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Das komplette Programmbuch

Das Gespräch führte Beate Breidenbach

Ich hatte Nadja im Jahr 2010 kennengelernt und mehrere Male in Zürich getroffen. Nadja lebte damals von wohlhabenden Ärzten, Piloten, Juristen, aber vor allem von den Banken, wie sie behauptete: «Sie buchen mich für ihre besten Kunden, aber nicht wie eine der Frauen von der Langstrasse, es muss alles zufällig aussehen:

Ich warte in einer Lobby oder in einem VIP-Zelt, zum Beispiel während des Pferderennens in St. Moritz. Sie sprechen mich an, wir flirten, ich trinke Bellini, als hätten wir geschäftlich miteinander zu tun. Männer mögen die Jagd, also gebe ich ihnen das Gefühl, sie könnten mich ver führen. Das ist meine Strategie», sagte Nadja.

Neu ist das alles nicht. Mätressen, die ihren Geliebten den Kopf verdrehten, gab es schon im Hochmittelalter, später, im 18. und 19. Jahrhundert, wurden sie immer berühmter und mächtiger, wurden verehrt und verewigt – und ja: Sie trieben auch die angesehensten Männer in den Ruin. Mit dem Untergang des Adels im Ersten Weltkrieg geht auch die Zeit der öffentlichen Edelprostitution zu Ende.

Heute hält man sich Mätressen wieder heimlich, es ist die Zeit der bürgerlichen Doppelmoral, in der Politiker wie Eliot Spitzer, ehemaliger Gouverneur New Yorks, am Fernsehen die Gier der Banker anprangert und sich am Abend heimlich mit Damen wie dem Luxus-Callgirl Ashley Alexandra Dupré im Hotelzimmer 871 in Washington trifft und seine Karriere ruiniert.

Die letzten Jahre in Zürich wären hart gewesen, erzählt Nadja, und öffnet eine Flasche Weisswein. Die Bankenkrise hätte Spuren hinterlassen, die Männer waren anstrengend, die Wünsche ausgefallen, der Sex immer unangenehmer, die Stimmung aggressiv. «Plötzlich waren da so viele junge Mädchen aus Asien», beginnt sie und bricht den Satz ab.

Sie wurde nicht mehr ganz so oft gebucht, ihr Telefon blieb stumm, «ich fühlte mich wie eine Schauspielerin, die keine Rolle mehr bekommt», und sie lacht und trinkt, doch es müssen schreckliche Abende gewesen sein, allein in ihrer leeren Wohnung mit Mozzarella im Kühlschrank für Gäste, aber es kam ja doch nie jemand.

Aus einer Reportage von Sacha Batthyany über Edelprostitution in der Schweiz

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