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Garten als Sehnsuchts- und Rückzugsort
Für Sehnsucht und Rückzug
Der eigene Garten ist längst kein Prestigeobjekt mehr. Vielmehr scheint er zum Labsal geworden zu sein, vor allem in der Corona-Pandemie. Dabei waren Menschen schon immer von ihm fasziniert, wie ein Ausflug in die Literatur zeigt.
„Si hortum in bibliotheca habes, deerit nihil.“ – „Wenn du einen Garten und dazu noch eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen.“ Das hat Cicero gesagt, Politiker, Anwalt, Philosoph und wahrscheinlich wichtigster Redner des alten Roms. So ganz unrecht hatte er wohl nicht, mit einer Einschränkung: Cicero kannte das Smartphone nicht, ohne das heutzutage wohl niemand mehr auskommt. Weder im Garten noch in der Bibliothek. Zudem hatte der Mann sicherlich einen großen Vorteil: Um seinen Garten musste er sich wohl nie persönlich kümmern, er durfte ihn ausschließlich genießen.
Nicht erst in der Corona-Pandemie haben Menschen auf der ganzen Welt festgestellt, dass es sich im eigenen Garten gut aushalten lässt. Er ist ein Ort für Sehnsucht und Rückzug zugleich. Er lässt sich gestalten und verspricht Erholung. Zudem liegt über ihm ein Hauch von Magie, denn im stets gleichen Alltag ist doch der Garten die einzige zuverlässige Quelle für Veränderung. Manchmal reichen ein paar Tage – vor allem im Frühling –, um einen Garten vollkommen anders aussehen zu lassen.
In der Literatur erfüllen Gärten einen besonderen Zweck. So dienen sie häufig als Kulisse für vertrauliche Gespräche mit sich oder anderen, meist spenden sie Kraft und Lebensenergie für strauchelnde Protagonistinnen. Bestes Beispiel: „Der geheime Garten“ der britisch-amerikanischen Schriftstellerin Frances Hodgson Burnett aus dem Jahre 1911. Die Geschichte dreht sich um das verwöhnte Mädchen Mary Lennox, das durch eine Cholera-Epidemie zur Waise wird und auf das Gut seines griesgrämigen Onkels in England kommt. Dort entdeckt Mary einen verwilderten geheimen Garten, den sie in mühsamer Arbeit wiederherrichtet. Am Ende hat sie

Über jedem Garten liegt ein Hauch von Magie.

durch ihren Einsatz nicht nur sich selbst von ihrem hohen Ross heruntergeholt, sondern auch den mürrischen Onkel von seinem Trauma befreit.
Der Garten als Heilsspender und Ort der Erkenntnis – kein abwegiger Gedanke. Wo sonst, wenn nicht im Garten, rückt einem die Natur mit all ihren Prozessen so nah? Wo sonst können wir auf anschaulichste Weise Zeuge davon werden, wie sich Leben immer wieder selbst erneuert? Und wo sonst manifestiert sich die Idee einer Unsterblichkeit so eindrucksvoll wie dort, wo blanke Erde bunte Blumen ausspuckt und totgeglaubte Bäume wie von Zauberhand ergrünen?
Auch Goethe wird ein besonderes Verhältnis zu Gärten nachgesagt. Dabei hatte der große deutsche Dichter nichts übrig für durchgestylte Gartenanlagen. In Tagebüchern rief er die „Epoche der natürlichen Gartenkunst“ aus und verlieh in vielen seiner Erzählungen den Gärten eine besondere Rolle. Vor allem jenen, für die „nicht ein wissenschaftlicher Gärtner, sondern ein fühlendes Herz den Plan gezeichnet“, wie er in „Die Leiden des jungen Werther“ schreibt. Ähnliches geht aus den Wander- und Lehrjahren Wilhelm Meisters sowie den „Wahlverwandtschaften“ hervor.
Für Goethe war Gartenarbeit ein Symbol des Zeitgeistes in einer Zeit, „wo ein tiefer Friede den Menschen Mittel und Muße gab, mit ihrer Umgebung zu spielen“, schrieb er 1831. Wie würde er es wohl heute definieren, wo durch die seit über einem Jahr andauernde CoronaPandemie vielen Menschen ihre Hobbys und privaten Aktivitäten genommen wurden und sie deshalb verstärkt in Haus und Hof rumwerkeln? Gartenarbeit als Symbol für eine Zeit, in der den Menschen aufgrund mangelnder Beschäftigungsmöglichkeiten und der wachsenden Angst vor einer tödlichen Seuche nichts anderes übrigbleibt, als mit ihrer Umgebung zu spielen… vielleicht.
Die französische Schriftstellerin und Journalistin Colette widmete sich in ihren letzten Lebensjahren unter anderem dem Beobachten und Porträtieren von Blumen. In der kleinen Sammlung „Pour un herbier“, in der deutschen Übersetzung heißt sie „Mein literarischer Garten“, wurden einige dieser Texte 1948 veröffentlicht. Es sind hingebungsvolle, aber nicht unkritische Beobachtungen jeder einzelnen Spezies. Colette verbeugt sich vor Rosen, Narzissen und Maiglöckchen, ohne dabei deren wunden Punkte zu verheimlichen. „Ein Lob des Unperfekten!“, versprach
der Verlag, der den Band zum 50. Todestag der Schriftstellerin herausbrachte.
Moderne Gartenfreunde scheinen sich jedoch weniger literarischen Gartenbetrachtungen als vielmehr handfesten Gestaltungstipps zu widmen. Anders ist die Flut an Garten- und Handwerksmagazinen sowie speziellen Webseiten kaum zu erklären. Auch die Auftragsbücher der Gartenbaubetriebe sind über Monate hinaus gefüllt, wie wohl jeder aktive Landschaftsgärtner bestätigen wird. Nach Aussage eines in der gesamten Großregion tätigen Unternehmers sei daran aber nicht die erwachte Freude am eigenen Garten ausschlaggebend, sondern eher die

Tatsache, dass viele Menschen nicht mehr wüssten, wohin mit ihrem Geld. Denn neben vielen, die im Laufe der Pandemie ihre Jobs und Auskommen verloren haben, gäbe es auch viele, deren Einkünfte einfach weiterliefen, die aber kaum noch Möglichkeiten haben, ihr Geld auszugeben, weil Reisen und Restaurantbesuche wegfallen. Eine neue Angst vor Rezension sei entstanden. Und damit der Druck, den Kontostand kleinzuhalten. Investitionen in Pools und schicke Gartenanlagen seien deshalb beliebt.

Ob das so stimmt? Man weiß es nicht. Viele Umfragen bestätigen jedoch die neue Lust an der Natur und der Beschäftigung mit ihr. In Zeiten von Klimawandel und Pandemie kann es sicherlich helfen, morbide Gedanken zu verdrängen und seine Zeit in etwas zu investieren, das fröhliche Farben und eine gesunde Lebensweise verspricht. Für die Romanheldin Mary Lennox kam der geheime Garten gerade recht. Die Geschichte wurde übrigens frisch verfilmt, mit Colin Firth als griesgrämigem Onkel und Julie Walters als resoluter Haushälterin. Doch leider hat die Produktion der natürlichen Kraft des Gartens nicht vertraut und aus der Geschichte ein Art „Alice in Wonderland“ gemacht, mit bunt animierten Bildern und zahlreichen Fantasiefiguren. Goethe hätte das mit Sicherheit nicht gefallen.
Text: Heike Bucher Fotos: Pixabay
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