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NICHT ZU HAUS UND DOCH DAHEIM

Das Wiener Kaffeehaus Und Seine Literaten

Ein faszinierendes Kapitel der Literaturgeschichte ist die „Wiener Kaffeehausliteratur“, die bis heute durch ihre einzigartigen Stilmerkmale und ihre bedeutenden Vertreter beeindruckt. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelten sich die Kaffeehäuser in Wien zu Treffpunkten für Intellektuelle, Journalisten, Kritiker, Philosophen, Schriftsteller und Schauspieler. Hier wurde nicht nur Kaffee getrunken und Zeitung gelesen, sondern auch diskutiert, politisiert und geschrieben. Am 10. November 2011 wurde die Wiener Kaffeehauskultur als „typische gesellschaftliche Praxis“ in das Verzeichnis des nationalen immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.

„Das Wiener Kaffeehaus stellt eine Institution besonderer Art dar, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann.“

– Stefan Zweig (1881–1942)

Text: Eva von Schilgen Fotos: bereitgestellt von den Kaffeehäusern, Wikipedia, Shutterstock

Der Kaffee – das Wort stammt aus dem Arabischen – kommt ursprünglich aus der Region Kaffa im Südwesten Äthiopiens, wo er etwa 900 n. Chr. zum ersten Mal erwähnt wird. Das erste Kaffeehaus wurde 1554 in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, eröffnet. Das „Café Florian“ in Venedig besteht seit 1647 und gilt als das älteste europäische Kaffeehaus. Oxford, London (1652), Marseille, Bremen, Hamburg, Paris (1660) und Wien folgten.

Der Überlieferung nach eröffnete der kaiserliche „türkische Hofkurier“ Georg Franz Koltschitzky in Wien das erste Kaffeehaus. Er soll für seine Verdienste als Kundschafter und Kurier für das österreichische Heer mit jenen 300 Säcken bitterer Bohnen belohnt worden sein, welche die Türken bei ihrer Flucht nach der zweiten Türkenbelagerung 1683 zurückgelassen hatten und von denen die Wiener zuerst annahmen, dass es sich dabei um Pferdefutter handelte. Tatsächlich jedoch hatte der serbische Händler griechischer Abstammung Demeter Domasy bereits 1668 Kaffee nach Wien importiert, und im Jahr 1685 erhielt der in Wien lebende Armenier Johannes Diodato von den kaiserlichen Behörden das „Erste Privileg zum öffentlichen Ausschank von Kaffee“. Zwei Jahre später wurde dem ebenfalls aus Armenien stammenden Isaak de Lucca die Erlaubnis erteilt, Kaffee, Tee und Schokolade auszuschenken.

Hans Weigel (1908–1991), Schriftsteller und Theaterkritiker

In den folgenden Jahrzehnten stieg die Zahl der Kaffeehäuser rasant an. Bereits im 18. Jahrhundert wurden die teils luxuriös ausgestatteten Kaffeehäuser mit eleganten Möbeln, großen Spiegeln und Kronleuchtern zu Sehenswürdigkeiten Wiens. In diesen Etablissements trafen sich die Herren in Spiel- und Rauchsalons, spielten Billard und widmeten sich der Zeitungslektüre. Auch der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) verbrachte gerne Zeit im Kaffeehaus.

Nach den Wirren der Napoleonischen Kriege spielte das Kaffeehaus in der Biedermeierzeit (1815–1848) eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Viele Kaffeehäuser boten eine Auswahl an aktuellen Zeitungen und Zeitschriften an und wurden so zu Zentren der Informationsverbreitung. Für Künstler und Schriftsteller wie Franz Grillparzer (1791–1872) und Ferdinand Raimund (1790–1836) waren sie Inspirationsquelle und Arbeitsplatz.

Von der zweiten Hälfte des 18. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Kaffeehauskultur ihre Hochblüte. Viele Autoren verlegten ihren Arbeitsplatz in eines der Literaturcafés. Um das Jahr 1900 gab es an die 600 Kaffeehäuser in Wien.

Während des Ersten Weltkriegs ging die Zahl der Kaffeehäuser zurück, doch sie überstanden die Krisenzei- ten der 1920er- und 1930er-Jahre. 1937 zählte man nicht weniger als 1.271 Konzessionen! Grund hierfür waren nicht nur der Austausch mit anderen Intellektuellen und der gute Kaffee, sondern auch der Umstand, dass viele Gäste die Wärme des Lokals ihren kalten Wohnungen vorzogen.

