Connection Spirit 01/02 2013

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE

9€

01–02/2013 29. Jg. B 6128

Mega-Genie Ken Wilber

www.connection.de

Schweiz 16,80 sfr, übrige EU-Länder 9,40 €

Mega-Genie

Ken Wilber

Seine »Theorie von allem« und die integrale Bewegung

Ein bayerischer Sufi – Interview mit Ingo Taleb-Rashid Johannes XXIII. – ein echter Christ als Papst? Wo sind die wahrhaft Liebenden? – ein Briefwechsel


JANUAR-FEBRUAR 1-2/2013

„Was ihr in Wirklichkeit sucht, das liegt in euch selbst.“ Rumi

Meditation, Weisheitslehre und Zikhr in der Sufi-Tradition, mit der Ärztin und Sufi-Lehrerin Dr. Anja Habiba Engelsing. Donnerstags ab 19 Uhr nahe München, weitere Termine und Seminare auf Anfrage. Info:

www.following-lex-hixon.com

Ken Wilber und die Integrale Bewegung Der große Held der spirituellen Avantgarde ist Ken Wilber. Wegen einer Stoffwechselerkrankung seit Jahren stark eingeschränkt, scheint er den Höhepunkt seines kreativen Schaffens hinter sich zu haben. Er hinterlässt uns die erste ernst zu nehmende »Theorie von allem« der Postmoderne – endlich ein System, das Wissenschaft und Mystik integriert – und eine Bewegung, die in seine Fußstapfen tritt, weiterforscht und seine Thesen anwendet

S. 16 – 42

Kontakt: anja.habiba@hotmail.com Tel.:

0179-6963251

Ein bayerischer Sufi Nicht alle Moslems werfen Bomben. Manche lachen, tanzen, spielen Kabarett, choreografieren Bühnenstücke und lehren Körperkunst. Wolf Schneider sprach mit einem von ihnen, aber nicht mit »irgendeinem Scheich«, sondern mit Sheikh Ingo Taleb-Rashid aus einer irakischen Sufi-Linie, die bis auf den Propheten zurückgeht

Exponentropie Warum die Zukunft anders war und die Vergangenheit gleich wird von Prof. Dr. Tobias Breiner

In diesem Buch erklärt Prof. Dr. Tobias Breiner anschaulich und unterhaltsam die Zusammenhänge von Mathematik und Gesellschaft: Wie werden wir in Zukunft leben? Warum wird die Weltwirtschaft kollabieren? Welche Vorteile hat ein geldloses System? Warum werden Computer schon im Jahr 2070 unsere intimsten Gedanken erraten können? Es sind beeindruckende, teilweise erschreckende Zusammenhänge, die dieses Buch aufdeckt. Ein Buch, das Augen öffnet und so einen Blick auf die nahende Zukunft unserer Gesellschaft ermöglicht. ISBN: 978-3-939272-41-0, Synergia, 2012 240 S., durchg. farb., geb.

25,90 €

fon: 0 61 51 - 42 89 10 fax: 0 61 51 - 42 89 1-10 mail: info@syntropia.de

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S. 44 – 47

Ein echter Christ als Papst Wie konnte es angehen, dass mit Johannes XXIII. »ein echter Christ« es schaffte, in der katholischen Hierarchie bis an die Spitze zu gelangen? »Ein Systemfehler«, schlussfolgert der Theologe und Soziologe Alfred Kirchmayr scharfsinnig und attestiert dem Initiator des »Zweiten Vatikanischen Konzils« Humor

S. 48-52

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I N H A LT

E R O S · L I E B E M E D I T A T I O N

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Editorial

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Weisheit: Ken Wilber über das Zeugesein

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Hier und Jetzt: Die Kurzmeldungen

12

»Ich bin ein Handwerker«. Der Karikaturist Gerhard Mester über seine Arbeit

22. – 24.2.13 mit Beatrix Rettenbacher und Jens Hartwig, bei Ulm

Schwerpunkt: Ken Wilber und die Integrale Bewegung

16. – 21.4.13 Kaschmirisches Tantra mit Nathalie Delay/Fr., bei Schwäbisch Hall

Regina König und Hellwig Schinko OFFENE SEMINARE

TANTRA-BODY TANTRA YOGA DER KREIS DER FRAUEN

16 20 24

1. – 5.5.13 bei Ravensburg

»Eine Theorie von allem«. Wolf Schneider über Ken Wilbers Genie, Größenwahn und intellektuelle Schärfe

DER KREIS DER MÄNNER I

Ken Wilbers integrale Theorie und Praxis. Eine Einführung von Michael Habecker und Katharina Ceming

DER KREIS DER MÄNNER II

Spirituelle Krankheiten. Torsten Brügge nennt Fallen, Sackgassen und Irrwege, die einem auf dem spirituellen Weg begegnen können

30

»Ich bin die Wolken«. Der Denker Ken Wilber verweist auf das Undenkbare

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No-Mind versus Integral-Mind. Torsten Brügge über die Vorzüge und Gefahren des Integralen Modells

32

Das Integrale Modell. Torsten Brügges Schaukarte nach Ken Wilber (IV)

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Hat die Integrale Bewegung einen Schatten? Maxim Korman sprach mit Frank Visser, einem enttäuschten Wilber-Fan

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Integral? Johannes Heinrichs untersucht den Denkansatz von Ken Wilber aus der Sicht des deutschen philosophischen Idealismus

54

Blick in das große Mysterium. Der bayerische Sufi Ingo Taleb-Rashid im Gespräch mit Wolf Schneider

48

Johannes XXIII. – ein Papst mit Humor. Alfred Kirchmayr über den »vatikanischen Systemfehler« des Konzilspapstes

