Der lange Weg zurück Unser Körper muss sich seit einem Jahr vielen gesundheitlichen Herausforderungen stellen. Wie tief die Furchen in unserer Seele sind, wird erst in Zukunft sichtbar werden. Trotz allem ist Bewegung nach wie vor Balsam für alle Wunden, die wir erlitten haben. Sport hilft uns, schneller in der Normalität anzukommen. Ein Jahresbericht in sieben Kapiteln. TEXT_Roland Romanik
Kapitel 1 Am Anfang war das Wort
Ich steige auf die Bremse und akzeptiere das Unbegreifliche. Der Körper verkraftet dies viel leichter als der Geist.
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2020. Kurz nach dem Jahreswechsel
auch die Sportwelt. Teamsport existiert von einem Tag auf den
taucht Unruhe auf, weil Medien die
anderen quasi nicht mehr, Freizeitsportler wie ich werden zu
Gefahr durch ein Virus ins Spiel bringen,
Einzelkämpfern, im Freien und mit Sicherheitsabstand zu allen
das in Fernost umgeht. Noch ist es ein Sze-
anderen Personen außerhalb der eigenen Familie. Noch habe ich
nario, das viel zu weit weg ist, um bedroh-
es als Laufsportler gut, Bewegung dient der gesundheitlichen
lich zu wirken. Bald sterben haufenweise
Vorsorge und wird weiterhin als sehr sinnvoll erkannt. Nicht
Menschen. Nur wenige Wochen später
nur mein Körper tankt im Ausnahmezustand Kraft, auch die
erhält die Bedrohung einen konkreten
Seele wird behutsam gestreichelt. Genussläufer drehen weiter
Namen. Keiner weiß, dass dieser Begriff
ihre Runden. Wie zu erwarten bringt es die weltweite Eskalation
zum Wort des Jahres werden wird. Bald
mit sich, dass die meisten Laufveranstaltungen abgesagt werden
taucht das neuartige Virus in Europa
müssen und somit ein Wettkampftraining über viele Wochen
auf und macht seither mit uns, was es
wenig Sinn macht. Dabei stecke ich wie Tausende andere mit-
will. Die weitere Chronologie erinnert an
ten in der Marathonvorbereitung. Ich steige auf die Bremse und
die purzelnden Steine bei den Domino
akzeptiere das Unbegreifliche. Der Körper verkraftet dies viel
Days, rasant, scheppernd und unaufhalt-
leichter als der Geist. Jetzt nur nicht in ein mentales Loch fallen,
sam. Das Wort des Jahres ist längst zum
alles wird wieder normal, leiere ich mir wie ein Mantra vor.
Unwort geworden. Kein Leben ist mehr so, wie es war.
Kapitel 3 Unter Verschluss
Kapitel 2
Das Virus wütet weiter, kennt keine Grenzen mehr, nimmt alle
Mehr Abstand, weniger Kontakt
Hürden. Mit einem Telefonanruf sorgt ein neues Unwort dafür,
Dort, wo sich Menschen treffen und mit-
dass ich meiner Freiheit beraubt bin und von heute auf morgen
einander zu tun haben, werden plötzliche
wie ein Tier weggesperrt werde: Quarantäne. Meine Familie ist
Grenzen gezogen. Die Abstände der Men-
vorsorglich unter Verschluss. Vier Personen und ein Vierbeiner
schen zueinander vergrößern sich. Wir
für 14 Tage auf engem Raum, das wünsche ich dem bösesten
maskieren uns und vermeiden jeden Kon-
Nachbarn nicht. Dem Hund sein Gassi zu ermöglichen wird
takt, den wir bisher suchten. Betroffen ist
zur organisatorischen Herausforderung, der Zugang zu Lebens-
RunUp //Frühling/Sommer_2021