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Genomeditierung: Präzisionszüchtung oder Gentechnik?
die eRnähRunG sPRAch miT uniV.-PRoF. mAG. dR. JosePh sTRAuss, leiTeR des dePARTmenTs FüR AnGeWAndTe GeneTiK und ZellbioloGie und des insTiTuTs FüR miKRobielle GeneTiK An deR uniVeRsiTäT FüR bodenKulTuR Wien (boKu), übeR nGT (neW Genomic Techniques). eine neue sTudie deR eu hAT die GesellschAFTliche disKussion Zu diesem ThemA AnGeheiZT, ohne näheR AuF die WissenschAFTlichen GRundlAGen einZuGehen. denn ZWischen neuen WideRsTAndsFähiGen soRTen, die Zu nAchhAlTiGen lebensmiTTelsYsTemen beiTRAGen KÖnnen, und deR sTRiKTen AblehnunG Von GenTechniK bedARF es noch WeiTeReR AuFKläRunG. lesen sie einen RAschen übeRblicK übeR die WissenschAFTlichen AsPeKTe.
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osKAR WAWschineK
Die Ernährung: An Ihrem
Department beschäftigen sich die Forscherinnen und Forscher mit der molekularen Genetik und Biotechnologie von Pflanzen und Pilzen und damit, wie Pflanzenkrankheiten entstehen. Die neuen Techniken der Genomeditierung – auch „CRISPR“ oder „Genschere“ genannt – eröffnen nun scheinbar neue Möglichkeiten in der Züchtung. Welche sind das?
Joseph Strauss: Im Gegensatz zu den klassischen Züchtungstechniken, die mit Zufallsmutagenese, Selektion und Rekombination arbeiten, wird bei der Genomeditierung mittels CRISPR ganz gezielt eine bestimmte Region in den Chromosomen angesteuert und so verändert, wie man es haben will. Man kann sich das wie ein GPSSystem im Auto vorstellen: Sie geben die Adresse ein, die Sie vorher in der Forschung identifiziert haben, und das System lenkt die Genschere mit Hilfe einer RNA an die programmierten genetischen Koordinaten und verändert dort die Buchstaben des genetischen Codes gemäß Ihrer Anleitung. Also ganz ohne Zufallsereignisse und Nebeneffekte, die eine klassische Mutagenese mit sich bringen würde. Das ist eine echte Revolution in der Genetik, die Züchtung nicht nur viel präziser, sondern auch schneller macht und ganz neue Möglichkeiten für die nachhaltige Lebensmittelproduktion eröffnet. Wir haben also in der molekularen Genetik und in der Züchtung ein ganz besonderes neues Werkzeug in unseren „Werkzeugkasten“ dazubekommen. Dafür ist nicht umsonst vor Kurzem der Nobelpreis an die beiden Hauptentdeckerinnen Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier vergeben worden.
Was ist das Ziel dieser Forschung und Entwicklungsarbeit?
