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«In jeder Wurst steckt ein Teil meines Herzens»

Tanya Giovanoli trägt den Zauber der traditionellen Fleischverarbeitung in unsere Zeit. Im Interview spricht die Geschäftsführerin von «meatdesign» über ihre Tradition, Nose to Tail und darüber, was ihre Produkte besonders macht.

Interview: Raphael Dorigo Bilder: Pia Grimbuehler und versuchen, alles zu verwerten. Aber in meiner Generation – wie auch in jüngeren und teils in älteren – gibt es viele Leute, die sich vor Zunge, Blut oder Leber ekeln. Ich wollte daran etwas ändern. Ich sehe es als Verantwortung von uns Produzenten, solche Dinge den Kunden näherzubringen; was man alles essen und wie gut das schmecken kann. Ich strebe danach, aus ungewöhnlichen Fleischteilen gute, spannende Produkte zu machen.

• Etwas Neues, das Sie ausprobieren, sind eingelegte und fermentierte Produkte. Wie sind Sie dazu gekommen?

• Frau Giovanoli, auf Ihrer Website ist zu lesen, für Sie habe alles mit einem magischen Buch aus den wilden Höhen Malojas angefangen. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

Früher haben die meisten Bauernfamilien selber «gmetzget und gwurschtet». In meiner Familie waren auch alle Bauern. Wie weit das zurückgeht, weiss ich nicht, aber nachgewiesen ist, dass schon mein Urgrossvater mit Fleisch gearbeitet hat; das war Ende des 19. Jahrhunderts. Die Tradition war aber sicher davor schon da. Ich selber habe mit drei Jahren zum ersten Mal Fleisch zerlegt.

• Sie leben Nose to Tail. Wie machen Sie das und welche Spezialitäten entstehen dabei?

Ich finde, wenn man ein Tier tötet, sollte man würdevolle Produkte daraus machen

Viele fragen mich, ob ich ganze Tiere kaufe. Dem ist nicht unbedingt so: Zum Teil kaufe ich nur das, was andere nicht wollen. Wenn geschlachtet wird, muss ich mich um Filet und Entrecote nicht kümmern, das kommt immer weg. In unserer Tradition werden sehr typische regionale Produkte aus dem Bergell hergestellt, die man auch im Puschlav oder in der Lombardei findet. Dazu kommt ein Einfluss aus dem Norden; wir machen etwa auch Bindenfleisch, das dem Bündnerfleisch ähnelt. Salami oder die Kellerreifung gibt es hingegen in der Deutschschweiz weniger.

• Die Zeiten ändern sich, der Metzgeralltag Ihres Vaters sah noch anders aus. Gibt es etwas, das Sie heute gern noch machen würden, aber aus betriebswirtschaftlichen oder anderen Gründen sein lassen?

Es gäbe sicher noch mehr, das ich gerne machen würde – aber nicht, weil es prinzipiell nicht machbar wäre, sondern weil ich nur zwei Hände habe und meine Tage nur 24 Stunden zählen. Ich übernehme wahnsinnig viel von früher, da bin ich wirklich zufrieden. Die Produktpalette ist sehr breit und vielseitig, und ich probiere immer wieder Neues aus.

Bei mir kamen immer schon ausschliesslich hausgemachte Produkte auf den Teller – alles andere ist nur halb so gut (lacht). Wenn ich es selber mache, kann ich es ja so zubereiten, wie ich es am liebsten mag. Und die Nachfrage war auch da; viele Leute haben sich Dinge wie Sauerkraut gewünscht. Dann habe ich angefangen, diese Produkte auch für den Verkauf herzustellen. Wenn ich sie schon für mich zubereite, kann ich auch etwas mehr davon machen. Es macht ja auch Spass, und so kann ich etwas zum Fleisch anbieten. Das Leben besteht nicht nur aus Fleisch, auch bei mir nicht (lacht).

• Woran merkt man die Unterschiede zwischen Ihren Bratwürsten und einer Durchschnittsbratwurst?

Erstens verwende ich keine Konservierungsstoffe. Ich bin stark der Meinung, dass sie den Geschmack sehr beeinflussen. Ich finde zum Beispiel, Nitritpökelsalz schmeckt viel stärker als etwa das Himalayasalz, das ich verwende und das einen sanften Geschmack hat. Bratwürste sind bei mir grob gehackt, das ist keine glatte Masse. Es ist auch weniger Fett drin, obwohl man das Fett besser sieht und darum Leute meinen, es habe mehr drin. Und meine Produkte sind gereift. Wenn man heute eine Standard-Salami kauft, ist die vielleicht eine Woche alt. Meine Produkte reifen 8 bis 40 Wochen lang in wilder Fermentation. Das merkt man auch am Geschmack.

Zur Person

Tanya Giovanoli meatdesign.ch

Die Bündnerin ist gelernte Metzgerin und arbeitete zunächst nur nebenher mit Fleisch. Sie holte nach der Lehre das Gymnasium nach, studierte Betriebswirtschaft und arbeitete dann in der Modebranche. Als ihr Vater mit dem Metzgerhandwerk aufhörte, stieg sie 2019 mit meatdesign hauptberuflich ins Fleischgeschäft ein.

Man muss es natürlich mögen; es ist anders als das, was die Leute gewohnt sind. Jedenfalls steckt ganz viel Liebe drin. Wenn Kunden zu mir in den Keller kommen, sage ich immer: «Ich habe so ein grosses Herz – in jeder Wurst steckt ein Teil davon, ein Teil von mir.» Der Zauber besteht auch darin, dass man die Herstellung miterlebt und die Person kennt, die dahintersteht, die das von Hand macht und sich dem mit voller Leidenschaft widmet. Die Produkte sind meine Babys. Entsprechend kauft man mehr als eine Wurst, man kauft eine Idee, eine Philosophie. Meine Produkte sprechen eine andere Sprache als Fast Food und Industrieprodukte. Und ich hoffe immer, dass ich den Leuten zu mehr Bewusstsein für solche Dinge verhelfen kann.

• Wer interessiert sich besonders für Ihre Produkte und kauft sie? Sicher Leute, die bewusst essen wollen und Traditionelles suchen. Menschen gehen verschieden mit Essen um: Manche wollen’s pragmatisch und einfach, gehen zu einem Grossverteiler und kaufen da alles, was sie brauchen. Andere sagen: «Dies kaufe ich dort, und jenes da.» Ich habe eher Kunden, die sehr gezielt einkaufen und die sagen: «Wenn schon Fleisch, dann Fleisch mit Vernunft.»

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