we make you
believe in magi Wunder
Design. Kultur. Leben. FrĂźhjahr | Sommer 2018
Wunderbare Leserinnen und Leser, in diesem Magazin geht es um die großen und kleinen Wunder, die uns alle umgeben, welche wir aber oft übersehen. Wir widmen uns diesem Thema, weil der Glaube an das Gute durch die häufig negative Berichterstattung nicht verloren gehen darf. Daher wollen wir mit wunderbaren Geschichten inspirieren und zeigen, dass die Welt verändert und unglaubliche Dinge erreicht und bewegt werden können. Sie glauben nicht an Wunder? Dabei leben wir auf einem der größten Wunder überhaupt! Nämlich „...auf einem blauen Planet, der sich um einen Feuerball dreht, mit ´nem Mond, der die Meere bewegt…“ (um hier kurz Marteria mit seinem Song „Welt der Wunder“ zu zitieren). Ja, die Natur erschafft und formt ihre Wunder über Jahrtausende, wie zum Beispiel die Arktis, die ich diesen Sommer auf einer Expeditionsreise durch die Augen und Fragen meiner Töchter erleben durfte. Im Gegensatz zur Natur haben wir Menschen auf Grund unserer begrenzten Lebensspanne leider nicht so lange Zeit, selbst Wunder zu kreieren. Dafür sind wir sehr gut darin, die Wunder unserer Erde zu zerstören. Aber auch da gibt es Hoffnung − dank einiger großartiger Menschen, die mit ihren Ideen und Projekten gegensteuern. Denn Wunderbares entwickelt sich immer dann, wenn wir besonders viel Spirit und Energie in eine Herzensangelegenheit stecken und diese unbedingt verwirklichen wollen. Dann werden besondere Kräfte freigesetzt und es entsteht Außergewöhnliches. Das bedarf spezieller Charaktere: jene, die zum Beispiel – mit viel Einsatz, aber auch Entbehrung – die Weltmeere säubern oder mehr Fairness in die Modebranche bringen wollen; solche, die ihren natürlich gegebenen Grenzen trotzen und uns zeigen, dass Nichts unmöglich ist; und natürlich auch die, die uns verzaubern, indem sie Orte für uns und die Nachwelt zu etwas ganz Besonderem machen. Darum geht es auch in unserem Beitrag „Recycled Architecture“, der aufzeigt, wie dank großer Visionen architektonische Fossilien wieder zum Leben erwachen können; und wie eine neue Geschichte erzählt werden kann, ohne die alte einfach abzureißen und zu vergessen. Ein Thema, das uns sehr am Herzen liegt – entstand doch auch unser Hamburger stilwerk in einer ehemaligen Malzfabrik.
Damit ist uns hoffentlich auch ein kleines Wunder gelungen, denn wir haben das Magazin erstmals komplett in Eigenregie erstellt. Dafür allen, die daran mitgewirkt haben, ein herzliches Dankeschön, vor allem Linda Ehrl und Stefan Heyer. Es ist wunderbar geworden. Also wundern sie sich! Denn Wunder sterben niemals aus, solange wir an sie glauben. Ihr Alexander Garbe
Foto Niculai Constantinescu
Diese und weitere Geschichten über wundervolle Menschen und Orte haben wir im vorliegenden Magazin für Sie zusammengetragen und mit einem liebevollen Augenzwinkern kuratiert.
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CLAUDIA KLEIN ist die Fotografin unserer Fotostrecke und bekannt für ihren direkten, spielerischen Blick auf den menschlichen Körper. Ihre Bilder erscheinen in diversen Magazinen, wie Zeit Magazin, SZ-Magazin, L’officiel hommes und Sleek. Sie arbeitete für internationale Kunden, u.a. Vitra, Volkswagen und La Biosthétique Paris. Sie lebt in Berlin und Zürich. www.claudiakleinphotography.com BAZON BROCK bezeichnet sich selbst als Denker im Dienst und Künstler ohne Werk. Er ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal. Seit 2011 betreibt er die Denkerei /Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand mit Sitz in Berlin. www.denkerei-berlin.de LUKAS FEIREISS Das Multi-Talent hat sich selbst einmal als Creative Bastard beschrieben. Wie sonst bringt man Professor für Raum und Designstrategien, Künstler, Autor, Moderator und Experte für visuelle Kultur und urbane Architektur unter einen Hut? Das Wort Kurator allein scheint zu simpel. Uns begeistert er diesmal mit wundervollen Geschichten von der Reise zum Mond. www.studiolukasfeireiss.com FRIEDERIKE STEINERT ist Fotografin und Journalistin und lebt in London, wo sie zurzeit an ihrer ersten Multi-Media-Installation arbeitet. Immer dann, wenn sie glaubt, dass es keine Wunder mehr gibt, erscheint ihr eines: dieses Mal in Form eines verzwickten Interviews mit der Künstlerin Sun-Kim. CHRISTIAN SCHAERNACK ist eloquenter Kunstkritiker und der festen Überzeugung, dass Kunst wahre Wunder bewirken kann. Alles frommes Wunschdenken? Das glauben Sie ja wohl selbst nicht. Ansonsten schreibt er regelmäßig für die „Neue Züricher Zeitung".
Claudia Klein Foto Jana Schmidt | Bazon Brock Foto Norbert Miguletz | Lukas Feireiss Foto Luise Volkmann | Friederike Steinert Foto Vanessa Leiser | Donald Schneider Foto Henrik Nielsen | Wilfried Lembert Foto Yves Sucksdorff | Andreas Möller Foto Anna Kähne
WILFRIED LEMBERT ist ein wahrer Kenner, wenn es um Möbeldesign geht. 1994 führte er an der Hochschule Anhalt am Bauhaus Dessau das Fach Designmethodik ein. 1999 gründete er minimum und eröffnete sein erstes Einrichtungsgeschäft im stilwerk Berlin. Zudem fungiert er als Herausgeber von Interior-Publikationen und sitzt im Designbeirat bei Thonet. www.minimum.de
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ANDREAS MÖLLER freier Chefredakteur und Medienberater in Hamburg, half mit, diese Ausgabe an den Start zu bringen. Da passt es, dass der Mann sich mit Wundern auskennt. Wie sein Lieblingsfußballverein, Borussia Dortmund, es von der Fast-Insolvenz ganz nach oben geschafft hat, ist ihm immer noch ein Rätsel. www.andreasmoeller.net
Foto: KlunderBie
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Wunder
Kolumne Bazon Brook - Luxurieren als soziale Strategie
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Wundervolle Menschen Natasha Athanasiadou - Generation Generous 10 Grant Achatz - Avantgarde-Koch 14 Christine Sun Kim - Kunst, Klang und Kommunikation 18 Boyan Slat - Ocean Cleanup Project 24 Ramdane Touhamie - Tausendsassa 28 Giotto Bizzarrini - Godfather of Gran Turismo 32 Digital Natives - Dystopia statt Utopia 36
Foto Claudia Klein Sofa FREISTIL ROLF BENZ Wandbehang Collage aus Bomberjacken Simon Mullan www.simonmullan.com Galerie www.dittrich-schlechtriem.com Top MOSCHINO, Schuhe GUCCI von SECONDELLA
Kolumne Wilfried Lembert - hygge's not dead
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Recycled Architecture
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Wundervolle Orte Vuurtoreneiland, Niederlande - Der vergessene Leuchtturm Mond, Kosmos - Der achte Kontinent Fogo Island, Neufundland - Fünf Sterne Natur Mailand, Italien - Die Wunderkammer der Rossana Orlandi Marrakesch, Marrokko - Der Haute Couture Tresor Arktis, Nordpolarkreis - The North Face colette, Paris - Über die Kunst der Kooperation und das Ende einer Ära
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Fashion meets Interior - stilwerk x Freunde von Freunden
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Local Wonders an unseren Standorten Berlin - Düsseldorf - Hamburg
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Impressum 98
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Kolumne Bazon Brock Luxurieren als soziale Strategie
Foto Claudia Klein
Bazon Brock und seine selbst designten goldenen Essstäbchen
Schon vor vierzig Jahren habe ich dem japanischen Staat vorgerechnet, dass es in jederlei Hinsicht vorteilhaft wäre, jedem Einwohner ein Paar goldene Essstäbchen zu schenken. Warum? Japaner benutzen zu jeder Mahlzeit frische Holz- oder Plastik-Essstäbchen, weil im feuchtwarmen Klima die Keimentwicklung auf benutzten Stäbchen kaum unterbunden werden kann. Um den Nachschub an hölzernen Essstäbchen zu sichern, schlug und schlägt man in Südamerika Urwaldriesen. Diesen irrwitzigen, zerstörerischen Konsequenzen der Konsumsicherung entginge man, wenn jeder Asiate vom fünften Lebensjahr an ein Paar goldene Essstäbchen benutzte. Zum einen: Gold nimmt keine Bakterien an, und somit sind goldene Essstäbchen unter allen klimatischen Bedingungen stets hygienisch einwandfrei. Zum anderen: Es wäre ökologisch höchst wünschenswert, die Rodung der Urwälder zu stoppen. Auch würde es sich ökonomisch rechnen, goldene Essstäbchen zu benutzen, statt dreimal täglich, wenn auch nur für Cent-Beträge, neue Stäbchen zu erwerben; denn je nach aktuellem Goldpreis hätten sich nach zehn bis fünfzehn Jahren die Investitionen in goldene Stäbchen ausgezahlt. Kaum jemand würde Essstäbchen aus Gold so leichtsinnig wegwerfen wie solche aus Holz oder Plastik – und so bliebe den Japanern über Jahrzehnte die Ausgabe für täglich neue Bestecke erspart. Dieses Beispiel zeigt, dass Luxurieren in jeder Hinsicht eine sehr sinnvolle soziale Strategie sein kann − jedenfalls dann, wenn man selbst oder kompetente Fachberater zu erkennen vermögen, dass Premiumwaren nicht nur teuer, sondern auch gestalterisch oder kunstund kulturgeschichtlich wertvoll sind. Denn solche „Luxus“-Anschaffungen lohnen sich für das ganze Leben, weil sie mit den Jahren zu Antiquitäten werden,
die bekanntlich immer höhere Preise erzielen als günstige Neuwaren, die bestenfalls zu SecondhandAngeboten werden. Ganz sicher erbt jeder von uns lieber höherwertige Antiquitäten als durch Gebrauch verschlissene Durchschnittsware. Und da „Vererben“ eine der entscheidenden generationenübergreifenden Verbindlichkeiten bezeichnet, ist das Weitergeben des Kostbaren die erfolgreichste Stiftung von kulturellem Bewusstsein. Auch im Nahrungsmittelbereich lautet die Devise: Es fördert die Gesundheit und die Schönheit, weniger zu essen, dafür aber hochwertigere Produkte zu wählen. Für eine solche Wahl benötigt man Wissen. Das Modernitätspostulat „less is more“ sagt also auch: Bildung zahlt sich aus. Das Bessere vom Guten unterscheiden zu können, zeigt den Grad der Bildung von uns Konsumenten an. Vielen Bewunderern des ökonomischen Fortschritts durch Massenkonsum nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte auf den ersten Blick nicht einleuchten, dass die Generalmaxime der Moderne „less is more“ heißen soll. Wann und wieso ist weniger mehr? Nehmen wir das Beispiel Wohnraum. Auch hier gilt: Ein Raum wirkt optisch größer und attraktiver, je weniger raumfressende Möbelmonster des Typs Gelsenkirchener Barock das Zimmer verstopfen. Wenige Möbel heißt aber auch, dass sich der Blick auf Einzelobjekte konzentriert, die in ihrer gestalterischen und materialen Hochwertigkeit umso anspruchsvoller sein müssen. Man muss luxurieren. In diesem Sinne modern sein zu wollen, heißt zu verstehen, dass Luxurieren die sinnvollste soziale Strategie für all diejenigen ist, die mehr aus weniger gewinnen wollen.
Bazon Brock bezeichnet sich gern als Denker im Dienst und Künstler ohne Werk. Er ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal. Brock gründete zahlreiche Institute, darunter das Institut für Gerüchteverbreitung und eines für theoretische Kunst, das Labor für Universalpoesie und Prognostik, das Büro für Evidenzkritik, das Pathosinstitut Anderer Zustand und die Prophetenschule. Seit 2011 betreibt er die Denkerei / Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand mit Sitz in Berlin. www.denkerei-berlin.de
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GENERATION
Text Lena Unbehauen Foto Maria Karagianni
GENEROUS
Seit über einem Jahrzehnt erzählen Modemagazine blumige Geschichten aus der Fair Fashion Welt. Doch beim Endverbraucher landen nur wenige der ethisch produzierten Styles und Fast Fashion Konzerne wachsen stetig weiter.
Natasha Athanasiadou fordert ein radikales Umdenken der Modebranche und setzt dabei auf die Generation Generous. Als Produktmanagerin und Inspektorin im Auftrag internationaler Modekonzerne war Natasha Athanasiadou jahrelang in den Fabriken von Bangladesch, Indien und China unterwegs. Dort erhielt sie schockierende Einblicke in die wenig glamouröse Seite der Fashionindustrie.
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„Ich habe die ‚Dark Side‘ der Mode kennengelernt. Es geht um hohe Stückzahlen, mehr und mehr Kollektionen, Tempo, Effektivität, Haupt-sache billig. Für die Bedürfnisse der Näherinnen oder die giftigen Abwässer, die an den Produktionsstätten ungefiltert in die Flüsse geleitet werden, interessiert sich in dieser Branche kaum jemand“, berichtet die Mode-Insiderin. Der Fast Fashion Industrie geht es gut: Laut einer aktuellen Studie von The Boston Consulting Group (BCG) und der Global Fashion Agenda wird der Branche ein weiteres Wachstum prognostiziert – von aktuell 62 Millionen Tonnen Schuhe und Textilien auf 102 Millionen Tonnen in 2030. Doch der negative Einfluss der Modebranche auf die Umwelt lässt sich angesichts immenser Mengen CO² und Müll, hoher Ressourcenverschwendung, Chemikalieneinsatz und oft prekären Sozial- und Sicherheitsstandards für Arbeiter nicht ignorieren und führt langfristig zu einem ImageProblem. „Die Mode ist in einer Krise, genau wie es die Menschheit aktuell ist“, erklärt Natasha Athanasiadou.
„Die Zustände in der Modewelt sind bereits jetzt dramatisch und das Umdenken muss auf einer ganz anderen höheren Ebene stattfinden. Es geht darum, weniger zu konsumieren, die Kreisläufe zu schließen, zu recyceln. Die bloße Ausrichtung auf Profit ist nicht mehr zeitgemäß.“ Der Ruf nach neuen Werten in der Modewelt Deshalb engagiert sich die Griechin seit über sieben Jahren aktiv in der Slow Fashion Bewegung, die sich für nachhaltige und bewusste Mode und einen Wandel hin zu mehr Verantwortung und Respekt für Mensch und Umwelt sowie ein verändertes Bewusstsein gegenüber dem Produkt, dessen Ursprung und dem eigenen Konsumverhalten einsetzt. Als ehemalige Country Managerin für Griechenland brachte Athanasiadou auch die „Fashion Revolution Week“ voran: eine internationale Aktionswoche für Aufklärung und Transparenz im Fashion-Segment, die jedes Jahr im April im Gedenken an den Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch stattfindet.
Die Katastrophe kostete 2013 mehr als 1000 Arbeitern das Leben. „Wenn die Kunden immer mehr Fragen stellen, muss auch die Mainstream-Industrie irgendwann handfeste Antworten liefern“, weiß die Aktivistin. Im Aktionszeitraum 2017 erreichte die in Großbritannien gegründete Organisation weltweit zwei Millionen Menschen mit rund tausend Fashion Revolution Events – von Catwalks über Kleidertauschaktionen bis hin zu Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen und Workshops – und einer groß angelegten Social Media Kampagne. Unter dem Hashtag #whomademyclothes fragten mehr als hundertausend Konsumenten, Seite an Seite mit Celebrities wie der Schauspielerin Emma Watson, Modemarken danach, wer ihre Kleidung produziert. Ziel war es, den Arbeitern in der Textilbranche ein Gesicht zu geben. Globale Marken wie Zara, Fat Face, Massimo Dutti, Pull and Bear, G Star Raw, Marks and Spencer, Marimekko und Gildan waren unter den rund 2000 Brands und Händlern, die mit Informationen über ihre Zulieferer oder Fotos von Arbeitern auf den Aufruf antworteten.
Foto Generation Generous
Die im Transformationsprozess befindlichen Modeunternehmen, die Athanasiadou in ihrer Tätigkeit als selbstständige Beraterin unterstützt, erinnert sie immer wieder an die nötigen Werte: „Für den Wandel braucht es Transparenz und Integrität, Mut, Demut und nicht zuletzt die Erinnerung an Humanität.“ Es erfordere auch dringend neue Geschäftsmodelle, die unter Berücksichtigung der Umweltverantwortung und der Menschenrechte neue Wege gehen, so ihr Plädoyer.
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Eine Tasche für das Geber-Gen Basierend auf dieser Überzeugung gründete die zwischen London und Griechenland pendelnde Unternehmerin Athanasiadou 2012 ihr eigenes, nachhaltig-soziales Taschenlabel namens „Generation Generous“. Sie will damit ein Statement setzen: gegen TurboProduktivität und Wegwerfmentalität, für ein neues Erwachen. „Wir Menschen sind von Natur aus großzügig und besitzen das Geber-Gen, wir müssen es nur aktivieren. Es ist eine innere Haltung”, glaubt die Mode-Aktivistin. Entgegen dem Trend zur Masse besteht ihre Taschenkollektion aus nur einem Modell. Das zeitlose und vielseitig interpretierbare Design erinnert bewusst an klassische Papiertüten, die man an der Supermarktkasse ersteht. Das Label möchte damit unsere Konsummentalität hinterfragen und das Ungleichgewicht der Modeindustrie unverschnörkelt aufs Tableau bringen. „Generation Generous richtet sich an Menschen, die innerhalb ihrer Möglichkeiten etwas tun wollen, um die Zustände zu verbessern.“ Ihre Zielgruppe beschreibt Athanasiadou gerne als „global citizens“, eine Generation kritischer Konsumenten, die wissen will, wo, von wem und unter welchen
Bedingungen ihre Produkte hergestellt wurden. Simplizität, Transparenz und Nachhaltigkeit sollen schick werden, dafür agiert Generation Generous auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette. Gefertigt werden die StatementTaschen aus recyceltem Plastik in LederOptik von hochspezialisierten Näherinnen in Taiwan – selbstverständlich zu fairen Arbeitsbedingungen. Rund 120 Euro kosten sie und werden bislang vor allem online vertrieben. Der Clou: Beim Kauf einer Handtasche kann der Kunde anhand von fünf Farbvarianten entscheiden, welches menschliche Grundbedürfnis mit seinem Beitrag gestillt werden soll: sauberes Trinkwasser, Nahrung, Wohnraum, medizinische Versorgung oder Bildung. Ein Teil des Erlöses geht an fünf entsprechend ausgerichtete NGOs, die vor Ort in den Produktionsländern wirken. Laut Aussage des Unternehmens konnte so bereits das Leben von 3000 Menschen positiv beeinflusst werden.
links Für mehr Transparenz: Der Fashion Revolution Protestmarsch organisiert von Humana Spain und Moda Sostenible Barcelona. Foto von Bryan Berry rechts Die Arbeiter der Tuchfabrik Iris Textiles bekennen sich zu neuen nachhaltigen Materialien, die sie für "The New Denim Project" herstellen. Foto von Joan Subirats www.generationgenerous.com www.fashionrevolution.org
Ein kleines Wunder hat Athanasiadou mit Generation Generous bereits vollbracht. Für das große Wunder, einen ganzheitlichen „Shift“ in der Fashionwelt, engagiert sie sich weiterhin hauptberuflich als Beraterin für neue Geschäftsmodelle und nachhaltige Initiativen.
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DER AVANTGARDE-KOCH, DER SEINEN GESCHMACKSSINN VERLOR Text Nicole Niewiadomski Portrait Alinea Group
Gibt es etwas Schlimmeres als seine wichtigste Begabung zu verlieren, wenn man gerade auf dem Weg ist, zu einem der profiliertesten Avantgarde-Köche der Welt zu werden? Die unglaubliche Geschichte des Amerikaners Grant Achatz
Bereits einige lebensverändernde Hürden musste Grant Achatz meistern, um dort anzukommen, wo er heute steht: an der Spitze der internationalen Sterneküche. Aktuell läuft es für den 43-Jährigen besser denn je. Spätestens seit seinem Auftritt in der preisgekrönten Netflix-Serie „Chef ’s Table“ kennt man ihn: den verrückten Chefkoch, der seine Nachspeisen direkt auf der Tischdecke anrichtet. Von Regeln hält Achatz wenig – nicht umsonst ist der Sternekoch für die Fähigkeit bekannt, sich immer wieder mit gnadenloser Radikalität neu zu erfinden. Diese Eigenschaft spiegelt sich nicht nur in seinen kulinarischen Kreationen wieder: Im Sommer 2016 wurde auch
das Interieur seines Restaurants „Alinea“ grundlegend überarbeitet. Nach einer umfassenden Renovierung herrscht hier nun ein elegantes, cleanes Ambiente. Achatz’ Weg beginnt in der Küche eines Diners in St. Clair, einer Kleinstadt in Michigan, USA. Als Sohn des Besitzers darf er bereits sehr früh seinem Vater beim Zubereiten der Speisen über die Schulter schauen. Doch die bodenständige Küche erscheint ihm schon damals zu einfach. Es fehlt ihm die Leidenschaft und der besondere Twist. Nach seinem Abschluss am Culinary Institute of America 1994 und einigen Stationen in den Küchen bekannter Sterneköche, wie
Charlie Trouter und Thomas Keller, bekommt er eine Stelle als Chefkoch im „Trio“, einem Restaurant in Chicago. Von den Kochkünsten des jungen Achatz überwältigt, macht ihm eines Abends einer der Gäste, Nick Kokonas, das Angebot, zusammen ein Restaurant zu eröffnen. Noch in derselben Nacht sagt Achatz zu. Von nun an geht alles ganz schnell – bereits am Eröffnungsabend im Mai 2005 sind die namhaftesten Restaurantkritiker der Welt zu Gast. Kurz danach der Anruf, der Achatz‘ lang ersehnten Kindheitstraum endlich Wirklichkeit werden lässt: Das „Alinea“ wird vom renommierten Gourmet Magazine zum besten Restaurant Amerikas gekürt.
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Eine lebensverändernde Diagnose Es folgt eine Ära scheinbar endloser Kreativität, in der eine Auszeichnung die nächste jagt. Der Dauererfolg wird einzig getrübt durch eine schleichend größer werdende, schmerzende Wunde auf Achatz’ Zunge, die dem Koch bereits seit den Anfängen von „Alinea“ zu schaffen macht. Die Beschwerden nehmen zu, aber der Workoholic drängt sie zur Seite. „Ich konnte irgendwann kaum noch essen, trinken oder sprechen. Aber ich dachte mir: Du bist gerade dabei, deinen Traum zu verwirklichen. Also muss das erst einmal warten“, erinnert sich Achatz. Doch im Sommer 2007 sind die Schmerzen so stark, dass ein Arztbesuch unvermeidlich wird. Zwei Tage später die Diagnose, die das Leben des Sternekochs über Nacht auf den Kopf stellt: Zungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Die Heilungschancen sind gering, die scheinbar einzige Hoffnung ist eine aufwendige Operation, bei der drei Viertel seiner Zunge entfernt werden müssten – was unweigerlich das Ende seiner jungen Karriere bedeuten würde.
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Achatz entscheidet deshalb, die dringende OP-Empfehlung seines Arztes zu ignorieren und fasst stattdessen den radikalen Entschluss, sich seinem Schicksal zu fügen. Bis eine ungeahnte Wende alles ändert. Durch eine Pressemitteilung hat die University of Chicago von Achatz’ Krankheit erfahren. Die Ärzte schlagen ein medizinisches Experiment vor: eine besondere Chemotherapie mit einer geschätzten Heilungschance von 70 Prozent. Weil er nichts zu verlieren hat, lässt sich der Starkoch auf den Behandlungsversuch ein – ohne jedoch im Restaurant zurückzustecken. Es folgt ein regelrechter Marathon. Früh morgens beginnt die erste Chemotherapie, danach die Vorbereitungen im „Alinea“. Nachmittags geht Achatz zur zweiten Behandlungssitzung, um abends pünktlich zur regulären Schicht im Lokal anzutreten. Er ist der vollkommenen Erschöpfung nahe. Außerdem führt ein Thema im Team zunehmend zu Konflikten: Immer wieder beschuldigt Achatz seine Köche, die Speisen nicht ausreichend gewürzt zu haben. Doch
nach zahlreichen Diskussionen wird ihm die schockierende Wahrheit bewusst: Das eigentliche Problem liegt bei ihm selbst. Die Ärzte bestätigen seine Befürchtung. Als Nebenwirkung der Chemotherapie hat der Sternekoch seinen Geschmackssinn verloren. Gleichzeitig überbringen sie ihm eine gute Nachricht: Der Krebs sei geheilt und Achatz offiziell genesen. Kochen ohne Geschmackssinn Die Ironie könnte nicht perfekter sein. Was als steile Karriere begann, sieht plötzlich nach einem abrupten Ende aus. Doch Resignieren ist für Achatz keine Option: „Ich hatte das Gefühl, den Menschen zeigen zu müssen, dass wir trotz allem immer noch innovativ sein können. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich auch ohne meinen Geschmackssinn Chefkoch sein kann, weil ich das alles im Kopf habe.“ So beginnt er, seine vielen Konzepte und Ideen zu Papier zu bringen. Nach und nach entwickeln sich seine oft wilden und chaotischen Zeichnungen zu einem System, mit dessen Hilfe er mit seinen Mitarbeitern kommunizieren
„NACH EINEM ERNEUTEN SCHLUCK WAR MIR KLAR – MEIN GESCHMACKSSINN IST WIEDER DA.“
Portraitfoto Christian Seel | Foodfotografie Allen Hemberger
kann. Die vielen Skizzen bilden in seiner „geschmacklosen Phase“ die Basis für alle neuen Kreationen des Restaurants. Es folgt eine unerwartete Hochphase – der Run auf das „Alinea“ ist größer denn je. Ein paar Wochen später macht Achatz erneut eine alles verändernde Erfahrung: Beim Frühstück gibt er aus Gewohnheit einen Würfel Zucker in den Kaffee. Erstaunt stellt er fest, dass seine Geschmacksnerven auf die Süße reagieren: „Ich dachte mir: Wow, ist das süß. Ich musste die Tasse wegstellen, weil ich es kaum glauben konnte. Nach einem erneuten Schluck war mir klar – mein Geschmackssinn ist wieder da.“ In den folgenden Wochen kommen schubweise weitere Geschmacksempfindungen zurück: Salzigkeit, Säure, Bitterkeit. Die sukzessive Wiederkehr seines Geschmackssinnes erlebt Achatz wie den Beginn eines neuen kulinarischen Lebens: „Ich durfte diese Erfahrung im Alter von 33 Jahren nochmals von vorne machen. Für mich war dies eine Offenbarung, die meine gesamte Welt als Koch verändert hat.“
Achatz betrachtet die unerwartete Wiederkehr seines Geschmackssinns als Zeichen und als zweite Chance. So bereitet das wundervolle Ereignis den Weg für viele der innovativsten und kreativsten Speisen im „Alinea“. Darunter ein essbarer, mit Helium gefüllter Ballon aus Zuckermasse mit Apfelgeschmack – eines der bekanntesten Signature Dishes des Restaurants. Heute bietet der gefeierte Koch in seinem Drei-Sterne-Restaurant seinen Gästen ein unvergleichliches und vor allem unvorhersehbares Erlebnis, das alle Sinne triggert. Besonders die dargebotenen Kombinationen zum Riechen und Schmecken begeistern die Gourmets. Denn die Techniken der Molekularküche erlauben es Achatz, einzelne Aromen zu destillieren und gezielt ins Dinner-Erlebnis einzuflechten. Ganz nach dem Motto „Expect the unexpected“ ist hier nichts so, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Dieses wundersame Überraschungselement zieht sich wie ein roter Faden durch den Besuch im Restaurant und auch durch Achatz‘ Leben.
Sein persönliches Wunder hat der Sternekoch in dem Buch „Life, on the Line: A Chef‘s Story of Chasing Greatness, Facing Death, and Redefining the Way We Eat“ dokumentiert. www.alinearestaurant.com
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DIE WUNDERSAME WELT DER CHRISTINE SUN KIM Text Friederike Steinert Foto Iga Drobisz
oben The Sound of Obsessing Set Titel The Sound of Non-Sounds 125x125cm, Charcoal on paper 2017 Foto Rubin Museum | David de Armas
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unten Tanz-Video mit MIT Media Lab und Choreographin Karole Armitage Fotos Tate Tullier
Klang, Kunst und Kommunikation: Am Schnittpunkt zwischen
Genau hier setzt die Arbeit der amerikanischen Künstlerin Christine Sun Kim an. Ähnlich vielschichtig ist auch dieser Artikel, liefert er doch nicht nur einen Einblick in ihre wunderbare Welt, sondern beschreibt auch, was schiefgehen kann, wenn eine Journalistin ihr Idol interviewt. Manchmal gibt es zwei Möglichkeiten, einen Artikel einzuleiten. Fangen wir mit der klassischen Variante an: Ein Interview mit Christine Sun Kim kann nicht mit anderen Interviews verglichen werden. Das liegt nicht nur daran, dass die Herstellung der Skype-Verbindung länger dauert als die Aufhebung der Linearität der Fragerichtung, sondern daran, dass Sun Kim ihre ganz eigene Herangehensweise an die Dinge hat. Ein Beispiel ist ihre Serie Six types of waiting in Berlin. Während andere an dem Tempowechsel, den ein Umzug von New York nach Berlin mit sich bringt, verzweifelt wären, hat sie aus dieser Erfahrung ganz einfach eine Serie, bestehend aus sechs Zeichnungen, gemacht. Darin spiegelt sie die typischen ersten Schritte eines Migranten in Deutschland – wie den Gang zur Einwanderungsbehörde, die Anmeldung bei der Krankenkasse oder Kontoeröffnung in einer Bank – anhand von Musiknoten und dynamischen Zeichen wider und macht Zeit sichtbar. Doch zurück zum Interview, in dem ich meine sorgsam vorbereiteten Fragen
innerhalb kürzester Zeit über Bord werfen kann. Statt dem vorgegebenen Weg zu folgen, führt mich Sun Kim durch ein wortgewordenes Spiegelkabinett. In dem Prozess knüpft meine Gesprächspartnerin immer wieder an zuvor angesprochene Punkte an, hinterfragt meine Anmerkungen und Behauptungen, bittet um Erklärungen und sorgt so dafür, dass wir immer wieder vom größten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kommen. Ihr scheint es, untypisch für ein Interview, in aller damit einhergehender Ernsthaftigkeit, um gegenseitiges Verstehen zu gehen. Auch in ihrer Arbeit geht es immer wieder um Kommunikation – und den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Was sie umtreibt, sind oft die „Nuancen von Missverständnissen oder Sprachnuancen und Zwischentöne innerhalb von Kommunikation“, erzählt sie mir. Und damit wären wir am Ende einer klassischen Artikeleinleitung; gehen wir aber an diesem Punkt noch einmal zurück auf Start, könnte man den gleichen Artikel auch mit folgender Einleitung beginnen: Oft wird man davor gewarnt seine Idole zu treffen. Bis jetzt habe ich geglaubt, dass das ein typischer Fall
von viel Lärm um nichts ist. Dass die Warnung durchaus Berechtigung hat, weiß ich seit diesem Mittwochnachmittag im Oktober. Für diesen Tag ist ein Interview mit Christine Sun Kim in meinem Kalender eingetragen – sie ist eine meiner liebsten Künstlerinnen und seit Jahren immer wieder ein wichtiger Referenzpunkt für mich. Ich habe mich dementsprechend noch einmal eingehend mit der Künstlerin und ihrem Werk befasst. Am Ende des Tages bin ich trotz alledem kein Stück auf das vorbereitet, was passiert: Die Künstlerin macht aus dem Interview kurzerhand ein Zwiegespräch, das meine Improvisationsgabe immer wieder auf die Probe stellt. Damit, dass ich meiner liebsten Künstlerin erklären muss, wie ich zu meinen Einsichten über ihre Arbeiten gekommen bin – und damit, dass ich mit meinen Ansichten teilweise auf offensichtlichen Widerstand stoße – habe ich nicht gerechnet. In ihrer Installation Game of Skill 2.0 konnten die Besucher einen von Christine geschriebenen Text hören – allerdings nur, wenn sie eine für das Projekt installierte Vorrichtung, die an einen Parcours durch die Galerie verknüpft war, richtig hielten. Während des Interviews kommt es mir so vor, als ob das Leben die Kunst imitiert.
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„WENN ES NICHT FUNKTIONIERT, IST DAS IN ORDNUNG, DAS IST IRGENDWIE DER SINN VON KUNST“
Christine Sun Kim wurde 1980 als Tochter koreanischer Eltern in Kalifornien geboren. Ausgestattet mit einem Master in Kunst und einem in Sound & Music umfasst ihr bisheriges Oeuvre Zeichnungen, Performances, Installationen und Keramikarbeiten. Ihre Kunst wird nicht nur in ihrer Heimat in renommierten Museen wie dem New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt, sie findet weltweit Anklang. So wurden ihre Arbeiten
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bereits in der Tate Modern und auf der Art Basel sowie in unzähligen Galerien, von Melbourne bis Seoul, gezeigt. Darüber hinaus ist die Kunst von Christine Sun Kim genauso vielschichtig und schwer zu erklären, wie es der verschwommene Bereich zwischen Verständnis und Missverständnis ist. Sie ist zeitgleich subtil und klar, lässt einen staunen und schmunzeln und schafft es, dem Betrachter das überhaupt nicht lachhafte Gefühl zu geben, mit seinen Stärken und Schwächen ein wichtiger Teil dieser Welt zu sein. Ich bezeichne ihre Kunst oft als emphatisch, ein Begriff, der mir sonst nicht oft einfällt, wenn ich an Kunst denke; es ist einer der Gründe, warum ich sie vorgeschlagen habe, als ich an das Wort Wunder, das dieser MagazinAusgabe zu Grunde liegt, gedacht habe. Doch das ist noch nicht alles, was Christine Sun Kim so besonders macht. Im Gegensatz zu anderen Künstlern, die sich hauptsächlich und immer wieder mit Sound, Klängen und musikalischen Noten und Zeichen befassen, ist Christine gehörlos geboren. Als wir an einem Mittwochnachmittag skypen, bin ich in London, Christine in Berlin und Beth Staehle, ihre Dolmetscherin, schaltet sich aus Brooklyn zu. Bevor ich die erste Frage gestellt habe, gibt es also schon eine weitere, eine ungewohnte Ebene: Beth. Während sie ihren morgendlichen Kaffee trinkt, erzählt sie uns, wie sommerlich warm es in New York noch ist, danach
verblasst die New Yorker Erzählebene – die Stimme von Beth und das Bild von Sun Kim, das gesprochene Wort und die Gebärdensprache, verschwimmen und werden zu einem großen Ganzen. Christine erklärt diese Zusammenarbeit folgendermaßen: „Dolmetscher haben ihre eigene Persönlichkeit. Heute färbt Beth meine Stimme, die anderen Dolmetscher, mit denen ich arbeite, beeinflussen meine Stimme auf ihre Art und ich finde dieses Gefühl des sich etwas Ausleihens interessant. Ich leihe die Identität einer Person oder ich leihe ein System oder ich leihe eine Stimme.“ Ein Teil der Faszination, die ihre Arbeit ausmacht, entsteht aus diesem Zusammenspiel zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen wiedererkennen und neu entdecken. Der Twist, der ihren Arbeiten, egal wie unterschiedlich sie sein mögen, innewohnt, ist und bleibt dabei der Gleiche: Die Erfahrung des hörenden Betrachters ist der Erfahrung der Künstlerin exakt entgegengesetzt. Sie schafft die Gratwanderung zwischen Kunst, die nur durch ihre Biographie so entstehen kann und Kunst, die offen interpretierbar ist. Darauf muss man als Betrachter erstmal kommen. Christine Sun Kim schafft mit ihrer Kunst Brücken, die sich an den Betrachter anzupassen scheinen. Doch wo Brücken sind, gibt es auch Hindernisse, die überwunden werden müssen, und eins dieser Hindernisse
Alle Hintergrundgrafiken courtesy of the artist
Für mich wird auch das Schreiben dieses Artikels zu einer Kraftprobe. Ich denke immer wieder über die Möglichkeiten und das Versagen von Kommunikation nach und versuche damit umzugehen, dass ich gerade diesen, für mich so wichtigen, Artikel nicht in Sätze packen kann. Klingt ja auch fast wie ein Witz, dass meine Möglichkeiten der eloquenten Kommunikation in der Sekunde versagen, in der ich mit einer Künstlerin spreche, die die Grenzen ihrer eigenen Kommunikationsmöglichkeiten immer wieder überschreitet. Während die erste Deadline verstreicht, denke ich auch immer wieder daran, was sie gesagt hat, als wir über das Versagen als Künstler sprechen. Ihre Ansicht: „Wenn es nicht funktioniert, ist das in Ordnung, das ist irgendwie der Sinn von Kunst“. Mit diesen Worten im Ohr schreibe ich die x-te Variante des Artikels. Eines Artikels, der ungewöhnlich spät im Text erklärt, wer die Dame eigentlich ist und was sie macht:
bringt mich ins Straucheln: Als ich ganz selbstverständlich davon spreche, dass sie Welten erschaffe, stoße ich auf Widerstand. Sie mag die Idee nicht, so viel ist klar. Was mir zunächst nicht ganz so klar ist, warum dem so ist. Erst am Ende des Interviews stoße ich auf die Antwort: „Ein Cousin von mir hat mich mal Folgendes gefragt: ‚Gehörlos sein, das bedeutet, dass du als Fremde verschiedene Länder besuchst, ist das so? Du suchst diese Orte auf und folgst der dort gängigen Kultur und den Gebräuchen‘ und ich habe gedacht: ‚Ja, so fühle ich mich‘. Ich besuche vielleicht nicht andere Welten, ich habe das Gefühl, dass ich Teil der Welt bin, ich kommuniziere nur auf eine andere Art.“ Wie in ihrem gerade fertig gestellten neuesten Projekt, einem Tanzvideo. Darin verschwimmen die Grenzen zwischen Gebärdensprache und Tanz. Die Kollaboration mit der Choreographin Karole Armitage ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Kreativität von Christine Sun Kim keine Grenzen kennt und dass Kommunikation in vielerlei Gestalt daherkommen kann – und dass Kunst die Grenzen des Möglichen und des Unmöglichen verwischen und manchmal sogar wegfegen kann. Irgendwann im Interview und eigentlich nur als Nebensatz in die Unterhaltung geworfen, meint sie, dass sie eine riesengroße Stimme hätte, dass alles was fehlen würde, der angeschlossene Klang sei. Es ist ein Gefühl, dass jeder kennt. Ein Gefühl, das mich fast dazu gebracht hätte, diesen Artikel nicht fertig schreiben zu können, eine Realität, die Christine Sun Kim nicht daran hindert, trotzdem neugierig und interessiert durch die Welt zu gehen. Etwas, das dafür sorgt, dass ich, wenn ich könnte, am liebsten morgen wieder mit ihr skypen würde. www.christinesunkim.com
Game of Skill 2.0 Konzept Christine Sun Kim Electronic Instrument Designer Levy Lorenzo MoMA PS1, New York Foto Pablo Enriquez
Game of Skill 2.0 Foto H. Paul Moon
Sitting in an Immigration Office’s Waiting Room Set Titel Six Types of Waiting in Berlin 50x65cm, Charcoal on paper 2017
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OCEAN
CLEANUP PROJECT
Text Lena Unbehauen Foto The Ocean Cleanup Project
Dass ein 18-Jähriger vom Aufräumen träumt, scheint erstmal verwunderlich. Wenn man dann noch erfährt, dass er plant, ganze Ozeane von Plastik zu säubern, halten die meisten diese Idee für irrwitzig. Und dennoch – allen Zweiflern zum Trotz – ist das Projekt „The Ocean Cleanup“ von Boyan Slat auf dem besten Wege Wirklichkeit zu werden. Das erklärte Ziel: In nur fünf Jahren soll der Pazifische Ozean von der Hälfte des Kunststoffmülls befreit werden.
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Mehr Plastik als Fische sah der niederländische Teenager Boyan Slat beim Tauchurlaub in Griechenland. Das war für ihn der Auslöser, sich mit dem Thema Meeresverschmutzung intensiver auseinanderzusetzen. Was ihn dabei am meisten verwunderte, war die weitverbreitete Resignation angesichts dieser Mammutaufgabe – denn jährlich gelangen mehrere Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane. Lasst es uns doch einfach aufräumen, dachte er sich in jugendlicher Naivität. Allerdings wurde ihm schnell klar, dass konventionelle Methoden, um die Meere mit Netzen und Schiffen von Kunststoffen zu befreien, tausende Jahre dauern, zehntausende Milliarden Dollar kosten und zudem riesige Mengen an Emissionen verursachen würden. „Große Probleme brauchen großartige Lösungen.“ Der junge Erfindergeist ließ sich nicht entmutigen und entwickelte die Idee, das herumtreibende Plastik über ein passives Sammelsystem einzufangen, das die Kraft der Meeresströmungen für sich arbeiten lässt. 2012 präsentierte der frisch gebackene Abiturient der Welt seine Vision bei einer TEDx Konferenz – und stieß auf wenig Resonanz. Abermals trotzte Slat den Umständen und gründete mit nur 300 Euro Startkapital die gemeinnützige Organisation „The Ocean Cleanup“ – ganz nach dem Motto „Große Probleme brauchen großartige Lösungen“. Im März 2013 geschah der Durchbruch: Das TEDx Video wurde von mehreren Medien aufgegriffen und die Idee verbreitete sich wie ein virales Lauffeuer. Binnen weniger Tage konnte Slat mit Hilfe von Crowdfunding Spenden in Höhe von 90.000 Dollar einsammeln und ein Team aus Ingenieuren
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und Wissenschaftlern bilden. Das Ocean Cleanup Projekt war geboren. Angesichts der Problematik höchste Zeit, denn Plastikmüll in den Weltmeeren bedroht nicht nur über 600 maritime Arten, sondern hat, wenn er in Form von Mikro-Plastikpartikeln in die Nahrungskette gelangt, auch gesundheitsschädliche Auswirkungen für uns Menschen. Von den wirtschaftlichen Folgen für Tourismus, Fischerei und Gewerbe ganz zu schweigen. Laut Berechnungen der Vereinten Nationen belaufen sich die ökonomischen Kosten der Meeresverschmutzung auf 13 Milliarden Dollar jährlich. Die Logik der Meere nutzen Der Lösungsansatz von „The Ocean Cleanup“ ist verlockend simpel und genial zugleich – denn er beruht auf der Logik der Meere. Fünf Hauptströmungen fangen weltweit das herumtreibende Plastik ein und konzentrieren es in so genannten „garbage patches“ (Müllstrudel), wo es laut Slat nur noch eingesammelt werden muss. Dafür hat das Ocean Cleanup Team eine flexible, U-förmige Röhre mit einer Unterwasserblende entwickelt, die genau wie der Müll mit der Strömung treibt. Durch einen 600 Meter tiefer schwimmenden Anker kann die Strömungsgeschwindigkeit des Systems so weit verlangsamt werden, dass sich das schneller fließende Plastik verfängt. Sobald sich genug Kunststoffmüll angesammelt hat, wird dieser mit Hilfe von Pumpen und Transportbändern auf ein Schiff verfrachtet und an Land gebracht. Dort soll der Plastikmüll recycelt und als Material für Sonnenbrillen, Handyhüllen & Co genutzt werden. Durch den Verkauf dieser Produkte will das Ocean Cleanup Projekt auch finanziell nachhaltig werden. Das Besondere an dieser Technologie: Sie funktioniert autonom, energieneutral und ist laut Gründer Slat
skalierbar. So sollen Algorithmen dem Ocean Cleanup Team helfen, die optimalen Einsatzorte für die Sammelsysteme zu finden. Danach treiben diese autonom mit den Meeresströmungen. Zusätzlich können durch Echtzeit-Telemetrie Zustand, Kapazität und Route der Systeme überwacht werden. Auch was den Energieverbrauch angeht, ist das Projekt auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Da die Sammelsysteme passiv im Meer treiben, soll keine externe Energiequelle notwendig sein, um den Müll einzufangen. Alle sonstigen elektronischen Gerätschaften, die eingesetzt werden, sind solarbetrieben. Der große Cleanup-Plan – nur ein naiver Traum? Der große Plan von Slat und seinem mittlerweile 65-köpfigen Team sieht einen stufenweisen, globalen Scale-Up vor. So sollen nach und nach immer mehr dieser treibenden Sammelsysteme an neuralgischen Punkten der Weltmeere verteilt werden, um Plastik zu fischen. Doch ist das realistisch oder nur ein naiver Wunschtraum? Seine Feuertaufe hatte das hoch ambitionierte Projekt Ende Juni 2016, als ein Prototyp, bestehend aus einer 100 Meter langen Luftkissen-Kette, 23 Kilometer vor der niederländischen Küste in der Nordsee platziert wurde. Doch der Widerstandstest verlief weniger erfolgreich als erhofft. Nach nur zwei Monaten auf See musste alles wieder an Land geholt werden. Der Grund: Die Wellen der Nordsee waren zu rau, die Konstruktion zu schwach. Die äußeren beiden Teile des gebogenen Schwimmarms hatten sich verdreht, obwohl er mit zwei großen Bojen mit je drei Ankern befestigt war. Aufnahmen der Unterwasserkameras zeigten, dass das Verbindungsglied zwischen Barriere und Befestigung versagt hatte.
Fotos Erwin Zwart | The Ocean Cleanup Project
„WIR SOLLTEN UNS ALS GESELLSCHAFT NICHT IMMER NUR NACH VORNE BEWEGEN, SONDERN WIR MÜSSEN AUCH HINTER UNS AUFRÄUMEN.“
Der schwierige Nordsee-Testlauf rief auch wieder kritische Stimmen auf den Plan. Stiv Wilson von der Organisation 5gyres, die sich ebenfalls der Bekämpfung von Plastikmüll in den Meeresstrudeln verschrieben hat, bezweifelte bereits 2014 gegenüber der Süddeutschen Zeitung die Stabilität von Slats geplanter Anlage. Sie könne sich zu leicht aus der Verankerung reißen. Zudem unterschätze das Ocean Cleanup Team Seegang, Stürme und Meeresströmungen. Als weiteres Hindernis sehen die Forscher die Verkrustung durch Meeresorganismen. Dies könnte
die Barrieren beschädigen und unbrauchbar machen. Martin Thiel von der Universidad Católica del Norte in Chile fürchtet zudem, dass mit dem Plastik auch Meerestiere eingefangen und getötet würden, die an der Oberfläche leben. Aus dem Konzept bringen lassen sich Slat und sein Team dennoch nicht. Stattdessen tüfteln sie fleißig weiter, um den „Meeresstaubsauger“ zu optimieren – mit Erfolg. Aktuell laufen die Vorbereitungen für den großangelegten Cleanup des „Großen Pazifischen
Müllstrudels“, der im Mai 2018 starten und bei vollem Technologieeinsatz den Nordpazifik innerhalb von fünf Jahren von der Hälfte des herumtreibenden Plastikmülls befreien soll. Danach könnten der Indische Ozean, der Nord- und Südatlantik sowie der Südpazifik folgen. Wir sind es dem Wunder der Meere schuldig, meint Boyan Slat. Denn: „Wir sollten uns als Gesellschaft nicht immer nur nach vorne bewegen, sondern wir müssen auch hinter uns aufräumen.“ www.theoceancleanup.com
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TAUSEND
Text Judith Jenner Foto Yas Takagi
SASSA
Fotos officine_universelle_buly
Wunderkind
Fashion, Kerzenproduzent und Kosmetik-Guru: Ramdane Touhami ist immer für eine Überraschung gut.
Die Boutique der Beautymarke L’Officine Universelle Buly in Paris erinnert an eine Kulisse aus dem Film „Die Apothekerin“. In hölzernen Schränken verbergen sich duftende Essenzen, Puder, Zahnpasta, Öle und Seifen. Auf dem Verkaufstresen aus Marmor sind Fläschchen und Tuben akribisch angeordnet. Ein eigener Kalligraph schreibt Grußworte auf Geschenkkärtchen. Seifen können mit Initialen versehen werden. Der Ort atmet Geschichte, und das, obwohl die Kosmetikmarke der jüngste Coup von IdeenTausendsassa Ramdane Touhami ist. Geschichte in der Tube Zusammen mit seiner Frau, Victoire de Taillac-Touhami, hat er die Marke vor drei Jahren ins Leben gerufen,
obwohl der Schriftzug auf den Flacons und Tuben „Fondée à Paris en 1803“ suggeriert, dass das Geschäft bereits über 200 Jahre alt ist. Das klingt natürlich besser und ganz falsch ist es auch nicht: Denn in diesem Jahr erfand der Parfumeur Jean-Vincent Bully ein Gesichtswasser namens „Vinaigre de Bully“. Seine Erfolgsgeschichte inspirierte Honoré de Balzac später sogar zur Hauptfigur seiner gleichnamigen Novelle „César Birotteau“. Touhami verkürzte den Namen des Parfumeurs lediglich um einen Konsonanten, um anglofone Klienten durch die negative Bedeutung des Wortes „bully“ („Tyrann“) nicht abzuschrecken und rief eine moderne Naturkosmetiklinie ins Leben, die mittlerweile in eigenen Boutiquen in London, New York, Seoul, Hong-Kong oder Tokio verkauft wird.
Ein kreatives Multi-Talent Im Geschichtenerzählen ist der französisch-marokkanische Unternehmer und Designer Touhami ein großer Meister. Sie sprudeln aus ihm heraus wie gut geschüttelter Schampus. 1974 kam er in der Nähe von Toulouse zur Welt und wuchs als Sohn von Erntehelfern „zwischen Apfelplantagen“ auf. Mit 17 schmiss er die Schule und gründete mit Freunden das T-Shirt-Label „Teuchiland“, eine Kiffer-Parodie auf die Marke Timberland. Nach einem holprigen Start in Paris, wo er zeitweise auf der Straße lebte, gründete er die Skater-Marke „King Size“ und machte sich mit seinen „Polette“-T-Shirts über die Luxus-Boutique Colette lustig, für die – nebenbei bemerkt – seine jetzige Frau lange Zeit die PR machte.
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links L'Officine Universelle Buly London Dover Street Market rechts L'Officine Universelle Buly Paris Boutique Rue Bonaparte unten Zahncreme "Opiat Dentaire" Fotos officine_universelle_buly
„NEUGIER IST DER SCHLÜSSEL ZU MEINEM ERFOLG“ Etwas ernster wirkte dann schon der Concept Store „l‘Epicerie“, den er mit seinem guten Freund Jeremy Scott, heute Kreativdirektor von Moschino, 1998 in Paris eröffnete. Doch das Geschäft schloss nach nicht einmal einem Jahr. Daraufhin zog Ramdane Touhami nach Tokio, wo er in der Modebranche arbeitete. Zurück in Paris gründete er das Modelabel Résistance, das unter anderem der BlackPanther-Bewegung in den USA Tribut zollte. Der große Durchbruch gelang ihm schließlich mit der Wiederbelebung der Luxus-Kerzenmarke „Cire Trudon“. Powerpaar voller Ideen In Paris lernte er 1999 Victoire de Taillac kennen, mit der er heute drei Kinder hat. Es traf sich, dass de Taillac
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im Laufe der Zeit eine Leidenschaft für Kosmetik entwickelte und Touhami sich sehr für Düfte, Aromen und Parfums interessierte. Fast logisch, dass das Powerpaar eine Geschäftsidee daraus strickte. Ende des Jahres haben sie übrigens „An Atlas of Natural Beauty“ herausgegeben, ein Nachschlagewerk mit vielen uralten Schönheitsrezepten, die sich aus den Buly-Essenzen zubereiten lassen. Weil Touhami sich aber mit einem Projekt allein nicht zufrieden gibt, belebte er gemeinsam mit seiner Frau auch das legendäre Grand Café Tortoni neu. Praktischerweise liegt es direkt gegenüber der Naturkosmetik-Boutique. Im 19. Jahrhundert war das Café der Inbegriff der Dekadenz und verkaufte die erste Eiscreme in Paris. Jetzt wandern
dort Kaffee, Madeleines und hausgemachte Limonade über den einen und die Kosmetikprodukte von L’Officine Universelle Buly über einen anderen Tresen. Auch die Blumengestecke des angesagten Floristen Miyko und ein koreanisches Modelabel haben dort ihren Platz gefunden. Weitere Filialen in Asien sind in Planung. Stillhalten kann Touhami einfach nicht. Was auch daran liegt, dass er so neugierig ist, wie er selbst einräumt. „Neugier ist der Schlüssel zu meinem Erfolg“, sagt Touhami, „und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich jemals aufhören werde, neugierig zu sein.“ Klingt wie ein Versprechen. www.ramdane.com
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GODFATHER OF GRAN TURISMO. Text MOD Foto The Klemantaski Collection
Der Italiener Giotto Bizzarrini war vier Genies in einem – Aerodynamiker, Testfahrer, Konstrukteur und Ingenieur. So erschuf er neben vielen legendären Sportwagen auch den Ferrari 250 GTO, mit 50 Millionen Euro teuerster Oldtimer der Welt.
Giotto Bizzarrini hatte schon immer Benzin im Blut – und er war ein begnadeter Tüftler mit gestalterischem Weitblick. Dieses Talent erkannte Enzo Ferrari und machte den jungen Bizzarrini 1957 nicht nur zu seinem Chef-Ingenieur, sondern auch zum Entwicklungsleiter und Designer. Durch seine Arbeit beeinflusste Bizzarrini die Kultmarke Ferrari wie kein Zweiter in dieser Zeit. Sein Meisterstück: der legendäre Ferrari 250 GTO, der heute mit über 50 Millionen Euro als teuerster Oldtimer der Welt gehandelt
wird. Denn auf Grund seiner extremen Seltenheit und rasanten Renngeschichte hat sich der Wert des Sportwagens um mehr als das 20.000-fache gesteigert. Das legendäre Rennen von Le Mans Bizzarrini war damals vielleicht der genialste Techniker bei den Roten aus Maranello, ein Diplomat war er nie. Nach einer Palastrevolution, die er mitorganisierte, verließ er 1961 Ferrari und gründete seine eigene Manufaktur: die
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leichter Aluminium-Karosserie. Nach dem Vorbild des Ferrari 250 GTO wurde der Radstand verkürzt und der Motor so tief und so weit wie möglich nach hinten verlagert. Das verlangte dem Fahrer körperlich zwar alles ab, doch die dadurch ermöglichte Straßenlage war mit das Perfekteste, was es zu dieser Zeit gab. So perfekt, dass dieser Wagen 1965 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans Erster seiner Klasse wurde. Die Fahrer erreichten dabei revolutionäre 306 km/h und donnerten mit
einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 169 km/h über die legendäre Rennstrecke. Der Tüftler im Verborgenen Nach dem Rennen von Le Mans trennten sich Bizzarrini und Rivolta. Bizzarrini entwickelte aus dem A3/C den 5300 GT Corsa, um an weiteren Rennen teilnehmen zu können. Insgesamt baute er in den 60er Jahren acht verschiedene Bizzarrini-Modelle. Das wohl berühmteste entstand 1968: Kein geringerer
Foto im Titel und diese Doppelseite Philipp Löhmann
Bizzarrini Automobili. Nun entwickelte er für andere, wie den Traktorenfabrikanten Feruccio Lamborghini. Für ihn erschuf Bizzarrini den ersten Lamborghini V12-Zylinder-Motor, das Herzstück des 350 GT. Wieder setzte der begnadete Ingenieur Maßstäbe, die bis in die 1980er Jahre Bestand haben sollten. Auch für den Mailänder Industriellen Renzo Rivolta entwarf er Modelle, unter anderem den Bizzarrini Grifo A3/C, einen GT Rennwagen mit amerikanischem V8 Motor und extrem
als Giorgio Giugiaro bat den KultTechniker um Unterstützung, um ein eigenes Unternehmen zu gründen. Auf der Basis des Bizzarrini P538 setzte Giugiaro die wohl futuristischste Karosserie auf, die die Welt bis dato gesehen hatte, und präsentierte mit dem dreisitzigen Bizzarrini Manta sein Design-Studio ItalDesign auf dem Autosalon in Turin. Bizzarrini hingegen war kein Vollblutunternehmer, was Selbstdarstellung und Marketing betraf, und so arbeitete er die Jahre über meist
im Verborgenen. Daher wissen auch nur die wenigsten, dass er für Opel den berühmten GT Coupé mitentwickelte. Auch der berühmte BMW M1 wurde von Bizzarrini technisch angedacht. Insgesamt entstanden so aus der Feder des heute 91-Jährigen über 30 Sportwagen in der goldenen Rennsport-Ära des Gran Turismo und über 180 Bizzarrinis in seiner eigenen Manufaktur, die heute noch eine wichtige Beratungsinstanz für die Automobilbranche darstellt. 2016 präsentierte sich Bizzarrini
Automobili wieder in Le Mans mit der Scuderia Bizzarrini. Ein Zeichen sollte gesetzt werden, dass die einzige in Privatbesitz befindliche SportwagenManufaktur mit Le Mans Historie lebt. Zurzeit entwickelt Bizzarrini zwei komplett neue Supersportwagen. Eine Kleinstserie mit Verbrennungsmotor, eine Hommage an den P538. Und ein E-Hypersportscar, das an den Bizzarrini Manta von Giogiaro erinnern wird − damit die wundervolle Geschichte des Giotto Bizzarrini weiterleben kann.
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oben Eliza Douglas in Anne Imhof, Faust, 2017 German Pavilion, 57th International Art Exhibition – La Biennale di Venezia courtesy of German Pavilion 2017 and the artist
DYSTOPIA
unten Eliza Douglas Anne Imhof Installation, Galerie Buchholz New York, 2017 courtesy of the artists and Galerie Buchholz, Berlin/Cologne/ New York
Text Christian Schaernack Fotos Nadine Fraczkowski
UTOPIA
Wonderworld of Digital Natives –
die Künstler-Avantgarde „Post-Internet Art", „Speculations on Anonymous Materials", „The Medium of Contingency" – die Verrenkungen aus dem Wörterbuch der zeitgenössischen Kunst belegen, dass es brodelt in den Ateliers der jungen Künstler-Avantgarde. Nur was genau sich dort zusammenbraut und wie man der neuesten Trends auch begrifflich habhaft werden kann, darüber besteht noch wenig Einigkeit. Fest steht nur: Alles dreht sich um Technologie – genauer gesagt um Digitalisierung. Dabei geht es weniger um deren konkrete Anwendungen, als vielmehr um die Konsequenzen für Mensch, Gesellschaft und Umwelt. Denn den Computer selbst für die künstlerische Praxis nutzbar zu machen – wie in der kurzlebigen „Digital Art" der achtziger
STATT
ein Blick auf
und neunziger Jahre etwa – gilt heute längst nicht mehr als Herausforderung; stattdessen stehen die weitreichenden Auswirkungen digitalen Lebens im Fokus der nächsten Künstlergeneration. Es geht also um die ganz großen Fragen der technologischen Revolution. Dabei ist naive Fortschrittsgläubigkeit einem zunehmend kritischen Blick gewichen. Eher Dystopia statt Utopia. Und auch die Perspektive, mit der die jungen „Digital Natives“ auf die gravierenden Umwälzungen unserer Zeit schauen, hat sich verschoben. Unterfüttert von aktuellen philosophischen Denkschulen wie dem sogenannten „Spekulativen Materialismus“ gerät zusehends die Rolle des Menschen an sich auf den Prüfstand. Sind wir im Angesicht von
Klimakatastrophe und labilen politischen Systemen, vom Vormarsch der Roboter und künstlicher Intelligenz tatsächlich die Herren aller Dinge? Oder vielmehr den Launen der Natur ausgeliefert, vielleicht selbst sogar reiner Zufall? Wir stellen eine Auswahl der interessantesten Positionen internationaler Künstler vor. Dabei sind alle Mittel und Materialien erlaubt: vom Video bis zur Skulptur, von großräumigen Installationen bis zum klassischen Foto, analog wie digital, High-Tech oder Low-Tech, handgemacht oder aus dem 3D-Drucker. Und auch die gute alte Malerei spielt ihre Rolle. Der Kreativität scheinen keine Grenzen gesetzt – ein Blick in die Ateliers, die Wunderkammern der Nachwuchsstars.
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Eliza Douglas: Die Noch-Studentin an der renommierten Frankfurter Staedelschule wird bereits als neuer ShootingStar gehandelt. Bekannt wurde die New Yorkerin einerseits als Model („Balenciaga“), andererseits als Schauspielerin, insbesondere in den Performances von KünstlerFreundin Anne Imhof. In ihrer neuen Karriere hat sich die 33-Jährige nun ganz der Malerei verschrieben – und trifft mit ihren fragmentierten Körperbildern einen Nerv; Eliza Douglas zeigt eindrucksvoll, dass im Zeitalter des Internets auch das „Slow Medium“ der Malerei seine Daseinsberechtigung hat. Ed Atkins: Protagonisten in den digitalen Video-Installationen des Briten Ed Atkins, 35, sind die Avatare. Von Disneys virtuosem Heldenepos ist bei Atkins jedoch nichts geblieben. Seine eher kruden Figuren erscheinen wie gefangen in einem Nirvana aus Pixeln, ausgemergelt vom fahlen Licht des Virtuellen. Die surrealen Szenarien sind oft zutiefst melancholisch, was durch den Einsatz poetischer Texte des Künstlers nur verstärkt wird. Atkins Arbeiten stecken voller Sehnsüchte, die umso diffuser wirken, da weder Vergangenheit noch der Glaube an eine bessere Zukunft Trost zu bieten scheinen. Pamela Rosenkranz: Die Schweizerin ist längst ein Star der Kunstwelt. Hauptthema ihrer Arbeiten bis heute ist die Kommerzialisierung des Körpers, das Vordringen der Konsumgutkultur in die intimsten Lebensbereiche. Dabei rückt
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die 38-Jährige immer wieder kritisch die Strategien der BeautyIndustrie ins Zentrum und damit unsere eigene Obsession mit dem Äußerlichen. Die regelrechte Vermarktung von Haut etwa oder die Verwendung - die Domestizierung - tierischer Reizstoffe zur Parfümherstellung. Unvergessen ist ihr Beitrag zur Biennale in Venedig, als sie den gesamten Schweizer Pavillon mit einer hautfarbenen chemischen Substanz flutete. Antoine Catala: Der Wahl-New Yorker hat sich ganz den großen Gefühlen verschrieben. Was passiert mit unseren wahren Emotionen, mit Liebe, Trauer oder Empathie im Zeitalter von Emojis und sozialer Medien? Und wie verändert sich die Textur unserer Sprache? Dabei entwirft der 32-Jährige teils aberwitzige Konstruktionen wie Bilder und Plastiken mit atmenden Oberflächen, Hybride aus High-und Low-Tech, die letztlich nur unsere eigene Unbeholfenheit im Umgang mit der Menge an neuen Technologien widerspiegeln. Hito Steyerl: Ungleich politischer ist das Werk der in Berlin lebenden Hito Steyerl, 51. Die einflussreiche Professorin für Neue Medien an der HdK gilt mit ihren Filmen und Texten als radikale Vordenkerin einer ganzen Künstlergeneration. Ein Schwerpunkt ihrer umfangreichen Produktion sind Themen wie digitale Überwachungsund Waffentechniken und deren Auswirkungen auf das zivile Leben. Steyerls eindringliche Vorträge tragen dabei häufig selbst den Charakter von Performances, ihre
komplexen Videos, gespickt mit digitalen Effekten, sind nicht selten cineastische Ereignisse, die inzwischen in den großen Museen der Welt gezeigt werden. Das britische Kunstmagazin „ArtReview“ wählte sie 2017 zur einflussreichsten Person der weltweiten Kunstszene. Cecile B. Evans und Yuri Pattison Das Künstlerpaar, ansässig in London, gilt als intellektuelles Powerhouse. In ihren künstlerischen Praktiken gehen die beiden derweil getrennte Wege. Evans, 34, die auf der letzten Berlin Biennale mit einer raumfüllenden MultimediaInstallation vertreten war, lotet nicht nur die Grenzen zwischen Mensch und Roboter aus, sondern auch zwischen Videospiel, Comic und Theater. Pattison, 31, hingegen ist eher Hacker-Nerd: Die Themen sind politischer wie Wikileaks und Chelsea Manning, seine Arbeiten bestehen schon einmal aus entsorgten Computer-Platinen. Stewart Uoo: Als Fixstern in der LGBT-Szene von Downtown New York gibt Uoo dem Transgender-Thema eine ganz eigene, pointierte Wendung. So steht schließlich auch im Werk des 32-Jährigen der Körper stets im Mittelpunkt. Dessen Wandelbarkeit macht freilich nicht vor den Grenzen der Biologie halt. Stattdessen kokettiert der Künstler in seinen lebensgroßen Skulpturen mit einem eher morbiden CyborgLook. „Terminator“ lässt grüßen. Die verwendeten Materialien reichen von Eisengestängen bis hin zu Seidenstoffen; Körperprothesen nicht zu vergessen ... und viel rosarotes Kunstfleisch.
von oben nach unten Antoine Catala „Logo to Our Repressions", 2017 Installationsansicht Foto courtesy of Galerie Christine Mayer Cécile B. Evans „Hyperlinks or it didn’t happen", 2014, HD Video Foto courtesy of the artist and Galerie Emanuel Layr, Vienna/Rome Hito Steyerl „Hell Yeah We Fuck Die”, 2016, HD Video 32nd Bienal de Sao Paulo, Installationsansicht Foto Leo Elroy, courtesy of Fundação Bienal de São Paulo Pamela Rosenkranz „She Has No Mouth” Installationsansicht, Sprüth Magers, Berlin 29. April – 17. Juni 2017 Foto Timo Ohler
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Fritz Hansen | Foto Ditte Isager
Kolumne Wilfried Lembert hygge's not dead
Die Dänen gehören, wissenschaftlich erforscht, zu den glücklichsten Menschen der Welt. Auch weil sie bekannterweise „hygge“ haben. Dabei ist der Begriff „hygge“ – am ehesten mit „gemütlich“ übersetzbar – weniger Trend, als eine geerdete Lebenshaltung, die es in Dänemark nicht erst seit gestern gibt: Freude an guten, einfachen Dingen, Beziehungen, die man nicht belastet, und Entschleunigung. Es geht also um wichtige Ingredienzen für unsere Zufriedenheit. Nun auch in Deutschland angekommen ist „hygge“ der Gegenentwurf zur allgemeinen Beschleunigung unseres Lebens. Das schlägt sich ebenfalls im Interior nieder. Zum Beispiel fällt auf, dass bei den Dänen stets das Wohnzimmer mit einem großen Esstisch das Zentrum eines jeden Hauses ist. Hier dürfen Gemütlichkeit, Geborgenheit und Behaglichkeit gelebt werden. Nur sollte man das wohl nicht so formulieren – hört sich ja spießig an. Also besser „hygge“ – auch wenn meine MitarbeiterInnen das Wort schon nicht mehr hören können.
Wilfried Lembert ist, wenn es um Möbeldesign geht, mit allen Wassern gewaschen. 1994 führte er an der Hochschule Anhalt am Bauhaus Dessau das Fach Designmethodik ein und unterrichtete es bis 1997. Zwei Jahre später gründete er „minimum“ und eröffnete sein erstes Einrichtungsgeschäft im stilwerk Berlin – weitere Berliner Standorte folgten. Als Inhaber und Geschäftsführer hat er „minimum“ zu einer der gefragtesten Adressen für anspruchsvolle und zeitgemäße Wohn- und Objekteinrichtung gemacht. Lembert fungiert zudem als Herausgeber von Interior-Publikationen, engagiert sich seit 2010 im Aufsichtsrat von „Creative Inneneinrichter“ und ist Mitglied im Designbeirat bei „Thonet“. Daher gibt es wohl kaum etwas zum Thema Einrichten, was Wilfried Lembert nicht weiß. www.minimum.de
Als Interior-Experten freuen wir uns über diesen gegenwärtigen Trend, der wieder erlaubt, es sich mit natürlichen Materialien und schönen Geweben zu Hause schön zu machen. Daher das Comeback von Holzmöbeln, die das Ergebnis gepflegter Schreinerkultur sind, handgearbeiteten Teppichen und sogar Fellen. Oberflächen mit interessanter Haptik sorgen zuhause für die Erdung, die im Zuge der Digitalisierung zu einem wachsenden Bedürfnis wird. Im Gegensatz zu den glatten Oberflächen der Devices dürfen Holz und Leder altern und das in Schönheit. Dänische Traditionshersteller wie „Carl Hansen & Søn“ zeigen seit fast 100 Jahren, wie man Design mit höchster Handwerkskunst verbindet. Unternehmen aus ganz Skandinavien, die in den letzten Jahren gegründet wurden, eifern diesem Vorbild erfolgreich nach, um auch jüngeren Menschen eine gestalterische Identität zu bieten. Doch auch wenn in der Gestaltung hier neue Wege beschritten werden, hält man an Handwerk, Natürlichkeit und „hygge“ aus guten Gründen fest. Letztlich erinnert uns die dänische Kultur mit ihren dauerhaft beliebten Möbeln an das, was im Leben wichtig ist!
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Die DieAntivilla Antivilla Architekten Architekten:Brandlhuber+ Brandlhuber+Emde, Emde,Burlon Burlon Ort Ort:Krampnitz Krampnitz Jahr Jahr:2010 2010-2015 - 2015 Foto Foto:Erica EricaOvermeer Overmeer
So bringen Architekten ihr Publikum
Staunen
: zum eben noch Abrisskandidaten, kรถnnen sie sich zu echten Juwelen entfalten. Fantasievoll, elegant und inspirierend. Text Amelie Osterloh
Freie Grundstücke in attraktiver Lage sind rar und noch dazu meist unbezahlbar. Stattdessen werden seit den 1990er Jahren immer mehr ehemalige Industriegelände umgebaut zu einzigartigen Kulturfabriken mit besonderem Flair. Sie ziehen nicht nur Scharen von Besuchern an, sondern lassen auf wundersame Weise auch den Puls ganzer Stadtteile plötzlich höher schlagen.
Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (Zeitz MOCAA) Architekten Heatherwick Studio, London, in Zusammenarbeit mit lokalen Architekten in Südafrika Ort Kapstadt Jahr 2017 Foto Iwan Baan
Wer das neue Zeitz Museum in Kapstadt betritt, legt erst einmal den Kopf in den Nacken. Der Blick wandert hinauf, durch das 27 Meter hohe Atrium, wo ein Gummidrachen des Künstlers Nicholas Hlobo seine Gummiflügel ausbreitet. Angefixt durch dieses erste, verblüffende Kunsterlebnis geht es weiter auf Entdeckungstour. Gläserne Fahrstühle und steile Wendeltreppen führen zu 80 Galerien auf sieben Kunst-Etagen bis zum Skulpturengarten auf dem Dach. Das Zeitz MOCAA (Museum for Contemporary Art Africa), das im Herbst 2017 seine Tore öffnete, versammelt endlich die bedeutendste Gegenwartskunst des Kontinents unter einem Dach. Die Idee dazu hatte der 54-Jährige frühere PUMA-Chef Jochen Zeitz, der die Sammlung gemeinsam mit dem jetzigen Direktor und Chefkurator des MOCAA, Mark Coetzee, in weniger als zehn Jahren zusammenkaufte, von Anfang an mit der Vision, ein eigenes, großes Museum damit zu bestücken. Dass seine Werke nun tatsächlich in Bestlage, an Kapstadts Victoria & Alfred Waterfront zu sehen sind, grenzt an ein Wunder. Denn kaum ein Bau schien so ungeeignet zur Kunst-Präsentation wie das avisierte historisches Getreidesilo von 1924: Fensterlos, ohne Tageslichteinfall und unterteilt in Hunderte senkrechte Röhren.
Gemeistert hat diese Reinkarnation des Baus zu einem der spektakulärsten Museen weltweit Architekt Thomas Heatherwick, der unter anderem durch die hydraulische Rolling Bridge in London Berühmtheit erlangte und den Umbau des hundert Jahre alten Silos als eine der größten Herausforderungen seiner Karriere beschreibt: „Wir arbeiteten wie Archäologen, die sich in dem Wirrwarr der Gänge zurechtfinden mussten“. Ein Getreidekorn, das der Brite auf dem Boden des Silos fand, lieferte die zündende Idee: er scannte und vergrößerte das Korn, schnitt dessen organische Silhouette aus der Mitte des Betonkolosses heraus und schuf so ein Atrium, das die Architektur überraschend leicht wirken lässt. Wenn es noch Häuser gibt, mit denen Architekten ihr Publikum zum Staunen bringen können, dann sind es solche umgebauten Silos, Fabriken oder Bunker. Eben noch Abriss-
kandidaten, können sie sich zu echten Juwelen entfalten: fantasievoll, elegant und inspirierend. Mehr noch: Oft gelingt es diesen ehemaligen Ruinen, den Wandel heruntergekommener Stadtviertel zu einem boomenden, lebendigen Quartier einzuleiten, so wie die Tate Modern in London-Bankside, die mit dem Umbau eines alten Kraftwerks am Südufer der Themse vor sechszehn Jahren zu einem der meistbesuchten Museen überhaupt wurde. Und natürlich die 2016 eröffnete Hamburger Elbphilharmonie, deren gläserner Konzertsaal über einem alten Kaispeicher mitten im Hafen tront. Beide entworfen von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, sind sie weit strahlende Leuchttürme einer Gattung, die aber in kleinerem Maßstab nicht minder fasziniert. Auf der Suche nach spektakulären Ausstellungsorten entdeckten etwa in Berlin gleich zwei renommierte Kunstsammler
Architekten: Brandlhuber+ Emde, Burlon Ort: Krampnitz Jahr: 2010-2015 Foto: Erica Overmeer
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rechts oben Innenansicht Zeitz MOCAA Foto Iwan Baan rechts unten Feuerle Collection Ehemaliger Telekommunikationsbunker (am Halleschen Ufer) Eröffnung Oktober 2016 Architekturentwurf John Pawson Ausführendes Architekturbüro Berliner Büro Realarchitektur links Innenansicht Die Antivilla Foto Erica Overmeer
La Fábrica Architekt Ricardo Bofill Ort Sant Just Devern (Barcelona) Jahr 1973 Foto Lluís Carbonell | Gregori Civera Innenansichten La Fábrica Fotos Lluís Carbonell | Gregori Civera
Sammlung Boros Reichsbahnbunker Friedrichstraße Ort Berlin Jahr 2003 - 2007 Foto NOSHE
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ausrangierte Bunker für ihre Werke. „Boros Bunker“ in BerlinMitte diente nach seinem Bau 1942 als ziviler Schutzbunker, später als Militärgefängnis, Obst- und Gemüsekombinat und in den 1990ern als Technoclub. Bis Christian Boros, Agenturinhaber und Verlagschef, ihn 2003 kaufte, vier Jahre lang aufwändig umgebaute und so auf 3000 Quadratmetern ein ungewöhnliches und beeindruckendes Zuhause für rund 700 (im Wechsel gezeigte) Werke zeitgenössischer Künstler schuf.
abreißen, entkernte es stattdessen und setzte ein fünf Meter breites Panoramafenster in die Südfassade Richtung See. Das Satteldach aus Wellasbest ersetzt heute eine Betonplatte, die gleichzeitig als Dachterrasse dient. Trotz seiner idyllischer Lage und der luxuriösen Größe nennt der Architekt das Haus wegen seiner rauen Oberflächen liebevoll seine „Antivilla“. Dafür lägen die Materialkosten deutlich unter Villen-Maßstäben. „Sichtbeton ist eben einfach und preiswert.“
Zehn Jahre später eröffnete der Sammler Désiré Feuerle in einem ehemaligen Telekommunikationsbunker am Halleschen Ufer die „Feuerle Collection“ Bei ähnlicher Nutzung boten beide Bunker doch ganz unterschiedliche Voraussetzungen für die Kunst. Boros’ Reichsbahnbunker, der früher Menschen schützte, war schon in einzelne Räume gegliedert. „Ein Nachteil sind nur die kleinen Eingangstüren, die mich auf Werke bis 2,20 Meter beschränken“, erklärt Christian Boros, „alle größeren müssen gelagert werden, bis ich einen Bunker mit größeren Türen gefunden habe“. Feuerles Monolith bietet riesige freie Flächen, deren Qualität der Londoner Stararchitekt John Pawson zusammen mit dem Berliner Büro Realarchitektur durch subtile Eingriffe in Szene setzte. Eine Gemeinsamkeit haben sie beide Kunstbunker aber doch: Wie Boros lies sich auch Feuerle auf dem Dach seines massiven Baus ein Penthouse errichten.Auch viele Privatleute sehen in einer alten Fabrik oder Werkstatt ihren Traum von einem ganz besonderen Zuhause zum Greifen nah. So ein Umbau bedarf zwar einer ordentlichen Portion Risikobereitschaft, dafür sind Industriebrachen meist günstiger zu haben und versprechen riesige Flächen, kathdralenartige Räume und romantischen Ruinencharme. Dabei stellen mal die Räume selbst, die nicht für das Wohnen zugeschnitten wurden, die größte Herausforderung an die Planer, dann wieder sind es die Energieeffizienz oder sogar Kontaminierungen, welche die Bauherren harsch aus ihren Träumen reißen. Doch wer durchhält, wird belohnt.
Umgebaute Gewerbebauten sind Herzensprojekte, praktische Vorteile, so zahlreich sie auch sein mögen, bilden selten die treibende Kraft. Schon gar nicht aber bei Ricardo Bofills „La Fábrica“. Als der heute 77jährige Architekt 1973 durch einen Zufall nicht weit von Barcelona auf eine verlassene Zementfabrik stieß, war es sofort um ihn geschehen: „Der ganze Platz, die Licht- und Schattenverhältnisse, die plastischen, haptischen Oberflächen, alles einzigartig, weil es heute kaum noch so hergestellt wird.“ Bofill kaufte sie und griff zu drastischen Mitteln. Mit Dynamit und Presslufthammer legte er Räume offen und befreite die Silos von eingetrocknetem Zement. Wie ein Bildhauer arbeitete er die Grundform des Gebäudes heraus und schafft alles beiseite, was die Anmut des Ortes zerstörte. Heute hat Bofill die acht verbliebenen Beton-Zylindern und das labyrinthische Raumwirrwarr dazwischen längst zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht, mit seinen Privaträumen und der „Taller de Arquitectura“, der Architektur-Werkstatt. Im beeindruckenden, ehemaligen Maschinenraum mit seinen dreizehn Meter hohen Decken empfängt er Gäste, veranstaltet Partys und Konzerte.
Der Berliner Architekt Arno Brandlhuber kaufte 2013 eine 500 Quadratmeter große Textilfabrik aus DDR-Zeiten, die auf einem Seegrundstück bei Potsdam stand. „Das alte Gebäude mit dem grau geschlämmten Putz war wirklich keine Schönheit“, erzählt Brandlhuber. Dennoch ließ er es nicht
Die Geschichte solch spektakulärer Umbauten könnte man noch lange erzählen. Das Gemeinsame dieser Projekte, in aller Unterschiedlichkeit, ist ihr Aufruf an unsere Fantasie, sich nicht mit dem Gegebenen abzufinden. Es gilt, ein Potenzial dort zu sehen, wo andere einfach nur noch abreißen wollen. Bofill hat den brutalistischen Beton seiner „Fábrica“ überwuchern lassen. Im Garten wachsen Palmen, Eukalyptus und Zitronenbäume. „Der Garten der Lüste“, schmunzelt er in Anspielung auf das berühmte Gemälde von Hieronymus Bosch. Für ihn ist das frühere Fabrikgelände kein utopisches Traumbild, sondern ein echtes Paradies.
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Der vergessene Leuchtturm Vuurtoreneiland, Niederlande Text Nicole Niewiadomski Foto Evert Doorn
Nichts als Wasser, Stille, Luft und Licht: Einen so verwunschenen Ort wie das „Vuurtoreneiland“ muss man einfach lieben – besonders bei Kerzenlicht und kulinarischen Delikatessen. Mitten im Markermeer liegt die lauschige und verwachsene Insel namens Vuurtoreneiland, benannt nach einem kleinen Leuchtturm, der aus der winzigen Insel herausragt. Bereits die Anreise zu diesem speziellen Ort ist ein Erlebnis für sich. Mit der beeindruckenden Hafenskyline von Amsterdam im Rücken geht es für rund 50 Dinner-Gäste zu der bereits zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannten Privatinsel. Schnell sein lohnt sich – ganz gleich, ob man die Insel im Sommer oder Winter besuchen möchte. Denn die Tickets werden nur in bestimmten Zeiträumen auf der Website angeboten und sind in Kürze ausverkauft. Rund 100 Euro pro Person kostet die Bootstour, inklusive Aperitif und Picknick-Korb sowie einem 5-Gänge-Menü im Inselrestaurant. Nach knapp einer Stunde Fahrt mit dem antiken Boot kann man ihn bereits erspähen – den einzigen Leuchtturm von Amsterdam, der vor rund drei Jahrhunderten hier errichtet wurde. Bei Ankunft scheint die Insel verlassen. Außer einem kleinen Häuschen ist weit und breit nichts zu sehen. Die Crew erklärt am Bootssteg den Weg. Vorbei am Hauptgebäude, einem alten Fort, in dessen Gewölbe in
den Wintermonaten Dinner sowie verschiedene Veranstaltungen stattfinden. Anschließend passiert man einige Bunker – Relikte aus alten Zeiten, als die Insel dem niederländischen Militär als Stützpunkt diente. Zu Weinkellern umfunktioniert werden diese heute als Vorratslager für die beiden Restaurants der Insel genutzt. Erst oben auf dem Hügel erkennt man den kleinen Glaspavillon im Stil eines Gewächshauses – das Sommerrestaurant der Insel. Im schicken Skandi-Stil eingerichtet wirkt er außerordentlich gemütlich und gleichzeitig überraschend trendy. Vorspeise und Welcome-Drink werden im Freien genossen, danach geht es drinnen weiter, wo zunächst selbst gebackenes Brot serviert wird. Darauf folgt ein großartiges 5-Gänge-Menü, das im riesigen Holzkohleofen des Pavillons zubereitet wird. Verwendet werden natürlich nur frische Bio-Zutaten aus der Region. Kulinarisches Highlight: zum Beispiel der gegrillte Blumenkohl mit Ricotta und Mandeln sowie das Lamm mit geräucherter Aubergine, Friesländer Buttermilch und Basilikum – alles begleitet von einer beeindruckenden Auswahl an erstklassigen Weinen. Mit Eintritt der Dämmerung verwandelt das warme Licht des Glaspavillons die ganze Insel in einen magischen Ort, den man am liebsten nicht mehr verlassen möchte. www.vuurtoreneiland.nl
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Spannende Auszüge über die Geschichte der Monderkundung aus dem Buch „Der Traum von der Reise zum Mond“ von Lukas Feireiss. Seit Jahrhunderten sind die Menschen in allen Kulturen fasziniert vom Mond, dem einzigen Himmelskörper neben der Sonne, den wohl jeder Mensch erkennt. Er weckt Träume von der Reise zu fernen Planeten. Lange bevor Ingenieure und Wissenschaftler ernst machten mit der Mondreise, hatten Künstler und Schriftsteller sie bereits in nahezu all ihren Aspekten erkundet. Unser nächster astronomischer Nachbar, der Mond – nur drei Tagesreisen mit der Rakete entfernt – ist Visionären rund um den Globus auch heute noch Anstoß zu kreativer Projektion und Spekulation. Fast fünf Jahrzehnte nach dem ersten Mondspaziergang zeichnet das Buch von Lukas Feireiss die visuelle Kulturgeschichte der Monderkundung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach.
DER GROSSE MONDSCHWINDEL Im August 1835 veröffentlicht die New Yorker Tageszeitung „The Sun“ eine mehrteilige Titelgeschichte über die vermeintliche Entdeckung von Leben, ja sogar einer Zivilisation auf dem Mond. In dem Bericht werden fantastische Tiere beschrieben, die auf dem Mond leben sollen: darunter Bisons, Ziegen, und Einhörner. Untergeschoben werden die Entdeckungen dem bekanntesten Astronomen der Zeit, Sir John Herschel. Als Verfasser des Artikels, der später als „großer Mondschwindel“ bezeichnet wird, wird der Reporter Richard Adams Locke ausgemacht. Der Vorfall gilt als erstes Exempel großangelegter, mutwilliger Fälschungen im Zeitungsjournalismus.
Der achte Kontinent Mond, Kosmos
DER ACHTE KONTINENT Soweit wir wissen entstand der Mond vor 4,5 Milliarden Jahren, als ein Planeten-„Embryo“ auf die noch junge Erde prallte – diese war damals rund 30 bis 50 Millionen Jahre alt. Durch diese Kollision entstand eine Wolke von Schutt, die sich wieder verdichtete und so den Mond bildete. In diesem Sinne ist der Mond gar keine andere Welt, denn er wurde aus unserer Erde geschaffen. Der Mond ist der achte Kontinent unseres Planeten und bewahrt eine Erinnerung an die sehr frühe Zeit unseres Sonnensystems.
VON DER ERDE ZUM MOND Der Pionier des Weltraumzeitalters ist zweifellos der französische Schriftsteller Jules Verne mit seinem bahnbrechenden Roman „Von der Erde zum Mond“ (1865) und dem Nachfolgeband „Reise um den Mond“ (1870). Die Geschichte folgt drei Männern auf ihren Reisen fort von der Erde und um den Mond. Mit der Veröffentlichung von Vernes Romanen wird die Möglichkeit, durch den Weltraum zu reisen, von einer Fantasie zur bloßen Herausforderung viktorianischer Ingenieursleistung. Seine Bücher werden zur direkten Inspirationsquelle für frühe Raketenforscher. JENSEITS DER WIEGE 1903 veröffentlicht der Vater der Raketenwissenschaft, Konstantin Ziolkowski, den Artikel „Die Erforschung des Weltraums mittels Reaktionsapparaten“. Darin gelingt ihm erstmals der Beweis, dass eine Rakete tauglich sein könnte für den Flug ins und durch das Weltall. Er entwickelt eine Reihe von Ideen über Raketenantrieb und die Verwendung von flüssigen Raketentreibstoffen. In seiner Begründung für die Erkundung des Weltraums von 1911 heißt es: „Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber man kann nicht ewig in der Wiege bleiben.“
Foto Tony Wills
RENDEZVOUS IN DER MONDUMLAUFBAHN Im Jahr 1919 formuliert Juri Kondratjuk, ein visionärer 22-jähriger Ingenieur und Mathematiker aus der Ukraine, ein theoretisches Konzept für künftige Mondlandungen: das sogenannte „Lunar Orbit Rendezvous“. Als der amerikanische Astronaut Neil Armstrong nach seinem historischen Mondflug die Sowjetunion besucht, nimmt er eine Handvoll Erde von Kondratjuks Grundstück in Nowosibirsk mit, um dessen bedeutenden Beitrag zur Raumfahrt zu würdigen. VEREIN FÜR RAUMSCHIFFAHRT Die erfolgreichen Veröffentlichungen von populären Wissenschaftspublizisten wie Hermann Oberth, Willy Ley und Max Valier führen dazu, dass Deutschland in den späten 1920er Jahren kurzfristig von einem Raketenfieber geschüttelt wird. Nach der Aufführung von Fritz Langs Science-Fiction-Stummfilm „Frau im Mond“ (1928/29) wird sogar ein Verein für Raumschiffahrt gegründet. 1930 tritt der Verein an die deutsche Wehrmacht heran und erhält die behördliche
„Der Traum von der Reise zum Mond“ von Lukas Feireiss ist erschienen bei Spector Books, Leipzig, 2016
Genehmigung, ein ehemaliges Munitionsdepot in Berlin zu nutzen, um selbst entworfene Raketen zu testen.
NAZI-RAKETEN-FORSCHUNG Das jüngste Mitglied des 1934 von der nationalsozialistischen Reichsregierung aufgelösten Vereins für Raumschiffahrt, Wernher von Braun, träumt weiterhin von der Mondreise. Er wird eine Zentralfigur der sich entwickelnden Raketentechnologie im Zweiten Weltkrieg in Deutschland, später dann in den Vereinigten Staaten. Als die Nazis die Macht übernehmen, setzen sie die Raketenwissenschaft auf die nationale Agenda. Von Braun und seine Mannschaft erhalten ein Startkapital von 20 Millionen Reichsmark, um an der Ostsee in Peenemünde Raketengeschosse zu entwickeln. 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, startet der damals erst 30-jährige von Braun die Rakete „Aggregat 4“, die später als V2 „Vergeltungswaffe“ in die Geschichte eingehen wird. DISNEYS MOND Für die TV-Show von Walt Disney werden drei kurze Disneyfilme über die Zukunft der Weltraumforschung unter den Titeln „Man in Space“, „Man and the Moon“ und “Mars and Beyond“ zusammen mit Experten wie Wernher von Braun produziert. Die Sendungen geben einen historischen Abriss der Raketenwissenschaft und ein Schritt-für-Schritt-Programm für den Weg ins All. Fast 100 Millionen Menschen sehen 1955 die erste Folge – die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung. Unter den Zuschauern befindet sich auch Präsident Dwight D. Eisenhower, der von den Aussichten ins All so fasziniert ist, dass er eine Kopie des Films ausleiht, um sie im Pentagon vorzuführen. Vier Monate später verkündet Eisenhower, dass die Vereinigten Staaten 1957/58 einen Satelliten starten werden.
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LAIKA Kurz nach dem Start des Erdsatelliten „Sputnik 1“ (1957) präsentiert die Sowjetunion der Welt die erste Heldin des Weltraumflugs: Laika, ein Moskauer Straßenhund. Sie ist das erste Tier, das die Erde umkreist – an Bord von „Sputnik 2“. Laika überlebt etwa drei Tage lang, dann stirbt sie infolge der Hitze in der Kabine. Das Experiment erbringt den Beweis, dass ein Lebewesen den Start in die Umlaufbahn und die Schwerelosigkeit unversehrt überstehen kann. Damit bereitet es der Menschheit den Weg zu Reisen in den Weltraum. WIR HABEN UNS ENTSCHLOSSEN, ZUM MOND ZU FLIEGEN 1962 verkündet John F. Kennedy in seiner legendären Mondrede an der Rice University, dass die Vereinigten Staaten noch vor Ende der Dekade einen amerikanischen Bürger zum Mond befördern wollen. WELTRAUM-VERTRAG Die Entwicklung des Raumflugs wird unweigerlich zu einer Frage internationaler Politik. Der Weltraum-Vertrag von 1967 bildet die Grundlage des länderübergreifenden Weltraumrechts. Er untersagt, Nuklear- oder sonstige Massenvernichtungswaffen in die Erdumlaufbahn, auf den Mond oder andere Himmelskörper zu bringen. Außerdem beschränkt der Vertrag die Nutzung des Mondes auf friedliche Zwecke und untersagt jeglichen Waffentest und den Bau militärischer Basen. Der Mond wird zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ erklärt. SILVER FACTORY Ein unbedingtes Vertrauen in die Versprechen künftiger Technologien wird zur Grundlage eines neuen Zeitgeistes, der auch zahlreiche Gestalter der 60er Jahre beeinflusst. Überall auf der Welt spürt man die Bedeutung des Weltraums für die Künste und das kulturelle Leben. Selbst Andy Warhols berühmte „Factory“ in New
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York wird mit Alufolie ausgekleidet, mit silberner Farbe besprüht und mit Bruchstücken von Spiegeln dekoriert, um einem Raumschiff zu ähneln.
ODYSSEE IM WELTRAUM Zur selben Zeit nimmt der US-Regisseur Stanley Kubrick in seinem rätselhaften Science-Fiction-Meisterwerk „2001: A Space Odyssey“ („2001: Odyssee im Weltraum“, 1968) auf geradezu unheimliche Weise die ikonografische Macht des bemannten Raumflugs vorweg. Kubricks Imagination geht den berühmten Live-Fernsehbildern der Erde und des Mondes noch voraus, die Apollo 8 wenige Monate später sendet und die die Fundamente der menschlichen Kultur, Erfahrung und Selbstwahrnehmung erschüttern. SPACE ODDITY Der britische Popstar David Bowie veröffentlicht eine berühmte Single, die auf Kubricks Film anspielt: „Space Oddity“ (1969). Die Weltraumballade erzählt von Major Tom, einem fiktiven Astronauten, der zufällig den Fesseln der Welt entkommt, um jenseits der Sterne auf Reisen zu gehen. APOLLO 11 Am 16. Juli 1969 startet der erste bemannte Flug zum Mond: die US-Mission Apollo 11. Die dafür eingesetzte Saturn-V-Rakete wird mit einer Höhe von 110m, einem Durchmesser von 10m und einem unglaublichen Gewicht von 2.800.000kg die größte, schwerste und stärkste Rakete bleiben, die je gestartet wurde. EIN KLEINER SCHRITT „Ein kleiner Schritt für einen Mann, ein riesiger Sprung für die Menschheit“, verkündet Neil Armstrong am 20. Juli 1969 live einem weltweiten Fernsehpublikum. Das berühmte Zitat und Armstrongs Fotografie von seinem Kollegen Buzz Aldrin auf der Oberfläche des Mondes werden schlagartig zu Ikonen der US-Weltraumforschung. Schätzungen zufolge sieht ein Fünftel der Menschheit die Live-Übertragung des Mondspaziergangs. Armstrong ist der Erste, der die Mondoberfläche betritt: Er verbringt dort etwa zweieinhalb Stunden und entfernt sich maximal 60m von der Mondlandefähre. Erstaunlich ist die Bezahlung der Astronauten auf dem historischen Apollo-Mondflug: acht Dollar pro Tag, abzüglich Unterbringungsgebühr. Es heißt, Aldrin habe noch ei-
nen gerahmten Reisekostenbeleg an der Wand: „Von Houston nach Cape Kennedy, Mond, Pazifischer Ozean. Erhaltener Betrag: $ 33,31“.
WIR KAMEN IN FRIEDEN Nach ihrem Mondspaziergang hinterlassen die Astronauten unter anderem die Flagge der Vereinigten Staaten und eine Plakette mit zwei Zeichnungen der Erde, den Signaturen der Astronauten sowie des Präsidenten Nixon und einer Inschrift. Diese lautet: „Hier haben erstmals Menschen den Mond betreten, Juli 1969 A.D. Wir kamen in Frieden, stellvertretend für die gesamte Menschheit.“ MISSION ERFÜLLT Die letzte Mission des Apollo-Mondprogramms der Vereinigten Staaten führt am 7. Dezember 1972 zum sechsten Mal erfolgreich Menschen auf den Mond. Apollo 17 bricht diverse Rekorde: Es ist bis heute der längste bemannte Mondflug mit dem längsten Außenbordeinsatz auf der Oberfläche des Mondes, der größten Menge gesammelter Proben und dem längsten Flug in der Mondumlaufbahn. ABLEGER Das Apollo-Programm wird als größte technologische Errungenschaft der Menschheitsgeschichte bezeichnet. So bildet das im NASA-Programm gewonnene Wissen eine Basis der modernen Computertechnik. Ein Beispiel ist die Verkleinerung von Computerchips als Folge früher bemannter Raumflugaktivitäten. Einige der bemerkenswertesten Ableger allerdings haben ihre Anwendung im medizinischen Bereich, wie etwa Röntgen- und Ultraschalltechniken.
Foto Gregory H. Revera
MOON BOOTS Selbst das Design und die Herstellung von Sportschuhen profitieren von der Apollo-Technologie. Der „Moon Boot“ ist ein revolutionärer Turnschuh: Er dämpft Stöße besser ab, gibt mehr Halt und verbessert die Bewegungskontrolle, da er Technologie und Prozesse aus der Entwicklung der NASA-Raumanzüge übernimmt. MOND-VERSCHWÖRUNG 1976 veröffentlicht Bill Kaysing – früher angestellt in der Publikationsabteilung des Unternehmens, das die Saturn-V-Rakete gebaut hat – im Selbstverlag das Buch
„We Never Went to the Moon: America’s Thirty Billion Dollar Swindle“. Darin nennt er eine Reihe Argumente, die beweisen sollen, dass die Mondlandung ein Fake war – und startet damit eine ganze Bewegung.
OBAMA Als sich abzeichnet, dass die Pläne der NASA, zum Mond zurückzukehren, nur mit deutlich höheren Ausgaben zu realisieren wären, kündigt US-Präsident Barack Obama an, das Programm werde 2011 auslaufen. In einer Ansprache im Kennedy Space Center sagt er im April 2010: „50 Jahre nach der Schaffung der NASA wollen wir nicht einfach mehr nur einen bestimmten Ort im All erreichen. Unser Ziel ist, dass Menschen im Weltraum über lange Zeit arbeiten, lernen und leben können, vielleicht sogar unbegrenzt.“ MONDBASIS IM 3D-DRUCK Angesichts der Schwierigkeit, Baumaterial zum Mond zu transportieren untersucht ein Konsortium, das die Europäische Weltraumorganisation gegründet hat, die Nutzung von Mondstaub (sogenanntes Regolith) als Baumaterial. Dafür entwirft das britische Architekturbüro Foster+Partners eine Mondbasis, die Platz für vier Menschen bietet, außerdem Schutz vor Meteoriten, Gamma-Strahlung und heftigen Temperaturschwankungen. Die Basis entfaltet sich aus einem zylindrischen Modul, das per Rakete transportiert werden kann. Am Ende dieser Röhre wird eine Gerüst-Kuppel aufgeblasen, über die mithilfe eines robotergesteuerten 3D-Druckers mehrere Schichten Regolith als Schutzhülle gesetzt werden. SCHÜRFROBOTER AUF DEM MOND Im Februar 2014 fordert die NASA im Rahmen des CATALYST-Projektes US-Unternehmen auf, sich für die Konstruktion von Schürfrobotern für den Mond zu bewerben und sich somit die ersten Schürfrechte dort zu sichern. Der Hintergrund: Viele Elemente, die auf der Erde selten sind, finden sich auf dem Mond reichlich. So zeigen Satellitenbilder, dass die obersten 10cm Staub am Südpol des Mondes etwa die 100-fache Konzentration an Gold aufweisen wie die reichsten Minen der Erde. Neben seltenen Mineralien sind es vor allem H20 und Helium-3, denen besondere Aufmerksamkeit gilt. Helium-3 vom Mond könnte genutzt werden, um Kernfusionsreaktionen auszulösen, die stark genug sind, ganze Städte mit Energie zu versorgen.
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Fünf Sterne Natur Fogo Island, Neufundland Text Nikolas Feireiss, Lena Unbehauen | Foto Fogo Island Inn
Eine eindrucksvollere Umgebung zum Abschalten und Energie tanken ist kaum vorstellbar: das Fogo Island Inn im kanadischen Neufundland Whale Watching, Eisbergbeobachtungen, Schneeschuhwanderungen, Kabeljau-Kulturexpeditionen und Signalfeuer-Nächte sind nur ein paar Beispiele, mit denen man sich auf Fogo Island vom digitalen Alltag abmelden kann. Und nach dem Outdoor-Abenteuer geht es ins mondäne Fogo Island Inn. Gebaut auf schroffen Inselklippen, direkt am Wasser, erwarten den Hotelgast Naturparadies und Wohnkomfort zugleich. Die Suiten bestechen durch liebevolle Details wie handgefertigte Möbel internationaler Designer, stilvolle Holzöfen und bodentiefe PanoramaFenster mit Blick aufs tosende Meer.
Als ob das nicht schon besonders genug wäre: Das Hotel ist Teil einer gemeinnützigen Stiftung und wurde nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit und des Respekts vor der Natur und Kultur der Inselbewohner realisiert. Der Gewinn kommt sozialen Projekten zugute. Das Hotel bietet neben den 29 Suiten auch öffentliche Einrichtungen, die Inselbewohnern und Besuchern gleichermaßen zur Verfügung stehen. Eine Kunstgalerie, ein Kino und ein Restaurant, das zu den besten Kanadas gekürt wurde, gehören dazu. Der Anspruch der Betreiber: den Gästen die lokale Community und neufundländische Lebensart so authentisch wie möglich näherzubringen. www.crd.de/fogo-island-inn www.crd.de
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Die Wunderkammer de Mailand, Italien
Es gibt Orte, da möchte man am liebsten gleich einziehen. Die „Galleria Rossana Orlandi“ in Mailand ist so einer. Text Nikolas Feireiss | Foto Marco Tabasso
er der Rossana Orlandi
Fotos Marco Tabasso Foto Giovanni Gastel
„Schon allein der Weg zur Galleria Rossana Orlandi durch das bürgerliche Mailänder Wohnviertel Magenta ist so schön“, schwärmt Stefan Flachsbarth vom Berliner Architekturbüro bfs-design, „und wenn man da ist, möchte man gar nicht mehr weg.“ Auch für Linda Ehrl, Creative Director und Stylistin für Interior und Mode, u.a. für das stilwerk Magazin, ist der Besuch der Galerie „ein Höhepunkt und ein Muss“, besonders während der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile im April. Genau wie für Kreative aller Branchen, deren Suche nach Neuem in die Via Matteo Bandello führt. Etwas versteckt auf einem Hof befindet sich die beeindruckende Galleria Rossana Orlandi. Nicht selten trifft man die Grande Dame des Mailänder Designs persönlich. Eine zarte kleine Person, unweigerlich zu erkennen an ihrer großen runden Brille. 40 Jahre lang entwarf Rossana Orlandi Mode, dann eröffnete sie 2002 ihre eigene Design Galerie. Die Mode war ihr zu oberflächlich und zu flüchtig geworden. „Kleider trägt man, um etwas zu sein und das auch zu zeigen. Möbeldesign geht tiefer, ist intimer. Wohnen ist privat“, so empfindet sie das. Als Kind hatte Orlandi in ihrem durchaus strengen Elternhaus ein eigenes Refugium unter dem Dach, in dem sie uneingeschränkt schalten und walten konnte wie sie wollte. Eine kunterbunte Kinderwelt, in der sie ihre Träume und Phantasien ausleben konnte. Mit diesem Wissen erlebt man die Galleria Rossana Orlandi, die in einer ehemaligen Krawattenfabrik eingerichtet ist, mit neuen Augen. Und man fragt
sich: Hat die erwachsene Rossana hier das Paradies ihrer Kindheit wiederbelebt? Auf mehreren Etagen spaziert der Besucher durch eine faszinierend vielseitige Designwelt. Denn Rossana Orlandi ist berühmt dafür, Talente zu erkennen und mit Lässigkeit unterschiedlichste Stile nebeneinander leben zu lassen. Was aktuell gerade Trend ist, war und ist für Rossana Orlandi schon immer eine Selbstverständlichkeit. Bei ihr gibt es von der Vase bis zum Sofa alles, was Wohnen schön und abwechslungsreich macht. Und die Wohnwelten sind so inspirierend präsentiert, dass man in manche am liebsten gleich einziehen möchte. Die Galleria Rossana Orlandi ist Ausstellungsraum und Geschäft zugleich. Hier präsentieren etablierte Marken ihre neuesten Produkt-Highlights direkt neben jungen durchstartenden Designtalenten. Anfangs fokussierte sich Orlandi insbesondere auf aufstrebende niederländische Designer wie Piet Hein Eek, Maarten Baas und Nacho Carbonell, mittlerweile reflektiert ihr Designkatalog das wohl weltweit Innovativste, was die Designszene von Europa bis Asien und Amerika zu bieten hat. Die gesammelten Eindrücke verarbeiten und diskutieren kann der Besucher im hauseigenen Café in dem liebevoll dekorierten bepflanzten Hof der Galerie. Gesprächsstoff bietet das Designangebot von Rossana Orlandis Wunderkammer allemal. www.rossanaorlandi.com
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Der Haute Coutur Marrakesch, Marokko
Text Nikolas Feireiss, Lena Unbehauen | Foto Nicolas MathĂŠus
Marrakesch war seine Muse. Nirgends war das Modegenie Yves Saint Laurent kreativer und unbeschwerter als hier. Das Erbe seiner wagemutigen Kreationen und seine tiefe Verbundenheit zu Marokko zeigt das neue MusĂŠe YvesSaint-Laurent Marrakech.
uture Tresor
Von 1966 bis zu seinem Tod 2008 war Marrakesch eine Ersatzheimat für Yves Saint Laurent. Die „rote Stadt“ im Südwesten Marokkos war für ihn der ideale Rückzugsort vom hektischen Pariser Modegeschäft und mit ihrem besonderen Licht und leuchtenden Farben eine Quelle der Inspiration. Sie erinnerte den gebürtigen Algerier an das „verlorene Paradies seiner Kindheit“, wie er in einem Interview mit „Paris Match“ einst verriet. Seinen Wagemut verdanke er der Schamlosigkeit der Mischungen und dem Feuer der Erfindungskraft von Marokko, so der verstorbene Modeschöpfer. Dass dem Lebenswerk von Yves Saint Laurent im Jahr 2017 mit zwei neu eröffneten Museen – eine Dependance in seinem mondänen Atelier in Paris und eine in seiner späteren Wahlheimat Marrakesch – ein monumentales Denkmal gesetzt wurde, ist der Beharrlichkeit seines langjährigen Lebensgefährten und Geschäftspartners Pierre Bergé zu verdanken. Die beiden Männer verband unter anderem ihre Liebe zu Nordafrika und zur islamischen Kunst. So retteten sie 1980 mit dem Kauf des „Jardin Majorelle“ den subtropischen KünstlerGarten in der Wüstenstadt vor dem Verfall, und wohnten dort in der „Villa Oasis“ bis zu Saint Laurents Tod. „Ich träume von diesen Farben“, sagte Yves Saint Laurent einst über seine kreative Oase.
EIN TRESOR FÜR HAUTE COUTURE SCHÄTZE Gleich neben dem Garten eröffnete nun im Oktober 2017 nach rund vierjähriger Bauzeit das neue Musée Yves-Saint-Laurent Marrakech, kurz „mYSLm“. Den 15 Millionen teuren und 4000 Quadratmeter großen Monumentalbau ziert eine Fassade aus Granitwürfeln mit aufgesetzter Ziegelsteinstruktur. Für ihren Entwurf ließen sich die Architekten Karl Fournier und Olivier Marty vom französischen Architekturbüro „Studio Ko“ von der Dualität der Kurven und Geraden, die sich in den Schnitten des berühmten Modeschöpfers wiederfinden, inspirieren. Mit dieser einzigartigen Formgebung wollten sie einen Kontrast schaffen: „Das Gebäude soll sehr streng, dabei aber weich wirken“, erklärt Fournier in einem Interview mit dem Magazin „i-D“. Und sein Partner Marty fügt hinzu: „Bergé wollte, dass das Museum modern und marokkanisch aussieht. Es sollte mehrschichtig und intim werden.“ Der faszinierende Bau spielt mit den Farben Marokkos und der Pracht der Traumkreationen von Yves Saint
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Laurent. Je nach Tageszeit erstrahlt die Fassade, die mit ihrer Struktur an Kette und Schuss aus der Weberei erinnern soll, in Rosa und Rot-Tönen. Der Eingangsbereich mit seinen streifenartigen Lichtbrunnen taucht die eingefangenen Sonnenstrahlen in Blau und Gelb – Effekte, ähnlich den bunten Stickereien auf Saint Laurents Haute Couture Kleidern. Das imposante „mYSLm“, das neben einer 400 Quadratmeter großen permanenten Ausstellungsfläche auch unter anderem eine Halle für temporäre Schauen sowie eine Bibliothek mit über 5.000 Bänden und ein Auditorium beherbergt, ist quasi ein Tresor für die Modeschätze des Meisters – deren Erhalt sich die Stiftung „Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent“ zur Aufgabe gemacht hat.
SAINT LAURENT LIEBTE DIE FRAUEN In der Dauerausstellung werden rund 100 Kreationen gezeigt. Darunter sind auch die schwarzen Ensembles, die Saint Laurent in den ersten Jahren seiner Karriere entworfen hat. Unvergessen bleiben der Damen-Smoking mit Kummerbund und Seidenrevers und die Trenchcoats, mit denen der Designer nicht nur das Bild, sondern auch das Selbstbewusstsein der Frauen in den 60er Jahren grundlegend veränderte. Passend dazu bemerkte Piere Bergé einmal: „Coco Chanel hat den Frauen die Freiheit gegeben, Yves Saint Laurent die Macht.“ Saint Laurent liebte die Frauen, zumindest liebte er es sie anzuziehen – und das mit unglaublicher Innovationskraft. So erfand er den „Nude-Look“ mit transparenten Stoffen, er machte die Farbe schwarz alltagstauglich, und er brachte Kunst und Mode zusammen: Man denke nur an seine berühmten Mondrian oder Matisse Kleider. Auch Gaultiers berühmte Corsagen mit den spitzen Brüsten nahm er in seinen von afrikanischer Kunst inspirierten Kleidern mit stachelspitzen, großen Brustaufsätzen schon vorweg. Mode und Kultur waren für Yves Saint Laurent unzertrennbar. Er umgab sich mit Kunst und erlesensten Möbeln, ohne Musik und Theater war das Leben für ihn nicht vorstellbar. Und wenn Mode Kunst sein kann, dann ist Yves Saint Laurent ihr größter Künstler. Die zwei neuen Museen lassen daran keinen Zweifel. www.museeyslmarrakech.com | www.museeyslparis.com
Foto Pierre BergĂŠ
Foto Nicolas MathĂŠus
Foto Reginald Gray
The North Face Arktis, Nordpolarkreis Fragen Leni Garbe | Foto Alexander Garbe
Das Naturwunder Arktis mit seinen faszinierenden Eisbergen gibt uns immer noch viele Rätsel auf. Einige davon kann ein 8-jähriges Kind auf einer Expeditionsreise zum Nordpolarkreis im Gespräch mit erfahrenen Experten lösen.
Es gibt Eisberge, die so groß sind wie Inseln. Die Eisberge vor Grönland zum Beispiel können bis zu 100 Meter hoch werden und zwischen 500 und 900 Meter tief ins Wasser reichen.
Sie entstehen dadurch, dass große Eisstücke aus Gletschern abbrechen und ins Meer fallen. Experten sagen dazu: die Gletscher „kalben“.
Die größten Eisflächen der Erde liegen rund um den Nordpol und den Südpol: die Arktis und die Antarktis. Auf der nördlichen Halbkugel befindet sich das meiste Eis auf Grönland. Aber auch in Island gibt es Gletscher und Eisdecken.
Das ist nicht ganz klar. Sicher aber ist, dass die Erderwärmung zu einer erheblichen Beschleunigung der Gletscherschmelze und verstärktem Eisberg-Kalben geführt hat, insbesondere am Ilulissat-Eisfjord mit dem Gletscher Sermeq Kujalleq. Nach Aussagen der lokalen Experten ist der Gletscher in den letzten zehn Jahren so stark zurückgegangen wie zuvor in 100 Jahren.
Nein, Eisberge sind nicht geschützt.
Das hätte schlimme Folgen für die Welt. Wie schon jetzt zu sehen ist, wird es dann mehr Unwetter und Flutkatastrophen geben. Viele tiefer gelegene Teile der Welt würden dann überflutet werden oder sogar ganz versinken.
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Mit Stil. Design & Lifestyle Hotels in der Schweiz. MySwitzerland.com/designlifestyle
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Nira Alpina in Silvaplana, Graubünden © STST – STTP 69
Über die Kunst der Kooperation und das E colette, Paris
Immer speziell und faszinierend: So präsentierte sich colette, die Mutter aller Concept Stores, bis zum Schluss. Denn ihr erklärtes Ziel war es, den Einzelhandel neu zu erfinden und ungewöhnliche Brand-Kooperationen möglich zu machen. Ein Rückblick auf eine Pariser Institution. Text Friederike Steinert
Foto colette
das Ende einer Ära
Man soll ja bekanntlich gehen, wenn es am schönsten ist. Das haben sich Colette Roussaux und ihre Tochter Sarah Andelman wohl auch gedacht, als sie im Sommer 2017 verkündeten, dass ihr legendärer Department Store mit Abschluss des Jahres zumachen wird. Das Ende einer Ära: Denn mit colette schließt ein Shop, der Einzelhandelsgeschichte geschrieben hat. Neben Corso Como 10 in Mailand gilt colette als Pionier unter den Concept Stores und hat sich seit den Anfängen 1997 immer wieder neu erfunden – mit einem unnachahmlichen Mix aus Fashion, High-Tech, Kunst, Streetwear und Beauty. Ob exklusive Pre-Releases, limitierte Editionen, Vorstellung neuer Designtalente oder Renaissance vergessener Labels: colette hatte ein untrügerisches Gespür für Trends und Themen. Eben jenes Gespür schuf auch die Basis für bemerkenswerte Kooperationen, wie zum Beispiel zwischen dem Musiker Pharrell Williams und dem Kunsthändler Emmanuel Perrotini. Auch die Schaufenster standen dem Ganzen an Kreativität in nichts nach: Man erinnere sich nur beispielsweise an das ausgefallene Fensterkonzept zum Launch des Garage Magazine, für das eine Liaison zwischen dem US-Blogger Perez Hilton und dem Starfotografen Nick Knight zustande kam.
JEDE WOCHE NEU Das außergewöhnliche Konzept des Pariser Ladens machte einen Abstecher in das erste Arrondissement zu einem Muss für jeden Modeinteressierten. Auf verschiedenen Ebenen konnte der Besucher vollkommen in den colette-Kosmos eintauchen. Während auf der oberen Etage High Fashion neben Avantgarde-Schätzen verkauft wurde, gab es im Erdgeschoss für colette-Fans mit kleinerem Geldbeutel Mode, Beauty, Bücher und CDs. „Der Mix bei colette war so inspirierend – fast wie eine Ausstellung. Ein fantastischer Ort, auch um Leute zu beobachten“, erinnert sich Margareta van de Bosch,
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Advisor bei H&M, ehemals Designdirektorin und mitverantwortlich für diverse Kooperationen zwischen H&M und anderen Labels oder Künstlern. Tatsächlich ging das Kult-Konzept von colette voll auf: 2005 betitelte das Wirtschaftsmagazin Forbes den Concept Store als „den angesagtesten Shop der Welt“. Doch was sich hinter den Türen der Rue Saint Honoré 213 verbarg, war weitaus mehr als nur eine coole Einkaufsadresse. Das wird umso deutlicher, wenn man mit Zeitgenossen wie Valeska Duetsch, Gründerin des Modelabels Belize, spricht. Durch ihre frühere Arbeit als Designerin bei Chloé, deren Pariser Büro in unmittelbarer Nähe lag, weiß sie aus eigener Erfahrung um die Faszination des Stores: „colette war immer ein richtiger Magnet, man konnte nicht einfach daran vorbeilaufen. Der Shop hat so viel vereint, es ging nicht nur um die Produkte, sondern um Atmosphäre. Alleine die Schaufenster waren so speziell und liebevoll gestaltet, dass sie einen schon von weitem in ihren Bann gezogen haben.“ Ähnliche Erinnerungen hat auch Donald Schneider, der zu colette-Zeiten als Creative Director bei der Vogue arbeitete und oft noch spät am Store vorbei kam: „Sarah und ihre Mutter waren jeden Abend bis mindestens Mitternacht dabei den Laden umzuräumen und neu zu inszenieren.“ Dem stimmt Sarah Andelman, die Chefeinkäuferin und Kreativdirektorin von colette, voll und ganz zu: „Die wechselnden Schaufensterdekorationen waren der Schlüssel zu unserer Identität und bewusst jede Woche anders, wie das Cover einer wöchentlich erscheinenden Zeitung.“
DIE KÖNIGIN DER KOOPERATION Und so wie jede gute Zeitung von unterschiedlichen Stimmen lebt, setzte auch colette immer wieder mit neuen, unkonventionellen Kooperationen frische Impulse. Während andere Shops und Brands scheinbar
Fotos colette | Foto Chanel Olivier Saillant
stets im gleichen Teich fischten, machte sich das Team von colette einen weitaus offeneren Ansatz zu Eigen. Sarah Andelman erklärt: „Wenn wir entschieden, mit einer Marke zusammenzuarbeiten, dann taten wir das nur, weil wir dachten, dass es Sinn machte. Es ist niemals erzwungen gewesen. Wir sind sehr aufgeschlossen und so sind die unterschiedlichsten Kollaborationen möglich geworden.“ Dass das mehr als heiße Luft und graue Theorie ist, beweist ein Blick in das Archiv von colette. Über die Jahre hinweg hat der Shop mit so unterschiedlichen Partnern wie Hermés und Louis Vuitton, Vespa und Smart oder H&M und Hello Kitty gemeinsame Projekte realisiert. Als Königin der Kooperation hat colette maßgeblich dazu beigetragen, dass es heutzutage völlig normal ist, wenn sich Labels aus unterschiedlichen Preissegmenten zusammentun. „Die Leute bei colette waren die Ersten und die mit den besten Ideen, Kollaborationen und Kurationen“, schwärmt Frederik Frede, einer der Gründer der Berliner Agentur MoreSleep. Die agentureigene Plattform Freunde von Freunden beweist, dass Kooperationen mittlerweile in den unterschiedlichsten Gewändern daherkommen können. Die Hauptsache ist, dass sich die aufeinander treffenden Felder gegenseitig inspirieren. So gesehen ist auch Fredes Kreativagentur ein geistiges Kind von Vorreitern wie colette. Auch der Einfluss, den der Concept Store auf die Modewelt hatte, sollte nicht unterschätzt werden, meint Marcello Burlon, seines Zeichens Gründer und Designer des Labels County of Milan: „colette war eine Institution für das Coole und Neue. Hier wurde entschieden, was zum Hype wurde. Es war eine wichtige Plattform, denn es verlieh den Marken und Projekten, die mit dem Shop in Verbindung gebracht wurden, eine besondere Wertigkeit. Wenn colette an etwas glaubte, dann wurde es global groß“, erinnert sich Burlon. Er muss es wissen, schließlich hat er mehrfach mit colette zusammengearbeitet und
mit seinen grafischen Mustern auf Casio G-Shock Uhren und Illulian Teppichen immer wieder für Aufsehen gesorgt. Gleiches gilt für Donald Schneider und sein Studio. Der kreative Kooperationsprofi und colette-Kenner hat über die Jahre immer wieder erfolgreiche Projekte zusammen mit dem Store umgesetzt, unter anderem für die Dragon-Tattoo-Kollektion von Trish Summerville, KostümDesignerin von Hollywood-Regisseur David Finchers Film, sowie für die Studio Collection von H&M. Sogar beim finalen colette-Sale hat Schneider mit einer besonderen Überraschung mitgewirkt.
DIE ZUKUNFT DES CONCEPT STORES Mit dieser Erfolgsgeschichte im Hinterkopf fragt man sich schon, wo die Zukunft des Shoppings noch liegen soll, jetzt da das Kapitel colette geschlossen ist. War der Shop einfach ein Zeitgeist-Phänomen, wie Frederik Frede glaubt, oder ist die Idee des Concept Stores so elegant gealtert, dass sie auch nach zwei Dekaden noch eine klare Daseinsberechtigung hat? Die Ansichten dazu sind unterschiedlich. Während Sarah Andelman denkt, dass die Zukunft im Digitalen liegt, ist Valeska Duetsch davon überzeugt, dass Shops wie colette weiterhin Sinn machen: „Es geht um das Erlebnis und den Zauber vor Ort. colette war genau das, etwas ganz Besonderes.“ Dem stimmt auch Marcello Burlon zu: „colette war ein einzigartiges Modell, dem andere gefolgt sind. Fast alle modernen Concept Stores basieren im Grunde auf dem, was colette vorgemacht hat.“ Und Donald Schneider fügt hinzu: „Ich bin total traurig, dass es colette nicht mehr gibt. Es war der best-kuratierte und inspirierendste MultibrandShop weltweit, basta!" Es bleibt uns also nur zu hoffen,
dass mit dem Ende der Ära colette bereits eine neue Generation mutiger Ideenbringer an einem bahnbrechenden Store-Konzept tüftelt. Die Zukunft, so viel ist sicher, ist offen für das, was kommen mag.
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FREUNDE VON FREUNDEN X STILWERK
FASHION MEETS INTERIOR
Fotografie Claudia Klein www.claudiakleinphotography.com Production, Interior & Fashion Styling Linda Charlotte Ehrl Model Sina @ Pearlmanagement.de 74
"Friends Space" Interior: Vorhang KVADRAT | Sofas und Poufs E15 | Vase KPM | Kronleuchter ZUMTHOBEL by HANI RASHID | Hängeleuchte BOCCI by OMAR ARBEL | Lautsprecher SONOS | Beistelltisch VITRA | mobile Bar DIAGEO WORLD CLASS BAR by HIDDEN FORTRESS |
Foto Robert Rieger für FvF
Hocker &TRADITION
Die Kreativ-Plattform „Freunde von Freunden“ (FvF) hatte schon immer einen guten Riecher: 2009 begannen sie im Namen ihrer Mutter-Agentur „MoreSleep“, die verschiedensten Wohn- und Arbeitsräume, die ihnen durch Freunde von Freunden als besonders innovativ empfohlen wurden, zu fotografieren. So entstanden zwei inspirierende Fotobände, die einen visuellen Streifzug durch die Lebenswelten von Kreativen, Galeristen und Trendsettern zeigen – und den aktuellen Zeitgeist im Interior Design einfangen. Dieser authentische Look findet sich heute in Home-Stories wieder – ein Format, das FvF, wenn nicht sogar erfunden, auf jeden Fall stark geprägt haben. Inzwischen verbirgt sich hinter „Freunde von Freunden“ ein riesiges internationales Netzwerk von talentierten Kreativen aus den Bereichen Art Direktion, Videoproduktion, Visual Communication, Digital Media, Print und Design. Ihre Produktionen, die auf starke Inhalte und auf kreative Stories setzen, gehen weit über klassische Formate hinaus und geben wichtige Impulse für die Kreativwirtschaft.
Dabei entwickelt sich die Kreativ-Community ständig weiter: Nach dem erfolgreichen FvF-Apartment in Berlin-Mitte haben sie nun in einer alten Kreuzberger Fabriketage den „Friends Space“ kreiert, der zusammen mit Partnern wie &tradition, e15, Bocci, Sonos und Vitra nach und nach vervollständigt wird. Das 350m² große Loft im Industrie-Style, designed von Philipp Mainzer, kann für unterschiedliche und ungewöhnliche Event-Szenarien oder Produktionen genutzt werden. Uns von stilwerk hat die Philosophie von „Freunde von Freunden“ und das Konzept vom „Friends Space“ – nämlich, den Lifestyle einer kreativen, agilen Generation widerzuspiegeln – zu einem besonderen Fotoshooting inspiriert. So haben wir selektierte Marken aus den stilwerk Häusern mit der von FvF konzipierten Einrichtung im „Friends Space“ kombiniert und beim Shooting mit Fotografin Claudia Klein und Sina von Pearlmodelmanagement Synergien zwischen Interior und Mode neu aufleben lassen. www.freundevonfreunden.com/friendsspace
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Raumteiler ROCHE BOBOIS x MAISON LACROIX | Couchtisch und Recamiere CHRISTINE KRÖNCKE von PRO ARTE | Leuchte LIGNE ROSET | Teppich RUCKSTUHL | Pflanze von DIE PALME | Kleid ZIMMERMANN und
Sessel &TRADITION |
Sitzkissen ROCHE
Pumps MIU MIU von SECONDELLA
Beistelltische BOLOGNESE
BOBOIS | Teppich KIRAN
Beistelltisch CLASSI-
POP VALENTINITSCH DE-
KELIM | Pflanzen DIE
CON von MINIMUM
Sessel ROLF BENZ | Leuchte LIGNE ROSET |
SIGN für SPOLIA | Leuchte
PALME | Stiefel KENNEL
| Holzhocker VITRA |
Teppich JAN KATH BY NYHUES | Top
und Dekoschale LIGNE
& SCHMENGER für
Vase BO CONCEPT |
MICHALSKY | Tuch HERMÈS von SECONDELLA
ROSET | Deko- Accesoires
MICHALSKY
Blumen von MARSANO |
Sessel CASSINA und
und Teekanne TOM DIXON
Kissen blau KVADRAT
von AXIS MUNDI Fundus
x RAF SIMONS | Kissen grün PRO ARTE | Teppich JAN KATH
Pouf LIGNE ROSET | Beistelltisch
BY NYHUES | Kleid
&TRADITION | Vorhang KVADRAT | Teppich
MICHALSKY | Stiefel
KIRAN KELIM | Holzmaske von LAMBERT |
KENNEL & SCHMEN-
Kleid DIMITRI | Schuhe CHLOÈ von
GER für MICHALSKY
SECONDELLA Stuhl KNOLL INTERNATIONAL von MINIMUM | Kissen BO CONCEPT | Kaktus von DIE
Stuhl ARTEK | Stehleuchte
Teppich JAN KATH BY
PALME | Vasen und Holzamphore von PRO
TOBIAS GRAU | Holzhocker
NYHUES | Leuchte von
ARTE | Steine von CRAMER | Sessel &TRADI-
E15 | Vasen braun BO CON-
KANTHAUS | Hose
TION | Stoff ZWEIFFEL EINRICHTUNG | Teppich
CEPT | Vase schwarz, Holz-
DIMITRI
JAN KATH BY NYHUES | Wandbehang Collage
amphore und Dekokugeln
aus Bomberjacken von SIMON MULLAN
von PRO ARTE | | Teppich JAN KATH BY NYHUES |
Vintage Tisch MARCEL
Ottoman ROCHE BOBOIS x MAISON
Blumen von MARSANO |
BREUER für THONET von
LACROIX | Teppich JAN KATH BY NYHUES |
Hosenanzug DIMITRI |
FORM + FUNKTION |
Silberfische von LAMBERT | Kleid ANTONINO
Pumps MOSCHINO von
Vase BO CONCEPT |
VALENTI von SECONDELLA | Stiefel KENNEL &
SECONDELLA
Blumen von MARSANO | Kaftan STINE GOYA
SCHMENGER für MICHALSKY
| Schuhe CHLOÈ von Teppich KIRAN KELIM
SECONDELLA
Beistelltisch ROLF BENZ | Sofa E15 | Teppich
| Beistelltisch ROCHE
RUCKSTUHL | Pflanzen von DIE PALME
BOBOIS | Leuchte aus
Secondella
Glasplatten E15 | Sessel
Exklusive Designermode
ARNE JACOBSEN von
aus zweiter Hand
AXIS MUNDI Fundus |
www.secondella.de
Kaftan STINE GOYA | Beistelltisch ARTEK |
Tasche COCCINELLE |
Alle genannten Marken
Tischleuchte &TRADITION |
Stiefel KENNEL &
und Händler sind in
Assistenz Fashion Camille Franke | Assistenz Interior Lukas Flade, Ilja Stahl, Elias Röhm |
Vorhang KVADRAT |
SCHMENGER für
unseren stilwerk
Hair & Make Up Aennikin | Assistenz Foto Jonas Reichert, Stéphanie Bonn
Lautsprecher SONOS
MICHALSKY
Standorten zu finden.
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LIMITIERTE KOLLEKTION: freistil KOOPERIERT MIT DAWID TOMASZEWSKI Sonder-Edition freistil 149 erhätlich bei: freistil-STORE OLIVER KUHLMEY stilwerk, Kantstr. 17, D-10623 Berlin www.by-ok.de
CRAMER STAMMHAUS
Sibirien 6, D-25335 Elmshorn www.cramer-moebel.de
BÜRO & WOHN DESIGN
hüls - die einrichtung
Poppenreuther Str. 60, D-90765 Fürth www.huels.de
IZABELA K. GMBH
Flughafenstr. 31-35, D-34277 Fuldabrück-Bergshausen www.buero-wohn-design.de
Coburger Str. 50, D-96479 Weitramsdorf www.izabela-k.com
freistil-STORE P.ART1 EINRICHTUNG
freistil-STORE WOHNDESIGN MAIERHOFER
Hohenstaufenring 63, D-50674 Köln www.part1-einrichtung.de
freistil-STORE RAMSAIER RAUMDESIGN
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freistil-STORE BÖHMLER
Nymphenburger Str. 115, D-80636 München www.freistil-boehmler.de
Königsbau-Passagen, Königstr. 26, D-70173 Stuttgart www.ramsaier-raumdesign.de
Taborstr. 7, AT-1020 Wien www.wohndesign-maierhofer.at
www.freistil-rolfbenz.com
Fotos: stilwerk | Felix LĂśchner
DĂźsseldorf Hamburg Berlin
(DÜSSELDORF) INSEL HOMBROICH
Natur, Kunst und Architektur: auf der Insel Hombroich an der Erft verbinden sie sich auf ungewöhnliche Art und Weise. Bei einem Spaziergang über das weitläufige Gelände der ehemaligen Raketenstation findet der Besucher Ruhe und Inspiration zugleich. Text Nicole Niewiadomski
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Fotos Tomas Riehle | Arturimages
„Kunst parallel zur Natur“ war der Grundgedanke des Düsseldorfer Kunstsammlers Karl-Heinrich Müller, als er die Insel Hombroich 1987 als Museum eröffnete. Inmitten einer urwüchsigen Flora zwischen Teichen und Wäldern ist seine beeindruckende Sammlung, zu der unter anderem Werke von Rembrandt, Henri Matisse und Yves Klein gehören, in Pavillons zu bewundern. Einzigartige Kunstwerke quer durch die Jahrhunderte und Kulturen. Einige Jahre später kaufte Müller neben der renaturierten Park- und Auenlandschaft auch noch das Gelände der Raketenstation Hombroich hinzu, welches früher von der Nato zur Übungszwecken genutzt wurde. So entstand nach und nach ein Raum für künstlerische Experimente jeglicher Art. Für die Bebauung der Raketenstation konnte der Kunstmäzen namhafte Architekten, Künstler und Bildhauer gewinnen. Der portugiesische Stararchitekt Alvaro Siza gehörte dazu, der deutsche Bildhauer Erwin Heerich sowie der US-amerikanische Architekt Raimund Abraham, von dem das „Haus für Musiker“ stammt – eines der auffälligsten Gebäude. Auch spannend: das Kirkeby-Feld. Hier stehen verschiedene Werke des dänischen Architekten und Bildhauers Per Kirkeby.
Die Formensprache seiner „Drei Kapellen“, drei begehbarer Backsteinskulpturen, erinnert an moderne Kirchen. Ein Besuch auf dem weitläufigen Gelände fühlt sich ein wenig wie Alice im Wunderland für Erwachsene an. Da nirgendwo Wegschilder stehen, kann man sich völlig frei bewegen – und auch verlaufen. Dies ist aber durchaus gewollt, denn so entdeckt man immer wieder neue Installationen, Skulpturen oder Gebäude, die sich elegant in die Auen- und Gartenlandschaft einfügen. Ebenfalls spannend sind die ausgefallenen Häuser der Künstler, Musiker und Schriftsteller, die auf der ehemaligen Raketenstation wohnen und dort ihre Ateliers betreiben. Während die Ausstellungen in den Pavillons bleiben, verändert sich die Landschaft auf Hombroich ständig. Ganz im Sinne „des Erfinders“, Karl-Heinz Müller. „Merkmal der Insel sollte sein, dass sie nie fertig wird und immer lebendiger Raum bleibt, wo sich die Vielfalt der Kunst mit der Vielfalt der Natur trifft“, hat Müller erklärt. Er selbst, 2007 verstorben, ruht unter Linden auf dem Gelände. www.inselhombroich.de
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(HAMBURG) FREYTAG APARTMENTS
Home is where the heart is. Inspiriert von der Salonkultur der Gründerzeit bietet das Freytag auf der Hamburger Uhlenhorst Designlovern komfortables Wohnen auf Zeit.
Es ist ein echtes Juwel: Das Freytag, ein schmuckes Apartmenthaus auf der grünen, von Fleeten durchzogenen Uhlenhorst. Nach zweijähriger Sanierung hat es jüngst seine Türen geöffnet, um „Teilzeit-Hamburgern“ ein edel-individuelles Wohnerlebnis auf Zeit zu ermöglichen. Das Freytag ist das Werk dreier Freunde, deren Leidenschaft für alte Autos und noch ältere Häuser in den beiden klassizistischen Gründerzeitvillen nahe Feenteich und Außenalster ein neues Zuhause gefunden hat. Maßgeblich unterstützt wurden die Hamburger WeischerBrüder und der Projektentwickler Holger Siegel von der Designerin Sibylle von Heyden, die den ehrwürdigen Räumen aus der Zeit um 1900 mit handgearbeiteten Möbeln und mutigem Farbkonzept ihre persönliche Note verliehen hat: „Das Häuserensemble auf der Uhlenhorst war einsam und verlassen und wollte wieder zum Leben erweckt werden. So entschloss ich mich einen, 'Cross Over' Übergang von der damaligen zur heutigen Zeit zu kreieren. Nicht das in Hamburg so gern gesehene 'grau-beige' sollte Einzug finden, sondern Stoffe, Möbel, Leuchten und andere Materialien, die mit dem Haus
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und seiner Geschichte eine Verbindung eingehen. Ich glaube, dass gerade in der heutigen Zeit eine gewisse Wohnlichkeit und Geborgenheit gewünscht wird und kein Purismus mit kalten Materialien und blasser Umgebung“, so die Designerin über das Einrichtungskonzept des Freytag. Heute stehen den Gästen 33 voll ausgestattete Ein- und Zweizimmer-Apartments − inklusive Housekeeping − auf vier Etagen zur Verfügung, aber auch Gemeinschaftsräume, wie die Bibliothek und die wohnliche Lobby. Um den Wohlfühlfaktor noch zu steigern, kann jeder Bewohner selbst entscheiden, welche Zusatz-Services wie Parkplatz oder Waschraum er in Anspruch nehmen möchte. Zudem hilft ein ortskundiger Concierge mit Restaurantreservierungen, Insidertipps oder sonstigen Wünschen weiter. Denn im Freytag ist der Name Programm: „Jeder liebt doch das Freitags-Gefühl mit der Vorfreude aufs Wochenende und genau diese Atmosphäre soll sich in unserem Haus bis ins kleinste Detail wiederfinden“, erklärt Florian Weischer. www.das-freytag.de
Fotos Andreas Lehmann, Hamburg
Text Boris Bullwinkel
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(BERLIN) FAIRYTALE BAR
Foto Natalia Kepesz Illustrationen Clara Schicketanz / gradwanderung design
Es war einmal… Die phantasievolle Berliner „Fairytale Bar“ verzaubert ihre Gäste mit einer sprechenden Duftkarte, sagenhaften Drinks und wundersamen Geschichten.
In einer Ecke von Berlin-Friedrichshain, die noch nicht mit reichlich Bars gesegnet ist, sprudelt seit Anfang 2015 eine besondere Trinkquelle: die „Fairytale Bar“. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich hier um weit mehr als nur eine einfache Cocktailbar. Inspiriert durch den so genannten „Märchenbrunnen“ im nahegelegenen Volkspark Friedrichshain ist das Gesamtkonzept bis ins Detail auf wundersame Geschichten und Märchen für Erwachsene ausgerichtet. Bei Besuch öffnen dunkle, verkleidete Gestalten auf Klingelzeichen die Tür zum Märchenreich. Drinnen empfangen den Gast etliche Devotionalien aus „Alice im Wunderland“ und anderen Märchen − in Vitrinen, an Wänden, überall. Durch Raumteiler und Vorhänge entsteht in der dunkel gehaltenen Themenbar eine zugleich heimelige und unheimliche Atmosphäre mit intimen Ecken und Plätzen. Die größte Kuriosität ist aber die kreative Barkarte, die garantiert jedem im Gedächtnis bleibt und bereits mit dem
Mixology Bar Award 2016 ausgezeichnet wurde. So erhalten Männer und Frauen separate Bücher, die unterschiedliche Düfte versprühen und kleine Häppchen zum Verspeisen beinhalten. Und als ob das noch nicht spooky genug wäre, wispert die Karte dem Gast auch noch Märchentexte zu. Selbstverständlich haben ebenso die Cocktails einen Märchenbezug und heißen zum Beispiel „Schneeweißchen und Rosenrot“ oder „Mogli“, ein sehr ausgewogener Drink aus Rum, Schokolade und Kokos. Mit der „Fairytale Bar“ hat der Barexperte Mike Meinke zusammen mit den Besitzern ein sehr phantasievolles und außergewöhnliches Konzept geschaffen, welches vom Spot on Gestalterteam um Alexander Süßmann umgesetzt wurde. Als Pate inspirierte der US-Regisseur Tim Burton, der durch Filme wie „Charlie und die Schokoladenfabrik“ Menschen in eine andere Welt entführen will. www.fairytale.bar
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Sofa LIGNE ROSET | Teppich KIRAN KELIM | Stiefel Models own Foto Claudia Klein
IMPRESSUM Herausgeber | Alexander Garbe (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) stilwerk Center-Management GmbH Große Elbstraße 68 22767 Hamburg Tel. +49 40 28809460 magazin@stilwerk.de stilwerk.com Kreative Direktion | Alexander Garbe, Linda Charlotte Ehrl, Stefan Heyer Chefredaktion | Alexander Garbe, Linda Charlotte Ehrl Beratendes Urgestein | Andreas Möller (für Ringdrei Media Network)
Art Direktion und grafische Gestaltung | Stefan Heyer Bildredaktion | Stefan Heyer, Linda Charlotte Ehrl Interior und Fashion Editor | Linda Charlotte Ehrl Text | Lena Unbehauen Lektorat | Monika Recke
Anzeigen & Anzeigenkoordination | Daniela Walter, Gordon Zacharias magazine@stilwerk.de Marketing & Kooperationen | Gordon Zacharias g.zacharias@stilwerk.de Linda Charlotte Ehrl contact@lindaehrl.com Konzept und Realisation | stilwerk Center-Management GmbH Geschäftsführung Tatjana Groß Große Elbstraße 68 22767 Hamburg
Autoren | Amelie Osterloh, Bazon Brock, Boris Bullwinkel, Foto siehe jeweilige Nennung Camilla Péus, Christian Schaernack, Friederike Steinert, Judith Jenner, Leni Garbe, Lena Unbehauen, Lukas Feireiss, MOD, Nicole Niewandowski, Nikolas Druck | Druckhaus Humburg GmbH & Co. KG, Bremen Feireiss, Wilfried Lembert Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird nicht gehaftet.
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