seminare schlicht nicht leisten. So erobern sich die Reichen, denen längst die Erde gehört, auch noch den Himmel. Das LukasEvangelium wurde oft als das »Evangelium der Armen« bezeichnet, speziell von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Von den USA her kommend und unter dem Einfluss calvinistischer Lehren hat sich in der Esoterik-Szene aber mittlerweile ein Evangelium der Reichen etabliert. Reichen(selbst)lob und ArmenBashing sind en vogue. Das Scharnier zwischen traditionellen prostestantischen Vorstellungen und modischen Eso-Trends à la »The Secret« bilden Persönlichkeiten wie Dr. Joseph Murphy (1898– 1981), langjähriger Vorstand der »Church of Divine Science«. Von Murphy stammt u.a. der Satz »Armut ist eine Krankheit des Geistes«. Der als »Vater des Positiven Denkens« verehrte Murphy benutzte die Bibel als Zitate-Steinbruch (»Glaube versetzt Berge«), um seine populärpsychologischen Behauptungen zu begründen. Wer arm ist, hat Reichtum nur nicht intensiv genug visualisiert. Diese Philosophie kommt auch einer (Selbst-)Entlastung der Systemgewinner gleich. Nach dem »Gesetz der Anziehung« erschafft sich jeder sein Schicksal selbst. Der deutsche MurphySchüler Erhard F. Freitag fasst zusammen: »Es gibt kein Problem, keine Krankheit auf dieser Erde, deren Ursache wir nicht in uns selbst erfahren könnten.« Die Banker, Spekulanten und Konzernlenker können sich über solche spirituelle Schützenhilfe nur freuen. Sie müssen dann nicht mehr die Verantwortung für Probleme übernehmen, nur weil sie diese verursacht haben.

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Das Evangelium der Reichen


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Wachstum ist im Kapitalismus wie im spirituellen Kontext das verzweifelte Ankämpfen gegen einen gefßhlten Abwärtssog

Die esoterisch verbrämte Gnadenlosigkeit gegenßber menschlichem Leid, die damit einhergeht, erinnert nicht nur an neoliberale Vorstellungen, sondern verweist noch weiter nach rechts. Der natßrliche Ausleseprozess zwischen Ükonomischen Selektionsgewinnern und -verlierern wird von Positivdenkern prinzipiell bejaht. Er wird nur,

Resonanzgesetz: Jeder bekommt, was er verdient Von Thorwald Dethlefsen stammt ein Zitat, das alle Formen des spirituellen Kapitalismus schlĂźssig zusammenfasst: ÂťDas Resonanzprinzip besagt, dass jeder das erhält, was er verdient.ÂŤ Hier wurde die ÂťHandelsbeziehung mit himmlischen MächtenÂŤ in ein anonymes Âťkosmisches GesetzÂŤ umgewandelt, das nicht bewiesen, allenfalls durch erfundene oder vorselektierte Fallbeispiele illustriert werden muss. Spiritueller Kapitalismus hebt die Unvereinbarkeitsklausel zwischen Gott und Mammon, auf die Jesus Wert legte, auf. Die Definition des Geldes als ÂťEnergieÂŤ ist so verfĂźhrerisch wie tĂźckisch. Geld erscheint so als vom Bewusstsein her manipulierbar, nicht durch politische und Ăśkonomische Strukturen, die regeln, wer sich Geld unter welchen Bedingungen aneignen kann. Spiritueller Kapitalismus rechtfertigt auch die fortschreitende Ă–ffnung der Schere zwischen

Arm und Reich oder – spirituell ausgedrĂźckt – Himmel und HĂślle. Wohlhabende Karmagläubige meinen vielleicht, dass sie reich sind, weil sie gut waren; in Wahrheit sind sie gut, weil sie reich waren. Denn wer ein wohlhabendes, bemĂźhtes Elternhaus und eine gute Ausbildung genossen hat, tut sich leichter, eine sensible, achtsame und gewaltfreie PersĂśnlichkeit zu entwickeln. In ihrer Ăźbertriebenen Eigenverantwortungsideologie ist Reichen-Spiritualität tatsächlich nur Ăœberbau des den Zeitgeist dominierenden Neoliberalismus. Dieser gefährlichen und herzlosen Philosophie sollte der vernĂźnftigere Teil der spirituellen Szene kĂźnftig eine klare Absage erteilen: Make spiritual capitalism history!

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im Vergleich zum politischen Sozialdarwinismus, auf eine geistige Ebene gehoben. Mental optimal trainierte Eliten kÜnnen sich ihre Privilegien herbei imaginieren und sich so aus der Verantwortung fßr sozial Schwächere billig selbst entlassen.

ROLAND ROTTENFUĂ&#x;ER, Jg. 63, war von 2001 bis 2004 in der Redaktion von Connection Spirit und dort fĂźr seine bissigen Satiren bekannt. Heute arbeitet er u.a. fĂźr Konstantin Weckers Website www.hinterden-schlagzeilen.de und als Autorenscout fĂźr den Goldmann Verlag. Er lebt als freier Autor und Lektor in PeiĂ&#x;enberg bei MĂźnchen. roland.rottenfusser@web.de

Gesundheit auf den Teller! Julia Gruber – von Dr. Ruediger Dahlke empfohlen empfohlen! von der Autorin des erfolgreichen Wildkräuter-Sets

Revolution ROTE RĂœBE Revolution

„Ich fordere meine Rechte ein!“

Seelische Botschaft

‹‡ ‘–‡ ò„‡ ÂŠÂ‹ÂŽÂˆÂ–ÇĄ ˆò” †‹‡ ‡‹‰ GrundbedĂźrfni ‡Â?‡Â? sse einzutreten. Sie lässt nicht zu, mit billigem Ersatz abgespe ist zu werden. Statt in der Masse der Wehrlosen zu versinken, fordert sie mich auf, sichtbar zu werden —Â?† Â?‹” ‡ŠÚ” Âœ — Â˜Â‡Â”Â•Â…ÂŠÂƒĆĄÂ‡Â?ÇŁ ǡ ‡– —’Ǩ –ƒÂ?† —’Ǩ –ƒÂ?† —’ ˆ‘” ›‘—” ”‹‰Š–•ǨDz Č‹ ‘„ ÂƒÂ”ÂŽÂ‡Â›ČŒ

Beta vulgaris

Familie: GänsefuĂ&#x; Heimische Ernte gewächse verfĂźgbar: Septemb Thermische Qualität: er bis März KĂśrperliche Wirkung neutral : antioxidativ, immunst ärkend Nährwerte: Energie 175 kJ / 42 kcal EiweiĂ&#x; 1,5 g ƒ ƒ Fett 0,1 ƒ Kohlenh ÂƒÂŽÂŽÂƒÂ•Â–Â•Â–Â‘ĆĄÂ‡ Í–ÇĄÍ™ ‰ g ƒ ydrate 8,4 g ƒ ƒ Folsäure 83 Âľg Calcium 17 mg ƒ ƒ Vitamin C 10 ƒ ƒ Eisen 0,9 mg ƒ Magnesium 20 mg ƒ mg

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Haste mal’n Euro? Isch bin integral!

© UWE SCHRAMM

Die integrale Job-Misere und die Zukunft der integralen Bewegung

Die Welt braucht »eine ganze Armada fähiger Katalysatoren an sozialen Akupunkturpunkten, sprich: in Führungspositionen«, meint Dennis Wittrock, der ehemalige Geschäftsführer des Integralen Forums (Berlin), und er denkt dabei an integral hoch entwickelte Menschen mit »integral inside«, wo diese Qualität also nicht nur drauf steht, sondern auch drin ist. Aber gerade diese Menschen haben Schwierigkeiten, einen ihnen angemessenen Job zu finden

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VON DENNIS WITTROCK

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s scheint ein allgemein verbreitetes Phänomen unter integral interessierten Menschen zu sein, dass sie oft erhebliche Schwierigkeiten haben, ein ausreichendes, sicheres Einkommen zu erzielen. Es liegt eine nicht zu leugnende Ironie darin, dass Menschen, die sich gemäß ihrer eigenen Sicht der Dinge als Speerspitze der kosmischen Evolution empfinden, offenbar größtenteils nicht in der Lage sind, diese (vermeintlich) hohe Entwicklung in Form eines soliden Lebenserwerbes umzusetzen. Es ist ein Problem, mit dem auch ich persönlich gerade ringe, weshalb meine Aufmerksamkeit für das Thema geschärft ist. Anliegen dieses Essays ist es, das Phänomen besser in den Blick zu bekommen, es zu analysieren und den Anstoß zu einer Diskussion zu liefern, um mögliche Auswege aus dieser Malaise zu finden.

dieren, wie Mami sich das für einen gewünscht hätte. »Die Ärzte« mit ihrem Titel »Junge« klingen mir da in den Ohren: »Du hast dich doch früher so für Tiere interessiert, wäre das nichts für dich – eine eigene Praxis? Junge, …«. Dann auch noch eine »Theorie von Allem« obendrauf? Na, herzlichen Glückwunsch. Und doch werde ich das

Was ich liebe, was ich kann, was gebraucht wird und was bezahlt wird,

Die Dimensionen des idealen Jobs Der integrale Autor Martin Ucik hat vor kurzem ein Diagramm kommentiert, das als virales Mem auf Facebook umhergeisterte. Es ging hier um den idealen Job. Ihm fiel auf, dass die dort beschriebenen Dimensionen von Arbeit sich leicht den vier Quadranten von Ken Wilber zuordnen ließen. Diese sind »was ich liebe« (individuell, innerlich), »was ich kann« (individuell, äußerlich), »was gebraucht wird“ (kollektiv, innerlich), »was bezahlt wird« (kollektiv, äußerlich). Je mehr sich diese Dimensionen überlappen, desto befriedigender und erfüllender ist die Tätigkeit – bis hin zu dem großen Los, welches darin besteht, dass man alle diese Aspekte simultan verwirklicht. Schaut und hört man sich ein wenig um, so wird schnell offenbar, dass die wenigsten Menschen diesen Jackpot geknackt haben und die meisten sich mit irgendwelchen Kompromissen begnügen.

