Strandgut 4/2022

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Theater »Gehst du zum Weibe, … ha ha ha« – darauf läuft die Lagesondierung zweier älterer Herren am flackernden Kamin des dunklen, muffigen 19. Jahrhundert-Salons (Sessel, Trophäen, Gemälde, Bücherregalwände) hinaus. Schon das Bühnenbild schreit danach, dass hier mal dringend gelüftet werden muss. Sie lassen sich viel Zeit, der Rittmeister Adolf und der Pastor, zugleich sein Schwager und einziger Freund. Sphärische Klänge ziehen nach Minuten des Schweigens zum endlich ersterbenden Saallicht im Kleinen Haus des Staatstheaters auf und beenden die Stille. »Unglaublich!« findet der Rittmeister es in seinem ersten Satz, dass jetzt alle ihre Meinung hätten: »Das ganze Haus ist voll von Frauen, die alle versuchen, mein Kind zu erziehen«. Da klingt der gute Mann, das Nietzsche-Zitat auspackend, noch ganz sicher Es sind genau drei Frauen, die das alleinige Entscheidungsrecht des Rittmeisters über die Zukunft seiner Tochter Bertha in Frage stellen: Seine Frau Laura und Mutter Berthas, seine ihm an Mutters statt erhalten gebliebene Amme und eben die längst flügge Bertha selbst. Der russische Regisseur Evgeny Titov hat August Strindbergs schon 1887 uraufgeführtes Trauerspiel »Der Vater« sehr kompakt – ohne Nebenrollen und -stränge – und auch ohne große Aktualisierungen inszeniert. Warum auch, bei diesem Thema! Einem gehörigen Schuss dieser Herrlichkeit legt Rainer Kühns Rittmeister mit dem ersten Auftritt seiner deutlich jüngeren Frau Laura (Anne Lebinsky) an den Tag, wenn er der selbstbewusst vor ihm Räkelnden das forsche Knie in den Schritt schiebt – um schnell an seine Grenzen zu stoßen. Seinen Entschluss, Bertha (Maria Wördemann) nicht zur Kunstschule zu lassen, begegnet sie ihm mit einem Gedanken, der bald sein ganzes Denken okkupiert. Er sei vielleicht gar nicht der wirkliche Vater, droht ihm die weibliche Jago, ihr Erziehungsrecht öffentlich einzuklagen. Kostümbildnerin Andrea SchmidtFutterer hat Laura mit offenen Locken in ein zeitloses und sinnlich wirkendes Kleid gehüllt, die wortkarge Tochter geht in Latex und hauchdünner schwarzer Bluse eher in Richtung lasziv. Es macht einen gewichtigen Teil des abendlichen Vergnügens an dieser Vorstellung aus, Rainer Kühn unter der Wirkung des gefräßigen Gedankengifts zunächst die Contenance, dann den Verstand und am Ende noch viel mehr verlieren zu sehen. Lebinskys Laura gibt ihm aber einen jegliche Zuneigung vermissen lassenden Widerpart, während

© Karl und Monika Forster

Game over für das Patriarchat

Evgeny Titov packt für Strindbergs »Der Vater« in Wiesbaden das Messer aus die sich fast unbeteiligt gebende Bertha ohne große Sprechbeiträge unbeschrieben bleibt. Womöglich sieht sie ihre Generation dieses Geschlechtergezänks längst enthoben. Strindbergs Antwort auf Ibsens »Nora« zeigt einen zugrunde gehenden. Mann. Titov liefert dazu brachiale Bilder, lässt ihn wutentbrannt die Bücherwand zertrümmern, hinter der sich dem Gemarterten das kahle Weiß eines Irrenhauses öffnet. Über die Zwangsjacke hinaus, die ihm die kindlich zuredende Amme (Ingrid Domann) anlegt, geht Titovs Laura ihrem Mann denn auch noch mit dem Messer nach dem Gemächt, um das Teil wie eine WilliamsChrist-Birne ins Cocktailglas zu versenken. Statt an einem Schlaganfall stirbt er in der Wiesbadener Inszenierung an Blutverlust. Umsonst vergossen ist es nicht, denn Töchterchen Bertha nutzt es dazu, auf der weißen Anstaltswand ihre Kunstästhetik zu demonstrieren. Sieht nach Vulva aus, was sie da mit den Händen malt. Game over für das Patriarchat. Winnie Geipert Termine: 8., 9., April, 19.30 Uhr; 24. April, 18 Uhr www.staatstheater-wiesbaden.de

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