Strandgut 4/2022

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LIteratur Kolumne: Alf Mayers Blutige Ernte

Europa schreiben, im Kriminalroman Das Autoren-Duo Hoeps & Toes und ihr »Tallinn Twist« Die Beiden sind ein wirklich besonderes Gespann. Hoeps und Toes sind das vermutlich erste internationale Autoren-Team, das die Sprachgrenzen überschreitend gemeinsam Kriminalromane veröffentlicht. Sie schreiben grenzüberschreitende Bücher, ganz im Geiste von Nicolas Freeling und dessen Inspektor Van der Valk. Thomas Hoeps lebt in Krefeld, leitet dort das Niederrheinische Literaturhaus. Jac. Toes ist Gerichtsreporter und lebt runde 120 Kilometer entfernt im niederländischen Arnhem. Ihr Erstling »Nach allen Regeln der Kunst« (»Kunst zonder genade«) wurde 2008 als einer der fünf besten Krimis der Niederlande für den niederländischen Krimipreis »Gouden Strop« nominiert und in die Top-Lijst zum Belgischen Krimipreis »Diamanten Kogel« gewählt. Inzwischen arbeiten sie 15 Jahre zusammen, können also Jubiläum feiern. Ihr gerade erschienenes Buch, der fulminante EU-Thriller »Der Tallinn Twist«, hat durch den Überfall Russlands auf die Ukraine eine erschreckende Aktualität gewonnen.

Frage: Thomas Hoeps, für Ihre Bücher schreiben Sie auf Deutsch und übersetzen die von Jac. Toes auf Niederländisch geschriebenen Kapitel ins Deutsche – und jetzt auch meine Fragen. Schön, dass Sie sich trotz zahlreicher Termine Zeit für ein Interview nehmen. Legen wir los … Jac. und Thomas: Zunächst einmal müssen wir sagen, wie schockiert wir über den Krieg in der Ukraine sind. In »Der Tallinn Twist« haben wir das Szenario der Destabilisierung ehemaliger Sowjetrepubliken als Vorbereitung auf einen echten Krieg als eine ständige und wachsende Sorge im Baltikum beschrieben. Dass diese Fiktion nun in der Ukraine schnell zu einer grausamen Realität geworden ist, hätten wir uns selbst in unserer kühnsten Fantasie nicht vorstellen können. »Der Tallinn Twist« erhält dadurch eine sehr makabre Aktualität, und die Worte der deutschen Botschafterin in Estland, mit der wir während unserer Recherchereise gesprochen haben, schwirren in unseren Köpfen herum: »Wenn die Russen wollen, stehen sie in zwanzig Minuten vor der Tür.«

sche Heiterkeit. Außerdem erkennt der eine die blinden Flecken des anderen, bemerkt, wo der andere Möglichkeiten für einen stärkeren Text auslässt, und hat kein Problem damit, die Darlings des anderen zu töten. Und glaub es oder nicht, wir haben uns noch nie deswegen gestritten, wohl auch, weil wir uns an zwei Prinzipien halten: Erstens: Der Stil des anderen ist heilig, da schraubt keiner von uns dran herum. Zweitens: Wir gehen niemals einen Kompromiss ein, sondern überlegen so lange, bis wir beide zu 100 % zufrieden sind. Thomas: Alles absolut richtig, wobei hinsichtlich der nationalen Eigenheiten zu ergänzen ist, dass sie kurioserweise regelmäßig vom einen zum anderen überwechseln. Nicht zufällig hat Jac. eine Vorliebe für die Präzision deutscher Kuckucksuhren und Pünktlichkeit, vielleicht ein genetischer Restbestand seiner vor sieben Generationen noch in Deutschland lebenden Vor-

Sie schreiben seit 15 Jahren zusammen Kriminalromane. Was ist für Sie je das Besondere dieser Zusammenarbeit? Jac.: Wir sind ein kompensierendes Autorenduo: Wir verstärken einander nicht in den Eigenschaften, die wir bereits haben, sondern ergänzen uns in den Gegenteilen. In Beziehungen ist das nicht immer von Vorteil, aber bei uns funktioniert es perfekt. Zum Teil geht es dabei um unsere nationalen Unterschiede: deutsche Gründlichkeit vs. niederländische Lockerheit, deutsches Qualitätsbewusstsein vs. niederländische Flexibilität, deutscher Tiefgang vs. niederländi-

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fahren. Mich hingegen bezeichnet er gerne als einen schweren Fall von Transstaatsangehörigkeit, »ein Niederländer, gefangen im Körper eines Deutschen«. Wahrscheinlich sind wir auch wegen dieser inneren Grenzüberschreitungen so gute Freunde geworden. Von OLAF, dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, wissen wir als Zeitungsleser. Aber die EU-Security und jemand wie die Ermittlerin Marie Vos, wie nahe ist das an der Wirklichkeit? Jac. & Thomas: Die EU-Security gibt es tatsächlich. Sie ist eine eher kleine und vor allem wenig bekannte Direktion der EU in Brüssel und gehört zur Generaldirektion Human Resources. Das Ziel dieser speziellen Abteilung ist herrlich vage formuliert: »Gewährleistung der Sicherheit und des Schutzes von Personal, Eigentum, Aktivitäten und Informationen.« Dieses Mission Statement kann in jede Richtung

ausgedeutet werden, und wir als Spannungsautoren haben das sehr gerne genutzt. Wobei wir vermutlich nicht so weit weg von der Realität waren, diese Abteilung mit einer Spionageabwehroperation zu betrauen, nachdem ein hochrangiger Beamter dabei erwischt worden war, politisch wichtige strategische Informationen an Dritte weiterzugeben. Überhaupt die Wirklichkeit: Das ist schon Markenzeichen und Anspruch bei Ihnen, oder? Wie würden Sie es formulieren? Jac. & