jan - märz 2010
#04
Wir müssen reden
Vier / 4 Euro
Jenseits der Stadt: Gegen Urbanität / Gentrification Novel: Rückzug nach Brooklyn / Tocotronic: Ein schleichendes Gift / Stadt und Sound: Detroit / Gisela Elsner: Humoristin des Monströsen / Stadt und Film: Hadeslandschaft / Utopische Architektur: Wer bewohnt Arkadien?
Stadt
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Politik –– Ein schleichendes Gift
EIN SCHLEICHENDES machen Opposition, im Zweifel GIFT Sie gegen sich selbst. Tocotronic forder-
ten die Lüge, feierten die Kapitulation und verlangen jetzt danach, sich selbst zu zertrümmern. Ein Gespräch über die Krise der Subversion, gebildete Popmusik und Humor.
Text — RASMUS ENGLER & LASSE KOCH, Fotos — © SABINE REITMEIER
Politik – Ein schleichendes Gift
— Es fällt auf, dass sich euer neues Album „Schall & Wahn“ in den Texten vornehmlich mit Themen wie Zerfall, Wahnsinn und Verschwörung auseinandersetzt – wobei es musikalisch und, was den Sound betrifft, das wärmste und zugänglichste Werk der letzten Jahre ist. Dirk von Lowtzow : Ich hätte gedacht, dass „Schall & Wahn“ unzugänglicher ist als beispielsweise unser letztes Album „Kapitulation“. Zum einen auf der Textebene – „Kapitulation“ hat einem ja noch stark diese Botschaften vor den Latz geknallt –, aber auch insgesamt empfinde ich „Schall & Wahn“ als sehr divers. Wir beginnen mit einem langen Stück, das Aufmerksamkeit erfordert. Ich denke, das Album entwickelt eine eher suggestive Wirkung, es nimmt einen irgendwie mit, zieht einen rein. Diese Art der Zugänglichkeit finde ich sehr schön. Das ist uns und vor allem unserem Produzenten Moses Schneider gut gelungen.
— Wenn man sich einen eurer Hörer vorstellt, wie er durch die Gegend läuft und „Mach es nicht selbst“ summt … D. v. L : Das ist natürlich witzig.
— Wir finden daran diese Widersprüchlichkeit interessant: Der souveräne, mit einer gewissen Lässigkeit vorgetragene Indie-Rock prallt auf eine textlich-inhaltliche Ebene, die Zweifel und Verweigerung geradezu programmatisch einfordert. So entsteht das Gefühl, als funktioniere eure Kunst strategisch, wie eine Art Trojaner. Erst schleicht sie sich ein, dann wird einem bewusst, was da eigentlich gesungen wird. Das hat fast etwas Zersetzendes. Arne Zank : Es ist weniger eine Strategie oder ein Konzept, sondern eher ein Automatismus, der sich häufig bei uns einstellt. Man denkt Musik und Text widersprüchlich zusammen, und das setzt dann eine spezielle Dynamik frei. Man erzeugt bewusst Brüche und geht in die Extreme, oder einfacher ausgedrückt: Ein trauriger Text mag vielleicht besser funktionieren mit einer fröhlichen Musik. Ich glaube, diese gegensätzliche, dialektische Herangehensweise öffnet unsere Stücke, man durchschaut sie nicht sofort. Deshalb ist das Bild vom Trojaner gar nicht so falsch. Vielleicht schmuggelt man so tatsächlich Inhalte oder Botschaften in die Hörerinnen und Hörer ein. Aber nicht als Teil einer Strategie, sondern als Resultat eines Automatismus, der uns eingeschrieben ist. D. v. L : Das Wort „zersetzend“ ist ganz schön, da denke ich an Giftschrank, an Bücher im Giftschrank einer Bibliothek, das finde ich als Idee ganz hübsch. Aber was in eurer Frage mitschwingt, das ist der Gedanke der Subversion, und da wäre ich grundsätzlich sehr vorsichtig. Man kann ja machen, was man will, der Markt- oder Warenförmigkeit der Sache ist doch nicht zu entgehen. Dann stellt sich die Frage, inwieweit Rock- oder Popmusik überhaupt subversiv sein kann. Wahnsinnig viel schimpft sich heute subversiv, zum Beispiel Lady Gaga, wogegen ich überhaupt nichts habe – es ist schlicht zu einem sehr gebräuchlichen Wort geworden. Wenn Firmen Marketingaktionen durchführen, irgendwelche Zigaretten im Park verbuddelt werden und Leute sie suchen müssen, wird das als subversiv bezeichnet. In Bezug auf unsere Musik finde ich den altmodischen Begriff der Giftschrankliteratur eigentlich ganz schön.
13 Jan Müller : Wirklich subversiv zu sein ist eine sehr große Leistung. Würde man das von sich selber behaupten, wäre man entweder sehr eitel oder ein ziemlicher Trottel.
— Das heißt, solche Marketingstrategien vereinnahmen Subversivität über ihre Parolenhaftigkeit und Plakativität. Bei euch hingegen meint man, eine verstärkte Hinwendung zu Brüchen und Widersprüchen erkennen zu können … D. v. L : Wir werden oft direkter danach gefragt, inwiefern wir uns als politische Band verstehen. Ich denke, dass ganz bestimmte Anforderungen erfüllt sein müssen – vielleicht gar nicht unbedingt qualitativ, sondern auch zeitlich oder territorial – damit Kunst im weitesten Sinne politisch wird. Wobei ich ganz gezielt „wird“ sage statt „ist“. Es ist sehr schwierig, von vornherein zu postulieren, ein Stück sei politisch, weil es sich auf dem Feld der Politik ansiedelt, ein anderes eben unpolitisch, weil es sich mit ästhetischer Erfahrung, dem Feld der Liebe und der Gefühle beschäftigt. Es gibt viele Lieder, die einen eminent politischen Gehalt haben, obwohl man sie aufgrund der Art und Weise, wie sie erzählt oder strukturiert sind, ganz klassisch als Lovesongs bezeichnen würde. J. M : Ich finde es eher schwierig, Politik zu vermeiden. Gerade wenn sich irgendwelche Popbands demonstrativ unpolitisch geben, hat das ja oft eine subtile politische Botschaft. D. v. L : Natürlich würde ich unsere Stücke nicht als Bekenntnisse von Unpolitischen bezeichnen, um das mit Thomas Mann zu sagen, das wäre ja eine fast schon reaktionäre Haltung. Ich denke, hier ist es ähnlich wie beim Begriff der Subversion: Apostrophiert man sich selbst als politisch, ist man es meistens schon nicht mehr.
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Politik – Ein schleichendes Gift
— In eher linken Medien liest man oft vom Vorwurf des Eskapismus, des Rückzugs vom Politischen. Es wird behauptet, bei euch sei eine Haltlosigkeit entstanden … D. v. L : Mit den Begriffen Eskapismus und Subversion wird ein wahnsinniges Schindluder getrieben. Wenn man aber bewusst mit Motiven spielt, die beispielsweise gemeinhin dem Feld des Phantastischen zugeordnet werden, dann ist das noch lange nicht eskapistisch. J. M : Diese Kritik wurde insbesondere zu „Pure Vernunft darf niemals siegen“ geäußert und ich betrachte sie als Vereinnahmung. Das ist auf einer anderen Ebene genau das Gleiche, als ob uns nach einem Konzert jemand fragt, warum wir unsere Trainingsjacken nicht mehr tragen. Man ist ja nicht in irgendeiner Partei und muss deren Linie vertreten. Wir sind eine Band und machen das, was uns künstlerisch interessiert. D. v. L : Außerdem steckt darin eine sehr antiliterarische Komponente. Aufgehängt hat sich die Kritik ja häufig an unserem Faible für eine Literatur wie die H. P. Lovecrafts. In ihrer Komposition sind Lovecrafts Geschichten allerdings auf eine gewisse Art sehr antihierarchisch, ihre Erzählstruktur hat durchaus etwas Politisches.
— Also ist diese Kritik hängengeblieben an den von euch verwendeten Bildern und hat nicht erkannt, wie ihr diese verhandelt?
R. Mc. P : Das ist aber auch gut geschrieben. D. v. L : Es kommt insgesamt ganz stark auf die Machart an.
D. v. L : Wir proklamieren ja die ganze Zeit die Flucht aus sich selber heraus. Das, was uns heute als Eskapismus begegnet, bedeutet das Gegenteil, da findet eine Flucht ins Selbst statt. Der heutige Eskapismus ist eine Ideologie, die stark auf das Subjekt bezogen ist, die einfordert, dass man ganz bei sich sein soll.
— Möglicherweise entsteht ein weiteres Rezeptionsproblem dadurch, dass häufig die künstlerische Vermittlung nicht mitgedacht wird. Ein Text-Ich wird oftmals gar nicht mehr als Kunstfigur wahrgenommen, sondern sofort auf den Autor bezogen. D. v. L : Das kommt noch dazu.
— Es scheint ja durchaus so etwas zu existieren wie eine Sehnsucht nach Authentizität – vielleicht korrespondiert diese sogar mit der Ideologie des Bei-sich-sein-Sollens, von der du gerade gesprochen hast – und es gibt genügend Bands, die diesem Wunsch gerecht zu werden scheinen ... D. v. L : Bestimmt benutzen viele Bands das unvermittelt Autobiografische als Stilmittel. Für uns ist das aber nichts. Rick McPhail: Ich finde das oft langweilig. Das Leben eines kleinen Indie-Rockstars ist nicht interessant. Ich gehe auch jeden Tag einkaufen, who the fuck cares. D. v. L : Aber auch hier gibt es sehr interessante Sachen, Neil Young fällt mir spontan ein, dem Will Oldham beispielsweise auch vorwirft, sein Werk sei zu autobiografisch. Manchmal finde ich dieses ganz einfach Gesagte bei Neil Young oder bei Jonathan Richman, der dann über seine Lieblingsbiermarke singt oder über Pizza, total entwaffnend. Gerade weil es so unvermittelt ist, wird das dann wieder zur Kunst.
J. M : In dieser Frage gibt es einfach keine allgemeingültigen Regeln, da wäre man ja sehr schnell dabei, andere zu gängeln. Als Beispiel aus der Literatur fällt mir Wolfgang Welt ein, der die banalsten Alltagserlebnisse verarbeitet. Trotzdem ist das ganz große Kunst. Aber wir fühlten uns halt schon immer missverstanden, wenn unsere Stücke rezipiert wurden, als berichteten wir ausschließlich aus unserem Leben. Deshalb haben wir mit unserem Album „K.O.O.K“ damals die Notbremse gezogen. Ich denke, unsere Allergie auf den Begriff „Authentizität“ ist auch auf dieses Missverständnis zurückzuführen. A. Z : In den Indie-Rock oder in die Rockmusik an sich ist etwas sehr Authentisches eingeschrieben. Gerade dann, wenn sie deutschsprachig ist, wenn da also in der eigenen Sprache gesungen wird, entsteht erstmal so eine komische Nähe. Darauf versuchen wir natürlich zu reagieren.
— Auf „Schall & Wahn“ hat sich eure Sprache weiter verdichtet, wodurch das artifizielle Moment umso stärker zum Tragen kommt. Ist das vielleicht so eine Reaktion, eine bewusste Methode, sich den Unterstellungen des Autobiografischen noch weiter zu entziehen? D. v. L : Ich bin mir nicht sicher, ob eure Beobachtung hier zutreffend ist. Seit Kurzem spielen wir mit „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ wieder ein sehr altes Lied. Ich will mich jetzt nicht selber loben, aber wenn ich dieses Stück heute höre, dann denke ich, dass es ebenfalls eine große sprachliche Dichte hat. Das Lied ist sehr klar, weil es so verknappt ist, weil es auf den Punkt kommt, mit dem Refrain als Fazit. Begriffe tauchen auf, die für Rocktexte der damaligen Zeit total fremdartig waren. Man muss das ja auch im zeitlichen Kontext sehen: Damals war Rockmusik von einer viel stärkeren Verklausulierung bestimmt als es heute der Fall ist. Wir fanden beispielsweise die „Einstür-
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Politik – Ein schleichendes Gift zenden Neubauten“ ganz gut. Deren Spätphase spielte sich ja hauptsächlich auf Theaterbühnen ab, ging ganz stark in Richtung Poetik. Wenn wir dann Stücke geschrieben haben, in denen die Worte „Nuss“ oder „Stracciatella“ vorkamen, hatte das mit dem mephistophelischen, Goetheschen, von mir aus Heiner-Müllerschen Gestus einer Band wie „Einstürzende Neubauten“ überhaupt nichts mehr gemein. So etwas zu singen war provokant, in erster Linie aber irritierend. Wir haben das damals bewusst als Irritationsmoment gewählt. Insofern denke ich, dass die besten unserer älteren Stücke, wenn auch auf eine andere Art, eine ähnliche sprachliche Dichte aufweisen wie unsere aktuellen Lieder – und deshalb ähneln sie sich auch im Effekt der Irritation.
