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ZEITREISE
WOLFGANG AMADÉ: EIN IDYLL ZWISCHEN MOZARTKUGELN?
„Vor knapp 270 Jahren erblickte der wohl bekannteste Komponist aller Zeiten das Licht der Welt. Salzburg ist bis heute Pilgerstätte aller Mozart-Liebhaberinnen und -Liebhaber. Im Spannungsfeld zwischen kultureller Globalisierung und ausgeprägtem Lokalpatriotismus stellt sich allerdings die berechtigte Frage: Wie steht es um den Fortbestand des historischen Erbes Wolfgang Amadé Mozarts und dessen Nutzen in einer klischeehaften Welt aus Kitsch und Hypertourismus? Im Rahmen der ,Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024‘ hat sich die Internationale Stiftung Mozarteum dem europäischen Prestigeprojekt angeschlossen. In der Ausstellung ,Zeitreise –Fotografie zwischen gelebter Tradition und Moderne‘ widmen sich Künstlerinnen und Künstler aktuellen Fragestellungen der Zeit. Für die Mozart-Museen eine Premiere; erstmals wagt sich die Stiftung Mozarteum mit diesem Format auf das Terrain des zeitgenössischen Kunstschaffens und zeigt: Von Mozart führen zahlreiche Brücken ins 21. Jahrhundert und zu den akuten Fragestellungen des Heute.“
Linus Klumpner, Direktor der Mozart-Museen der Stiftung Mozarteum Salzburg
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wird in Salzburg Mozart-Pflege betrieben. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt hatten nach düsteren Zeiten schnell das Potenzial erkannt, das sich in der Huldigung des größten Sohnes der Stadt verbarg. Die glanzvollen Zeiten des Fürsterzbistums waren vorüber, Katastrophen hatten Salzburg heimgesucht. Aus der ehemaligen Metropole war eine Kreisstadt der habsburgischen Lande ob der Enns geworden. Just in jenen Tagen zündete die Idee, Mozart in das Zentrum eines Personenkultes zu stellen, der in einer einzigartigen Erfolgsgeschichte aufging. Wenn man Mozart authentisch und unvergleichlich erleben wollte, dann ging das nur im Schatten des im Jahr 1842 errichteten Mozart-Denkmals, im Rahmen der opu- lenten Zentenar-Feierlichkeiten 1856 mit einer ersten Mozart-Ausstellung in dessen Geburtshaus, der nun folgenden Mozart-Feste oder rund um das im Jahr 1877 auf den Kapuzinerberg translozierte ZauberflötenHäuschen. Von überallher kamen die ersten Touristen, Kunstschaffenden und aristokratischen Häupter. Später folgten Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt, die auf diesem fruchtbaren Nährboden den Gedanken der Salzburger Festspiele begründeten. Offiziell war nun das Wettrennen um die Vermarktung des Publikumslieblings eröffnet. Ausgehend von Salzburg und Wien erwuchs in ganz Europa die Versuchung, einen Teil des Glanzes abzubekommen. Immerhin hatte der reisefreudige Mozart seine Spuren auf dem ganzen Kontinent hinterlassen.
Jene Stiftung, die 1880 aus dem Vorgängerverein Dom-Musikverein und Mozarteum als Institution hervorgegangen war, hatte sich von Beginn an eine breite Mozart-Pflege auf die Fahne geschrieben. Als Bewahrerin von Mozarts Erbe geht es der Internationalen Stiftung Mozarteum bis heute darum, möglichst viele Menschen aller Herkunft und jeden Alters für das Œuvre und das Leben des Ausnahmetalents zu begeistern, und sie tut dies in den drei Kernbereichen Konzerte, Wissenschaft und Museen. Die Mozartwoche und die Saisonkonzerte ermöglichen es, auf höchstem Niveau Inspiration im musikalischen Schaffen Mozarts zu finden. Der wissenschaftliche Bereich vernetzt sich global, um immer wieder neue Blickwinkel auf das Werk des Meisters zu ermöglichen. Und die beiden Mozart-Museen – Mozarts Geburtshaus sowie das Mozart-Wohnhaus – mit ihren herausragenden Sammlungen an Originalen sind heute eine Plattform, die jährlich Hunderttausende auf eine Entdeckungsreise in den Kosmos Mozart einladen. Die Internationale Stiftung Mozarteum setzt alles daran, weltweit jene Faszination zu vermitteln, die bei der Auseinandersetzung mit Mozart frei wird. Im Fokus steht dabei die Begeisterung kommender Generationen von Salzburg über Europa bis nach Lateinamerika und Asien.
Die Internationale Stiftung Mozarteum als führendes Kompetenzzentrum verstand sich dabei als Impulsgeberin. Am Besuch Salzburgs sollte nichts vorbeiführen, denn wer Wolfgang Amadé Mozart in seiner ganzen Bandbreite begreifen will, der muss das unverwechselbare Flair der originalen Schauplätze erlebt haben. Und wer einmal diese Stätten besucht hat, der nimmt etwas von diesem unvergleichlichen Erlebnis mit nach Hause. So wird von Salzburg aus bis heute ein einzigartiger Zauber in die Welt getragen, der Mozart in den Herzen der Menschen eine Heimat gibt.
Doch das Tun rund um den anfänglichen Gedanken hat sich über die Zeit verselbstständigt.
Die tragende Bedeutung Salzburgs als Mozartstadt und Publikumsmagnet ist auch im 21. Jahrhundert ungebrochen: opulente Prachtbauten, umhaucht vom tragenden Flair der Geschichte, das alles untermalt von den Tönen des großen Wolfgang Amadé. Doch ebenjene ungebrochene Begeisterung hinterlässt Spuren. Abermillionen an Touristinnen und Touristen pferchen sich an den Attraktionen und in den engen Gassen der Stadt an der Salzach zusammen. Und mit gewohnt österreichischer Attitüde moniert die heimische Bevölkerung diese Bewegungen und verfällt in einen naturgemäß melancholischen Zustand, leise raunend, sich stets bemitleidet wissen wollend. Könnte man sich nur einmal auf Zeitreise begeben – früher war doch alles besser!