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 wurden viele jüdische Besitzer von Kaffeehäusern zur Schließung gezwungen oder die Betriebe wurden „arisiert“, indem man sie weit unter Wert an NS-Parteigenossen verkaufte.

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts begann ein „Kaffeehaussterben“, das einerseits durch die neuen Espressobars nach italienischer Art, andererseits durch die Einführung des Fernsehens bedingt war. Umso mehr wird heute die typische Wiener Kaffeehaustradition in den rund 950 verbliebenen Betrieben gepflegt und bewahrt.

DAS TYPISCHE WIENER KAFFEEHAUS

Die bekanntesten Wiener Kaffeehäuser befinden sich in der Nähe von Theatern und entlang der Ringstraße, in der Regel in einer Eckposition von Straßenkreuzungen, meist in prachtvollen Historismus- oder Jugendstilbauten. So ist das Café Central in einem beeindruckenden neogotischen Gebäude untergebracht,

Egon Erwin Kisch (1885–1948), Journalist und Schriftsteller und das Café Museum, von Adolf Loos im schlichten, modernen Stil des frühen 20. Jahrhunderts gestaltet, wird von Ferdinand Rainer in unmittelbarer Nachbarschaft zur k. k. Hofoper, zum Künstlerhaus und zur Secession eröffnet. Die Inneneinrichtung präsentiert sich oft opulent mit hohen Decken, Kristalllüstern, Holzstühlen, gepolsterten Bänken und kleinen Tischen mit Marmorplatten, die auf schweren, gusseisernen Fußteilen montiert sind. Imposante Wandspiegel sollen den Raum optisch vergrößern und ihm eine elegante Note verleihen. An den Wänden hängen Kunstwerke, historische Fotografien und Plakate, welche die Wiener Kultur und Geschichte widerspiegeln.

Der typische „Wiener Kaffeehaus-Sessel“ aus Ahorn und Buchenholz wurde von der Firma Thonet entworfen und trägt die Herstellerbezeichnung „Stuhl Nr. 14“. 1842 hatte der österreichische Staatskanzler Fürst Klemens von Metternich aus seiner Heimat Hessen die dort im Jahre 1819 gegründete Firma Thonet nach Wien geholt. Am 10. Juli 1856 erhielten die Ge brüder Thonet das „Privilegium“ auf die „Anfertigung von Sesseln und Tischfüßen aus gebogenem Holz, dessen Biegung durch Einwirkung von Wasserdämpfen oder siedenden Flüssigkeiten geschieht“.

Aufgrund der starken Nachfrage aus aller Welt erlebte die Firma einen enormen Aufschwung, 1885 wurden erstmals Versandkataloge herausgegeben, zunächst in vier, von 1895 an in sechs Sprachen. Um das Jahr 1910 erzeugten 52 Firmen in mehr als 60 Fabriken die Möbel aus gebogenem Holz. Mehr als 23.000 Tonnen Bugholzmöbel wurden aus der Doppelmonarchie alljährlich in alle Teile der Welt exportiert, das Unternehmen beschäftigte etwa 35.000 Menschen. Diese besondere Leistung wurde von Kaiser Franz Joseph I. mit der Verleihung zahlreicher Orden an den Begründer des Hauses Michael Thonet und dessen Söhnen honoriert, welche sich ihrerseits dankbar zeigten und große Summen in Kriegsanleihen investierten, was schließlich zum Niedergang der Firma beitrug.

Eine Ikone der Wiener Kaffeehauskultur ist der „Herr Ober“; nur im Café Demel wird man ausschließlich von Frauen bedient. Der Wiener Kaffeehauskellner ist eine Mischung aus Professionalität, Höflichkeit und Diskretion. Traditionellerweise trägt er einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, eine schwarze Weste und eine Krawatte oder Fliege, einige auch weiße Schürzen. Die Kunst des Servierens beherrscht er bis ins Detail – vom balancierten Tragen von Tabletts bis hin zum eleganten Eingießen von Kaffee. Da viele von ihnen über Jahrzehnte in denselben Kaffeehäusern arbeiten, kennen sie ihre Stammgäste und wissen genau um deren Wünsche Bescheid.

