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THEATERDONNER S
from WIESBADENER 03/2021
by Petra Esser
„Uns Theaterleuten hat das Theater natürlich existentiell gefehlt”, heißt es in Wiesbaden. Der Musentempel der Landeshauptstadt lädt ein „mit uns das Ereignis Theater neu entstehen zu lassen!”
Du kannst mir alles erzählen, was fehlt
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TheaterDonner auf den Bühnen von Wiesbaden, Mainz und Darmstadt
Vorhang auf! Die SpielZeit 2021/22 der Bühnen in Rhein-Main wird nach Kräften hoffnungsfroh angekündigt. Alle Ensembles – ob vor oder hinter den Kulissen – scharren mit den Hufen. Wenn ab September Critical Friends in der Stadtkantine der Startbahn 2021 auf Elektra und die von Wallenstein gezähmte Widerspenstige treffen, sind die furiosen Drei auch mit von der Partie. Blick nach Wiesbaden
Die große Jubiläumsfeier im Wonnemonat fiel zwar dem verheerenden Winzling zum Opfer, doch das Feiern lassen wir uns nicht verbieten! „Internationale Maifestspiele 125 1⁄2“ werden Anfang November 2021 mit einem hochkarätigen Galakonzert (Catherine Foster & Andreas Schager) zelebriert. Die „IMF 125 + 1“ wollen ein Mammutprojekt „auf die Bühne wuchten“, damit im nächsten Jahr Jörg Widmanns Oper „Babylon“ das ganze Haus bis an die Grenzen beansprucht. Wagners „Tristan und Isolde“ kommt in Topbesetzung heraus und der MozartZyklus kommt wieder. Verdis „Il trovatore“ hat im September Premiere. Puccinis „Triptychon“ wird nach der Premiere in der letzten Spielzeit (vor „kleinem“ Publikum) wieder aufgenommen. „Willkommen, Bienvenue, Welcome!“ Iris Limbarth bringt das legendäre „Cabaret“ mit Lina Habicht (Confèrencier), Elissa Huber (Sally Bowles), Felicitas Geipel (Frollein Kost) sowie Evelyn Faber und Gottfried Herbe aus dem Schauspiel auf die Bühne. Wird spannend im Vergleich zum Darmstädter Riesenerfolg mit dem fulminanten Tenor Michael Pegher als Conférencier. Tschaikowskis „Pique Dame“ nach Puschkins Erzählung wird von ihrem Landsmann Peter Pomerantsev auf russisch (deutsch übertitelt) mit Aaron Cawley, Thomas de Vries, Benjamin Russell und Erik Biegel inszeniert. Mit des Kaisers General „Wallenstein“ nimmt sich Nicolas Brieger ein „Schillerndes“ Schwergewicht vor. Ulrike Arnold inszeniert Oscar Wildes Meisterkomödie „Bunbury“. Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Als deutsche Erstaufführung bringt Daniela Kerck „The Minutes“– ein Kommentar zur Trump-Ära – von Pulitzerpreisträger Tracy Letts ins Kleine Haus. Daniel Kunze inszeniert Juli Zehs „Corpus delicti“ in der Wartburg. Eine spezielle Spielzeit kündigt auch GMD Patrick Lange an nach langer Pause ohne Konzerte. Auf Geigensolistin Chouchane Siranossian sowie die Dirigentinnen Ruth Reinhardt und Christina Domnick freut er sich besonders. Ballettdirektor Bruno Heynderickx kündigt die verschobene Premiere von Tim Plegges „memento“ an und den Dop-
„Was fehlt” ist das Spielzeitmotto am Staatstheater Darmstadt. Das Kleine Haus wird technisch runderneuert. Der 70er-Jahre-Bau bekam durch die Sanierung vor 15 Jahren seinen prägnanten Vorbau.
Das Staatstheater der Domstadt Mainz startet in die neue Spielzeit mit dem kommunikativen Motto: „Du kannst mir alles erzählen.” pelabend „Extension“ von Marc Brew/Australien & Martin Harriague/Biarritz.Tanzplattform Rhein-Main: Hauschoreograf Tim Plegge arbeitet in Wiesbaden-Darmstadt-Frankfurt mit Hobbytänzer*innen am Projekt „Eden“. Der erfolgreiche Doppelabend „Le Sacre du Printemps“ mit der FAUST-preisgekrönten Choreographie „29 May 19913“ von Bryan Arias kommt nach Wiesbaden. Schauspieler Uwe Kraus-Fu wechselt die Pferde und bringt als Regisseur im Studio „die furiosen Drei“ auf Trab. Die edlen Rösser wollen´s noch einmal wissen. Blick nach Darmstadt
Das Staatstheater Darmstadt gab hübsch mehrdeutig die Devise „was fehlt“ aus. „Wir wollen eine vielfältige Stadtgesellschaft im Theater widerspiegeln und vielen Akteur*innen Raum geben, die bisher nur vereinzelt aufgetreten sind“, betont Karsten Wiegand. Der Intendant will mit seinem Team „Jenen zuhören, die sich bisher nicht gehört fühlen.“ Schon Martin Buber wusste: „Der Mensch wird erst am Du zum Ich“. Der Spielplan sieht musikalisch neben großer Oper wie „La Bohème“ und Paul Abrahams „Ball im Savoy“ auch „Liedgut Unerhört“ vor und macht sich um Komponistinnen verdient. Das Schauspiel widmet sich Georg Büchner und bringt „Dantons Tod“ sowie eine vielversprechende „Königin Lear“ auf die Bretter. Als spezielles Schmankerl hat das Schauspiel den „alternativen Programmbeirat“ gegründet und geht mit ENTER DARMSTADT „räumlich und inhaltlich“ mittenmang in die City. Das Langzeitprojekt wird von Personen aus Vereinen, Netzwerken als „Critical Friends“ begleitet. Das Hessische Staatsballett lädt am 16. Oktober zur Premiere von Tim Plegges neuem Geniestreich „memento“ ein. Die Uraufführung von Anne Leppers Jugendstück „Hund, wohin gehen wir?“ findet in der Kunsthalle statt. Die neue „Stadtkantine“ wird von November 2021 bis März 2022 an einem „dritten Ort“ einladen mitten im Stadtraum von Darmstadt. Große Zukunft steht dem Kleinen Haus bevor, das bis Ende 2023 geschlossen wird. Derweil geht das Schauspiel mit ausgewählten Produktionen ins Große Haus und nutzt ansonsten die Kammerspiele. Hessens Kunstministerin Angela Dorn stellte umfangreiche Sanierungspläne vor. Kostenpunkt rund 50 Millionen Euro. Das Land Hessen steuert 41 Millionen Euro bei, die Stadt Darmstadt stemmt den Rest. Über „das großartige Bekenntnis der Träger zur Zukunft des Staatstheaters“ freute sich Hausherr Wiegand. Der Publikumsraum wird umgebaut und barrierefrei, eine komplett neue Bühnentechnik wird installiert. Blick nach Mainz
Nach der „theaterstillen Coronazeit“ wird die neue Spielzeit „in jedem Fall eine besondere“, dachte sich das Team im Mainzer Musentempel und geht mit der Ermunterung „Du kannst mir alles erzählen“ in die Offensive. Soziologe Andreas Reckwitz stand Pate: „Wer Ambivalenzen aushalten kann, ist in der Spätmoderne klar im Vorteil“. Gemeinsinn ist dringend gefragt und soll (mit Sicherheit, Abstand, MuNAske & Hygiene) gelebt werden - auf der Bühne, im Foyer und in der KAKADU-BAR. Hier soll es das Literarische Quartett wieder geben mit Spiritus Rector Klaus Köhler, Kommunikationsleiterin Sylvia Fritzinger, Dramaturg Boris C. Motzki und einem Gast. Gratulation. Im Juni 2022 richtet das Mainzer Haus mit der Kulturstiftung des Bundes und der Stadt Mainz den Tanzkongress 2022 „Sharing Potentials“ aus. „Promise“: Sharon Eyal entwickelt nach „Plafona Now“ und dem virtuosen, preisgekrönten „Soul Chain“ ein drittes Werk mit tanzmainz als Uraufführung. Mal sehen, wie die junge Regisseurin Stephanie van Batum mit einem weiblich besetzten Leitungsteam Shakespeares misogynen Klassiker der „gezähmten Widerspenstigen“ zur Premiere bringt. Zuvor nimmt Alexander Nerlich (mit Arthur Millers „Hexenjagd“ erfolgreich) Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ unter die Lupe. „Glaube, Liebe, Hoffnung“ als Ödön von Horvaths Eulenspiegelei wird von Jan Friedrich inszeniert. Auch Schauspieler Denis Larisch hat die Pferde gewechselt und sich das Stück „AufSichtBeton“ auf den Leib geschrieben als „Spurensuche durch die Zeit.“. Dass sämtliche Produktionen und Vorstellungen unter Pandemievorbehalt stehen und aktuellen Hygienerichtlinien folgen, versteht sich von selbst. „Möge die Übung gelingen“ und „Tot, Toi, Toi“ für Theaterleute und Publikum!
Text und Fotos: Gesine Werner