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Zwischen Bio Boom und Verschärfung von Spielregeln
WÄHREND DIE BIO-ANBAUFLÄCHEN IN ÖSTERREICH ZULETZT WEITER STARK GESTIEGEN SIND, WUCHS DIE NACHFRAGE NACH BIO-PRODUKTEN NICHT IM SELBEN AUSMASS AN. DIES MACHT SICH Z. B. BEI DEN LAGERSTÄNDEN UND DEN PREISEN VON BIO- UND UMSTELLER-GETREIDE BEMERKBAR. EINE WEITERE HERAUSFORDERUNG STELLT DIE AB 1. 1. 2021 IN KRAFT TRETENDE NEUE EU-BIO-VERORDNUNG DAR. SIE ÄNDERT DIE SPIELREGELN FÜR DIE PRODUKTION VON BIO-LEBENSMITTELN.
LISA JÖCHLINGER
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Die Entscheidung für eine Produktion von biologischen Lebensmitteln wird oftmals aus wirtschaftlichen Überlegungen getroffen. Der Markt honoriert in vielen Fällen den höheren Aufwand für die Produktion nach Bio-Standards. Zudem spielt für viele Landwirte auch die ideologische Überzeugung von dieser Produktionsweise eine wichtige Rolle. Landwirte, die in der aktuellen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik auf biologische Wirtschaftsweise umsteigen wollten, hatten dazu bis November 2018 die Möglichkeit, um auch noch alle entsprechenden Leistungen aus dem ÖPUL (Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft) in Anspruch nehmen zu können. Dass so mancher Bauer dies „am letzten Drücker“ umsetzte, zeigt sich in den Umstiegszahlen des Landwirtschaftsministeriums (BMNT): Von 2017 auf 2018 erhöhte sich der Anteil an biologisch bewirtschafteten Flächen um rund 17.000 ha, davon rund 13.000 ha Ackerland. Im Jahr 2018 gab es in Österreich demnach 23.477 Bio-Betriebe, welche bereits rund 25 % (637.805 ha) der landwirtschaftlich genutzten Fläche bewirtschafteten. Starke Zuwächse waren insbesondere in den nordöstlichen Ackerbauregionen Österreichs zu verzeichnen. Positiv entwickelt sich auch der biologische Anbau von Soja mit fast 30 % der Fläche. Bei weiteren heimischen Eiweißpflanzen (im wesentlichen Pferdebohnen und Erbsen) liegt der Bio-Anteil sogar bei rund zwei Drittel. Die Bio-Anbaufläche von Feldgemüse liegt bei gut 20 %.
ERNÄHRUNG | NUTRITION volume 44 | 01. 2020 Rund 22 % der Rinder, 33 % der Schafe und mehr als die Hälfte der Ziegen in Österreich werden auf Biobetrieben gehalten.
Angebot und Nachfrage
Der jüngste Umsteller-Boom in die Bio-Landwirtschaft machte sich vor allem in den Produktionsmengen von Bio-Soja und Bio-Winterweichweizen bemerkbar. 1 Doch bei letzterem übersteigt das Angebot bereits die Nachfrage, die Lager für Bio-Getreide sind zum Teil noch aus dem Jahr 2017 gefüllt. Probleme in der Vermarktung gebe es vor allem bei der sogenannten Umstellerware, dem „Zwitterprodukt“ aus konventionell und biologisch produzier
© ADOBE STOCK – JÉRÔME ROMMÉ
tem Getreide, das aufgrund der zu geringen Nachfrage zuletzt als konventionelle Ware und damit zu niedrigeren Preisen verkauft wurde. Über einen Zeitraum von zwei Jahren nach der Umstellung auf biologische Wirtschaftsweise können zwar schon entsprechende Ausgleichszahlungen bezogen werden, die Ernte kann jedoch noch nicht als biologisch zertifi ziert und deklariert werden.
