The Red Bulletin CD 05/24

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ABSEITS DES ALLTÄGLICHEN

ALINGHI RED BULL RACING NIMMT KURS AUF DEN AMERICA’S CUP

LONGINES SPIRIT FLYBACK

Karin Wenger ist freie Journalistin. Wenn sie nicht gerade im Nahen Osten unterwegs ist, trifft sie für uns die erste Schrittmacherin in der Geschichte des traditionell männlichen Steherrennens. Ab Seite 58

WSam Riley «Ich habe es schon immer geliebt, Menschen beim Skaten zu beobachten», sagt der in London lebende Fotograf über unser Rollschuh-Feature. «Als ich tiefer eintauchte, fand ich eine erstaunliche Gemeinschaft.» Ab Seite 74

Laura Wohnlich ist freie Journalistin, Buchautorin und seit acht Monaten Mutter. In unserer Kolumne «On a Positive Note» erzählt sie uns, welche Bedeutung Laufen und generell Bewegung für sie hat. Ab Seite 96

ir wollen es wissen – so richtig. Deswegen blicken wir hinter die Kulissen von Alinghi Red Bull Racing und schauen, was Formel 1 mit Segeln zu tun hat (ab Seite 36). Wir besuchen das Schweizer Team, das im ersten Frauenbewerb des prestigeträchtigen America’s Cup antritt (ab Seite 46).

Doch nicht nur auf dem Wasser, sondern auch auf Asphalt und Beton geht es diesmal rasant zur Sache.

Sei es mit Rennrad-Star Primož Roglič (ab Seite 66), dem Who’s Who der Skateboard-Elite (ab Seite 22) oder mit Londons florierender RollerskateSzene (ab Seite 74). Und ab Seite 58 stellt Nicole Fry im Oval der Oerlikoner Rennbahn einfach mal einen der traditionellsten Radbewerbe auf den Kopf. Viel Spass mit der Ausgabe, die Redaktion

Heroes Simone Ashley 16

Schauspielerin

Justine Dupont 18

Big-Wave-Surferin

Lee Jung-jae 20

Schauspieler

Portfolio

Guten Rutsch! 22

Wenn der Fotograf selbst zum Star wird: Atiba Jefferson nimmt uns mit in sein Skate-Universum.

Segeln

Horizonte

Was Formel 1 und Segeln gemeinsam haben? Jede Menge! Hinter den Kulissen von Alinghi Red Bull Racing.

Die Schweiz schickt absolute Profis in den ersten Frauenbewerb des America’s Cup.

Bahnradsport

Nicole Fry bricht mit einer alten Tradition. Als erste Frau fährt sie Töff im Steher-Rennen.

Rennradsport

Philosoph

im Sattel

Warum Primož Roglič vielleicht selbst sein härtester Gegner ist.

Rollerskating

Weit mehr als vier Räder an einem Schuh: Rollerskating zelebriert einen eigenen, weltoffenen Lifestyle.

Von Tony Hawk bis Jagger Eaton (hier im Bild): Atiba Jefferson hat sie alle fotografiert.

Monolithe du Beaufortain, Frankreich

Der Monolithe du Beaufortain ist einer der spektakulärsten frei stehenden Felsblöcke Europas mit einem der höchsten Schwierigkeitsgrade des Klettersports: 8a. Im Morgengrauen gelang Fotograf Jérémy Bernard dieses Bild seiner Lebensgefährtin, der ehemaligen Profi­Kletterin Nina Caprez. «Als Paar ist es oft schwierig, zusammenzuarbeiten, aber hier fühlte es sich an, als wären wir eins, obwohl Nina weit weg war», sagt Bernard. Noch mehr Bilder: redbullillume.com

Südtirol, Italien Licht in Sicht

Gerade mal 1,7 Kilogramm wog das Fluggerät von Patrick von Känel, 29, bei dieser Aktion: mit dem Gleitschirm durch einen 152 Meter langen Strassentunnel. Weltrekord! Die Präzision, die es im Anflug brauchte, vergleicht er mit einem Basketballwurf aus 30 Meter Entfernung, ohne den Korb zu berühren. Dass der knapp sechs Sekunden lange Durchflug bereits beim zweiten Versuch klappte, überraschte selbst den Berner Oberländer: «Monatelang habe ich es in verschiedenen Tunneln in der Schweiz versucht und bei diesen 35 Testflügen wortwörtlich nie ein Ende des Tunnels gesehen.» Hier gibt es mehr Details zu Patrick von Känels Weltrekord.

Strasse von Messina, Italien Fast wie Homer

In der Strasse von Messina, die Sizilien vom italienischen Festland trennt, hausen die Seeungeheuer Skylla und Charybdis. Das behaupten nicht wir, sondern der Dichter Homer in seinem Heldenepos «Odyssee» aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Keine Irrfahrt, sondern schnurgerade war der Weg, den der estnische Slackliner Jaan Roose, 32, auf einem 1,9 Zentimeter dünnen Seil, gespannt in 130 Meter Höhe über der Meeresoberfläche, nahm. Sagenhafte 3,6 Kilometer schaffte er, dann war Endstation. Scan den QR-Code und schau dir das ganze Video auf redbull.com an.

Komplett gaga

Stefani Germanotta, 38, bekannt als Lady Gaga, brilliert ab 3. Oktober in «Joker: Folie à Deux». Irrer als ihre Rolle ist nur die Karriere der New Yorkerin.

407

Awards bei 930 Nominierungen gewann Lady Gaga bisher, darunter einen Oscar (2019 für den Song «Shallow»), 13 Grammys und zwei Golden Globes.

1984

veröffentlichten Queen die Single «Radio Ga Ga» – die 2006 als Inspiration für Lady Gagas Künstlernamen diente.

250 000

Dollar (rund 216 000 Franken) flossen 2023 über ihre «Born This Way Foundation» in mehr als 40 Projekte für Jugendliche der LBGTQ+-Community weltweit.

70

ihrer ausgeflipptesten Outfits und zahlreiche weitere Erinnerungsstücke sind in ihrem Museum zu bewundern, dem «Haus of Gaga» im Park MGM Hotel in Las Vegas.

436 388 866

22

30 000 000

Fläschchen ihres ersten Parfums «FAME» verkaufte Lady Gaga 2013. Nur sieben Düfte verkauften sich in diesem Jahr in den USA öfter.

15

bekannte Songs singen Lady Gaga und Joaquin Phoenix auf der Leinwand und verwandeln «Joker: Folie à Deux» damit in ein verrücktes Musical.

4

Singles von Lady Gaga («Pokerface», «Bad Romance», «Shallow», «Just Dance») wurden öfter als zehn Millionen Mal verkauft –mehr als von jeder anderen Sängerin.

Dollar (knapp 430 Millionen Franken) spielte «A Star is Born» mit Lady Gaga und Bradley Cooper 2018 ein – bei Kosten von 36 Millionen Dollar (35 Millionen Franken).

Kilo wog das Kleid aus reinem Rindfleisch, mit dem Lady Gaga bei den MTV Music Awards 2010 für Aufsehen sorgte.

163

Anzahl der Sprachen, in denen es Infos über Lady Gaga gibt. Beyoncé-Einträge gibt es in 145 Sprachen, für Taylor Swift 136, Rihanna und Shakira je 129.

Er ist klein. Er ist grossar tig. Er ist hier.

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Das Teil

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Der Check

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Ungeeignet für … …alle, für die Schmuck noch immer aus der Schmiede kommen soll. Kirafin heisst bürgerlich Jonas Willbold, ist 29 und unterhält seine 1,3 Millionen Follower auf TikTok mit Comedy-Formaten. Nebenbei folgt er seiner Faszination für Tech-Produkte und -Trends. Für uns nimmt er aktuelle Hypes unter die Lupe.

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Simone Ashley

hat mit 16 die Schule geschmissen und auf ihr Bauchgefühl vertraut. In der Serie «Bridgerton» beweist die Schauspielerin, dass sie ein Role-Model für Diversität und Empowerment ist.

Das mondäne TV-Festival in Monte Carlo ist gerade mal ein paar Stunden alt, als es auf dem roten Teppich zum ersten Mal laut wird. Vor dem Eingang des Grimaldi Forums, der Festival-Base mit direktem Blick aufs Meer, jubeln die Fans einer jungen Schauspielerin zu, die gerade aus einer Limo gestiegen ist, umringt von einem Stab von Assistenten. Fünf Minuten später wird sie der versammelten Presse gut gelaunt Fragen beantworten, von denen sie die meisten bestimmt schon tausend Mal gehört hat. Wie fühlt es sich an, als Frau mit indischen Wurzeln die Hauptrolle in einem Netfix-Hit zu spielen? Was war toller: die opulenten «Bridgerton»Kostüme oder ihr On-Screen-Love-Interest Anthony Bridgerton, gespielt von Jonathan Bailey?

Simones Antworten darauf sind vorhersehbar, der Verlauf ihrer Karriere war es aber nicht. Die 29 Jahre alte Engländerin verbucht bereits zwei fette Serienhits auf ihrem Konto, ist der Darling der Fashion-Welt (ihre glamouröse Spur führte dieses Jahr von der Met Gala in New York direkt zu den Filmfestspielen in Cannes) und zugleich Poster-Girl für eine ganze Generation junger Schauspielerinnen mit Migrationshintergrund. Simone Ashley, das Phänomen.

Es riecht nach Rebellion

Aber was ist das Geheimnis ihres Erfolgs? Um eine Antwort darauf zu fnden, müssen wir das Rad der Zeit zurückdrehen. Simone Ashley wuchs als Tochter indischer Einwanderer in Surrey, einem 30 000-Seelen-Städtchen südwestlich von London, auf. Ihre Eltern, ein konservatives Akademikerpaar, hatten eher

On point

Geboren in Camberley, Surrey, UK; Alter 29; bekannt aus den Netflix-Serien «Sex Education» und «Bridgerton»; verfolgt von 4 Mio. Instagram-Followern; hat bei «Jimmy Kimmel Live» verraten, dass sie via YouTube-Kurs Tätowieren gelernt und sich selbst ein Sphinx-Tattoo verpasst hat

verstaubte Ansichten, was das Showbiz angeht. Simones Vorliebe für Gesang und Musiktheater wurde mit konsequenter Ratlosigkeit begegnet, über Gefühle und Emotionen sowieso nicht geredet. All das erweckte in Simone früh etwas, was sie von da an auf ihrem weiteren Weg begleiten sollte und zu so etwas wie ihrem Kompass wurde. Allerdings zeigte dieser Kompass keine Himmelsrichtungen an. Vielmehr lehrte er sie, Schritt für Schritt, ihren Weg zu fnden. Er ist Simones ganz privates Rebellions-Navi. «Ich hatte nicht dieselben Privilegien und Möglichkeiten wie andere Mädchen meines Alters. Niemand in meiner Familie interessierte sich für Kunst. Die Entertainment-Industrie war meilenweit entfernt. Also habe ich als Reaktion darauf meine Strategien entwickelt, meine Ziele hartnäckig verfolgt. Ich wollte unbedingt Schauspielerin werden. Niemand konnte mich davon abhalten. Ich wusste sehr früh sehr genau, was ich will. So habe ich schon als junges Mädchen gelernt, meinen eigenen Pfad zu wählen und meinen Instinkten zu folgen.»

Die Liebe zum Film entfachte ein gewisser Quentin Tarantino in ihr. Seinen Action-Klassiker «Kill Bill – Volume1», der im Wohnzimmer im Hintergrund lief, beschreibt die Engländerin als lieb-

gewonnene Kindheitserinnerung. «Etwas an seiner Art, Filme zu machen, berührt und inspiriert mich», sagt sie. «Und wie er Musik mit Geschichten verbindet, Soundtracks bastelt, ist einzigartig. Ich wollte Teil dieses Universums werden.»

Also hat Simone mit 16 Jahren die Schule geschmissen und ist zu Verwandten nach Kalifornien übersiedelt, hat sich bei einer Model-Agentur eingeschrieben und ist zu Auditions gegangen. Ihre First Appearance auf der Leinwand hatte sie als Partygirl im Hip-Hop-Biopic «Straight Outta Compton». Dem folgte eine Ausbildung an der Arts Educational School in West London. Ihren grossen Moment im Rampenlicht feierte sie als Olivia Hanan im Netfix-Serienhit «Sex Education».

Willkommen im Shondaland Und dann kam Über-Produzentin Shonda Rhimes, die in den Tiefen ihres BüroSafes eine Geheimformel für Serienrezepte versteckt haben muss und für TV-Meilensteine wie «Grey’s Anatomy», «Scandal» und zuletzt «Bridgerton» verantwortlich zeichnet. Sie castet Simone Ashley für die Hauptrolle in Stafel 2 von «Bridgerton». Die Britin mit indischen Wurzeln wird damit zur Rom-Com-Heroine (Hauptfgur in romantischen Komödien, Anm.), die entgegen allen Widrigkeiten ihr Schicksal in die Hand nimmt – und zum Vorbild tausender Teenager avanciert. Und sie wird weltberühmt: «Ich bin mit romantischen Komödien aufgewachsen. Nur kam ich darin selbst nie vor. Es gab einfach keine Frauen mit dunkler Hautfarbe in der Hauptrolle. Aber ich wollte es so sehr. Ich wollte immer eine Rom-Com-Heldin im Stil von Bridget Jones spielen. Ich will meine Community sichtbar machen.» Das ist ihr gelungen. Simone landete nach «Bridgerton» direkt auf der «Forbes 30 under 30 in European Entertainment»-Liste. Dieses Jahr erscheinen gleich zwei Filme mit Simone – «Picture This» und «This Tempting Madness». Und sie will noch mehr: «Ich bin auf der Suche nach Dingen, die ich davor noch nicht gemacht habe. Ich hätte echt Bock auf eine ActionRolle. Etwas, was mir physisch viel abverlangt.» Vielleicht sollte ihr jemand die Nummer von Tarantino geben. Quentin & Simone klingt irgendwie nach einem «match made in heaven».

Instagram: @simoneashley

«Ich bin mit Rom-Coms aufgewachsen, nur kam ich darin selbst nie vor.»

Die Schauspielerin kämpft um mehr Diversität im Showbusiness.

Justine Dupont

hat Angst – und kein Problem damit. Die beste Big-Wave-Surferin der Welt weiss, sie bewegt sich in einem Bereich, in dem Instinkte überlebenswichtig sind.

the red bulletin: Bei der Big Waves Challenge 2023 wurdest du als Surferin des Jahres und für den besten Ride ausgezeichnet. Du hältst den Weltrekord für die grösste Welle bei den Frauen … Bist du die mutigste Frau auf dem Planeten – und im Ozean?

justine dupont: Das glaube ich nicht. Ich trainiere hart, um diese Wellen reiten zu können. Ich geniesse es sehr, auch wenn ich von Zeit zu Zeit Angst habe, wie jeder andere Mensch auch. Ich versuche, meine Fähigkeiten maximal zu nutzen.

Wie vergangenen Jänner in Kalifornien bei Cortes Bank, wo du eine 22 Meter hohe Welle gemeistert hast? Bis heute der beste Surftrip meines Lebens! Alles war perfekt: die Crew, das Wetter, das Abenteuer, die Wellen … Ich hatte die Ehre, mit Lucas Chumbo, dem führenden Surfer in dieser Disziplin, zusammenzuarbeiten. Fred, mein Ehepartner, war für die Sicherheit zuständig. Es war das perfekte Szenario. Ich hätte mir nichts Besseres wünschen können.

Wie überwindest du deine Angst?

Ich ignoriere sie nicht, ich nutze sie. Sie hilft mir, mich auf den Moment zu konzentrieren. Ich achte auf alles im Wasser. Es hilft mir, mit dem Moment verbunden zu sein. Ich spüre das Salzwasser in meinem Mund, ich schaue und höre. Meine Sinne sind wach, und ich bin bereit, zu surfen und mich auf alles einzustellen.

Du sagst, Surfen sei eine Frage der Balance von Kontrolle und Loslassen. Ich versuche, alles zu meistern, was ich kann. Zunächst ist da die Vorbereitung.

On point

Stammt aus Bordeaux, Frankreich; Alter 32; ist vielfache SurfWeltmeisterin in den unterschiedlichsten Disziplinen – von Big-Wave-Surfen bis Stand-upPaddling; lebt in Nazaré, Portugal

Ich trainiere zweimal am Tag: einmal in der Halle und einmal im Wasser. Ich arbeite daran, die beste Ausrüstung zu haben. Das Team und ich tun alles, um das bestmögliche Sicherheitssystem einzurichten. Ich studiere akribisch die Wetterbedingungen an jedem Spot. Ich mache das, damit ich, sobald ich auf dem Brett stehe, rein intuitiv funktionieren kann. Das ist der Moment, in dem man loslässt und zum Tier wird.

Im Jänner hast du deinen Sohn Elio auf die Welt gebracht. Das ist der grösste Kontrollverlust, den es gibt, oder? Man muss akzeptieren, dass nichts mehr so läuft, wie man es geplant hat. Elio lehrt mich jeden Tag, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen.

Was möchtest du ihm mit auf den Weg geben?

Ich möchte ihm die Lust vermitteln, die Welt und das Leben mit einem Lächeln auf den Lippen und ofenem Geist zu erkunden. Wir werden versuchen, ihm verschiedenste Erfahrungen zu ermöglichen und jeden Moment mit ihm zu geniessen.

Dein Begleiter Fred ist auch dein Teamkollege, dein Lebensretter. Er ist es, der dich durch die Wellen zieht.

In letzter Zeit kümmert sich Fred mehr um meine Sicherheit, und andere Surfer ziehen mich an grossen Tagen hinter sich her. Wir haben ein tolles Gleichgewicht

gefunden. In Nazaré surfe ich an den grossen Tagen hauptsächlich mit Lucas Chumbo und Éric Rebière, und Fred ist im Wasser, um auf mich aufzupassen. Ich vertraue ihnen. Wenn ich zu einem Spot fahre, den ich nicht so gut kenne, arbeite ich lieber mit einem einheimischen Surfer zusammen, der alle Tricks kennt.

Ich möchte noch einmal auf das Thema Angst zurückkommen. Viele versuchen, sie herunterzuspielen. Wie kommt es, dass du sie anders empfndest?

Ich sehe Angst als meine Verbündete. Man muss sie dosieren. Ein bisschen Angst hilft, wachsam und fokussiert zu sein. Das sind die Momente, in denen ich performe. Ohne Angst bin ich weniger aufmerksam. Vielleicht bin ich sogar zu selbstsicher. Das kann gefährlich werden. Ist Angst zu präsent, ist das ein Alarmsignal. Dann ist es Zeit, sich die richtigen Fragen zu stellen. Es ist auch der Moment, in dem man bewusst genug und vor allem fähig sein muss, umzukehren und auf eine andere Gelegenheit zu warten.

Denn im Zweifelsfall ist dein Gegner, der Ozean, immer der Stärkere?

Der Ozean und die Natur werden immer stärker sein als wir. Ich sehe ihn nie als Gegner. Er ist ein Partner, den ich sehr respektiere. Ich stelle mir gerne vor, dass er mich genauso respektiert wie ich ihn.

Hat sich deine Art zu surfen verändert, seit du Mutter geworden bist?

Ich arbeite hart für die kommende Saison. Eines meiner wichtigsten Ziele ist, eine schöne Welle in Nazaré zu surfen. Ich habe auch die Verantwortung, Elio zu zeigen, dass er eine Kraft ist und dass ich mit ihm in unserem Leben weiterhin Erfolg in meiner Karriere haben kann.

Du hast auch eine zweite Karriere als Motivationsrednerin gestartet …

Ich gehe an Konferenzen wie an Wellen heran: Ich bereite mich vor, um Empfndungen und Erfahrungen aus dem Ozean so gut wie möglich weiterzugeben.

Instagram: @justinedupont33

«Man muss fähig sein, umzukehren und auf eine andere Gelegenheit zu warten.»
Justine Dupont in Nazaré, dahinter ihre Spielwiese, der Atlantik

Lee Jung-jae

war bereits ein Stern am asiatischen Kinohimmel, bevor ihn der Westen mit dem Netflix-Hit «Squid Game» entdeckte. Wie weltweiter Mythos kulturelle Unterschiede aufhebt.

Die neue «Star Wars»-Serie «The Acolyte» startete mit einem Quotenrekord. Innerhalb der ersten 24 Stunden tauchten im Juni 4,8 Millionen Zuseher ins neue «Star Wars»-Universum ein; ein PremierenRekord beim Streaming-Dienst Disney+ in diesem Jahr. Die Serie spielt zur Zeit der Hohen Republik, rund 100 Jahre vor «Die dunkle Bedrohung», dem ersten der neun «Star Wars»-Filme, und 132 Jahre vor dem Klassiker «Krieg der Sterne» (1977). In der Mysterythriller-Serie begleiten wir Jedi-Meister Sol, dargestellt von Lee Jung-jae, bei seinen Ermittlungen. Beim TV-Festival in Monte Carlo hat er seinen Jedi-Hoodie gegen einen weissen Designeranzug eingetauscht. Die Krawatte sitzt, er ist wohl der best dressed Jedi-Meister der «Star Wars»-Galaxie. Das mag auch daran liegen, dass er seine Karriere als Fashion Model begonnen hat: Entdeckt wurde er als Kellner in einem Café im Gangnam-gu-Distrikt in Seoul (bekannt aus dem K-Pop-Hit «Gangnam Style»). Schon kurz darauf klopfte die Entertainmentindustrie an seiner Tür. 2021 spielte er im Serienhit «Squid Game» den glücksspielsüchtigen Seong Gi-hun – Nummer 456 – und machte damit die Filmwelt auf sich aufmerksam.

the red bulletin: Wie sehr hat sich deine Karriere seit «Squid Game» verändert? War die Netfix-Serie der Türöfner ins «Star Wars»-Universum? lee jung-jae: Ich habe zuvor schon in vielen Filmen und TV-Serien gespielt. Man kannte sie nur ausserhalb Koreas nicht. «Squid Game» war der Game Changer. Über Nacht hatte mich Holly-

On point

Geboren in Seoul, Südkorea; bekannt aus der Netflix-Serie «Squid Game» & der neuen «Star Wars»-Serie «The Acolyte»; Alter 51; liebt Fashion und ist Botschafter der Luxusmarke Gucci; sammelt Kunstwerke; verfolgt von 3,9 Millionen Menschen auf Instagram

wood auf dem Radar. Leslye Headland, Showrunner der «Star Wars»-Serie «The Acolyte», wollte mich für ihr Projekt haben. Und bald kommt auch noch die zweite Stafel von «Squid Game».

Inwiefern unterscheidet sich das «Star Wars»-Filmset von koreanischen Film- und TV-Sets? Es gibt in unserem Kulturkreis wenige Geschichten im Outer Space. Was Sets betrift, arbeiten Hollywood und Korea aber ähnlich. Wobei das «Star Wars»-Universum eine Ausnahme ist. Das Set-Design, die Kostüme, die CGI, die Requisiten – alles ist eine Nummer grösser. Der «Star Wars»Mythos begann in den 70er-Jahren, und bis heute hat sich der Kosmos weiterentwickelt. Vor allem auf technischer Ebene gab es bahnbrechende Fortschritte. Ich würde sagen, darin liegt der grösste Unterschied zum Film-Business in Korea.

Immer mehr asiatische Schauspieler starten auch in Hollywood durch … Ich glaube, dass asiatische Produktionen sich in den USA und Europa schon lange grosser Beliebtheit erfreuen. Früher waren es japanische, chinesische oder Hongkong-Filme. Seit «Squid Game» ist Korea «in». Aber: Alles ist im Fluss.

Und wir sind Teil davon. Wir sind Teil eines grossen Flows, der sich vor allem über die sozialen Netzwerke verbreitet. Social Media ist wie ein Brennglas. Früher kannten nur Cineasten all die grossartigen asiatischen Filme. Durch das Web passiert alles globaler. Ich habe Glück, weil ich davon proftiere. Dafür bin ich dankbar. Es gibt im asiatischen Filmschafen noch viele versteckte Schätze. Ich hofe, dass unsere Kulturkreise in Zukunft regeren Austausch haben werden.

Deine Rolle als Jedi-Meister Sol in «The Acolyte» war deine erste englischsprachige Rolle. Wie schwer ist es, in einer Fremdsprache zu performen?

Sehr schwer. Meine Zunge ist Koreanisch gewöhnt. (Lacht.) Meine Zungenmuskulatur wollte sich nicht an die englische Sprache anpassen. Jedes Mal, wenn ich etwas auf Englisch artikulieren sollte, fühlte es sich an wie ein Stau im Mund. Die Zunge blockierte. (Lacht.) Aber es nutzte nichts. Ich musste in kurzer Zeit lernen, wie man diese seltsame Sprache intoniert, ohne in Atemnot zu kommen. Im ersten Monat meines Sprachtrainings fel es mir schwer, zu schlucken und zu essen.

Waren Sie schon immer Fan des «Star Wars»-Universums?

Als ich «Star Wars» zum ersten Mal sah – da war ich in der Volksschule –, war ich schockiert und komplett überfordert. Die Grösse des erschafenen Universums, die Geschichte, die Charaktere, die Designs – alles war überlebensgross. Ich wurde zum Fan und habe jeden Film im Kino gesehen. Ich hätte mir aber in meinen wildesten Träumen nicht vorstellen können, selbst eines Tages Teil dieses Universums zu sein.

Wie verwandelt man sich in einen Jedi-Ritter?

Ich war sehr nervös. Die Jedi-Rolle ist der heilige Gral unter den «Star Wars»Charakteren. Also traf ich eine Entscheidung: Ich wollte ihn möglichst menschlich darstellen. Nicht überlebensgross. Nicht übermächtig. Ich setzte auf «Superkraft vs. Menschlichkeit». Mein Jedi sollte Emotionen zeigen. Die Herausforderung war, einzuschätzen, wie viel Realismus und Menschlichkeit ein Jedi-Charakter verträgt.

«Alles ist im Fluss. Und wir sind Teil davon.»

Der koreanische Schauspielstar setzt auf mehr Vernetzung im internationalen Film-Biz.

Atiba Jefferson Guten Rutsch!

US-Fotograf

Atiba Jefferson zeigt seine besten Bilder –und wir haben den Skate-Sound, der die Szene geprägt hat.

«Smile! You’re on camera», steht auf dem gelben Schild, eine Erinnerung an die Überwachungskameras.

Aber dafür hat Ryan Decenzo keine Zeit: Dessen Smithgrind am wackeligen Handrail sei «verdammt gnarly», sagt Atiba. Grosser Style unter erschwerten Bedingungen. Smile! Ryan is on camera.

Text Marc Baumann Fotos Atiba Jefferson

Eigentlich sind ja die Skater die Stars und der Fotograf der Unbekannte. Bei Atiba Jefferson ist das manchmal andersrum. Er ist eine Legende der Skatefotografie – samt Auftritten in drei Tony-Hawk-Videospielen.

Diese Bilder zeigen, warum.

Der längste Grind, die meisten Treppenstufen, die steilste Halfpipe – auf Skateboardfotos geht es meist spektakulär zu. Aber einen Kickflip in der Ebene fotografieren, wie hier von Ryan Sheckler? Noch dazu so im Flow, so locker rausgeschüttelt aussehen zu lassen? Das ist grosse Kunst mit einem kleinen Trick.

«Der vorbeirasende Zug sieht cool aus», sagt Atiba.

Auch Ryan Shecklers Leben war zeitweise wie ein Rausch: Pro-Skater mit 13, jüngster X-GamesSieger, eigene MTV-Show und Modemarke. «Ryan ist ein normaler Typ geblieben», sagt Atiba. Er fotografiert ihn seit mittlerweile zwei Jahrzehnten.

«Leuten, die nicht skaten, könnte ich vortäuschen, ganz gut zu fahren», sagt Atiba Jefferson. Er kriegt mit 48 Jahren noch einen 360 Flip hin, aber hinter der Kamera war er immer begabter. «Ein gutes Foto entsteht zu 75 Prozent durch soziale Skills und zu 25 Prozent durch Ahnung von der Kamera», sagte der US-Amerikaner mal. Wie beliebt Atiba ist, beweist, dass er in drei Skateboardvideospielen auftritt.

Es gibt keinen grösseren Namen in der Szene. Seit drei Jahrzehnten liefert er ikonische Aufnahmen –etwa ein Cover mit Porträtfotos schwarzer Skater für das legendäre ‹Thrasher ›Magazin. Keiner arbeitet so gekonnt mit Licht wie er. Jefferson brachte extrem grosse Bildwinkel, genannt Fisheye-Optik, in die Skatefotografie, und er liebt es, in Highspeed-Action-Shots die entscheidende Millisekunde zu treffen. Er fotografiert auch NBA-Stars, Musiker, Schauspieler, – und selbst den Fussballer Thomas Müller (der bei Atiba gleich cooler aussieht als sonst).

Insta: @atibaphoto

Typisch Profi-Fotograf: Den ganzen Tag andere vor die Kamera zerren, aber selbst? «Ich fühle mich vor der Linse nicht so wohl», sagt Atiba Jefferson. Sieht man dem top-sympathischen Bild gar nicht an.

Vier Skater, ein Fotograf, die Weite Arizonas, kein grosser Plan ausser Spass haben und möglichst gute Spots entdecken. Solche Skate-Trips liebt Atiba Jefferson auch mit 48 Jahren noch. «Skaten ist keine Altersfrage, es gibt keinen Ageism», sagt Atiba. «Auch wenn ich definitiv der alte Typ bin, der es liebt, den Jungs die alten Geschichten zu erzählen.»

Fast hätte man jetzt geschrieben: «die grosse alte Dame des Streetskatens». Aber Letícia Bufoni ist nur 1,58 Meter gross und erst 31. Sie hat nur schon so viel erlebt und erreicht auf dem Skateboard. All die Trophäen, klar, vor allem aber hat sie eine neue Generation von Streetskaterinnen inspiriert. Mit genau dem Funkeln in den Augen, das Atiba uns hier zeigt.

Eine Dürre plagte Kalifornien in den 70erJahren. Für Skater aber veränderte sie ihren Sport – in leerstehenden Schwimmbecken begann die Zeit des Poolskatens. «Ich finde es cool, dass Letícia Bufoni diesen Pool anders skatet als gewohnt. Statt oben an der Kante zu sliden, springt sie per Ollie rein», sagt Atiba.

«Sie sagen, man soll nie seine Helden treffen. Aber ich sage: Scheiss drauf. Ich hab meine getroffen, und es war grossartig. Wenn du Menschen begegnest, die dich inspirieren, wirst du deinen Job lieben.»

Wer hat hier wen grösser beschenkt? Ryan Sheckler den Fotografen mit dem stylischen BS Nosebluntslide? Oder Atiba den Skater mit diesen kunstvollen Lichtverhältnissen? Atibas aus der Studiotechnik übernommene Beleuchtung hat die Skatefotografie geprägt.

Oben links: Tony Hawk (vorn), 56, gehört zur ersten Skater-Generation, die bis zur Rente vom Skaten leben kann. Wird er noch mit 65 Stunts in der Halfpipe machen? Atiba stünde als Fotograf bereit.

Oben rechts: Das Geheimnis eines guten Porträtfotos? «Ich mache den Leuten so wenig Vorgaben wie nötig», so Atiba. Scheint bei Zion Wright echt gut zu funktionieren.

Unten links: «Torey Pudwill ist so ein lustiger Typ mit toller Energie», sagt Atiba. Gut, wenn man so jemanden dabeihat, der die Stimmung hochhält –und nicht mehr als einen Kaktus braucht für ein gutes Foto.

Unten rechts: Muss bei einem grossartigen Foto der Trick gestanden werden? Bei Jamie Foy («Skater of the Year» 2017) ist das Ehrensache, selbst bei 20-Stufen-Nosegrinds.

Wells Fargo, US Airways und Ryan Sheckler – drei amerikanische Traditionsunternehmen in einem Foto vereint. Na gut, nur zwei davon sind an der Börse. «Der Spot war cool, weil er so viel von der Stadt im Hintergrund erzählt», meint Atiba. Heisst der Trick dann Frontside Feeble Sightseeing Grind?