Strauss: Das Ziel ist eindeutig, ganz gezielt und schnell neue Eigenschaften in bereits gut etablierte Sorten zu bringen, um diese fit für eine nachhaltige Land und Forstwirtschaft in Zeiten der Klimakrise und des steigenden Krankheits und Schädlingsdrucks zu bekommen. Zum Beispiel ist es damit möglich, in eine lokale Weizensorte, die
© labor F. PilzGenetik Und GenomForsCHUnG, tUlln
gut etabliert, aber sehr anfällig gegen Mehltau ist, rasch und günstig eine natürliche Resistenz gegen diesen Pilz hineinzubringen. In den vielen Jahrzehnten der klassischen Weizenzüchtung ist das nicht gelungen, denn das Erbmaterial des Weizens ist sehr komplex, mehr als 5 Mal so groß wie das menschliche Genom. Aber mit der Genomeditierung kann man eben mehrere Stellen in dieser komplexen Erbsubstanz gezielt ansteuern und so verändern, dass eine natürliche Resistenz gegen diesen Mehltau entsteht. Und damit kann man bei gleicher Ertragssicherheit plötzlich große Mengen an Pflanzenschutzmittel einsparen! Ein Gewinn für die Konsumentinnen und Konsumenten, die Produzenten und vor allem für die Natur. Die Entwicklung von Resistenzen ist ganz sicher die nachhaltigste Form des Pflanzenschutzes. Wenn ich das mit einem erkrankten Menschen vergleiche, dann ist der Einsatz von Pflanzenschutzmittel vergleichbar mit der Einnahme eines Medikaments – eine Notlösung. Die Züchtung auf Resistenz ist dann so etwas wie bei uns eine Impfung – ein dauerhafter Schutz gegen Infektionen. Das wissen wir gerade jetzt in Covidzeiten am allerbesten – es ist unsere einzige Chance, die Pandemie in den Griff zu bekommen, und so ist es in der land und forstwirtschaftlichen Produktion ebenfalls – die ResistenzZüchtung ist eine der wichtigsten Bausteine, um Verluste durch Schädlinge und Krankheiten zu verhindern. Resistenz wirkt dauerhaft, ist sicher, umweltfreundlich und billig. Aber Krankheitsresistenz ist natürlich nicht die einzige Eigenschaft, die in Zeiten der Klimakrise für die Produktionssicherung essentiell sein wird. Es wird auch darum gehen, Sorten gegenüber Hitze und Trockenheit widerstandsfähiger zu machen oder die Ausnutzung der Nährstoffe zu verbessern, denn wir werden in Zukunft wegen des großen Energiebedarfs bei der Herstellung von synthetischen Düngemitteln sicher mit viel weniger davon auskommen müssen. Die Sicherung des Ertrags wird das zentrale Thema der zukünftigen nachhaltigen Land und Forstwirtschaft sein. Nicht nur in der
konventionellen, sondern auch in der Biolandwirtschaft. Gerade dort ist wegen des beschränkten Pflanzenschutzmitteleinsatzes die Resistenzzüchtung noch wichtiger für die Sortenentwicklung in der Landwirtschaft und im Gemüsebau.
Wenn neuartige genomische Verfahren wie die genannte Genomeditierung die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung im Einklang mit den Zielen der EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ fördern können, wie die Kommissarin Stella Kyriakides sagt, warum entstand wieder Aufregung darüber?
Strauss: Wenn molekularbiologische Methoden eingesetzt werden, um rasch Impfstoffe wie gegen Covid19 zu entwickeln, wird das von der Gesellschaft sehr positiv aufgenommen. Im Bereich von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen (oder Tieren) wird es hingegen strikt abgelehnt.
Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Strauss: Ich denke, dass es hier um die Angst der Konsumentinnen und Konsumenten geht, dass wieder multinationale Saatgutkonzerne bestimmen, welche Sorten erzeugt und dann auch patentiert werden, und es wieder nicht in Richtung Nachhaltigkeit, sondern weiter in Richtung Industrialisierung der Landwirtschaft gehen könnte. Also „just more of the same“ statt wirkliche Änderungen in Richtung Züchtung für eine nachhaltige Produktion. Das war auch so bei der Entwicklung von GVoSorten in den 90er Jahren mit klassischer Gentechnik, da ging es nur um Totalherbizidresistente Sorten, deren Einsatz allein der Industrialisierung dient und im krassen Widerspruch zu Nachhaltigkeit und Regionalität steht. Und daher der berechtigte Widerstand. David gegen Goliath sozusagen, ressourcencenschwache Umweltschutz und Konsumentenorganisationen gegen milliardenschwere multinationale Konzerne – da hat man sich nicht anders zu helfen gewusst, als die gesamte Technologie in Bausch und Bogen abzulehnen. Aber das ist jetzt eben anders. Jetzt ist die Nachhaltigkeit das große Ziel, Erhaltung von Sortendiversität und Regionalität bei optimierter Stress und Schädlingsresistenz und Ertragsstärke.