54

Karl. Gabriele Palm über einen Naturfreund und Wurzeltyp auf der Reise zu sich selbst

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WerWasWo

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Wo sind die wahrhaft Liebenden? Ein Briefwechsel zwischen ReinO Kropfgans und Ursula Huber über den Geschlechterkampf und seine Auflösung

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Promotion: Inspirationen in Weimar. Barbara Strohschein berichtet von den »Weimarer Visionen 2012«

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Filme: Auf DVD gibt es die Polit-Komödie Das Schwein von Gaza von Sylvain Estibal, im Kino den Dokumentarfilm Das Lied des Lebens von Irene Langemann

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Bücher: über Erleuchtung, die Zukunft unseres Planeten, Quantenheilung, Meditation, Jiddu Krishnamurti und andere/s…

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Leserbriefe: über die Großen und die Kleinen, Religion und Wissenschaft und warum einer das Connection-Heft »von hinten« (bei den Leserbriefen) beginnt

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Marktplatz

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Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis

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Vorschau/Impressum

, Zeitschrift für Lebenskunst, Weisheit, Humor und ein integrales Verständnis des menschlichen Lebens. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2013

1. – 5.5.13 bei Ulm 7. – 11.5.13 bei Ulm

ARUNA-TANTRA 9. – 12.5.13 im Waldviertel/Österreich

FEUER, HERZ UND STILLE 19. – 25.5.13 Tantra-Pfingstgruppe b. Ulm

SYSTEMISCHES FAMILIENSTELLEN 4. – 7.7.13 mit Claudia Haarmann bei Ulm Infos & Programm: ARUNA-Institut St. Nepomukstr.13 · 74673 Mulfingen Tel. 07936/6 21 · Fax 079 36/6 46 aruna.info@t-online.de www.aruna-tantra.de

Biodanza Tanz des Lebens

29./30. April 2013 Frühlingserwachen – Inspiration und Neubeginn BiodanzaWochenendworkshop zu Ostern, Connection Seminarhaus, Niedertaufkirchen

München • Nürnberg • Regensburg Bad Tölz • Ingolstadt www.biodanza-muenchen.info

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KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Ken Wilbers integrale Theorie und Praxis Eine Einführung Im Jahr 2013 wird sich Connection Spirit verstärkt mit der Integralen Bewegung befassen, die auf den Forschungen von Ken Wilber basiert. In dieser Ausgabe machen Katharina Ceming und Michael Habecker den Anfang mit einer Einführung in Wilbers Theorie und Praxis. Ein passendes Schaubild zu Wilbers Grundmodell der vier Quadranten findet ihr auf den Seiten 32/33 in diesem Heft MICHAEL HABECKER UND KATHARINA CEMING

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or etwa 40 Jahren begann ein junger Amerikaner die Arbeit an einem Buch, welches das erste Buch in einer Reihe erfolgreicher Veröffentlichungen werden sollte. Der Name des Buches, das sich immer neuer Auflagen erfreut, lautet Das Spektrum des Bewusstseins, und sein Autor ist Ken Wilber. Inzwischen gibt es circa 20 Bücher dieses Autors und viele Online-Veröffentlichungen, zudem ist mittlerweile eine internationale integrale Szene und Bewegung entstanden, deren Zusammensetzung, Vielschichtigkeit und Aktivitäten längst nicht mehr überschaubar sind. Ein Herzstück der Arbeit Wilbers ist die Erstellung einer »integralen Theorie« und Praxis, der wir uns in diesem Beitrag widmen möchten.

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KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Differenzierung, Integration und das Spiel des Lebens Dabei hat er nicht bei Null angefangen, sondern in einer jahrzehntelangen Fleißarbeit das zusammengetragen, was andere aus den

Individuell

objektiv

intersubjektiv

interobjektiv

Äußerlich

Innerlich

subjektiv

Kollektiv Abb. 1: Die vier Quadranten als Perspektiven von und auf Wirklichkeit

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Unendlich viel Wissen ist heute per Mausklick verfügbar. Jetzt geht es darum, dieses Wissen zu ordnen

wussten Beteiligung am »Spiel des Lebens«. Dabei geht es, um ein verbreitetes Missverständnis im Zusammenhang mit der Arbeit Wilbers anzusprechen, nicht darum, »alles« zu wissen. Wie sollte das gehen? Ich weiß ja noch nicht einmal genau, was hinter meinem Rücken oder in meinem Bewusstsein vor sich geht, geschweige denn, was überall in der Welt oder sogar im Universum geschieht. Erkenne ich jedoch mehr und mehr die Grundstrukturen, Muster und »Spiel«regeln, nach denen die Phänomene (und Ereignisse) meines (und des) Lebens ablaufen, dann vertieft sich mein Verständnis darüber, und es erweitern sich meine gestalterischen Freiheiten und, damit verbunden, auch meine Bewusstheit und Verantwortung. Dies ist das Ziel aller Wissenschaft und Erkenntnis. Es nimmt dem Leben nichts von seiner Vielfalt, Buntheit, Freiheit und seinem Mysterium, doch es erhellt den Bereich, den wir verstehen können, und verhilft uns dazu, unser Leben und unsere Welt schöner, verantwortlicher, solidarischer und auch nachhaltiger zu gestalten.