Junge, … Man ist als Integraler vielleicht erst mal geneigt, das Problem bei sich selbst zu suchen. Wenn man nicht gerade von seiner Ausbildung her Coach oder Psychotherapeut ist, dann ist die Anwendung integraler Ideen im beruflichen Kontext alles andere als leicht und offensichtlich. In meinem Fall – ich habe Philosophie studiert – potenziert sich das Problem des Anwendungsbezuges, denn als »Experte für das Allgemeine« hänge ich quasi von Haus aus komplett im Raum des Theoretischen. Die Frage »und was kann man damit machen?« ist bereits für Philosophie-Studenten quälend, und es erfordert eine gewisse Hingabe an seine Passion, um nicht jämmerlich vor den Realitäten des Lebens einzuknicken und am Ende doch BWL oder Jura zu stu-

das sind die vier Dimensionen des idealen Jobs

Gefühl nicht los, dass es einen Sinn und einen Wert hat, dass einige Menschen eine Fähigkeit entwickeln, komplexe Sachverhalte zu erfassen und sich aufmachen, um globale Problemlagen mit frischen Ansätzen zu adressieren. Was also tun?

Individuelle innerliche Gründe Wenn man in seiner Entwicklung das grüne Mem durchläuft und individualistisch, pluralistisch und post-konventionell wird, verschieben sich bekanntermaßen die Werte und Prioritäten. Geldverdienen und Karriere wird nicht mehr als das Wichtigste angesehen, Werte wie Liebe, soziale Gerechtigkeit, Sorge um den Planeten und die Menschheit als Ganzes treten auf den Plan. An dieser Stelle kann es aber auch zu einer pathologischen Dissoziation gesunder oranger Anteile von Leistungsbereitschaft, Wettbewerb und Streben nach finanziellem Erfolg kommen. Statt diese Aspekte lediglich zu negieren, werden sie mitunter verdrängt, abgespalten und teilweise auch (in Form von Projektionen) in der Außenwelt bekämpft. Von Gelb wird gesagt, dass es Grün, Orange und alles vorherige integriert. Aber das gilt wahrscheinlich nur für die Anteile, die im Vorfeld nicht abgeschnitten und ins Unbewusste verdrängt wurden. Ich kann mich noch jedenfalls gut an die Zeit an der Uni er-

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innern, in der ich die Heerscharen von BWLStudenten mit einer Mischung aus Verachtung, Überheblichkeit und Arroganz betrachtet habe. Ich wähnte mich überlegen. Tja, »true, but partial« könnte man sagen. Hier ist wohl ’ne Runde Schattenarbeit angesagt. Auf der gelben Ebene stehen Integrität, Entwicklung, Autonomie, Freiheit und Selbstbestimmung an erster Stelle. Hoher Verdienst und Statussymbole haben weiterhin nicht die erste Priorität. Der Wunsch nach Selbstbestimmung ist in der Regel schwer vereinbar mit einem konventionellen Angestellten-Dasein, weshalb viele Integrale den Schritt in die Selbständigkeit gehen. Aber bekanntlich hat nicht jeder das Zeug zum Unternehmer.

Kollektive äußerliche Gründe Die BWL-Heerscharen haben karrieretechnisch einen entscheidenden Vorteil: Sie passen viel besser in das gesellschaftliche Schema dessen, was bezahlt wird. Der gesellschaftliche Schwerpunkt in Deutschland liegt irgendwo zwischen Orange und Grün, tendenziell Richtung Orange. Gemäß der altbekannten Formel von Tiefe und Spanne ist der Markt für explizit integrale Angebote noch äußerst marginal (hohe Tiefe, geringe Spanne). Wenn man »integral« draufschreibt, interessiert das die durchschnittlichen Verbraucher ungefähr so sehr wie die technischen Spezifikationen einer Waschmaschine. Wichtig ist, dass das Produkt oder die Dienstleistung ein Bedürfnis befriedigt (z.B. nach frisch duftender Wäsche) – wie es das genau tut und wie man das nennt, interessiert meistens weniger. Das muss man sich klar machen, sonst hat man ein schwerwiegendes Marketing-Problem.

Der Inhalt und die Verpackung Mathias Weitbrecht hat kürzlich die folgende, nützliche Kategorisierung vorgeschlagen: 1. integral entwickelte Menschen, die sich das Label »integral« geben 2. nicht integral entwickelte Menschen, die sich das Label »integral« geben 3. integral entwickelte Menschen, die sich nicht das Label »integral« geben 4. nicht integral entwickelte Menschen, die sich nicht das Label »integral« geben. Der Kreis von Menschen aus 1 ist am kleinsten, Kreis 4 am größten. Zu Gruppe 2 gehört natürlich niemand, der das hier liest, denn ich will ja niemandem zu nahe treten. Interessant ist insbesondere die dritte Gruppe von integral entwickelten Menschen, die sich nicht das Label »integral« geben. Schätzungen zufolge sind das 3–5 Prozent der Bevölkerung in westlichen Gesellschaften, eine nicht unerhebliche Zahl. In Deutschland

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wären das immerhin zwischen 240.000 und 400.000 Menschen. Ich frage mich: Wo sind die alle? Was machen sie? Womit verdienen sie ihren Lebensunterhalt? Fühlen sie sich von ihren Mitmenschen verstanden? Alles erfolgreiche Business-Coaches oder Manager in Führungspositionen? Ich kann nur

Leider gibt es derzeit noch kaum Stellen für Menschen, die sich selber als »integral« identifizieren

mutmaßen, dass sie nicht das selbe Problem empfinden wie ich, da sie sich vermutlich selber nicht in irgendeine entwicklungsmäßige Kategorie stecken, die sie sich dann als hohen Selbstanspruch selber um die Ohren hauen. Oder wäre es vielleicht hilfreich für sie, wenn sie sich auf diese Weise sehen und einordnen könnten? Es wäre eine tiefere Erforschung wert.

