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REISSUE REVIEW ’68
In Humor And Sadness Und zack!, hier noch ein Vinyl-Rerelease aus dem THE CHARIOT-Kosmos. Wer sich schon immer gefragt hat was Front-Derwisch Josh Scogin nach dem Aus von THE CHARIOT so treibt, dem sei sein aktuelles Projekt ’68 ans Herz gelegt. Irgendwo zwischen Garage-Punk, Noise und Wüstenrock findet man einen kleinen Diamanten aus Dreck und Chaos. Dem Debütalbum von 2014 hört man an, wer federführend war. So hat man sich doch viele Stil-Elemente, die einst THE CHARIOT auszeichneten, erhalten. Die vertrackten Strukturen, ungewöhnlichen Ideen und Arrangements treffen auf einen bunten Stilmix aus musikalischen Richtungen. Wird man eben noch mit Stakkato-Riffs und purem Chaos überfahren, schmeichelt einem im nächsten Moment ein Gitarrenriff in den Ohren, das man so vielleicht von den QUEENS OF THE STONE AGE erwarten würde. Es ist erfrischend, dass für ’68 offenbar keinerlei Konventionen gelten. Es wird gefühlt einfach das gemacht, was einem Spaß macht und gerade in den Sinn kommt. Auch wenn alles auf den ersten Blick chaotisch und verschroben wirkt, so wäre dies Jammern auf hohem Niveau. Denn qualitativ kann man hier absolut nichts bemängeln. (Good Fight) Carsten Jung
ABUSE RITUAL Abuse Ritual
ALL OUT WAR, MERAUDER, BURN THE WEAK und SNAPR ING – das sind die Gruppen, in denen die Mitglieder von ABUSE RITUAL bisher aktiv waren. Während des Corona-Lockdowns gegründet, betreibt das Quartett vor allem Frustrationsbewältigung und sucht Beschäftigung in dieser neuen Band-Konstellation. Die Kombo aus dem Orange County im Bundesstaat New York hält sich dabei nicht mit Stilfragen auf, sondern bringt all das in den Mix ein, was den Songs zu maximaler Brachialität und Durchschlagskraft verhilft. Auf dem selbstbetitelten Debüt bekommt man es dem Grunde nach mit einem Crossover zwischen Metal und Hardcore zu tun. Das sagt aber noch nicht viel, denn ABUSE RITUAL führen unterschiedlichste Schwere- und Intensitätsgrade ins Feld, arbeiten geschickt mit dem Tempo und verändern ihre musikalische Gestalt permanent. Was die Stücke der Platte miteinander verbindet, sind tiefsitzende Wut und der Wunsch, diese mit Hilfe von Death und Thrash Metal, Beatdown-Parts, Deathcore und Metal-Hardcore auszuleben. Der Orange County-Vierer klingt durchgängig angepisst und bissig. Dass sich auf dem Debüt von ABUSE RITUAL weder neue noch eigene Akzente finden, stört da nicht. Die Übermittlung der gestörten Gemütsund Stimmungslage reicht vollkommen, um Wirkung zu erlangen. (Demons Run Amok) Arne Kupetz
AEON
Gods End Here AEON sind die etwas andere schwedische Death-MetalBand. Seit den frühen Nuller Jahren haben sie sich doch eher der amerikanischen Spielart des Genres verschrieben als der einheimischen. „Gods End Here“ ist das fünfte Werk der Band, das erste in diesem Jahrzehnt, Fans mussten gute neun Jahre warten. Im Vergleich zu seinen Vorgängern haben Zeb Nilsson und seine Mitstreiter den symphonischen Aspekt der Musik
