7 minute read

Burnout Parental: Ein Workshop hilft Eltern

Next Article
Appetizer

Appetizer

Wenn es einfach zu viel wird

Das Elternbild der Gesellschaft wird immer perfektionistischer, der Druck wächst, mehr und mehr Eltern sind dem Burnout nahe. Wie man dem vorbeugen kann, vermittelt zurzeit ein Workshop im Familljen-Center.

Heute ist ein guter Tag. Die Sonne scheint, Ramona Kriens* sitzt auf ihrer Terrasse, und seit einigen Wochen hält sie ganz gut durch. Mit ihren Händen malt sie eine Kurve in die Luft. Es geht auf und ab. Bei der Hälfte der aufsteigenden Kurve hält sie inne. „Ich bin jetzt hier.” Dank einer Psychologin und der Unterstützung ihres Mannes, ihres Fahrrades und den Sonntagen. Wenn sie ganz unten ist, wünscht sie sich manchmal, einfach nicht mehr da zu sein. Das Einzige, was sie dann durch den Tag bringt, ist der Gedanke: Irgendwann ist all das vorbei, dann kann ich mich zur Ruhe legen.

Aufstehen, anziehen, Frühstück machen, Kinder wecken, sie zur warmen Jacke überreden, zur Schule bringen. Einkaufen, waschen, kochen, nochmal waschen, das eine Kind zum Sport bringen, das andere zum Zahnarzt. In letzter Zeit zwingt sie sich, täglich Fahrrad zu fahren. Das tut ihr gut. Ramona Kriens ist Hausfrau. Und sonst nichts, so denkt sie oft.

Sporadisch sucht sie nach einem Job, doch kaum etwas ist mit ihrem Familienleben und dem Beruf ihres Mannes vereinbar. „Ich dachte immer, je größer die Kinder werden, desto mehr Zeit habe ich für mich. Es wird einfacher. Aber so ist es nicht. Es gibt immer neue Schwierigkeiten.” Sehr intensiv sucht sie auch nicht nach Arbeit. Und was genau ihr Freude machen würde, weiß sie auch nicht. Sie weiß inzwischen, das ist ein Symptom des Burnouts. gefährdet. Die Zahlen stammen aus einer Untersuchung der katholischen Universität Louvain (UCL) und beziehen sich auf Belgien. In Luxemburg dürften sie etwa gleich sein, weiß Sophie Hannick. 2018 hat sie an einer Forschungsarbeit mitgewirkt. Herauskam eine Methode, mit der Eltern dem Burnout vorbeugen und ihn bekämpfen können. Schon vor der Pandemie hat sich das Problem stetig verschlimmert, in allen Ländern. „Besonders dramatisch ist es in individualistischen Gesellschaften, etwas weniger dort, wo Solidarität und Gemeinschaft eine größere Rolle spielen”, sagt Sophie Hannick. Dennoch: „Uns hat überrascht, dass selbst in vielen afrikanischen Ländern Eltern im Burnout sind. Es ist überall verbreitet.”

Es gibt die Pille. Wir haben uns ausgesucht, Eltern zu sein.

Sophie Hannick ist ausgebildete Trainerin am „Training Institute for Parental Burnout”. Sie leitet einen Workshop für Eltern und vermittelt ihre Kenntnisse nun in anderen Ländern weiter. Inzwischen findet das Training in 45 Ländern statt, zurzeit zum ersten Mal in Luxemburg. Hier hat sie unter anderem Lis Thomé ausgebildet. Gemeinsam veranstalten sie den Workshop am Familljen-Center in Bonneweg auf Basis der Methode, die die UCL ausgearbeitet hat. Sophie ist eine Art Botschafterin. Denn zu wenig Leute wissen mit dem Burnout umzugehen. „Ärzte, die gestresste Mütter und Väter krankschreiben, setzen sie manchmal noch mehr der Stressquelle aus. Für einige Eltern ist die Arbeit nämlich ein Rückzugsort, wo sie ihre Batterien wieder etwas aufladen können.”, sagt Sophie Hannick.

Seit etwa dreieinhalb Jahren ist Ramona Kriens im Burnout. Die schlimmste Phase war kurz vor der Pandemie. Da dachte sie, jetzt muss irgendetwas passieren. „Ich hatte überhaupt keine Geduld mehr. Mama, Mama. Mama. Manchmal halte ich schon das nicht mehr aus. Ich schreie sie dann unverhältnismäßig an. Ich weiß, sie können nichts dafür. Nein, du hast nichts gemacht. Es ist nicht deine Schuld.”

Beim Burnout spricht die Arbeitsgruppe der Universität Louvain von einer körperlichen und einer psychischen Erschöpfung. Einige Eltern schaffen es nicht mehr, am Morgen aufzustehen. Oft geht damit eine emotionelle Distanzierung zu den Kindern einher. Im Training versuchen sie, diese Bindung wiederherzustellen. Die Zufriedenheit in der Elternrolle fehlt. „Wir arbeiten dann daran, dass sie neue Freude am Elternsein finden und schöne gemeinsame Momente mit ihren Kindern erleben”, erklärt Sophie Hannick. Schließlich das Selbstwertgefühl: „Es gibt einen großen Gegensatz zwischen dem Bild der Mutter oder dem Vater, die oder der man einst war und die oder der man heute ist. Oft waren sie extrem engagierte Eltern, die perfekt sein wollten. Da muss man das Selbstbild wieder aufbauen.”

Die Gesellschaft heutzutage setze Eltern viel mehr unter Druck, es gebe ein genaues Bild, wie man eine gute Mutter, ein guter Vater ist. „Die Eltern der letzten Generationen mussten – grob gesagt – dafür sorgen, dass die Kinder etwas zu essen hatten und zur Schule gingen, das war viel einfacher”, sagt Sophie Hannick. Die Anforderungen waren weniger hoch. Lis Thomé gibt außerdem zu bedenken: „Heute gibt es die Pille und alle möglichen Mittel zur Familienplanung. Eltern denken: Wir haben es uns ausgesucht, Eltern zu sein. Wir müssen es jetzt auch gut machen.” Ramona Kriens hat einmal mit ihrer Mutter darüber geredet, gesagt, sie könne nicht mehr. Sie habe geantwortet: Wir haben das alle durchgemacht. Du kannst noch. „Sie hatte recht, ich kann noch.”

Man erwartet von Eltern heute, dass sie die ganze Zeit perfekt sind.

Sophie Hannick

Doch selbst wenn sie einen sehr schönen Tag mit ihren Kindern verbracht, alle Kästchen auf ihrer To-DoListe abgehakt, spannende Aktivitäten unternommen hat, beruhigt sie das nicht. „Ich mache alles, weil ich es machen muss. Aber ohne Freude.” Jeden Morgen aufs Neue bangt sie, ob heute alles gut geht. Sie hat stetig Angst, dass ihre Kinder Probleme in der Schule haben. „Als meine Tochter in der Schule gemobbt wurde, das war die schlimmste Zeit meines Lebens.” Sie versuchte, das auszugleichen. Wiedergutzumachen. Du hattest einen schlechten Tag in der Schule, dann machen wir jetzt was ganz Tolles. „Ich versuche, schöne Momente zu schaffen. Ich bin Animateurin, manchmal ist es sehr beängstigend, diese ganze Zeit vor mir zu sehen, die ich füllen muss.”

„Man erwartet von Eltern heute, dass sie die ganze Zeit perfekt sind”, sagt Sophie Hannick. „Sie sollen permanent wachsam sein, fördern und positiv erziehen. Wenn die Kinder Probleme in der Schule haben, muss man eine Nachhilfe organisieren, man muss zuhören,

Ratgeber für Eltern

Der Ratgeber „Le Burn-out parental – L’éviter et s’en sortir“ gibt Eltern eine erste Hilfestellung. Wer sich nicht sicher ist, ob er selbst dem Burnout nahe ist, findet darin die Antwort, ohne sofort psychologische Hilfe zu suchen. Die Autorinnen Isabelle Roskam und Moïra Mikolajczak sind Professorinnen der Psychologie und haben die Studie der UCL geleitet. Das Buch erklärt, was Burnout bei Eltern ist, wie es dazu kommt, welche Symptome darauf hinweisen und wie die Auswirkungen sein können. Anhand von Selbsttests können Eltern ihre Situation einschätzen. Einige praktische Hinweise helfen dabei, den Alltag zu erleichtern und einem Burnout vorzubeugen. Dennoch sollten Eltern in einer solchen Situation unbedingt professionelle Hilfe suchen.

Odile Jacob, 2020, ISBN 978-2-7381-5361-6, etwa 21 Euro.

auf alle emotionalen Bedürfnisse eingehen. Die Kinder müssen sich in allem ausprobieren und entfalten können, Sport und Musik machen, Theater spielen, sich ausgeglichen ernähren, am besten Bio und wenig Zucker. Und man hat das Gefühl, alle Eltern schaffen das, aber ich nicht. So sehr man versucht, perfekt zu sein, es geht nicht immer. Das ist für die Eltern sehr schmerzhaft.” Lis Thomé ergänzt: „Auf Facebook und Instagram sieht man dann super aktive, sportliche, glückliche Eltern. Es gibt keine Streitereien, keine Tränen. Nur Eltern, die mit ihren Kindern Kuchen backen und Sport machen.”

Ramona Kriens weiß inzwischen, dass das nicht so ist. Seitdem sie psychologische Hilfe in Anspruch nimmt, kennt sie die Anzeichen. Wenn sie vor der Schule auf ihre Kinder wartet und sich mit den anderen Eltern austauscht, sieht sie nun, ach, ihr geht es auch so. Auch der Workshop zeigt ihr, sie ist nicht allein. Das ist gut zu wissen.

Es ist wichtig, zu handeln, bevor der Burnout stärker wird, weiß Sophie Hannick. Denn die Methode der UCL setzt auf individuelle Ressourcen, von denen irgendwann nicht mehr viel übrig ist. „Es ist effizienter und schneller, wenn man frühzeitig reagiert. Sonst wird der Prozess sehr langwierig, weil man sämtliche Ressourcen reanimieren muss”, erklärt sie. Solche Ressourcen können von innen kommen, persönliche Stärken. Sie können aber auch äußere Faktoren sein. Großeltern und Nachbarn, die mal die Kinder nehmen können. Eltern von Schulkameraden, die mal den Fahrdienst für alle übernehmen können oder einen Samstag lang ein paar Kinder auf einen Ausflug mitnehmen. Für Ramona Kriens ist eine Ressource das Radfahren, eine halbe Stunde jeden Tag. Außerdem hat sie angefangen zu malen. Viel Zeit hat sie dafür nicht, doch wenn sie dazu kommt, erlaubt es ihr, einmal abzuschalten.

Text: Franziska Peschel Fotos: Philippe Reuter, Freepik

* Name von der Redaktion geändert

This article is from: