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Retrospektive über das Schaffen des Künstlers Robert Brandy

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Ein Abschluss

Robert Brandy ist einer der bekanntesten Künstler Luxemburgs. Seit über 50 Jahren malt der Mann mit dem Hut. Das MNHA würdigt seine Arbeit mit einer Retrospektive. 50 Jahre, in denen seine Kunst viele Verwandlungen vollzog.

Cézannes Licht. Das war es, was ihn in die Provence zog. Ein Sog, die bis heute anhält. Noch immer verbringt Robert Brandy fast alle Ferien in Südfrankreich. Cézannes Stillleben und Landschaften waren unter den ersten Bildern, die er in Kunstzeitschriften gesehen hatte. „Das hat mich sofort beeindruckt. Die Behandlung der Farben, der Pinselstrich, das Licht auf der Landschaft“, sagt er. Cézannes Licht fand Brandy in Aix-en-Provence und Umgebung. 1972 zog er dorthin, besuchte die Kunstschule und begann, seine eigenen Farben zu mischen. Farben zu kaufen, war teuer. Er suchte in der Landschaft nach natürlichen Tönen und mischte sie. Einige Pigmente kaufte er hinzu. Um das Geld dafür zu verdienen, verkaufte er zeitweise Fische, die er in seinen Aquarien züchtete.

Noch heute leuchtet der Tisch mit den Farbpigmenten in seinem Atelier in den Tönen der Provence. Puderhaufen aus intensivem Orange und strahlendem Gelb mischen sich unter Terracotta und Feuerrot. Auf der anderen Seite Azur, Cyan, Grüntöne. An der Wand lehnen zwei große Leinwände, darauf breite Tuschestriche, schwarz. Dahinter der Rahmen der Leinwand. Der Kleber, der beides vereint, seine Struktur auf dem Stoff. Auf der Arbeitsbank am Fenster weicht gerade Kleber im Kochtopf auf einer Elektrokochplatte ein. Daneben stehen Pinsel in allen möglichen Gefäßen, große, kleine, flache, runde. Es ist der einzige Ort im hellen Atelier, wo ein bisschen Unordnung herrscht. Ansonsten reihen sich ordentlich verstaute Leinwände und Rahmen in speziell angefertigten Regalen, zwei saubere Aquarien, Vitrinen mit Büchern. Im Eingang stehen zwei blankgeputzte Oldtimer und Miniautos in Regalen. Schließlich, im hinteren Bereich, der Durchgang zum Atelier seines Sohnes Kevin, auch Maler.

Den grauen Ordnern in den Regalen im Obergeschoss ist es zu verdanken, dass Jamie Armstrong in ihrer kunsthistorischen Arbeit zu Robert Brandy eine so genaue Rückverfolgung machen konnte. Seit 1985 dokumentiert er akribisch seine Werke. „Das ist viel Arbeit. Manchmal hatte ich keine Lust. Aber dann gab es eine Ausstellung und ich musste das machen. Und jetzt bin ich froh darüber“, sagt Brandy. Jedes Bild bekommt eine Nummer, ein Foto dazu, in den Ordner. Wahllos zieht er einen aus dem Regal, öffnet ihn. „Das ist die 9504, also das Bild 95 aus dem Jahr 2004“, erklärt er und stellt den Ordner an seinen Platz zurück. In seinem Leben sind etwa 3500 Bilder zusammengekommen. Das zu berechnen, kostete ihn nicht mehr als eine Stunde. Auch Zeitungsartikel, die über ihn erschienen sind und Informationen zu vergangen Ausstellungen, dokumentiert er.

Die Kuratoren der Ausstellung am Nationalmuseum für Geschichte und Kunst (MNHA) sind begeistert. „Noch nie habe ich ein so gutes Archiv eines Künstlers gesehen“, sagt Direktor Michel Polfer. Jamie Armstrong, Verantwortliche des zukünftigen Lëtzebuerger Konschtarchiv des MNHA, schöpfte daraus für ihre Studie

Alles kam, ohne nachzudenken. Jetzt würde ich gern weniger überlegen.

Robert Brandy

über Brandy im Kontext der luxemburgischen Kunstgeschichte. Dieser ist ein Teil der Ausstellung gewidmet und wird ausführlicher thematisiert im begleitenden Buch. Armstrong hat aufgezeigt, wann und wo er ausgestellt hat und untersuchte eine Frage, die Brandy selbst lange beschäftigte. War er tatsächlich der erste freischaffende professionelle Künstler Luxemburgs? „Ich habe es immer geahnt“, sagt Brandy. „Aber es freut mich sehr, dass das jetzt durch diese Arbeit bestätigt wurde.“ Mit seiner Einstellung, ein professioneller Künstler müsse nur das machen und von seiner Kunst leben, hat er sich nicht nur Freunde gemacht. „Doch Kunst macht man nicht so nebenbei mal.“

Es ist das erste Mal, das das MNHA eine Retrospektive einem lebenden Luxemburger Künstler widmet. „Es gab eine Regel, dass wir nur auf die Arbeit von verstorbenen Künstlern einen derartigen Rückblick werfen. Mit dieser Tradition haben wir jetzt gebrochen. Und wen hätten wir dafür Besseres finden können als Robert Brandy“, sagt Michel Polfer. Vor zwei Jahren eröffneten die Kuratoren Brandy, dass sie eine Ausstellung über ihn machen wollen. Für Brandy ist diese Ausstellung eine immense Freude. Die meisten Ausstellungsstücke hat das Museum ausgewählt, er hat einige Anmerkungen dazu gegeben. „Ich war begeistert, wie sie die Werke verpackt und transportiert haben. Ich habe die immer einfach ins Auto gesteckt“, erklärt er lachend.

Infos

Die Ausstellung „Robert Brandy face à lui-même – 50 ans de carrière“ läuft noch bis zum 28. November 2021. Die Kuratoren würdigen damit einen der anerkanntesten Luxemburger Künstler und den Beitrag, den er zur Kunstgeschichte geleistet hat. Ein besonderer Fokus bekommt dabei die Materialität der Leinwände, die besonders in der weißen Periode hervorsticht. Dünne Farbaufträge und leere Flächen zeigen die Durchsichtigkeit der Leinwand. Eingearbeitete Holzteile oder Stuhlbezüge die Spuren der Zeit. Die kreuzförmige Struktur des Bildes lässt den Rahmen erahnen, der hinter der Leinwand ist. Schon in den 70ern jedoch, so macht die Ausstellung deutlich, hat Brandy sein Repertoire an Techniken, Farben und Formen aufgebaut, das sein Werk bis heute prägt. Viel Aufmerksamkeit bekommt auch seine Arbeit abseits der Leinwand, die Installationen von 1978 bis 1980, Stoffe, Holzstücke, Gegenstände im Holzrahmen, und außerdem sein Werk zu Bolitho Blane, Brandys Alter Ego, eine leicht skurrile Episode seines Schaffens. Bolitho Blane ist ein fiktiver Mann, der in Miami verschwunden ist. 20 Jahre lang vertiefte sich Brandy in die Geschichte von Blanes Verschwinden, verfasste Crimestorys und sammelte Objekte des verschwundenen Mysteriösen. Er vertiefte sich so sehr in die Geschichte, dass er bald Wahrheit und Erfundenes nur noch schwer auseinanderhalten konnte. „Es ist, als hätte ich schon einmal gelebt, in ihm“, sagt Brandy. Das MNHA sieht die Figur als Kunstwerk an sich an und stellt Accessoires des Mannes, die Brandy gesammelt hat, in Vitrinen aus. Ein weiterer Bereich beschäftigt sich mit der Dokumentationsarbeit von Jamie Armstrong und lässt Besucher die letzten 50 Jahre von Brandys Karriere nachvollziehen.

Buch zur Ausstellung: MNHA, 2021, 144 Seiten, 35 Euro, ISBN 978-2-87985-737-4

Einige seiner Bilder sind in seinem Atelier, ein anderer Teil ist in der Galerie Bernard Ceysson, wieder andere hängen in Museen in London, New York und Amsterdam. Zeitgleich mit der MNHA-Ausstellung hat er auch eine im französischen Saint-Étienne. Da war er drei Tage. Meistens reist er zwei, drei Tage hin, zur Vernissage. Die Galerie, mit der er arbeitet, erledigt alle Vorbereitungen. „Früher dauerte schon das Aufhängen zwei Tage. Das ging sehr gemütlich, etwas essen, einen Kaffee trinken, jetzt ist es viel professioneller geworden“, sagt Brandy.