Entwicklungshöhe als Einstellungskriterium? Man kann mit Sicherheit sagen, dass es derzeit noch kaum Stellen für Menschen gibt, die sich selber als »integral« identifizieren. Das ist noch kein Kriterium, nach dem Personalabteilungen explizit suchen würden. Angesichts der globalen Problemlagen wäre aber genau das aus meiner Sicht sicher nicht verkehrt, insbesondere an Stellen, wo strategische Weitsicht geboten ist. Es braucht im Angesicht der globalen Situation im Grunde eine ganze Armada fähiger Katalysatoren an sozialen Akupunkturpunkten, sprich: in Führungspositionen. Möglicherweise spielt in Zukunft das Ergebnis des Satzergänzungstests zur Feststellung der Entwicklungsebene eine ähnlich wichtige Rolle wie die fachlichen Qualifikationen und der Lebenslauf. Aber man sollte nicht dem wohlfeilen Irrglauben erliegen, dass eine integrale Ebene in den zentralen Linien der Entwicklung erreicht zu haben in sich schon eine ausreichende Qualifikation darstellt: Erst in Kombination mit einer Anwendung und professionellem Fach-

wissen entfaltet es einen echten Mehrwert. Gut sein in seinem Fach und gleichzeitig innerlich weit entwickelt sein – diese Kombination erscheint mir am Erfolg versprechendsten.

Der »Second-Tier-Food-Fight« Nein, das ist kein Schreibfehler. So sehr wir uns auch über den sogenannten »First-TierFood-Fight«, den Kampf um Ressourcen und Aufmerksamkeit der Ebenen von beige bis grün – zusammengefasst als »first-tier« – aufregen, die Integrale Szene untereinander ist nicht viel besser. Bedingt durch die Knappheit der Ressourcen eines verschwindend geringen Marktes an »integral« etikettierten Produkten, lässt sich im Seminargeschäft, dem scheinbar offensichtlichsten Ausdruck integralen Bewusstseins in Form von (UR – nach dem AQAL-System im Quadranten unten rechts) vermarktbaren Produkten und Dienstleistungen, eine deutliche Tendenz zum »Ellenbogen-Integralismus« verzeichnen. Clare Graves hat einmal gemutmaßt, dass beim Übergang zwischen den Rängen (tiers) die Themen des vorigen Ranges gewissermaßen auf einer höheren Oktave wiederkehren. Ging es bei Beige noch um reines Überleben in der natürlichen Umwelt, so geht es bei Gelb um das Überleben der gesamten Spezies in einer komplexen globalen Umwelt. Um weiterhin bei Spiral Dynamics zu bleiben: Gelb ist individualistisch geprägt. Jeder macht letztlich sein eigenes Ding. Am anschaulichsten lässt sich dieses Phänomen wohl in den USA beobachten, wo es durch die ohnehin starke individuelle Prägung der gesamten Kultur noch verstärkt wird. Auch nach mehr als einem Jahrzehnt gibt es dort keinen erkennbaren Zusammenschluss integraler Netzwerke – eine Ironie, wenn man sich den integralen Anspruch von Integration vor Augen führt. Eine wahrhaft weltzentrische Ausrichtung durch Verbindung mit Integralen in anderen Ländern auf Augenhöhe steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen. Anstelle dessen werden wir mit einer Flut von Ankündigungs-E-Mails diverser Anbieter für Teleseminare und dergleichen überschwemmt. Man kämpft um die Aufmerksamkeit integraler Konsumenten, doch diese Konsumenten haben leider oft selber ein Geldproblem und können sich diese Angebote daher oft kaum leisten. Wieder diese Ironie. Diese Lücke zwischen integral etikettierten Angeboten und ökonomischen Möglichkeiten der beworbenen Zielgruppe wird auch im deutschsprachigen Raum oft problematisiert.

Türkis: den integralen Tribe nähren Vielen Integralen stößt dieser Trend sauer auf. Sie sehnen sich nach mehr Verbindung

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und Unterstützung innerhalb der integralen Community. Hier kann man das Grave sche Motiv der Themenwiederkehr im höheren Rang noch mal anhand von Purpur und Türkis durchspielen. Es bräuchte neben all den gesunden autonomen Selbsten auch einen nährenden Zwischenraum der gegenseitigen Unterstützung in Ausrichtung auf eine höhere gemeinsame Vision, einen »integralen Tribe« bzw. eine »Meta-Sangha«. Ich stelle mir das so vor, dass das Pendel, das wieder in Richtung einer kollektiveren Ausrichtung schwingt, nicht nur deren innerlich kollektiven Aspekt (das Wir), sondern auch deren äußerlich kollektive Aspekte mit berücksichtigt: konkreter materieller Austausch, Teilen im miteinander Leben und Arbeiten, selbst finanzielle Kooperationen unter Integralen, die den Nutzen fokussieren, die ein solches Kollektiv evolutionärer Seelen gemeinsam für die Gesellschaft entfalten kann.

