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Das umstrittene Freihandelsabkommen der EU mit dem Mercosur

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Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Mercosur ist ein Deal ungleicher Partner.

Wer den „Mercado Común del Sur“, besser bekannt als Mercosur, verstehen will, der sollte am besten nach Ciudad del Este fahren. Die zweitgrößte Stadt Paraguays im Triple Frontera, dem Dreiländereck mit den Nachbarstaaten Argentinien und Brasilien, gleicht in ihren besten Zeiten einem riesigen orientalischen Basar. „Dort kannst du alles kaufen“, sagte mir einmal ein brasilianischer Freund. In der Tat gibt es von Autos über Küchengeschirr und Kleidung bis zu Waschmaschinen jede erdenkliche Ware, allerdings auch Drogen und Waffen.

Als die Staatschefs der drei genannten Staaten gemeinsam mit ihrem Amtskollegen aus Uruguay am 26. März 1991 den Vertrag von Asunción unterzeichneten, schufen sie eine Freihandelszone. Damals galt Ciudad del Este, gut 300 Kilometer östlich der paraguayischen Hauptstadt gelegen, längst als Schmugglerparadies. Noch heute decken sich in dem von muslimischen Händlern aus dem Libanon dominierten Riesenmarkt unzählige Menschen, die nach wie vor „muambeiros“ (Schmuggler) genannt werden, an den Wochenenden mit allem Möglichem ein, bevor sie vollgepackt über die „Brücke der Freundschaft“ nach Brasilien zurückkehren und die Ware auf den Straßen der südbrasilianischen Großstädte weiterverkaufen.

Wer den Mercosur noch besser verstehen will, der begebe sich ins Landesinnere von Paraguay, wo sich brasilianische Großgrundbesitzer und internationale Agrarkonzerne für wenig Geld riesige landwirtschaftliche Flächen unter den Nagel rissen, um Soja anzupflanzen und dieses dann unter anderem nach Europa zu exportieren. Das gentechnisch veränderte Saatgut kam aus Argentinien. Lange Zeit der größte Renner: das von Monsanto, heute Bayer, patentierte „Roundup Ready“ Soja. Für den Sojaanbau wurden riesige Waldflächen zerstört. Der Monokultur mussten zudem die indigenen Guaraní weichen. Der Soja-Boom hat auch den weiter westlich gelegenen Chaco erfasst, wo traditionell Viehzucht betrieben wird. Erst vor drei Jahren wurde ein Gesetz erlassen, um die weitere Abholzung zu ermöglichen. Den Kleinbauern wurde die Lebensgrundlage entzogen.

Verödet war zuletzt auch das sonst pulsierende Ciudad del Este. In den Shopping Malls herrscht gähnende Leere. Zuerst setzte den Händlern der Internethandel zu, dann der starke US-Dollar, schließlich das Coronavirus. Es gab also in jüngster Zeit wenig zu feiern in den von der Pandemie unterschiedlich betroffenen vier Ländern des Mercosur: Brasilien ist zum globalen Hauptkatastrophengebiet der Corona-Krise geworden, das wirtschaftlich seit Jahren angeschlagene Argentinien hat sich kaum aus einem mehrmonatigen Lockdown erholt, selbst das lange Zeit als Musterland im Anti-Corona-Kampf geltende Uruguay ist mittlerweile stark von Covid-19 betroffen.

Wenig zu feiern gab es auch am 30. Jahrestag des Mercosur am 26. März. Es war zwar ein Zufall, aber dennoch voller Symbolgehalt, dass genau am Jubiläumstag des südamerikanischen Staatenbündnisses Argentinien ein Flugverbot von und nach Brasilien in Kraft setzte, nachdem sich bei den Nachbarn eine neue Virus-Mutation ausgebreitet hatte, die deutlich ansteckender und tödlicher war. Während Argentinien schon zu Beginn der Pandemie den Lockdown verhängte, verharmloste der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro das Virus und sprach sich gegen strenge Maßnahmen aus. Stattdessen sollte in seinem Land möglichst Alltag herrschen. Doch nicht nur die Pandemie hat die Kluft zwischen den beiden größten Volkswirtschaften Südamerikas vergrößert.

Als 1991 die Staatschefs der vier Gründerstaaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay in der paraguayischen Hauptstadt den Mercosur-Vertrag unterzeichneten, war die damalige Europäische Gemeinschaft ein Vorbild. Der Vertrag nannte in seiner Präambel sowohl die wirtschaftliche als auch politische Integration. Aus dem Bündnis sollte ein wirtschaftlicher Gigant mit heute etwa 260 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 12,8 Millionen Quadratkilometern werden. Seine Ziele: die Reduktion der Zölle, ein gemeinsamer Markt sowie freier Personenverkehr und mehr soziale Gleichheit.

Zwar konnte nicht alles verwirklicht werden, aber zumindest ist die Region heute bedeutend für die weltweite Nahrungsmittelversorgung und den Rohstoffabbau. Aus dem Mercosur stammen 63 Prozent des global gehandelten Sojas. Außerdem ist er der größte Fleischexporteur der Welt. Insgesamt wurden innerhalb des Bündnisses Handelshemmnisse abgebaut und das Aufenthaltsrecht vereinfacht. Der Mercosur entwickelte eine starke Sogkraft: Die meisten anderen südamerikanischen Staaten wurden assoziiert, Venezuela 2006 sogar Mitglied, als in vielen Ländern der Region linke Regierungen das Sagen hatten, allerdings wurde es im Dezember 2016 dauerhaft suspendiert.

Weit gediehen ist die Integration jedoch nicht. Die bereits bis 2006 anvisierte Zollunion kam nicht richtig voran, der Binnenmarkt ist noch nicht ganz verwirklicht. Selbst wichtige Güter wie Autoteile und Fleisch werden noch nicht frei gehandelt. Abschottung und Protektionismus sind die üblichen Hemmnisse. Mittlerweile ist zu konstatieren, dass es mal besser lief zwischen Anden und Atlantik, zwischen Amazonasbecken und Feuerland. Dies war der Fall, als sich die jeweiligen Regierungen politisch nahestanden oder zumindest verstanden. Nun ist aber die linke Vorherrschaft in der Region vorüber, Südamerika hat in den vergangenen Jahren – bis auf das peronistisch regierte Argentinien – einen Rechtsruck erlebt. Heute blockieren sie sich gegenseitig und hegen widerstreitende politische

Interessen. Nach dem Aufschwung in den Jahren nach der Jahrtausendwende fielen die Ökonomien der beteiligten Länder in der zurückliegenden Dekade wieder in altes Fahrwasser zurück.

Die Verhandlungen mit der Europäischen Union zeigen einmal mehr, wie fragil und machtlos das Bündnis ist. Die Verbündeten schafften es zum Beispiel nicht, Brasiliens Staatschef Bolsonaro auf einen moderaten Kurs zu bewegen. Auch haben die Amazonas-Brände 2019 das Verhältnis der EU zu Brasilien belastet. Das Freihandelsabkommen drohte daran zu scheitern. Auch wenn mittlerweile auf eine schnelle Einigung und Umsetzung gedrängt wird, haben die Kritiker des Abkommens wieder ihre Kräfte mobilisiert. Nicht nur, weil darin das Kapitel zum Umweltschutz aus ihrer Sicht nicht in ausreichendem Maße bindend ist. Außerdem befürchten die europäischen Agrarstaaten die südamerikanische Konkurrenz. Nicht zuletzt wird davor gewarnt, dass Billig-Fleischimporte aus Südamerika die Amazonas-Zerstörung beschleunigen.

Ob der eher links im politischen Spektrum einzustufende argentinische Präsident Alberto Fernández überhaupt zu dem Abkommen steht, ist unklar. Von dem Rechtsextremen Bolsonaro trennen ihn Welten. Zwar wurde zum Jubiläum die Schaffung einer Mercosur-Staatsbürgerschaft angekündigt. Doch zurzeit erdrücken Pandemie und Wirtschaftskrise jeglichen Elan. Besonders Argentinien greift nach jedem rettenden Strohhalm aus China. Aus dem Reich der Mitte kommen nicht nur Impfstoffe, sondern auch die dringend benötigten Investitionen.