Marco Lanza Ricreazione #99, Lilli Lehmann, 2023 – Lehmann war eine führende Opernsängerin der Jahrhundertwende, die durch ihr Engagement der Stiftung zu enormem Aufschwung verhalf.


Mozarts Geburtshaus, Getreidegasse 9, um 1950, Archiv Stiftung Mozarteum
Die Mozart-Museen beherbergen die weltweit bedeutendste Sammlung an Mozartiana, darunter kostbare Schätze aus dem Besitz der Familie wie die Originalinstrumente des großen Wolfgang Amadé.
Und genau hier hakt die Erzählung, denn wie eingangs erwähnt, war es das bewusste Streben der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, ein kulturelles Zentrum in der Welt zu werden, um sich der Bedeutungslosigkeit zu entreißen. Ein Plan, der mit Kalkül und Erfolg in die Tat umgesetzt wurde. Ein Plan, der aber offensichtlich in Vergessenheit geriet.
Salzburg ist weder Venedig noch Hallstatt und auch kein Kythera, das entdeckt, erweckt und zum bukolischen Sehnsuchtsort jener Menschen wurde, die den Engen gesellschaftlicher Korsette und später den versmogten Straßenzügen der industrialisierten Welt entfliehen wollten. Salzburg hat sich kreiert – als Alpenmetropole, kulturelles Herz Europas und Hort der Musikpflege. Hypertourismus ist hier nicht Problem, sondern Resultat jener intensiven Bemühungen, die im 19. Jahrhundert ihren Ausgangspunkt fanden. Salzburg hat kein Tourismusproblem, Salzburg hat – aus heutiger Sicht betrachtet – ein Imageproblem. Denn die ursprünglichen Intentionen, geistige Heimat weltbewegender kultureller Schöpfungen zu sein, sind in einem Meer an originalen und echten Mozartkugeln untergegangen. Diesen Untergang begleitend, tänzeln in Tracht staffierte Protagonistinnen und Protagonisten zu einem beschwingten „Do-Re-Mi“. Hie und da schreit man nach Jedermann.
Bewusst gilt es ein solch überspitzt düsteres Bild zu zeichnen, um zu verstehen, wie es mit Salzburg und Mozart weitergehen muss. Natürlich verzehren auch die Salzburgerinnen und Salzburger hier und da eine Mozartkugel und möchten den Genuss des Originals nicht missen. Aber den Akteurinnen und Akteuren war jener rote Faden entglitten, der in der Erzählung die Besonderheit dieses Ortes unterstreichen sollte. Es ist das Schicksal dieser Stadt, Anziehungspunkt ebenjener Mil- lionen zu sein, die aus aller Welt hierherkommen. Aber mehr denn je braucht es ein nachhaltiges Narrativ, das aufzeigt, mit welchem Zweck eine solche Reise behaftet sein sollte. Dieser liegt jedenfalls auf der Hand: Fernab geopolitischer Spannungen kann hier die bewegende Kraft der Kunst auf einmalige Weise erfahren werden.
Nach den zermürbenden Jahren einer Pandemie hat das Umdenken unweigerlich eingesetzt. Auch aus Sicht der Internationalen Stiftung Mozarteum hat man sich mehr denn je dem Gründungsgedanken der Institution verschrieben. Wolfgang Amadé Mozarts Musik zu pflegen, das Andenken an seine Person zu wahren ist das eine. Vielmehr aber ist es die Kraft eines unvergleichlichen musikalischen Œuvres und dieser energiegeladenen Persönlichkeit, die es ermöglicht, den Menschen aller Herkunft und Generationen den Weg zu Kunst und Kultur zu ebnen und deren Bedeutung in einer pulsierenden Welt aufzuzeigen. Kultur ist nicht Kunst. Kultur ist ein Resultat all unseres Tuns, die Essenz unserer Gesellschaft. Ohne Kultur stünde es schlecht um den Fortbestand der Menschheit. Die Kultur wiederum findet ihren Ausgang somit in der Kunst. Und so sollte man das Wissen um deren bewusstseinsverändernde Macht in Zeiten globaler Herausforderungen mehren.
Die künftige Rolle Salzburgs ist also definiert. Hier kann vor Augen geführt werden, dass Tradition und Moderne, Althergebrachtes und Innovation in Einklang gebracht werden können und dass es Hoffnung für eine bessere Zeit gibt. Und diese Frage beantwortet zu wissen hat in der heutigen Welt enormen Stellenwert.











Ferdinand Georg August, Prinz zu Sachsen-Coburg-Saalfeld-Koháry (28. März 1785 – 27. August 1851)