EL AVISO | 10/2020
LESEZEIT
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Liebestod Teil 2 unserer Kurzgeschichte
von Ralph D. Wienrich
Dass Christiane ihn nicht gebeten hatte ihr den Jet nach München zu schicken, weil einige Fototermine kurzfristig nach Moskau verlegt worden waren, überraschte ihn nicht, aber mehr auch nicht. Sie kam mit dem Taxi in die Berge, erbat auch nicht den Maybach an den Airport. Christiane war in der Halle vor dem großen Salon stehen geblieben. So wie sie unschlüssig abwartend da stand war sie ihm auf ein Mal fremd. Sie wollte sich auch nicht setzen, da sie nicht bleiben könne, weil sie ihn verlassen werde. Dass sie so unverhofft gehen, ihn, den so wesentlich älteren Mann nunmehr einer entsagenden Tristesse überlassen wollte, das vermochte er nicht zu begreifen. Wie sollte er es je fertig bringen auf dieses Lust verheißende Wesen zu verzichten, ihm auf Ewig entsagen. Nur durch sie konnte er hier oben, in dieser prächtigen Einsamkeit überhaupt sein. Er definierte sich ausschließlich über sie, über diesen attraktiven Körper, über ihre aufreizende Jugend. Ihr so plötzlich über ihn gekommenes Nein zu gemeinsamem, unerhört heißen Sex hatte eine chaotische Unordnung in seine Daseinsvorstellung gebracht. Verlustängste trieben ihn, unkontrollierbar geworden, weg von seiner Ratio. Abhängig von ihrer berauschenden Erotik Da war für ihn nichts Helfendes, um das Fatale zu begreifen, oder gar abzuwenden. Die Endzeitstimmung, die kalt und feindselig diese eindrucksvolle Halle mit ihren schweren Olivenholzbalken beherrschte, servierte ihm die bittere Erkenntnis, in seinem Designer-Bett künftig wieder allein sein zu müssen. Christiane wich seinem Blick nicht aus. War er, im Gegensatz zu ihr, zu verschwenderisch mit seinen Träumen und Hoffnungen umgegangen, hatte Realitäten verdrängt, nie so richtig wahrgenommen? So, wie sie in diesem für ihn nicht mehr zu beherrschenden Augenblick wie die pure Versuchung vor ihm stand, um das bisher einende Band eiskalt zu zerreißen, wusste er, dass der Verlust unausweichlich sein würde. Nichts mehr konnte dieses von ihm vergötterte Wesen davon abhalten aus seinem Leben zu verschwinden. Seine Abhängigkeit von ihrer berauschenden Erotik, ihrer freizügigen und entspannten Sexualität, schmerzten ihn körperlich.
Christiane war dieses letzte Mal gekommen um, wie sie es erschreckend emotionslos formulierte, sich geordnet aus ihrer Beziehung zurückzuziehen. Dies sei sie ihm schließlich schuldig. Beziehung, schoss es ihm durch den Kopf, Beziehung. Erniedrigt fixierte er sie mit ausdruckslosem Blick. Seine Liebe wagte sie in diesem Augenblick seiner desolaten Gefühlswelt auf eine banale Beziehung zu reduzieren. Es war ein Akt erbärmlicher Hilflosigkeit als er sie beschwörend zu seinem unabänderlichen Besitz machen wollte, verbunden mit ihm in einer schicksalshaften Gemeinsamkeit. “Ich komme gleich nach” Einer Fata Morgana gleich registrierte er mit seiner aus den Fugen geratenen Wahrnehmung noch das spöttische Lächeln in ihrem so ansehenswerten Gesicht, als er ein letztes Mal ihre Nähe suchend wie in Trance auf sie zu ging. In ihrer arroganten Selbstsicherheit ließ sie ihn gewähren. Auch seine Umarmung ließ sie über sich ergehen. Bis es für sie und ihr Leben zu spät war. Es mochte wohl ihr letzter klarer Gedanke gewesen sein, der ihr bewusst machte, dass es aus dieser Umarmung für sie keine Befreiung mehr geben würde. Ihr sich windender und zuckender Körper ließ in ihm lustvolle Gedanken an die vielen wunderschönen erotischen Erlebnisse aufsteigen. Ein nie erlebtes Glücksgefühl durchrauschte ihn, ohne jedoch dabei zu realisieren, was mit ihnen beiden gerade geschah. In ihrem Todeskampf löste sich ihr Leben in einer letzten, ersterbenden, innigen Umarmung. Erschöpft hielt er sie noch für eine geraume Ewigkeit fest umschlungen in seinen Armen. Er genoss den ihm so vertrauten Geruch ihres erhitzten Körpers. Dann legte er sie behutsam auf den riesigen Teppich und trat glücklich und zufrieden mit dem leise gemurmelten Versprechen: „Ich komme gleich nach“, an seinen Sekretär. Als er sich mit einem letzten Blick auf seine ausgelöschte Liebe den Lauf seiner Walther PPK ruhig an die Schläfe setzte, wusste er, dass ihrer beider Zusammensein nie intimer und erfüllender gewesen war. Der Schuss, der sich aus seiner Waffe löste, war das letzte Geräusch, das er wahrnahm. Ende