STILWERK MAGAZIN AUSGABE 1 / 2020 € 5,50
INSPIRING BEAUTIFUL VISIONARY
SPACES PLACES PEOPLE
Niculai Constantinescu
Liebe Leserinnen & Leser,
reale Welt hinaus können auch virtuelle Welten uns fesseln und das Thema dieses Heftes unsere Fantasie in Gang setzen. lautet: „Inspiring Spaces“. Wir müssen uns nur damit ausDoch was sind eigentlich einandersetzen. Und vor allem: inspirierende Räume? Raum die Kulisse um uns herum übernimmt jeder Mensch anders haupt erstmal wahrnehmen. war, wir alle spüren unsere Auch die Menschen, die sich in Umgebung anders. Damit den Räumen bewegen, dort ruist auch jeder Ort für jeden hen oder arbeiten, die diese Menschen unterschiedlich. Räume kreieren oder kuratieren, Mit diesem Magazin möchten gehören zum Gesamterlebnis. wir dazu anregen, die UmgeErst ihre Anwesenheit belebt bung mal aus einer ganz neuen Orte, in denen Handwerk großPerspektive zu betrachten – geschrieben wird – sei das eine denn jeglicher Platz, Ort, Raum Restaurantküche oder eine kann inspirierend sein, ob er Manufaktur, die Möbelklassiker es ist, liegt meist nur im Auge herstellt. Menschen prägen die des Betrachters. Auch ein freies Designs, die unsere Räume erst Feld kann Gedanken und Gezu inspirierenden Orten machen. fühle anregen, eine Wiese, ein In diesem Sinne hoffe ich, dass Wald, das Weltall, ein Büro, eine wir mit diesem Magazin Raum leere Fläche, ein Schlafzimmer, geschaffen haben für ganz ein Dachboden, eine Küche. persönliche, neue Inspirationen. Diese Liste könnte man endlos Any space, any time. weiterführen, denn alles um uns herum ist: Raum. Und über die Ihr Alexander Garbe
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Sofa Element Sitzkissen Mah Jong Design: Hans Hopfer Von Roche Bobois
52 stilwerk Lieblinge 06 Produkte und Orte, die uns inspirieren
Kleine Dinge, groß gedacht 34 Das Geheimnis des Nordic Design: vier Scandi-Labels und ihre Stil-DNA
Design aus dem Märchenwald 76 Weltklasse-Möbel aus einer idyllischen Manufaktur: die Marke Tecta
Psychedelic Living 09 Ewig futuristisch, diese Wohnlandschaft von Verner Panton
„Radical Simplicity“ So einfach ist das Erfolgsmotto des Interiorlabels e15
Dream-Team Die digitalen Entwürfe von Visual Citizens sind traumhaft real
Schwedisches Kronjuwel Will man in einer Bank wohnen? In dieser schon!
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Chaos mit Methode 44 Die Workplace-Konzepte von Kinzo lassen Raum für den Büroschlaf
Local Heroes: Berlin 88 Design-Party: stilwerk in der Kantstraße feiert runden Geburtstag
Kreative Welten Drei Gestalter über die Räume, in denen ihre Ideen wachsen
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Wonderwalls 46 Die coolsten Graffitis gibt’s nicht in New York, sondern in … Gambia!
Local Heroes: Düsseldorf Dio mio! Die knalligen Dauerbrenner von Kartell
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Königin des weißen Goldes 22 Was macht Fine Bone China so besonders? Backstage bei Dibbern
We curate inspiring spaces 52 Räume brauchen Möbel, Möbel brauchen Menschen – hier tobt das Leben!
Local Heroes: Hamburg Ganz entspannte Küchenpsychologie à la Poggenpohl
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Reclaimed Architecture 24 Zweites Leben: eine Weinbar im Berg, ein Museum aus alten Steinen
Gut gebaut 68 Ein soziales Wohnprojekt in Mexiko zum Bauklötze staunen
Local Heroes: Rotterdam 94 Wenn Stadtparks Perlenkette tragen: das Duo New Citizen Design
Lucky Strike Junior Designer Award 32 Der Design-Nachwuchs schläft nicht – bitte sehr, die Preisträger
Lichtgestalten 74 Occhio will mit seinen Leuchten nichts weniger als die Sonne klonen
Kolumne 98 Bazon Brock macht sich Gedanken zum Thema Ortsveränderung
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Text:
Silke
GLÜCK IM GLAS Selbst gemachte Marmelade und der Tag ist dein Freund. Wem das zu zeitaufwendig ist, kauft sich einfach einen Fruchtaufstrich, der nah an Omas Rezepte rankommt. „Glück“ ist prädestiniert dafür: mit 70 Prozent Fruchtanteil und frei von künstlichen Farb-, Aromaund Konservierungsstoffen. Besonders schonend zubereitet, bleibt der volle Geschmack der Früchte erhalten. Diverse Sorten, fein passiert, oder sogar als Honig. mein-glueck.de
Roth
GROSSSTADT-SPRIT Zwei junge Spirituosen-Freaks aus Berlin – klingt zunächst nicht besonders. Bis man ihre „Gourmetspirits“ im Glas hat und nur schwärmen kann. Die Macher destillieren nach Reinheitsgebot in einer Brennerei in Tschechien, wo man noch traditionelle Kupferanlagen benutzt. Das Ergebnis sind eigenwillige Sorten, monatelang ausgetüftelt und mit wenig Grundzutaten,.Ganz neu im Sortiment ist ein Aquavit mit Cranberrys. Skol! gourmetspirits.de
KAKAO MACHT SCHLAU HOCHSTAPLER Unter dem Motto „Crazy about chocolate, ....wie diese, darf man so bunt und wohlgeserious about people“ hat es sich das niederformt schon mal ins Haus lassen. Die markanländische Label „Tony’s Chocolonely“ zum ten Design-Türme von „Continenta“ stapeln Ziel gesetzt, Schokolade fair zu handeln. Mit sich spielerisch nach oben und haben Platz Engagement und nachhaltigen Sourcing-Prinfür all die kleinen Dinge des Alltags. So schön zipien agiert das Unternehmen für soziale einfach war Ordnunghalten noch nie. Die Gerechtigkeit in der Schoko-Industrie. Dabei Holzdosen gibt es in drei Größen und diversen bleibt der Geschmack aber null auf der Strecke: Farbkombinationen. Eine mehrschichtige, Unser Favorit „Karamell Meersalz“ zergeht matte Lackierung und Ringe aus Naturkork auf der Zunge – Genuss mit gutem Gewissen. machen sie robust und einfach zu reinigen. tonyschocolonely.de continenta.de
BESSER WOHNEN ÖFTER MAL ABHÄNGEN Der alte Elbspeicher unweit des legendären Ein junges Start-up aus Darmstadt stellt das Hamburger Fischmarkts trifft auf ein völlig Bürogefühl auf den Kopf – oder vielmehr: neues Gastkonzept. Das „Ginn Hotel“ ist ein hängt es an die Decke. „Floating Office“ bietet gelungener Mix aus smarter Technik, Design mehr Freiraum auf Knopfdruck: Schreibtisch und Umweltliebe: Zimmer und Suiten wurden „Nolex“ verschwindet nämlich auf Smartressourcenschonend eingerichtet; die Menüphone-Befehl im Nu unter der Decke, dank karte verzichtet weitgehend auf Fleisch; alles einer motorisierten Aufhängung mit Seilen. kommt täglich frisch von regionalen LieferanIn Zeiten von steigenden Mietpreisen keine ten. Hier kann man einen bewussteren Lebens- schlechte Idee. Im Januar wird die Innovation stil testen – und mit nach Hause nehmen. auf der IMM in Köln präsentiert. ginn-hotels.com floating-office.info
LASS’ MAL TIERISCH WANDERN Sollte man hier wörtlich nehmen: in Hamburg kann man mit Eseln wandern. Die „Eselei“ beheimatet vier Langohren und bietet geführte Touren an. Bevor es los geht, lernen die Gäste die sympathischen Tiere beim Kraulen und Striegeln kennen, die dann unterwegs geführt werden. Da Esel nur ans Fressen denken, sind Pausen selbstverständlich und ein Picknick möglich. Buchbar sind Halbtages- und Tageswanderungen. die-eselei.de
GRÜNER DAUMEN Ist meist leichter gesagt als umgesetzt. Denn wer ganze Geschäftsräume, Firmenfeiern oder Außenflächen bepflanzen möchte, bräuchte eher ein Dutzend Hände fürs grüne Paradies. Also: lieber gleich vom Profi machen lassen. Bei der Handelsgärtnerei „Grüner Wohnen“ aus Hamburg kann man Grünpflanzen und Palmen auch temporär mieten. Lieferung, Pflege und Beratung für Design-Ideen gehören zum grünen Service. gruener-wohnen.com
WINTERSONNE IM RAUM NORDISCH HIGH „Zu kalt“, „zu hell“, „das blendet“… Wie sehr „Copenhagen Distillery“ nennen sich die gutes Licht ein Stück Lebensqualität ist, wird Experten, die in Handarbeit und mit erst in den Wintermonaten bewusst. Viel Design-Knowhow Bio-Zutaten behutsam Tageslicht zaubert das Modell „Mito volo“ ins in eine Luxusspirituose verwandeln. Neu Zimmer. Die Steuerung der minimalistischen bei den Dänen ist der „Dry Gin“, ein Twist Pendelleuchte erfolgt berührungslos am Leuch- aus nordischem Aquavit und britischem Dry tenkopf. Das Licht wird per Geste geschaltet, Gin. Dabei trifft Wachholder auf Kümmel und gedimmt oder stufenlos zwischen Up- und Dill; Pfeffer, Engelwurz und Kurkuma sorgen Downlight verteilt – auch die Farbtemperatur für den Kick. Wer zufällig in Kopenhagen ist, lässt sich so anpassen. kann sich eine Brennerei-Tour buchen. de.occhio.de copenhagendistillery.com
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ECSTASY ZUM
WOHNEN
Verner Panton Design AG
Vor 50 Jahren entwarf Design-Legende Verner Panton seine psychedelische Wohnlandschaft „Visiona 2“. Eine radikale Zukunftsvision – die heute so inspiriert wie damals.
Text:
Lena
„Ich kann es nicht ertragen“, soll der dänische Designer und Architekt Verner Panton einmal gesagt haben, „in ein Wohnzimmer mit dem klassischen Sofatisch zu kommen und zu wissen: Hier sitzt man nun den ganzen Abend fest“. Wer das Original von damals oder die Ausstellungs-Rekonstruktion seiner Wohn-Utopie „Visiona 2“ kennt, weiß: Weiter entfernt als von so einem Szenario kann man sich angesichts dieses kreativen Feuerwerks gar nicht fühlen. Die 1970 im Auftrag des Chemiekonzerns Bayer für die Kölner Möbelmesse entworfene vierdimensionale Raumwelt, die Heimtextilien aus Kunstfasern bewarb, brach mit allen traditionellen Wohnformen. Der Showroom, den der 1998 verstorbene Däne damals auf dem Rheinschiff „Loreley“ gestaltet hatte, gilt bis heute als eine der revolutionärsten Zukunftsvisionen im Design des 20. Jahrhunderts. Seine Pop-Art-Installation „Fantasy Landscape“ (s. Foto) glich einer Disco aus leuchtenden Farben und organischen Formen. Statt getrennter Räume und dem, was man bisher unter dem Begriff Möbel verstand, entwarf Panton dafür Polsterelemente, die das ungezwungene Lebensgefühl der Zeit widerspiegelten. Mehr schall-
Schindler
und lichtgedämpfte Wohnhöhle als Liegelandschaft, verschwammen die Grenzen zwischen Boden und Decke, das Interieur wirkte wie ein halluzinogener Exzess. Auf manche so sehr, dass Marianne Panton, die Witwe des Designers, in einem Interview sogar mal der Vermutung widersprechen musste, im kreativen Prozess könnten Rauschmittel im Spiel gewesen sein. Ihr Mann habe einfach alle Sinne ansprechen wollen, antwortete sie. Das tut er bis heute. Und obwohl aktuell schlichte Geradlinigkeit und Understatement die Interieur-Welt prägen, ist seine Vision noch immer richtungsweisend, weil sie zeigt, dass Grenzen im Design einzig dazu da sind, überschritten zu werden. Eine Vielzahl von Möbeln, Leuchten und Wandverkleidungen, die er für seine Wohnhöhle entworfen hat, sind später in abgewandelter Form in Serie gegangen. Einige werden noch heute produziert, wie beispielsweise der Lounge-Sessel „Amoebe“ oder der „Living Tower“, mit denen es sich bestens in den Pantonschen Farbrausch abtauchen lässt. Oder, um es in seinen Worten zu sagen: „Man sitzt einfach bequemer auf einer Farbe, die man mag.“
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SCHWEDISCHES KRONJUWEL
Jens Bergstrand
In Stockholms schickstem Stadtviertel Östermalm gesellt sich eine neu gedachte Institution zwischen Luxusmeile und Theaterdistrikt – das Bank Hotel.
Text:
Nur ein paar Schritte vom Hafenbecken entfernt, umgeben von kulturellen Wahrzeichen wie dem Grand Hotel, der Kultstätte Berns Salonger oder dem schwedischen Nationaltheater erstrahlt ein spannender Hotspot in der skandinavischen Metropole: das Bank Hotel, frisch restauriert in seiner über 100 Jahre alten Bausubstanz. Im Jahr 1910 entwarf Architekt Thor Thorén das Bankgebäude, welches schon damals mit seiner mondänen Ausstattung und den Art-Deco-Akzenten vielmehr einem Palast ähnelte als einer kühlen Finanzzentrale. Der markante Mix aus massivem Stein und prächtigen Details ist über die letzten Jahrzehnte nicht verloren gegangen. Doch diverse Banken, Kunstvereine und sogar eine öffentliche Bibliothek hinterließen als temporäre Mieter ihre Spuren. Die Design-Relikte der Vergangenheit wollte man auch beim jüngsten Umbau nicht verschwinden lassen. Beispielsweise die schweren Schwingtüren aus Bronze, empirische Säulen oder das gläserne Dach der einstigen Schalterhalle. Wo heute das Restaurant Bonnie’s fine cuisine serviert, fällt das Tageslicht auf die mächtigen
Silke
Roth
Pfeiler und setzt den historischen Stuck in Szene. Der echte Marmorboden, arrangiert wie ein Schachbrett, wirkt dazu moderner denn je. Nun, und über allem schwebt der Charme der legendären Namensgeberin Bonnie, der weibliche Part des berüchtigten Gangster-Pärchens Bonnie & Clyde. Weitere Zusammenhänge mit dem kriminellen Duo gibt es nicht, aber mit Sicherheit hätten die beiden gern einen Drink in der Papillon Bar genommen: ein Interieur-Juwel, ausgekleidet mit echtem Mahagoni-Holz an Tresen und Wänden. Doch so sehr man das Flair alter Tage hier hochleben lässt, ist das 5-Sterne-Hotel klar im Hier und Heute angekommen. Herzstück des Hauses ist nämlich der junge Art Space. Werke von Nachwuchskünstlerinnen und -künstlern sowie internationalen Art-Superstars werden dort gezeigt. Mit einem Glas Old Fashioned über antikes Marmor zu schreiten und in einer sorgfältig kuratierten Ausstellung zu Ehren des Hip-Hop-Phänomens Wu-Tang Clan zu landen, hat nicht nur sehr viel Stil, sondern ist auch Luxus zeitgemäß gedacht.
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Besuchen Sie unsere Ausstellung im stilwerk Hamburg.
Sie machen unsere Umgebung durchdachter, stilvoller und bunter: Gestalter, Produkt- und Industriedesigner. Doch wie arbeiten diese Ideengeber eigentlich selbst? Wo sind ihre Inspiring Spaces? Und was brauchen sie, um kreativ zu sein? Drei Visionäre, drei Arbeitsplätze.
KREATIVE WELTEN
Silke
Roth
Nanimarquina
Interviews:
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Portrait von Yuhei Taichi, alle anderen Fotos: Nanimarquina
MATHIAS HAHN Seit 15 Jahren lebt der deutsche Designer in London. Seinem Stil hat die neue Heimat gutgetan: reduziertes Design, das immer ein Stückchen Humor transportiert und anders ist. Uns hat er seine Liebe zur Insel und deren Bedeutung für seine Arbeit erklärt. Herr Hahn, Sie leben seit über einem Jahrzehnt in London. Was macht London kreativer? Das kulturelle Leben hat hier eine wahnsinnig große Bandbreite. Auch die Art von Toleranz, die die Stadt bietet, schätze ich sehr. In den Bereichen Kunst, Design, Architektur findet hier ein Austausch statt, der über gewohnte Routinen hinausgeht. Das macht London unschlagbar. Für mich ist sie die einzige voll internationale Stadt in Europa, eine „Cross-Pollination“. Ich sehe Design als Teil einer Kultur. Nicht als isolierte Disziplin, die sich mit einem Thema befasst. Wenn ich an einem neuen Projekt arbeite, habe ich oft eine sehr selektive Wahrnehmung. Da hilft es ungemein, viel Kultur und viele Aktivitäten um sich herum zu haben. Dadurch stelle ich mir andere Fragen und komme auf andere Ideen. Wie arbeiten Sie als Designer? Ich beschäftige mich viel damit, Dinge zuerst verstehen zu wollen. Wofür werden sie benutzt? Wie gehen Menschen damit um? Eigentlich Fragen wie in der „Sendung mit der Maus“, ganz plakativ gesagt. Ich glaube, Design funktioniert ähnlich wie andere Medien auch. Nehmen wir beispielsweise einen Roman. Der Autor hat verschiedene formale Mittel, um seine Geschichte darzustellen. So ähnlich klappt es auch beim Design. Die Sprache der Dinge zu entschlüsseln und neu zu verschlüsseln, finde ich extrem interessant. Vorgänge, die für den Endverbraucher gar nicht wahrnehmbar sind, sondern unterschwellig passieren. Wir sehen ein Objekt, und innerhalb einer Zehntelsekunde haben wir ganz viele Gedanken, die wir damit verbinden. In erster Linie aber Emotionen oder Erinnerungen. Muss gutes Design immer
emotional sein? designt. Da habe ich angefangen, mir Wir nehmen Objekte um uns herum einen Webrahmen zu bauen und dann wahr, weil wir Teil einer Kultur sind Abend für Abend zu Hause gesessen und und jeder sein eigenes Wertesystem mir erstmal angesehen, wie es technisch hat. Diese Ordnung zu erkennen, ist funktioniert, welche Rolle das Material spannend. Damit habe ich als Designer spielt. Für mich ist es wichtig, im die Chance, etwas zu entwerfen, das Entwicklungsprozess in der Lage zu sein, einen emotionalen Effekt auslösen Dinge schnell in die Hand zu nehmen kann. Direkte Emotionen sind eher und handwerklich zu agieren. Typsache. Aber mir geht es darum, dass Wie sieht Ihr Arbeitsplatz aus? ich den Raum dafür schaffe, eigene Ich genieße den Luxus, selbstständig Gefühle und Gedanken an das fremde zu sein und meine eigene Firma zu Ding zu knüpfen. Sie kennen das doch, haben, aber immer noch die Strukturen wenn man vor einem Schrank steht eines Kollektivs von befreundeten und mehrere Gläser zur Auswahl hat. Designerinnen und Designern zu Meist greift man zu einem bestimmten nutzen. Nach unserem Abschluss am Glas, weil Form, Materialstärke und Royal College in London haben wir die haptischen Eigenschaften irgend- damals eine große Lagerhalle gemietet wie sympathisch sind. Ich designe meist und „OKAYstudio“ gegründet. Obwohl Dinge, die reduziert sind. So bieten sie mittlerweile jeder unabhängig agiert, Bühne und Projektionsfläche für eigene haben wir es geschafft, diese Kommune Geschichten. Dann behält man auch zu erhalten. Wir arbeiten Tür an Tür, Objekte länger und schafft ungern Ersatz. aber alles ohne Design-Manifest. Es geht Haben Sie ein Lieblingsstück eher um den Diskurs, das gemeinsame zuhause? Mittagessen und Austausch. Ich bin Ich lasse sehr wenig Design über meine viel unterwegs auf Messen, spreche mit eigene Schwelle und hatte nie das Ingenieurinnen und Ingenieuren und Konsumbedürfnis, Klassiker zu be- Kunden. Es tut gut, zurück im Studio sitzen. Doch ich habe viele Prototypen ein Umfeld von bekannten Menschen von befreundeten Designerinnen und um sich zu haben. Designern, Drucke und Kunstwerke – zu Ist das Ihr Inspiring Space? diesen habe ich einen sehr persönlichen Für mich ist das kein Platz, sondern eher Bezug. Na ja, und dann gibt es beispiels- eine Situation. Ich gehe immer mit einer weise eine Mokkakanne von Richard besonderen Brille und vielen Projekten Sapper für Alessi, die ich irgendwann von im Kopf durch die Welt. Arbeite ich an meinem Vater bekommen habe. Das ist einem Teppich, nehme ich Gewebe beein Teil, das ich, immer wenn ich es be- sonders wahr. Das kann in Hamburg nutze wahnsinnig gern in der Hand habe. im Museum für Kunst und Gewerbe Wie gehen Sie an neue Aufsein, wo ich letztes Jahr eine Führung gaben heran? durch die Archive bekommen habe, die Ich mache viele Handskizzen, gehe dann fantastisch war. Für mich ist es vielmehr an den Computer, aber bin auch oft in ein aktiver, wachsamer Blick auf die meiner Werkstatt. Ich möchte in der Lage Welt, nicht an einem Ort festzumachen. sein, ein Modell zu machen, um Dinge Inspiration heißt für mich: Mit welchen anzufassen. Ich habe neulich zusammen Augen sehe ich die Dinge und was mache mit Nanimarquina einen Teppich ich daraus.
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INEKE HANS Sie gilt als eine der wichtigsten Gestalterinnen in den Niederlanden. Als Designerin, Künstlerin, Visionärin und Professorin pendelt sie zwischen ihren Studios in Arnheim, London und Berlin. Was sie antreibt? Innovative Materialien, spannende Produktionstechniken und die Zukunft des Designs. Willkommen, in der Rushhour der Ästhetik! Ineke Hans, wie würden Sie ihren Job beschreiben? Ich bin Produktdesignerin. Aber um ehrlich zu sein, ist die Bezeichnung nicht ganz passend. Der Schwerpunkt meiner Arbeit war immer das Designen von Möbeln und Produkten. Das können Stühle sein, die im Spritzgussverfahren hergestellt werden, bis hin zu Objekten aus mundgeblasenem Glas. Sowohl für den öffentlichen als auch privaten Raum oder für soziale Projekte. Doch in den letzten Jahren wurde die Frage danach präsenter, was wir eigentlich noch brauchen, in unserer Welt – wo wir doch so viel von allem haben. 2016 habe ich ein neues Projekt gestartet, das sich „Salon“ nennt. Es beschäftigt sich mit der Zukunft von Produkten und von Produkten sowie von Designerinnen und Designern. Im Grunde genommen handelt es sich um Diskussionsrunden, die ich in meinem Studio im Osten Londons führte und spannende Debattierabende, die im Victoria & Albert Museum stattgefunden haben. Hat sich Ihre Arbeit dadurch verändert? Oh ja, der Fokus hat sich gedreht und meine Inspirationswelten verändert. Ich veranstalte nun kritische DesignAusstellungen und sehe die Welt von Produkt- und Industrie-Designerinnen und Designern unter anderen Aspekten – auch negativen. Ich bin heute interessierter und involvierter in Produkttypologien, die mit der Zukunft des Wohnens zusammenhängen. Außerdem habe ich vor zwei Jahren eine Professur an der Universität der Künste in Berlin begonnen. Ich unterrichte dort Design & Social Context, eine sehr spannende Aufgabe. Klingt nach wenig Work-LifeBalance. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus? Ooh… (lacht) Eine schwierige Frage. Jeder
Tag ist anders. Ich reise viel für Messen, zu welche Notwendigkeiten es in ihrem Kunden oder einfach, weil ich eingeladen Lebensraum gibt. Büros haben sich verbin, Vorträge zu halten. Es gibt Tage, an ändert. Durch flexible Arbeitszeiten sind denen ich nur schreibe, organisiere und Möbel nicht mehr das Wichtigste, und E-Mails beantworte. Dann wiederum viele verlegen ihren Schreibtisch nach Tage, an denen ich neue Designs erarbeite Hause. Sofas und einfaches Mobiliar für oder mit Technologien und Materialien Meetings sind viel gefragter als komplexe experimentiere. Ich habe ein Studio in Gesamtlösungen für große Flächen. London, letzten Sommer bin ich nach Spannend finde ich auch, dass die Berlin gezogen. Dort bin ich auf mich allein junge Generation viel weniger an Besitz gestellt, pflege aber trotzdem täglich den interessiert ist. Sie wohnen lieber in kleinen engen Kontakt zu meinen Assistentinnen Häusern, integrieren dafür Smartlösungen und Assistenten in Arnheim. in ihren Haushalt und bestellen online. Haben Sie so etwas wie Das sind alles Faktoren, die meine Arbeit Hobbys? beeinflussen und die ich berücksichtige. Nicht wirklich. Ehrlich gesagt: Ich liebe es Ich arbeite selbst gern mit Technologien zu arbeiten. Ich vergesse an manchen Tagen und Produktionsmethoden, die noch nicht im Studio sogar das Mittagessen. gängig sind. Wo arbeiten Sie am liebsten? An was tüfteln Sie gerade? In meinem Homeoffice. Ich hasse steife Wir haben soeben ein Interieur-Projekt in Richtlinien und Formalitäten. Amsterdam fertiggestellt. Ein Sitzungssaal Wie sehen Ihre Studios aus? mit neuen Stühlen. Dort haben wir verMein Berliner Atelier ist noch eine Baustelle sucht, diesem sehr klassischen, bestuhlten und braucht dringend ein paar handwerk- Raum einen anderen Look zu geben. Es liche Arbeiten. Es ist viel kleiner und ein- ist eine völlig neue Art von Stuhl und ich samer als das Studio in London. Man bin sehr gespannt, wie sie ankommt. Ich würde es „low key“ kennen, aber dadurch hoffe, wir können die Entwürfe bald mit bin ich gezwungen, mich zu fokussieren einer schwedischen Manufaktur umsetzen. und werde nicht abgelenkt. Ein wichtiger Welche Verantwortungen Punkt für mich! Mein Studio in Holland ist tragen Designerinnen und sehr groß. Ich schätze, 480 Quadratmeter, Designer in Zukunft? mit einer großen Werkstatt, in der ich Wir können es uns nicht mehr leisten, nur Metall und Holz bearbeiten kann. Um neue Dinge zu produzieren; wir sind Teil der ehrlich zu sein, sieht es dort ein wenig aus Produktionskette und müssen Prioritäten wie auf einem Trödelmarkt. Alle möglichen setzen. Als Problemlöser sind wir sehr gut, Objekte, an denen ich arbeite, die ich aber anstatt unsere Energie darauf zu verinteressant finde oder einfach nur Sachen, schwenden, immer neue, noch trendigere die gelagert werden müssen, sammeln sich Dinge zu entwerfen, sollten wir unseren dort an. Fokus auf Inhalte und Projekte setzen. Ob Sie nun in Arnheim Nachhaltiger designen, viel mehr reflektieren oder Berlin kreativ sind – und den Impact auf die Gesellschaft abwie arbeiten Sie? wägen. Und natürlich Produkte schaffen, Ich sehe mir grundsätzlich immer das die wirklich Sinn machen. So etwas beim Verhalten von Menschen an, welche Kunden durchzusetzen, dürfte unsere Anforderungen sich daraus ergeben und schwierigste Aufgabe sein.
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Portrait von Lennard Heijer, Studioshots: studio ineke hans
BENJAMIN HUBERT Mit gerade mal 26 Jahren gründete Benjamin Hubert seine Designagentur in London. Seither hat sich der Brite mit seiner Agentur LAYER einen Namen gemacht. Mit seinem Team von 30 Kreativen liefert er Ideen, Strategien und verdammt gutes Design für Big Player wie Nike, Google und Vitra. Und formt nebenbei auch noch eigene Möbel. Woher nimmt man so viel kreativen Drive?
Mr Hubert, wo kommen Ihnen So arbeitet man einfach besser zudie besten Ideen? sammen. Die Küche ist die inoffizielle Im Grunde genommen kann das über- Meeting-Ecke: ein guter Platz für einen all sein, solange mein Kreativ-Team um Austausch beim Lunch oder Drinks mich ist. Wir arbeiten sehr eingespielt nach Feierabend. Insgesamt hat alles und dynamisch zusammen. Uns in- einen sehr industriellen Edge mit unspirieren die Menschen, die im Studio verkleideten Kabeln und Technik. Das arbeiten und natürlich unsere Kunden, gibt dem Ganzen einen sehr ehrlichen für die wir eine Umgebung designen. Charakter. Eine 60 Jahre alte Werkbank Austausch mit anderen ist für mich das ist übrigens der Mittelpunkt unserer Wichtigste – dann ist die Umgebung Werkstatt. relativ egal. Klingt wie eine moderne KünstlerWie haben Sie ihr Studio dahinKommune. Was brauchen Sie gehend ausgerichtet? persönlich, um kreativ zu sein? Wir sind Industrie- und Digital-Designer, Musik ist wichtig! Ich stehe total Ingenieure, Künstler, Marktforscher und auf elektronische Sounds, besonders Markenexperten aus allen Teilen der Welt Minimal-Electro. Das neue Thom Yorkeund arbeiten auf 325 Quadratmetern Album „Anima“ ist aktuell mein Favorit. in einer großen Lagerhalle in Hackney Dazu kommt viel natürliches Licht im Osten Londons. Die Fläche ist ge- und Platz, um zu skizzieren und die räumig, funktional, flexibel und wandel- Konzeptideen auszubreiten. Idealerweise bar, so können wir uns ausbreiten und liegen viele Inspirationsquellen aus: alles unseren Bedürfnissen anpassen Bücher, Magazine, Wasserfarben, – ja, sogar Prototypen präsentieren. Materialproben. Dazu noch, klar, W-Lan. Der Eingangsbereich führt in eine Was machen Sie, wenn Ihnen eingroße Gemeinschafts-Area, die mit fach keine guten Ideen kommen? selbstentworfenen und schalldichten Ich schränke mich nie auf nur eine Trennwänden ausgestattet ist. So haben Inspirationsquelle ein. Ich trage immer wir die Möglichkeit an unterschiedlichen ein Moleskine-Notizbuch bei mir, so Projekten ungestört zu arbeiten. Vitrinen kann ich spontane Ideen unterwegs festan den Wänden zeigen neue und aktuelle halten. Lesen hilft mir, meine Gedanken Lieblingsprodukte. Wir hängen ständig zu sammeln. Ein relaxter Kopf kann viel aktuelle Inspirationen, Materialien, besser über Lösungsansätze nachdenken. Charts und festgehaltene Arbeitsprozesse Haben Sie für die Lösung auf. Unser Meeting-Space ist ein abeines Alltagsproblems immer gedunkelter Glaskubus – das wirkt zudie passende Vision im Kopf? nächst dramatisch, dennoch bleibt er Oder ist ihre Arbeit als Teil des Ganzen. Es ist für mich super Designer ein Prozess? wichtig, dass die Räumlichkeiten offen Beides trifft zu. Es ist immer wichtig, sind und sich miteinander verbinden. eine klare Vorstellung zu haben, um das
große Ganze zu sehen und zu wissen, wo die Reise hingeht. Ziele muss man sich stecken. Doch dort kommt man nur hin, wenn man bildlich gesprochen ziemlich viele Seitenstraßen abwägt und auch mal Abzweigungen nimmt. Vielleicht muss man auch einen Schritt zurückgehen, weil es das spätere Produkt besser macht. Ist ein Designer also vielmehr Problemlöser? Absolut. Wie kann ich die Situation angenehmer machen mit einer durchdachten Designidee? Es geht oft darum, einen positiven und gesünderen Einfluss auf das Leben anderer zu nehmen. Es ist wirklich so simpel, wie es klingt: Mach einfach den Alltag besser und Menschen glücklicher. Was macht Sie glücklich? Ich reise viel. Metropolen sind für mich sehr spannend, dort entdecke ich Kulturen oder Food-Szenen. Das Eintauchen in eine fremde Umgebung hilft mir dabei, völlig abzuschalten und viel Neues aufzunehmen. Außerdem versuche ich, so oft es geht zu surfen. Dabei kann ich von Dingen wie Smartphone oder Emails nicht abgelenkt werden, es ist wie ein Reset-Knopf. Wo sind ihre „Inspiring Spaces“? Ich bin oft in San Sebastián, eine Stadt an der baskischen Küste Spaniens. Eine großartige Kombination aus tollem Essen, Kultur, Natur und guten Wellen. Zuhause in London würde man mich oft im „Japan House“ treffen – ein genialer Laden für Handwerk und Kunst. Man bekommt einen tollen Einblick in die japanische Kultur, die sich liebevoll Objekten oder spannenden Ritualen widmet.