Zwei zum Preis für eins: «Das Foto ist zugleich ein schöner Trick-Shot und ein gutes Porträtfoto», sagt Atiba Jefferson. Und ein so talentierter Skater wie Jagger Eaton, der bei den Olympischen Spielen gerade Silber holte, kann auch in der Luft noch freundlich in Jeffersons Kamera lächeln.

«Durchs Fotografieren kriege ich den besten Zugang zu dem Sport, den ich liebe. In Paris habe ich gesehen, wie ein Freund Olympia-Silber gewann.»

Hör mal!

Der Sound der Szene im Lauf der Jahrzehnte

60er-Jahre: «Skate Out»

Artist: Mike Curb, Sidewalk Sounds

Genre: Surf Rock

Surfer erfanden das Skaten in den 1950er Jahren als «As phaltsurfen» an Tagen ohne Wellen. Ent sprechend ist Surf Rock der Soundtrack der frühen Jahre und des ersten Skateboard films überhaupt, «Skater dater» von 1965. Der Sound track stammt von Mike Curb –nomen est omen.

70er-Jahre:

«Police Truck»

Artist: Dead Kennedys Genre: Punk

In den 1970er Jahren ver ändert die Erfindung der Polyurethan Rolle das Skateboarden. Die Bretter rollen viel schneller und weicher, was radikaleres Fahren wie Airs in Pools er laubt. Skaten wird wild und rebellisch, die passende Musik: Punkrock.

80er-Jahre:

«Skate and Destroy»

Artist: The Faction

Genre: Hardcore

Viele Pro‑Ska‑ ter spielen in Bands, etwa Steve Cabal lero, Halfpipe‑ Legende und Gitarrist bei The Faction. Jim Muir, der mit den Z Boys Skaten gross machte, ist der Bruder von Mike Muir, Sänger der Band Suicidal Tendencies – deren Songs im Soundtrack des Videospiels «Tony Hawk Pro Skater» landeten.

90er-Jahre: «Risin’ High»

Artist: H-Blockx, Genre: Skatepunk Los Angeles und San Fran cisco sind die Epizentren des Skatens. Dort entsteht auch der Skatepunk von Bands wie Green Day, The Offspring, NOFX oder Millen colin. In Deutschland adap tieren Bands wie H‑Blockx den Sound und spielen zum Beispiel beim Mastership in Münster, dem grössten Skatecontest der 90er Jahre.

2000er-Jahre:

«Get down»

Artist: Nas, Genre: Rap Pro Skater achten nicht nur darauf, die härtesten Tricks in Skate videos zu zeigen, auch der Soundtrack ihres Videoparts ist ihnen enorm wichtig. In diesem Jahrzehnt dominiert dort Hip Hop. Einige be rühmte Rapper wie Eazy E, Lil Wayne oder Tyler, The Creator skaten auch selber.

2010er-Jahre: «Electric Feel»

Artist: MGMT, Genre: Electro Alles geht. Ob Frank Sinatra Klassiker wie «Fly Me to the Moon», Thrash Metal, Gangsta Rap, Indie Rock, Klassik oder Techno – jede Musikrichtung ist erlaubt, das gilt bis in die Gegenwart. Was die 2020er noch bringen werden? Wir werden sehen – und hören.

Was treibt einen Menschen dazu an, Großartiges zu leisten. Es mit dem Unbekannten aufzunehmen, etwas Neues zu wagen und vor nichts zurückzuschrecken? Es ist die Willenskraf, die auch TUDOR hervorbrachte. Eine Kraf, die mit dieser Uhr in jeder Frau und jedem Mann lebendig ist. Ohne diese Menschen gibt es keine Geschichte, keine Legende und keinen Sieg. Es ist die treibende Kraf, die Alinghi Red Bull Racing jeden Tag inspiriert. Es ist die Energie, für die jede Armbanduhr von TUDOR steht. Das Leben mancher Menschen wird von Kompromissen bestimmt. Andere sind bereit, ein Leben lang etwas zu wagen.

Flying high: Die Crew von Alinghi Red Bull Racing trainiert hier im Juni 2024 für den America’s Cup.

Was passiert, wenn sich eines der grössten Segelteams der Geschichte mit dem amtierenden

Formel­1­Weltmeister für die ultimative Regatta zusammenschliesst?

Alinghi Red Bull Racing wagt sich in unbekannte Gewässer, um den America’s Cup zu gewinnen.

HORIZONTE

NEUE

Text Tom Guise Fotos Konstantin Reyer

Februar 2003 im Hauraki Gulf vor der Küste Neuseelands. Team New Zealand (TNZ) ist der Titelverteidiger im 31. America’s Cup, dem Wettbewerb, der seit mehr als 150 Jahren den Massstab im Hochgeschwindigkeits­Yachtsegeln setzt. Die eigenwilligen Regeln verpflichten den Titelverteidiger, den Wettbewerb auszurichten – eine Tradition, die den neuseeländischen Champions einen erheblichen Vorteil im Duell gegen ihre Herausforderer verschafft, den Aussenseiter Alinghi aus dem Binnenland Schweiz.

Das BoatOne von Alinghi Red Bull Racing vor der Küste von Barcelona.

Im Wettkampf überschlagen sich die Ereignisse: Das Boot von TNZ läuft in der ersten Runde nach technischen Problemen mit Wasser voll. Raue See, mal zu viel Wind, dann gar keiner; neun Tage lang liegen die Boote vertäut im Hafen, warten auf ein Wetterfenster. Als sich dieses öffnet, bricht der Mast der Kiwis – und: Die Schweizer holen sich den Sieg. Erstmals gewinnt ein Binnenland – und erstmals ein Team bei seinem Debüt. Arnaud Psarofaghis erinnert sich gut daran. Er war damals 14 Jahre alt und lebte 200 Meter vom Genfersee entfernt. An dessen Ufer liegt auch die Société Nautique de Genève, der Yachtclub, unter dessen Flagge Alinghi 2003 antrat. Die Schweiz mag keinen Meereszugang haben, aber sie hat viele Seen – was wiederum auch Vorteile bringe, wie Psarofaghis sagt. «Im Vergleich zum Meer ist ein See ruhig. Man kann daher extremere Boote entwickeln.» Er war dabei, als das Team die legendäre Auld-MugTrophäe in die Schweiz brachte, einer von über 40 000 Menschen, um die Rückkehr ihrer Helden zu feiern. «An diesem Tag begann mein Traum, eines Tages Teil dieses Teams zu sein.» 2016 war es dann so weit. Er war auf Kurs, aber der des Teams hatte sich geändert.

Neuer Kurs

2007 verteidigte Alinghi seinen Titel erneut gegen TNZ. Doch 2010 verloren sie gegen das Oracle Team USA; ein umstrittener Kampf, der sowohl auf dem Wasser als auch – wegen Streitigkeiten über die Regeln – vor Gericht ausgetragen wurde. Nach den

negativen Erfahrungen zog sich Alinghi aus dem Wettbewerb zurück. Elf Jahre später, 2021, kündigte Alinghi die Rückkehr zum Wettbewerb an. Gründer Ernesto Bertarelli versprach «etwas völlig Neues»: ein Joint Venture mit Red Bull zur Bildung eines neuen Teams, das sowohl auf die F1 als auch auf die SegelExpertise zurückgreift – Alinghi Red Bull Racing.

Als Pokalgewinner 2021 durfte TNZ den nächsten Austragungsort wählen und traf die ungewöhnliche Entscheidung, den Heimvorteil aufzugeben. Diesen Oktober wird vor der Küste Barcelonas gesegelt. Die Stadt blickt bereits auf eine grosse Segelvergangenheit zurück. Und im Hafen Port Vell, wo es ohnehin vor Bootshallen wimmelt, kamen 2023 noch ein paar mehr dazu, die Basen der Teams, die um den 37. America’s Cup kämpfen.

Die Base von Alinghi Red Bull Racing sticht mit ihrem rot-blauen Design hervor – F1-Fans kennen es. Davor steht aufgebockt das Boot in der Alinghi Red Bull Racing-Lackierung; eine AC75 – die Klasse der 20,5 Meter langen Einrumpfboote, mit der alle teilnehmenden Teams segeln werden. Das ist BoatZero –eines der Boote aus dem letzten Wettbewerb, von den Schweizern als Trainingsboot von TNZ angekauft. Es hat nun diesen Zweck erfüllt – das Team hat ein verbessertes Boot, das BoatOne, entwickelt. «BoatOne im Vergleich zum BoatZero, das ist wie Tag und Nacht», sagt Silvio Arrivabene, Co-General-Manager für Design- und Segeloperationen des Teams. «Der Rumpf, die Foils, das Ruder, alles – Tag und Nacht.»

Der italienische Segler und Marinearchitekt war schon Teil der Alinghi-Konstruktionsmannschaft für das Rennen 2010. Er wechselte anschliessend zu American Magic – dem Team des New York Yacht Clubs, dem ältesten Syndikat des Sports – und arbeitete an deren Boot für das Rennen 2021. Noch vor dem Ende des Wettbewerbs erhielt Arrivabene einen Anruf von Bertarelli. «Ernesto wollte unbedingt zurückkehren und fragte, ob ich interessiert sei», erinnert er sich. «Es brauchte nicht viel, um mich zu überzeugen. Dieser eine Anruf reichte.» Dass Arrivabene zuvor dem Team angehört hatte, sprach für ihn. Doch noch entscheidender war seine Erfahrung beim America’s Cup 2021. Denn in der Zwischenzeit hatte sich eine technologische Revolution im Sport vollzogen.

Hydrofoiling – der Gebrauch fügelartiger Strukturen, um ein Fahrzeug aus dem Wasser zu heben –gibt es schon länger: im Freizeitsport. Der Ansatz war im Kiteboarding beliebt, er wurde für eine Klasse von

Arnaud Psarofaghis, einer der Segler, vor der Abfahrt im Hafen von Barcelona.

TECHNISCHER FORTSCHRITT

Schiff ahoi!

Die langjährige Historie des America’s Cup ist auch eine Geschichte technischer Evolution des Segelsports. Hier eine kleine Zeitachse.

1988 STARS & STRIPES

CLUB San Diego Yacht Club (USA)

LÄNGE 17,8 m BREITE 8,9 m TIEFGANG 3 m GEWICHT 2,8 t SEGELFLÄCHE 167 m²

Der erste Katamaran, der im Cup antrat.

1851 AMERICA

CLUB New York Yacht Club (USA) LÄNGE 29,9 m BREITE 6,8 m

TIEFGANG 3,4 m GEWICHT 170,55 t SEGELFLÄCHE 461 m²

Das Boot, mit dem alles begann. Erste Siegerin des America’s Cup, die erste Rennyacht, die über den Atlantik segelte.

1937 ENDEAVOUR II

CLUB Royal Yacht Squadron (GBR )

LÄNGE 40,2 m BREITE 6,4 m

TIEFGANG 4,5 m GEWICHT 163 t SEGELFLÄCHE 660 m²

Das Boot geriet bei der Anreise zum Rennen in einen Sturm, koppelte sich vom Schlepper ab und segelte allein weiter.

1992 AMERICA 3

CLUB San Diego Yacht Club (USA) LÄNGE 22,2 m BREITE 5,3 m TIEFGANG 3,8 m GEWICHT 16,2 t SEGELFLÄCHE 263 m²

Dieses Boot brachte moderne Materialien, grössere Segelfläche und mehr Speed.

1903 RELIANCE

CLUB New York Yacht Club (USA)

LÄNGE 42,5 m BREITE 7,6 m

TIEFGANG 6,1 m GEWICHT 140 t

SEGELFLÄCHE 1415 m²

Das grösste Boot, das jemals für den Cup gebaut wurde. Der Stahlmast ragte 60 Meter in die Höhe, das Hauptsegel wog 1,5 Tonnen.

1958 SCEPTRE

CLUB Royal Yacht Squadron (GBR)

LÄNGE 20,4 m BREITE 3,5 m

TIEFGANG 2,7 m GEWICHT 30 t SEGELFLÄCHE 160 m²

Wegen des Mangels an Ressourcen nach dem Weltkrieg wurde eine Einheitsklasse eingeführt und die Boote beträchtlich verkleinert.

2012 AC72

Einheitsklasse! LÄNGE 21,9 m

BREITE 14 m TIEFGANG 4,42 m

GEWICHT 6,2 t SEGELFLÄCHE 580 m²

Willkommen in der Gegenwart: Die AC72 verlangte den zehn Crew-Mitgliedern olympisches Fitnessniveau ab.

kleineren Segelbooten übernommen, etwa die Motte, eine Einhandsegelboot-Klasse. Aber es war TNZ, damals Herausforderer des Titelverteidigers Oracle Team USA, die sich entschieden, diese Technologie bei grösseren Booten anzuwenden, speziell jenen Katamaranen, die sie im nächsten America’s Cup einsetzen würden. «Bis 2013 waren America’s-CupBoote ans Wasser gebunden», sagt Arrivabene. «Jetzt braucht man weder Kiel noch Ballast, es gibt kein Krängen mehr (Anm.: Schräglage des Boots). Die Segel sind Flügel. Und erst die Geschwindigkeit!» Was Arrivabene beschreibt, ist ein Wechsel von der Hydrodynamik – der Physik der Bewegung durch Flüssigkeiten – zur Aerodynamik, dem Reisen durch die Luft.

Elementarer Wechsel

Milton Keynes ist nicht so glamourös wie Barcelona. Manche sagen der britischen Stadt, bekannt für ihre Kreisverkehre (126 an der Zahl), sogar nach, dass sie ein wenig langweilig sei. Aber Aufregung ist subjektiv, und der Name der Stadt lässt die Herzen von F1-Fans höherschlagen: Sie ist die Heimat von Red Bull Racing. Gleich vis-à-vis befndet sich Red Bull Advanced Technologies (RBAT). Dort liegt das technische Wissen, das nach sieben F1-Siegen und sechs siegreichen Konstrukteurs-Weltmeisterschaften in andere Projekte übertragen wird: von einem mit Wasserstoff betriebenen Auto für das 24-StundenRennen von Le Mans bis hin zu einer BMX-Bowl, die leicht genug ist, um sie an einen Heissluftballon zu hängen. Und seit 2021 auch in Boote, die fiegen können. RBAT-Technikdirektor Rob Gray zögerte

nicht. «Ihr seid die Experten für Boote, wir haben die Technologie – wie können wir helfen?»

Hier treffen nun also Hydro- und Aerodynamik aufeinander. Die Materialwissenschaft im Bau der Boote sei jener in der F1 sehr ähnlich, sagt Adolfo Carrau, Designkoordinator von Alinghi Red Bull Racing. «Wir verwenden Karbonfasern und Titan, müssen aber streng mit dem Gewicht haushalten.»

Die Problemstellung, einfach erklärt: «Wenn eine Abteilung sagt, sie brauche drei Kilo Zusatzgewicht, frage ich: Wie viel Bootsgeschwindigkeit gibst du mir dafür?» Am offensichtlichsten sei es beim Rumpf. «Er berührt vor dem Abheben sowohl Wasser als auch Luft», erklärt Carrau. «Es ist verlockend, eine hundertprozentig aerodynamische Form zu bauen, aber wenn sie im Wasser – besonders in Barcelona, wo es grosse Wellen gibt – zu viel Widerstand hat, wird sie nicht abheben.»

Bei ebensolchen Fragen kommt das Wissen von RBAT zum Einsatz. «Aerodynamiker machen Dinge kleiner, dünner», sagt Ed Collings, Leiter der Verbundwerkstoffe und Strukturanalyse bei RBAT. «Schwerere

Boote erheben sich aus dem Wasser.

Die Segel sind Flügel.

Per Kran wird das BoatOne vor jedem Training vom Dock in Barcelona ins Wasser gehoben.

Materialien mit einem dünneren Querschnitt, zum Beispiel im Ruder, reduzieren den Widerstand. Wenn es dir gelingt, dieses Gewicht weiter zu reduzieren, kannst du mehr Kontrollsysteme mitführen – was zu einer besseren Performance führt.»

Designkoordinator Carrau war früher Segler, was ihm in seinem aktuellen Job einen grossen Vorteil verschafft. Denn in den kleinen Designabteilungen der America’s-Teams muss man alle Details verstehen. Ein F1-Team hingegen arbeitet mit Hunderten von Designern. «Sie verbringen ihre gesamte Karriere damit, eine einzelne Komponente zu entwickeln, wie den Frontfügel oder die Aufhängung.»

Eine solche Komponente auf der AC75 ist die Vorrichtung zum Bewegen des Grosssegels. Als Yacht sind ihre Segel der Motor, der Wind der Treibstoff, aber die Hydraulik, die zum Trimmen der Segel verwendet wird, wird von Menschenkraft angetrieben. Bisher geschah dies über Handwinden. 2024 wird es über Beine geschehen – vier Crewmitglieder, bekannt als Cyclors, treten auf an Deck montierten Fahr rädern. «Jede Reibungsreduzierung spart Energie, die anderswo verwendet werden kann», erklärt Collings. «Also haben wir die gesamte TravellerKonstruktion von Grund auf neu entworfen.»

Letzter Check: Bevor das BoatOne loslegt, prüft die Crew noch mals die Technik und alle Kommunikationssysteme.

Arrivabene erinnert sich an den Beginn der Zusammenarbeit mit Rob: «Wir sind die Holzfäller, ihr seid die Uhrmacher», sagte er damals mit Blick auf die gewünschte Mikro-Optimierung der Boote. «Wenn man an einem Auto arbeitet, hat man kleine Werkzeuge, in unserem Bootsschuppen braucht man grosse Werkzeuge, man macht Staub und Lärm. Segeln ist grob.»

Hightech im Einsatz

Holzfäller-Ästhetik kommt einem nicht in den Sinn, wenn man die Alinghi Red Bull Racing Base betritt. Die Gästelounge mit Blick auf das Wasser wird vom örtlichen Michelin-Sterne-Koch Romain Fornell betreut. Weiter hinten befndet sich ein 250 Quadratmeter grosses Fitnessstudio. Am Dock gibt es drei Hangars, The Red Bulletin bekommt einen seltenen Blick hinter die Kulissen. Der erste Hangar ist das Segelloft, wo ein Segelmacher eine überdimensionale Nähmaschine, die in den Boden eingelassen ist, bedient. Der Boden dient zum Auslegen der riesigen Stoffbahnen – ein Karbonfaser-Verbundwerkstoff, der bei voller Geschwindigkeit bis zu 15 Tonnen Druck standhalten muss. Ähnlich wie die Reifen in der F1 verlieren die Segel mit zunehmendem Verschleiss an Effzienz, und jedes Team darf während des gesamten Wettbewerbs nur sechs Hauptsegel verwenden.

Durch eine Tür geht es in die Takelage-Werkstatt, wo sich auch der Mast der AC75 befndet. Der letzte Hangar ist der grösste von allen – die Bootshalle. Das Tor steht offen, aber das BoatOne ist abgedeckt. Viele Bereiche der Basis sind nicht für die Augen Unbefugter gedacht, aber was man nirgendwo fnden wird, sind ein Windkanal oder ein Wellenbecken –den Regeln folgend wird das Boot nur auf See getestet, begleitet von Aufklärungsfotografen, die alles dokumentieren. Das Testen ist eine aufwendige Angelegenheit.

Anders als in der F1, wo ein Auto während einer Saison weiterentwickelt werden kann, wird das BoatOne erst zwei Monate vor dem Cup bei der letzten Vorregatta etwas Rennluft schnuppern. Das Team trainiere zwischenzeitlich mit einem Simulator,

«Wir sind die Holzfäller, ihr seid
Silvio Arrivabene ist gelernter Schiffbauingenieur und Co-General-Manager von Alinghi Red Bull Racing.

In der Segelwerkstatt der Base ist die überdimensionale Nähmaschine in den Boden eingelassen.

Das neue BoatOne fliegt mit einer Spitzengeschwindigkeit von 50 Knoten – rund 90 km/h.

«Wir setzen nichts ein, ohne es im Simulator getestet zu haben.»

mit einer Kopie des Bootes, wie Joseph Ozanne, der Simulatorleiter, erklärt. Wer sich das ähnlich einem F1-Simulator vorstellt – ein bewegliches Chassis mit einem Bildschirm –, wird von Ozanne korrigiert. «In der F1 hat man einen Fahrer, der seinen Kopf kaum bewegen muss, weil er Spiegel hat. Auf einem Rennboot können sie sich keinen Bildschirm teilen, weil die Jungs auf der einen Seite des Boots die auf der anderen nicht sehen können.» Mixed Reality war die Lösung. «VR, aber man kann seine Hände sehen.»

Während die Cyclors im Fitnessstudio trainieren, verbringen die vier Mitglieder der taktischen Crew –zwei Steuermänner, der Flugkontrolleur (der die Foils bedient) und der Segeltrimmer – bis zu fünf Stunden pro Tag im Simulator. Anfangs ging es darum, zu lernen, wie das Boot funktioniert. Die Besatzungen müssen aus dem Land sein, das sie vertreten, und da das Schweizer Team neu ist, hatte keiner zuvor eine AC75 gesteuert. «Im ersten Jahr haben sie die Welt virtuell zweimal umrundet», sagt Ozanne. Jetzt konzentrieren sie sich auf einen anderen Aspekt. «Rennfahren. Sie entwickeln ein ganzes Playbook in der virtuellen Welt, bevor sie real auf einen Gegner treffen.»

Der Simulator war auch für die Entwicklung des BoatOne entscheidend. «Wir setzen nichts ein, ohne es im Simulator getestet zu haben», sagt Ozanne. Als die Yacht fertig war, wurden ihre Designer zu Leistungsanalysten, die die AC75 beobachteten und diese Daten zurück in den Simulator einfiessen liessen. Beschleunigt wird dieser Prozess durch KI. «Wenn ich abends gehe, kann ich einen Knopf drücken, und bis zum Morgen habe ich Stunden von Simulationen.» Es gehe darum, die Lücke zwischen Design, Optimierung und der realen Welt zu verringern. Denn am Ende ist es ein Segelteam, das aufs Wasser rausgeht.

Volle Kraft voraus

Es ist neun Uhr morgens, und viele Mitglieder des Schweizer Teams sind schon seit dem Morgengrauen am Dock. Das BoatOne wird zu Wasser gelassen, und es wird sichtbar, wie sehr es sich vom Vorgänger, dem BoatZero, unterscheidet. Der Bug hat eine Rille, die an einen Mund erinnert. Das Deck und die Seiten wurden neu gestaltet. Am auffälligsten ist, dass die Heckwände entfernt wurden, um ein geschwungenes Heck freizulegen. Es sieht mehr aus wie das Batmobil als wie ein Boot.

8

Die Anzahl der Crew-Mitglieder: vier Cyclors, zwei Steuermänner, je ein Trimmer und ein Flugkontrolleur.

20,5

Meter misst das Boot.

50

Knoten beträgt die Spitzengeschwindigkeit des Boots.

26,5

Meter ist der Mast hoch.

15 000

Tonnen Druck lasten bei Top-Speed auf dem Segel.

6

Segel darf jedes Team während des Bewerbs verwenden.

Der 26,5 Meter hohe Mast wird mit einem Kran angehoben und auf dem Deck montiert. Das Aufklärungsteam macht Fotos, Datenanalysten arbeiten auf ihren Laptops im Beiboot, ein weiteres Boot ist mit Bojen beladen, die als Kursmarkierungen dienen. «Es gibt immer Leute, die aufpassen, was auf der AC75 passiert, und zwischen den Sessions an Bord gehen, um zu prüfen, ob alles funktioniert», sagt Barnabé Delarze, einer der Cyclors und ehemaliger olympischer Ruderer. Einige der Cyclors kommen vom Radsport, die meisten aber sind Ruderer und kommen aus einem Sport, der zu 60 Prozent aus Beinarbeit besteht. «Wir setzen die Segel nicht im Hafen», erklärt Delarze. «Wir werden aufs Meer hinausgeschleppt, weil es bei Wind ziemlich schnell ziemlich gefährlich werden kann.»

Das leistungsstärkste Begleitboot hat 1800 PS. «Das ist nötig, um der AC75 zu folgen, die bis zu 50 Knoten (92 km/h) erreicht», sagt Delarze. Die Segel werden angebracht, Logiksystem, Elektronik, Hydraulik kontrolliert. Die Cyclors testen ihre Ausrüstung in den Cockpits, die taktische Crew kommt mit Helmen und wasserdichter Kommunikationsausrüstung. Psarofaghis ist einer von ihnen. Er hat seinen Kindheitstraum verwirklicht, er ist Teil des Teams. Aber für den 35-jährigen Steuermann gibt es noch viel zu tun.

In ihren ersten beiden Vorregatten letztes Jahr im nahegelegenen Vilanova i la Geltrú und dann in Jeddah wurden sie Fünfter bzw. Dritter. «Beim ersten Rennen hast du keine Erwartungen; beim zweiten weisst du, wo du sein willst», sagt er. Aber sie wüssten, woran sie arbeiten müssen. Die Erfahrung von der A40, auf der sie segelten, liesse sich nicht so leicht auf die AC75 übertragen. Deswegen möchte er die drei- bis vierjährige Pause zwischen den Cups auf zwei Jahre reduzieren, um öfter mit dem grossen Boot zu segeln. «Man hat all diese enorme Dynamik, dann totale Stille. Das ist frustrierend. Deshalb wollen wir gewinnen und das ändern.»

Es ist eine Sache, zu wissen, wie eine AC75 funktioniert, eine andere, es zu sehen: Nichts ausser dem Ruder und einem der Foils berührt das Wasser. Während es wendet, bleibt das Boot aufrecht. Es ist surreal. Arrivabene hat sich daran gewöhnt: Aufrechtes Boot, Flügel, die sich auf und ab bewegen. «Wir können uns nicht vorstellen, zum traditionellen Segeln zurückzukehren.»

Gibt es etwas Traditionelleres als einen Segelwettbewerb, der seit 173 Jahren läuft? Und doch hat auch immer das Streben nach Fortschritt den America’s Cup geprägt. Das passt ins Konzept von Arrivabene. «Alinghi Red Bull Racing ist neu, unser Team ist jung, die Segler waren noch nie im Cup. Die anderen Teams dachten wahrscheinlich: ‹Diese Jungs haben viel aufzuholen›», sagt Arrivabene. «Sollte es da einen Rückstand gegeben haben, dann haben wir ihn aufgeholt. Mindestens aufgeholt.»

Die Louis Vuitton Cup Challenger Selection Series startete am 29. August. Der 37. America’s Cup beginnt am 12. Oktober. alinghiredbullracing.com

Getting up to speed: Anja von Allmen beim technischen Check vor einer Trainingsfahrt in Barcelona. Sie ist eines von sechs Mitgliedern des Women’s Team von Alinghi Red Bull Racing.

AUFBRUCH- STIMMUNG

Text Anna Kerber
Fotos Shamil Tanna

Es weht ein frischer Wind vor Spaniens Küste. Der America’s Cup ist weitgehend für zwei Dinge bekannt: Tradition und technischen Fortschritt. Letzteres bedingt einen lang überfälligen Wandel. Zum ersten Mal in der 173-jährigen Geschichte des Cups gibt es einen Frauenbewerb. Die Schweiz schickt absolute Profis ins Rennen: von der Juniorenweltmeisterin bis hin zur mehrfachen Olympiateilnehmerin.

Gruppenfoto: Das Team vor dem Training in Barcelona. Einzig Maja Siegenthaler ist beim Shooting nicht dabei. Sie war bereits für die Olympischen Spiele unterwegs.

Die AC40 erreicht eine Spitzengeschwindigkeit

von bis zu 45 Knoten.

Selbst für die erfahrensten Seglerinnen im Team stellt

das Boot eine neue Herausforderung dar.

In einer Werft im Hafen von Barcelona geht es rund. Aus den Boxen dröhnt Hip-Hop, die AC40 wird nach draussen gerollt, der Kran steht bereit, Tech-Checks laufen. Es ist nicht die Haupt-Base, sondern eine ausgelagerte Version für das Frauen- und Jugend-Team. Es ist nicht so, dass Frauen bisher auf den Segelbooten im America’s Cup nicht erlaubt waren. Nur blieben sie die Ausnahmen. Was auch damit zusammenhängt, dass die körperlichen Erfordernisse für eine Teilnahme bisher andere waren. Das hat sich geändert. Und das hat mit der neuen technischen Beschaffenheit der Boote zu tun.

«Männer sind allgemein betrachtet körperlich stärker als Frauen. Vom physischen Aspekt abgesehen sind wir gleich. Dann geht es nur darum, zu trainieren. Kognitive Fähigkeiten zu stärken, Erfahrung zu sammeln.»

Blick ins Cockpit. Wenn die Segel gesetzt sind, kommunizieren die Athletinnen via Headset.

Coraline Jonet ist Projektleiterin für Jugend und Frauen bei Alinghi Red Bull Racing und pflegt als erfahrene Seglerin einen sehr pragmatischen Zugang zum Sport. Das Team hat aus den Bewerbungen, die für alle Schweizer Seglerinnen und Segler offen waren, sechs Frauen und sechs Männer ausgewählt. «Drei der Frauen erfüllen die Alterskriterien für die Jugend», sagt Jonet, was bedeutet, dass sie in beiden Cups segeln könnten. Das würde ihnen eine enorme Menge an Erfahrung bringen. Und Sichtbarkeit – denn das Finale des Women’s Cup überschneidet sich mit dem hochkarätigeren Hauptevent. «Kleine Mädchen werden Frauen im Rennen sehen und sagen: ‹Ich will das machen. Ich kann das machen.›» Wann wird es so weit sein, dass wir Frauen auf der AC75 sehen? «Vielleicht in der nächsten Kampagne», sagt Jonet. Die 42-jährige Seglerin hat sechs Meisterschaften auf D35-Katamaranen gewonnen. Sie selbst würde gerne dabei sein. «Ich segle, seit ich sieben war. Es wäre jetzt perfekt.»

Alexandra Stalder

kam als «die Unbekannte» ins Team. «In der Schweizer Segelszene kennt man einander», sagt Anja. Ale ist Italienerin, segelte dort. Neben ihren Fähigkeiten als Juniorenweltmeisterin mit der 39er FX erlaubte es ihr Schweizer Zweitpass, sich für das Team zu qualifizieren.

Nun bringt die 25-Jährige aus Oppeano den «Italian Vibe» ins Team. «Sie hat viel Power, Leidenschaft, eine laute Stimme, keinen Filter und pusht die Limits», so beschreiben ihre Teamkolleginnen sie einstimmig. Ihre Fähigkeit, Dinge direkt anzusprechen, hilft allen beim Lösen von Problemen.

Alle Hände an Deck: Alexandra Stalder beim Herablassen des Bootes ins Wasser per Kran vor ihrem Training.

Oben: Alle Teammitglieder mussten sich schnell auf der AC40 zurechtfinden. Anja und Laurane vor der Trainingsfahrt.

Anja von Allmen

stieg direkt vom langsamsten Boot auf das schnellste um.

Mit einer Laser ILCA bereitete sich die Juniorenweltmeisterin und Europameisterin (ILCA 4) auf ihre olympische Kampagne vor, ihr Coach überzeugte sie, sich doch beim Auswahlverfahren von Alinghi Red Bull Racing zu bewerben.

«Die Sturköpfige» nennen ihre Teamkolleginnen die 21-Jährige aus Spiez. Zudem «super strukturiert und diszipliniert». «Wir haben hier richtig lange und intensive Tage», sagt Nathalie Brugger, «und Anja zieht dann zusätzlich ihr Gym-Programm durch.» Aus gutem Grund: In vier Jahren möchte sie an den Olympischen Spielen teilnehmen. Das Attribut «sturköpfig» sieht Anja selbst als ein Kompliment: «Es bringt dich schon weiter.»

Anja von Allmen vor dem Training im Hafen in Barcelona. Sie stieg vom langsamsten Segelboot auf das schnellste um.

Eingespieltes Team: Die Crew der AC40 bereitet das Boot mit Coach Matías Bühler auf eine Trainingsfahrt vor.

Auf Kurs – und abgehoben: Ab etwa 16 Knoten (rund 30 km/h) hebt sich die AC40 aus dem Wasser. Das Boot erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 45 Knoten – das sind knapp 80 km/h.

Gleichberechtigung als Ziel

Jonet sieht Unterschiede in den körperlichen Veranlagungen zwischen den Geschlechtern. Sie sieht, dass, allgemein gesprochen, Männer die Power-Crew bilden, im Fall von Alinghi Red Bull Racing die Cyclors, darunter olympische Ruderer, die mit ihrer Beinkraft zur Teamleistung beitragen. Sie sieht einen Unterschied darin, wie Frauen kommunizieren, wie sie denken. «Präziser», sagt Jonet, «sorgsamer.» Und darin sieht sie die Stärke von gemischten Teams. Gleichheit sei nicht notwendig. Aber eine gute Balance. Das wäre der Gewinn für den Sport.

Das machen die neuen Boote im America’s Cup möglich. Manche Positionen auf der AC75, die im Hauptbewerb fährt, erfordern mehr kognitive als physische Leistung. Es geht ums Steuern, darum, den Kurs zu entscheiden. Das geschieht auf diesen Hightech-Booten per Knopfdruck. Und auf die kleineren AC40,

Die AC40 wird für das Training per Kran ins Wasser gehoben.
Marie Mazuay bei der Vorbereitung an Deck vor dem Training.

Maja Siegenthaler

zählt zu den erfahrensten 470Seglerinnen der Schweiz. Sie bringt Wissen und Erfahrung ins Team. Bei unserem Fotoshoot war die 31-Jährige aus Spiez leider nicht dabei, weil sie sich in Marseille auf die Olympischen Spiele vorbereitete. Die frühere Jugendweltmeisterin ist dort nach Rio und Tokio zum dritten Mal dabei, dieses Mal in einem gemischten Team auf einer 470er.

Marie Mazuay

ist altersmässig das Küken im Team, aber niemand hier unterschätzt ihre Fähigkeiten und die Willenskraft der JuniorenWeltmeisterin. Die 19-Jährige aus Aire-la-Ville brachte viel Erfahrung mit, von Nacra 15, kleinen, aber schnellen Katamaran-Booten (bis zu 20 Knoten). Als «force tranquille» gibt sie dem Team Ruhe, besticht durch ihre Beobachtungskraft und schnelle Lernfähigkeit. Marie ist mit Alinghi aufgewachsen, ihr Vater war Teil des Teams, designte Segel. Sie kennt den Zirkus von klein auf und hat ihren eigenen Weg darin gefunden.

Laurane Mettraux

bringt jede Menge Erfahrung ins Team, was ihre Teamkolleginnen sehr schätzen. Oder wie Nathalie Brugger es formuliert: «Lolo kannst du auf jedes Boot setzen, und sie wird den Job machen. Sie weiss, was sie will, und wird das ruhig, aber bestimmt umsetzen. Sie strebt nach Perfektion.»

Direkt nach unserem Fotoshoot machte sie sich auf nach San Franciso zu einem SailGP Event.

Laurane Mettraux konzentriert sich vor einer Trainingseinheit mit der AC40 in Barcelona.

Nathalie Brugger bringt als dreifache Olympiateilnehmerin viel Erfahrung mit an Bord.

die als Trainingsboote für das Main Team dienten und mit denen das Women’s Team ins Rennen geht, trifft das erst recht zu. Dabei sollte man die kleinere Yacht nicht unterschätzen.

«Wir nennen es zwar das kleine Boot, aber es ist die perfekte Racing-Maschine», sagt Jonet. «Sie fährt megaschnell – 45 Knoten –, und als Crew-Mitglied sammelst du Erfahrung in allen Rollen und Positionen auf dem Boot.» Und genau darum geht es: Erfahrung. Das Wichtigste im Segelsport, weil Wasser und Wind sich ständig ändern.

Alle Seglerinnen im Team Alinghi Red Bull Racing bringen massiv Erfahrung mit. Erfahrung auf verschiedenen Booten, in verschiedenen Bewerben, fast alle sind sie versierte oder angehende Olympionikinnen. Diese Regatta steht dafür, dass Frauen künftig entsprechend ihrem Können den Platz auf dem Boot finden. Und genau mit dieser Haltung gehen die Schweizer Power-Frauen ins Rennen.

Nathalie

Brugger

wird von ihren Kolleginnen liebevoll «Grandma» genannt. Mit ihren 38 Jahren und drei Olympia-Teilnahmen bringt sie Ruhe, Wissen und viel Erfahrung mit. Sie war bei den Spielen in Peking dabei, in London, Rio und schliesslich in Tokio als Coachin von Maud Jayet. Als Skipperin leitet die Fribourgerin nun das Team. «Wir werden nur dann Ergebnisse sehen, wenn wir effektiv zusammenarbeiten und gemeinsam steuern können.»

Alle Informationen zum Puig Women’s Cup findest du hier: americascup.com; alinghiredbullracing. americascup.com/ywac

Vorne dröhnt das Motorrad, hinten im Windschatten rasen die Radfahrer: Die Steher-Rennen sind eine Männerdomäne. Und manche wollten, dass das so bleibt. Dann kam Nicole Fry.

Die Schritt

Text Karin Wenger Fotos Pascal Mora

macherin

Nicole Fry mit Steher Martin Ruepp bei ihrem ersten Rennen auf der Rennbahn Oerlikon 2023

Tough und humorvoll: Nicole Fry nach einer Trainingseinheit auf der offenen Rennbahn Zürich­Oerlikon

Ruhe vor dem Sturm. Nicole Fry bespricht sich mit ihrem Fahrer Martin Ruepp vor ihrem ersten Rennen.

Auf der offenen Rennbahn ZürichOerlikon legt sich Nicole Fry beim Training in die Kurven.

Nicole Frys übergrosse Lederkluft bläht sich bei der Fahrt auf der Rennbahn auf – und bietet so mehr Windschatten für den Steher.

Um Nicole Fry zu verstehen, muss man eines über sie wissen: Sie ist ein Stimmungsmensch. Guten Launen folgt sie, ohne lange darüber nachzudenken, und sobald es mühsam wird, ist sie zu hartnäckig, es sich anders zu überlegen. Um zu verstehen, wieso sich die 48 ­ Jährige in den Kopf gesetzt hat, als erste Frau in eine aus der Zeit gefallene Sportart einzusteigen, die ihr erst noch fremd war, muss man die ofene Rennbahn in ZürichOerlikon besuchen – und zwar am Dienstagabend, wenn die Motoren aufheulen.

Der Startschuss knallt ins Dröhnen der Motorräder rein, die auf der ovalen Rennbahn bereits Runden drehen: 850erYamahas aus den 1990er­Jahren, ohne Schalldämpfer. Nah fahren sie, die Schrittmacher in schwarzen Lederanzügen, an ihre Teamkollegen ran, die in hautengen Trikots in die Pedale ihrer Rennräder treten. Ein paar Sekunden dauert das Andocken, dann rasen die Zweiergespanne hintereinander über die Rennbahn. Mit achtzig Kilometern pro Stunde, die schnellsten sogar neunzig.

An den kurzen Seiten ist die Rundbahn so steil geneigt, dass man selbst mit Anlauf nicht hochrennen könnte. Doch die Fliehkraft drückt die Motorräder und ihre Rennfahrer in den Kurven in eine Steillage, die den Anmut erweckt, als würden sie bald abheben. Es sind diese Momente,

«Ich mag das Minimalistische – alles in der Rennbahn hat seinen Platz. Und auch den Geruch von Benzin.»

die Nicole Fry so sehr mag. Sie, zierlich, durchtrainierte Statur, ist seit einem Jahr die erste Frau, die als Schrittmacherin über die Bahn fiegt.

Runden um Runden rasen sie, und was geschmeidig aussieht, ist ein ziemlich schwieriges Handwerk. Und ein hartes, besonders als Frau. Die sogenannten Steherrennen gehören einer Vergangenheit an, in der Männer ungefragt die Welt dominierten. Die letzte Weltmeisterschaft fand 1994 statt, die Velos mit den kleineren Vorderrädern basteln sich die Fahrer selbst zusammen. In der Schweiz sind zurzeit nur noch eine Handvoll erfahrene Fahrergespanne aktiv. Doch die schweren Motoren, die in der lauen Abendstimmung dröhnen, kombiniert mit dem Sog der Rennen, begeistern die städtische Nachbarschaft in Zürich. Auch Nicole Fry.

«Ich mag das Minimalistische, alles in der Rennbahn hat seinen Platz. Und auch den Geruch von Benzin», sagt sie an diesem Dienstag im Juni ein paar Stunden vor dem Startschuss. Noch ist es ruhig auf der Rennbahn, nur die Klickschuhe der Rennfahrer klackern auf dem Beton.

Vor sieben Jahren kam sie das erste Mal hierher, damals stand sie auf der Tribüne zusammen mit ihrer Familie. Die Stimmung war so gut, dass sie immer mal wieder vorbeischaute. «Die Bahn hat eine Anziehungskraft.»

Hartnäckigkeit zählt

«Ich bin immer nervös vor den Rennen», sagt Fry, «vor allem wegen den Kollegen auf der Bahn.» Nach dem letzten Rennen habe sie einer angefaucht, sie habe ihm zu wenig Platz gelassen. Es war auch aus einer Laune heraus, dass sie dem Rennbahn­Verantwortlichen eine Mail schrieb: «Ich bin eine Frau und würde es gerne lernen. Ist das möglich?» Fry hatte zuvor vernommen, dass Schrittmacher gesucht würden. Sie fuhr seit einigen Jahren Motorrad und wollte eine neue Herausforderung.

«Ich dachte, es sei im Stadion so lässig wie auf der Bühne: Alle freuen sich füreinander. Aber das ist nicht so. Alles ist Konkurrenz, es ist ein Haifschbecken.»

Fry ging zu einem Trefen, wurde in den Gruppenchat aufgenommen,

Nicole Fry mit ihrer rund 240 Kilogramm schweren Yamaha auf dem Weg zum Training auf der Rennbahn
Nicole Fry zieht
ihren Fahrer
Martin Ruepp im Windschatten
ihrer Yamaha über die Bahn.

Die erste Schrittmacherin wird nach ihrem ersten Rennen gebührend von ihren Kollegen gefeiert.

«Ho» und «Allez» – auf der Bahn kommunizieren Schrittmacherin und Steher ständig.

trainierte, fel hin, hatte blaue Flecken und Muskelkater, doch der Ehrgeiz kickte rein, sie trainierte weiter und wurde schliesslich zur Prüfung zugelassen. Monatelang suchte sie, bis sie einen Velofahrer fand, der hinter ihr rasen wollte. Unterstützt haben sie ein Verantwortlicher der Rennbahn sowie ein langjähriger Schrittmacher. Etliche andere grüssen sie bis heute einsilbig – und reden ansonsten kein Wort mit ihr. Tricks, wie sie die schwere Maschine besser steuert und möglichst viel Windschatten generieren kann, muss sie sich selbst ausdenken. «Ich bin halt eine, die nie Velorennen gefahren ist und nicht aus der Szene kommt.» Für andere ist es ihr Leben. «Ich sehe es nicht so eng, für mich geht es um die Freude.» Vielleicht war es gerade deshalb möglich. Weil sie keine Berührungsangst hatte. Kurz vor ihrem Rennen kommt Fry aus der Garderobe im Lederkostüm, in das die aktive Marathonläuferin vermutlich zweimal reinpassen würde. Es wird sich während der Fahrt aufblähen und so ähnlich viel Windschatten generieren wie bei ihren stämmigen Kollegen. Frys Mann

und ihre Tochter winken ihr zu. Ihre Mama, die ebenfalls gekommen ist, sagt mit Stolz und Zuneigung in der Stimme, wie es nur eine Mutter kann: «Sie braucht jedes Mal so viel Mut.»

Kommunikation ist alles Dann beginnt das Dröhnen der Motoren. Fry trägt einen Helm mit Löchern bei den Ohren und nach hinten geöfneten Schalen. So kann sie trotz Lärm hören, wenn ihr Velofahrer «Ho» oder «Allez» ruft, langsamer oder schneller. Die permanente Kommunikation ist wichtig, damit sie sich nicht verlieren. Das Zusammenspiel mit ihrem Steher ist auch das, was sie reizt: gemeinsam im Team in einer Ausnahmesituation zu sein. Voller Fokus. Viermal werden sie und ihr Fahrer Micha Plüss bis zum Ende des Rennens vom schnellsten Duo überrundet. Der 20­Jährige, der seit letzter Saison mit Fry fährt, sagt, es habe diesmal an ihm gelegen: «Ich hatte heute die Beine nicht.» Die Vorurteile gegenüber seiner Teamkollegin fndet er dumm. «Es mag Dinge geben, wo Frauen schwächer sind, aber beim Töffahren sicher

nicht.» Fry stellt nach dem Rennen das Motorrad ab, grinst und zuckt mit den Schultern. Dieses Rennen ist abgehakt, die nächsten können kommen. Mehrere Male hat sie sich schon gefragt, was das alles bringe. Besonders wenn sie sich nicht willkommen fühlt auf der Rennbahn oder wenn andere Schrittmacher böse Kommentare abgeben. «Aber wenn ich jetzt aufhöre, werden die Männer sagen, sie hätten es ja gewusst. Und es wäre nicht cool für die Frauen, die irgendwann nachziehen wollen.» Hartnäckigkeit ist nicht der einzige Grund, wieso Nicole Fry durchhält. Sie besitzt auch eine Fähigkeit, die Menschen beim Erwachsenwerden oft verlieren: Sie freut sich über kleine Momente so, als wären sie riesengross. Und diese Momente holen sie immer wieder zurück aus dem Frust. Etwa, als Micha ihr vor dem heutigen Rennen auf WhatsApp schrieb, er glaube daran, dass sie sich für den Final qualifzieren könnten. Oder als der Schrittmacher aus Frankreich, der am Rennen mitgefahren war, ihr den Tipp gab, ihre Arme näher am Körper zu halten, und fragte, ob sie zusammen ein Foto machen. Oder als eine Frau aus dem RennbahnVerein ihr eine laminierte Parkkarte gedruckt hatte. «Schau, total herzig», sagt Nicole Fry und streckt die Karte hin, «sie hat sich die Mühe gemacht, es anzupassen.» Auf der Karte steht gedruckt: «Schrittmacherin».

Philosoph im Sattel

Zunächst als Skispringer erfolgreich, kämpfte sich der Slowene Primož Roglič in die Weltelite der Radfahrer. Dabei pflegt er einen mitunter aussergewöhnlichen Zugang zu seinem Sport.

Text Christof Gertsch Fotos Joerg Mitter
Tour de France 2024. Primož Roglič ging als Leader des neuen Teams Red BullBORA-hansgrohe in diese Rundfahrt.

Würde man hundert Leute, die sich mit Radsport auskennen, fragen, was in Primož Rogličs bisheriger Karriere die grösste Niederlage gewesen sei, gäben neunundneunzig die gleiche Antwort: die Tour de France 2020, als Roglič auf der vorletzten Etappe den sicher geglaubten Sieg verspielte.

Die eine Person, die eine andere Antwort gäbe, wäre Primož Roglič selbst, Slowene, Vater zweier Kinder, einer der erfolgreichsten Radfahrer in der Geschichte des Sports. Roglič würde nicht sagen, dass er den Sieg «verspielt» habe. Er betrachtet die Tour de France 2020 nicht als Niederlage. In seinen Augen ist es ein Erfolg, das grösste Radrennen der Welt auf dem zweiten Platz zu beenden. Und hat er damit nicht sogar recht? Jedenfalls schafte er es seither nicht mehr aufs Podest der besten drei.

Aber wie kommt es, dass er dieses Ergebnis so anders bewertet als das Publikum? Während elf Tagen trug Roglič damals das Maillot jaune des Gesamtführenden, dann kam die zwanzigste und für das Gesamtklassement entscheidende Etappe, das Bergzeitfahren hinauf nach La Planche des Belles Filles. Roglič ist ein guter Kletterer und ein guter Zeitfahrer, die Leute dachten, die Tour sei entschieden. Primož Roglič dachte das nicht.