Neue Spielregeln für die Bio-Produktion ab 2021
Die Diskussionen begannen bereits Ende 2011 unter dem damaligen EU-Agrarkom missar Davian Ciolos, der mit der Evaluierung der aktuellen EU-BioVO begann. Im Mai 2018 wurde das Gesetzgebungsverfah ren nun abgeschlossen und die BIO BasisVO 848/2018 2 vorgestellt, die noch durch weitere Detailregelungen in Form von „sekundären Rechtsakten“ ergänzt wird. Diese werden aktuell erarbeitet und sollen zeitgerecht vor dem Geltungsbeginn 2021 bekannt gegeben werden. Änderungen sind dabei für den Geltungsbereich, die Vor schriften für die pflanzliche und tierische Produktion, die Produktionsvorschriften für die Aquakultur und Produktionsbestim mungen für verarbeitete Lebensmittel vorgesehen. Neu aufgenommen werden soll unter anderem Salz, wobei konkrete Vorga ben noch nicht veröffentlicht wurden. Verschärfungen soll es für die Produktion von Bio-Aromen geben, für die künftig alle Trä gerstoffe aus biologischer Produktion stammen müssen. Auch für die Produktion von Bio-Geflügel sind Verschärfungen angekün digt. Der Einsatz von 5 % konventionellem Eiweiß-Futtermittel ist nach Bestätigung der Nicht-Verfügbarkeit von Bio-Futtermit teln durch die Behörde ab 2021 nur mehr für Ferkel bis 35 kg sowie für Junggeflügel möglich, wobei hier die Altersgrenze noch festzulegen ist. Für Bio-Fisch-Anlagen sind in der neuen EU-BioVO Mindestdistanzen zu Nicht-Bio-Anlagen vorgesehen.
Kein Bio ohne Boden
Doch viele bestehende Regelungen werden auch in der neuen EU-BioVO beibehalten. So gilt weiterhin der Grundsatz „Kein Bio ohne Boden“. Da die biologische pflanzliche Erzeugung auf dem Grundsatz beruht, dass Pflanzen ihre Nährstoffe in erster Linie über das Ökosystem des Bodens beziehen, sollen Pflanzen auf und in lebendigem Boden in Verbindung mit Unterboden und Grundgestein erzeugt werden. Hydrokultur und der Anbau von Pflanzen in Containern, Säcken oder Becken, bei denen die Wurzeln nicht mit dem lebenden Boden in Berührung kommen, sind daher nicht zulässig. Tomaten, Salat oder Kräuter werden oftmals in Hydroponik-Kultur produziert, die demnach nicht biologisch zertifi zert werden können. Auch der Trend „Urban Gardening“ in Hydrokultur kann demnach nicht als „bio“ bezeichnet werden. Keine Ausnahmen für die Weidehaltung in Bio-Betrieben seit 1. Jänner 2020 Zuletzt für Diskussionen in den Medien sorgten die Regelungen zur Weidehaltung. Schon vor Inkrafttreten der neuen EU-BioVO ist in Bio-Betrie ben während der Vegetationsperiode verpflichtend Weidehaltung vorgese hen. Allerdings galten in Österreich in begründeten Fällen Ausnahmeregelun gen. Dazu zählten größere Distanzen oder Hindernisse wie eine Bundesstraße zwischen Stall und entsprechend gro ßer Weide. Diese Ausnahmeregelungen wurden nun von der EU als „nicht im Einklang mit EU-Recht stehend“ be wertet und laufen daher mit 31.12.2019 aus.
DI Lisa Jöchlinger, Fachverband der Lebensmittelindustrie Wien
Literatur [1] Presseaussendung Agrarmarkt Austria vom 6.8.2019: „Getreideernte 2019: Durchschnittliche Erntemenge mit guter Qualität, Rekordzuwachs bei Bio-Ackerflächen“
[2] Verordnung (EU) 2018/848 des europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologi sche/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/ biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates