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Kunde und Investor
from 03/2021 unserhof
by SPV-Verlag
Familie ganger hat ihren gartenbaubetrieb „mitten in der Stadt“ wien. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. um das unternehmen weiterzuentwickeln, haben die gemüsebauern sich ein interessantes crowd-Founding-modell ausgedacht. aloiS BuRgStalleR ließ sich in diesen Seitentrieb der Finanzierung einweihen.
Zwischen zwei U-Bahn-Stationen im Norden Wiens verkehrt jener Bus, der die Gärtnerei Ganger mit dem Öffi-Netz der Bundeshauptstadt verbindet. Wer den Bus am Kagraner Platz besteigt, fährt später an einem Gebäude vorbei, das für das Thema dieses Beitrags steht. Der unscheinbare Bau aus dem frühen vorigen Jahrhundert fügt sich wohltuend in die Umgebung ein. Fast ist man versucht zu glauben, die hellgrüne Färbelung könnte eine Anspielung auf die Eigentümer sein. An der Giebelseite steht in großen Lettern: Gärtner-Bank. Früher war sie unter diesem Namen eigenständig als Bank der Wiener Gärtner, jetzt steht der Name nur symbolisch da, denn die Bank ist jetzt eine Tochter der Volksbank Wien. Banken haben in ihrem ureigensten Geschäftszweig, der Kreditvergabe, ihr Monopol eingebüßt. Neue Mitbewerber rittern ums Finanzierungsgeschäft. Auch der Gartenbaubetrieb Ganger hat sich für die Finanzierung etwas einfallen lassen.
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Foto: © Burgstaller
Foto: © Burgstaller
Der Fluch der guten Lage
Freundlich professionell begrüßt mich der Juniorchef, Daniel Ganger, im lichtdurchfluteten Hofladen. Zusammen mit seiner Frau Marianne und den Schwiegereltern Marianne und Franz führt er den Betrieb. Genau genommen sind es zwei Betriebe: 44
der Ab-Hof-Laden ist eine GmbH und die Gärtnerei ist ein landwirtschaftlicher Betrieb.
Seit 1898 bewirtschaftet die Familie in fünfter Generation diesen Hof in der Aspernstraße. Auch eine sechste Generation ist schon auf den Beinen. Der Familienbetrieb hat an diesem Platz Tradition, aber er gerät aktuell in Bedrängnis. So gut der Standort für den Gartenbau ist, so bedroht ist er. Wien ist eine der am stärksten wachsenden Großstädte der EU. Wohnraum ist knapp. Und die Gemeinde Wien mobilisiert jeden Quadratmeter für neue Siedlungen. Die Hälfte der Flächen, die Ganger bewirtschaftet, gehören städtischen Wohnbauträgern. Wird das gallische Dorf namens Ganger dem Ansturm der Siedler standhalten können? Dass Gangers jetzt auf viele Mitstreiter zählen können, ist eine unbeabsichtigte Rendite seines betrieblichen Finanzierungsmodells.
Plastik-Geld-Modell
Ganger Junior hält mir eine Handyhülle entgegen. Dieses Plastikteil, das das Handy beim Aufprall auf dem Boden schützt, wurde durch Crowd-Funding serienreif gemacht. Es war die gemeinsame Idee der Gangers, so eine Finanzierung auch für ihren Hofladen zu versuchen. Der in die Jahre gekommene Hofladen sollte nämlich heutigen Ansprüchen gerecht werden. 2017 wurde mit dem Bau des großzügigen Gebäudes nach einer 7-jährigen Planungsphase begonnen. Neben Eigenmitteln und auch einem Bankkredit stellte das Crowd-Funding seine dritte Finanzierungsquelle dar.
Geld genießen
Das Instrument ist schnell erklärt. Person XY kauft einen sogenannten Genuss-Schein um 1.000 Euro. Von einer Person können maximal fünf Scheine erworben werden. Im Lauf der folgenden 10 Jahre erhält die Person jedes Jahr einen Genuss-Gutschein im Wert von 125 Euro. Aus jeder Investition von 1.000 Euro wird so bis zum Ende der Laufzeit ein Warengegenwert von 1.250 Euro. Der Genuss-Gutschein berechtigt zum Erwerb aller Produkte, die Gangers in ihrem Ab-Hof-Laden anbieten. Jeder Käufer erhält eine Urkunde für sein „Investment“. Mindestens 14 Tage nach erfolgtem Kontoeingang bekommt der Sponsor im Laden seine Kundenkarte ausgehändigt, auf der das Guthaben gebucht ist. Die Kassierin sieht an der Kassa sofort, dass es sich
hier um einen ganz besonders wichtigen Kunden handelt. Diese Vorausbezahlung stellt für den Betrieb einen immensen Vertrauensbeweis dar. Zuerst fließt das Geld der Kunden, das sie in zehn Jahrestranchen in Form von Produkten des Hofladens aufgewertet zurückerhalten.
Gangers Erklärung für seinen Erfolg mit der Gutschein-Aktion
Die wichtigste Währung bei diesem Vorgang ist Vertrauen. Die Vorauskäufer vertrauen darauf, dass sie ihr Geld in ein langlebiges Projekt stecken. Gangers sind auf Grund ihrer 100-jährigen Betriebstradition eine Marke. Während andere Gärtner schon aufgegeben haben, haben Gangers immer wieder Innovationen umgesetzt und sich als dynamische, zukunftsorientierte Unternehmer erwiesen.
Ein weiterer vertrauensfördernder Aspekt ist die Kontinuität in Familienhand. Der Übergang von einer Generation auf die nächste stellt Familienbetriebe vor große Herausforderungen. Die Genussscheinkäufer konnten sehen, dass die Kontinuität von der weichenden auf die übernehmende Generation gesichert ist.
Gangers bewirtschaften die Hälfte ihres Betriebs im Freiland als Biobetrieb und im Glashaus nach der Integrierten Produktion. Das kommt den Wünschen ihrer Kunden im großstädtischen Umfeld sehr entgegen. Nicht nur die Bio- und Integrierte Produktion steht bei den Ganger´schen Kunden in der Gunst weit oben, sondern auch die Nahversorgung, die Regionalität und der Direktbezug frischer Lebensmittel. So umzingelt Gangers Gartenbauflächen im Wohngebiet liegen, so viele Käufer gleich ums Eck zu haben, das fördert die Identifikation. Den Kunden dürfte es ein Anliegen sein, mit ihrem Kapital etwas zur Erhaltung ihres Nahversorgers tun zu können. Die Stadtplaner könnten daraus den Schluss ziehen, dass Wohngebiete sehr gut mit Gartenbauern harmonieren.
Kundenfindungsprogramm
Über Gangers Crowd-Founding-Modell bekommen die Investoren die Gewähr, Produkte, die im Ab-Hof-Laden angeboten werden, sei es Frischgemüse, verarbeitete Produkte, Blumen oder Jungpflanzen aus dem Sortiment der Gärtnerei, kaufen zu können. Andererseits geben die Genuss-Gutschein-Besitzer der Familie Ganger Freiheit bei der Gestaltung der Angebotspalette und auch bei der Preiskalkulation. Die Kunden verlassen sich dabei auf eine faire Preisgestaltung im Ab Hof-Laden. Sollte jemand aus irgendwelchen Gründen nicht mehr in der Lage sein, seine Käufe durchzuführen, kann der Genussschein gerne an Verwandte oder Freunde übertragen werden. Eine Barauszahlung oder vorzeitige Auflösung der Genussschein-Vereinbarung ist nicht möglich. Es gelten die jeweils gültigen Endverbraucherpreise.
Gangers Kunden akzeptieren, dass der Laden im Winter drei Monate geschlossen ist. Gelebte Saisonalität! Andererseits hilft Ganger die Kombination aus geschütztem Glashaus und Freilandkultur, Ertragsausfälle zu minimieren. So kann er ein kontinuierliches Angebot meist auch dann gewährleisten, wenn Kulturen durch Wetter, Schädlinge oder Krankheiten in Mitleidenschaft gezogen werden.
Drei Fragen
Drei Fragen, empfiehlt Daniel Ganger, sollten Interessenten dieser Art der Finanzierung vor dem Crowd-FundingStart klären. Wer könnte sich angesprochen fühlen? Was will ich von ihnen haben? Was kann ich ihnen bieten?
Obwohl das Projekt schon 2017 gestartet wurde, können nach wie vor Genuss-Scheine via Homepage gezeichnet werden. Das Sympathische an dieser Finanzierungsvariante ist für Ganger, dass sich die „Schulden“ auf viele Köpfe verteilen, die zugleich Teil des Kundenstocks werden. Für wichtig hält Ganger es, einen Steuerberater in die Planungen einzubinden, um die rechtlich und finanziell beste Variante auszutüfteln. Gangers haben trotzdem den Großteil der Finanzierung mit einem Bankkredit abgedeckt. Der Genussschein bietet ihren Kunden aber die Möglichkeit, an der Fortsetzung einer über 100-jährigen Gärtnergeschichte mitzuwirken und diese Stadtlandwirtschaft lebendig zu erhalten.
Das crowdfundingkonzept der Familie ganger wurde beim Bäuerlichen Jungunternehmertag der landjugend vorgestellt.