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Dibbern / Fotograf: Jรถrg Wischmann
Kร NIGIN GOLDES DES WEISSEN
ADVERTORIAL
Sie eint Tradition und Moderne wie kaum eine andere – die Porzellanmanufaktur Dibbern. Ihr Herzstück ist das Wertvollste, was auf die Tafel kommen kann – Fine Bone China. Ein Blick hinter die Kulissen.
Text:
Tanja
Wir tafeln wieder, gern mit Familie und Freunden, und immer häufiger auf feinem Porzellan. Das gute Geschirr feiert eine Renaissance, eine neue Eleganz erobert den Tisch. Hier kommt Dibbern ins Spiel. Traditionelle Handwerkskunst in Verbindung mit ästhetisch durchdachter Einfachheit – das ist die Philosophie der Porzellanmanufaktur. Zeitloses, schlicht-schönes Design trifft auf einen Qualitätsanspruch, der seinesgleichen sucht. Das Hamburger Familienunternehmen produziert in Deutschland, auf hohem ökologischem Standard. Es hat sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben – in der Fertigung wie auch im Design. Das ist modern und schnörkellos. Produkte mit dem Zeug zum Klassiker. Eben Geschirr, das viele Jahre in Gebrauch bleibt – nicht selten über Generationen hinweg. Ob in der Sterne-Gastronomie, der First Class von Lufthansa oder im Bundeskanzleramt – diniert wird auf Dibbern, genauer auf Fine Bone China, der Königin des weißen Goldes. Das technisch und handwerklich anspruchsvollste Produkt in der Porzellanherstellung, unerreicht in seiner Stabilität und dabei doch so dünnwandig und zart. Der hohe Anteil an Knochenasche, die dem kostbaren Material seinen Namen leiht, trägt zu seiner enormen
Müller
Dichte und Festigkeit bei. Die Grundrezeptur des feinen Porzellans aus China ist Jahrtausende alt. Bei Dibbern werden die Fine Bone China-Teller auch heute noch nach traditioneller Art gedreht und nicht wie in der industriellen Massenfertigung gepresst. Und das auf geschichtsträchtigem Grund: Firmengründer Bernd T. Dibbern und seine Söhne Jan und Ben Dibbern fertigen in Hutschenreuthers einstigem Porzellanwerk in Hohenberg/Bayern, das Mitte der 90er-Jahre schließen musste. Der Standort der ersten privaten Porzellanmanufaktur Deutschlands, 1814 von Carolus Magnus Hutschenreuther gegründet. Mehr als 100 Mitarbeiter fertigen hier das Fine Bone China für Dibbern, drehen Teller in Handarbeit, gießen Hohlkörper wie Kannen, Terrinen oder Saucieren aufwendig in eigens angefertigte Gipsformen. Jeder Porzellanrohling wird von Hand geglättet und verputzt, Henkel behutsam angarniert. Nach dem ersten Brand erhält die Form eine blei- und cadmiumfreie Glasur, die beim zweiten Brand zu einer spiegelglatten Schicht schmilzt. Viele Arbeitsstunden und vier Tage im Brennofen liegen hinter dem feinen Porzellan, wenn es auf den Tisch kommt.
Links: Ein sanfter Schwung charakterisiert die Form "Delice" Mitte: Zeitlos: Die Skizze zeigt das Urmodell einer Sauciere Rechts: Nach dem Trocknen wird der Rohling verputzt
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Krautkopf
AUF DIESE STEINE KÖNNEN SIE BAUEN
Wir möchten Ihnen nur ungern Steine in den Weg legen. Aber diese hier muss man gesehen haben: Im süditalienischen Matera hauen belgische Architekten eine Weinbar in ein neolithisches Weltkulturerbe. In China wird es dagegen richtig schräg, dort ragt ein „Lowscraper“ aus 1500 Jahre alten Backsteinen diagonal in die Luft. Kurz: Diese Geschichte ist in Stein gemeißelt.
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Text:
Annika
Nur Fleisch und Nüsse auf dem Teller können sehr eintönig werden. Gut also, dass die Paleo-Diät jetzt durch Paleo-Living abgelöst wird: wohnen wie in der Steinzeit. Ein Trend, der nicht überall neu ist. In der apulischen Stadt Matera etwa graben sich die Wohnungen, die "Sassi de Matera" – nach dem italienischen Wort für Stein –, tatsächlich schon seit der Jungsteinzeit in den Fels. Nicht ganz förderlich für die Immobilienpreise: Mitte des letzten Jahrhunderts brachen in den Grotten aufgrund mangelnder Hygiene Malaria, Typhus und Cholera aus. Eine „nationale Schande“ nannte der damalige Ministerpräsident Alcide De Gasperi den Ort an der Ferse des italienischen Stiefels, die Bewohner wurden zwangsversetzt. Mit der Ernennung zum UNESCO Welterbe im Jahr 1993 und jüngst dem Titel Kulturhauptstadt 2019 hat sich Matera aber wieder berappelt. Jetzt kommen die Kreativen. Einer von ihnen ist Jan De Vylder vom flämischen Architektentrio „de vylder vinck taillieu“. Der 51-jährige meißelte eine Weinbar in den Tufo, so nennen die Menschen hier das weiche, helle Gestein, das eigentlich kein vulkanischer Tuff, sondern Kalkstein ist. Seinen Wettbewerbsentwurf skizzierte der Belgier, ohne jemals vor Ort gewesen zu sein. Aber er hatte Glück, denn die Dimensionen stimmten – und mit dem ortsansässigen Architekten Michele Andrisani hatte er zudem noch eine Art Urgestein an seiner Seite. „Michele wusste genau, was möglich war. Und vor allem, was nicht. In Matera gibt es keine Straßen, keine Autos, nur verwinkelte Gassen. Da kannst du nicht mit einem Kran ankommen. Das hier ist alles Handarbeit“, sagt De Vylder über die Enoteca dai Tosi. Deren Herzstück, eine breite Treppe, die über drei Stockwerke in den Berg führt. Auf jeder Etage: Räume mit naturbelassenen Wänden und Decken. „Die meisten Gäste gehen erst einmal nach unten an die Bar und dann noch weiter runter in den Schatz-
Thomé
keller.“ Falsch – die meisten Gäste sind erstmal wahnsinnig froh, dass sie die Bar im Labyrinth der Felsenstadt überhaupt gefunden haben. Aber lassen wir De Vylder ausreden: „Da sitzt man dann bei einer guten Flasche, lernt jemanden kennen, kommt wieder hoch – und dann entdeckt man die Zisternen, die man am Anfang nicht gesehen hatte und in die man sich verkriechen kann wie in ein Privatzimmer“, sinniert der Architekt. „Ich habe das Gefühl, wir haben die gesamte Architektur der Stadt genommen, auf den Kopf gestellt und in eine Höhle gesteckt.“ Der Belgier gibt zu, schon lukrativere Aufträge ergattert zu haben. „Manchmal muss man aber auch die brotlosen Projekte annehmen. Wer darf schon ein Welterbe aushöhlen?“ Bezüglich des Inventars machte sich De Vylder vor allem um die Akustik Sorgen. Grundlos. „Der Tuff absorbiert einen Großteil der Geräuschkulisse. Ich war überrascht, wie gut man sich noch unterhalten kann, selbst wenn die Räume rappelvoll sind. Das ist bei Stein normalerweise ein Problem.“ Das Grün der Einrichtung, der Holzschemel und Lampen etwa, eine Sonderanfertigung aus Norditalien, greift die für Matera typischen Farben der Fensterläden auf. „Ansonsten war alles regional. Die Handwerker, die wir anheuerten, die sogenannten Tufaroli, kennen sich aus mit den Grotten. Ihr Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben.“ In der Regel arbeiten die Tufaroli mit elektrischen Handsägen. Je nach Felstiefe verändere der Stein allerdings seine Härte und Dichte. Und an hartem Tuff könne man sich durchaus die Zähne ausbeißen. Dann greifen die Materaner, deren Eltern und Großeltern übrigens froh sind, nicht mehr im Fels wohnen zu müssen – sie haben jetzt eine Wohnung mit Fenstern, ein Traum! –, zu einem alten Holzwerkzeug mit Metallzähnen, das den Stein abhobelt, „als wäre er Parmesan“. Sehr, sehr alter Parmesan.
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Fotos: Delfino Sisto Legani
wieder auf die Baustelle kamen und das Ganze mit Argwohn beobachteten und etwas ,Zeitgemäßeres, dem technischen Fortschritt Angemesseneres‘ forderten, öfter erklären“, erzählt der 58jährige. „Low-tech ist nicht Synonym für laienhaft.“ Wobei Wang Shu durchaus Platz lässt für Anfängerfehler. Oder besser: Materialfehler. „Irgendwann standen wir vor einer Kurve, die eigentlich eine Gerade hätte sein sollen. Es gab hitzige Debatten darüber, ob wir den Fehler im wahrsten Sinne des Wortes begradigen sollten oder nicht. Schlussendlich habe ich alle Parteien überzeugen können, der Natur ihren Lauf zu lassen. Man kann nicht alles kontrollieren“, so der Architekt. „Guckt hinauf in den Himmel – alles, was ihr sucht, findet ihr in den vorüberziehenden Wolken“, soll er seinem Team gesagt haben. Was ihm unter den Handwerkern den Beinamen „Shifu“ einbrachte. „Meister“ nennen sie ihn jetzt, anstelle von „Laoshi“, Lehrer. „Das ist nett. Ich fühle mich wie ein alter chinesischer Philosoph“, lacht Wang Shu, der sich gern auch von einheimischer Landschaftsmalerei inspirieren lässt. Was man sofort glaubt, wenn man durch den 30 Meter langen Eingangstunnel des Museums schreitet und im hellen Atrium über die Betonwände streicht, die in Bambusmatten gegossen wurden, und so das für Bambus typische Muster aufweisen. Nimmt man eine der drei ausladenden Treppen zu den oberen Ausstellungsräumen, kann es sein, dass man urplötzlich wieder ins Freie tritt, auf eine große, offene Fläche. Lustigerweise fühlt es sich an, als hätte man gerade einen Berg erklommen. „Genau das wollte ich erreichen!“, freut sich Wang Shu. Dass Besucher auf der Vergangenheit herumklettern wie auf einem Berg. „Letztlich habe ich ja den Zuschlag bekommen, weil Ningbo imstande war, seine Geschichte komplett auszulöschen“, so der Architekt. Pritzker-Jury-Mitglied Baron Peter Palumbo sagte bei Wang Shus Auszeichnung: „Seine Arbeiten bewegen sich jenseits der Frage Alt oder Neu. Seine Bauten sind zeitlos, tief verwurzelt in ihrem Kontext und trotzdem weltumfassend.“ Und auf einmal waren sie vergessen, die Vorwürfe, dass Wang Shu den rückständigsten Teil von Ningbo in das fortschrittlichste Viertel holte. Der Architekt dazu: „Genau darum geht es doch bei einem Geschichtsmuseum. Und wir haben mit den recycelten Wänden viel Geld gespart. Wir sind unter dem Budget von 5000 chinesischen Yuan pro Quadratmeter geblieben, das entspricht etwa 650 Euro.Und viel wichtiger noch: Wir haben Ressourcen geschont. Was bitte ist fortschrittlicher als das?“ Eben. So kann nur ein echter Shifu sprechen.
Fotos: Blaine Brownell
Einmal um den halben Erdball, in der Sechs-MillionenMetropole Ningbo, südlich von Shanghai, achtgrößter Containerhafen der Welt, gilt regionale Identität derweil als limitiert und hinterwäldlerisch. Lieber macht man ganze Dörfer dem Erdboden gleich, als sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Genau das geschah auf dem Gelände des Ningbo Museums im Stadtteil Yinzhou. Über 30 Siedlungen mussten hier einem neuen Verwaltungszentrum, einem Park und dem Museum weichen. Aber dann platzte Pritzker-Preisträger Wang Shu, 58, vom Architekturbüro Amateur Architecture wie ein chinesischer Glücksdrache in die Ödnis. Anstatt den Schutt der Häuser abtransportieren zu lassen, sammelte Wang Shu die Überbleibsel, graue Backsteine und rote Ziegel in 20 verschiedenen Farbabstufungen, höchstpersönlich ein. Seine Idee: Das, was man normalerweise im Inneren eines Museums findet, sollte nach außen – und damit eine nur 24 Meter hohe, aber kolossale Demonstration gegen die anhaltende PlanierModerne sein. Höher wollte er seinen festungsartigen „Lowscraper“ nicht bauen. Das Ding sollte stattdessen schräg in die Breite wachsen und damit Ningbos alten City-Code einhalten, demzufolge die Dächer höchstens besagte 24 Meter in den Himmel ragen durften. Noch betagter als dieses Gesetz sind nur die von Wang Shu eingesammelten Abrisssteine selbst. Sie datieren bis zu 1500 Jahre zurück in die Tang-Dynastie. Die Art, wie Wang Shu sie aufeinandertürmte, lässt die Fassade des Museums nicht nur aussehen wie türkisches Baklava-Gebäck, sie hat in Gegenden wie dieser, in der oft Taifune wüten, Tradition. Häuser, die in Trümmern lagen, mussten schnell wieder stehen. Am zackigsten ging das mit einer Art des Schichtens ohne Mörtelzusätze, im Osten Chinas "Wapan" genannt. „Zackig“ war Imperativ bei Wang Shus Projekt. Der Architekt hatte nur wenige Monate Zeit, den 30.000 Quadratmeter großen Kulturbau zu planen. Details zu den zukünftigen Exponaten gab es keine. Nun wäre Wang Shu nicht Wang Shu, wenn er nicht trotzdem für jede Wand farbige Skizzen anfertigen lassen, um vor Ort alles wieder über den Haufen zu werfen. Zeitlich blieb er dennoch im Rahmen. Was mit Sicherheit auch an seinem Enthusiasmus liegt. „Amateur bedeutet für mich nicht, neu im Job oder dilettantisch. Es geht mir eher um die Energie, die man am Anfang seines Berufslebens hat. Die Lust, etwas zu schaffen, dieses unbedarfte Entdecken von Neuland, das ganz andere Möglichkeiten eröffnet. Das musste ich den Repräsentanten der Stadt, die immer
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ADVERTORIAL
UNTERWEGS ZUHAUSE
MOIA
Das VW-Tochterunternehmen MOIA katapultiert das Thema Ride-Sharing auf ein neues Level. Und kutschiert seine Gäste in eine umweltbewusste und sehr bequeme mobile Zukunft.
Text:
Natali
Stellen Sie sich vor, Sie sind nach einem langen Arbeitstag zu müde für komplizierte Fahrtwege. An dieser Stelle kommt MOIA ins Spiel: Ein goldgelbes Mobil rollt leise durch den tobenden Verkehr; hält genau vor Ihnen, die Schiebetür öffnet sich, der Fahrer begrüßt Sie freundlich mit Ihrem Vornamen. So oder so ähnlich beginnt das MOIA-Gefühl – und setzt sich ähnlich erquicklich fort. Seit einiger Zeit sieht man die eleganten E-Mobile durch Hamburg fahren. Auch in Hannover ist der Dienst schon am Start, allerdings noch mit Kraftstoffbetrieb; weitere Städte sollen folgen. Denn das Konzept der VW-Tochter geht auf: maximalen Service zumminimalen Preis zu bieten, und das Thema Ride Sharing zukunftsfit zu machen. Für den Fahrgast heißt das konkret: Er bucht sich sein MOIA per App und teilt mit bis zu fünf Mitfahrern eine Teilstrecke seines Weges. Die Navigation übernimmt ein komplexer Algorithmus. Vor Fahrtantritt zeigt die App an, wann man da ist und was es kostet. Trotz kleiner Umwege erreicht so niemand sein Ziel später als angekündigt. Doch die neue Art der Fahrgemeinschaft hat noch mehr Vorteile, denn die Fahrzeuge fahren auch in Sachen Design
Michaely
ganz vorn mit. Das Interieur erinnert an ein Wohnzimmer im Mini-Format und ist vergleichbar mit Tiny Houses, in denen dank Smart-Technik und klugem Design auf kleinem Raum ein ganzes Einfamilienhaus Platz findet. Ellenbogen an Ellenbogen? Selbst wer keinen Kontakt zu den anderen wünscht, kann sich entspannen. Der Innenraum ist großzügig genug gestaltet, um dem Nachbarn nicht auf die Pelle zu rücken. Dazu kommt: Statt sich vollbepackt auf eine Rückbank quetschen zu müssen, kann man kleinere Taschen unkompliziert im Gepäckfach deponieren und es sich auf einem der freistehenden Sesselsitze bequem machen. Schnelles WLAN, dimmbare Leselampe oder USB-Ports zum Laden von Smartphones gehören zum Standard des Shuttleservices. Bei der Farbe war den Designern wichtig, dass sie aus Sicherheitsgründen selbst bei schlechtem Wetter gut zu erkennen ist. Insofern wurde klassisches Schwarz mit „Maya-Gelb“ kombiniert, ein Ton, der die Zeitlosigkeit des Designs unterstreicht und gleichzeitig wohnlich, edel und ein bisschen futuristisch wirkt. MOIA ist ein neuer Player, der den Verkehr der Zukunft gestalten will und das Wohnzimmergefühl auch unterwegs möglich macht.
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DESIGN ZUM VERBESSERN
WELT
stilwerk
Auch 2019 wurde der Lucky Strike Junior Designer Award in fünf Kategorien verliehen. Von Mode für Menschen mit Down-Syndrom bis Pastikmüll-Recycling, hier kommen die Ideen von morgen.
Text:
Natali
Brauchen Menschen mit Down-Syndrom besondere Kleidung? Ja, findet Martha Berwanger und tüftelte eine Kollektion aus, die ihren Trägerinnen und Trägern das Leben erleichtern soll. Dabei geht es der Studentin der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin nicht um optische Unterscheidung – Marthas Mode ist „cool“ und trendversiert. Doch was die Handhabe angeht, packt sie eine Schippe drauf: durch ein neues Größensystem und alternative Verschlussvarianten. „Der Arbeit liegt eine umfangreiche Forschung zugrunde“, lobte Professorin Grit Seymour in ihrer Laudatio. „So ist eine attraktive Kollektion entstanden, die dazu beiträgt, Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein zu stärken und die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft zu erhöhen.“ Ebenso wie vier Mitbewerberinnen und Mitbewerber erhielt die Studentin den Lucky Strike Junior Designer Award, der mit insgesamt 10. 000 Euro Preisgeld dotiert ist und dem DesignNachwuchs eine Plattform geben soll. Denn dessen visionäre Arbeiten sind weit davon entfernt, sich bloß mit schöner Gestaltung zufriedenzugeben; sie wollen die Welt zu einem lebenswerteren Ort machen – auch für Menschen mit Beeinträchtigungen. So musste sich Martha Berwanger ihren Award mit einer Kommilitonin ihrer Uni teilen: Nathalie Weber, die mit „Feinfühlig. Eine Kollektion für hochsensible Menschen“ gewann. Ein Thema, das rund 20 Prozent der Weltbevölkerung betrifft, Tendenz steigend. Jury-Mitglied Dr. Angela Schönberger würdigte besonders die smarten Materialen:
Michaely
„Natürliche, nachhaltige, antibakterielle und Elektrosmog abweisende Stoffe, die einen Wohlfühlraum und eine Schutzhülle bieten. Im Zeitalter von Cyber-Kriminalität bewahrt zudem der Einsatz abschirmender Materialien die Smartphones, Kreditkarten und Keyless-Go-Schlüssel vor Datenklau.“ Auch die weiteren Kategorie-Gewinner zeigten, dass Greta Thunberg nicht allein ist: Changyang Yan entwickelte ein Messgerät zur Wasserregulierung für chinesische Kleinreisbauern. Stefanie Grawe erforschte, inwieweit der kreative Schaffensprozess einer Musikerin/eines Musikers durch den Einsatz künstlichintelligenter Software unterstützt – oder eben kontrolliert – wird. Das fünfköpfige Sieger-Team der Muthesius Kunsthochschule Kiel erarbeitete eine Studie zur Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs auf der Kieler Förde. Ziel: eine nachhaltige Mobilitätskette zu entwickeln, die dem umweltbelastenden Stadtverkehr eine Alternative bietet. Und Enis Akiev gewann mit einem Projekt, das sich der Plastikschwemme in der Natur annimmt: Mittels einer Synthese aus Leichtkunststoffabfällen und geologischen Bestandteilen kreierte sie ästhetische Plattenmaterialien. Alexander Garbe, Inhaber von stilwerk und Vorstandsvorsitzender der Raymond Loewy Foundation, die den Preis stiftet, zeigte sich jedenfalls sehr zufrieden: „Design bleibt eine Chance, um auf die Gestaltung gesellschaftlicher Belange Einfluss zu nehmen.“
Stilvoll schalten. Der LS 1912 in Dark vereint hochwertiges Material mit klassischer Schalttechnik. JUNG.DE
Raawi
KLEINE GROSS GEDACHT
DINGE,
Niemand beherrscht den Mix aus Funktionalität und Ästhetik so brillant wie skandinavische Kreative. Wohnwelten zu verändern, gelingt ihnen schon mit kleinen Accessoires und genialen Basics. Vier spannende Nordic-Brands, die dies perfektioniert haben. Text:
Silke
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Roth
RAAWI
Fotos: Raawi
Gegründet vor gerade mal zwei Jahren, arbeitet das Kopenhagener Design-Studio nach drei Prinzipien: Alle Objekte streben nach einem Sinn für Proportionen. Die Produktion erfolgt mit Respekt für Mensch und Gesellschaft. Und: Man lässt Raum für die Designerin/den Designer. Was daraus entsteht, sind aufwendig verarbeitete Keramik- und Glasobjekte, die stilvoll-farbig und einprägsam sind. Für die aktuelle „Strøm Collection" wurde Designer Nicholai Wiigh Hansen zum Beispiel vom frühen Kubismus inspiriert. Er experimentierte und modellierte so lange, bis alle Keramikformen für Kannen, Schalen und Vasen perfekt waren. Und das heißt im Raawii-Kosmos: Sie besitzen ausgewogene geometrische Formen, nehmen den Raum selbstbewusst für sich ein, agieren bei Bedarf miteinander, aber vernachlässigen niemals ihre eigentliche Funktion.
RO COLLECTION
Fotos: Ro Collection
Die Liebe zum Handwerk und die Verwendung von ressourcenschonenden Materialien haben im dänischen Designkollektiv oberste Priorität. Alle Designerinnen und Designer arbeiten eng mit alten Manufakturen zusammen. So sind die mundgeblasenen Vasen, das Geschirr und die Servierbretter dafür kreiert, ein Leben lang zu halten. Alles wird in europäischer Produktion gefertigt. Das Holz kommt aus verantwortungsvoller Forstwirtschaft, und bei der Glasherstellung werden nur echte Farbpigmente verwendet. Diese Verantwortung gegenüber gewissenhaftem und hochwertigem Design geben die Kreativen auch an ihre Kunden weiter. Verliert das Produkt seine bisherige Funktion, soll es wiederverwendet werden und an anderer Stelle zum Einsatz kommen. So wird aus dem Servierbrett, welches einem Fischgrät-Parkett gleicht, ein Kunstelement zum Aufhängen oder die Blumenvase ein Halter für Kerzen und andere Utensilien.
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KASTHALL
Fotos: Kasthall
Die Heimtextilien des über 120 Jahre alten Unternehmens schmücken neben royalen Residenzen auch Boutique-Hotels oder Yachten auf der ganzen Welt. Angesagte Designer von London bis New York reißen sich um Kooperationen mit den erfahrenen Teppichmachern. Dabei hat alles ganz klein angefangen. Im Jahr 1898 zog die Elektrizität in die westliche Provinz Schwedens ein; etwa zur gleichen Zeit beschloss Geschäftsmann Ludvig Andersson, den kleinen Ort Kinna für gutes Design bekannt zu machen. Der Hauptsitz der Luxusteppiche ist immer noch dort. In Kinna werden alle Produkte entworfen und aus hochwertigen Naturmaterialien und Rohstoffen gewebt oder von Hand gezupft. Jeder Produktionsschritt wird überwacht, jeder Teppich entsteht auf Bestellung und bleibt ein Unikat. Kommt es zu Überproduktionen, werden daraus Kissen genäht, wie jüngst in der „Fogg“-Kollektion die moderne Variante eines Flokatis.
Seit über 150 Jahren verbindet Averna Zitrusund Lakritznoten mit mediterranen Kräuteraromen. Spielerisch bringt der milde Kräuterlikör nicht nur den Geschmack Siziliens, sondern auch Freunde und Familie zusammen und zelebriert die traditionelle Amaro-Kultur sizilianisch-lässig.
AVERNA AUF EIS Klassisch wird Averna pur und auf Eis serviert. Um den typischen Geschmack noch zu verfeinern, kann je nach Belieben frischer Rosmarin, Salbei oder auch Thymian hinzugefügt werden – Zitronen- oder Orangenzesten sorgen für den fruchtigen Finish – Salute!
Enjoy responsibly
AVERNA.DE
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Gärsnäs
GÄRSNÄS Markante Holzmöbel sind das Markenzeichen der schwedischen Traditionsmarke. Mit Åke Axelsson an Board, einem der bedeutendsten Innenarchitekten des Landes, gehören die Sitzmöbel heute zum schwedischen Kulturgut. In den frühen 1960er-Jahren entwarf Axelsson seinen ersten Stuhl für Gärsnäs – die Zusammenarbeit hat bis heute Bestand. Über 100 Modelle sind daraus enstanden, darunter auch der Klapsessel „Ferdinand“. Alle Möbelstücke werden in der eigenen Manufaktur im südschwedischen Schonen hergestellt. Dafür arbeiten Möbelschreinerinnen und -schreiner verschiedener Generationen zusammen und teilen jahrhundertealte Methoden. Holzstuhl „Madonna“ etwa wurde von Designer David Ericsson im Jahr 2015 entworfen und zählt schon zu den Klassikern. Auch weil er den Stuhl so nachhaltig konzipierte, dass er biologisch abbaubar ist und alle Messingteile recycelt werden können.
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DAS ZWEITE LEBEN VON DEUTSCHER EICHE Vor 25 Jahren gründete der Architekt und Designer Philipp Mainzer die Firma e15, wenig später kam die im Iran geborene Modedesignerin Farah Ebrahimi hinzu. Ihr kongeniales Verständnis von Gestaltung und Geschmack, aber auch ihre Unterschiede machen e15 zu einer Möbelmarke, die immer wieder neue Standards setzt. Wurde e15 1995 noch nach der Postleitzahl des ersten Studios im Londoner East End benannt, arbeitet und lebt das Paar heute in Frankfurt. Ein Gespräch über Konstanten und Kontraste.
Text:
Manuel
Welche der Gestaltungsprinzipien, die Sie vor 25 Jahren formulierten, haben auch heute noch Gültigkeit für e15? Farah Ebrahimi: Zwei Wörter, auf die wir immer wieder zurückkommen, sind „radical simplicity“. Es war damals sehr radikal, Massivholztische aus deutscher Eiche herzustellen. Ein damals ungeliebtes Material, das Philipp in sehr simple und dadurch umso aussagekräftigere Formen übersetzt hat. Das war nicht nur der Ausgangspunkt unserer Firma, sondern eine Marke in der zeitgenössischen Designgeschichte, ein völlig neuer Impuls. Philipp Mainzer: Ich habe aus einem Bauchgefühl heraus angefangen. Aus dem Glauben daran, dass da etwas ist, eine Idee, ein Produkt, das der Welt fehlt. Das waren zu Beginn vier Tische, von denen wir noch immer drei in unserer Kollektion haben, und die sich nach wie vor gut verkaufen. Tatsächlich beschreibt „radical simplicity“ nicht nur diese Tische, sondern noch immer unsere klare Formsprache, gekoppelt mit einer Materialität, die vor allem ehrlich ist. Mit jedem Stück versuchen wir, uns dieser Radikalität weiter anzunähern. Was vor 25 Jahren radikal war, ist heute angekommen – Ihr Design wird nicht nur verstanden, sondern begehrt. Farah Ebrahimi: Das macht die Arbeit nicht einfacher. Weil wir nicht nur bei unseren Kundinnen und Kunden, sondern auch in uns selbst weiterhin dieses Bedürfnis nach Radikalität stillen wollen. Gleichzeitig überlegen wir, ob dies überhaupt die Zeit
Almeida
Vergara
ist, in der wir gestalterisch radikal sein müssen. Vielleicht geht es heute eher darum, das, was damals radikal war, zu raffinieren. Wir müssen nicht mit jeder neuen Kollektion schockieren. Philipp Mainzer: In gewisser Weise ist auch das ein radikaler Ansatz: sich nicht immer wieder neu erfinden zu müssen. Etwas wegzulassen, sich selbst zu limitieren, kann genauso radikal sein, wie etwas völlig Neues zu entwickeln. Trotzdem präsentieren Sie sicher auch 2020 neue Produkte auf den Messen, oder? Philipp Mainzer: Wir denken über verschiedene Dinge nach. Eben auch darüber, wie viel wir überhaupt zeigen wollen. Auch uns geht es mehr und mehr um die Frage, was wir wirklich brauchen. Ein Stuhl von Richard Herre aus dem Jahr 1926, den wir nun beinahe unverändert reproduzieren, spielt mit dieser Idee. Es geht um die Wertschätzung guter Dinge, die bereits existieren. Farah Ebrahimi: Dieses Design ist fast 100 Jahre alt. Es wurde damals lediglich für ein paar wenige Klienten umgesetzt. Wir hatten das Gefühl, dass dieser Stuhl wieder gezeigt, dass er produziert werden muss. Gerade, weil Stühle heute sehr gleichförmig aussehen, alle einen Schalensitz haben und irgendwie an Eames erinnern. Mit sanften Kurven und der Rattan-Sitzfläche wirkt der Entwurf förmlicher, als man das von Ihnen gewohnt ist. Ein bisschen bourgeoiser. Philipp Mainzer: Das ist kein Zufall. Wir wollten durchaus einen Stuhl herausbringen, der ein bisschen erwachsener ist.