Beim Zeitfahren starten die Fahrer nacheinander, in umgekehrter Reihenfolge des Gesamtklassements. Roglič fuhr also als Letzter los, um 17.14 Uhr, nach dem zweitplatzierten Tadej Pogačar, Slowene wie er, jünger und hochtalentiert. 57 Sekunden Vorsprung hatte Roglič auf Pogačar im Gesamtklassement, das ist viel in einem Zeitfahren über 36 Kilometer. Um auf 36 Kilometern 57 Sekunden zu verlieren, muss man entweder einen groben Fehler machen. Oder der andere muss den besten Tag seines Lebens erwischen.

Roglič machte keinen Fehler. Er gab alles, wozu er an diesem Tag fähig war. Er fuhr vielleicht sogar das Zeitfahren seines Lebens. Und doch reichte es nicht. Völlig entkräftet kam er ins Ziel, fast zwei Minuten langsamer als Pogačar, leer war der Blick, der Helm hing schräg auf dem Kopf. Ins Mikrofon sagte er: «Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man.»

Solche Sätze hört man ständig von Roglič. Dazu hält er den Kopf schief, lächelt, gestikuliert mit den Armen. «Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man.» Oder: «Das Rennen ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist.» Oder: «Entweder hat man gute Beine, oder man hat keine guten Beine.» Wenn er so redet, ist man sich nie ganz sicher: Meint er das ernst, oder will er bloss die Journalistinnen und Journalisten abwimmeln? Doch was nach Phrasen klingt, ist im Fall von Primož Roglič womöglich eine Wahrheit, die ihm viel bedeutet. Er sagt diese Sätze nicht einfach so, nicht aus Langeweile oder Unlust. Er sagt sie, weil er sie wirklich meint.

«Ich möchte der gewesen sein, der Freude am Radfahren hatte und diese Freude auch ausstrahlte.»

Abfahrt vom Col de la Madeleine während der 17. Etappe bei der 107. Ausgabe der Tour de France 2020. Die Etappe verlief über 170 Kilometer mit Start in Grenoble, Ziel am Col de la Loze in Méribel.

Primož Roglič in Tignes, Frankreich, im Juni 2024. Vor elf Jahren unterschrieb der 34-Jährige seinen ersten Profivertrag.

Ungewöhnliche Karriere

Siegerfreuden, als Roglič als Erster über die Ziellinie fährt.

Endresultat: Gesamtsieger beim Giro d’Italia 2023.

Vuelta a España 2022, 10. Etappe, Einzelzeitfahren. Roglič hat diesen Bewerb schon dreimal gewonnen (2019 – 2021).

Primož Roglič, 34 Jahre alt, aufgewachsen östlich von Ljubljana in Slowenien, heute mit seiner Familie wohnhaft in Monaco und seit dieser Saison Leader des Teams Red Bull-BORA-hansgrohe, ist davon überzeugt, dass man manche Dinge beeinfussen kann, andere aber nicht. Zum Beispiel kann man die eigene Leistung und die eigene Motivation beeinfussen, aber man kann nicht den Streckenverlauf, das Wetter, den Strassenzustand, die Taktik der gegnerischen Teams oder die Form der anderen Fahrer beeinfussen. Ob man ein Rennen gewinnt oder verliert, hängt nicht von einem selbst ab, ob man alles gibt aber schon.

Diese Einstellung gefällt Rolf Aldag. Aldag, der als Helfer von Bjarne Riis und Jan Ullrich einst an zwei Tour-de-France-Siegen beteiligt war, ist heute Head of Sport bei Red Bull-BORA-hansgrohe. Er lernt Roglič gerade noch mit jedem Tag besser kennen –und ist mit jedem Tag beeindruckter. «Primož ist einer der ofensten Menschen, die mir je begegnet sind, aber es ist keine naive Ofenheit. Er ist kein Träumer. Er ist einfach ofen gegenüber allen Möglichkeiten. Er weiss, dass es gut kommen kann, aber auch, dass es schlecht kommen kann. Das macht die Zusammenarbeit mit ihm so befreiend.»

Und noch etwas gefällt Aldag an Roglič: dass alle ihn immer mit früheren Grössen des Radsports vergleichen, Roglič selbst mit diesen Namen aber oft gar nicht so viel anfangen kann. Er ist nicht einer dieser Radprofs, die schon als Kind stundenlang vor dem Fernseher sassen und Radrennen verfolgten; er war kein Fan, kannte nicht die Siegerlisten der grossen Rennen auswendig. Als Kind war er … noch nicht einmal Radfahrer. Und auch als Jugendlicher war er es noch nicht.

«Primož ist einer der offensten Menschen, die mir je begegnet sind.»

Primož Roglič ist das, was es im Spitzensport so gut wie nie gibt: ein Generalist. In zwei komplett unterschiedlichen Disziplinen erfolgreich. Er war Skispringer, einer der vielversprechendsten der Welt. Erst ein Sturz beendete seine Karriere im Jahr 2011 jäh, da war er einundzwanzig Jahre alt. Er hatte Probleme mit den Knien – und irgendwie auch gar keine Lust mehr auf Skispringen.

Er verkaufte sein Motorrad – damals sein liebstes Steckenpferd – und erstand von dem Geld ein Rennrad. Er merkte, dass der Sport ihm gefällt. Und dass es Gemeinsamkeiten mit seinem alten Sport gibt: Man muss dünn sein und gute Beine haben. Aber es gibt auch einen grossen Unterschied: Es braucht in den Beinen nicht Explosivität, sondern Ausdauer. Roglič machte sich an die Arbeit. Das reizte ihn besonders: dass man im Radsport sehr hart arbeiten muss, aber für die Anstrengungen auch belohnt wird. Er ist einer, der gern hart arbeitet. Radsport ist seine Passion, aber er betrachtet ihn auch als Beruf. Er

sagt, Radsport sei nicht nur sein Leben, sondern eigentlich das Leben seiner ganzen Familie, der ganze Alltag orientiere sich daran. Das sei manchmal hart, aber umso grösser sei im Erfolgsfall die Erfüllung. Und Erfolge hatte er schon viele, seit er 2013 – im vergleichsweise hohen Alter von 23 Jahren – seinen ersten Profvertrag unterschrieb. Besonders aufällig ist seine Vielseitigkeit: Er ist schon Olympiasieger im Zeitfahren geworden, hat mit Lüttich – Bastogne –Lüttich aber auch eines der prestigeträchtigsten Eintagesrennen gewonnen. Er gilt als Meister der einwöchigen Rundfahrten, seine wahre Spezialität sind aber die dreiwöchigen, die sogenannten Grands Tours – Tour de France, Vuelta a España, Giro d’Italia. 2023 gewann er den Giro, schon dreimal die Vuelta: 2019, 2020 und 2021. Nur die Tour, die fehlt. 2020 verlor er gegen Pogačar. 2021 stürzte er und gab das Rennen verletzt auf. Ebenso 2022. Voriges Jahr konzentrierte er sich auf den Giro im Frühling und die Vuelta im Herbst und liess die Tour ausfallen. Und dieses Jahr? Stürzte er wieder. Und musste das Rennen wieder verletzt aufgeben. Es gibt Leute, die der Ansicht sind, die Karriere von Primož Roglič wäre erst vollkommen, wenn er die Tour de France gewänne. Primož Roglič selbst ist keineswegs dieser Ansicht.

Freude am Radfahren

Er ist ehrgeizig, würde die Tour gern gewinnen, wollte das auch diesem Sommer mit seinem neuen Team. Er war einer der grossen Favoriten, trotz eines Sturzes Anfang April bei der Baskenland-Rundfahrt, als er sich – im Trikot des Gesamtführenden fahrend –schmerzhafte Prellungen und Abschürfungen zuzog. Aber wenn er es nicht schaft, hat er damit kein Problem. «Niederlagen gehören zum Leben», sagt er. Noch so ein Satz. «Weisst du», sagt er im Gespräch, «ich bin mir ziemlich sicher, dass es aus mir keinen anderen Menschen machen würde, wenn ich die Tour gewänne. Und ich möchte auch nicht, dass sich die Leute deswegen an mich erinnern.» Er überlegt kurz. «Wenn schon, möchte ich, dass sich die Leute an mich erinnern, weil ich der Fahrer war, der immer alles gegeben hat. Wenn ich einmal auf meine Karriere zurückblicken werde, möchte ich der gewesen sein, der Freude am Radfahren hatte und diese Freude auch ausstrahlte.»

Tatsächlich ist es ein Vergnügen, Roglič im Rennen zuzuschauen. Er ist kein Spassvogel wie der Überfieger Pogačar, inzwischen dreifacher Tour-de-FranceSieger, der die Rennen scheinbar mit links gewinnt und dazu auch noch in die Kamera grinst, aber er ist auch nicht so zurückhaltend wie der Däne Jonas

Vingegaard, der Tour- Sieger von 2022 und 2023, der kalkuliert und etwas langweilig auftritt. Roglič strahlt – auf dem Rad und auch daneben – etwas Rätselhaftes aus. Man beobachtet ihn und fragt sich: Wer ist dieser Mensch? Und was steckt alles in ihm? Wozu ist er fähig? Eine Ahnung davon bekam man vergangenen Herbst.

Die Bergspitze lag in dichtem Nebel, und die Strassen waren kurvenreich und schmal, doch das Bild der Fernsehkameras war gestochen scharf. Alle Welt konnte sehen, was sich am Ende der siebzehnten Etappe der Vuelta a España zutrug, im langen, brutal harten Aufstieg zum Angliru: Primož Roglič grif seinen Teamkollegen an, den im Roten Trikot des Gesamtleaders fahrenden Amerikaner Sepp Kuss. Und zwei Kilometer vor dem Ziel liess er ihn hinter sich.

Aufstieg bei Tignes in Frankreich während der Tour de France 2024. Bei der 12. Etappe wenig später stürzte Primož Roglič schwer und musste aussteigen.

«Entweder hat man gute Beine, oder man hat keine guten Beine.»

Im Studio von Eurosport, dem wichtigsten Radsport-Sender der Welt, konnten sich die Experten nach dem Rennen gar nicht mehr beruhigen. «Es ist unloyal, respektlos», sagte der frühere Radprof Adam Blythe, und Sean Kelly, einer der erfolgreichsten Radfahrer der Achtzigerjahre, schüttelte nur verständnislos den Kopf. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass man den Teamkameraden nicht angreift. Besonders dann nicht, wenn man selbst keine Chance mehr auf den Gesamtsieg hat. Und erst recht nicht, wenn dein Teamkollege als Sieger praktisch schon feststeht und nur noch ins Ziel rollen muss. Warum also zog Roglič Kuss nicht bis ins Ziel? Es wäre so leicht gewesen, sich auf diese Weise bei Kuss zu bedanken, der ihm in all den Jahren zuvor ein treu ergebener Helfer gewesen war.

Chefs und Wasserträger

Für all jene, die sich mit den Gesetzen des Radsports etwas weniger auskennen, müssen wir kurz etwas erklären: Radsport – das macht ihn so einzigartig – ist zugleich Teamsport und Einzelsport. Er ist ein Einzelsport, weil am Ende nur eine Person zuoberst auf dem Podest steht. Nur eine Person kann als Erster über die Ziellinie fahren. Aber zugleich ist es ein Teamsport, weil niemand es ohne Unterstützung nach oben schaft. In der Regel bleiben die Unterstützer unsichtbar, Leute wie Sepp Kuss, die dafür bezahlt werden, ihren Leadern, Leuten wie Primož Roglič, zur Seite zu stehen. Sie bringen ihnen Getränke, schützen sie vor dem Wind, machen Tempo. In seltenen Fällen aber wendet sich das Blatt. Wie eben vergangenen Herbst.

Warum nutzte Roglič nicht die Chance, seinem treuen Helfer zu danken? Die Frage ist ihm oft gestellt worden, er beantwortet sie immer gleich. Erstens: Das sei mit Kuss so besprochen gewesen. Und zweitens: «Ich bin nur mir selbst verpfichtet.»

Das ist eine maximal egoistische Aussage. Aber es ist auch eine Aussage, die im Kern Spitzensport beschreibt. Im Spitzensport geht es eigentlich gar nicht darum, zu gewinnen, es geht darum, sein Bestes zu geben. Du trittst nicht wirklich gegen andere an, denn was die anderen tun, wie ft sie sind, wie sehr sie ans Limit gehen, das kannst du genauso wenig beeinfussen wie das Wetter – es liegt ausserhalb deiner Kontrolle. Innerhalb deiner Kontrolle liegt, ob du alles gibst. Und wenn du noch Reserven im Tank hast, dich aber selbst bremst, dann hast du nicht dein Bestes gegeben, dann hast du dich selbst enttäuschst, dann hast du gegen dich selbst verloren.

Es liegt eine grosse Stärke in dem Wissen, was innerhalb und was ausserhalb deiner Kontrolle liegt. Primož Roglič hat dieses Verständnis verinnerlicht.

Text Jessica Holland Fotos Sam Riley
Ganz neue Rollen

ROLLERSKATING

Skills mit Stil: Typischerweise skaten sie in London zu Jungle-Klängen – und rückwärts. Wichtig in der Szene ist auch «Jam Skating» – ein Mix aus Tanzen, Freestyle und Skaten, am liebsten zu R&B. Hier versammelt sich eine Gruppe von Skaterinnen und Skatern auf einem Parkplatz in Vauxhall.

Shakeel Kidd-Smith, fotografiert im Londoner Stadtteil Greenwich an der Themse: «Skaten ist Gemeinschaft, Freiheit, Spaß. Es geht um Freundschaften. Wir erleben alles gemeinsam, das macht es magisch. Skaten hat mich zu dem gemacht, der ich bin. Es gab schon immer eine Rollschuh-Community, aber jetzt ist sie viel breiter, spricht mehr Menschen an. Sie ist hier, und sie wird bleiben. Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.»

Londons Rollschuh-Szene explodiert. Dank einer Generation von Skaterinnen und Skatern, die neues Leben auf Asphaltflächen, in Parkhäuser und Seitenstrassen bringen – und gleichzeitig einen neuen Blick aufs Leben. Die Dynamik des jüngsten Hypes wird dabei durch soziale Medien angeheizt. «Es ist ein Schneeballeffekt», sagt Shakeel «Shak» Kidd-Smith. Der 28-Jährige, der seit 2011 regelmässig skatet, gründete 2019 ein Rollerskate-Team namens Wavy on 8. «Immer mehr Menschen werden auf uns aufmerksam», sagt er.

Nalan Derby vom Kollektiv Sk8gotchi in Holborn, Londons historischem Gerichtsviertel: «Ich bin vor kurzem zum Islam zurückgekehrt. Es war wie eine Wiedergeburt –und das Skaten hilft dabei. Ich bin auf dem Parkplatz, skate, hole meine Matte heraus, bete auf dem Boden und skate weiter. Ich finde es toll, dass das Skaten einen Schwulen, eine Muslima, einen Weissen aus der Oberschicht und Typen aus den Problembezirken zusammenbringt. Alle sind vereint.»

Mohammed Awwal Azeez in Greenwich: «Skaten ist wie ein zweites Leben, eine Flucht vor der realen Welt. Letzten Sommer bin ich von Tottenham nach Greenwich geskatet. Es war abartig heiss, aber trotzdem hingen da wahnsinnig viele Leute ab – es war ein pulsierender Vibe. Als es dunkel wurde, wechselten wir zum Eingang der O2 Arena und skateten dort weiter. Sommer auf Rollschuhen – perfekt!»

Ashley Murray (links) und Jameka Colquhoun vom weiblichen Kollektiv Sk8gotchi, dessen Mitglieder man an den an ihren Skates baumelnden Tamagotchis erkennt, in Greenwich: «Bevor ich mit dem Skaten anfing, war ich in einer schlimmen Depression», sagt Murray. «Ohne das Rollerskaten wäre ich heute ein anderer Mensch. Allein die Rollschuhe anzuziehen gibt mir Energie.»

Jodie Stewart von Sk8gotchi bei einer SoloSession im Einkaufszentrum Westfield Stratford City: «Skaten ist ein Gefühl, das aus dem Innersten kommt. Da fühle ich mich frei. Es ist Kunst, eine Möglichkeit, mich kreativ auszudrücken. Skaten gibt mir Kraft. Ich kann in meiner Welt sein und alles rundum ausblenden.» Junge Skater verwandeln die

Rollschuhfahren ist ein globales Phänomen: In US-Städten wie Detroit und Chicago entstehen neue Styles, in Barcelona gibt es das grösste jährliche Rollschuh-Event Europas. Und London ist bekannt für den «Chop and Shuffle», einen Move, bei dem man schnell rückwärts skatet. Die kreativsten und leidenschaftlichsten jungen Skater machen die Stadt so zu ihrem Playground. Kidd-Smith: «Das Gefühl von Freiheit, der Wind in den Haaren, der Rausch, einen steilen Hügel hinunterzuskaten – wir lieben das.»

Foto links oben: «Ich habe über TikTok von der Community erfahren», sagt die 18-jährige Londonerin Aliyah «Lee» Puertas-Thomas, Zweite von rechts. «Die Community wächst und wächst und wächst. Ich freue mich jeden Tag aufs Rollerskaten. Die Leute sind so hilfsbereit, du kannst von so vielen Skatern etwas lernen, übers Skaten und über die Kultur der anderen.»

Foto links unten:

Jameka Colquhoun von Sk8gotchi geniesst das letzte Sonnenlicht des Tages an einem Skatespot am Flussufer der Themse in Greenwich.

Foto diese Seite:

Levi Gonzales posiert in einer Tiefgarage im liberalen Londoner Stadtteil Vauxhall: «Die RollschuhSzene hat mich mit so vielen wunderbaren Menschen bekanntgemacht –Menschen, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie meine Freunde werden würden. Gleichzeitig kann die Szene ziemlich kompetitiv werden.»

Roller-Revival in der Schweiz

Der Rollerskate-Hype ist in der Schweiz angekommen. Vor drei Jahren, als die Welt während Corona stillstand, entdeckten viele den Trendsport. Social Media heizte die Begeisterung weiter an, ein Hype auf Plattformen wie Instagram und TikTok. Der Fokus liegt auf dem sportlichen Aspekt, die Events finden primär draussen statt. Am Flughafen Zürich gibt es beispielsweise fast 50 Kilometer Strecke, die zum Skaten einladen. Beliebt sind auch Routen rund um den Greifensee, wo sich zahlreiche Wege finden – ideal für Ausdauersportlerinnen und -sportler.

DAS JAHRESABO

Reise / Musik / Biohacking / Uhren / Events … und jetzt du!

GLACIER BIKE TOUR

Gravelbiken in der Schweiz

REISE/

QUER DURCH

DIE ALPEN

Die Glacier Bike Tour ist eine Genusstour, die von St. Moritz bis nach Zermatt führt. Nathalie Schneitter, ehemalige Schweizer E‑Mountainbike‑Weltmeisterin, ist die Strecke – in Rekordzeit – für uns abgefahren und hat dabei ihre Liebe zur Heimat neu entdeckt.

Eine Pedalumdrehung nach der anderen kämpfe ich mich den Oberalppass hinauf. Es ist steil, dunkel und kalt, ich spüre Regen und Nebel im Gesicht. Der Gedanke blitzt auf, warum ich mir die Schinderei antue. Die Antwort ist simpel: Im Grenzbereich zwischen dem Ende der Komfortzone und dem Beginn des ängstlichen Unbehagens liegt meine Leidenschaft. Das Fahrrad ist mein Werkzeug, um mich an meine Grenzen zu bringen. Ich bin hier, weil ich es will und es mir guttut. Ich bin Nathalie Schneitter, 38 Jahre alt, und ich glaube daran, dass Velofahren glücklich macht. Ich bin gestartet, um die Glacier Bike Tour mit meinem Gravelbike zu bezwingen. Die Route ist eine E-BikeGenussroute, die in zehn Etappen über 380 Kilometer und 9 500 Höhenmeter einmal quer durch die Alpen führt. Mein Ziel ist es, die ganze Strecke am Stück zu fahren – innert vierundzwanzig Stunden.

Verstand gegen Emotion

Kurz vor sechs Uhr früh klingelt der Wecker, und ich zwinge mich, drei Löffel Haferflocken und eine Banane zu essen. Punkt sieben will ich am Bahnhof in St. Moritz starten. Es ist Oktober und die Tage sind kurz, keine ideale Voraussetzung für die wilde Fahrt quer durch die Schweiz. Es ist dunkel, als ich in St. Moritz auf 1 950 Metern über Meereshöhe starte. Meine Fahrt führt durchs Engadin, dem Inn entlang talabwärts. In La Punt wartet mit dem Albulapass die erste Steigung des Tages. Die aufgehende Sonne taucht den Albula in goldenes Licht, und meine Beine drehen schnell und rund.

Vom Talboden des Albulatals steigt die Route bis Lenzerheide und in einer grossen Schlaufe bis zur Bergstation des Skigebiets. Ich freue mich auf den bevorstehenden Routenteil, den «alten Schyn», doch als ich in Muldain die Abzweigung erreiche, ist der Weg gesperrt. Mein Verstand besiegt den emotionalen Impuls, trotz Sperrung der geplanten Route zu folgen. Der Umweg hält sich in Grenzen, aus dem Konzept wirft es mich trotzdem. Als ich den Talboden erreiche, bin ich

FURKAPASS

Auf der Abfahrt wird es kurz nach Sonnenaufgang mit jedem Tiefenmeter etwas wärmer. Ein Genuss!

KURVENREICH Die wohl berühmteste Biegung der Schweiz liegt am Furkapass und führt hinunter ins Wallis.

«Im schmalen Grenzbereich zwischen dem Ende der Komfortzone und dem Beginn des ängstlichen Unbehagens: genau da liegt meine Leidenschaft.»

OBERGOMS An jedem Dorfbrunnen gibt es Trinkwasser zum Auffüllen.

sechseinhalb Stunden unterwegs, 105 Kilometer und 2 090 Höhenmeter habe ich bereits in den Beinen. Ich passiere Thusis und nehme die Steigung quer über den Heinzenberg in Angriff. Unzählige steile Rampen zehren an meinen Kräften, und die Hitze macht es nicht leichter. Als ich von der Alp Razen das einmalige Panorama sehe, habe ich die Strapazen wieder vergessen. Ich geniesse die schnell rollenden AsphaltKilometer durch die Rheinschlucht, die Schweizer Version des Grand Canyon. In der Steigung in Richtung Dutjer Alp gehen mir kurzzeitig die Lichter aus, ich fühle mich so schwach, dass ich halte, um einen Koffein-Shot reinzuhauen. Als ich in Rien beim Hofladen haltmache, bricht die Dämmerung herein. Ich wollte, es wäre länger Tag, passiere Ilanz, die erste Stadt am Rhein, jedoch bereits

«Ich sitze das Gewitter aus und schlafe drei Stunden in einer Scheune.»

MAJESTÄTISCH

Oben: Das Matterhorn beeindruckt in seiner ganzen Pracht.

Unten: Auf dem Furkapass treibt mich die Vorfreude der Sonne entgegen.

in der Dunkelheit. Von Ilanz geht es durch die Surselva talaufwärts in Richtung Disentis, Ausgangspunkt des Oberalppasses. Kurz vor Disentis spüre ich Regentropfen, und der Himmel wird von Blitzen erhellt. Ich will den 24 ­Stunden­Traum nicht aufgeben, bin jedoch im Timing in Verzug geraten. In Disentis sitze ich das Gewitter aus, schlafe drei Stunden in einer Scheune und begrabe meinen Traum, zu Sonnenaufgang in Zermatt zu sein. Um zwei Uhr fahre ich weiter und kämpfe mich über die steilsten GravelRampen, die ich je gefahren bin, auf den Oberalppass. Dort herrschen vier Grad,

Schweiz

Bern Andermatt

Zermatt

DIE STRECKE

Von St. Moritz über Andermatt bis nach Zermatt: Die Glacier Bike Tour führt in zehn Etappen, 370 Kilometern und 9 500 Höhenmetern entlang der GlacierExpress­Bahnroute durch drei Kantone. Sie ist eine der vielseitigsten E­Bike­Touren der Alpen: Alle Infos zur Route gibt es auf: glacierbiketour.ch

ich zittere, und mein einziges Ziel ist es, heil in Andermatt anzukommen. Der Furkapass zieht sich in die Länge, doch die Monotonie der Steigung lässt mich in der Dunkelheit fast meditativ in die Ewigkeit abtauchen. Zweieinhalb Stunden später erreiche ich bei null Grad die Passhöhe und bin enttäuscht über den Nebel. Doch dann reisst der Himmel auf, vor mir geht die Sonne auf, und mein Herz ist mit Glück erfüllt. Überhaupt ist die von Einheimischen mit viel Liebe kuratierte Glacier Bike Tour eine Entdeckungsreise durch die Schweizer Alpen, die mich die Liebe zu meiner Schweizer Heimat nochmals neu entdecken lässt. Die Morgenstimmung auf dem Albula und der Sonnenaufgang auf dem Furka rühren mich zu Tränen.

Die Abfahrt ins Goms ist kalt, es rollt flott, und mit jedem Kilometer, den ich hinter mir lasse, wird es ein Stückchen wärmer. Als ich Visp erreiche, fühle ich mich, als ob ich zum Zielsprint ansetze. Doch die verbleibenden 37 Kilometer sind kein Zuckerschlecken. Mit dem Ziel vor Augen rollen die letzten Meter nach Zermatt schliesslich wieder rund. Und als ich am Dorfeingang um die Kurve radle, steht das Matterhorn in seiner ganzen Pracht vor mir. Meine Ziellinie liegt beim Bahnhof, und als ich ausklicke und meinen Fuss auf Zermatter Boden stelle, schliesse ich kurz meine Augen. 30 Stunden und 30 Minuten hat mein Trip von St. Moritz nach Zermatt gedauert. Die 24­Stunden­Marke habe ich nicht geknackt, stolz bin ich trotzdem.

Instagram: @natuzzchen

St. Moritz

Natürlich schöne Momente.

MUSIK/ FILME FÜR

DIE OHREN

Deutschrapper Jamule, 27, über die wichtigsten Tracks seines Lebens – zum Rausund Runterkommen.

Seine ersten Beats baute Jamule am eigenen Rechner, da war er gerade mal elf Jahre alt. Mit fünfzehn rappte er dann dazu, ermutigt durch seine Cousins. Seine nächsten Förderer: das Produzentenduo Miksu & Macloud aus seiner Heimatstadt Essen, durch die wiederum RapGrösse PA Sports auf ihn aufmerksam wurde. Dieser nahm ihn 2018 bei seinem Label Life is Pain unter Vertrag. Seither drückt Jamule der Hip-Hop-Szene seinen eigenen Stempel auf. Mit seiner einzigartigen Mischung aus Rap und Gesang tritt Jamule am 2. November bei der Hometown Hip-Hop Night in St. Gallen auf – unter anderem neben Monet192 und Lune. Aktuell arbeitet er im Studio an seinem sechsten Album. Für uns hat er vier Songs zusammengestellt, die ihn und seine Musik besonders prägten.

QR-Code scannen und Video anschauen: Bei Red Bull Barwash schrieb Jamule einen Rap-Part in einer Autowaschstrasse.

Michael Jackson

Remember the Time (1992)

«Ich war vielleicht vier Jahre alt, als ich diesen Song zum ersten Mal gehört habe. Das Video lief ständig im Fern sehen, ich hab’s geliebt und immer dazu getanzt. Der Vibe des Tracks berührt mich noch heute. Michael Jackson singt in dem Song ja von der Zeit, in der er sich verliebt hat.

‹Remember the Time› hat heute noch Einfluss auf mich und meine Musik.»

PLATTENSAMMLER Fünf Alben hat Rapper Jamule schon veröffentlicht. Zuletzt erschien «Hotgirlsummer Tape».

Justin Bieber feat. Beam Freedom (2021)

«Der Song trug mich durch den letzten Sommer, machte mir den Kopf frei, um abzu schalten. Ich liebe seine Energie. Beam macht eigent lich härteren Rap, hat hier aber einen crazy Gesangs part. Während der Arbeit an meinem ‹Magic› Album haben wir auf Santorin regel mässig einen Jeep gemietet und sind zu diesem Song durch die Berge gefahren.»

Kendrick Lamar Backseat Freestyle (2012)

«Für mich gab’s in Sachen Rap lange nur Lil Wayne und 50 Cent, aber als 2012 Kendricks Album ‹Good Kid, M.A.A.D City› rauskam, war ich plötzlich Kendrick‑Lamar Fan. Dieser Beat, der Vibe –das war etwas völlig Neues. Damals war ich sechzehn, da hat Musik noch eine andere Bedeutung. Aber nicht nur der Song, das ganze Album ist krass: ein Film für die Ohren.»

G-Unit Stunt 101 (2003)

«Das ist ein Song meiner Jugend. Ich war grosser G‑Unit Fan, liebte dieses Gang Ding und wollte alles von denen haben. Mein Vater hat mir zum Geburtstag mal G‑Unit Sneaker gekauft –bis heute das krasseste Ge schenk für mich! Dieser Beat von Mr. Porter ist einer meiner Lieblingsbeats. Das würde man heute auf dem Laptop gar nicht hinbekommen.»

BIOHACKING/ DER BESTE

EINSCHLAFTRICK

Wie du deinen inneren Tag-NachtRhythmus in Takt bringst, verrät uns Biohacker Andreas Breitfeld.

Es gibt viele Gründe für schlechten Schlaf. Der wohl am weitesten verbreitete ist mit Sicherheit eine aus dem Takt gekommene innere Uhr. Hier der beste Trick, um den chronobiologischen Rhythmus wieder auf die Reihe zu bringen.

Vorab: Lass dir nicht erzählen, dass du zeitlebens dazu verdammt bist, nach durchwachten Nächten morgens nicht aus dem Bett zu kommen. Lange genug habe ich gedacht, ich sei einfach eine Nachteule, die am besten zu später Stunde arbeiten kann. Bis ich daraufkam: Es ging nicht um eine vermeintlich bessere kognitive Funktion nach Sonnenuntergang, sondern darum, weniger abgelenkt zu werden. Der Preis für meinen Irrtum war Schlafmangel – mit allen Folgen wie Gereiztheit, Konzentrationsproblemen und intellektueller Minderleistung.

Warum funktioniert der SonnenaufgangsTrick?

Ganz einfach: 12 bis 14 Stunden nach der ersten echten Lichtexposition sagt der Körper ganz von selbst Gute Nacht. Er beginnt mit der Melatonin-Produktion, senkt die Körperkerntemperatur und regelt die Systeme runter, ganz natürlich.

Meine Rettung war Matt Maruca, ein Anhänger des amerikanischen Neurochirurgen Dr. Jack Kruse. Die «Krusianer» stehen mit der Sonne auf, ohne Wenn und Aber, egal wann der Vortag geendet hat.

Das Ergebnis am ersten Tag: Ich war komplett fertig. Nach wenigen Tagen hat sich mein Rhythmus aber auf natürliche Weise umgestellt. Wegen Müdigkeit ging ich freiwillig früher zu Bett. Siehe da: Am Morgen ist ausreichende Ruhe für konzentrierte Arbeit. Man ist frischer, produktiver – und nebenbei wird der Schlaf automatisch besser.

Der Sonnenaufgangs­Trick lässt sich wunderbar dadurch sabotieren, dass man seinen Körper abends zu viel Dopamin, Cortisol oder Adrenalin produzieren lässt. Deswegen gilt: Kunstlicht und stimulierende Aktivitäten am Handy reduzieren, zwei Stunden vor dem Schlafen wird allen elektronischen Devices der Stecker gezogen.

ANDREAS BREITFELD (links im Foto unten zu sehen) ist Deutschlands bekanntester Biohacker. Er forscht in seinem speziellen Lab in München. Biohacking umfasst, vereinfacht gesagt, alles, was Menschen eigenverantwortlich tun können, um ihre Gesundheit, Lebensqualität und Langlebigkeit zu verbessern.

Die BiohackingPraxis ist der PerformanceLifestyle­Podcast für alle, die mehr über Biohacking (und sich selbst) erfahren wollen. QR­Code scannen und reinhören!

