4 minute read

Planet Ego

Text: Valentina Botic | Illustration: Vera Kobler

Advertisement

„Lueg uf dich“, „Hauptsach, du bisch zfriede“, „konzentrier dich uf dich“, „scheiss uf anderi“ … Wie oft hört man solche Sprüche von Freundinnen, die ihre gerade sitzengelassene Freundin trösten, von Eltern, die ihre Kinder versuchen zu erziehen, oder von Geschwistern, die ihrer Schwester bei einem Problem helfen wollen? Was ist das Ergebnis davon? Bestimmt ein sehr glückliches Leben, allein.

Wie viel Self-Care ist zu viel?

Oft wird mir gepredigt, zu sozial zu sein und ständig an andere zu denken. Natürlich ist es anstrengend und manchmal vernachlässige ich mich selbst dabei und ärgere mich darüber, wenn es nicht geschätzt wird. Trotzdem: Lebe ich allein auf diesem Planeten? Trage ich meinen Teil zu dieser Welt bei, indem ich mich nur für mich interessiere? Ist das die Erfüllung des Lebens? Gebe ich das Beste von mir, wenn ich nur mich selbst als wichtig erachte? Wenn ich mich so umschaue, sehe ich viele Abschreckbeispiele des Egoismus: „Wenn du Erfolg und Wohlstand haben willst, musst du egoistisch sein.“ Da wir in einer sehr geldgeilen Welt leben und es unser Wirtschaftssystem ist, welches diese Botschaft sendet, müssen wir uns nicht wundern, dass der Ellbogen zum wichtigsten Körperteil geworden ist, noch vor Herz oder Hirn.

„Solang de Lohn stimmt...“

Auch in unserem Beruf sind viele Egoisten zu finden. Wieso liegt die Burnout-Rate bei Lehrberufen so hoch? Es liegt meiner Meinung nach nicht daran, dass an der Bildung gespart wird, die Aufgaben als Lehrperson immer anspruchsvoller sind, Lehrberufe unterbezahlt sind oder es zu viele Kinder sind. Denn Fakt ist, dass für die Bildung in den letzten 10 Jahren immer mehr Geld ausgegeben wurde, nur in gewissen Bereichen wurde gespart. Fakt ist auch, dass die Heilpädagog*innen, die Fachleute für Lo-

gopädie und Psychomotorik, die Klassenassistent*innen und das Betreuungspersonal uns doch viel Arbeit abnehmen. Dennoch ist das Tempo in der Bildung deutlich gestiegen. Im Vergleich zu anderen Ländern liegt die Schweiz mit ihren Klassengrössen eher im kleineren Bereich - und mal ganz ehrlich, als Lehrperson wird man in der Schweiz nicht schlecht bezahlt. Widersprüchlich, nicht wahr? Woran liegt es also, dass unser Beruf so Burnout-freundlich ist? Meiner Meinung nach ist es der Egoismus, welcher ein viel zu grosser Teil unserer Gesellschaft ist.

TEAM: Toll, ein anderer machts!

Überlegen wir einmal ein paar Szenarien: Eine soziale Lehrperson mit einer Klasse, von denen 90 % der Kinder zu Egoisten erzogen worden sind. Eine egoistische Lehrperson, welche diesen Beruf nur aus den beiden Gründen Ferien und Geld gewählt hat, mit einer Klasse, von der sie entweder als cool bezeichnet wird, weil sie nichts macht, oder aber als Arschloch, weil sie ihr Wohlbefinden über jenes der Kinder stellt. Eine Lehrperson mit einer altruistischen Haltung beim Elterngespräch mit Eltern, die nur ihre eigenen Ziele verwirklichen wollen und denen das Wort „miteinander“ fremd ist. Bei diesen Vorstellungen wundert mich die Burnout-Rate gar nicht. Wie soll man bei diesen selbstsüchtigen Voraussetzungen in einem sozialen Beruf arbeiten? Ziel ist es doch, an einem Strang zu ziehen. Stattdessen denkt jeder an seinen eigenen Allerwertesten und treibt kompetente soziale Personen in den Wahnsinn.

Warum machen wir unseren Job?

Viele Lehrberufseinsteiger haben wahrscheinlich sehr hohe Erwartungen an sich selbst und hoffen natürlich genauso wie ich selbst, einen guten Einfluss auf die Kinder zu haben, ein Stück die Gesellschaft von Morgen auf den richtigen Weg zu bringen, weil die heutige so verkorkst ist. Um sich selbst zu schützen und nicht der nächste auf der Liste der Burnout-Aussteiger zu sein, ist nicht Egoismus die Lösung. Das Bewusstsein der Realität ist es: Bei so viel Egozentrik auf unserem Planeten muss uns bewusst sein, dass es fast unmöglich ist, Selbstlosigkeit weiterzugeben. Wenn wir selbstlosen Menschen nur ein Kind von 25 erreicht haben, ist es bereits ein kleiner Erfolg. Egomanen haben meiner Meinung nach nichts auf diesem Planeten zu suchen. Um aber keinen Amok auszulösen, bitte ich die Egozentriker, sich im Wirtschaftssektor zu begeben, wo gerne mit den Ellbogen gearbeitet wird. Ich selbst bin nicht aus diesem Sektor geflohen, um das gleiche Spiel im Lehrberuf zu spielen. In unserem Beruf ist Herz und Seele gefragt und jede Lehrkraft, die mit Leidenschaft bei der Arbeit ist und Lebenserfahrung ausserhalb der Schule gesammelt hat und somit in die Realität geworfen wurde, sollte meiner Meinung nach mit dem hohen Pensum an Aufgaben umgehen können.

Lohn ist mehr als Geld

Es heisst nicht umsonst in dieser Reihenfolge: Geben und Nehmen. Gib der Welt ein Teil von dir und du erhältst auch einen Teil dieser Welt zu spüren. Gib Verständnis, bevor du es ersehnst, gib Liebe, bevor du sie erhoffst, gib Anstand und Respekt, bevor du ihn erwartest. Oft wird nicht gerade die Person, welche vor einem steht, jene sein, die etwas zurückgibt. Zumindest kann man aber jemand sein, der eines Tages von diesem Planeten Ego abgehen und behaupten kann, einen sinnvollen Beitrag geleistet zu haben.

This article is from: