4 minute read
Aus verzweiflung
»Saint Omer« von Alice Diop
Jeder Gerichtsfilm hat in vielen Variationen stets das Ziel, entgegen Vorurteilen, falschen Verdächtigungen und persönlichen Animositäten den wahren Schuldigen zu finden und der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. So war es jedenfalls bis zu diesem Film. In »Saint Omer« steht eine junge Senegalesin vor Gericht, aber mit ihr auch die problematische Lage einer in Frankreich gerade mal geduldeten dunkelhäutigen Eingewanderten.
Advertisement
Die 1979 in Frankreich geborene, aus einer senegalesischen Familie stammende Dokumentarfilmerin
Alice Diop hat sich für ihren ersten Spielfilm einen Fall vorgenommen, der sich tatsächlich ereignet hat. Die Doktorandin, die im Film Laurence Coly heißt und von Guslagie Malanda dargestellt wird, hat ihre 15 Monate alte Tochter Élise am Strand von Saint-Omer dem Meer und somit dem nahezu sicheren Tod überlassen.
Strandgut verlost zum Filmstart am 23. Februar 3 × 2 Tickets für einen Kinobesuch Ihrer Wahl (die Vorstellung sollte nicht ausverkauft sein). Schicken Sie uns eine E-Mail mit dem Kennwort »Love« und Ihrer Adresse an verlosungen@strandgut.de . Unter den ersten Einsendern entscheidet das Los.
Laurence steht nun vor Gericht und gibt ihre Tat unumwunden zu, weiß aber keinen nachvollziehbaren Grund anzuführen. Wie und warum es zu diesem aufsehenerregenden Kindesmord gekommen ist, möchte die sichtlich um Verständnis bemühte Richterin (Valérie Dréville) herausfinden.
Einzige Rechtfertigung der unglücklich wirkenden Laurence ist ihre Vermutung, dass sie verhext gewesen sei. Doch die angegebenen Telefonate mit einer Wahrsagerin können nicht bestätigt werden. Allein der Film sucht durch mystische Einsprengsel dieser Aussage eine gewisse Relevanz zu verleihen. Und Diop verweist mit einem Ausschnitt aus dem entsprechenden PasoliniFilm auf den Medea-Mythos.
Es geht um kulturelle Unterschiede zwischen Afrika und Europa, die auch von der Hauptfigur, der Professorin und Autorin Rama (Kayije Kagame), empfunden werden, die aus Paris angereist ist, um den Prozess zu beobachten. Die attraktive Rama hat ebenfalls senegalesische Wurzeln und ist, wie wir im Verlauf des Films erfahren, schwanger. Sie bekommt sogar körperliche Beschwerden, weil sie sich mit Laurence zu identifizieren beginnt. Rama ist ein Alter Ego der Regisseurin, die von dem Prozess so fasziniert war, dass sie nach intensiver Beschäftigung mit dem juristischen Fall schließlich selbst nach Saint-Omer gereist ist, auch um die ablehnende Stimmung gegenüber Schwarzen in der nordfranzösischen Provinz zu spüren.
In der Gerichtsverhandlung, die in strengen Porträteinstellungen gefilmt ist, entsteht eine Front zwischen den beteiligten weißen Männern, dem streng fragenden Staatsanwalt (Robert Cantarella) und Luc Dumontet (Xavier Maly), der Laurence als eine Unsichtbare, die er vor seiner Familie verborgen gehalten hat, bei sich aufgenommen und geschwängert hat, und den weißen Frauen. In der Verhandlung gibt Dumontet den tief betroffenen Vater, und man weiß nicht so recht, ob ihm Malys schauspielerische Fähigkeiten oder eine Generosität des Drehbuchs eine gewisse Glaubwürdigkeit verleihen.
Die Anwältin Vaudenay (Aurélia Petit) hält am Ende ein schlüssiges Plädoyer für ihre Mandantin, die ihrer Meinung nach aus Verzweiflung gehandelt hat. Und von der mitfühlenden Richterin ist ein mildes Urteil zu erwarten, das der in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Film so unbefriedigend wie konsequent ausspart.
Tom Zwicker
SAiNT Omer von Alice Diop, F 2022, 123 Min. mit Kayije Kagame, Guslagie Malanda, Valérie Dréville, Aurélia Petit, Xavier Maly, Robert Cantarella
Drama
Start: 09.03.2023 carte Blanche für Fatih Akin www.dff.film
Für seine Filme wurde der international anerkannte Regisseur vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Golden Globe, dem Europäischen Filmpreis, dem Deutschen Filmpreis und dem Goldenen Bären der Berlinale. Im März präsentiert er im Kino des DFF zehn Gangsterfilme aus der Filmgeschichte, die ihn besonders geprägt haben. Am Do., 2.3., wird er seine Filmauswahl im DFF erläutern.
Der Zeuge www.malsehnkino.de www.arthouse-kinos.de
Ffter. Premiere am Fr., 3.3., um 20 Uhr in Anwesenheit von Regisseur Michael Lade im Mal Seh’n Kino im Nordend.
Die eiche – mein Zuhause Vorpremiere dieses spektakulären Films mit einer außergewöhnlichen Besetzung: Eichhörnchen, Rüsselkäfer, Eichelhäher, Ameisen, Feldmäuse sind als Bewohner und Besucher einer Eiche am So., 5.3., um 13:30 in der Harmonie zu sehen.
Saint Omer
Am Mi., 8.3., gibt es im Anschluss an die Vorführung um 20 Uhr ein Gespräch mit der Stadtverordneten Mirrianne Mahn und weiteren Gästen zum Thema Diskriminierung. www.malsehnkino.de
Oscar-Wochenende www.dff.film
Am 12. März werden in Hollywood zum 95. Mal die Academy Awards verliehen. Das Kino im DFF präsentiert am betreffenden Wochenende von Donnerstag, 9., bis Sonntag, 12. März, acht Filme, die in der Kategorie »Best Picture« nominiert sind und noch nicht in der Kinohighlights-Reihe im Januar und Februar gezeigt wurden.
Project Wolf Hunting
(Dis)Harmonie, die Reihe für den abseitigen Film, päsentiert den koreanischen Thriller, in dem eine Gruppe gewalttätiger Schwerverbrecher auf einem alten Frachtschiff von den Philippinen nach Südkorea gebracht werden soll. Vorstellung am Mi., 15.3., in der Harmonie im korean. Original mit engl. Untertiteln & in Kooperation mit dem Fantasy Filmfest. www.arthouse-kinos.de venezuela im Film iQué chévere! www.filmforum-höchst.de eugène green
Das Festival wird am Do., 16.3., mit »Especial« (OmenglU) über einen jungen Mann mit Down Syndrom in Anwesenheit von Regisseur von Ignacio Marquez eröffnet. Weitere Filme »Jezabel« von Hernán JabesÁguila, »Juan« von Adrián Geyer, »La Caja« von Lorenzo Vigas, »Araya: Toda vida viene del Mar« von Margot Benacerraf und »Qué buena broma, Bromelia« von Efterpi Charalambidis.
Seit seinem Regiedebüt »Toutes les nuits« (2001), das er im stattlichen Alter von 53 Jahren vorlegte, hat Eugène Green seine Filmsprache weiterentwickelt: Die Darsteller sprechen ihre Sätze direkt in die Kamera. Dazu kommt sein lakonisch-schelmischer Witz, der seinen Filmen eine tragikomische Note verleiht. In New York geboren, zog Green in den späten 60ern nach Paris, wo er 1977 das Théâtre de la Sapience gründete, in dem er barokkes Theater neu inszenierte. Zudem ist er Autor von Gedichtbänden, Romanen und Essays. Am Freitag, 17., und Samstag, 18.3., ist er im Kino des DFF zu Gast. www.dff.film
Barrikade –Bilder einer Waldbesetzung
In Anwesenheit von Regisseur David Klammer mit Filmgespräch läuft der Film über die Besetzung des Dannenröder Forsts 2019 am Mo., 27.3., um 20.30 Uhr in der Harmonie. In Kooperation mit Museum für Kommunikation anlässlich der aktuellen Klima_X-Ausstellung. www.arthouse-kinos.de rock chicks –i am not female to you Schamlos Harmlos, die Reihe für Queer-, Sex- & Subkultur, präsentiert in Zusammenarbeit mit dem Ventil Verlag den Film über RockMusikerinnen am Di., 28.3., um 20.45 Uhr in der Harmonie. Vor dem Film: Einführung & Lesung von Juliane Streich (»These Girls«). Vorstellung in englOmU. www.arthouse-kinos.de
Das cabinet des Dr. caligari (Dis)Harmonie, die Reihe für den abseitigen Film, zeigt am Mi., 29.3., um 21 Uhr in der Großen Harmonie den berühmten Stummfilm von Robert Wiene mit einer Live-Vertonung durch das Gramm Art Project. www.arthouse-kinos.de
Weimar weiblich www.dff.film
In einer Ausstellung über Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918 – 1933) präsentiert das DFF vom 29. März bis 12. November 2023 bekannte und unbekannte Akteurinnen vor und hinter der Kamera. Bericht und Kritik werden folgen.