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ARME SCHWEINE S

Kam aus Nordamerika zu uns: der Waschbär

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Auch wenn die Herausforderungen vielfältiger denn je scheinen: Die altehrwürdige Fasanerie hat ihre Tore geöffnet. Der WIESBADENER hat dem Wildpark in Zeiten von Corona und Schweinepest einen Besuch abgestattet. Als seien die globalen Probleme unserer Zeit wie die Pandemie und der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest nicht schon genug, macht in diesem Jahr auch noch der Sommer schlapp. Jedenfalls schüttet es aus Eimern, als wir das 25 Hektar große Gelände im Nordwesten Wiesbadens betreten. Der Vorfreude auf den Besuch tut das jedoch keinen Abbruch, zu groß ist das Nostalgie-Gefühl schon auf den ersten Metern. Wie so viele Kinder aus der ganzen Region haben auch wir unsere ersten Begegnungen mit (halb-)wilden Tieren in der Fasanerie gemacht, die von der Stadt Wiesbaden betrieben und einem Förderverein gepflegt wird. Etliche Jahre später ist der Park immer noch voller Eltern, die ihrem Nachwuchs hinterher stampfen und dabei Kleingeld für eine Bratwurst oder einer Packung Tierfutter aus ihren Taschen kramen. Es riecht nach Tiergehegen und Wald zugleich, im Hintergrund sind hin und wieder Schüsse von der benachbarten Schießanlage zu hören. In dieser Atmosphäre könnte man den Eindruck gewinnen, es hätte sich in all der Zeit nichts geändert, aber: weit gefehlt. Zwar ist der Außenbereich ohne Maske und Negativtest wieder kostenfrei begehbar, nachdem der Eintritt eine Zeit lang nur mit einem zuvor ausgefüllten Online-Ticket möglich war. Doch die letzten eineinhalb Jahre voller Einschränkungen wirken noch nach: „Die meisten unserer Besucher hatten Verständnis und nahmen die Möglichkeit eines Besuches auch unter diversen Einschränkungen wahr", erzählt der Tierpflegemeister der Fasanerie Klaus Schüßler. „Neben den zu erwartenden Nachfragen zu den aktuellen Regeln kam es aber auch leider zu sehr unfreundlichen Anfeindungen an die Fasanerieverwaltung und den Förderverein für diese notwendigen Einschränkungen." Ärger im Paradies also, ganz zu schweigen von den Ausfällen der Einnahmen im Shop und für

Arme Schweine

Farmfüchse

das Tierfutter. In der Naturpädagogik des Parks, die einen wichtigen Teil des Angebots ausmacht, mussten sich „einige Referent*innen beruflich neu orientieren. Jetzt haben wir eine große Nachfrage und Nachholbedarf bei einem verkleinerten Referentenstamm." Also wird wieder eingestellt. Alles nicht so einfach. Doch heute, an diesem verregneten Spätsommertag, scheinen sich die Dinge ein wenig normalisiert zu haben. Die Wisente grasen zufrieden in ihrem Gehege, Rot- und Damhirsche lassen sich wie eh und je aus der Hand füttern, und in der Voliere kreischen die Pfauen unüberhörbar durch die Anlage. Nur die einst so beliebten Fütterungstouren sind zur Vermeidung von Menschenansammlungen weiterhin ausgesetzt. Dafür lädt das Naturpädagogische Zentrum zur Wissensvermehrung ein, auch wenn nach wie vor strenge Auflagen gelten. Und da wären ja noch die 250 Tiere im Park, die in abwechslungsreichen, dem natürlichen Lebensraum nachgeahmten Landschaftsgehegen zu sehen sind. Darunter Bären, Wölfe, Füchse, verschiedene Haus- und Nutztiere und natürlich Fasane. Doch zwei Gehege stehen für unvorhersehbare Zeit und sehr zu unserem Bedauern leer.

„Neben Corona haben wir in Deutschland auch einen Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest", erklärt Schüßler. „Diese wird in erster Linie durch Menschen weiter verbreitet, insbesondere durch das Verfüttern von mitgebrachten Speiseresten. Zum Schutz unserer Tiere haben wir daher vorbeugend die Haltung von Haus- und Wildschweinen eingestellt." Schweine, die vor Menschen geschützt werden müssen, die es eigentlich gut mit ihnen meinen – ein eher untypischer Beziehungsverlauf zwischen den beiden Säugetieren. Wenigstens ist die Krankheit für Zweibeiner ungefährlich. Und Schüßler ist bemüht, vorsichtigen Optimismus zu verbreiten: „Je nach Entwicklung des Seuchenverlaufs werden die Gehege wieder besetzt." Wann das allerdings soweit sein wird, weiß noch niemand.

Auf den einen oder anderen Höhepunkt eines typischen FasanerieBesuchs muss man also noch verzichten. Doch wo es an Tieren fehlt, kann vielleicht mit etwas Geschichte vertröstet werden (wenn auch wohl nur die Erwachsenen). Seit Ende Juli wird der Wildpark um eine Open-Air-Ausstellung bereichert, die auf Schautafeln die Geschichte von Fasanerie, Wiesbaden und „der ganzen Welt" erzählt und dabei „das Verhältnis von Mensch und Natur im Spiegel der Kunst" zeigt. Die Idee eines Zeitstrahls entstand in Kooperation mit Georg Habs vom Stadtarchiv, der dafür einige verblüffende Informationen über die seit 1749 bestehende Anlage beisteuerte. Die Schautafeln sind von der Zooplanerin Monika Fiby und der Fasanerieverwaltung entwickelt worden, das Layout von Andreas Koridass. Ob die opulente Ausstellung den beinahe meditativen Anblick mampfender Schweine gleichwertig ersetzten kann, muss jeder für sich entscheiden – gelungen ist sie allemal. Es wird allerdings nicht umsonst empfohlen, sie aufgrund ihrer enormen Größe „scheibchenweise" zu erleben.

Die Zeiten mögen hart sein, doch die Fasanerie versteckt sich nicht vor den Herausforderungen unserer Zeit. Und das macht einen Besuch so spannend wie vor Corona und Schweinepest. Zumindest für all diejenigen, die sich an den Anblick eingesperrter Wildtiere erfreuen können, was wiederum jeder für sich entscheiden muss. Wobei der Begriff „wild" nicht bedeutet, dass die Tiere aus ihrem natürlichen Habitat verschleppt wurden: „Der mit Abstand größte Teil der Tiere ist bei uns oder in anderen Tierparks und Zoos geboren. Für etliche bedrohte Tierarten gibt es internationale Zuchtbücher", so Schüßler. Bestimmt auch für Schweine.

Wer den Förderverein unterstützen oder etwas spenden möchte, findet unter www.fasanerie.net alle nötigen Informationen.

Konstantin Mahlow

alle Fotos: Veronique Kordesch

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