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Slackliner: Patrick Simoes über die Trendsportart
Trickreiche Gradwanderung
Patrick Simoes ist „Trickliner“. Was es mit dieser Trendsportart auf sich hat und was die Kombination aus einem Kartoffelsack und seiner Oma damit zu tun haben? Wir wollten es genauer wissen.
„Transition grab“

„Butt bounce“

Scheint die Sonne, dann ist der Park auf dem Galgenberg in Belvaux gut besucht. Grillen, Lernen, Spielen, Lesen – auf dem Kulthügel des Luxemburger Südens lassen es sich die Menschen auf unterschiedlichste Weise gutgehen. Einer von ihnen ist der 28-jährige Patrick Simoes. Der Grundschullehrer beteiligt sich allerdings nicht an den üblichen Zeitvertreiben. An zwei, rund 25 Meter voneinander entfernten, Bäumen fixiert Simoes die Slackline, auf der er in den nächsten anderthalb Stunden seinem Sport nachgeht.
Der Ursprung der Sportart „Slacklining“ wird irgendwann in die 70er Jahre geschätzt. Damals hätten Kletterer im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien Regentage damit verbracht, auf Absperrketten zu balancieren. Ein anderer Ansatz führt die Slackline auf den Seiltanz im Zirkus zurück. Über den Seiltanz berichten Historiker bereits im Kontext der griechischen Antike. Ganz gleich, welcher der beiden Gründungserklärungen man nun glauben mag, das Jahr 2005 ist das Geburtsjahr der Slackline. Damals kamen die ersten Slackline-Sets auf den Markt und machten den Sport zugänglich für die breite Masse.
Zu diesem Zeitpunkt spielte Patrick Simoes noch Fußball bei Fola Esch. „Ich habe schon immer viel Sport gemacht“, erklärt er leidenschaftlich. Ganze elf Jahre ist Simoes für die Doyenne des Luxemburger Fußballs angetreten. Parallel dazu besuchte Simoes regelmäßig das Fitnessstudio: „Hauptsache einen dicken Bizeps“, beschreibt er seine damalige Einstellung selbstironisch. Mittlerweile hat er vom Fitnessstudio und der damit verbundenen Körperwahrnehmung Abstand gewonnen. „Ich habe seitdem über 20 Kilo abgenommen“, erklärt Simoes und streckt mir ein Foto aus der damaligen Zeit entgegen – Simoes war nicht unsportlich oder gar dick, er hatte eben diesen typischen FitnessstudioKörper. „Als ich gesehen habe, dass meine Oma einen Kartoffelsack länger auf ihren Schultern tragen kann als ich, habe ich mich gefragt, wozu diese ganzen Muskelberge eigentlich nutzen“, beschreibt Simoes den Ausgangspunkt seines Sinneswandels.
Heute wiegt der 1,73 Meter große Simoes 63 Kilo und fühlt sich besser denn je. Seine Veränderung endete allerdings nicht bei seiner Physis, auch die Psyche von Simoes wandelte sich: „Ich habe angefangen zu meditieren, mache nun seit über drei Jahren jeden Tag Yoga.“ Begeistert zeigt sich der junge Mann vom Zusammenspiel zwischen Körper und Kopf. Und genau dieses Zusammenspiel sollte ihn auf den Geschmack der Slackline bringen. „Balance, Konzentration und dieses Gefühl, komplett im Tunnel zu sein“, so beschreibt Simoes seine Liebe zum Seil. Seine erste Erfahrung mit der Slackline machte der junge Mann 2018 an der Westküste Portugals, nahe der Stadt Aveiro. „Ich besuchte dort ein Zirkus-Festival“, erklärt er in jugendlicher Begeiterung für das Zirkus-Wesen. „Dort durfte ich mich dann auch ein erstes Mal mehr oder weniger erfolgreich an und auf der Slackline ausprobieren“, beschreibt Simoes lachend. Die ersten simplen Gehversuche funktionierten schlichtweg nicht.
Wer Simoes heute auf der Slackline zusieht, der kann sich kaum vorstellen, dass ihm das Gehen jemals schwerfiel. Doch um seinen Sport zu verstehen, erklärt Simoes, sei es wichtig, verschiedene Ausführungen der Slackline kennenzulernen. Slackline ist nämlich nur der Sammelbegriff für unterschiedliche sportliche Herausforderungen, denen man sich auf dem gespannten Kunstfaserband stellen kann. Wahrscheinlich am bekanntesten, weil am spektakulärsten, ist das „Highlining“. Beim „Highlining“ wird eine Slackline über eine Länge von 100 Metern auf ähnlicher Höhe fixiert und der Sportler muss diese überqueren. Bei den „Long Lines“ spielt nicht die Höhe, dafür umso mehr die Länge eine Rolle: je weiter desto besser. Schlussendlich gibt es noch das „Tricklining“, bei dem die Slackline einen halben Meter über dem Boden über eine Distanz von 20 Metern so fest gespannt wird, dass der Sportler auf ihr springen und demnach auch Tricks wie Saltos und Schrauben ausführen kann. Simoes übt sich regelmäßig in allen drei Sportarten, wenngleich er hauptsächlich der Kunst des „Tricklining“ nachgeht. Natürlich gibt es neben den eben angesprochenen Ausführungen noch weitere Slackline-Arten, die Bewegung ist die gleiche, doch das Umfeld erhöht den Schwierigkeitsgrad (über Wasser, im Dunkeln, im Inneren).
Damit seine Saltos und Schrauben auf der Slackline verletzungsfrei funktionieren, trainiert Simoes drei- bis viermal pro Woche auf dem Band. Daneben ist allerdings jeden Tag Yoga und weiteres Körpergewichtstraining angesagt: Es geht darum, eine nachhaltige Körperkontrolle zu entwickeln, die ihm erlaubt, auf der Slackline immer besser zu werden. Der Beobachter mag vor allem beim „Tricklining“ Elemente aus Turnen, Klettern oder eben Zirkus erkennen – der Sport basiert immerhin auf der Fähigkeit seinen Körper möglichst perfekt zu kontrollieren. Wie in den erwähnten Sportarten bleibt auch beim „Slacklining“ die Verletzungsgefahr nicht aus und ganz egal, wie gut Simoes trainiert: Auch die beste Prävention ist keine Garantie dafür, dass nichts passiert. Dies musste Simoes auf die bittere Art erfahren: „Meistens waren es Ausrenkungen, ein paarmal die Schulter, aber am schlimmsten war der Fuß. Ich bin gestürzt,

habe mir das Fußgelenk ausgerenkt und es gleich wieder selbst eingerenkt.“ Danach sei er erstmal für sechs Monate raus gewesen – ein klares Zeichen dafür, dass die nötigen Sicherheitsvorkehrungen, gepaart mit einer gesunden Selbsteinschätzung, absolut notwendig sind.
Mittlerweile ist Simoes, abgesehen von der einen oder anderen Sturzwunde an Ellenbogen und Knien, wieder fit und munter und blickt nach vorne: „Ich will unbedingt weiter an Wettbewerben teilnehmen.“ Bei einem seiner ersten Wettbewerbe, im Dezember 2020, konnte Simoes in der Anfänger-Kategorie gleich den ersten Platz abräumen. Corona-bedingt finden Slackline-Turniere aktuell im Video-Format statt. Hier hat der Sportler anderthalb Minuten Zeit, um möglichst viele Tricks möglichst sauber zu absolvieren und Punkte zu sammeln. „Ich konnte bei diesem Turnier 36 Punkte holen.“ Nur zum Vergleich: Um über einen Sieg bei den Profis nachdenken zu dürfen, müsste Simoes rund 500 Punkte in der gleichen Zeit einholen. Sind normale Turniere wieder erlaubt, will Simoes unbedingt nach München: „Die World Slackline Masters sind das größte Turnier weltweit, dort einmal teilzunehmen ist ein absoluter Traum.“ Die Teilnahme an sich ist aufgrund der freien Anmeldung und Zulassung jedes Sportlers keine sportliche Herausforderung, doch gehe es Simoes in diesem Zusammenhang vor allem um die Community: „Der Sport verbindet. Eigentlich bin ich kein Fan von sozialen Medien, doch seitdem ich meine Slackline-Videos auf Instagram veröffentliche und in dieser Slackline-Community unterwegs bin, sehe ich die Vorteile von solchen Apps. Austausch, Tipps und einfach nette Gespräche – bei der Slackline geht es mir um viel mehr als den rohen Sport.“
Simoes scheint sein sportliches Glück auf dem Kunstband gefunden zu haben. Dieses alleine auszuleben reicht dem 28-jährigen allerdings nicht. Aktuell teilt er die Leidenschaft lediglich mit Sandkastenfreund Bruno, in Zukunft sollen dann auch Kinder auf ihre Kosten kommen: „Mein Traum ist es definitiv, irgendwann eine Schule, einen Verein zu gründen, wo ich Kindern zweimal pro Woche den Sport beibringen kann. Aktuell gibt es für viele junge Leute nur die Standardoptionen wie Fußball, Basketball oder Fahrradfahren, in Zukunft dann hoffentlich auch Slackline bei Patrick Simoes.“