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Demokratie im Labor: mehr als eine interaktive Ausstellung
Experiment gelungen, Patient lebt
Nicht nur in Zeiten einer mutmaßlichen Demokratiekrise empfiehlt sich ein Gang ins DemokratieLabo, einer Ausstellung der Stiftung Zentrum für politische Bildung. Diese liefert darüber hinaus Eindrücke zu Fragen der luxemburgischen Identität.
Von einer Krise der Demokratie ist schon seit Jahren die Rede. Das wird schon längere Zeit mit der sogenannten Politikverdrossenheit in Verbindung gebracht, seit dem Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien hat sich diese Krise zugespitzt. Erst recht, seit zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in zahlreichen Ländern einige Grundrechte zumindest zeitweise eingeschränkt oder sogar außer Kraft gesetzt wurden, wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem jüngsten Jahresbericht feststellt. Und von Demokratieskeptikern wird die Frage aufgeworfen, ob autoritäre System wie das chinesische Pandemien nicht besser bewältigen können. Zerfall spricht der in New York lehrende Politikwissenschaftler Adam Przeworski in seinem Buch „Krisen der Demokratie“. Auch hierzulande macht man sich über das Krisenphänomen Gedanken. So hat zum Beispiel im Januar 2020 die Zeitschrift Forum der „Zukunft der Demokratie“ eine Ausgabe gewidmet. Der Publizist Victor Weitzel schreibt darin von einer „Demokratie in der Sackgasse“.
Um dieser Krise auf den Grund zu gehen, so Przeworski, müsse man erst einmal erklären: „Was ist eine Demokratie? Was ist eine Krise?“ Pierre Lorang stellte in seiner Einführung in das Dossier der besagten Forum-Ausgabe die Frage, „was die Demokratie in ihrem anthropologischen Wesenskern überhaupt ist: naturrechtliches Gesetz oder kultureller Ausnahmezustand? Kommt der Mensch als edler Demokrat zur Welt und mutiert durch die Macht der Verhältnisse zum hässlichen Antidemokraten? Oder ist er in Wahrheit ein natürliches Ekel, das erst durch Erziehung und Sozialisation zum wahrhaften Citoyen wird?“
Dem früheren britischen Premierminister wird das Zitat von der Demokratie als der schlechtesten aller Regierungsformen zugesprochen – „abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind“. Kritik ist Teil der Demokratie, und schließlich ist es die Aufgabe der politischen Bildung, Schülern ebenso wie allen Bürgern das Wesen der Demokratie näherzubringen. Dies geschieht zum einen in der Schule, zum anderen ist hierzulande die Stiftung
„Zentrum fir politesch Bildung“ (ZpB) damit beschäftigt, darüber zu informieren und Aufklärung zu leisten.
Auf eine etwas andere Art als allgemein üblich versucht es das ZpB mit der interaktiven, dreisprachigen Ausstellung „Den DemokratieLabo“, die noch bis zum 9. Mai*, dem Europatag, in der Abtei Neumünster zu sehen ist und dann als Wanderausstellung fortgesetzt wird. „Eigentlich ist es keine Ausstellung, sondern ein Labor“, erklärt ZpB-Direktor Marc Schoentgen. „Wir erklären nicht einfach, wie zum Beispiel das Parlament oder die Gesetzgebung funktioniert oder wie Wahlen ablaufen, sondern wir stellen Fragen.“
Die Besucher durchlaufen einen laborähnlichen Parcours aus 16 Modulen mit insgesamt 61 Stationen, und ähnlich wie bei einem Laborexperiment ist eine aktive Teilnahme erforderlich – so wie eben Demokratie von Partizipation lebt. Die Besucher müssen Knöpfe drücken, Hebel ziehen oder Scheiben drehen – und Fragen beantworten. Dass es dabei um „heiße“ Themen wie das der Identität gehen kann, entspricht dem Experimentieren im Labor mit Reagenzgläsern, Kolben und Zangen gleich. Gefragt wird, welche hauptsächlichen Wesensmerkmale man Luxemburg zuordnet: unter anderem Katholizismus oder Religionsfreiheit, Mehrsprachigkeit oder gar „Kniddelen“. Auch wird die Frage aufgeworfen, wie man sich einen richtigen Luxemburger vorstellt. Vorurteile werden thematisiert und die Einstellungen zu Diskriminierung hinterfragt. Dass die Hälfte der Luxemburger Einwohnerschaft aus Menschen nicht-luxemburgischer Nationalität besteht, ist hierzulande längst bekannt. Finanzminister Pierre Gramegna bezeichnete Luxemburg einmal als „Laboratorium für Europa“. In dem wird die Demokratie tagtäglich als Experiment am lebenden Patienten probiert. Mit dem Zwischenresultat: Experiment gelungen, Patient lebt.
Zur Hand hat jeder Besucher einen Bogen, in dem er Fragen beantwortet, indem er ankreuzt. Am Ende bekommt er oder sie einen persönlichen Laborbericht. „Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch“, erklärt Schoentgen. „Auch entsteht nicht das Bild einer homogenen Konsensdemokratie, als die Luxemburg in der Vergangenheit immer wieder bezeichnet wurde, sondern einer Streitkultur, in der Konflikte nicht unter den Teppich gekehrt werden.“ Die Besucher – gedacht ist an ein Mindestalter von 12 bis 14 Jahren – können die Ausstellung allein besuchen oder zu mehreren und dann im Idealfall miteinander diskutieren. „Man wird zum Nachdenken angeregt“, sagt Schoentgen, „oder zum Austausch von Meinungen.“
Nach den zahlreichen Laborversuchen, bei denen das Eingreifen der Besucher gefragt ist wie in der Demokratie die Partizipation der Bürger, denn davon lebt sie schließlich, dürfte jedem klar sein: Die „eine“ Demokratie gibt es nicht. Sie ist vielmehr ein ständiger Prozess, zu dem Konflikte und Meinungsverschiedenheiten wie selbstverständlich gehören. Schoentgen erhofft sich ein Nachwirken der Ausstellung. „Anfassen und Diskutieren“ sei also ausdrücklich erwünscht. Im Spannungsfeld von Freiheit und Gerechtigkeit, Vorurteilen und Ungleichheiten, wie sie gezeigt werden wie Bestandteile einer chemischen Verbindung in einem Rundkolben, entsteht das demokratische Lebenselixier.
„Jeder kann sich mal irren, alle Menschen haben Vorurteile“, um die es bei zwei Mülltonnen geht, einer der Stationen der Ausstellungen. In einer anderen geht es um das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Privatsphäre, wo die Besucher gefragt werden, ob sie damit einverstanden seien, dass der Geheimdienst ohne Genehmigung E-Mail-Inhalte analysiert. An einer anderen Stelle geht es um Gleichbehandlung von Menschen, eine besonders aktuelle Station thematisiert die Corona-Pandemie. Aber auch andere heiße Eisen wie Armut und Wohnungsnot kommen vor. Sie können ganz ohne Sicherheitshandschuhe oder Zangen angepackt werden. Auch sind übrigens drei Routen bei der Ausstellung, ausführlich für Besucher mit mehr Zeit, oder kürzer für ganz Eilige, mit oder ohne jüngere Kinder. So wie es verschiedene Wege der Demokratie gibt. Hauptsache, die Institutionen funktionieren. Das Vertrauen in sie, so wird an einer Station über das Verhältnis der Luxemburger zum Parlament gezeigt, scheint zumindest noch ausreichend zu bestehen.
Text: Stefan Kunzmann Fotos: ZpB, Hervé Montaigu (Editpress)
* Die Ausstellung in der Abtei Neumünster wurde in Zusammenarbeit mit Peace Education Projects (Stichting Vredeseducatie) in den Niederlanden entwickelt.
Konsensdemokratie, sondern einer Streitkultur.