Die Studie der EU zu NGT (New Genomic Techniques) hat u. a. ergeben: „Mit Pflanzen, die gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger sind, können die NGT zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitragen. Für diese Erzeugnisse spricht darüber hinaus ein besserer Nährwert, etwa ein gesünderer Fettsäuregehalt, und ein geringerer Bedarf an landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, etwa Pestiziden.“ Wie sehen Sie das?
Strauss: Es gibt sehr viele Ideen aus der Forschungsbasis, die auf Umsetzung warten. Kleine regionale Züchtungsfirmen und Startups könnten mit dem neuen Werkzeugkasten ihre Ideen rasch umsetzen und theoretisch neue Eigenschaften in alten Sorten schnell und günstig etablieren und damit auf den Markt kommen. Aber das wird so lange nicht möglich sein, so lange die Gesetzeslage nicht klar zwischen Genomeditierung und Gentechnik unterscheidet. Und bis dahin wäre ein Anbau in Europa undenkbar, ein langwieriges und extrem teures Zulassungsverfahren wäre die Folge, das sich wieder nur die multinationalen Konzerne leisten können. Und diese Investition dann auch durch Patente geschützt sehen will. Aber das ist der falsche Weg, denn die Genomeditierung ist keine Gentechnik, sondern ein präzises Mutageneseverfahren. Es ist daher technisch gesehen mit den klassischen Züchtungsmethoden gleichzusetzen, und das sollte sich auch in der Gesetzgebung abbilden: Wenn mit der Genomeditierung keine artfremden Sequenzen eingebracht werden, sondern nur die arteigene Erbsubstanz gezielt verändert wird, dann sollten diese Produkte einfach wie neue Sorten behandelt werden. Es ist wissenschaftlich unbestritten, dass von genomeditierten Sorten im Vergleich zu ihren Stammsorten keine zusätzlichen Risiken ausgehen. Wir müssen hier der Wissenschaft vertrauen, den objektiven Zahlen vertrauen. Wenn wir der Wissenschaft beim Klimawandel oder in der Bekämpfung der Covidpandemie glauben, und Leugnern des menschengemachten Klimawandels vorwerfen, dass sie die Wissenschaft ignorieren, dann dürfen wir aber auch nicht die wissenschaftliche Datenlage zur Genomeditierung negieren. Man kann sich nicht aussuchen, wo man der Wissenschaft glaubt und wo nicht.
Was ist der Hintergrund der neuen Regeln für neue Verfahren bei der Gentechnik?
Strauss: Im Klartext heißt das: Genomeditierte Pflanzen sollten unter das Sortenrecht gestellt werden. Bei der Sortenprüfung und beim Zulassungsverfahren, das ja heute schon für jede neue Sorte gilt, sollten die eingeführten Veränderungen im Sinne des gesellschaftlichen Informationsrechts offengelegt werden. Aber vor allem eines muss bei genomeditierten Pflanzen auch wie bei herkömmlichen Sorten gelten: Es darf auf die eingebrachten Eigenschaften und genetischen Veränderungen kein Patentschutz entstehen. Warum ist das wichtig? Weil dadurch die Sorte wieder frei ist für weitere Züchtungsvorhaben durch andere Züchterinnen und Züchter, hier wieder andere Eigenschaften entweder klassisch oder mit Hilfe der Genomeditierung einzuführen. Alle diese Weiterentwicklungen wären bei einem Patentschutz nur möglich, wenn die Patentinhaber zustimmen und hohe Lizenzgebühren bezahlt werden. Die Erfolge der bisherigen klassischen Züchtung beruhen zum Großteil genau auf dieser züchterischen Freiheit im Sortenrecht, dass eben niemand zustimmen muss und für weitere Züchtungen keine Lizenzgebühren zu bezahlen sind. Das Einkommen der Züchter ergibt sich wie auch jetzt schon allein durch die Li
zenzen bei der Nutzung der Sorten für den Anbau, also bei der Saatgutvermehrung und dem Verkauf an die landwirtschaftlichen Betriebe. Und genau dasselbe sollte auch für genomeditierte Pflanzen so gelten. Damit fällt einer der größten und durchaus berechtigten Kritikpunkte der Gegner von Gentechnik und Saatgutmonopolisierung weg. Es ist im Interesse der Nachhaltigkeit und der Regionalität, dass es hier keine extrem teuren Zulassungshürden und keinen Patentschutz auf genomeditierte Pflanzensorten gibt. Die internationale Forschungsgemeinschaft ist sich in diesem Punkt schon ziemlich einig.