Derweil haben die im Westen gelegenen Staaten Südamerikas die Mercosur-Länder überholt, indem sie bilaterale Abkommen mit der EU trafen. Dass ausgerechnet Bolsonaro, der sonst nichts vom Mercosur hält, mit einem „Mercosul“-Schriftzug auf den brasilianischen Reisepässen und dem Sternen-Logo auf den Autokennzeichen vorpreschte, mag verwundern, ist aber nur einer von zahlreichen Widersprüchen in der Geschichte des südamerikanischen Staatenbündnisses sowie den mehr als 20 Jahre währenden Verhandlungen zwischen Brüssel und den Südamerikanern. Genauer betrachtet, ist Bolsonaros Interesse verständlich: Hinter ihm steht das brasilianische Agrarbusiness, das von dem Abkommen profitieren wird. Auch sein früherer argentinischer Amtskollege Mauricio Macri vertrat die Großgrundbesitzeroligarchie und forcierte die Verhandlungen.

Die Verhandlungen mit der EU zeigen einmal mehr, wie fragil und machtlos das südamerikanische Bündnis ist.

„Der Mercosur ist ein wirtschaftliches Konstrukt mit knirschendem Gebälk“, stellt Gaby Küppers von der Bonner „Informationsstelle Lateinamerika“ (ila) fest, Referentin der Grünen im Europaparlament mit dem Schwerpunkt „Internationaler Handel“. Sie erinnert daran, dass der Generalsekretär des Bündnisses nie zu den Verhandlungen mit der EU eingeladen war. „Am Tisch saßen immer die Vertreter der vier Regierungen, mit rotierender Präsidentschaft“, so Küppers. Und auf der anderen Seite saßen die Vertreter der EU-Mitgliedsländer nicht mit am Tisch. „Verhandlungsstrategisch bedeutete dies eine multilaterale ‚1+4-Konstellation‘“, konstatiert der deutsche Entwicklungsökonom und Lateinamerikaspezialist Hartmut Sangmeister. Er schreibt in seiner Zwischenbilanz zum EU-MercosurAbkommen: „Aus der Verhandlungstheorie ist bekannt, dass es der Quadratur des Kreises gleicht, zwischen Partnern asymmetrischer ‚bargaining power‘ einen für alle Beteiligten zufriedenstellenden Interessenausgleich zu erzielen.“ Wenn der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach 27 Verhandlungsrunden im Juni 2019 trotzdem euphorisch von einem „historischen Moment“ sprach, dann hatte er wohl die größte Freihandelszone vor Augen, nicht aber ein Bündnis, innerhalb dessen auch nur annähernd das herrscht, was er immer für Europa einforderte und verfocht: gleiche soziale Rechte.

Symbolisch für das Bündnis der vier Mercosur-Staaten und das anvisierte Abkommen könnte eine Bootsfahrt auf dem Río Paraná sein. Will man von paraguayischer Seite über den Grenzfluss nach Argentinien übersetzen, rudert und steuert ein Paraguayer, auf dem Rückweg übernimmt ein Argentinier das Ruder. Nicht selten hat das kleine Boot ein Leck. Zwangsläufig geht es unter, wenn zu langsam gerudert wird. Zumindest bekommt es Schlagseite.

„Eine ganz große Verantwortungslosigkeit“

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem „Gemeinsamen Markt Südamerikas“ (Mercosur) stößt nach wie vor auf heftige Kritik. „StopEUMercosur“ heißt ein internationales Netzwerk, das sich dagegen ausgesprochen hat, darunter auch die Action Solidarité Tiers Monde (ASTM) und das Klima-Bündnis Lëtzebuerg. Dietmar Mirkes, der lange für beide gearbeitet hat, erklärt die Gründe.

Mehr als 450 Organisatoren aus Lateinamerika und Europa haben sich vor einem Monat öffentlich gegen das Freihandelsabkommen ausgesprochen.

Das Klima-Bündnis Luxemburg hat zwar nicht unterschrieben, aber die Resolution des internationalen Klimabündnisses übernommen, das das Abkommen ablehnt. Bislang haben 18 der 40 Klimabündnis-Gemeinden der Resolution zugestimmt. Viele haben einen Brief an Außenminister Jean Asselborn geschrieben.

Was spricht gegen den Freihandelsvertrag?

Es handelt sich um einen Vertrag, der Umwelt- und Sozialstandards nicht berücksichtigt. Die EU-Kommission hat es leider versäumt, vor dem Abschluss des Abkommens im Juni 2019 eine Umweltstudie zum „Sustainable Impact Assessment“, also die Nachhaltigkeitsstudie der London School of Economics, abzuwarten. Die Studie wurde erst im Dezember 2020 veröffentlicht. Diese Nichtberücksichtigung wird auch von der europäischen Ombudsfrau Emily O‘Reilly kritisiert. Sie gab dazu am 17. März ein Statement ab. Sie hat es als schlechte Verwaltungspraxis bezeichnet.