Kaffee trinken, das macht Robert Brandy gern. Am Morgen einen Espresso im Café. Das war wohl einer der Gründe, warum ihm die Pandemie zugesetzt hat. Dabei weiß er, was für ein Glück er hat. Sein Atelier liegt auf der anderen Straßenseite seines Hauses. Auch im Lockdown kann er also seinem Werk nachgehen. Und doch kam im vergangenen Jahr irgendwann die Wut. Brandy malt gestisch. Große Bilder mit dem ganzen Körper, kleine mit präzisen Bewegungen. Seine Wut auf die Welt floss durch seine Schultern und Arme in den Pinsel, verteilte sich mit den Borsten in der Tusche und hängt jetzt im MNHA und an der Atelierwand – große Leinwände mit breiten Strichen darauf. Nur Tusche in letzter Zeit. Öfter schon hatte er mit Tusche gearbeitet, doch nie so ausschließlich, nie so im Großformat wie seit dem letzten Jahr. Das Schwarz auf den Leinwänden passt kaum zu Cézannes Welt, die sich auf dem Mischtisch ausbreitet.

Doch es ist nicht das erste Mal, dass Brandy der Farbe abtrünnig wird. „Vor zehn Jahren hatte ich so eine Phase, wo ich die Farbe nicht mehr sehen konnte.“ Damals war ein Freund mit einem alten Bild vorbeigekommen, er sollte das reparieren. Dann sah er an die Wand seines Ateliers und erblickte die gleichen Strukturen in seinem aktuellen Bild. „Da dachte ich, merde, das kann doch nicht sein. 15 Jahre später und du bist wieder an der gleichen Stelle.“ Ein Jahr lang malte er nur helle Bilder. Suchte den Weg zurück in die Phase der Werke, die das MNHA „Weiße Periode“ betitelt. Es war seine wichtigste Zeit, in den 1980ern, als sein Stil avantgardistisch wurde und er so mit wichtigen Leuten in Kontakt kam. Seine Kunst erregte international Aufsehen. Dorthin wollte er zurück, um von dort aus neuen Anlauf zu nehmen, eine neue Richtung einschlagen. „Ich wollte darauf wieder aufbauen, aber das ist mir nicht gelungen. Das war eine andere Zeit. Ich hatte nicht mehr dieselbe Beziehung zur Leinwand

Vor zehn Jahren hatte ich so eine Phase, wo ich die Farbe nicht mehr sehen konnte.

Robert Brandy

Das Schwarz auf den Leinwänden passt kaum zu Cézannes Welt, die sich auf dem Mischtisch ausbreitet.

und den Pigmenten wie früher.“ Die Bilder blieben zwei, drei Jahre farblos, bis es ihn wieder kitzelte. Der Farbrausch, die alte Sehnsucht. Noch einmal am Farbtopf schnüffeln. „Wenn mein Sohn nicht da war, habe ich seine Pinsel durchsucht, ob nicht noch irgendwo Farbreste zu finden waren.“ Ein bisschen Azur sorgte schließlich dafür, dass er sich der Farbe wieder annäherte. Die alte Freundin findet nach und nach wieder Einzug in sein Werk, er setzt wieder einige Pigmente an. Fünf Jahre später war er wieder drin. „Jetzt ist aber wieder so eine Phase, aber statt Weiß bin ich in Schwarz gelandet.“ Er zuckt mit den Schultern.

Zeitweise war die Nachfrage nach seinen Bildern so groß, dass er kaum hinterherkam. Schon nach den Vernissagen war alles verkauft. „Die Leute wollten noch mehr. Aber ich hatte kurz darauf eine Ausstellung in Brüssel, dann konnte ich ja nicht alle Bilder in Amsterdam verkaufen.“ Bis Mitte der 90er lief das so, er wechselte die Galerie, Bernard Ceysson fing an, seine Bilder auf Kunstmessen anzubieten.

