(Un)bewegte Mädchen-Jahre Schön und schlank ist das Körperideal, das jugendlichen Mädchen vermittelt wird. Das erzeugt nicht nur enormen Druck, Selbstzweifel und fordert ungesundes Verhalten, sondern wirft auch die Frage auf, ob Gesundheit in diesem Selbstoptimierungswahn überhaupt eine Rolle spielt. TEXT_Doris Mair//FOTO_Salzburger Frauenlauf/Alexander Schwarz
„Hauptsach gsund“, sagen die Eltern
den gesündesten Lebensjahren eines Menschen. Nicht nur kurz-
und blicken stolz auf das Neugeborene.
fristig, sondern langfristig wirkt sich diese Bewegung auf die
„Hauptsach gsund“, diesen allbekann-
Gesundheit aus. Eine aktive Kindheit ist das Fundament eines
ten Satz, sagen auch die Großeltern, die
gesunden Lebens.
sich ab dem Schulalter deutlich weniger
In dieser sensiblen Phase, in der Mädchen ihren neuen Körper
als ihre männlichen Altersgenossen. Das
kennenlernen und sich mit ihm zurechtfinden müssen, werden
liegt mitunter daran, dass Mädchen selte-
sie permanent bewertet und mit Schönheitsidealen konfrontiert.
ner bei Sportvereinen aktiv sind oder zu
Besonders Social Media und darin agierende Influencerinnen
Sportkursen angemeldet werden, ihnen
üben einen starken Einfluss und Druck auf junge Mädchen aus,
körperlich weniger zugetraut und ihnen
indem sie ihnen eine inszenierte Scheinwelt als Ideal vermitteln.
oftmals sportliche Freundinnen zum
Dass Schlankheits- und Schönheitswahn wenig mit Gesundheit
gemeinsamen Sporttreiben fehlen.
zu tun haben, zeigt das Beispiel der Fitness-Influencerin Sophia Thiel. Auf unzähligen perfekt inszenierten Fotos präsentierte
Bin ich richtig, wie ich bin?
die 26-jährige ihren schlanken, durchtrainierten Körper und
Die Pubertät ist ein besonders einschnei-
propagierte ihren von Disziplin geprägten Lebensstil hin zur
dender Lebensabschnitt im Leben eines
absoluten Selbstoptimierung. Bis sie schließlich untertauchte
Mädchens. Während der pubertäre Mus-
und nach langer Funkstille ihren Fans mitteilte, aufgrund einer
kelzuwachs Burschen stärker und männ-
Essstörung in Therapie gewesen zu sein.
licher wirken lässt, führen die natürliche Gewichtszunahme und die körperlichen
Heiß genug fürs Podest
Rundungen dazu, dass Mädchen in die-
Bekannte Sportlerinnen könnten Mädchen als Vorbilder die-
ser Phase häufig mit ihrem Körper unzu-
nen, um das Bild der sportlichen Frau zu stärken und die Mäd-
frieden sind, da er nicht dem weiblichen
chen zu mehr Bewegung zu motivieren. Zahlreiche prominente
Schlankheitsideal entspricht.
Läuferinnen schöpfen dieses Potenzial bei Auftritten bei heimi-
Schlankheits- und Schönheitswahn haben wenig mit Gesundheit zu tun.
Verwandten und Bekannten am Anfang
Konventionelle Stereotype hemmen bei Mädchen die Freude an der Bewegung.
eines neuen Lebens. Die kleine Brust hebt
Drei Stunden Bewegung am Tag empfiehlt der Fonds Gesundes
und senkt sich bei jedem Atemzug. Das
Österreich für die Drei- bis Sechs-jährigen. Ein gesundes Kind
Herz des kleinen Mädchens schlägt. Ein
schafft das spielerisch. Kinder haben von Natur aus Spaß an
Großteil der Kinder kommt gesund auf
der Bewegung und Freude an ihrem Körper. Vielmehr werden
die Welt. Sie haben die Basis ein gesundes
sie von ihrem Umfeld gebremst und eingeschränkt. Besonders
Leben zu führen. Ein komplexer Vorgang,
Mädchen werden nach wie vor mit konventionellen Stereotypen
ein perfektes Zusammenspiel aller Kör-
konfrontiert, die ihre Freude an Bewegung hemmen.
perfunktionen machen es möglich. Ein Wunder der Natur in seiner Perfektion!
Brave Mädchen toben nicht Ruth Mayr vom Mädchenbeirat setzt sich für Empowerment
Die gesündesten Lebensjahre
von Mädchen ein und sieht in vielen Bereichen große Unter-
Drei Jahre später flitzt das kleine Mäd-
schiede, wie Verhalten in der Gesellschaft beurteilt wird: „Wenn
chen lachend über die Wiese. Es läuft,
Burschen toben, wird das häufiger akzeptiert, weil das als ihr
klettert, rutscht und springt vergnügt
Naturell angesehen wird. Wenn ein Mädchen sich so verhält,
über den Spielplatz. Es dreht sich im
wird es oft als ungezogen angesehen. Von ihnen wird erwartet,
Kreis. Es prustet, es schnauft, es schwitzt.
dass sie brav und ruhig sind und sich nicht schmutzig machen“.
Und ganz nebenbei verbessert es seine Ausdauer, kräftigt seine Muskeln, stärkt
Das bleibt nicht ohne Auswirkung. Indem Mädchen dafür
seine Knochen und fördert seine kör-
gelobt werden, dass sie stillsitzen und sich so wenig wie möglich
perliche und mentale Gesundheit. Der
bewegen, sprich „brav sind“, wird ihr natürlicher Bewegungs-
große natürliche Bewegungsdrang von
drang reguliert. Obwohl Mädchen vor der Pubertät den gleich-
Kindern macht das Kindergartenalter zu
altrigen Burschen körperlich nicht unterlegen sind, bewegen sie
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voranbringen 33