Was kann da die Wissenschaft tun, was die Politik? Was fehlt Ihrer Meinung nach?
Strauss: Wir müssen meiner Meinung nach den gesellschaftlichen Dialog ernsthaft aufnehmen, die alte GentechnikDiskussion hinter uns lassen, bei der die Wissenschaft geglaubt hat, die Öffentlichkeit nicht ernstnehmen zu müssen und im Besitz der alleinigen Weisheit zu sein, wie man mit GVos die Welt retten kann. Und bei der auf der anderen Seite die Konsumenten und Umweltschutzorganisationen mit Frontalopposition reagiert haben. ohne abzuwägen, ob es nicht auch „gute“ Gentechnik im Sinne der Entwicklung von Sorten für die klimafitte und nachhaltige Landwirtschaft geben könnte, wird nach wie vor alles, was mit dieser Technik im Zusammenhang steht, kategorisch abgelehnt. Aber dieser Dogmatismus muss meiner Meinung nach dringend überdacht werden im Sinne der Chancen für die nachhaltige Herstellung gesunder Nahrungsmittel – möglichst nahe an den Prinzipien des Biolandbaus. Fundamentalismus hat noch nie in der Geschichte zu einem produktiven Miteinander und zu Fortschritt geführt. Man muss also von einer Technologiezentrierten Bewertung zu einer Produktzentrierten Bewertung von neuen Sorten kommen. Es ist nicht relevant, wie eine Sorte entstanden ist, sondern was sie kann und was ihre Eigenschaften sind. Wenn sie der Förderung der Nachhaltigkeit und der gesunden Lebensmittelproduktion dient, dann soll sie zugelassen werden. Wenn die Züchtungsschritte dazu führen, dass die Nachhaltigkeitsziele konterkariert werden, z.B. weil die Sorte mit Hilfe von Genomeditierung totalherbizidresistent gemacht wurde, dann soll die Zulassung verweigert werden. Diese rechtliche Klärung muss möglichst schnell passieren, und dazu muss das Regelwerk angepasst werden. Laut der Studie der EUKommission ist die Struktur unserer GVoGesetze nicht in der Lage, mit dem wissenschaftlichen Fortschritt der letzten zehn Jahre mitzuhalten, sie ist „not fit for purpose“, wie es im original dort heißt. Denn nur dann können unsere kleinen Züchtungsfirmen und Startups Investoren überzeugen, in ihre Ideen zu investieren. Denn wenn es keinen Markt in Europa für genomeditierte lokale Sorten geben wird, weil die Zulassungen verweigert werden oder sich nur die reichen multinationalen Konzerne das leisten können, dann wird es auch keine neuen optimierten Sorten geben. Und dann werden wir das Möglichkeitsfenster verpassen, das sich jetzt auftut, und eine
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Zur Person
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Biographie Univ.Prof. Mag. Dr. Joseph Strauss leitet das Department für Angewandte Genetik und Zellbiologie und das Institut für Mikrobielle Genetik an der Universität für Bodenkultur Wien (BoKU). Er ist ausgebildeter Landwirt, Mikrobiologe und Molekulargenetiker mit Schwerpunkt Pilzforschung. Wissenschafter*innen des Departments forschen an den Themen „Genetische Wachstumskontrolle“ und „Wirkstoffproduktion“ in Pflanzen sowie an „molekulargenetischen Grundlagen von Pilzkrankheiten“. Die neuen Methoden der Genomeditierung zur gezielten Veränderung von Pflanzen und Pilzen gehören an diesem Department und in anderen Forschungsgruppen an der BoKU mittlerweile zum Forschungsalltag. Die Forschungslabors seines eigenen Teams (https://boku.ac.at/ dagz/imig) befinden sich am BioressourcenCampus Tulln, wo interdisziplinäre Forschung und Technologieentwicklung zum Thema „Sicherung der Lebensgrundlagen und schonende Nutzung biologischer Ressourcen“ betrieben wird (www.boku.ac.at/wissenschaftlicheinitiativen/birt/). Prof. Strauss leitet dort seit 2014 auch die Forschungsplattform „Bioaktive Mikrobielle Metaboliten“ (www.bimmresearch.at) und ist Projektpartner des seit 2017 bestehenden Kompetenzzentrums FFoQSI für Lebens und Futtermittelqualität, Sicherheit und Innovation (www.ffoqsi.at). Durch seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich bioaktive Stoffe aus Pilzen und seine Aktivitäten in verschiedenen Gremien und akademischen Verbänden zählt Prof. Strauss zu den international renommiertesten Experten auf diesem Gebiet.
große Chance wird dahin sein, unsere eigene Land und Forstwirtschaft und unseren eigenen Gemüse und obstanbau nachhaltiger zu gestalten. Damit sinkt die Eigenversorgung, steigt die Abhängigkeit vom internationalen Markt, in dem diese Produkte sehr wohl zugelassen und produziert werden. Sie sind es ja jetzt schon, am amerikanischen Kontinent, in Asien, Afrika oder in osteuropa. Und den Import aus diesen Ländern werden wir auch dann wieder zulassen müssen, so wie heute die GVoProdukte den europäschen Lebensund Futtermittelmarkt überschwemmen. Wir brauchen uns da keiner Illusion hinzugeben, da werden in Zukunft einfach die genomeditierten Produkte dazu kommen und in großem Stil importiert werden.
Wenn wir eine wachsende Weltbevölkerung unter Bedingungen des fortschreitenden Klimawandels ernähren wollen, können wir es uns leisten, nicht alle Möglichkeiten zu nutzen?
Strauss: Das Argument der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung für die Zulassung genomeditierter Pflanzen sehe ich eigentlich eher kritisch. Das wurde schon damals in der GVoDiskussion als Vorwand verwendet, um eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft zu rechtfertigen. Aber solange wir weltweit ungefähr ein Drittel aller unserer mit hohem Arbeits und Energieeinsatz produzierten Lebens und Futtermittel nicht verwenden, sondern sie wegwerfen oder verderben lassen, so lange sehe ich den Fokus nicht auf weiterer Intensivierung der Produktion, sondern es muss um die bessere Verteilung und Nutzung der Produkte gehen. Wir könnten im Klartext also heute schon ein Drittel mehr an Menschen versorgen, als wir es aktuell tun. Und wenn wir noch dazu unsere Ernährungsweise auf mehr pflanzenbasierte Produkte umstellen, auch dann wird der weltweite Produktionsbedarf sinken. Der Fokus muss meiner Meinung nach also neben der erwähnten richtigen Nutzung und Verteilung der Produkte auf der Sicherung der aktuellen Produktion liegen. In Zeiten der Klima und Biodiversitätskrise sowieso eine riesen Herausforderung – denken wir nur an die stetig zurückgehenden Niederschläge und Extremwetterereignisse in unseren Breiten. oder an all die neuen Krankheitserreger, die in unseren Regionen heimisch werden, weil sich das Klima zu ihren Gunsten geändert hat. Das alles stellt uns vor große Probleme der Produktionssicherung. Und hier müssen wir ansetzen.
Sie haben selbst gemeinsam mit einem Freund einen Bio-Bauernhof geführt. Sehen Sie für die biologische Landwirtschaft mehr Chancen oder Risken durch die Nutzung moderner Züchtungsmethoden?
Strauss: Ja, ich habe ja eine landwirtschaftliche Ausbildung genossen und dann nach dem GenetikStudium noch nicht genau gewusst, ob ich in die Wissenschaft gehen möchte oder nicht. Also haben wir damals, als die BioBewegung erst im Begriff war, zum Mainstream zu werden, am Bauernhof eines Freundes begonnen, Biogemüse zu produzieren und es selbst zu vermarkten. Ich bin dann doch in die Wissenschaft und ins Ausland gegangen, aber ich habe natürlich zum Biolandbau nach wie vor eine enge Beziehung. Und daher bin ich überzeugt, dass genau dieser Bereich am allermeisten von den neuen Werkzeugen profitieren wird. Und die internationalen Bioverbände, auch die europäischen, diskutieren dieses Thema sehr intensiv. Vor allem in Deutschland und in der Schweiz sowie in Schweden ist eine recht positive Einstellung gegenüber den neuen Chancen, die durch die Genomeditierung für die Biosortenzucht entstanden sind, zu bemerken. In meinen eigenen Diskus
sionen und Vorträgen bei den Landwirten und Verbänden merke ich das ebenfalls. Wenn man einmal realisiert hat, dass sich zum Beispiel zwei Weizenkörner auf ein und demselben Feld durch die natürliche biologische Mutationsrate stärker voneinander unterscheiden als eine genomeditierte Sorte von ihrer Ausgangssorte, dann begreift man auch, dass das eigentlich natürliche Biodiversität ist, was wir mit Hilfe der Genomeditierung schaffen. Kleine genetische Unterschiede, die aber darüber entscheiden können, ob der Anbau erfolgreich und nachhaltig sein kann oder eben nicht. Es ist wie anderswo auch: Wissen nimmt die Angst – und daher müssen wir unseren Wissensvermittlungsauftrag als Wissenschaftler auch gerade jetzt sehr ernst nehmen. Und man muss vor allem eines kommunizieren: Auch die neuen Züchtungstechniken sind keine Heilsbringer! Die eine Methode oder Sorte, die alle Probleme löst, gibt es nicht. Die neue Züchtungsmöglichkeit ist nur eines von vielen Werkzeugen und Maßnahmen, die es braucht, um in Richtung nachhaltiger Produktion von gesunden Lebensmitteln wieder einen Schritt weiter zu kommen. Genomeditierte Sorten werden global nur dann Verbesserungen bringen, wenn sie gemeinsam mit der Erhaltung der natürlichen Produktionsgrundlagen und lokaler landwirtschaftlicher Strukturen gedacht werden, wenn Biodiversität und gesunde Böden als Ökosystemleistungen bewertet werden und einen Wert zugesprochen bekommen. Und wenn wir es schaffen, dass Produkte nicht verschwendet, sondern verwendet und fair verteilt werden, und nicht zuletzt, dass der Fleischkonsum weltweit reduziert werden kann.
Würden Sie Lebensmittel essen, die mit NGT entstanden sind?
Strauss: Wie gesagt, ich plädiere dafür, die Produkte zu bewerten und nicht ihre Züchtungstechnik. Wenn es nachhaltig, also möglichst nach den Prinzipien des biologischen Landbaus hergestellt wurde, die Boden und Biodiversitätsschutz schon seit jeher als Grundlage der Produktion ansehen, dann ist es mir egal, wie es gezüchtet wurde. Ich hoffe, dass ich bald einmal BioWeintrauben essen kann, die von einem genomeditierten Weinstock stammen, der natürlicherweise mehltauresistent gemacht wurde. Damit würden wir uns alle zusammen den oftmaligen Einsatz von Kupferpräparaten zur Mehltaubehandlung ersparen, der auch im Biolandbau gang und gäbe ist, damit die Ernte nicht verdirbt. Also die Antwort ist klar; ja, natürlich würde ich solche Lebensmittel kaufen!
Wenn Sie sich was wünschen dürfen, was wäre das?
Strauss: Dass sich die Erkenntnis in Wirtschaft und Politik wirklich breit durchsetzt, dass wir schnell und ohne viel Kompromisse die Prinzipien der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft umsetzen müssen und uns im Sinne der Verantwortung für diesen wunderschönen Planeten und unsere Nachkommen nicht durch politisches oder finanzielles Kalkül in kleinliches Hickhack verstricken lassen.