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Diese Liebe ist (un)möglich

Charles Gounods Oper «Roméo et Juliette», die am 10. April Premiere hat, ist mit ihrer innigen Emotionalität und vier grossen Liebesduetten ein Juwel im französischen Repertoire. Unsere Neuproduktion führt zwei Stars der internationalen Opernszene zusammen – Julie Fuchs und Benjamin Bernheim. In unserem Interview sprechen sie über ihre Zürcher Anfänge, ihre Lust auf französisches Repertoire und starke Gefühle in beherrschten Zeiten.

Julie Fuchs und Benjamin Bernheim, ihr stammt beide aus Frankreich, seid fast gleich alt und vom Anfang eurer Gesangskarrieren an eng mit dem Opernhaus Zürich verbunden. Habt ihr hier auch schon zusammen auf der Bühne gestanden?

Bernheim: Bisher haben wir hier nur ein gemeinsames Konzert mit Arien und Duetten von Leonard Bernstein und George Gershwin gesungen.

Fuchs: Und bei der Einweihung des Sechseläutenplatzes. Das muss etwa zehn Jahre her sein.

Bernheim: Stimmt. Bryn Terfel war damals dabei, und ich bin für Jonas Kaufmann eingesprungen… Aber die Titelrollen in einer so grossen Oper wie Roméo et Juliette haben wir noch nicht zusammen gesungen.

Liegt das daran, dass ihr bisher in unterschiedlichem Repertoire unterwegs wart?

Fuchs: Für mich ist das romantische französische Repertoire eher neu.

Bernheim: Es gibt schon Überschneidungen. Wir hätten gemeinsam in einer Mozart-Oper singen können, oder in Donizettis L’elisir d’amore. Aber die Welt der Oper ist gross, und manchmal ist es schwierig, sich darin zu begegnen.

Und jetzt begegnet ihr euch in der Musik von Charles Gounod…

Fuchs: Ja, das Opernrepertoire meiner Heimat liegt mir sehr am Herzen. Mit dem Rollendebüt als Juliette erweitere ich es um eine wunderbare Partie, für die ich mich jetzt bereit fühle.

Bernheim: Bei mir bilden die französischen Partien wie Faust von Gounod, Des Grieux und Werther von Massenet und Hoffmann von Offenbach unterdessen das Kernrepertoire. Ich achte aber sehr darauf, dass ich daneben auch Partien wie Verdis Macduff oder Tschaikowskis Lenski singen kann. Sie geben mir ein bisschen Luft, sind kürzer, etwas leichter und doch interessant zu singen.

Welche Stimmqualitäten erfordert die lyrische Musik Gounods, verglichen mit anderen Komponisten der damaligen Zeit wie Verdi oder Offenbach?

Bernheim: Die Opernkultur in Paris war zur Zeit Gounods sehr ausgeprägt und vielfältig. Die gleichen Sängerinnen und Sänger haben damals innert kurzer Zeit ganz unterschiedliche Partien gesungen. Die Grundstimmung war tiefer und der Orchesterklang schlanker. Das bedeutet, dass Stimmen vielseitiger einsetzbar waren. Die Stimmfächer, die wir heute kennen, entsprechen nicht mehr denjenigen von damals. Und manchmal müssen wir uns auch etwas gegen diese Einteilungen wehren, sonst kann es passieren, dass man schubladisiert wird.

(Zu Julie) Du bist doch der Beweis dafür, dass man mit einer Stimme ein sehr vielfältiges Repertoire singen kann…

Fuchs: Mir wurde auch schon gesagt: Das ist keine Partie für dich. Aber wenn mich eine bestimmte Rolle anspricht, will ich sie ausprobieren und wissen, wie sie sich anfühlt. Und dann antworte ich vielleicht: Doch, das ist genau eine Partie für mich! Das, was wir «Fach» nennen, ist für mich gar nicht immer ausschlaggebend. Es kann zum Beispiel passieren, dass ich stimmlich sehr glücklich mit einer Partie bin, aber mich einfach nicht mit dem Charakter identifizieren kann. Diese darstellerische Komponente muss für mich auch stimmen.

Bernheim: Man muss ein eigenes Gefühl dafür entwickeln, welche Partien gerade an der Reihe sind. Es gibt auch Partien, die ab einem gewissen Alter nicht mehr passen. Roméo muss ich jetzt singen. Jetzt habe ich die Stimme dafür. Wer weiss, was in fünf Jahren ist.

Man muss Gelegenheiten beim Schopf packen…

Bernheim: Ja, als junger Sänger ist das wichtig. Für meinen ersten Tamino in Dresden hatte ich nur drei Tage Probenzeit. Aber ich wollte diese Chance nicht verpassen, da ich ohnehin nicht viele Gelegenheiten hatte, im Mozart-Fach aufzutreten. Luxuriös wäre es natürlich, wenn man eine Rolle immer in Ruhe und vorab in einer konzertanten Version singen könnte, wie ich das kürzlich mit Roméo in Lausanne gemacht habe…

Fuchs: Das würde mir nichts bringen! Ich muss den Charakter in den Körper kriegen. Die Bühne und der physische Probenprozess sind für mich ganz entscheidend. Aus diesem Grund habe ich Massenets Manon bis heute nicht gesungen. Ich hätte auch nur drei Tage zur Vorbereitung gehabt und habe mich deshalb dagegen entschieden.

In dieser Saison hast du, Julie, bereits Giulietta gesungen in Bellinis Version des Romeo-und-Julia-Stoffs, I Capuleti e i Montecchi – eine Partitur übrigens, von der Gounod in einem Brief an die Sängerin Pauline Viardot sehr schlecht gesprochen hat. Kann man die beiden Julia-Charaktere vergleichen? Fuchs: Ich finde Bellinis Musik wunderbar! Aber im Vergleich mit Gounod sind die Charaktere bei Bellini weniger plastisch und lebendig, die Emotionen oft wie gestaut. Bei Gounod sind Roméo und Juliette junge, aufbegehrende Charaktere. Bernheim: Sie sind hier keine Opferfiguren. Sie kämpfen! Aber selbst in Gounods Oper, die einige Jahrzehnte nach Bellinis Stück entstanden und nicht mehr von den starren Mustern der Opera seria geprägt ist, gibt es stark retardierende Momente. Diese in einer lebendigen und zeitgemässen Form auf die Bühne zu bringen, ist heute gar nicht so einfach.

Romeo und Julia haben in Gounods Oper vier gemeinsame Duette. Neulich habt ihr mit dem Regisseur Ted Huffman drei Duette hintereinander geprobt, und irgendwann ist die Stimmung ins Alberne gekippt. Liegt das daran, dass man heute über so viel Liebespathos lachen muss?

Bernheim: Aus heutiger Perspektive sind diese Liebesduette sehr emotionsgeladen und poetisch. Als Sänger hat man dabei reflexartig die Tendenz, grosse, pathetische Operngesten zu machen. Gemeinsam mit Ted versuchen wir gerade, ein wenig davon wegzukommen. Wir müssen kleine, passende Gesten finden, die auch für die Kamera funktionieren, denn die Premiere wird ja live im Fernsehen ausgestrahlt. Wenn man das Libretto von Gounod etwa mit Puccinis Bohème vergleicht, die nur etwa 30 Jahre später geschrieben wurde, bemerkt man bereits einen grossen Unterschied in der Erzählweise: Während bei Puccini fast cinematografisch real erzählt wird, gibt es bei Gounod noch diese ausufernden Gefühls-«Bubbles»…

Fuchs: Wobei die Musik gerade in diesen Momenten sehr stark ist! Ich denke, dass wir es in unserer modernen Welt einfach nicht mehr gewöhnt sind, starke Gefühle offen zu zeigen. Wir sind alle sehr beherrscht.

Der Mythos von Romeo und Julia steht wie kaum eine andere Erzählung für die starken Gefühle der Liebe. Was bedeutet er euch persönlich?

Bernheim: Egal auf welche Art und Weise diese Geschichte schon erzählt worden ist, geht es am Ende doch immer darum, dass vor lauter Hass keine Liebe möglich ist. Bei Gounod drückt Roméo das am Ende aus, indem er sagt: «Der Traum war zu schön.»

Fuchs: Zwischen dem jungen Liebespaar und der älteren Generation geht es aber auch um den Gegensatz zwischen Liebe und Moral, zwischen Leidenschaft und Gesetz

Bernheim: und darum geht es doch heute auch ständig: Wie oft hören wir von der Unmöglichkeit eines Liebesverhältnisses. Entweder ist sie zu jung, zu alt Fuchs: schon verheiratet

Bernheim: … oder aus einem anderen Land, und die Fernbeziehung macht alles kompliziert. An Relevanz verlieren wird diese Geschichte wohl nie.

Eine Besonderheit an der Liebe von Romeo und Julia ist, dass sie in einem ganz frühen Stadium tragisch endet …

Fuchs: Die beiden sind gerade einmal 14 Jahre alt! Ich glaube nicht daran, dass sie in einer längeren Beziehung glücklich geworden wären. Ihr Tod ist entscheidend für die Bildung dieses Mythos. Aber es ist wichtig, von der Möglichkeit dieser Liebe zu träumen!

Bernheim: Verglichen mit Massenets Manon ist Romeo und Julia eine völlig andere Liebesgeschichte. Während es dort um einen langen Leidens- und Verschleissprozess geht, steht hier der «Coup de foudre» im Zentrum, die Liebe auf den ersten Blick. Ähnlich wie Manon ist Juliette bei Gounod aber auch eine sehr mutige, entschiedene Frau. Das finde ich für ihr Alter erstaunlich.

Fuchs: Sie ist aber auch naiv

Mir scheint, sie ist hin- und hergerissen zwischen Selbstbestimmtheit und einer grossen Angst, verletzt zu werden …

Fuchs: Ich glaube, dass man das auf verschiedene Arten interpretieren kann. Wenn sie von Roméo fordert «Sage mir ehrlich, dass du mich liebst, und ich werde dir glauben», kann das entweder heissen, dass sie sich unterwirft, oder dass sie ihn prüft. Schliesslich verstösst sie durch die Entscheidung für ihn gegen alle Normen. Bernheim: Sie fordert Roméo heraus, während er viel einfacher vorgeht. Juliette scheint alles zu analysieren. Man sagt ja oft, dass Frauen früher erwachsen werden als Männer, und das zeigt sich hier deutlich. Sie will sich absichern, dass diese Liebe funktionieren wird. Von der träumerischen Arie «Je veux vivre» bis zu ihrer letzten Arie, in der sie den Schlaftrunk nimmt, macht sie eine grosse Entwicklung durch.

Die tradierten Geschlechterrollen scheinen zwischen Romeo und Julia zu verschwimmen…

Fuchs: Ganz im Gegensatz zu der Welt, in der sie leben. In Gounods Oper kommt Juliettes Mutter, Lady Capulet, gar nicht vor. In der Generation der Eltern geht es hier nur um die Männer.

Bernheim: Bei dem jungen Liebespaar übernimmt hingegen Juliette die Kontrolle, während Roméo auch seine verletzliche Seite zeigt.

Lasst uns zum Schluss noch einmal etwas allgemeiner über die Kulturszene sprechen, in der ihr beide sehr erfolgreich unterwegs seid, über die aber auch viel diskutiert wird. Vielerorts geht es zunehmend um Fragen der Relevanz oder des Geldes. Mit welchen Gefühlen schaut ihr der Zukunft entgegen?

Fuchs: Wenn ich mit Leuten spreche, die zum ersten Mal in der Oper waren, dann sind sie meistens überrascht und haben es sich ganz anders vorgestellt. Das finde ich ein gutes Zeichen! Ich glaube, wir sollten uns nicht immer darüber beschweren, dass unsere Kunstform am Verschwinden ist. Die Menschen haben es heute mehr denn je nötig, träumen zu dürfen. Und wo sonst kann man so schön träumen wie in der Oper?

Bernheim: In Paris habe ich den Rodolfo in der Bohème-Inszenierung von Claus Guth gesungen, die in einem Raumschiff im Weltall spielt. Ich kenne Leute, die wegen dieser Inszenierung zum ersten Mal überhaupt in die Oper gekommen sind, und solche, die mir gesagt haben, ich solle mich dafür schämen, dass ich in dieser Produktion gesungen habe. Das zeigt mir, dass ich in einer lebendigen Kunstform tätig bin, über die gesprochen wird.

Ihr habt euch unterdessen beide einen grossen Namen gemacht. Was wünscht ihr euch für die jüngere Generation von Sängerinnen und Sängern, die ihre Karriere gerade beginnen?

Bernheim: In den krisengeschüttelten Jahren, die die Kulturbranche gerade hinter sich hat, wurden viele hervorragende Sängerinnen und Sänger ausgebildet, die gerade oft nicht die Möglichkeit bekommen, sich zu bewähren. Ich finde es sehr wichtig, dass Opernhäuser sich um die nachfolgenden Generationen kümmern. Ich erinnere mich, wie schwierig es als junger Sänger war, Zeit auf der Bühne zu kriegen. Jetzt, als etablierter Sänger, versuche ich, der aufstrebenden Generation zu helfen. Kürzlich habe ich in Opernhäusern, die eigene Nachwuchsprogramme haben, gefragt, ob ich mich ein paar Stunden mit den jungen Talenten austauschen kann. Ich erteile nicht gerne Ratschläge, aber ich spreche gerne mit ihnen und hoffe, dass ich sie dazu ermutigen kann, auf ihrem Weg weiterzugehen. Fuchs: Es gibt einige junge Sängerinnen und Sänger, die mir auf Social Media folgen. Wenn sie mich um Ratschläge bitten, sage ich ihnen immer, dass die Liebe zum Singen das Allerwichtigste ist. Das Leben als junger Künstler kann so stressig sein, dass wir vergessen, das Singen zu geniessen. Ausserdem hoffe ich, eine nächste Generation durch meine Initiative #operaisopen zu erreichen und ihnen zu zeigen, dass die Welt der Oper unabhängig von Bildung, Einkommen oder Alter für alle offen ist, die sich dafür interessieren.

Das Gespräch führte Fabio Dietsche

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