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DIE PALAIS IN WIEN

ZEITLOSE PRACHT UND VERBORGENE GESCHICHTEN HINTER DEN FASSADEN

Das, was auf erhöhten Orten die Burgen und im freien Flachland die Schlösser sind, findet in den Städten ihr Pendant in den bauhistorischen Perlen der Palais. Sie sind als Stein gewordene Visitenkarten ihrer Besitzer und Erbauer Zeugen von Einflussreichtum, Geld und Macht. Und so ist es kein Zufall, dass sich zahlreiche dieser Bauten in unmittelbarer Nähe zum Zentrum der Macht, der Wiener Hofburg, oder zumindest in der Inneren Stadt und später am Ring befinden.

Text: Hannelore Lensing

Palais in Österreich sind nicht nur von berühmten Baumeistern geschaffene architektonische Meisterwerke, sondern auch lebendige Zeugnisse einer bewegten Geschichte. Diese prachtvollen Gebäude, die oft für den Adel oder die königlichen Familien errichtet wurden, spiegeln den Reichtum wie auch die kulturelle Bedeutung des Landes wider. Von den barocken Prachtbauten Wiens bis zu den idyllischen Anwesen außerhalb der Stadt nehmen Palais einen besonderen Platz in den Herzen der Bevölkerung ein und ziehen auch heute noch Besucher aus aller Welt in ihren Bann. Viele dieser historischen Gebäude dienen inzwischen als Museen, Veranstaltungsorte oder luxuriöse Hotels; sie bieten eine einzigartige Kulisse, welche die Eleganz vergangener Epochen mit dem modernen Lebensstil verbindet. Ein Besuch in einem österreichischen Palais ist daher nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern ein Erlebnis, welches das kulturelle Erbe des Landes auf eindrucksvolle Weise präsentiert.

Die Palais in Wien fanden ursprünglich vielfältige Nutzung und dienten als prachtvolle Stadthäuser des Adels, in denen rauschende Bälle, glanzvolle Empfänge oder politische Zusammenkünfte stattfanden. Auch im Bereich der Kunst und der Musik waren sie Orte, an denen durch Förderung und Aufträge ein Künstler dem Zeitgeist Rechnung trug und in denen bedeutende Werke geschaffen wurden. Diese repräsentativen Wohnsitze, oft herrschaftliche Residenzen, waren mit kunstvollen Fassaden, opulenten Sälen und weitläufigen Gärten ausgestattet. Einige dieser Palais beherbergten bedeutende Kunstsammlungen, von denen manche bis heute erhalten geblieben sind.

Ein besonders hervorragendes Beispiel in Wien ist das Palais Liechtenstein, das gleich in zwei prächtigen Ausführungen existiert, und zwar als Stadt- wie auch als Gartenpalais. Das Stadtpalais in der Nähe des Burgtheaters beeindruckt durch seine barocke Pracht und Ausstattung und erstrahlt seit seiner aufwendigen Renovierung in neuem Glanz mit Kunstwerken der Liechtensteinischen Sammlungen. Das Gartenpalais im 9. Bezirk ist von weitläufigen Grünanlagen umgeben und zeigt den Besuchern neben seiner beeindruckenden Sammlung Alter Meister auch eine goldene Kutsche. Ein weiteres prominentes Gebäude ist das Palais Coburg, das durch seine klassizistische Architektur und die luxuriösen Innenräume sowie seine ausgedunkelten Kelleranlagen (Teile der alten Stadtbefestigung) besticht. Erst 1845 vom österreichischen Hofarchitekten Karl Schleps erbaut, beherbergt es heute ein Hotel mit einem Gourmetrestaurant sowie Räume für internationale Tagungen.

Die Geschichte der Palais in Österreich, insbesondere jener in Wien, reicht bis ins späte Mittelalter zurück, doch seine Blütezeit erlebte der Bau von Palais im 17. und 18. Jahrhundert während der Barock- und Rokoko-Epoche. Diese Zeit war geprägt von einem enormen Wachstum und einer kulturellen Hochzeit, die sich in der Errichtung zahlreicher prächtiger Residenzen widerspiegelte. Das erste bedeutende Palais in Wien, das als solches gilt, ist das Palais Collalto des Architekten Giovanni Pieroni, dessen Barockbau schon im Jahr 1624 begann. Es markierte den Beginn einer neuen Ära der Stadtarchitektur, jener der Adelshäuser und ihrer Stadtresidenzen, die heute noch das Stadtbild prägen.

Nimmt man den Weg von der Freyung durch die Herrengasse zum Michaelerplatz, findet man eine ganze Reihe von Palais: Vom Palais Daun-Kinsky (Freyung 4), das 1719 von Johann Lucas von Hildebrandt erbaut wurde, geht es über das Palais Harrach als dessen Nachbarn und das Palais Hardegg aus dem Historismus weiter in der Herrengasse zum Palais Modena aus der Renaissance bis zum Palais Mollard-Clary, in dem das Globen- und das Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek untergebracht sind. Das „Palais“ Niederösterreich war ein historisches Landhaus, aber niemals ein echtes Palais, sondern jahrelang im Besitz des Landtags sowie der Landesregierung Niederösterreich, bevor Sankt Pölten 1986 zur Landeshauptstadt wurde.

Auch das Palais Ferstel wurde nicht als Palast erbaut, sondern war ein historisches Bank- und Börsengebäude aus dem Historismus mit einer schönen Passage zwischen Freyung und Herrengasse. Dafür ist das Palais Batthyány-Strattmann wieder ein authentisches Barockgebäude von Fischer von Erlach, ebenso wie das Palais Brassican-Wilczek aus der Renaissance mit der Bibliothek des Bundeskanzleramtes. Das Palais Trauttmansdorff, im klassizistischen Barockstil erbaut, reiht sich gleichermaßen noch in die Herrengasse ein, ebenso das Palais Abensperg-Traun.

Viele dieser Palais bemerkt der aufmerksame Besucher Wiens nur, wenn er sich Zeit nimmt, um sein Augenmerk auf die schönen Fassaden zu richten. Allgemein bekannt sind dagegen das prächtige Palais Schwarzenberg, das Palais Auersperg oder das Palais Augarten im Park, allesamt gut sichtbare, meist freistehende Gebäude in der Stadt. Auch die beiden Palais Pálffy und Pallavicini am Josefplatz sind augenscheinlich und mit exquisiten Innenräumen geschmückt. Allseits bekannt ist ebenso das Stadt- oder Winterpalais des Prinzen Eugen in der Himmelpfortgasse 8, das Teil des Finanzministeriums ist.

In den Wiener Palais wohnten nicht nur die adeligen Familien selbst, sondern auch eine Vielzahl von Bediensteten, die für den reibungslosen Ablauf des Haushalts zuständig waren. Sie lebten häufig direkt im Palais, meist in einfacheren Räumen in einem Nebengebäude oder in den oberen Stockwerken, die Küche, Personalunterkünfte, Lagerräume und Dienstbotentreppen umfassten und einen diskreten Zugang zu den Herrschaftsräumen ermöglichten. In den größeren Residenzen gab es eine Vielzahl von Dienern, darunter Kammerdiener, Köche, Gärtner, Hausmädchen und Kutscher. Ihnen allen oblagen die diversen Aufgaben von der Pflege der prächtigen Gärten bis hin zur Ausrichtung von aufwendigen Festen und Banketten. Die Palais waren somit früher nicht nur luxuriöse Wohnstätten, sondern auch komplexe Organisationen, in denen das Leben einer Adelsfamilie und die Arbeit des vielköpfigen Dienstpersonals eng miteinander verknüpft waren. Die Aufrechterhaltung eines solch großen Haushalts war eine anspruchsvolle

Aufgabe, die Disziplin sowie ein entsprechende Struk turierung erforderte, um den hohen Ansprüchen der Hausherrschaft gerecht zu werden.

Die Ringstraßenpalais entstanden allesamt erst zu späteren Zeiten, als erfolgreiche Unternehmer, Bankiers und dem Kaiserhaus verbundene Geschäftsleute es dem Adel gleichmachen und Geld sowie Einfluss zur Schau stellen wollten. Der Aufstieg in die „höhere“ Gesellschaft, manchmal auch mit einem neuen Adelsprädikat verbunden, führte zu einem Bauboom der Sonderklasse. Historischer Prunk und teuerste Ausstattung waren nun auch dem reichen Bürgertum möglich, das mit Festen, Konzerten und Salons seine neue Stellung in der Gesellschaft zeigte. Beispiele sind das Palais Rothschild, das Palais Ephrussi sowie das Palais Epstein; alle drei Anwesen liegen direkt an der Ringstraße. Palais sind mehr als nur beeindruckende Prachtbauten. Sie erzählen Geschichten von Aufstieg und Fall, von Glamour und Tragödien, von Veränderungen und Zeitenwandel. Ihre heutigen Funktionen als Museen, Botschaftssitze, Bildungseinrichtungen oder Luxushotels verbinden das Erbe der Vergangenheit auf faszinierende Weise mit der Gegenwart und machen sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Wiener Stadtkultur. Viele Palais sind nicht öffentlich zugänglich; bei denjenigen aber, die Interessierten ihre Pforten öffnen, lohnt sich ein Besuch, der mit prunkvollem Glanz hinter den Fassaden überrascht.

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