Wir sind die, auf die wir gewartet haben Der gesellschaftliche Mainstream mit seinem Schwerpunkt ist bekanntermaßen noch ziemlich weit davon entfernt, hohe innerliche Entwicklung und deren Wert für die Bewältigung der auf uns zu kommenden Komplexitäten angemessen einzuschätzen und entsprechend zu fördern. Dort sind keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören, zu erwarten – entsprechend auch keine Gelder, um zu fördern. Ohne substanzielle Lebensgrundlage und konkrete Jobs treten wir mit unseren Ideen auf der Stelle. Wie die Schaffung dieser Strukturen im wahren Leben aussehen kann, ist die

Gut sein in seinem Fach und gleichzeitig innerlich weit entwickelt sein – diese Kombination erscheint mir am Erfolg versprechendsten

brennende Frage, die ich der integralen Community hiermit als eine Art kollektives Koan ans Herz legen möchte – auf dass wir eines Tages spontan »in die Antwort hineinleben« können, um den Dichter Rilke zu bemühen. Und wer Rilke zitiert, hat eigentlich immer Recht.

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Integrale Produkte und Dienstleistungen Aus Quadranten-Sicht ist klar: Jede neue Ebene hat Entsprechungen in allen Quadranten. Hat sie es nicht, so kann sie sich nicht nachhaltig als kosmische Gewohnheit sedimentieren. Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Die Moderne brachte rationales Bewusstsein. Dieses ging einher mit industrieller Produktion im äußerlich kollektiven Bereich. Die Postmoderne bescherte uns pluralistisches Bewusstsein und ging einher mit dem Aufkommen des Internets und des digitalen Zeitalters. Diese Produk tionsformen sind auch wesentliche Modi des ökonomischen Austauschs von Waren und Dienstleistungen. Die Post-Postmoderne bescherte uns integrales Bewusstsein und … einen Haufen Seminare über Selbstentwicklung. Come on, das kann es doch noch nicht gewesen sein! Für mich bleibt es eine offene Frage, was die Ökonomie der integralen Welle ausmachen wird, welcher technologische Durchbruch uns hier die Kinnlade herunter klappen lassen wird (Internet und Handys hatten bei ihrer Einführung jedenfalls diesen Effekt auf mich). Mögliche Beispiele diskutiere ich weiter unten im Text.

»Integral inside« In Anlehnung an die eingangs erwähnte Waschmaschine glaube ich, dass, falls integrale Produkte und Dienstleistungen jenseits einer engen Zielgruppe erfolgreich sein wollen, integral »inside« sein muss statt auf dem Etikett. Die vier oben genannten Kategorien von Mathias Weitbrecht: »integral entwickelt« oder nicht / »integral« als Label oder ohne Label, kann man nahtlos auch auf integrale Produkte und deren Märkte (und Marktgrößen) übertragen. Es wird Produkte

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geben, die integral sind und es auch auf dem Etikett stehen haben. Dann wird es Etikettenschwindel geben, wo »integral« drauf steht, aber nicht drin ist. Am interessantesten ist auch hier die Kombination von Pro-

Der gesellschaftliche Mainstream ist noch ziemlich weit davon entfernt, hohe innerliche Entwicklung anzuerkennen

dukten oder Dienstleistungen, die integralem Bewusstsein entspringen, ohne es jedoch auf dem Etikett stehen zu haben. Integral inside, unter der Motorhaube gewissermaßen. Ich glaube, dass diese Art von integralen Produkten und Dienstleistungen derart gestrickt sein wird, dass sie nicht voraussetzt, dass die Nutzer ein überdurchschnittlich hohes Bewusstsein entwickelt haben müssen. Vielmehr wird das Produkt oder die Dienstleistung dabei helfen, durch Veränderungen in der Außenwelt, insbesondere im individuellen und kollektiven Verhalten, gewissermaßen »evolutionäre Leitplanken« für die innere Erfahrung des Nutzers einzurichten. Wie ein Kunstwerk den Geist des Schöpfers atmet, so werden auch diese Technologien und Produkte dadurch, dass sie von einem integralen Geist durchtränkt sind und im Kontakt gewissermaßen auf die Nutzer abfärben, eine neue innerliche Erfahrung ermöglichen. Ein gelungenes Beispiel dafür ist für mich Holacracy – eine soziale Technologie für Organisationen. Auch Simultanpolitik folgt im Grunde einem solchen Ansatz. Wenn man möchte, kann man auch die aktuellen Entwicklungen im Bereich des binauralen Gehirnwellen-Trainings und Biofield Entrainment (iAwake Technologies) als Unterstützung von Meditationspraxis (und anderen Zuständen) dazu zählen. All das sind hochkomplexe Technologien, die außen ansetzen und neue, integralere Erfahrungen ermöglichen – in diesen Fällen organisationell, politisch und meditativ. Es ist eine absolut faszinierende Zeit, in der wir leben.