Individuell

Innerlich

Von vielen Zuschreibungen ist das Etikett des Philosophen für Wilber sicher das häufigste. Als solcher macht er das, was alle Philosophen und Philosophinnen zu allen Zeiten getan haben: Sie sind bemüht, sich selbst und ihren Mitmenschen die Welt, in der sie leben, zu erklären. Wilber ist da keine Ausnahme, und seine integrale Theorie ist das Modell seiner Weltbeschreibung. Was heutigen und zukünftigen Philosophen dabei zugute kommt, ist eine Verfügbarkeit von Wissen per Mausklick, das zu früheren Zeiten undenkbar war. Jetzt geht es, so könnte man salopp formulieren, nur noch darum, dieses Wissen zu ordnen und Muster, Strukturen und Zusammenhänge darin zu erkennen. Und darin hat es Wilber zur Meisterschaft gebracht. Stellen wir uns ein Spiel vor, dessen Regeln wir nicht kennen, wie z.B. das Spiel des american football. Wir schauen zu, sehen, wie sich die Spieler bewegen, und den noch sehen wir nur einen bunten Ablauf von Ereignissen. Wir bemerken Tausende von Einzelheiten, verstehen das Spiel jedoch nicht und kommen vielleicht auch gar nicht auf die Idee, dass darin ein tieferer Sinn (oder eine Ordnung) verborgen liegt. Vielleicht wundern wir uns über bestimmte wiederkehrende Ereignisse, Regelmäßigkeiten und eine Art geheimnisvoller Regie und fragen uns, ob nicht doch mehr dahinter steckt als nur ein bunter Reigen von Ereignissen. Dieses Wundern und die Suche nach den verborgenen Regeln und Mustern nicht nur eines Spiels, sondern der Manifestation insgesamt mit all ihren Aspekten, ist das, was Wilbers Arbeit ausmacht.

unterschiedlichsten Erkenntnisdisziplinen dazu bereits geleistet haben, um dann zu schauen, wie alle diese Welt- oder Seinserklärungsmodelle, derer Wilber habhaft werden konnte, zusammenhängen (falls sie es überhaupt tun). In einer enormen Differenzierungsleistung hat er in einer »integralen« Synthese Zusammenhänge entdeckt, die so und in dieser Zusammenschau bisher noch von niemandem beschrieben wurden. Wozu soll das gut sein, könnte man fragen? »Es macht einfach mehr Spaß, an einem Spiel teilzunehmen, dessen Regeln man kennt«, könnte die Antwort lauten. Und das gilt für alle Spiele, unabhängig davon, ob das Spiel nun »american football«, »zwischenmenschliche Beziehung«, »Spiritualität«, »Weltwirtschaftssystem«, »Politik«, »Konflikt«, »Sinn des Lebens«, »Ökologie« oder anders heißt. So gesehen ist Wilbers Arbeit ein Projekt der Freude, der Freude am Dasein und an der be-

Der Mensch ist ein bewusstes und empfindendes Wesen

Der Mensch ist ein biologisches Verhaltensobjekt

Der Mensch ist ein soziales Beziehungswesen

Der Mensch ist Teil von Systemen (Umwelt, Ökologie, Wirtschaft, Politik

Äußerlich

ARTWORK: CHRISTINA V. PUTTKAMER

Integraler Philosoph

Kollektiv Abb. 2: Vier Menschenbilder

AQAL Ken Wilber unterscheidet in seiner integralen Theorie und Praxis fünf Elemente, die er mit AQAL (all quadrants, all levels) abkürzt: »alle Quadranten, alle Entwicklungsebenen, alle Entwicklungslinien, alle Zustände, alle Typen«. Dies sind fünf Wirklichkeitskategorien des Wissens und Seins, die nach Wilber das Mindeste sind, was benötigt wird, um Wirklichkeit verstehen zu können. Stellen wir sie nacheinander vor, ohne dabei zu vergessen, dass diese fünf Hintergrundstrukturen in jedem Augenblick unseres Lebens miteinander zusammenwirken. Beginnen wir mit den Quadranten (Abb. 1). Aus der einfachen Unterscheidung von innerlich/äußerlich und individuell/kollektiv ergeben sich vier »Quadranten«, die laut Wilber von Anfang an eine Grundstruktur von Manifestation darstellen: Wo ein Innen ist, da ist auch ein Außen (und umgekehrt), und wo etwas Individuelles ist, da gibt es auch etwas Kollektiv-Gemeinschaftliches (und umgekehrt). Diese Quadranten sind sowohl die Grundperspektiven, mit denen Menschen und alle Lebewesen Welt wahrnehmen, und sie sind gleichzeitig vier Grundperspektiven, mit denen auf »alles« geschaut wird. Auf einen Menschen angewendet, ergeben sich daraus vier Menschenbilder (Abb. 2). Welches ist richtig? Im Kontext der Integralen Theorie sind alle richtig, wenn auch nur teilweise, und es geht darum, sie miteinander zu verbinden. Folgerichtig lassen sich danach auch – nach Wilber – alle Erkenntnisweisen der Menschheit zuordnen und als gleichberechtigt betrachten, als unterschiedliche Erkenntniswege zu einer Wirklichkeit. Damit werden Absolutismen wie Subjektivismus (»mein Bewusstsein bestimmt die Welt«), Objektivismus und Atomismus (»nur Materie ist wirklich real«), extremer Konstruktivismus (»alles Wissen ist relativ, weil kulturell konstruiert«) und Systemismus (»alles ist System«) vermieden (Abb. 3).

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KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Physik, Chemie Biologie Neurologie Verhaltensforschung

Hermeneutik Kulturelle Soziologie

System wissenschaften Ökonomie Ökologie

Kollektiv Abb. 3: Quadranten als Erkenntnisperspektiven

Neben den unterschiedlichen »Linien« von Entwicklung spricht Wilber auch noch von »Ebenen« als dem gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Linien. Man hat beispielsweise herausgefunden, dass sich bei aller Unterschiedlichkeit die meisten Kompetenzen der Menschen in einer Ebenen-Folge präkonventionell – konventionell – transkonventionell entfalten. Zuerst machen wir etwas irgendwie (z. B. Sprechen als Brabbeln), dann lernen wir das Sprechen so, wie wir es gesagt bekommen, und dann können wireine weitergehende und über das Gelernte hinausgehende eigene Sprachkompetenz entwickeln.

Individuell

Äußerlich

Die »vier Quadranten« sind sehr verbreitet. Gibt man »quadrants« in Google ein, erscheint dort unter »Bilder« eine Vielzahl von Quadrantendarstellungen. Menschen betrachten ihr Leben und ihre Arbeit durch diese Perspektiven und erleben dadurch vielfältige Bereicherungen. Ein sehr direkter Zugang ist das Hineinspüren in Fragestellungen wie: • Wie geht es mir mit mir selbst? (Wie geht es mir damit, ein empfindendes Wesen zu sein?) • Wie geht es mir mit anderen? (Wie geht es mir damit, ein Mensch-in-Beziehungen zu sein?) • Wie geht es mir mit meinem Körper und meinem Verhalten? • Wie geht es mir damit, Teil von Systemen zu sein (Lebens- und Arbeitssituation, Wirtschaft, Politik usw.)?

a. nicht nur eine Entwicklung gibt, sondern wir uns b. in unterschiedlichen Kompetenzen (und Intelligenzen) entwickeln (wie Identität, Kognition, Verhalten, Ethik usw.), und dass auch das Phänomen Entwicklung individuell/kollektiv und innerlich/äußerlich zu unterscheiden ist. Alle vier Aspekte, als eine c. weitere Erkenntnis, beeinflussen sich wechselseitig und entwickeln sich miteinander in einer »Tetra-Evolution«.

Innerlich

Phänomenologie Psychologie Strukturalismus

Äußerlich

Innerlich

Individuell

Entwicklung Die Bedeutung des Themas Entwicklung, vor allem der Bewusstseinsentwicklung, wurde durch Wilbers Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Viele Menschen kennen mittlerweile die »Farben« von Entwicklungsmodellen wie Spiral Dynamics, was zum Teil zu sehr oberflächlichen und auch unverantwortlichen Zuordnungen führt. So werden z.B. Menschen, die die Bedeutung von Familie betonen, schnell als »blau« charakterisiert, da blau im Modell von Spiral Dynamics die Farbe ist, die für traditionelle Werte steht. Bei aller Kritik eines allzu leichtfertigen Umgangs mit dem Thema bleibt doch die Bedeutung festzuhalten, welche die Einbeziehung des Entwicklungsaspektes für alle Themen des Wissens und Seins hat. Wir sind sich entwickelnde Wesen in einem sich entwickelnden Universum, und das gilt es (auch) zu verstehen und zu berücksichtigen. Die Verbindung von Quadranten/Perspektiven und Entwicklung führt zu Darstellungen wie Abb. 4, aus der ersichtlich ist, dass es

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Kollektiv Abb. 4: Quadranten und Entwicklung

Typen Typen werden nicht annähernd so oft erwähnt wie Quadranten und Entwicklung, doch sie sind als Basiskategorie gleichermaßen wichtig, weil Typen (oder Typologien) uns daran erinnern, dass Wirklichkeit nicht nur hierarchisch (oder besser holarchisch), sondern auch heterarchisch aufgebaut ist. Während wir bei echten Entwicklungsabfolgen von »mehr oder weniger komplex« oder »mehr oder weniger bewusst« sprechen können, sind Typen gleichberechtigt, gleichwertig und anders, aber nicht besser oder schlechter. Typen werden in Merkmalsausprägungen unterschieden, z. B: 2er Typologien wie Yin/Yang, maskulin/feminin, introvertiert/extrovertiert

3er Typologien wie Das Wahre/Schöne/Gute, die Dreifaltigkeit Gottes, die ayurvedischen Ernährungstypen vatta, pitta und kapha 4er Typologien wie die Elemente, die Himmelsrichtungen 5er Typologien wie die fünf chinesischen Elemente 7er Typologien wie Wochentage 8er Typologie wie Myers Briggs 9er Typologien wie das Enneagramm 12er Typologien wie Astrologie 38er Typologie wie Bachblüten Es gibt nicht die integrale Typologie, sondern die integrale Theorie und Praxis macht sich den teilweise schon sehr alten Erfahrungsschatz von Typisierungen der Menschheit zunutze und setzt Typen je nach Aufgabenstellung ein. Auch Typen lassen sich durch die Quadranten betrachten, und es gibt Typen in allen Quadraten. Die Unterscheidung von Vertikale (Entwicklung) und Horizontale (Typen) ist wesentlich für ein Weltverständnis und bestimmt (meist unreflektiert) weite Teile gesellschaftlicher Kontroversen. Was ist besser/schlechter, und was ist lediglich anders und alternativ? Wenn aus echten Typen (wie Hautfarben) Hierarchien gemacht werden, entstehen Rassismen und Totalitarismen jeglicher Art, und wenn aus echten Hierarchien Typen gemacht werden, ist das Ergebnis Egalitarismus (Mitgefühl ist dann nicht besser als Mord, sondern lediglich anders und alternativ). Die integrale Theorie strebt die Vermeidung von beidem an.

Zustände Während Quadranten, Entwicklung und Typen für allgemeine Kategorien stehen, erinnert uns das fünfte AQAL-Element »Zustände« (engl. states) daran, dass sich in all diesen Kategorien Inhalte befinden, die wir auch schon angesprochen haben. Zustände stehen für die Veränderlichkeit und das »alles fließt« eines sich entwickelnden Universums von Augenblick zu Augenblick, innerlich und äußerlich, individuell und kollektiv,

Es geht bei Wilber nicht darum, »alles« zu wissen. Wie sollte das auch gehen?

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KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Wie kannst du jemals ohne diesen Geist gewesen sein, der gerade jetzt diesen Satz liest?

Wie geht es weiter? Die Publikationen Wilbers, insbesondere sein integrales Modell, haben eine enorme Verbreitung gefunden und zu einer Vielzahl von anwendungsorientierten Veröffentlichungen geführt, auch im deutschsprachigen Raum. Ob »Integrale Beziehungen«, »Integrale Medizin«, »Integrales Tantra«, »Integrale Politik« oder »Integrales Business«, unzählige Menschen sind durch Wilbers Arbeit inspiriert und nutzen die von ihm formulierten Modelle für ihr Leben. Parallel dazu wächst, wenn auch noch im Verborgenen, ein akademisches Interesse daran, und hin und wieder wird Wilber auch durch den Mainstream wahrgenommen. Aufgrund einer Stoffwechselerkrankung wird Wilber selbst voraussichtlich keine neuen Bücher mehr veröffentlichen können. Es liegt jetzt, nach seinen Worten, an uns, die integrale Theorie und Praxis weiter voranzubringen. Die Veröffentlichungsreihe in der Connection ist ein weiterer Schritt dazu.

»Göttlichkeit hat ein letztes Geheimnis, welches sie jedem ins Ohr flüstert, wenn der Geist ruhiger wird als Nebel bei Sonnenuntergang: Der Gott dieser Welt wird innen gefunden, und du weißt, dass er innen gefunden wird – in jenen lautlosen stillen Augenblicken, wenn der Geist sich beruhigt, der Körper sich in der Unendlichkeit entspannt und die Sinne sich ausdehnen, um eins mit der Welt zu werden – in jenen schimmernden Augenblicken treten ein subtiles Leuchten, ein heiterer Glanz, eine brillant transparente Klarheit hervor, als die wahre Natur aller Manifestation, immer und immer wieder herausbrechend, in einem mitfüh lenden Glanz, vor dem sich alle Vorbilder zurückziehen, eine Liebe, die so unbändig ist, dass sie sowohl Licht als auch Dunkel, Gut als auch Böse, Vergnügen und Schmerz gleichermaßen in Bewunderung umarmt.

Ist das alles? Das bist du! Nehmen wir an, die von Wilber entwickelte integrale Landkarte, oder auch ein anderer Versuch von Wirklichkeitsbeschreibung, wäre in etwa ein zeitgemäßes Instrument, Wirklichkeit umfassend zu beschreiben, und nehmen wir weiterhin an, es gelingt durch eine kritische Diskussion und Forschung, die Landkarte und die Praxis weiterzuentwickeln und mit dem Wissensfortschritt auf dem jeweils aktuellen Stand einer Zeit zu halten – ist das alles, was es zu erkennen gilt, oder ist da noch etwas anderes? Bereits in seinem ersten Buch Spektrum des Bewusstseins hat Wilber, der selber seit Jahrzehnten ein spirituell Praktizierender ist, darauf hingewiesen, dass die Welt der Formen und Manifestationen lediglich eine Seite einer nicht-dualen Medaille ist, deren andere Seite die der Leerheit oder Absolutheit ist, welche sich jeder Kategorisierung, einschließlich dieser, entzieht. Mit einem Hinweis auf dieses Unnennbare im O-Ton von Ken Wilber möchten wir diese Einführung beschließen:

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hat der Geist verstanden, wenn du das nicht verstehst, dann ist es der Geist, der nicht versteht. Verstehe es oder auch nicht, gerade das ist Geist. Die erstaunliche, geheime und letzte Wahrheit beginnt heraufzudämmern: Der erleuchtete Geist – der reine Geist selbst – ist nicht schwer zu erlangen, sondern unmöglich zu vermeiden. Wie kannst du jemals ohne diesen Geist gewesen sein, der gerade jetzt diesen Satz liest? Zeige mir das Selbst, das du vor dem Urknall hattest, und ich werde dir den Geist des gesamten Kosmos zeigen. Und dieser reine, zeitlose, formlose Geist: Das bist du!«

[

in unterschiedlichen typologischen Ausprägungen. Wilber unterscheidet a. phänomenologische Zustände (wie Freude, Trauer, Langeweile usw.), physiologische Zustände und systemische Zustände b. außergewöhnliche Zustände (die als Ergebnis bestimmter Methoden wie Medi tation oder Extremsport eintreten und c. die Hauptzustände des Seins mit Wachen, Träumen und traumlosen Tiefschlaf. Diese in der Erläuterung etwas trockenen fünf AQAL-Kategorien werden in der Anwendung auf konkrete Themen, wie sie im Rahmen dieser Veröffentlichungsreihe der Connection vorgesehen ist, sehr viel lebendiger werden.

Die Hinweise, Gott zu finden, sind einfach: Entspanne Geist und Körper; schau mit Verehrung und Hingabe in das Herz; fühle die Strahlung von Licht und Liebe, die deinen ganzen Körper und deinen gesamten Geist durchdringt, und in aller Natur und jeder Nation überall ist. Ein Strom von leuchtendem Mitgefühl erschafft und erhält den gesamten grobstofflichen und manifesten Bereich, ein Strom mit sehr vielen Namen – der Heilige Geist, Sambhogakaya, Saguna Brahman, Arwah oder die göttliche Luminosität, Keter, der subtile Körper. Es ist ein Strom, der über all einfach der Klang deines schlagenden Herzens ist, in Einklang mit dem Pulsieren der Welt. Du kannst nicht nach diesem Geist (engl. spirit, im Gegensatz zu mind) Ausschau halten, denn er ist es, der schaut. Du kannst diesen Geist nicht sehen, denn er ist es, der sieht. Du kannst diesen Geist nicht finden, denn er ist es, der findet. Wenn du das verstehst, dann

Quellen und Hinweise deutschsprachig: • Zu Ken Wilber: www.integralesleben.org/il-home/ il-integrales-leben/ken-wilber/ • Zu Wilbers Gesundheit: www.integralesleben.org/ il-home/il-integrales-leben/ken-wilber/ken-wilberueber/seine-gesundheit/ • Glossar zum Integralen: www.integralesleben.org/fileadmin/user_upload/ INTEGRALES_LEBEN/Grundlagen/IF-Was_ist_integral_ Glossar.pdf • Grundlagen des Integralen: www.integralesleben.org/ il-home/il-integrales-leben/grundlagen-desintegralen/ • Pointing out Instruktion »Von dir zur Unendlichkeit ...«: www.integralesleben.org/il-home/il-integralesleben/meditation/meditation-interaktiv/ • englischsprachig: Ken Wilbers Homepage: www.kenwilber.com/ IntegralLife: www.integrallife.com/ In unseren folgenden Ausgaben schreiben Katharina Ceming und Michael Habecker über die Themen: Spiritualität, Lehrer/innen, Psychologie, Wirtschaft und Geld und Sexualität, jeweils aus integraler Perspektive. Auch andere Beiträge von Connection werden sich, speziell im Jahr 2013, mit dem Integralen befassen – nicht durchgehend, aber immer wieder.

MICHAEL HABECKER, Autor, Seminarleiter, Musiker und Pädagoge. Langjährige Beschäftigung mit der integralen Theorie und Praxis. Co-Autor des Buches Wissen, Weisheit, Wirklichkeit. PROF. DR. DR. KATHARINA CEMING, Jg. 70, promovierte in Philosophie zu Meister Eckhart und Johann Gottlieb Fichte und in Theologie zum Verhältnis von Menschenrechten und Religion. 2008 erhielt sie den Mystikpreis der Theophrastus Stiftung. Sie lebt als freie Seminarleiterin und Publizistin in Augsburg. www.quelle-des-guten-lebens.de

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SUFISMUS

Blick in das

Tanztheater Warrior Soul, Theater Belacqua, Wasserburg am Inn, 2006

Große Mysterium Ein bayerischer Sufi lehrt Körperkunst und liebt den Humor In den christlichen Kulturen wird das Bild eines aggressiven Islam gepflegt als eine Bedrohung für den liberalen Westen. Dieses Bild passt aber nur auf eine kleine Minderheit von Muslimen. Verkannt wird dabei, dass zum Islam auch die Sufis gehören, ein mystischer Zweig dieser großen Weltkultur, der auch in Deutschland durch einige Zentren vertreten ist. Eines davon ist die im Chiemgau ansässige El Haddawi Schule für Tanz, Kampfkunst und Körperarbeit, die von Ingo Taleb-Rashid geleitet wird, einem aus dem Irak stammenden Sufi-Sheikh in ununterbrochener Familienlinie seit etwa 1400 Jahren

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WOLF SCHNEIDER SPRACH MIT DEM SUFI-SHEIKH INGO TALEB-RASHID

?

Hallo Rashid, du bist in Bayern aufgewachsen als Sohn einer polnischen Mutter und eines aus dem Irak eingewanderten Vaters – was für eine interessante Mischung! Wo ist, mit diesen so diversen Wurzeln, heute deine kulturelle Heimat? Meine Mutter ist deutsch-polnischer Herkunft, aber in Polen zur Welt gekommen und aufgewachsen. Die Familie meines Vaters hat zum Teil Wurzeln in Zentralasien. Die Stadt Buchara in Usbekistan ist da ein wichtiger Bezugspunkt für uns.

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SUFISMUS

ALLE FOTOS © INGO TALEB-RASHID

Kulturell fühle ich mich in Bayern zu Hause. Ich bin in München zur Welt gekommen und zu einem großen Teil hier aufgewachsen. Im Rest Deutschlands erkennt man mich anhand meines Dialektes meist als Bayer. Das ist aber nur ein Teil von mir. Auch die Kultur, Spiritualität und Atmosphäre des Nahen Ostens haben für mich eine sehr starke heimatliche Qualität. Ich habe einen Teil meiner Kindheit in Bagdad verbracht und als junger Erwachsener einige Zeit im Nahen Osten. Darüber hinaus habe ich einige Zeit in Japan und einige Zeit in Brasilien gelebt. Zwei sehr gegensätzliche Orte, die beide für mich ebenso das Gefühl von Heimat beinhalten. Eigentlich fühle ich mich als Weltbürger. Deine Verortung als Weltbürger ist mir sehr sym pathisch, und auch das Spezifische: der Bezug zu Bayern, zum Nahen Osten, zu Japan und zu Brasilien. Und ich weiß, dass du Zen magst und praktizierst, außerdem die brasilianische Art das Leben zu feiern sehr schätzt und ein sehr freiheitlicher Geist bist – wie passt das damit zusammen, dass du Moslem bist? Was bedeutet das für dich? Warum soll ein Moslem nicht gerne feiern, Zen praktizieren, mit einem Bier am Chinesischen Turm sitzen und vieles mehr? Hier stellt sich die Frage: Was ist ein Moslem? Dazu ein kurzer Ausflug in die arabische Sprache: Diese ist auf Konsonanten aufgebaut. Die Vokale dazu ergeben dann verschiedene Bedeutungen innerhalb einer Wortfamilie. Das Wort Moslem, auf Arabisch Muslim geschrieben, besteht aus den Konsonanten S L M und einer Vorsilbe »Mu«. Die drei

»Im Koran wird in etwa 70 Prozent der Textstellen mit ›Muslim‹ ein Mensch benannt, der nach Entwicklung strebt«

Konsonanten kommen auch in dem Wort SaLaM vor, das ist das Wort für Frieden (auf Hebräisch ähnlich »SHaLoM«), oder auch in iSLaM – Hingabe an den Frieden und an das Göttliche. MuSLiM is jemand, der so gut wie möglich versucht, sich dem Frieden hinzugeben und sich zu entwickeln. Das bedeutet in erster Linie, Frieden in sich und für sich selber zu suchen. In diesem Sinne fühle ich mich als MuSLiM. Im Koran wird in etwa 70 Prozent der Textstellen mit »Muslim« ein Mensch benannt, der nach Entwicklung strebt. Damit ist nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten oder »richtigen« Religion verbunden. In diesem Sinne kann ich auch Buddhisten, Juden, Christen, oder Menschen ohne bestimmte Religion als Muslime verstehen. Ein guter Freund von mir in Japan ist Shinto-Priester. Er hat mir erklärt, dass es im Shinto Millio-

nen von Göttern gibt. Ich habe ihm dann im Scherz geantwortet: Wir haben nur einen Gott! Doch darauf kommt es nicht an ... Das Göttliche liegt wohl jenseits dieser Kategorien. Bei euch hat Gott immerhin 99 Namen! Die Facetten des Göttlichen, denen in der antiken griechischen oder heutigen indischen Götterwelt eigene Figuren gegeben wurden. Und: 70 Prozent, das ist immerhin schon ganz schön viel! Ich weiß nicht, wie gut das alte Testament der Bibel dabei abschneiden würde. Aber jetzt mal wieder zurück zu dir: Du leitest als Naqshbandi SufiSheik die El-Haddawi-Schule im Chiemgau, die nicht nur sufische Atem- und Ekstase-Techniken anbietet, sondern auch Körperarbeit, Tanz und Martial Arts. Warum so viel Körper? Die 99 Namen sind ein Symbol für unendlich weitere Eigenschaften des Göttlichen. Den Vergleich mit der griechischen und indischen Götterwelt finde ich sehr treffend. Nun zur Frage nach dem Körper: Ich stamme aus der Naqshbandi-Rashidiya Sufi-Tradition. Diese ist eine Linie innerhalb der weit läufigen Naqshbandi-Tradition. Die technische Eigenart der Naqshbandi ist die Meditation und Atemarbeit in der Stille. Dazu kommt die spezielle Ausprägung unserer Linie, die Körperarbeit, oder etwas poetischer gesagt: die Körperkunst. Wir sprechen in unserer Tradition von drei Toren zur Heilung oder Ganzwerdung: Körper, Energie und Geist. Alle diese drei Komponenten sind mit dem Atem verbunden. Unser Körper ist das Eintrittstor, über das jede Form von Entwicklung geschieht. Es gibt keinen Vorgang in uns, der nicht auch

Gassan Festival, Dewa-San-Zan, Japan, 2005

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SUFISMUS

Diamond Approach Quasar Seminar VII »Unser Körper ist das

DELIGHT OF BEING

Eintrittstor, über das jede Form von Entwicklung geschieht«

A. H. Almaas Karen Johnson ein körperlicher Vorgang ist. Über Jahrtausende hat der Sufismus Techniken entwickelt, die uns helfen, das Potential unseres Körpers auszuschöpfen und mit diesem »Tempel«, der er ja eigentlich ist, heilsam und kreativ umzugehen. So sind auch die Atem- und Meditationstechniken Körperübungen. Darüber hinaus gibt es eine große Zahl von so genannten »magischen Schritten und heiligen Tänzen«, die in unserem Training geübt werden. Diese Bewegungsformen werden wie eine Art von Medizin zur Heilungsunterstützung bei verschiedenen körperlichen und seelischen Problemen benutzt. Sie spiegeln die Eigenschaften des Göttlichen wider und manifestieren deren Kraft im Übenden. Schließlich nutzen wir unser Training und machen professionelles Tanztheater. Mit den Aufführungen schaffen wir gemäß sufischer Tradition ein Werkstück, das die Arbeit nach außen sichtbar macht. Jede unserer Tanztheater-Produktionen ist für die Aufführenden eine spirituelle Reise und macht Aspekte dieser Reise für das Publikum zugänglich. Noch ein Wort zu den Ekstase-Techniken. Vielleicht ist dieser Ausdruck etwas ungenau. Im Sufismus sprechen wir von verschie de nen Bewusstseins- oder Präsenzzuständen, die im Arabischen »Hal« genannt werden. Die Bandbreite geht von stiller Versenkung bis zu freudiger Erregung. Gerade mit unserer Tanztheaterarbeit versuchen wir, die Zuschauer an diesen »Hal« teilnehmen zu lassen.

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© Frank Buchner / pixelio

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Tanz, Theater und freudige Ekstase, das grenzt für mich an ein anderes Thema, das in den vergangenen Jahren für mich zu einem zentralen Lebensinhalt geworden ist: Humor. Ich weiß, dass Humor auch für dich eine bedeutende Rolle spielt. Ich glaube, wir haben dazu einen ähnlichen Be-

zug und sind ja damit auch schon ein paar Mal zusammen auf der Bühne gestanden, zum Beispiel im Herbst 2011 in dem durch Doris Dörries Film »Ob’s stürmt oder schneit« berühmt gewordenen »Marias Kino« in Bad Endorf. Der Islam ist nun weithin als humorfeindlich bekannt, insbesondere was Darstellungen von Mohammed anbelangt, im Gegensatz etwa zum Buddhismus, der generell kaum ein Problem damit hat, Witze über Buddha zu machen und ihn auch visuell zu karikieren. Auf der anderen Seite stehen die Sufis mit ihren witzigen Sufi-Geschichten und Figuren wie Mullah Nasruddin, das ist ein so abgründig tiefer Humor, so paradox und urkomisch, ähnlich wie Geschichten und Figuren aus dem Zen und dem Taoismus – wie stehst du als Muslim und aktiver Sufi-Sheik dazu? Für mich gehören Humor und Spiritualität zusammen. Um dem Islam etwas die Stange zu halten, möchte ich erwähnen, dass ich denke, der Islam per se ist nicht humorfeindlicher als andere Hochreligionen. In den Medien werden aber leider immer diejenigen wahrgenommen, die am lautesten schreien. Dazu kommt, dass sich tatsächlich in der islamischen Welt eine Radikalisierung vollzieht, die aber eher kulturelle, historische und machtpolitische Gründe hat, deren Wurzeln in der Kolonialzeit liegen. Wie du mit dem Beispiel von Mullah Nasruddin erwähnt hast, ist Humor im Sufismus

Tanztheater Warrior Soul, Open Look Dance Festival, Sankt Petersburg, Russland, 2009

ein sehr integrierter Teil des menschlichen Daseins. Das gilt übrigens auch für die jüdisch-chassidische Mystik. Der Sufismus fordert den Übenden heraus, einen unüblichen Standpunkt einzunehmen und sich selber mit gesunder Distanz zu sehen. Humor ist hier das Mittel der Wahl. Wir beide haben ja schon öfters auf der Bühne gezeigt, dass wir über uns selber lachen können. Selbstironie scheint mir eine Grundlage für Entwicklung zu sein. In unserem Training in unserer Schule mache ich auch

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SUFISMUS

Nun noch eine Frage zu der Veranstaltung, die du alle Jahre wieder auf der Fraueninsel im Chiemsee abhältst: die »El Haddawi Winterschool«. Sie findet im kommenden Februar nun zum 13. Mal statt – und zur magischen Zahl 13 passend hast du das Thema gewählt: »Mystik und Aberglaube – Spirituelle Führung oder Verführung«. Diesmal bin ja auch ich dort dabei, als Co-Referent und Mitorganisator, und werde mich mit dir zusammen von der Zahl 13 verführen lassen, von unseren Gastdozenten Willigis Jäger, Gisela Drescher und Katja Held ebenso wie vom Charme der weiteren Teilnehmer an dieser Winterschool – Führung und Verführung, das ist ja immer so eine verflixte Sache: Wenn es gut ausgeht, wohin wir mit einem Wegweiser gelangen, nennen wir es Führung, andernfalls – und auch, wenn es schillert – Verführung. Und so ähnlich ist es mit dem Glauben: Den Glauben der anderen, der mir nicht passt, nenne ich »Aberglaube«. Mit dem Glauben ist das so eine Sache: Mir begegnet Aberglaube häufig in der Bühnenarbeit. Man sagt gerne, die zweite Vorstellung am Tag nach der Premiere wird immer besonders schlecht, oder vor der Premiere

»Humor ist im Sufismus ein sehr integrierter Teil des menschlichen Daseins. Das gilt übrigens auch für die jüdisch-chassidische Mystik«

soll man sich nicht viel Glück wünschen und vieles mehr in der Richtung. Die Praxis bestätigt das nicht. Mit Religionen und Spiritualität verhält es sich wohl ähnlich. Die einen glauben an die Geburt von Jesus aus der Jungfrau Maria, der Islam übrigens auch, die anderen halten das für Aberglauben. Die einen trinken das Wasser, in dem die Füße des Meisters gebadet worden sind, die anderen finden diese Vorstellung ekelig. Viele Glaubenssätze und Aberglaubenssätze sind Jahrhunderte alt. Die schöne Vorstellung vom gütigen und stra fenden Himmelsvater mit langem weißem Bart ist in Europa fast schon genetisch verankert.

Vielleicht brauchen wir alle den Mut, einen Schritt in den Raum der Erfahrung zu tun. Der Sufismus wie auch andere Wege der Mystik bieten dazu Techniken und Methoden an. Trotzdem sind wir alle nicht gegen Aberglauben gefeit. Was bedeutet zum Beispiel Erwachen oder Erleuchtung? Da sind große Fallen aufgestellt. Die kann der/die Suchende nur mit gesundem Menschenverstand, Übung, Humor und einer gewissen Demut umgehen. In der Winterschool versuchen wir, diese Problematik zu thematisieren und sowohl Erfahrungen als auch Glaubenssätze auszutauschen. Vielleicht gelingt es uns, unsere Positionen zu relativieren und gemeinsam einen Blick in das große Mysterium zu werfen, das da draußen und auch in uns existiert.

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immer wieder allerlei Unfug. Manchmal verstöre ich damit die Trainierenden, aber häufiger erfreue ich die Menschen, die mit uns üben. Mir selber tut es auch gut. Im Übrigen ist Lachen erwiesenermaßen einfach gesund.

INGO TALEB-RASHID, Jg. 63, ist ein aus dem Irak stammender Sufi-Sheikh und Tanztheater-Regisseur. Connection Spirit 3/2009 enthielt einen Bericht über seine Winterschool. www.elhaddawi.de

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Leben nach

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