Im Aufruf der Organisationen heißt es, das Freihandelsabkommen sei ein „obsoletes Wirtschaftsmodell“. Ist der Freihandel generell ein Modell von gestern?

Im Prinzip ja. Seit die Verhandlungen aufgenommen wurden, sind zwei Jahrzehnte vergangen. Zum Beispiel wurde das Pariser Klimaabkommen getroffen oder die Biodiversitätskonvention, die sich nicht mit der Idee des Freihandels vertragen. Letzterer heißt, dass man möglichst frei von Zöllen und hinderlichen Kriterien Handel betreiben kann. Das ist 20. Jahrhundert. Wir haben heute eine ganz andere Situation: die Klimakrise, die Covidkrise. Unter diesen Umständen kann man nicht mehr mit Freihandel kommen. Das große Tabu bei einer Diskussion über Freihandel ist der Wegfall der Zölle – und damit von Staatseinnahmen. Viele Politiker stellen sich hinter solch ein Abkommen und behaupten, es würde Wachstum und Arbeitsplätze bringen, aber keiner gibt zu, dass dann zum Beispiel im Gesundheits- oder Bildungssystem gekürzt wird, obwohl das eine logische Folge geringerer Staatseinnahmen ist.

Die Vertragspartner verpflichten sich der Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. In einem Kapitel geht es um nachhaltige Bewirtschaftung und Erhalt der Wälder.

Das ist sogenanntes Greening. Also Blabla. Dahinter stehen keine Kontrollen, kein Monitoring, keine Sanktionen und kein Nichtinkrafttreten des Vertrages. Und was haben wir für Vertragspartner? Jair Bolsonaro, dem derzeitigen Präsidenten von Brasilien, das für mehr als drei Viertel des Mercosur steht, was die Bevölkerung und das Bruttoinlandsprodukt angeht, sind Umwelt- und Menschenrechte so was von egal. Mit so einem Politiker einen Vertrag abzuschließen, ohne vorher ein Monitoring und mögliche Sanktionen vereinbart zu haben, ist völlig unverantwortlich. Ich werfe den europäischen Politikern in dieser Hinsicht eine ganz große Verantwortungslosigkeit vor.

Besteht also kein Recht mehr, regulatorisch einzugreifen?

Der Vertrag bekräftigt den bisherigen Handel, wie er war, und baut ihn aus. Er reformiert ihn aber nicht. So wie er bisher stattfand, beinhaltete er schon massive Fehler. Zum Beispiel ist fast die Hälfte der Pestizide und Herbizide, die Konzerne wie BASF und Bayer in die Mercosur-Staaten liefern, in Europa verboten. Das geht in das Soja, ohne dass überprüft wird, ob Restbestände dieser Pestizide und Herbizide drin sind. Das heißt, dass es zu uns zurückkommt, wenn wir Fleisch essen oder Sojamilch trinken. Es wäre ein Minimum gewesen, hierbei Kontrollen vorzusehen, um die eigenen Bürger zu schützen.

Es handelt sich um einen Vertrag, der Umwelt- und Sozialstandards nicht berücksichtigt.

Setzt das Freihandelsabkommen Anreize für eine verstärkte Abholzung und eine Vernichtung der Biodiversität, wie seine Gegner behaupten?

Das „Sustainable Impact Assessment“ spricht nur von der Möglichkeit, die Flächenkultivierung zu intensivieren und nicht auszudehnen. Das ist Tagträumerei. Ein Gutachten der französischen Regierung besagt hingegen, dass die Rodungen für Exporte nach Europa um 25 Prozent steigen würden, und eines vom „Amazon Institute of People and Environment“ in Belém kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

Dietmar Mirkes hat über 20 Jahre für die ASTM und das Klima-Bündnis Lëtzebuerg gearbeitet und beschäftigt sich nach seiner Pensionierung als selbständiger Geograf und Autor weiter mit den Themen Klimakrise, Biodiversität und Menschenrechte.

Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat das Abkommen 2019 in den höchsten Tönen gelobt. Der Mercosur öffne sich gegenüber Europa und die europäischen Märkte seien auch für die beteiligten südamerikanischen Länder offen. Vom „Geist der Offenheit“ sprach auch Handelskommissarin Cecilia Malmström.

Herr Juncker wollte noch einen politischen Erfolg gegen Ende seiner Amtszeit. Das ist verständlich, verkennt aber die Realitäten. Und zu dem, was Frau Malmström sagte: Wenn der „Geist der Offenheit“ gegenüber den lateinamerikanischen Staaten vorhanden wäre, bräuchte man kein Abkommen. Dieses verengt eher die Offenheit auf jene vier Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Ein Freihandelsabkommen ist auch immer ein Abkommen gegen die Nichtmitglieder.

Was wäre eine Alternative? Ein Gegenmodell?

Das wäre die Umkehrung dessen, was man dem Abkommen vorwirft. Das heißt, es müssten von vornherein feste Umwelt- und Sozialstandards vereinbart werden. Das würde eine Beteiligung der Gewerkschaften an solchen Verträgen voraussetzen, was seit Jahren eine massive Kritik der Gewerkschaftsdachverbände im Mercosur und in der EU war, dass sie gar nicht beteiligt werden. Also eine Beteiligung der Zivilgesellschaft, eine Ausstattung solcher Verträge mit Monitoring und möglichen Sanktionen.

Nach den Worten des portugiesischen Außenministers Santos Silva hängt die Glaubwürdigkeit der EU von der Ratifizierung ab.

auch kritisiert wird. Andere Länder sind dagegen. Am klarsten Österreich, das betont, dass das Abkommen „alte Schule“ sei. Auch die Position von Emmanuel Macron ist sehr kritisch. Er hatte das bereits genannte Gutachten in Auftrag gegeben. Das Resultat des Gutachtens stellt einen Verriss des Vertrages dar, weil dieser ökonomisch nur einen Bruchteil der angestrebten Vorteile bringen würde und ökologisch völlig dem Pariser Klimaabkommen widerspricht.

Warum wurden aus dem Gutachten keine Konsequenzen gezogen?

Wenn das so gewesen wäre, hätte man das Abkommen neu schreiben müssen. Was ja auch die Position von Jean Asselborn ist, der sagt: Legen wir es ins Gefrierfach und schauen, was noch daran verbessert wird, und insbesondere bezüglich der Brände am Amazonas, wie Bolsonaro den Regenwald schützt. Inhaltlich belastet ihn am meisten das Nichteinhalten des völkerrechtlich bindenden Pariser Klimaabkommens. Auch andere Länder sind kritisch, zum Beispiel Irland. Die Diskussion laufen in allen Staaten.

Welche Rolle spielt die derzeitige politische Konstellation in den Mercosur-Staaten? Brasiliens Regierung ist rechts, die argentinische eher links einzustufen.

Es geht vor allem um ökonomische Machtverhältnisse. Die gesamte Struktur des Mercosur-Vertrages bedeutet, dass sich die jeweils stärksten ökonomischen Mächte durchsetzen. Im Mercosur wäre der große Gewinner das Agro-Business, in Europa die Chemie- und Autokonzerne. Wer immer auch neu gewählt wird, wird sich mit diesen Machtkonstellationen auseinandersetzen müssen. Ich sehe Politiker weniger mächtig als die Konzerne. Wie weit sich die Situation ändern würde, wenn in Brasilien wieder Lula da Silva an die Macht käme, ist spekulativ. Ich weiß nicht, ob sich etwas ändern würde. Es gibt die Befürchtung als Argument für das Abkommen, dass sich die anderen lateinamerikanischen Länder mehr China zuwenden würden. Auch Bolivien und Chile würden sich gerne dem Abkommen anschließen. Aber wenn ich deren Regierungen wäre und würde mir die Details des Vertrages anschauen, wäre ich gar nicht so geneigt einzusteigen. Denn so viele Vorteile gibt es nicht.

Also ein ungleiches Verhältnis?

Es geht letztendlich um die ökonomischen Machtverhältnisse. Und die entsprechen einer kolonialen Struktur. Die Theorie des ungleichen Tausches besagt, also Rohstoff gegen Fertigwaren, dass der Rohstofflieferant dabei immer verliert. Ein ganz neuer Faktor kommt mit P.1 hinzu, die brasilianische Variante der CoronavirusMutation, die sich weltweit verbreiten kann und gegen den Bolsonaro nichts unternimmt. Dass sie ihn durch den Abschluss eines Abkommens aufwerten, ist ein Hauptvorwurf, den ich unseren Politikern mache.

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