18 POLITIK & WIRTSCHAFT
Schlagseite Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Mercosur ist ein Deal ungleicher Partner.
Wer den „Mercado Común del Sur“, besser bekannt als Mercosur, verstehen will, der sollte am besten nach Ciudad del Este fahren. Die zweitgrößte Stadt Paraguays im Triple Frontera, dem Dreiländereck mit den Nachbarstaaten Argentinien und Brasilien, gleicht in ihren besten Zeiten einem riesigen orientalischen Basar. „Dort kannst du alles kaufen“, sagte mir einmal ein brasilianischer Freund. In der Tat gibt es von Autos über Küchengeschirr und Kleidung bis zu Waschmaschinen jede erdenkliche Ware, allerdings auch Drogen und Waffen. Als die Staatschefs der drei genannten Staaten gemeinsam mit ihrem Amtskollegen aus Uruguay am 26. März 1991 den Vertrag von Asunción unterzeichneten, schufen sie eine Freihandelszone. Damals galt Ciudad del Este, gut 300 Kilometer östlich der paraguayischen Hauptstadt gelegen, längst als Schmugglerparadies. Noch heute decken sich in dem von muslimischen Händlern aus dem Libanon dominierten Riesenmarkt unzählige Menschen, die nach wie vor „muambeiros“ (Schmuggler) genannt werden, an den Wochenenden mit allem Möglichem ein, bevor sie vollgepackt über die „Brücke der Freundschaft“ nach Brasilien zurückkehren und die Ware auf den Straßen der südbrasilianischen Großstädte weiterverkaufen. Wer den Mercosur noch besser verstehen will, der begebe sich ins Landesinnere von Paraguay, wo sich brasilianische Großgrundbesitzer und internationale Agrarkonzerne für wenig Geld riesige landwirtschaftliche Flächen unter den Nagel rissen, um Soja anzupflanzen und dieses dann unter anderem nach Europa zu exportieren. Das gentechnisch veränderte Saatgut kam aus Argentinien. Lange
Zeit der größte Renner: das von Monsanto, heute Bayer, patentierte „Roundup Ready“ Soja. Für den Sojaanbau wurden riesige Waldflächen zerstört. Der Monokultur mussten zudem die indigenen Guaraní weichen. Der Soja-Boom hat auch den weiter westlich gelegenen Chaco erfasst, wo traditionell Viehzucht betrieben wird. Erst vor drei Jahren wurde ein Gesetz erlassen, um die weitere Abholzung zu ermöglichen. Den Kleinbauern wurde die Lebensgrundlage entzogen. Verödet war zuletzt auch das sonst pulsierende Ciudad del Este. In den Shopping Malls herrscht gähnende Leere. Zuerst setzte den Händlern der Internethandel zu, dann der starke US-Dollar, schließlich das Coronavirus. Es gab also in jüngster Zeit wenig zu feiern in den von der Pandemie unterschiedlich betroffenen vier Ländern des Mercosur: Brasilien ist zum globalen Hauptkatastrophengebiet der Corona-Krise geworden, das wirtschaftlich seit Jahren angeschlagene Argentinien hat sich kaum aus einem mehrmonatigen Lockdown erholt, selbst das lange Zeit als Musterland im Anti-Corona-Kampf geltende Uruguay ist mittlerweile stark von Covid-19 betroffen. Wenig zu feiern gab es auch am 30. Jahrestag des Mercosur am 26. März. Es war zwar ein Zufall, aber dennoch voller Symbolgehalt, dass genau am Jubiläumstag des südamerikanischen Staatenbündnisses Argentinien ein Flugverbot von und nach Brasilien in Kraft setzte, nachdem sich bei den Nachbarn eine neue Virus-Mutation ausgebreitet hatte, die deutlich ansteckender und tödlicher war. Während Argentinien schon zu Beginn der Pandemie den Lockdown verhängte, verharmloste der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro das
Virus und sprach sich gegen strenge Maßnahmen aus. Stattdessen sollte in seinem Land möglichst Alltag herrschen. Doch nicht nur die Pandemie hat die Kluft zwischen den beiden größten Volkswirtschaften Südamerikas vergrößert. Als 1991 die Staatschefs der vier Gründerstaaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay in der paraguayischen Hauptstadt den Mercosur-Vertrag unterzeichneten, war die damalige Europäische Gemeinschaft ein Vorbild. Der Vertrag nannte in seiner Präambel sowohl die wirtschaftliche als auch politische Integration. Aus dem Bündnis sollte ein wirtschaftlicher Gigant mit heute etwa 260 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 12,8 Millionen Quadratkilometern werden. Seine Ziele: die Reduktion der Zölle, ein gemeinsamer Markt sowie freier Personenverkehr und mehr soziale Gleichheit. Zwar konnte nicht alles verwirklicht werden, aber zumindest ist die Region heute bedeutend für die weltweite Nahrungsmittelversorgung und den Rohstoffabbau. Aus dem Mercosur stammen 63 Prozent des global gehandelten Sojas. Außerdem ist er der größte Fleischexporteur der Welt. Insgesamt wurden innerhalb des Bündnisses Handelshemmnisse abgebaut und das Aufenthaltsrecht vereinfacht. Der Mercosur entwickelte eine starke Sogkraft: Die meisten anderen südamerikanischen Staaten wurden assoziiert, Venezuela 2006 sogar Mitglied, als in vielen Ländern der Region linke Regierungen das Sagen hatten, allerdings wurde es im Dezember 2016 dauerhaft suspendiert. Weit gediehen ist die Integration jedoch nicht. Die bereits bis 2006 anvisierte Zollunion kam nicht richtig voran, der Binnenmarkt ist noch nicht ganz verwirklicht. Selbst wichtige Güter wie Autoteile und Fleisch werden noch nicht frei gehandelt. Abschottung und Protektionismus sind die üblichen Hemmnisse. Mittlerweile ist zu konstatieren, dass es mal besser lief zwischen Anden und Atlantik, zwischen Amazonasbecken und Feuerland. Dies war der Fall, als sich die jeweiligen Regierungen politisch nahestanden oder zumindest verstanden. Nun ist aber die linke Vorherrschaft in der Region vorüber, Südamerika hat in den vergangenen Jahren – bis auf das peronistisch regierte Argentinien – einen Rechtsruck erlebt. Heute blockieren sie sich gegenseitig und hegen widerstreitende politische