Das war eine sehr gute Zeit. „Alles kam so, ohne nachzudenken. Jetzt würde ich gern nicht mehr so viel überlegen“, sagt Brandy. Wenn er sich heute vor die Leinwand stellt, vergeht zunächst einmal viel Zeit ohne einen Pinselstrich. „Ich stelle alles in Frage, fast jeden Strich“, seine Gesichtszüge verraten, wie unzufrieden er mit dieser neuen Wendung ist. „Das ist nicht gut. Ich überlege zu viel.“ Früher malte er einfach drauf los, jede Leinwand verrät unverfälscht, welches Gefühl er beim Malen hatte. „Das hat vielleicht etwas mit dem Alter zu tun.“ Doch er wechselt lieber schnell das Thema. Die Tuschebilder machen ihm die Arbeit einfacher. Einfach breite Striche ziehen. Die Befreiung von der Farbe. Ausdrucksstark und unbedacht. „Das tut gut zurzeit, da ist Schreien erlaubt.“ Mit dem Alter hatte Robert Brandy seine Probleme. „Bis ich 60 war, habe ich an nichts gedacht. Mit 70 wurde es sehr schlimm. Ich habe viele gute Freunde verloren, die gestorben sind. Das ist auch meine Zukunft. Wenn ich ein altes Bild ansehe, erinnere ich mich genau an den Moment, in dem ich das gemalt habe. Dann merke ich, dass das 20 Jahre her ist. Rechnen wir jetzt 20 Jahre hinzu, das ist dann das absolute Limit.“ Diese Dinge, so meint er, sorgen dafür, dass er zu viel nachdenkt.

Die Vergangenheit ist präsent, die Bilder stehen überall. Auch ein Stück von ihm ist in jedem Bild. „Ich weiß zu jedem einzelnen Bild, wie der Moment war, in dem ich das gemalt habe, welches Gefühl ich dabei hatte.“ Vor etwa anderthalb Jahren luden ihn zwei Besucher seiner Ausstellung nach der Vernissage zu einem Glas Wein ein. „Um ein Uhr nachts gehe ich um die Ecke und sehe da mein Bild an der Wand.“ Jenes Bild war ein wichtiges. Ein kleines Bild von 1975, das erste Mal, das Brandy eine Collage erstellte, die von der Wand runterfällt und auf der anderen Seite eine andere Farbe hat. Stilgebend für eine ganze Serie, es hängt im MNHA an der Wand. Oft erstaunen ihn die Details seiner eigenen Bilder. Er weiß noch, wie er das gemacht hat, „aber ich könnte das jetzt nicht mehr. Als ich das gemalt habe, hatte ich ein Atelier über einem Schafstall in Südfrankreich. Der Geruch steigt mir wieder in die Nase, wenn ich das Bild ansehe.“

In der Provence kam er mit der Künstlerbewegung Supports/Surfaces in Kontakt, leider etwas zu spät, denn diese kam Anfang der 70er an ihr ende, doch sollte der Kontakt seine Arbeit nachhaltig prägen. Noch heute gibt es in seinen Bildern nicht nur Farbe auf Leinwand. „Ich will zeigen, dass da auch noch etwas hinter der Leinwand ist.“ Der Support, der Chassé. In fast allen Bildern finden sich die Strukturen des Holzrahmens hinter der Leinwand wieder, der Kleber gibt Struktur. Seit 1975 spannt er die Leinwände selbst und baut auch den Rahmen dahinter, wie Fensterrahmen sehen sie aus, einige mit vier Karrees, die größeren mit mehr. Auch den Kleber mischt er selbst. Schon die Vorbearbeitung der Leinwand nimmt etwa einen Tag in Anspruch.

Die Ausstellung des MNHA setzt einen besonderen Fokus auf diese Arbeit. Das erste Bild, das der Besucher erblickt, hängt nicht an einer Wand, sondern ist nur von ihr umgeben. Man kann von vorn und von hinten durch die Leinwand durchblicken. Robert Brandy ist mit dem Aufbau der Ausstellung sehr zufrieden. Die wichtigsten Werke sind darin, sie ist didaktisch aufgebaut und chronologisch sortiert. Für ihn persönlich bedeutet sie einen Abschluss. „Danach fühle ich mich, glaube ich, frei. Es ist, als wäre ich am Ende von 50 Jahren angekommen. Ein Abschluss. Ich kann Farbe benutzen oder auch nicht. Dann bin ich frei.“

Text: Franziska Peschel  Fotos: Philippe Reuter

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