UHREN/

DAS SPIEL DER DAME

Seit 1917 hat Rado die Uhrenbranche immer wieder mit technischen Innovationen und ikonischen Designs revolutioniert. Die Rado True Square Open Heart gibt es nun in limitierter Auflage.

Auf dem schwarz-weissen Ziffernblatt sind die Stundenindizes mit acht weissen und vier schwarzen Diamanten markiert.

Während der Schweizer Uhrenhersteller seine Palette regelmässig mit bunten Farbtönen erweitert, kommen mit der Rado True Square Limited Edition zwei Interpretationen in schlichtem Schwarz und Weiss auf den Markt. Die Automatikuhr besitzt ein Monobloc-Gehäuse aus Hightech-Keramik, dem ikonischen Material der Marke, und bietet Leichtigkeit und Kratzfestigkeit. Das offen gestaltete Design des Ziffernblattes ist mit acht weissen und vier schwarzen Diamanten als Indizes besetzt. Die Serie im edlen Schachbrett-Design ist auf 888 Exemplare limitiert. Die zwei Modelle spiegeln den Mut und das Handwerk von Rado wider – ein subtiles Gleichgewicht zwischen Design und Innovation. CHF 3050, rado.com

IM NEUEN JOB SCHNELL EIN ALTER HASE.

EVENTS/ RUNDE SACHE

Zum Sommerende läuft es weiter rund. Hier einige Events, die ihr nicht verpassen solltet.

5.

Oktober

Red Bull Alpenbrevet

Zum 14. Mal bereits findet das Red Bull Alpenbrevet statt. Der Startschuss fällt um 10 Uhr im JungfrauPark Interlaken. 1400 Töffli-Meitlis und -Buebe können mitcruisen und erstmals zwischen einer Morgentour und einer Tagestour wählen. Die Strecke führt vorbei am Thuner- und Brienzersee und geht auf Tuchfühlung mit den Berggiganten des Berner Oberlands. Weitere Infos: redbull.com/alpenbrevet

8.

September & 13. bis 15. September ÖKK Bike Revolution

Cross-Country-Fans, aufgepasst: Am 8. September ist spannende Bike-Action im malerischen Gruyère angesagt. Die ÖKK Bike Revolution bringt die nationale Elite an den Start und sorgt für rasante Rennen, atemberaubende Landschaften und ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm mit «Gusto Rides» und Bike-Kursen. Eine Woche später, am 13. bis 15. September, geht die ÖKK Bike Revolution in Huttwil BE bereits in den Saisonabschluss und lockt die Profis zu den HC-Rennen ins beschauliche Emmental. Die Elite-Rennen werden Live auf Red Bull TV übertragen.

14. bis 15. September Pumptrack-SM

Steilwandkurven und Wellen –Pumptracks boomen. Egal ob mit Kickboard, Rollschuhen, Mountainbike oder BMX-Velo: Pumptracks locken landesweit viele Begeisterte an. Die Schweizer Meisterschaften im Mountainbike Pumptrack in Monthey sind auch der Probelauf für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr, die dort stattfindet. Mehr Infos auf: swiss-cycling.ch

10.

Oktober bis 24. November

Red Bull Illume Ausstellung

Das Haus der Fotografie in Olten rückt die Action-Fotos von Red Bull Illume in den Fokus. Hier werden die besten 50 Bilder der Image Quest 2023 auf 2 × 2 Meter großen Leuchtkästen gezeigt – unkonventionell und aufregend, so wie die Fotos es verdienen. Eine perfekte Location für die weltweit besten Adventureund Actionsportbilder. Infos auf: redbullillume.com

September

Nacht der Museen

Die 23. Nacht der Museen verspricht so schillernd zu werden wie die Nordlichter! Am diesem Samstag werden dreißig Institutionen in Lausanne von 14 Uhr bis 2 Uhr morgens mit über hundert Aktivitäten und Ausstellungen belebt. Neu dabei sind das Musée de la Machine à Écrire, ein Dorf auf der Place des Pionnières, neue Buslinien und eine Afterparty! Infos auf: lanuitdesmusees.ch

4. und 5. Oktober DPC Jam

Die legendäre Zürcher Crew D.Point.C (DPC) feiert dieses Jahr zehn Jahre DPC Jam. Die besten Tänzerinnen und Tänzer der Welt treffen sich im GZ Heuried in Zürich. Auch Newcomer sollen mit Workshops auf ihre Kosten kommen. Alle Infos findet ihr hier: dpcjam.com

und 22. September Groove Session

Die besten B-Boys und B-Girls der Welt treffen sich wieder in Neuchâtel. Ein buntes Programm über zwei Tage hinweg mit Kids Battle, Crew Battles & diversen Workshops wird auch dieses Jahr wieder die Breaking-Szene begeistern. Mehr Infos gibt es hier: groovesession.ch

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Hier schreiben Schweizer Literaturtalente über Themen, die sie bewegen – und liefern ihren positiven Spin dazu.

L aufdrang –warum Bewegung für Laura Wohnlich ein Segen ist

Haraka Baraka (Bewegen bringt Segen) –dieses Motto habe ich mir vor einigen Jahren in arabischen Lettern auf den Körper tätowieren lassen. Grund dafür war nicht (nur) akute Vierundzwanzigjährigkeit, sondern auch die Tatsache, dass Bewegung für mich wesentlicher Bestandteil meines Lebens ist. Ich gehe seit meinem dreizehnten Lebensjahr joggen, und seither sind nur wenige Wochen vergangen, die ich – meist unfreiwillig – ohne Laufen verbracht habe. Wenn ich laufen gehe, geschieht das allein, ohne Pulsuhr und ohne ein konkretes Ziel, was Pace oder zurückgelegte Kilometerzahl betrifft. Ich laufe nicht, um nackt besser auszusehen, und ich laufe auch nicht – wie ein paar missgünstige Menschen mir weiszumachen versuchten – vor irgendwas weg. Ich renne aber durchaus aus therapeutischen Gründen. Weil die beim Laufen ausgeschütteten Endorphine mir dabei helfen, Geist und Körper im Einklang zu halten. Weil mein mentales Wohlbefnden untrennbar mit physischem Ausgelastetsein verknüpft ist. Was unter anderem auch bedeutet, dass ich ohne das Laufen nicht an einem Schreibtisch sitzen und Bücher schreiben könnte.

Als ich mit dreizehn mit Laufen anfng, gab es Social Media noch nicht. Toxische Vorbilder wurden einem als weiblicher Teenager nicht von Instagram, sondern höchstens von der «Bravo Girl!» vermittelt. Wenn ich heute an Social Media denke, denke ich an vieles, seit einiger Zeit auch an die Gleichzeitigkeit der Extreme. Auf der einen Seite haben wir die Fraktion der «Perfekten»: makellos zurechtgeflterte Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit dieser einen online transportierten Botschaft verdienen: Ich führe ein perfektes Leben und sehe dabei perfekt aus. Die kennen wir alle. Doch zunehmend fallen mir auch die anderen auf, die Gegenbewegung: die «Ehrlichen», sozusagen. Menschen – interessanterweise auch hier vorwiegend Frauen –, die zeigen, dass ihr Leben nicht nur aus Glanz, Glamour und einem grossen Hintern besteht. Als ich schwanger wurde, hat es mein persönlicher Algorithmus geschafft, mich in eine Welt zu schleusen, in der das Thema weiblicher Körper und seine Mannigfaltigkeit in ganz neue Sphären gehoben wurde. Anfangs war ich sehr dankbar dafür, dass es

Frauen gab, die sagten: Hey, ein Kind zu gebären ist kein Spaziergang. Dankbar, dass Frauen von ihrer Schwangerschaftsübelkeit berichteten, von Geburtsverletzungen und von Stillproblemen. Aber je schwangerer ich wurde und je mehr ich mich auch im «echten Leben» mit Menschen über dieses Thema unterhielt, desto klarer wurde mir, dass offenbar nicht nur wohltuender Optimismus ein Ding ist, sondern auch blanker Pessismismus tatsächlich eine gesellschaftlich anerkannte, wenn nicht gar beliebte Rolle spielt, was dieses Ereignis betrifft; welches –zumindest von mir – bis anhin mit grosser Freude erwartet wurde: die Geburt.

Mit vergleichsweise harmlosen Prophezeiungen wie «Das Beistellbett wirst du nur als Kleiderständer verwenden» fng es an, doch bald folgten härtere Geschütze wie «Dein Körper wird nie wieder derselbe sein wie vorher», die ich mir – ungefragt – anhören musste. Weiter ging es mit Auskünften darüber, was mir bevorstünde, wenn ich – wehe mir – nicht subito nach Niederkunft einen guten Rückbildungskurs suchen oder gar zu früh wieder mit dem Joggen anfangen würde. Die geraden Bauchmuskeln trainieren? Auf gar keinen Fall vor sechs Monaten. Du willst doch nicht, dass deine Rektusdiastase nie wieder verheilt und dir irgendwann die Organe vorne raushängen, Laura. Was für drastische Auswirkungen ein vernachlässigter Beckenboden auf mein Sexleben haben könnte, davon will ich gar nicht erst anfangen (falls mein Sexleben denn überhaupt noch existieren würde, sobald das Kind da wäre, wohlgemerkt).

Ich war verstört. Und ich war verwirrt: Wie konnte es sein, dass es in einer Ära, in der weibliche Personen eigentlich – endlich und zum Glück! – nicht mehr nur als Gebärmaschinen gesehen werden, sondern als vollwertige Menschen, immer noch Leute gibt, die es absolut wichtig fnden, Frauen unaufgefordert deren eigenen Erlebnisse vorschreiben zu wollen? Nachdem ich der absurden Romantisierung der Geburt entfohen war, wurde ich gefühlt nur noch von der gegenteiligen Option verfolgt: der Einwilligung dazu, den positiven Bezug zum eigenen Körper, mitunter auch dem Leben als Individuum, bereitwillig nach Erhalt des positiven Schwangerschaftstests an den Nagel zu hängen.

Nein, dachte ich. Nicht mit mir. Für mich stand fest: Mein Körper und ich, wir sind ein Team. Ich werde keine Panik schieben vor grossen Babyköpfen, ausgelaugten Brüsten oder Inkontinenz. Ich wollte geniessen, was ich erlebe. Also tat ich das. Ich setzte mich über den Rat meiner Frauenärztin hinweg, ab der dreissigsten Woche nicht mehr joggen zu gehen. Nicht, weil ich ein notorischer Sturkopf bin – sondern weil ich meinen Körper besser kenne als sie, die mir lediglich alle paar Wochen beiläufg mit einem Ultraschallgerät über die Bauchdecke fährt und höchstwahrscheinlich seit fünfzehn Jahren all ihren schwangeren Patientinnen dasselbe rät.

Nach zweiunddreissig Jahren Aufenthalt in meinem eigenen Körper kann ich aber selbst am besten abschätzen, was ihm guttut und was nicht. Und in

«Nein, dachte ich. Nicht mit mir. Für mich stand fest: Mein Körper und ich, wir sind ein Team.»

meinem Fall hätte ein erzwungenes Zuhausehocken fatale Folgen gehabt für meine Psyche. Das Joggen half mir, mich mental auf die Geburt vorzubereiten. Tatsächlich half es mir auch körperlich, weil so eine Geburt einem Marathon ziemlich nahekommt. Und nicht zuletzt – Achtung, mag vielleicht etwas esoterisch klingen – half es mir dabei, mich mit meinem kleinen Bauchbewohner zu verbinden. Ich vermittelte ihm: Ich mache hier etwas, das mir guttut. Und ich glaube, wenn wir unseren Babys – und allgemein den Menschen, die wir lieben – etwas schuldig sind, dann höchstens das: Wir müssen uns mit uns selbst wohlfühlen. Weil wir sonst keine angenehmen Zeitgenoss:innen sind.

Und so bin ich also gelaufen. Bis zum Entbindungstermin und darüber hinaus, weil das Kind Verspätung hatte. Ja, ich bin gelaufen, aber ich habe die neuen Grenzen meines Körpers respektiert. In dieser Phase konnte Laufen auch mal bedeuten, dass ich alle zwei Minuten eine Gehpause einlege. Dass es insgesamt nur vier Kilometer werden. Oder dass ich alle fünfzig Meter einen Abstecher ins Gebüsch machen muss, um zu pinkeln (gut, das war jedes Mal so). Ich bin Kompromisse eingegangen, weil es nicht anders ging. Und ich habe gelernt, das nicht nur zu akzeptieren, sondern es auch, wie man heute so schön sagt, zu embracen.

Bewegen bringt Segen – aber Bewegen bedeutet nicht zwangsläufg Höchstleistung und Segen erst recht nicht messbaren Erfolg. Für mich bedeutet es – das hat mich die Schwangerschaft gelehrt –, auf meinen Körper zu hören. Und auch auf mein Bauchgefühl zu vertrauen, anstatt mich von meinem Umfeld, Social Media oder wildfremden Leuten in eine Ecke drängen zu lassen. Die Geburt war alles andere als einfach für mich. Die Tage danach waren anstrengend und kräftezehrend. Aber nein, mein Körper sah danach nicht aus wie von einer Kuh gefressen, wiedergekäut und dann ausgespuckt (war original so vorgewarnt worden!). Mein Körper gefel mir. Er gefällt mir heute, sechs Monate nach der Geburt, sogar besser als je zuvor.

Ich bin weder Heidi Klum, Kylie Jenner noch Viola Polt. Ich bin aber auch nicht Katharina aus dem Geburtsvorbereitungskurs, meine Tante oder die fremde ältere Frau im Coop, die spricht, weil sie drei Kinder per Hausgeburt zur Welt gebracht hat. Ich bin Laura, und ich laufe. Ob mit Babybauch oder Kinderwagen – egal, Hauptsache, ich bin mit meinem Körper im Reinen. Für viele mag dieser bewegte Weg nicht der richtige sein, die fnden ihren persönlichen Segen auf andere Weise, aber für mich war er das. Wir Menschen, ob mit oder ohne Uterus, sind nicht alle gleich, und das ist fantastisch so.

LAURA WOHNLICH hat in Basel Germanistik und Medienwissenschaften studiert. «Strom», ihr letzter Roman, erschien 2023. Wenn sie gerade nicht schreibt, trainiert sie für Marathons. Mehr Infos hier: laurawohnli.ch

10 Fragen an Julia Haller

Die 23-jährige Infuencerin teilt ihr Leben zwischen Genf und Monaco – aus Liebe zu schönen Karosserien und röhrenden Motoren.

Dein Sport?

«Ich boxe, seit ich sechs Jahre alt war.»

Inzwischen hat

Julia einen Personal Trainer – die Stimmung bleibt weiterhin «chillig».

SPEED-JUNKIE Seit sie ihren Führerausweis hat, begeistert sie sich für Motorsport und Formel 1.

IG: @julia.hhlrr – 659 K; TikTok: @juliaahlr – 1,5 M

Wer ist die letzte Person, die dich angerufen hat?

Meine Mama. (Sie rief dreimal während unseres Interviews an, Anm. der Redaktion.)

Fünf Stunden im Zug ohne Internet – mit wem?

Mit meinen drei besten Freundinnen. Mit drei Mädels ist es unmöglich, sich zu langweilen.

Deine liebsten YouTube-Videos?

Die Home Tour von Gaëlle Garcia Diaz, McFly und Carlito. Oder meine Videos mit GMK natürlich!

Der absurdeste Traum?

Besuch in einem Katzen-Coffeeshop in Japan.

Was ist dein Leitmotiv?

«Wenn du daran glaubst, wird es passieren.»

Lieblingsedition von Red Bull?

Die grüne! (Anm.: Drachenfrucht)

Einen F4 fahren oder Beifahrerin in einem F1-Auto sein?

Die Erfahrung in einem F1 ist verrückt, aber der F4 war die schönste Autoerfahrung meines Lebens. Ich liebe es, zu fahren, wann immer ich kann.

Hidden Talent

Ich liebe es, zu backen: Himbeerkuchen, Kekse, Makronen – all solche Sachen

Reiseziel?

Singapur, Bahamas, Sansibar und Malediven. Ich will Palmen.

FLU ¨ U ¨ U ¨ GEL MIT NEUEM GESCHMACK.

OHNE ZUCKER

BELEBT GEIST UND KÖRPER.

Waldbeere

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