Nochmal die Kernthesen: • Viele Integrale haben Schwierigkeiten, ein sicheres Einkommen zu erzielen.

• Es ist ein kollektives Problem, mit dem fast alle Integralen ringen. • Der ideale Beruf ist, »was ich liebe« (individuell innerlich), »was ich kann« (individuell äußerlich), »was gebraucht wird« (kollektiv innerlich),»was bezahlt wird« (kollektiv äußerlich). • Im Durchlauf durch die grüne Ebene gehen oftmals orange Anteile verloren, oder werden abgespalten und verdrängt. • Der Wunsch nach Selbstbestimmung führt viele Integrale in eine prekäre Selbständigkeit. • Der Markt für explizit »integral« etikettierte Angebote ist noch extrem klein. • Wo integral drauf steht, muss nicht integral drin sein – und umgekehrt. • Integrale Entwicklung könnte in Zukunft ein Einstellungskriterium werden. • Integrale Entwicklung ergibt erst in Kombination mit einem Fachwissen einen entscheidenden Mehrwert auf dem Arbeitsmarkt. • Es gibt einen »Second-Tier-Food-Fight« um die knappen Ressourcen im Seminarmarkt für »integral« etikettierte Angebote, vornehmlich durch die individualistische Tendenz von Gelb (Survival-Thema auf neuer Ebene). • Es braucht eine türkisen, integralen Tribe, eine Meta-Sangha. • Es braucht die Schaffung von äußerlich kollektiven Strukturen, Jobs und Lebensgrundlagen für die integrale Gemeinschaft. • Wer Rilke zitiert, hat immer Recht. • Wir selber sind die, auf die wir gewartet haben. • Integrale Produkte und Dienstleistungen mit »integral inside« werden am anschlussfähigsten und erfolgreichsten sein. Ich hoffe, dass diese Thesen und Überlegungen eine aus meiner Sicht längst überfällige Debatte anstoßen und dazu führen, dass wir als integrale Bewegung zusammenkommen und kreative Antworten und schlüssige Lösungen für diese Herausforderungen der integralen Job-Misere und die Zukunft der integralen Bewegung formulieren – bevor wir in der vollständigen Bedeutungslosigkeit versinken.

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Wenn wir wirklich an die integrale Vision glauben und die integrale Gemeinschaft als wichtige Stimme in der Welt voranbringen wollen, müssen wir meines Erachtens aus der Trance der Getrenntheit und des Mangels erwachen und vor allem selber mehr Gemeinsamkeit untereinander wagen. Auch wenn es abgedroschen klingt: Wir selber sind die, auf die wir gewartet haben. Ein Vergleich mit der grünen Ebene mag Mut machen: Als vor rund 40 Jahren die grüne Welle emergierte, wurde die Ökobewegung noch belächelt. Heute sind Bioprodukte aus den Regalen nicht mehr wegzudenken, und der Typ mit den weißen Turnschuhen saß schon als Außenminister in der Regierung. In historischen Dimensionen betrachtet war das vielleicht nur ein Wimpernschlag, aber die allgemeine Zeitqualität scheint in Richtung einer Beschleunigung der Ereignisse zu gehen.

DENNIS WITTROCK Jg.1978, MA, Studium der Philosophie, Anglistik, Kunstwissenschaft, selbständiger Journalist, Autor, Trainer, Vorstands mitglied Integrales Forum, Mitgründer und Vorstandsmitglied Integral Europe, integraler Aktivist, Blogger und Ken Wilber-Kenner, zertifizierter HolacracyPracticioner. Diverse Workshops und Seminare zu Integralen Themen. Er praktiziert u.a. Zen, Kraft training, Yoga und lebt und arbeitet in Bremen. www.integral-con-text.de

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SPIRITUALITÄT

Isha Judd beim Unterricht. Links ihre Übersetzerin

Wir können

Liebe wählen statt Angst

FOTOS © ISHA JUDD

Meditationsunterricht in einem mexikanischen Gefängnis für Schwerverbrecher. In den ersten beiden Reihen sitzen Besucher/innen.

Wolf Schneider sprach mit der »Botschafterin des Friedens« Isha Judd VoN Isha JUDD

Kriminelle und Nicht-Kriminelle sind im Wesentlichen gleich. Der einzige Unterschied ist, dass wir in unserem Leben unterschiedliche Entscheidungen treffen, sagt die spirituelle Lehrerin und »Botschafterin des Friedens« Isha Judd

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allo Isha, als spirituelle Lehrerin bist du dafür berühmt, dass du mit Häftlingen arbeitest. Sind die empfänglicher für deine Botschaft als andere Menschen? Es ist schwer zu sagen, ob Gefängnisinsassen offener sind als andere, aber die Rückmeldungen waren überwältigend. Wenn du in ein Hochsicherheitsgefängnis gehst, und ungefähr tausend Männer kommen aus freien Stücken zu dir, um an einem spirituellen Kurs teilzunehmen, dann sind sie offensicht lich an einem Punkt in ihrem Leben, wo sie dringend eine Veränderung brauchen. Was mich am meisten beeindruckt hat, war ihre