Ana Santl
Farah Ebrahimi: Ich finde, diese Haltung ist heute sehr an- Beispiel wurde ungefähr zur gleichen Zeit gegründet wie unsere gebracht. Wenn jeder kleine, hübsche Puppenhausmöbel macht Firma. Auch dieses Heft war damals revolutionär und radikal. Es oder riesige, vulgäre Sofalandschaften, dann stechen diese sub- hat Design zu einer Ware gemacht und Disziplinen zusammentilen Formen heraus. Wir mögen keine Möbel, die zu historisch gebracht. Im Grunde wurde damals geformt, was wir heute so aussehen. Aber uns gefällt die Substanz, die Grandezza der unschön „Lifestyle“ nennen. Vergangenheit. Facetten, die wir in die Zukunft übersetzen Auch Sie überschreiten gern die Grenzen der Diswollen. Auch mit einem Stuhl von Ferdinand Kramer aus dem ziplinen, etwa wenn Sie mit dem Fotografen Mark Jahr 1925, den wir reproduzieren. Der ist wahnsinnig beliebt. Borthwick oder Modedesigner Bernhard Willhelm Die Leute wollen heute etwas Substanzielles. kooperieren. Das ist eine überraschende Erkenntnis. Der UmPhilipp Mainzer: Kooperationen sind für uns ein wichtiges gang mit Design hat sich doch eher vereinfacht, Werkzeug, ganz egal, aus welchen Disziplinen unsere Partner oder? Ikea macht es längst allen Menschen mögkommen. Wenn wir mit Leuten wie Mark arbeiten oder lich, Möbel zu kaufen, die zumindest zeitgemäß eine limitierte Edition mit Michael Riedel erarbeiten, dann wirken, und durch Instagram scheint jede und jeder sind das Momente, die einen echten Unterschied machen. mindestens ein oberflächliches Verständnis davon Farah Ebrahimi: Die Bereitschaft, übergreifend zu denken, rührt zu haben, was gut aussieht. auch daher, dass wir ja selbst aus verschiedenen Disziplinen Farah Ebrahimi: Das ist richtig. Design ist ein Thema des kommen, aus unterschiedlichen Kulturkreisen zudem. Diese Mainstream geworden. Und in gewisser Weise ist das ja auch Hintergründe, unsere Temperamente, machen e15 zu dem, was schön. Aber gerade auf Instagram werden zwar viele schöne es heute ist. Die Firma steht auf einem festen Fundament, auf Bilder gepostet, von herausragenden Designarbeiten, aber auch Philipps Ideen, seiner Klarheit und Disziplin. Ich bringe einen Kunstwerken oder Modeentwürfen. Gleichzeitig scheinen sich modischen Charakter ein, einen bestimmten Charme – und ich die Leute weniger dafür zu interessieren, wer diese Dinge eigent- halte Charme für ein wichtiges Wort. Das ist die emotionale, lich gemacht hat und warum. Es geht nur noch um eine visuelle expressive Facette als Kontrast zur rationaleren, überlegten Seite Stimulation. Das ist die Kehrseite der Demokratisierung des Designs. der Firma. Dieses Emotionale und Rationale, Feminine und Philipp Mainzer: Interessanterweise hat auch diese Entwicklung Maskuline, wie auch immer man das nennen will, macht e15 vor etwa 25 Jahren angefangen, das Magazin „Wallpaper“ zum sehr besonders.
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CHAOS MIT METHODE Text:
Womit startet man als junges Berliner Architekturbüro durch? Ganz klar, erstmal wird ein eigener Club eröffnet – im selbstkreierten Look, versteht sich. Der Club Kinzo eröffnete 1999 als UndergroundGeheimtipp. Und schloss Ende 2005 unter dem Ansturm von Busladungen voller Touristen. Eine sehr berlinische Geschichte. Vielleicht ist es tatsächlich der genius loci dieser Stadt, der das internationale Wirken der drei Kinzo-Macher Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs und Chris Middleton geprägt hat. Immerhin bezeichnen die drei Architekten, die bereits seit der Studienzeit zusammenarbeiten, ihre wilden NightlifeJahre noch heute als „Grundlage unseres späteren Schaffens“. 2005 bezog man das erste eigene Büro, in einer Zeit, in der Berlin wuchs und sich atemberaubend schnell zur angesagten Weltmetropole entwickelte. Kinzo gedieh mit. Heute kann das Triumvirat mit seinem Team aus über 50 Architekten, Innenarchitekten, Designern, Grafikern und Experten für Workplace-Strategy ein beeindruckendes Portfolio und nicht wenige Auszeichnungen vorweisen. In den vergangenen Jahren entstanden neue Arbeitswelten für Global
Kontrolliertes Chaos und an jeder Ecke eine neue Kreativ-Überraschung – die Workplace-Konzepte des Hauptstadt-Architekturbüros Kinzo erinnern an ein kleinskaliertes Stück Berlin. So entstehen trotz geordneter Strukturen hochflexible Arbeitslandschaften, in denen auch der Büroschlummer und sonstige Bedürfnisse der Mitarbeiter nicht zu kurz kommen…
Stephanie
Player wie Adidas, Miele, Axel Springer, Zalando, SoundCloud, AmorePacific und Fjord. Was macht die Kinzo-Konzepte für Office Environments so besonders? Es ist wohl die Kombination aus optimiertem Arbeitsplatz, gemütlicher Wohngemeinschaft und coolem Coworking- Space – ein Mix, der den Zeitgeist perfekt einfängt. Klares Design, originelle Lösungen für individuelle Probleme und viele Freiflächen für jede Arbeits- und Lebenslage schaffen viel Raum, um sich auszuprobieren, in sich zu gehen oder sogar kurz zu schlummern. Der Arbeitsplatz als Spiegel des Lebens, ein „home away from home“. „Wir glauben daran, dass sich die Arbeitsplatzgestaltung unmittelbar aufs Betriebsklima und die Leistungsbereitschaft auswirkt“, sagt Karim El-Ishmawi, und dieses Statement darf man angesichts der Kinzo-Räumlichkeiten getrost als empirische Erkenntnis verorten. In den Räumen einer ehemaligen Bankfiliale – natürlich, hallo Berlin, inklusive Tresorraum! – wird heute schon getestet, was in Zukunft Bürogemeinschaften glücklich machen soll. Eine eigene Werkstatt bietet die Möglich-
Neubert
keit, Speziallösungen direkt auszuprobieren. Hier formen sich die Ideen für „Signature“Materialien sowie Sitz- und -Raumelemente, auf die Kinzo immer wieder gern zurückgreift. Am augenfälligsten ist dabei die Verwendung von besonderen Hölzern, zu sehen etwa im Atrium des Zalando Headquarters, das zugleich als riesige Sitzlandschaft nutzbar ist. Überall Holz, mal lackiert, mal nur mit Lasuren in fröhlichen Farben versehen, so dass die Maserung noch zu erkennen ist – naturnahe Kontrapunkte im gewollt grauen Industrieambiente. „Wir fangen mit unserer Innenarchitektur die Energie der Stadt ein und bündeln sie: Zalando ist ein Berliner – genauso bunt und kreativ, heterogen und international wie die verschiedenen Kieze der Hauptstadt“, sagt Chris Middleton. Nicht umsonst erinnern einige der Sitzlandschaften bei Zalando an gestapelte Holzpaletten, die in Berlin von jeher als Tischund Bettersatz herhalten mussten. Ähnlich das Bild in Seoul, wo das oberste Stockwerk eines Hochhauses von David Chipperfield für den südkoreanischen Kosmetik-Konzern AmorePacific ausgebaut wurde. Neben Vitra-Möbeln
Oben: Arbeit oder Freizeit? Das bleibt in den von Kinzo gestalteten Workplaces mit Absicht offen – hier das Headquarter des Beauty-Konzerns Amore Pacific in Seoul Mitte: Lässiges Willkommen in der Zalando-Zentrale in Berlin: Das Atrium dient auch als Lounge
Sebastian Dörken
in kräftigen, warmen Farben wurde viel Sperrholz (OSB) eingesetzt – ein nachwachsender Rohstoff aus den groben Spänen verschiedenster Baumarten. In Open Plan Offices entstanden aus diesem Material kleine Rückzugsräume, Besprechungszimmer, private Nischen, riesige Pinnwände, auf denen Ideen wuchern können, und sogar eine Bibliothek, in der die Regale als Sitzelemente dienen. Der Kontrast von kräftigen Farben und Naturholz hat auch die Mitarbeiter von Miele begeistert: In ihrem Headquarter in Gütersloh herrscht zwischen Showküche und Werkstattbereichen sonnige Stimmung dank dottergelber Wände und an jedes Bedürfnis anpassbarer Bürolandschaften. Flexible Strukturen, die den Mitarbeitern genau den Gestaltungsfreiraum bieten, den sie im Arbeitsalltag benötigen, das ist in der Tat ein Ansatz, der den „Muff von 1000 Jahren“ aus den Büroetagen vertreiben kann. Und übrigens: Wer selbst gern einmal Kinzo-Räume austesten will, kann das im Container-Hostel „Dock Inn“ in Warnemünde oder in einem „SmartMents“ Mikroapartment in Berlin, München, Wien und Hamburg tun.
Werner Huthmacher
Schnepp-Renou
Unten: Beim maßgeschneiderten Innovationslabor für Miele trifft man sich in der Showund Testküche - dem Herzstück des flexiblen Openspace-Konzepts.
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WONDERWALLS
Rimon Guimarães
Graffiti-Stars aus der ganzen Welt verwandeln unscheinbare Dörfer in Gambia in kunterbunte Kunstwerke. Dahinter steckt ein Projekt, das den Tourismus und die Völkerverständigung fördern will. Wir sprachen mit dem Macher hinter der Idee.
Graue Wände zum Leben erweckt: Afrikas bunter Alltag inspirierte den Brasilianer Rimon Guimarães zu seinem großformatigen Mural
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„Wide Open Walls“ heißt das Kunstprojekt, für das Lawrence Williams, Engländer und Betreiber der ökologischen „Mandina River Lodges“, seit 2011 Graffiti-Künstler aus der ganzen Welt in seine Heimat Gambia einlädt. Seine Idee: die grauen Wände in etwas Spektakuläres zu verwandeln und Urlauber für Afrikas kleinstes Land zu begeistern, denn das hat mehr als nur Sonne, Strand und Meer zu bieten. Im Laufe der Zeit verwandelten sich so Galowya und die umliegenden Dörfer in eine farbenfrohe Kunstgalerie – und in ein Mekka der Völkerverständigung.
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Kunst ist etwas sehr Persönliches. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich den Leuten vorschreiben sollte, was sie zu tun haben. Aber viele Dorfbewohner waren am kreativen Prozess beteiligt. Gab es auch Motive, die sie nicht mochten? Nur einmal gefiel einer Familie das gemalte Bild an ihrem Haus nicht und sie bat darum, es zu entfernen – was wir sofort taten.
Bierle
Honig in unsere Lodge zurückkehrte. Am nächsten Tag ging er zur Hütte des Mannes und bemalte sie. Es gibt immer noch Gemälde, die ich nur von Fotos kenne, da ich keine Ahnung habe, wo sie entstanden sind. Nicht zu übersehen sind die großformatigen Wandgemälde von ROA. Im ersten Jahr, in dem ROA beim „Wide Open Walls“-Projekt dabei war, malte er Tiere – aber sie kamen wohl eher aus Ostafrika. Im darauffolgenden Jahr malte er also welche aus Gambia. Er ließ die Vögel, Insekten und Reptilien um ihn herum bestimmen, was er auf die Wand brachte. Viele Künstler finden, dass ihre Motive beim zweiten Besuch besser in die Umgebung passten. Einige Bilder sind inzwischen verschwunden. Kommen neue hinzu? Das Vergängliche liegt in der Natur von Straßenkunst – sie ist nichts Dauerhaftes, und das afrikanische Klima mit seiner ausgeprägten Trocken- und Regenzeit Als Organisator mussten Sie die fordert seinen Tribut. Trotzdem kann Fäden zusammenhalten… man noch immer viele Murals sehen. Ja, keine leichte Aufgabe. Mein Job be- Außerdem ist es auch eine Chance, über stand darin, die Künstler mit Farbe, Neues nachzudenken. Leitern, Essen und Wasser zu versorgen, Gibt es Pläne, das Projekt fortzusowie den Transport zu organisieren. Am setzen? Ende des Tages saßen wir alle zusammen Vor drei Jahren hatte ich einen schlimmen und tauschten uns aus – was funktioniert Autounfall. Seitdem befinde ich mich in und was muss anders gemacht werden? ärztlicher Behandlung in Großbritannien. Wie viele Wände wurden so zu Bis ich wieder ganz nach Gambia zurückKunst? kehren kann, arbeite ich an einem neuen Das kann ich nicht genau sagen – aber Konzept. Diesmal soll es größer werden, eine Menge! Durch die entstehenden facettenreicher. Ich bin bereits mit Freundschaften nahm das Projekt seinen vielen Künstlerinnen und Künstlern im ganz eigenen Lauf. Ich erinnere mich an Gespräch. Spätestens 2021 soll es ein eine Szene, als David Shillinglaw den Festival geben – mit Kunst, Kultur und Imker vom Dorf traf und mit Unmengen Musik. Lawrence Williams
Internationale Graffiti-Stars wie ROA aus Belgien, der in Israel lebende Addam Yekutieli, Eelus aus Brighton oder Remi Rough aus London sind Ihrem Ruf gefolgt und nach Gambia gekommen. Wie haben Sie das geschafft? Viele Künstler reisen das ganze Jahr von Stadt zu Stadt. Die Möglichkeit, in einer ländlichen, afrikanischen Umgebung zu malen, ist etwas Neues und Spannendes für sie. Sie waren mehr als bereit zu kommen und zu sehen, was Gambia zu bieten hat. Und was ist das genau? Gambia ist ein so schönes kleines Land! Da die Zeitverschiebung von Europa nur eine Stunde ausmacht, hat man trotz Langstreckenflug keinen Jetlag. Aber das eigentliche Argument ist das gambische Volk. Man kann allein dorthin reisen und findet Freunde, sobald man aus dem Flieger steigt. Gerade auf dem Land spürt man die Gemeinschaft. Es ist bereichernd und wunderschön, mit den Kindern oder Ältesten zusammenzusitzen und zu reden. Diese Erfahrung haben auch die GraffitiKünstler genossen. Gibt es denn eine Graffiti-Kultur in Gambia? Vor dem Start von „Wide Open Walls“ war Straßenkunst nicht verbreitet und auch heute noch ist die Szene sehr klein. Ich bin aber froh, dass sich das im Rahmen hält, denn zu viel davon kann einen Ort auch unattraktiv aussehen lassen. Haben die Künstler einfach drauf losgemalt oder gab es ein von Ihnen vorgegebenes Konzept?
Andrea
Fotos: David Shilinglaw
Unverwechselbar: Leuchtende Farben und große Augen sind typisch für David Shillinglaws Stil. „Es ist unglaublich, das Haus anderer mit deren Zustimmung zu gestalten“, sagte der Künstler über seine Teilnahme am Graffiti-Projekt in Gambia. „Aber damit auch einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, ist unbezahlbar.“ Übrigens: In Hamburg schmückt die 7. Etage des Scandic Hotels eine Arbeit des Malers
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„Ich war zum ersten Mal in Gambia. Die Menschen in den Dörfern waren so warmherzig! Die Kinder brachten uns Mangos, die sie für uns gesammelt hatten. Ich sagte ihnen, wie viel sie in Großbritannien kosten. Sie konnten nicht glauben, dass man dafür zahlen muss. Ich arbeitete auch mit dem bekannten gambischen Künstler Njogu Touray zusammen. Die Einheimischen unterstützten uns, indem sie uns ihre Räume zur Verfügung stellten. Meine Arbeiten sind abstrakt, also habe ich einfach Farben und Formen dort gemalt, wo sie funktionierten. Diese Reise änderte meine Sicht auf die Welt – wie andere leben und wie ich lebe.“
Fotos: Remi Rough
Remi Rough, britischer Straßen- und Galeriekünstler, über seine Zeit in Galowya
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Das Designmagazin zum Wohlfühlen, 10 Mal im Jahr, über WOHNEN, DESIGN, ARCHITEKTUR, MODERN ART, MEDIA & MOBILITÄT.