noch ein ganzes Stück ausgebaut. Fünf der 16 Tracks sind orchestral atmosphärisch. In den „normalen“ Tracks erfinden die Schweden das Rad nicht neu, sondern zeigen, dass sie zu den Veteranen gehören. Alle Rhythmuswechsel sitzen, neben den fiesen Riffs vergessen AEON aber auch nicht die Melodieführung in den Refrains. Mit der drückenden Produktion Ronnie Björnströms ergibt sich so ein Album, das nicht als essentiell, aber als gut zu bewerten ist. AEON wissen über gut fünfzig Minuten zu unterhalten und lockern ihre bitterböse Musik durch die eingestreuten orchestralen Parts auf. Kann man so machen! (Metal Blade) Manuel Stein
AGRYPNIE
Metamorphosis Bereits seit Jahren mischt To r s te n H i r s c h mi t d e m avantgardistischen Sound von NOCTE OBDUCTA die hiesige Black-Metal-Szene auf. Dass sein Soloprojekt AGRYPNIE nicht im Schatten dessen steht, wird mit „Metamorphosis“ erneut klar. Das einstündige Album ist ein Beweis dafür, dass man sich um die Zukunft des deutschsprachigen Post-Black-Metal keine Sorgen machen muss. Mit modernem Riffing, atmosphärischen Ansätzen und einer Ladung Geballer liefern AGRYPNIE ihr klanglich stärkstes Album ab und begeistern mit ausgeklügeltem Songwriting, jeder Menge Härte und tiefgründigen Texten. Ob schmetternde Blastbeats, groovige Passagen oder ätherische Cleanparts, auf „Metamorphosis“ mischt sich alles in einem Sound, der bestens zusammenhält und die Vielseitigkeit von AGRYPNIE unterstreicht. „Metamorphosis“ ist abwechslungsreich und stimmt nachdenklich. Die Melodien, das Momentum einzelner Songs („Verwüstung“, „Wir Ertrunkenen“) und das Ambiente sind bestechend und passen perfekt in den anbrechenden Herbst. Wer qualitativ Hochwertigen und um die Ecke gedachten Black Metal sucht, wird um dieses Album nicht herumkommen. „Metamorphosis“ hat all das, was ein modernes Post-Black-Metal-Werk ausmacht, und überrascht trotzdem mit einer Frische, die vielen anderen Bands fehlt. (AOP) Rodney Fuchs
ALIEN WEAPONRY Tangaroa
Maori-Metal aus Neuseeland gibt es kaum. Doch ALIEN WEAPONRY haben sich zur Aufgabe gemacht, ihre kulturellen Wurzeln mit ihrer Lieblingsmusik zu verknüpfen und in die Welt zu tragen. Dabei liefert „Tangaroa“ einen rundum Festival-tauglichen Metalsound, der sowohl jung als auch alt begeistern wird und mit rhythmischen Elementen sowie melodischer Expertise und ausgefeiltem Songwriting überzeugt. Songs wie „Hatupatu“ und „Tangaroa“ sind eingängige Maori-Metal-Hymnen, die nur darauf warten, vor großen Massen gespielt zu werden. Die Kombination mit der Maori-Kultur macht die Musik von ALIEN WEAPONRY einzigartig. Vergleiche mit ähnlichen Bands wie SEPULTURA, GOJIRA oder MACHINE HEAD sind zulässig, denn mit Sound von „Tangaroa“ beweisen die drei Neuseeländer, dass sie durchaus in der Lage sind, die internationale Metal-Szene aufzumischen. Mit ihrem jungen Alter und der musikalischen Reife von „Tangaroa“ sind ALIEN WEAPONRY bereits jetzt in einer Position, die beachtlich ist und kaum voraussagen lässt, wie steil die Karriere der Band mit diesem Album nach vorne gehen wird. „Tangaroa“ ist die Weiterführung einer bemerkenswerten Reise, die so einzigartig klingt, wie man Metal bisher nur selten gehört hat, und dabei noch gesellschaftlich wichtige Inhalte vermittelt. (Napalm) Rodney Fuchs
ALL GOOD THINGS A Hope In Hell
Mit „A Hope In Hell“ gibt es das vierte Album der Amerikaner zu hören, das gleich mit drei Gastauftritten aufwartet und gleich mit dem ersten Song
reinhaut. „Kingdom“ eröffnet das Album ordnungsgemäß und liegt auf der Skala für Hymnen-Potenzial weit oben. „For the glory“ bietet dann mit einem HOLLYWOOD UNDEAD-Feature Abwechslung und die erste von zwei Rap-Einlagen, die diesem Song ausgesprochen gut steht. Es folgt ein kurzer Abstecher in Richtung NICKELBACK („Sirens“), bevor die zweite Rap-Einlage von Hyro The Hero folgt („Do it now“), die leider nicht so ganz überzeugen kann. Wachgerüttelt wird man zur Mitte durch „Push me down“, das durch schnelle Gitarren und kleine Screaming-Einlagen überzeugt. Viel kann es dann aber nicht mehr zu bieten: In „The comeback“ ist ESCAPE THE FATESänger Craig Mabbitt zu hören und auch sonst macht die zweite Albumhälfte einen Schwenk in die Zehner Jahre des Post-Hardcore. Der Titeltrack am Ende gibt dem vor allem zu Beginn starken Album keinen würdigen Abschluss, hier fehlt die Power. (Better Noise) Isabel Ferreira de Castro
ARMORED SAINT
Symbol Of Salvation Live Man soll die Feste bekanntlich feiern, wie sie fallen. ARMORED SAINT haben ihr viertes Album „Symbol Of Salvation“ 1991 herausgebracht. Vielen Fans der kalifornischen Heavy-MetalKombo gilt es als das beste Werk der Gruppe. Remasterte und um Demo-Aufnahmen erweiterte Wiederveröffentlichungen hat es bereits gegeben – zuletzt anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums. Um das Referenzwerk des Quintetts aus Los Angeles auch nach drei Dekaden adäquat zu würdigen, gibt es jetzt ein Live-Set auf CD und DVD. Es handelt sich um einen etwas mehr als einstündigen Mitschnitt aus dem New Yorker Gramercy Theatre, wo AMORED SAINT 2018 im Rahmen einer Kurz-Tour das komplette Album am Stück gespielt haben. An Bild und Ton gibt es qualitativ nichts zu meckern. Eher schon ist der Ton zu gut und es fehlt etwas der Live-Charakter. Schließt man während der Songs die Augen, ist nicht zwingend offenbar, dass es sich um ein Konzert handelt. Und selbst die zu hörenden Publikumsreaktionen zwischen den Stücken rücken den Eindruck nur teilweise zurecht. Das Quintett agiert in jeder Hinsicht professionell und kommt stets auf den Punkt, auch wenn man bei einer der Ansagen erfährt, dass die Gruppe etliche Stücke zunächst wieder intensiv einstudieren musste. Wie auch immer, der melodisch angelegte Heavy Metal der Kalifornier ist hymnisch und gefällig. Bei ARMORED SAINT geht es ruppig bis brachial zu, aber nie brutal, so dass sich die Heavy-Songs bestens abfeiern lassen. Exakt das tun Musiker und Fans auf „Symbol Of Salvation Live“. (Metal Blade) Arne Kupetz
ANGELS & AIRWAVES Lifeforms
Lange war es still um Tom DeLonge, zwar folgten nach dem Ausstieg bei seiner Band BLINK-182 noch ein Demo-Album unter eigenem Namen sowie diverse E Ps , a be r au f e i n n e u e s Album seiner Alternative-Rock-Band ANGELS & AIRWAVES musste vergebens gewartet werden. Sieben Jahre nach dem letzten vollwertigen Album „The Dream Walker“ kommt nun mit „Lifeforms“ endlich Nachschub und dieser weiß zu überzeugen. Anders als noch in den Anfangstagen von ANGELS & AIRWAVES klingt es diesmal nicht so, als würde DeLonge versuchen, in die Fußstapfen seiner Stadtionrock-Vorbilder U2 zu treten, sondern seine eigene Version voll uns ganz umzusetzen. So werden eingängige Popstrukturen mit Sounds kombiniert, die mal an DeLonges Post-HardcoreProjekt BOX CAR RACER erinnern, dann aber wieder auf atmosphärisch düstere („Automatic“) oder treibend punkige („No more guns“) Passagen treffen, ohne den signifikanten DeLonge-
Sound zu vernachlässigen. „Lifeforms“ kommt als Befreiungsschlag daher, welcher demonstriert, dass Tom DeLonge noch immer gelungene Alben schreiben kann. Nie war er vielseitiger, nie klangen ANGELS & AIRWAVES mehr wie eine eigenständige Band und selten wirkten die Songs des Projekts unvorhersehbarer. (Rise) Christian Heinemann
ASKING ALEXANDRIA See What’s On The Inside
Nachdem letztes Jahr erst „Like A House On Fire“ veröffentlicht wurde, legen ASKING ALEXANDRIA nun mit „See What’s On The Inside“ kaum ein Jahr spät e r b e r e it s n a c h . D a b e i wirkt das neue Album tatsächlich, wie Ben Bruce im Interview erklärt hat, wie ein Befreiungsschlag. Die Band hat sich zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder gemeinsam ins Studio begeben und sich auf alte Vorbilder besonnen. Und das hört man auch. „See What’s On The Inside“ strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Klar, es ist eine RockPlatte, aber genau das hatte die Band ja auch vor. Man bedient sich bei Vorbildern wie METALLICA oder SOUNDGARDEN, aber nicht weil man selbst keine Ideen hat, sondern als eine Art Ehrerbietung. Die Briten haben hier wohl die Marschrichtung für die nächsten Jahre ihrer Karriere festgelegt, und wenn es in der Vergangenheit so schien, als hätten sie ein wenig den Fokus verloren, melden sie sich hier eindrucksvoll zurück. Das mag nicht jedem schmecken, denn die Emo/Metalcore-Tage der Anfänge sind definitiv vorbei. Aber das ist ja auch keine Neuigkeit mehr, dennoch ist „See What’s On The Inside“ so authentisch, wie es ASKING ALEXANDRIA 2021 eben nur sein können. (Better Noise) Dennis Müller
BETWEEN THE BURIED AND ME Colors II
M it ih r e m z e h n t e n S t u dioalbum kehren BETWEEN THE BURIED AND ME zurück zum Durchbruch ihrer Karriere. Die Parallele zum 2007 erschienenen „Colors“ zu suchen, liegt auf der Hand und spiegelt sich in altbekannten Details wider, die „Colors II“ zu einem durchweg stringenten und kohärenten Werk werden lassen. Es gelingt BTBAM erstmals seit „Parallax II“ wieder, diese gewisse Magie ihrer Musik auf voller Länge auszuschöpfen, die in Salsa-Rhythmen („Revolution in limbo“) und mittelalterlicher Folklore („Never seen/Future shock“) verpackt ist. Diese besonderen Parts fügen sich den unerwartet harten Riffs und Anspielungen auf frühere Werke der Band. So ist „The double helix of extinction“ ein Ausflug in die Zeiten von „Alaska“, während „Turbulent“ an „Coma Ecliptic“ anknüpft und „Human is hell“ letztlich klare Parallelen zum „Colors“-Schlusstrack „White walls“ aufweist. Alles in allem ist „Colors II“ wie ein großes Medley, das die Entwicklung der Band perfekt zusammenfasst und alle Stärken der Band in einem Album bündelt. BETWEEN THE BURIED AND ME legen die Messlatte erneut höher und überraschen nach zuletzt weniger starken Veröffentlichungen mit dem vielleicht überzeugendsten Album ihrer Karriere. „Colors II“ ist das beste Progressive-MetalAlbum, das wir 2021 bisher zu hören bekommen haben. (Sumerian) Rodney Fuchs
BLASKE
Vom Schwinden der Dinge Echter Punk aus Berlin. Und wenn man in Berlin lebt, bekommt man massig Material für PunkSongs vor die Füße geworf e n , w e n n m a n n u r e in e halbe Runde mit der Ringbahn dreht. Während die Platte eher mit dem typischen Deutschpunk-Stil anfängt, entpuppt sie sich
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