— Waren es damals Begriffe wie „Stracciatella“ oder „Nuss“, die zur Irritation beigetragen haben mögen, fällt auf eurem neuen Album die Verwendung altmodischer Vokabeln auf, zum Beispiel: „Gesichte“. Das hat durchaus auch etwas Erheiterndes. D. v. L : Wenn ich so etwas schreibe, erheitert mich das ehrlich gesagt auch. Formulierungen wie „Gesichte haben“ oder in „Zungen reden“ kennt man ja sonst vielleicht nur aus Litaneien oder der Bibel. Ich finde das grundsätzlich sehr schön. A. Z : Eben. Noch einmal zum Strategischen – ganz oft ist man da bei uns eher einem Witz auf der Spur als einem Konzept. Wenn man auf diese Art Widersprüche erzeugt, dann hat das etwas wahnsinnig Erheiterndes und Fröhliches. Vor allem das Pathos, das man ja mag, das man auch erzeugen möchte, wird dadurch erträglicher.
— Gerade wenn der Humor eine nicht zu unterschätzende Rolle in eurer Musik spielt, wie sehr geht es einem dann auf die Nerven, dass die Feuilletons häufig so eine Interpretationswut entwickeln, dass in Interviews in totaler Ernsthaftigkeit versucht wird, den Bezügen und Bedeutungen einzelner Textpassagen auf den Grund zu gehen? J. M : Vorhin fiel das Stichwort Verdichtung. Wenn wir eine Platte machen, dann versuchen wir, etwas sehr Verdichtetes zu schaffen. Leider gehört es nun einmal zur Promotion dazu, dass man das Ganze dann wieder ein Stück weit zerredet.
nageln, uns so oberlehrerhaft hinzustellen. Dabei weiß ich nicht einmal, ob wir sonderlich gebildet sind. Auch mit Begriffen wie „intellektuell“ kann ich überhaupt nichts anfangen. Wir sind einfach immer relativ stark auf der Lauer nach Dingen, die einen inspirieren. Das können Begegnungen mit Menschen sein, genauso wie die Auseinandersetzung mit bildender Kunst, Literatur oder Film. Im schlechtesten Kinofilm können Ideen stecken, die wir in unser Werk einspeisen, die wir uns auf diese Art und Weise aneignen. Häufig entstehen so unsere Lieder. Mit irgendeiner Form von Bildung hat das überhaupt nichts zu tun.
— Im Stück „Macht es nicht selbst“ setzt ihr euch kritisch mit dem Do-it-yourself-Gedanken auseinander, der ja längst in der Mitte der Gesellschaft angelangt ist. Ursprünglich kommt ihr selbst aus der Independent-Ecke ... D. v. L : Unsere erste Single war damals d.i.y. und wir sind ja auch heute immer noch gezwungen, fast alles selbst zu machen. Insofern ist das auch ein Kommentar, der sich ironisch auf uns bezieht. R. Mc. P. : Ich finde es nervig, wenn aus d.i.y. ein Verkaufsargument gemacht wird: Man soll die Musik mögen, weil alle irgendwie miteinander befreundet sind. Das hat so etwas Niedliches. Immer dieses Persönliche ... D. v. L : Ein Zeitzeichen ist natürlich diese permanente Aufforderung zum Kreativsein. Man soll sich selbst mobilisieren und auch vervollkommnen, da ist man ja ganz schnell bei solchen Horrorgestalten wie Peter Sloterdijk. Die Forderung, man solle alles aus sich selbst schöpfen, schafft nichts anderes als eine zweigeteilte Gesellschaft. Einerseits die Leute, die über das kulturelle und real-existierende Kapital verfügen, und dann diejenigen, die das eben nicht leisten können. In der bildenden Kunst gab es Bewegungen, zum Beispiel „Ready-made“ oder „Minimal Art“, in denen ganz stark auf Serialität Wert gelegt wurde, auf industrielle Fertigung oder eine fast-industrielle Fertigung – eben nicht auf Handarbeit. Das Künstlersubjekt auf diese Art und Weise gewissermaßen zu zertrümmern, ist bis heute eine reizvolle und schöne Idee. Diesbezüglich kann man die totale Verideologisierung des d.i.y., diesen Authentizitäts-Terror, eigentlich nur als totalen Backlash empfinden.
Tocotronic „Schall & Wahn“ erscheint am 22.01.2010
D. v. L : Besonders fürchterlich finde ich es, wenn man versucht, uns auf eine gebildete Form von Popmusik festzu-
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