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Kreativdirektion: Sina Morcinek und Stefan Heyer (stilwerk)
Set Design und Styling: Christian Müller
Fotografie: Roman Dachsel
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Stylistin: Ionna Auschra
Hair & Make-up: Nicole Chlopicki
Models: Family & Friends Hauptmodel: Lisa Knauer
Alle abgebildeten Interiorprodukte sind in unseren stilwerk Designcentern erhältlich.
INSPIRING
In der stilwerk Fotostrecke zeigen wir Räume, die inspirieren. Räume, die leben. Räume, die uns ermutigen, der Mensch zu sein, der wir sind oder gerne wären. Mit allen liebenswerten Eigenheiten, exotischen Hobbys und kreativen Einfällen. Richtig authentisch sein, können wir am besten in den eigenen vier Wänden und ab diesem Frühjahr auch in den stilwerk Hotels. Dort kann jeder nicht nur entspannt übernachten und Möbel aus dem stilwerk Kosmos „probewohnen“, sondern auch sich selbst und anderen persönlich begegnen. Noch mehr Inspiration gibt es in den stilwerk Design Hotspots: Hier werden Arbeitstiere kreativ und Interior Liebhaber fündig. So entstehen mit stilwerk Räume, die unsere Lebenswelten – Wohnen, Reisen und Arbeiten – miteinander verschmelzen und neue Erlebnisse schaffen. Und wer weiß, vielleicht taucht dann auch der ein oder andere, überraschende Besucher auf…
Sofa Vuelta Design: Jaime Hayón Velvet Verde von Wittmann Teppich Kollektion: Heiter bis Wolkig von Jan Kath Leuchte The Feather Table Lamp Ivy Green von A Modern Grand Tour Schale Fine Bone China Classic Weiß von Dibbern Unterteller Fine Bone China Classic Weiß von Dibbern Stuhl Saarinen Tulip Chair mit Armlehnen von Knoll International
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Polsterbett Joyce Niche Design: Soda Designers – Nasrallah & Horner Ausfßhrung Bezug in Stoff Casual Fb. off white von Wittmann Polsterbank Bridge Design: Uwe Fischer von COR Teppich Kollektion: Heiter bis Wolkig von Jan Kath
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Regal und Sideboard System M Design: Thomas Merkel von S+ Systemmรถbel
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Pflanzen von www.gruener-wohnen.de PflanzenkĂźbel Tivoli Design Stina Sandwall & Nina Jobs von SMD Design
GUT
Märchenwald mit sozialer Komponente: Das kunterbunte Modellhausdorf ist der Öffentlichkeit als Dauerinstallation zugänglich
GEBAUT
So inspirierend können Sozialwohnungen aussehen! Im mexikanischen Bundesstaat Hidalgo entstand ein Dorf aus Modellhäusern. Die Gebäude mit ihren modernen Formen und hochtechnologischen Materialien erdachten sich renommierte, internationale Architekturbüros – die sich die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner normalerweise kaum leisten könnten.
Wer im Glashaus sitzt, braucht eine schützende Mauer: der visionäre Entwurf vom Studio Ambrosi Etchegara
Text: Fotos:
Manuel
Almeida Jaime
Wie wollen wir in Zukunft leben? Immer wieder fällt diese Frage, wenn es um Stadtplanung und Architektur, aber auch um Gesellschaft und Politik geht. Ein bisschen hört sich das an, als sei die Zukunft eine Art Wunschkonzert: alles nur eine Frage der persönlichen Vorstellungs- und Willenskraft. Dabei sind die Rahmen und Räume, in denen viele Menschen ihren Alltag gestalten, nur bedingt frei gewählt. Sie können nicht aus einem Mehr an Optionen wählen, wo sie morgens aufwachen und abends wieder einschlafen – die harte Grenze zieht das eigene Portemonnaie. Umso wichtiger, dass auch Lebensräume für schmalere Budgets gut gestaltet werden, dass sie einladen zum Leben und zum Träumen. Mexikanische Sozialwohnungen jedenfalls könnten bald schon von dieser Idee profitieren. Hinter dem Projekt „Practical Experimentation and Research in Housing Lab“ steckt Infonavit, das landesweite Bundesinstitut für Arbeiterwohnungen. Infonavit ließ 32 internationale Architekturbüros nicht nur nach neuen Konstruk-
Vergara Navarro
tionen und Techniken für den sozialen Wohnungsbau suchen, sondern auch nach wassersparenden Systemen und nachhaltigen Energiequellen – alles, ohne die Kosten in die Höhe zu treiben. Und erstaunlicherweise sieht das Dorf aus 32 Modellhäusern, das nun im mexikanischen Bundesstaat Hidalgo entstanden ist, dann doch ein bisschen nach Wunschkonzert aus: ein Märchenwald, aber ein alltagstauglicher. Das Ziegelhaus der mexikanischen Architektin Frida Escobedo etwa wölbt sein kugeliges Dach fast ulkig dem Himmel entgegen, andere Häuser sehen auf wie kleine Festungstürme oder extrem erschlankte Museumsbauten im Industriestil. Der gläserne Kubus mit hohem Satteldach des mexikanischen Studios Ambrosi Etchegaray wiederum wird von seiner Backsteinmauer umschlungen wie ein wärmender Mantel – von der feingliedrigen Schönheit der Glasfassade im Inneren ahnt also nur, wer von den künftigen Bewohnern in ihr Heim eingeladen wurde. Genau so wollen wir leben.
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INTERVIEW HÉCTOR ESRAWE Auch der Mexikaner Héctor Esrawe ist Teil des Projekts: Mit seinem Designstudio Esrawe entwarf er zwei InterieurKollektionen. Wie man das Funktionale stilvoll verpacken kann, erzählt er im Interview.
„Einschränkungen erhöhen die Herr Esrawe, was war die Herausforderung. Und HerausfordeKernidee dieses besonderen rungen erhöhen die Kreativität. Und Projekts? das hörte in diesem Fall ja nicht bei der Wir wollten zeigen, dass sich Häuser ent- Überlegung auf, wie wir jetzt dieses eine werfen lassen, die mehr Möglichkeiten Möbelstück für dieses eine Haus günstig bieten, eine bessere Ausstrahlung und produzieren können. Es ging zudem um höhere Raumqualitäten haben – und die Frage, wie sich unsere Entwürfe mögdas alles ohne finanziellen Mehraufwand. lichst günstig vervielfachen lassen, wie Das galt natürlich auch für die Möbel. sie an möglichst vielen Orten irgendwo Es ging uns weniger darum, eine neue in Mexiko reproduziert werden können. Designsprache zu entwickeln, sondern Wir mussten also nicht nur in Qualität, der Realität ehrlich gegenüberzutreten sondern auch in Quantität denken. und ihr mit unseren Entwürfen gerecht Aus dem Projekt ist also ein richtiges zu werden. Lehrstück zum Thema Recherche Es muss spannend gewesen geworden. sein, für ein so ganz anderes Inwiefern? Klientel zu entwerfen, als Sie Generell hat uns an dem Projekt besonders es als Stardesigner normalerbegeistert, dass es wie ein Versuchslabor weise gewohnt sind. funktioniert hat. Allen Teilnehmerinnen Natürlich war das spannend. Aber viele und Teilnehmern wurde ausreichend meiner Projekte haben eine soziale Zeit eingeräumt, wirkliche Recherche Komponente. Ich arbeite eng mit lokalen zu betreiben. Der Frage nachzugehen, Künstlerinnen und Künstlern zusammen, wie qualitative, charismatische Räume entwerfe öffentliche Räumlichkeiten aussehen müssen, um möglichst vielen für Studierende oder künstlerische Menschen und ihren Bedürfnissen Interventionen mit politischer gerecht zu werden. Auch unsere Aussage. Das ist für mich aber kein Designerinnen und Designer haben Pflichtprogramm, mit dem ich in ge- wahnsinnig viel recherchiert. Sie haben wisser Weise meine luxuriöseren Projekte die verschiedenen Architekturlösungen entschuldige. Ich habe Design nie als des Projekts regelrecht analysiert und etwas gesehen, das Schwarz oder Weiß nach Gemeinsamkeiten darin geist. Mich haben immer die Graustufen sucht. Schließlich mussten wir Möbel interessiert. Ich arbeite an jedem Projekt finden, die, wenn auch in untermit dem gleichen Enthusiasmus. schiedlichen Arrangements, in jedes Nur die Budgets dürften sich der Häuser passten. Entstanden sind massiv unterscheiden. zwei Kollektionen. Die eine basiert auf Einschränkungen sind immer eine Grundformen aus massiven Hölzern
und natürlichen Stoffen – sie hat eine eher robuste Ausstrahlung und ist der brasilianischen Moderne und klassischer mexikanischer Einrichtung entlehnt. Die andere basiert auf elektrolackierten Metallrohrstrukturen und Sperrholzoberflächen; ihre einfachen Linien erinnern an skandinavisches Design und Bauhaus. Sind das ohnehin Stile, die Ihre Arbeit prägen? Mir gefällt die Idee eines minimalen Ausdrucks, aber einer maximalen Effizienz. Speziell in diesem, aber auch in anderen Projekten haben wir uns viel mehr auf Dinge wie Konstruktion und Material konzentriert, statt irgendwelche Einflüsse runterzubeten. Aber natürlich sind das Credos, die sich in bestimmten Stilen wie eben dem Bauhaus oder dem skandinavischen Design von Haus aus finden. Geht es auch darum, dass sich in den zurückhaltenden Formen sehr viele unterschiedliche Menschen wiederfinden? Natürlich richtet sich unser Design in diesem Projekt nach den Bedürfnissen möglichst vieler unterschiedlicher Bewohner. Aber nochmal: Dabei geht es weniger um ästhetische denn praktische Bedürfnisse. Das sind Menschen, die relativ wenig Platz und auch wenig Geld zur Verfügung haben. Trotzdem mussten die einzelnen Teile natürlich auch schön sein. Man muss mit ihnen leben können. Und leben wollen.
Kreativität“
Ana Hop
Sozialarbeiter mit Vision: Viele Aufträge Héctor Esrawes haben einen gesellschaftlichen, oft sogar politischen Ansatz
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LICHTGESTALTEN
© by Occhio / Fotograf: mierswa & kluska
Leuchtendesigner Axel Meise versucht, mit seinen Entwürfen die Sonne zu imitieren. Die Objekte seines Labels Occhio verbinden Hightech mit dem nötigen Hauch Sinnlichkeit – und beherrschen deutlich mehr als den schönen Schein.
Text:
Tanja
Müller
„Die einzige gültige Referenz für Occhio ist die Sonne“, sagt Axel Meise, und das klingt erstmal, nun ja, reichlich sendungsbewusst. Doch wenn sich der Münchner so weit aus dem Fenster lehnt, nähert er sich mit der Lichtqualität seiner High- ColorLEDs seinem Ideal schon sehr. Seit 20 Jahren entwickelt der Unternehmensgründer von Occhio ganzheitliche, multifunktionale Leuchten- und Strahlersysteme aus der Überzeugung heraus, dass gutes Licht Lebensqualität bedeutet. „Das Licht von Occhio ist eine Einladung zu genießen und zu fühlen, Außergewöhnliches zu schaffen, schöne Momente zu teilen sowie der eigenen Individualität Ausdruck zu verleihen“, sagt der Gestalter. Und so geht es bei Occhio um viel mehr als um einzelne Leuchten – eben um eine neue Kultur des Lichts. „Licht ist elementarer Bestandteil unseres Lebens, mit Licht erschaffen wir Lebensräume, Stimmung und Atmosphäre“, so Meise. Diesen Pfad schlägt er besonders mit der Reihe „Mito“ ein. Schon ihre Gestalt ist ein Designstatement. Analog eines Schmuckstücks besticht die Serie durch Eleganz und Leichtigkeit. Gleich ob als Bogen- oder Deckenleuchte, vielleicht doch aber am schönsten als Pendel. Solo oder womöglich im Schwarm schwebt der Ring an Carbon-Körpern über einer großen Tafel – das wirkt fast schon sphärisch. Axel Meise taucht seine ikonischen Leuchten in Bronze oder Roségold und lässt sie überirdisch schimmern. Die edle Oberfläche entsteht im PVD-Beschichtungsverfahren, das eine hohe Härte mit sich bringt. Auch in mattem Gold, Silber, Schwarz oder Weiß verfehlt der Leuchtring seine Wirkung nicht. Im eleganten Reif steckt jedoch jede Menge innovative Technik. Ein Wink am Leuchtenkopf und die „Mito sospeso“ erhellt den Tisch. Dank einer feinen Sensorik lässt sich das Licht via Gestensteuerung schalten, dimmen oder über die Fading-Funktion stufenlos zwischen Up- und Downlight verteilen. Alternativ können alle Leuchten der Serie auch ganz kommod per Smartphone oder Tablet bedient werden; die Bluetooth-basierte Lichtsteuerung „Occhio Air“ zählt zum Standard. Ein neues Feature gönnt Axel Meise seinen schmucken Ringen mit Color tune, dem Wechsel der Farbtemperatur nach eigenem Gusto – stufenlos einzustellen zwischen 2700 und 4000 Kelvin. Damit passt sich das Licht jeder Situation in jedem Raum an, harmoniert quasi mit der menschlichen Stimmung. So haben wir es zum Feierabend auf dem Sofa behaglich, überm Esstisch aber zeigt warm-weißes Licht die Speisen darauf unverfälscht. Denn: Das Auge isst bekanntlich mit. Wird hier Zeitung gelesen, das Laptop aufgeklappt, gespielt oder werden Hausaufgaben gemacht, dann ist das Licht ideal zum Konzentrieren. „Mitos“ Licht wird jeder Situation gerecht. Dafür sorgt über dem Tisch eine raffinierte Höhenverstellung der Pendelleuchte. Der Aufrollmechanismus ermöglicht ein komfortables und exaktes Einstellen der Pendellänge. Wie durch Magie verlängern oder verkürzen sich die Kabel, absolut gleichmäßig und leichtgängig. Nicht minder flexibel kommen die Schwestern der Serie daher, gleich ob als Aufbau-, Einbau- oder eingeputzte Version für Hohldecken. Dank der getrennten Steuerung von Up- und Downlight lassen sich mit allen die unterschiedlichsten Lichtszenarien spielen. Leuchten sind nettes, atmosphärisches Beiwerk? Von wegen: Leuchten gestalten ganze Räume – und das Leben in ihnen. Wie die Sonne.
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MÖBELMANUFAKTUR IM MÄRCHENLAND
Vom idyllischen Lauenförde in die Welt: Tecta, deutscher Hersteller ikonischer Designmöbel, fährt seit Jahren ein Erfolgskonzept, das einmalig ist: mit Re-Issues von Bauhaus-Größen, neuen DesignTalenten, kurzen Wegen, flachen Hierarchien und Handwerk „Made in Germany“. Manufaktur, Firma und Museum findet man übrigens mitten auf der grünen Wiese. Ein Ortsbesuch.
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Text: Fotos:
Annette
Der Name Tecta sagt Ihnen irgendwas, aber nicht sooo genau? Na ja, aber Bauhaus ...? Na, bitte! Online durch das Tecta-Möbelprogramm zu stöbern, ist nämlich ein bisschen wie ein Spaziergang durch das „Who is Who“ der Bauhaus-Historie: Mies van der Rohe, Gropius, Marcel Breuer, Gerrit Rietveld, El Lissitzky ... – stolze 30 originalgetreue und lizenzierte Bauhaus-Reeditionen, die meisten davon in den 80er-Jahren erworben, produziert und vertreibt Tecta. Damit ist das kleine deutsche Familienunternehmen aus dem Weserbergland weltweit der größte Anbieter von original Modellen – also noch vor Knoll, Cassina und Co. Und alle natürlich mit dem offiziellen Original-Bauhaus-Signet des BauhausArchivs Berlin versehen. Die Design-Ikonen, die jeder auf den ersten Blick erkennt – Mies-van-der-Rohe-Freischwinger und Marcel-Breuer-Stühle made by Tecta, die in den luxuriösen Wohnungen stilsicherer Kunden von Tokio bis Toronto, von Berlin bis Bangkok stehen – sie alle werden im dörflichen Lauenförde gefertigt. Dort am Ufer der Weser, zwischen dunstigen Feldern, steht die Wiege der Tecta-Möbel. In modernistischen Bungalows, die sich mit der romantischen Landschaft zu verbinden scheinen, sind Büro, Tischlerei, Polsterei und Flechterei beherbergt. Der Tecta-Firmensitz wurde von Gründer Hans Könecke Ende der 50er-Jahre errichtet, in den 80ern vom bekannten britischen Architektenpaar Alison und Peter Smithson umgebaut und in den letzten Jahren durch eine Kollaboration mit Andree Weißert sensibel modernisiert. Draußen duftet es nach Wald und Wiesen, innen nach Sägespänen, Leder oder Metall. In der Manufaktur wird das Wort noch im ursprünglichen Sinne gelebt. Die Idee, die Herstellung unter einem Dach zu haben, hat sich für Tecta bis heute bewährt und ist der Kern des international erfolgreichen Konzepts. Die Firma macht nämlich alles
Links: Axel Bruchhäuser (re.) pflegte schon immer Kontakte zu berühmten Designern und Architekten, wie Jean Prouvé. Hier im Gespräch mit Designer und Architekt Andree Weißert, der das Tecta-Areal sensibel modernisierte
Daniel
Franklin-Stokes Hofer
anders, als man es heutzutage kennt – und liegt damit sehr, sehr richtig. Made in Germany stimmt hier noch bis ins Detail. Den Produktionsstandort an der Weser wählte einst Firmengründer Könecke; durch die Nähe zu Vorlieferanten der Möbelindustrie und zu ortsansässigen Handwerksbetrieben bot er sich an. Der Rest der bewährten Firmen-DNA, „Handwerk als Basis von allem“, ist Axel Bruchhäuser zu verdanken, Onkel des heutigen Chefs Christian Drescher, der Tecta bis 2016 leitete (und heute noch ein Büro auf dem Gelände hat und in „inoffizieller“ Funktion mitmischt). Vehement vertrat der gelernte Ingenieur die Auffassung, dass man ein Möbelstück nicht künstlich „rendern“ könne, sondern das Gemachte, die Materialien, die Verbindungen, Schrauben, Übergänge – all das sehen und spüren müsse. Genau die Detail- und Technikverliebtheit also, die bereits den Geist des Bauhauses ausmachten. Heute kann man sie in der Präzision jedes Tecta-Erzeugnisses erleben. Das Set-up aus kurzen Wegen und flachen Hierarchien – Tecta beschäftigt 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – mit integrierten Werkstätten bestimmt deshalb auch in der heutigen Generation noch den Herzschlag der Firma. „Outsourcing“ ist in der Herstellung ein Fremdwort. In Lauenförde wird Tecta nicht nur entworfen und gemanagt, sondern auch produziert. Handwerk ist dabei das A und O. Wie beim Mies-van-derRohe-Stuhl mit dem filigranen, aber hochstabilen, linsenförmigen Flechtwerk, das aus der Rotangpalme aus Indonesien in minutiöser Handarbeit gefertigt wird. Eigene Korbflechter – das Handwerk hat durch die Weiden am Weserufer eine Tradition – beschäftigt Tecta vor Ort. Viele schon seit langen Jahren und bereits in zweiter oder dritter Generation. „Als uns neulich ein Korbflechter verließ, fanden wir einen neuen im Nachbardorf Dahlhausen“, freut sich
Rechte Seite: Kurze Wege von Produktion und Büro – beides liegt hier im selben lichtdurchfluteten Flachbau und wird von Schienen für Loren durchzogen. Darauf präsentiert: Der Freischwinger D42 von Mies van der Rohe
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Von oben nach unten: Blick in Polsterei und Produktion. Hier werden auch Sonderwünsche umgesetzt Inspirierend: Christian Dreschers Büro Neuester Wurf: Kragstuhl D9 (und Tisch) von Wolfgang Hartauer Totale Transparenz: der langgestreckte Bürotrakt Rechte Seite: Dynamisches Duo: Christian Drescher, Ehefrau Daniela, die das Kragstuhlmuseum leitet
Christian Drescher. Ein Glücksgriff, denn das tatsächlich älteste Handwerk der Welt ist heutzutage nicht mehr gefragt und daher fast ausgestorben. Deshalb bildet man hier auch selbst aus. Und welche Kobflechterin/welcher Korbflechter kann schon von sich behaupten, in zeitlos modernistischen Bauten herumzuwerkeln, bei deren Anblick Architektur-Fans vor Begeisterung feuchte Augen bekommen und über die der Geist von Jean Prouvé weht? Mit dem weltberühmten Architekten und Designer verband Axel Bruchhäuser eine langjährige Freundschaft. Auf die Frage, was bei all dieser Detailliebe das Geheimnis der Wirtschaftlichkeit von Tecta sei – schließlich kostet es ja so einiges, Unvergängliches zu schaffen und Handwerk zu erhalten – scherzt Christian Drescher, er wisse es eigentlich selbst nicht: „Ein bisschen Magie spielte hier im Märchenland der Weser, der Heimat der Gebrüder Grimm, schon immer mit.“ De facto aber ist es neben der Qualität der Erzeugnisse die schlanke Struktur und Größe der Firma, die es möglich macht, schnell und wendig auf Marktbedingungen zu reagieren. Gut aufgestellt sei man zudem, meint Drescher; mit einer wunderbaren Kommunikationsagentur in Köln und einem exzellenten Vertriebsnetz, zu dem seit ein paar Jahren auch Händlerinnen und Händler in den wohlhabenden Ländern Asiens gehören, die dort den neu wachsenden Bedarf nach Bauhaus-Design und hochwertigen Sonderanfertigungen stillen. Bei allem Hochhalten von Tradition – mit 40 Ausstellungen feierte die Firma im vergangenen Jahr das 100-jährige BauhausJubiläum unter dem Motto „BauhausNowhaus“ – muss Tecta sich eh keine Sorgen um die Zukunft machen. Drescher hat das Unternehmen intelligent in die nächste Ära geführt. Dabei wollte der
gelernte Kommunikationswissenschaftler eigentlich nie in die Firma einsteigen. Seinen Onkel Axel Bruchhäuser, der Marketing und Online-Präsenz stets für überflüssigen Firlefanz hielt, konnte er nach langen Diskussionen für beides gewinnen und die Firma digital gut aufstellen. Zudem wächst der Markt für Qualitätsmöbel – schließlich ist in Zeiten der Wegwerfgesellschaft Bleibendes der wahre Luxus. Auch neue Märkte sind hinzugekommen, in Asien vor allem. Und das Tecta-Programm bleibt durch Innovationen junger Talente spannend und zeitprägend im High-End Markt. Das Kabinett der jungen Berlinerin Hanne Willman ist ein gelungenes Beispiel für die heutige Tecta-Designkompetenz. Auch bei den neuen Entwürfen bewähren sich die kurzen Wege und die Nähe zum Handwerk. Das Dreieck aus Künstler/Künstlerin, Unternehmer/Unternehmerin und Produktion entscheidet, wie etwas umgesetzt wird: „Da steht man dann zu dritt um den Prototypen und diskutiert – ob es dem der Künstlerin/dem Künstler so passt, ob das Handwerk es umsetzen kann und ob es für den die Unternehmerin/den Unternehmer in der Produktion tragbar ist,“ erklärt Christian Drescher. What’s next? Tecta versucht sich aktuell an einer kühnen Wiederbelebung: dem erneuten Revival des Kragstuhls. Die TectaNeuheit zur IMM Cologne hat Tischler und Architekt Wolfgang Hartauer entworfen. Ein Sitzmöbel für die Neuzeit, ein Freischwinger 2.0 sozusagen – eine eigenständige, moderne Weiterentwicklung des Bauhaus-Klassikers. Nach dem anhaltenden Skandi-Trend, der von vierbeinigen Stühlen geprägt ist, sei die Zeit nun reif dafür, meint Christian Drescher. Natürlich weiterhin gewohnt klar, zeitlos und hochwertig. Bauhaus and beyond, eben.
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VISUAL CITIZE
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ENS
ÜBER DEN WOLKEN … muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Die digitalen Welten des Design-Duos Visual Citizens sind poetisch, surreal- visionär und wollen doch etwas ganz Konkretes – dem Wohnen der Zukunft einen aufregenden Raum geben.
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Ying (Shuxi Studios)
S Text: Illustrationen:
courtesy
Es fühlt sich an wie Poesie in den Augen: ein Platz im Nirgendwo, eingetaucht in das rötliche Licht der Abendsonne. Eine Interieur-Oase in mattem Pastell, aus rosafarbenem Satin, weichen Kissen und Polstern. Ganz sanft schaukelt das Wasserbett am Ufer, umrandet von Seerosen und stillen Felszügen. Ist das fan-tasievolle Bild nun eine Inszenierung der Realität oder doch ein digitales Meisterwerk? Willkommen in der Welt von Visual Citizens. Ein privates und berufliches Duo, das am Computer surreale Raumträume kreiert. Sie selbst nennen es ein Spiel zwischen Traumwelten und Zukunftsideen. Dass man beim Betrachten ins Wanken kommt, ist von Shali und Adam Kelly gewollt. Sie öffnen damit ein Fenster in die Interieur-Welt der Zukunft oder zumindest die schönste Vision davon. Beide haben sich in Barcelona kennengelernt – sie machten ein Praktikum im gleichen Architekturbüro. Shali stammt aus Südafrika, Adam aus Schottland. Nach dem Abschluss in Urban Design und Architektur an der Universität Edinburgh, lebte das Paar eine zeitlang bei Shalis Familie in Kapstadt und gründete 2018 sein gemeinsames Designbüro. Zurück in Europa wollten beide mehr von der nordischen Designsprache lernen. Doch eine langwierige Krankheit bremste Shali aus. Sie war ans Bett gefesselt und konnte nicht reisen. „Ich habe damals meine Lebensweise drastisch geändert. Ich hatte nun gezwungenermaßen viel Zeit zu Hause in Rotterdam und begann an einigen Ren-
Silke
of
derings zu arbeiten.“ Das Faszinierende: Auch Shalis Sicht auf Design begann sich zu verändern. „Ich entwarf am Computer diese surrealen Orte und Umgebungen. Es war fast so, als würde mein Wunschdenken eine Welt bauen. Was hätte ich dafür gegeben, dort zu sein! Es waren richtige Zufluchtsorte“, erzählt sie. Partner Adam war sofort begeistert von ihrer Arbeit – von der Grenzenlosigkeit der Ideen und den digitalen Möglichkeiten. Heute arbeiten beide von ihrem Büro in Rotterdam aus ausschließlich an digitalen Traumlandschaften. Warum sind sie in der virtuellen Realität geblieben? „Das digitale Design erlaubt uns, ein Medium zu nutzen, das nicht so eingeschränkt ist wie die klassische Architektur. Wir tauchen ein in Bereiche wie Raum- und Interieur-Design, bauen Lichtquellen, skulpturale Dinge, nutzen Wandmalerei und Landschaftsbau“, ergänzt der studierte Architekt Adam. Ihre Vision an surrealen Orten entstehen zu lassen, dramatisches Licht zu setzen, diese Dinge wären in der klassischen Architektur nur eingeschränkt möglich. Die Freiheit, traditionelle Orte neu zu erfinden, ist Antrieb und Stärke zugleich. Mehrfach wurden die Berufsträumer bereits von Möbelherstellern und für Messen beauftragt. Shali geht intuitiver an ihre designten Welten heran, während Adam systematischer denkt. Eine Kombination, die sich offenbar nicht besser ergänzen könnte. Überraschende Kompositionen treffen auf eine ausbalancierte Ordnung. So wirken die Arbeiten nie überladen, kitschig oder albern. Meist beginnt das Duo, die
Spacey
Roth Studios
ersten Entwürfe mit der Hand zu zeichnen; nimmt dann die Idee am Computer auf und entwickelt ein Gefühl dafür; schließlich beginnt die Ausarbeitung mit vielen Details. Die Skizzen werden mit einer 3D-Software transformiert, Renderings zugefügt. Manchmal kommen sogar 4DElemente zum Einsatz. Ihre Inspiration kommt von den Großen der Moderne: Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Eero Saarinen, Adolf Loos und Louis Kahn. Deren Lehren sind die schulische Grundlage, dazu kommen Alltagssituationen, in denen das Duo interessante Texturen, Farben oder skurrile Objekte entdeckt; das kann die Serviette im Restaurant sein oder Eindrücke beim Blumenkaufen. Spielen Tagträume bei der Arbeit eine Rolle? „Nicht wirklich, wir arbeiten meist nachts mit stimmungsvoller Musik“, erklärt Shali. „Oft denke ich bei meinen Bildern an Orte, wo starke Frauen sich zurückziehen können. Ich stelle mir Räume vor, wo sie völlig loslassen können und die Natur übernimmt. Unser Bild ,She Sails Through the Clouds Brushing‘ fängt den Moment ein, wenn man aus einem Flugzeugfenster blickt. Dieses Gefühl, fast zwischen den Wolken zu sitzen, fand ich schon immer beeindruckend. Man möchte erkunden, fühlt sich frei, es ist etwas unheimlich und doch erhaben.“ Rund und weich sind Formen, Möbelstücke und Lichtquellen. Ein wenig Natur kommt zum Vorschein, doch die Wolken verschlingen die Atmosphäre und tauchen sie in einen violett-himmelblauen Glow. So poetisch sieht man die reale Welt selten.
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SWING, SWING, SWING, SWING. Text:
Natali
20 Jahre, 20.000 Quadratmeter und 2 mal 20 Premium-Stores (ok, hier haben wir etwas gemogelt, der schönen Aufzählung wegen – also, ganz genau: 40): So oder so ähnlich lautet mathematisch erfasst die Erfolgsgeschichte des stilwerk Hauses in der Berliner Kantstraße 17. Was lag also näher, als das Designcenter, das 1999 im Herzen Charlottenburgs seine Türen öffnete, mit einer angemessenen Party zu würdigen? Mit einer glamourösen 20er-Jahre-Gala sagte stilwerk am 2. November letzten Jahres „danke“ und lud die Bohème Berlins zu einem glanzvollen Event. Ganz im Stil der preisgekrönten NetflixErfolgsserie „Babylon Berlin“ knallten die Champagner-Korken und wurde zu Charleston und Co. ausgelassen das Tanzbein geschwungen. Für stilwerk und seine Premium-Partner verwandelten die Spezialistinnen und Spezialisten von Bohème Sauvage das luftige, von hängenden Galerien umgebene Foyer in ein mondänes Varieté. Authentischer Live-Swing, Gambling für einen guten Zweck, Live Acts und Überraschungsgäste sowie hochwertige Preise standen auf dem Programm. Das stilwerk Konzept „Kooperation statt Konkurrenz“ hat von Anfang an renommierte Hersteller und Inneneinrichter
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überzeugt, den Kunden die Irrfahrt durch die Hauptstadt zu ersparen und dafür alle Interior-Design-Disziplinen unter einem Dach zu vereinen. Seit der ersten Stunde mit dabei sind etwa das Einrichtungshaus minimum, der Küchenexperte Brock & Stephan, Sound-Spezialist Bang & Olufsen, das Lichthaus Mösch und der skandinavische Designmöbelhersteller BoConcept. Aber nicht nur Berlins Interior-Design-Hotspot selbst wurde gefeiert, sondern auch die Events, die stilwerk in den vergangenen zwei Dekaden veranstaltete und die zahlreiche Besucher inspirierten. Sei es die jährlich stattfindende Ausstellung „da! Architektur in und aus Berlin“ der Architektenkammer oder die Berlin Design Week BNDNWK, die jedes Jahr im Herbst die Hauptstadt in einen lebendigen Schauplatz für innovative Gestaltung verwandelte – und hoffentlich auch in den nächsten 20 Jahren verwandeln wird. Das Schlusswort hat Axel Winkel, Geschäftsführer von Bang & Olufsen im stilwerk Berlin: „Ich erlebe das Center seit zwei Jahrzehnten als dynamischen Taktgeber“. Und genau diesem Takt wurde die Roaring-Twenties-Gala in dem visionären Haus im alten Berlin gerecht.
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Huber SchĂźssler
The stilwerk Destinations DÜSSELDORF
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CIAO, KUNSTSTOFF! Text:
Natali
Poppig rote Tonnen, die gestapelt zu einem Aufbewahrungsmöbel werden? Transparente Stühle mit geometrischen Formen, die sich fast unsichtbar machen? Seit 2011 sorgt die italienische Kultmarke Kartell im stilwerk Düsseldorf für Designerlebnisse mit Kunstcharakter. Denn das Label steht für eine Welt grenzenloser Kreativität. Ungewöhnliche Formsprache, Farben und Materialien kennzeichnen die unverwechselbaren Möbel aus der Feder renommierter Designerinnen und Designer wie Philippe Starck, Piero Lissoni, Antonio Citterio, Patricia Urquiola, Ron Arad oder Ferruccio Laviani. „Wir waren die ersten, die mit transparentem Kunststoff arbeiteten. Wenige Jahre später machte es jeder“, so Claudio Luti, Inhaber und CEO von Kartell. Die ersten zu sein und immer wieder Innovationen hervorzubringen, macht die Geschichte der 1949 gegründeten Designmarke aus. Für Furore sorgte zuletzt der Stuhl „A.I.“, der von einer künstlichen Intelligenz entworfen wurde und maximale Stabilität bei minimalem Materialeinsatz bietet. Das Sitzmöbel ist seit kurzem auch im Düsseldorfer stilwerk-Store erhältlich, genauso wie die „Smart Wood Collection“,
Michaely
die ein ganz neues Material ins Spiel der Kunststofffanatiker bringt: Holz. Mustafa Chaquiri, Store Manager im Düsseldorfer KartellShowroom, ist überzeugt: „Bei uns findet jeder ein neues Lieblingsstück, das den eigenen Stil perfekt ergänzt. Gerade in der Kombination mit bestehenden Möbeln, Antiquitäten und verschiedensten Materialien lässt sich ein aufregender Look kreieren.“ Sein eigenes, erklärtes Lieblingsdesign – und das vieler anderer Kartell-Liebhaber – ist der zum Designklassiker avancierte, runde Aufbewahrungscontainer „Componibili“ von Anna Castelli Ferrieri aus dem Jahr 1969. „Auch nach 50 Jahren zaubert er den Kunden immer noch ein Lächeln ins Gesicht – neuerdings übrigens im wahrsten Sinne des Wortes“, so Mustafa Chaquiri. Zum „Componibili“-Jubiläum im letzten Jahr hat Designer Fabio Novembre die „Smile“-Serie mit Emojis kreiert, die das Zwinkern nun salonfähig macht. Neue Editionen, neue Materialien – es bleibt also spannend beim italienischen Traditionshersteller. Aber wir sind sicher: Es darf auch in Zukunft viel gelächelt werden.
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Marc Hohner Photography fĂźr stilwerk
The stilwerk Destinations HAMBURG
Ü STILWERK HAMBURG Große Elbstraße 68
KÜCHENPSYCHOLOGIE Text:
Natali
Eine neue Küche kaufen? Für viele ein nervenaufreibendes Projekt. Schließlich soll das gute Stück möglichst dem Stilempfinden seiner künftigen Bewohner gerecht werden und ihnen gleichzeitig durch durchdachte Technik das Leben erleichtern. Hamburger haben da einen gewissen Vorteil, da sie die Planung mit einem entspannten Hafen-Spaziergang samt Architektur-Sightseeing kombinieren können. Traditionshersteller poggenpohl betreibt sein Küchen-studio nämlich im stilwerk Hamburg, beheimatet in einem der letzten Industriedenkmäler der Stadt, einer umgebauten Malzfabrik am Fischmarkt. Hier findet man die Wohlfühlküchen mit Visionen, für die die High-End-Manufaktur seit ihrer Gründung 1892 bekannt ist. Früh hat man hier erkannt, dass die Küche immer mehr zum zentralen Raum des Zusammenlebens wird. Geräte sollen technische Finessen aufweisen, aber nicht sichtbar im Mittelpunkt stehen. So wie etwa bei „+Venovo“: Das preisgekrönte Programm interpretiert die Grundbedürfnisse seiner Nutzer frei, spielerisch und sehr persönlich – eine Küche, die sich in jede Art von Grundriss einfügt und gleichzeitig einzigartig filigran daherkommt. „Uns
Michaely
war wichtig, die Küche in aller Konsequenz als Teil des Wohnraums und damit als Möbel zu begreifen“, so Sören Jungclaus und Mathias Knigge vom Hamburger Designstudio neongrün, mit dem poggenpohl das Modell entwickelt hat. Aber auch eine Küche wie „+Segmento Y“ schafft gekonnt den Spagat zwischen Hightech und Wohnlichkeit. Inspiriert von Mustern Piet Mondrians kommt das junge Modell in mattem Schwarz, Weiß oder Grau und grafisch akzentuierten Fronten daher. Und passt sich damit den aktuell angesagten Wohnstilen – von skandinavischer Naturliebe bis japanischem Purismus – leichtfüßig an. Auch Gesa Schmidt vom poggenpohl Studio weiß um die vielen individuellen Wünsche, die mit der Küchenplanung einhergehen. Sie setzt bei der Umsetzung auf den intensiven Austausch mit ihren Kunden. „Wenn ich das Gefühl habe, mit meinem Entwurf den Menschen erkannt zu haben, ihn zu berühren und seine Indi-vidualität zu unterstreichen, dann erfüllt mich das mit Freude“. Küchenplanung als Charakterstudie also – bei poggenpohl eine Selbstverständlichkeit.
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Marc Hohner Photography fĂźr stilwerk
The stilwerk Destinations ROTTERDAM (ab 2021)
Ü NEW CITIZEN DESIGN Museumpark 25
DIE WOLLEN NUR SPIELEN Text:
Silke
Welchen Charakter sollen Städte zukünftig haben? Liebenswert, schön – und immer spannend! So zumindest haben die findigen Niederländer von New Citizen Design ihre Ziele definiert. Die Rotterdamer Designagentur geht auf urbane Entdeckungsreise, um den öffentlichen Raum zu beleben. Durch Wohn- und Kulturkonzepte, Gebäude- oder Flächenumwandlung. Die Ideen findet man mit einer neu entwickelten Methode: die „Design Journey“. Die funktioniert wie ein kleines Computerspiel, das in seinen Tiefen komplex und innovativ ist. Denn egal, ob man einen Raum oder eine ganze Stadt neu denken möchte: Verändert man nur wenige Parameter, passen sich emotionale und rationale Faktoren an. „Die Seele von urbanen Räumen öffnet sich, wenn Innovationen, Technologien und Kooperationen aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen. Wir haben das Glück, dass in unserer "Design Journey" das Brainstorming völlig uneingeschränkt ist“, erklärt Mitgründerin Antonia Wormer. Sie und Jan Willem de Laive erfanden das kreative Geschäftsmodell 2016. Beide sind Profis aus der Designbranche. De Laive war Agent für Designer und Marken, besitzt Kontakte und viel
Roth
Wissen über Material und Produktion. Wormer ist der strategische Kopf. Sie weiß, wie man innovative Konzepte erarbeitet und verkauft. Doch wie bringt man gemeinsam eine Marke nach vorn, die Städte umstrukturiert, aber auch Lifestyle-Produkte erfindet? Ganz einfach: Man denkt an die Menschen, die darin und damit leben. Daher der Name: New Citizen – neuer Bürger. Und wie sind die so, die Neuen? Großstädtisch, international, gebildet, viel gereist, flexibel, dazu qualitäts- und umweltbewusst. Alles Attribute, die bei den Designs mitschwingen. So kam es etwa zur Schaukel „Circle Swing“ aus Mahagoniholz – eine mobile Sitzgelegenheit für den Wohnbereich. Ähnlich spielerisch ist die Idee einer Perlenkette zur Parkverschönerung eines Museumsgeländes in Rotterdam (Fotos). Noch weiter geht „Wakado“: Die steigende Nachfrage an erneuerbaren Energien wird bis zum Jahr 2034 nahezu 225.000 Tonnen ausrangierte Windmühlen abfordern. Was passiert damit? Sie werden zu Spielplätzen wiederbelebt. Alles Entwürfe, die man der "Design Journey" zu verdanken hat. Das Beste daran: Die Reise von New Citizen Design hat gerade erst begonnen.
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New Citizen Design
INSPIRING BEAUTIFUL VISIONARY
Kommode Keep Design Peter J. Lassen Violette von Montana Tischleuchte Dipping Light M von Marset
SPACES PLACES PEOPLE
Herausgeber & verantwortlich Konzept und Realisation: im Sinne des Presserechts: stilwerk Management GmbH Alexander Garbe Geschäftsführung: stilwerk Management GmbH Tatjana Groß Große Elbstraße 68 Große Elbstraße 68 22767 Hamburg 22767 Hamburg Tel. +49 40 288 094 60 magazin@stilwerk.de Druck: Evers-Druck GmbH www.stilwerk.com Ernst-Günter-Albers-Straße 25704 Meldorf Chefredaktion: Alexander Garbe Produktion mit 100 % Ökostrom aus regenerativer Stromerzeugung und ohne Einsatz von fossilen Redakåtion: Brennstoffen, sowie Einsatz von 100 % Gas, das über Rabea Ebeling ein UNFCCC-Projekt (Registration Ref. No. 0258) Tatjana Groß klimaneutralisiert ist. Stefan Heyer Elena Recke Vertrieb: Silke Roth PressUp GmbH Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg Art Direktion: Wandsbeker Allee 1, 22041 Hamburg Stefan Heyer Heftpreis: Chefin vom Dienst: € 5,50 Rabea Ebeling Erscheinungsjahr: Bildredaktion: 2020 Stefan Heyer Standorte: Textchefin: stilwerk Hamburg Natali Michaely Große Elbstraße 68 22767 Hamburg Korrektorat: hamburg@stilwerk.de Karoline Schulz stilwerk Berlin Reinzeichnung: Kantstraße 17 Stefanie Schwarzbach 10623 Berlin berlin@stilwerk.de Anzeigen & Kooperationen Constantin von Egidy stilwerk Düsseldorf Daniela Walter Grünstraße 15 Patrick Woydt 40212 Düsseldorf duesseldorf@stilwerk.de Autoren/innen: Andrea Bierle Für unverlangt eingesandte Manuskripte Bazon Brock und Bilder wird nicht gehaftet. Annette Franklin-Stokes Titel und Vorspänne stammen i.d.R. Natali Michaely von der Redaktion. Tanja Müller Stephanie Neubert Datenschutzbeauftragter im Sinne der DSGVO: Silke Roth Christian Mehnert Lena Schindler stilwerk Management GmbH Annika Thomé Große Elbstraße 68, 22767 Hamburg Manuel Almeida Vergara datenschutz@stilwerk.de
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ORTSVERÄNDERUNG Text:
Bazon
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts ist die Orientierung des bildungswilligen Europäers auf den Instinkt für den genius loci (Gespür für den besonderen Ort) verpflichtend. Junge Adlige, Dichter und Maler, Heilsucher und Heilungsucher reisten durch den Kontinent, weil sie sich dem günstigsten Einfluss des Klimas, der „Gesteinsmacht“, der Strahlkraft von Licht und Landschaft und der authentischen Auftrittsorte „großer Geister“ aussetzen wollten. Und der günstigste erwartbare Effekt war, vom Geist des Ortes ergriffen und verändert zu werden. Heute nennt man das „Eintauchen in ein überwältigendes Erlebnis“ am fernen Sehnsuchtsort, dessen Magie man in Trink- und Massagekuren, erdmagnetischen Wanderungen, Badekulten, Atemübungen und Souvernir-Kauf habhaft werden könne. Mit dem Begriff „Exotik“ kennzeichnet der von Thomas Cook begründete Massentourismus die Erwartung von Wirkung des genius loci. Der Glaube an die Kraft der Ferne, den Tapetenwechsel, die magische Verwandlung am speziellen Ort ließ sich durch keinerlei kabarettistische Entzauberung, genannt Aufklärung, stören; selbst Kinderspott der Art „An diesem Ort herrscht ein besonderer Geist, der Nutzer in die Nacktheit beißt“ konnte durch die Gleichsetzung vom besonderem Ort als Lokus/Klosett und locus des Genies, des Geistes, der Spiritualität kaum beeinträchtigt werden. Im Gegenteil, die Geschichten über spukende Geister in Schlössern und Ruinen beflügelten die Erlebniserwartung. Gegenwärtig unterstützt man den Glauben an die Kraft des besonderen Ortes mit modernster Technologie. Selbst Einrichtungshäuser lassen das günstigste Feng Shui, die Raumharmonie, errechnen. Auspendler, Rutengänger, magnetismussensible Naturheilkundige beeinflussen die Einrichtung selbst von Sozialräumen in naturwissenschaftlichen Institutionen und Krankenhäusern der westlichen Medizinversorgung. Glaube und Wissen sind keine Gegensätze mehr, denn schließ-
Brock
lich hat selbst Erwin Schrödinger, das Mathematikgenie des 20. Jahrhunderts, bekundet, Magie, also Placebos, wirke auch dann, wenn man nicht an sie glaubt. Ich nenne das die normative, also handlungsbestimmende Kraft des Kontrafaktischen, also des nicht objektiv Gegebenen oder Nachweisbaren. Kontrafakte sind eben Placebos. Zu ihnen gehört die Orientierung auf Gott oder Götter, auf kulturelle Identität, auf Rasse oder Blutreinheit, auf den Weltgeist oder Geist der Zeit. Offenbar gibt es sogar einen besonderen Ort, der für alle Menschen aller Zeiten gleich war und gleich ist und gleich bleibt. Dieser besondere Ort ist die Heimat. Man kann aus ihrem geografischen Ort vertrieben werden, er kann zerstört werden – an der Wirksamkeit der Macht der Heimat ändert das nichts, im Gegenteil. Dass Kontrafaktizität für alle Menschen das bedeutendste Faktum ist, erkennt man durch den einfachen Hinweis, dass es Landschaften nicht gibt wie es Berge, Bäume, Büsche gibt, dass es Kunstwerke nicht gibt, wie es mit Farben versehene Leinwände oder bearbeitetes Holz, Metall oder Marmor „wirklich“ gibt. Denn was immer Menschen für wirklich halten, wird wirklich durch die Konsequenzen des Dafürhaltens. Das haben die angeblich der Rationalität verpflichteten Europäer vergessen und wundern sich über Gottsucherbanden wie Al-Qaida oder ISIS, über Lourdes-Pilger und evangelikale Massensuggestion, über Werbewirkung dümmster Sprüche oder Zukunftsversprechen geltungsgeiler Pseudo-Wissenschaftler, über Horoskope in der Tagespresse und Parteiversprechen. So geht der Kampf um die Heimaten, die Bewertung der Rasse, die Geburtsorte der Heiligen, der Führer und Genies munter weiter. Die Eroberung und Sicherung von heiligen Stätten, Historienfetischismus und Produktwerbung sind durch keinen Einspruch abzuwenden, höchstens abzuschwächen. Jeder Ort ist der besondere Ort, an dem sich das sozialpsychologische Grundgesetz als Thomas-Theorem beweist: „If men define situations as real, they are real in their consequences."
Verena Berg
Bazon Brock bezeichnet sich gern als Denker im Dienst und Künstler ohne Werk. Er ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal, darunter das Institut für Gerüchteverbreitung und eines für theoretische Kunst, das Labor für Universalpoesie und Prognostik, das Büro für Evidenzkritik, das Pathosinstitut Anderer Zustand und die Prophetenschule. Seit 2011 betreibt er die „Denkerei/ Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“ mit Sitz in Berlin. www.denkerei-berlin.de
Bequemer kann Nachhaltigkeit nicht sein!
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