EINIGE WIENER KAFFEEHÄUSER MIT LITERATURBEZUG

Café Bräunerhof: Stammcafé von Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) und Thomas Bernhard (1931–1989). Letzterer schreibt in seinem Roman „Wittgensteins Neffe“, dass er sich im Café Bräunerhof „wie zuhause“ gefühlt hätte.

Café Central: Im berühmtesten Literaturcafé Wiens im Palais Ferstel trafen sich Arthur Schnitzler (1862–1931), Karl Kraus (1874–1936), Robert Musil (1880–1942), Egon Friedell (1878–1938) und Stefan Zweig (1881–1942). Dieses Kaffeehaus war Arbeitsplatz und Postadresse von Peter Altenberg (1859–1919). Alfred Polgar (1873–1955) beschrieb in seiner „Theorie vom Café Central“ das Wesen der „Centralisten“. https://www.cafecentral.wien

Café Diglas: 1923 in der Wollzeile eröffnet; wurde von Heimito von Doderer (1896–1966) frequentiert. https://www.diglas.at

Café Frauenhuber: Hier hielt der deutsche Professor August Wilhelm Schlegel (1767–1845), der sich besonders als Shakespeare-Übersetzer einen Namen gemacht hatte, im Jahre 1808 Vorlesungen und hier fühlte sich Georg Trakl (1887–1914) „zuhause“. www.cafefrauenhuber.at

Café Landtmann: Im Jahr 1873 eröffnete Wiens elegantestes Kaffeehaus und wurde zum Lieblingscafé von Sigmund Freud (1856–1939). Auch der Theaterautor Felix Salten, der den erotischen Roman „Josefine Mutzenbacher“ über eine Wiener Dirne schrieb, oder Thomas Mann (1875–1955) waren Stammgäste. https://www.landtmann.at

Café Hawelka: Dieses Café avancierte ab den 60erJahren des 20. Jahrhunderts zum Zentrum des künstlerischen Schaffens. Friedrich Torberg (1908–1979), Hans Weigel (1908–1991), Hilde Spiel (1911–1990), die „Wiener Gruppe“ mit Hans Carl Artmann (1921–2000), Konrad Bayer (1932–1964), Gerhard Rühm (1930*) sowie Oswald Wiener (1935–2021) zählten zu den Stammgästen, aber auch der amerikanische Bühnenautor Arthur Miller (1915–2005) und der Nobelpreisträger Elias Canetti (1905–1994) kamen. https://hawelka.at/

Café-Restaurant Zartl: Stammgäste dieses Cafés waren Robert Musil (1880–1942), Heimito von Doderer (1896–1966) sowie der Kabarettist Karl Farkas (1893–1971). www.cafe-zartl.at

Café-Restaurant Raimund: Die Eröffnung fand 1890 statt; häufige Besucher waren Egon Friedell (1878–1938), Hans Weigel (1908–1991) und Milo Dor (1923–2005). Hier wurden die Schriftstellerinnen Jeannie Ebner (1918–2004), Ilse Aichinger (1921–2016) und Ingeborg Bachmann (1926–1973) entdeckt, und auch Christine Busta (1915–1987), Jörg Mauthe (1924–1986) sowie Friederike Mayröcker (1924–2021) zählten zu den Stammgästen. www.cafe-raimund.com

Das im Jahr 1844 eröffnete Café Griensteidl war für viele Schriftsteller, Dichter und Intellektuelle der Wiener Moderne eines der wichtigsten literarischen Zentren Wiens. Hugo von Hofmannsthal (1874–1929), Arthur Schnitzler (1862–1931), Karl Kraus (1874–1936) und Hermann Bahr (1863–1934) waren häufige Gäste. Letztgenannter setzte sich in seinem Werk „Kritik der Moderne“ (1890) mit den modernen Strömungen seiner Zeit auseinander, wobei das Kaffeehaus als Treffpunkt und Brutstätte neuer Ideen beschrieben wurde. Das Café Griensteidl wurde 2017 geschlossen.

Alfred Polgar (1873–1955), bekannt für seine Feuilletons und Essays, in denen er die Atmosphäre und die Menschen in den Kaffeehäusern beschreibt

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