Feinfühligkeit und Fähigkeit, sich so leicht mit sich selbst zu verbinden. Man könnte meinen, dass sie unemotional und verschlossen seien, nur weil sie Hardcore-Kriminelle sind. Aber meine Erfahrung war genau das Gegenteil. Außerdem hat mich an den Häftlingen ihre Annahme beeindruckt, dass etwas inhärent Schlechtes in ihnen sein müsse. Ein zentraler Teil meiner Botschaft an sie ist, dass wir im Wesentlichen gleich sind. Der einzige Unterschied ist, dass wir in unserem Leben andere Entscheidungen treffen. Das System, das ich lehre, ist so aufgebaut, dass wir die

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SPIRITUALITÄT

Die Antwort dieser Häftlinge ist tatsächlich sehr bewegend. Und es ist wahr: Wir haben in vielem die Wahl, Gefangene zu sein oder frei. Auch die Tatsache, dass die Häftlinge das Gefühl haben, in ihnen sei etwas sehr Schlechtes, finde ich bewegend. Irgendwie glauben wir alle, besonders wir, die wir durch das Weltbild der abrahamischen Religionen konditioniert sind: Da ist ein Teufel in uns oder etwas Unpersönliches, sehr Böses, oder die Erbsünde. Unser Rechtssystem bestärkt meistens diesen Glauben, besonders in den Sträflingen. Großartig, wenn du es geschafft hast, ihnen zu vermitteln, dass sie nur falsche Entscheidungen getroffen haben; dass es nicht ihr Wesen ist, was schlecht ist. Genau, das ist ein Gefühl, das wir alle teilen: Dass etwas nicht in Ordnung mit uns ist. Dieser Glaube ist sehr tief in uns verankert und hält uns fern von innerer Erfüllung und Zufriedenheit. Letzen Endes lieben wir selbst nicht. Als ich meine spirituelle Suche begann, sagten die Leute zu mir: »Du musst dich selbst mehr lieben.« Das hörte sich gut an, aber ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich das umsetzen sollte. Tatsächlich dachte ich, dass ich mich doch liebe: Ich war erfolgreich, engagiert und begeistert von dem, was ich tat. Aber nur indem ich noch tiefer in mich selbst eintauchte, wurde mir bewusst, wie sehr ich mich selbst aufgegeben hatte, nur um von anderen akzeptiert zu werden. Wie ich mich angepasst hatte, nur um Liebe von meinen Partnern zu bekommen, immer um Liebe und Bestätigung bettelnd. Niemand hätte mir das angesehen: Äußerlich war ich eine starke, zuversichtliche Frau mit viel Energie. Aber das war natürlich eine Fassade, die ich aufgebaut hatte, um meine Unsicherheit vor der Welt zu verbergen. Wenn wir nach innen gehen und beginnen, uns zu lieben, uns wirklich selbst zu umarmen, so wie wir sind, in jedem Aspekt, dann wird unser Leben vollständig transformiert. Die Masken und Mechanismen, die wir gebraucht haben, um uns zu schützen, sind dann nicht mehr nötig. Wie die Eierschale eines Adlers, der bereit ist zu schlüpfen, fallen sie einfach ab, weil unser inneres Selbst zu groß wird und nicht mehr hineinpasst. Dies ist, was ich in Bezug auf das Ego lehre: Spirituelle Menschen denken sehr oft über das Ego als etwas Schlechtes. Etwas, das wir bekämpfen müssen, um es zu zerstören. Aber das Ego besteht nur, weil un-

ser inneres Selbst noch nicht reif genug ist, um ohne das Ego zu leben. Durch Kampf mit dem Ego können wir es nicht überwinden. Es ist leichter, die innere Liebe und Sicherheit zu kultivieren und zu nähren, bis sie so stark werden, dass das Ego sich im Licht der Liebe auflöst. Das ist wahr: Die Illusionen, die wir über uns selbst haben, lösen sich auf im Licht unserer tiefen Annahme dessen, wer und was wir sind. Und nun zu deiner persönlichen Geschichte. Im Interview mit der spanischen Zeitung »El Pais« sagtest du, dass du dein System aus einem massiven Verlust heraus kreiert hast. Was war das? Als ich 28 Jahre alt war, verlor ich alles. Ich verlor mein Geld, meinen Besitz, meinen sozialen Status, meinen Freund, meine Großmutter, die mich mit meinen Eltern aufgezogen hat, und meinen Vater. Und meine Mutter hatte einen Schlaganfall. Alles, was mir äußere Sicherheit gegeben hatte, war innerhalb von sechs Monaten vollkommen aus meinem Leben gelöscht worden. Das ist viel. Alles auf einmal. Und was hast du gemacht? Was gab dir die Stärke, diesen Schock zu überleben? Zuerst tat ich, was alle guten Australier tun: Ich betrank mich! (Ich bin sicher, dass ihr Deutschen das nachvollziehen könnt!) Dann, nach etwa sechs Monaten, wurde mir bewusst, dass das nicht funktionierte. Ich hörte immer wieder eine innere Stimme, die zu mir sagte: Es ist Zeit aufzuwachen! Diese Angst ist eine Illusion. Es ist Zeit aufzuwachen. Ich hatte mich nie mit irgendeiner Form von Spiritualität beschäftigt und hatte keine Ahnung, was es bedeutete. Aber ich hörte auf diese Stimme – die Stimme meiner eigenen Intuition. Sie führte mich durch diese Zeit, und ich begann neue Entscheidungen zu treffen. Ich fing an, mehr nach innen zu gehen, mich mehr mit mir selbst zu verbinden. Ich fing an, die Wahrheit zu sagen, anstatt mich ständig zu verbiegen, um anderen zu gefallen. Ich fing an, meine Gefühle zu fühlen, etwas, das ich mein Leben lang vermieden hatte. Ich fing an, mich auf den gegenwärtigen Moment einzulassen und die Gedanken loszulassen, die mich in Dramen führten und das darauffolgende Bereuen. Ich verlagerte meinen Fokus darauf, mich selbst gut zu finden und so anzunehmen, wie ich war. Diese Entscheidungen kamen alle aus meinem Inneren, und je mehr ich ihnen folgte, desto klarer wurden die folgenden Schritte für mich. Schlussendlich führten sie zu meinem Erwachen. Dann wurde mir klar, dass ich einen Weg gefunden hatte, den jeder gehen kann: einfach nur dieselben Schritte gehen, die ich gegangen war! So ist mein System ganz natürlich aus meiner eigenen Reise entstanden: Ich lehre einfach, was ich selbst gemacht habe.

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Dein System hast du in deinem Buch »Why walk, when you can fly« vorgestellt. Und dein zweites Buch »Love Has Wings« (Die Intelligenz der Liebe) zeigt neun Illusionen, auf die wir verzichten können, angefangen mit: »Ich bin Opfer«. Und da nun die Liebe im Mittelpunkt deiner Lehren steht, betrifft meine letzte Frage deine Meinung zu den Weltreligionen. Du hast geschrieben, alle Religionen würden darin übereinstimmen, dass Gott Liebe ist. Ist es nicht eher Wunschdenken, dass wir (mich eingeschlossen) uns sehr freuen würden, wenn sie diesbezüglich über einstimmen würden? Ich glaube, dass alle Religionen in ihrem Kern darin übereinstimmen. Das Problem ist, dass mit der Zeit unterschiedliche Interpretationen die Aufmerksamkeit von der zentralen Botschaft abgelenkt haben und die Menschen sich mehr auf die Unterschiede fokussiert haben als auf die verbindenden Aspekte. Ich war im Januar nach New De lhi eingeladen, um auf einem Gipfeltreffen von Religionsführern zu sprechen. Ich war dort die einzige Person auf der Bühne, die keine traditionelle Religion repräsentierte. Ich sprach neben den Führern des Jainismus, Baha’i, Islam, Hare Krishna, Sikhismus, Zoroastrianismus, Christentums, Buddhismus und Judentums. Es war bewegend für mich zu sehen, wie diese Führer zusammenkommen, um das zu finden, was sie alle verbindet: der gemeinsame Wunsch nach einer Entwicklung in der Welt, hin zu Werten wie Mitgefühl, Liebe und Dienen. Natürlich richten nicht alle Menschen ihre Aufmerksamkeit dorthin. Aber viele tun es, und die Anzahl steigt. Ich glaube, der Grund, warum es in der Welt so viel Konflikt gibt, ist, dass wir unsere innere Erfahrung der Einheit aus den Augen verloren haben. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf die Oberfläche unseres Lebens, wo wir alle so unterschiedlich zu sein scheinen. Das ist die Essenz meiner Botschaft: Indem wir uns selbst wiederfinden, umarmen wir auch alle anderen mit dieser Freude am Dasein, an dieser inneren Fülle. Wenn ich mich selbst heile, bringe ich Frieden in die Welt!

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Fähigkeit entwickeln, in jedem Moment uns neu zu entscheiden. Dass wir Liebe wählen statt Angst, Vertrauen statt Zweifel. Einen Häftling sagen zu hören, dass er sich jetzt freier fühlt als vor seiner Gefangennahme, ist sehr bewegend und ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass Freiheit eine innere Erfahrung ist. Wenn diese Menschen im Gefängnis Freiheit finden können, dann haben wir keine Entschuldigung mehr!

Mehr dazu in ihrem Buch: Isha Judd, Die Intelligenz der Liebe, Reichel Verlag 2012, 18,50 €

Isha JUDD, australierin, lebt und lehrt seit 2000 in südamerika, wo sie in Mexiko und Uruguay zwei spirituelle Zentren gründete, »heilorte des Bewusstseins«. Ihr internationales Netzwerk »Isha Education for Peace« ermöglichte bisher Tausenden in Lateinamerika freien Zugang zu ihren Lehren. Die Universität von Cuernavaca, Mexiko, ehrte sie mit dem Titel »Weltbürgerin«, und der argentinische senat ernannte sie zur »Botschafterin des Friedens«. www.ishajudd.com

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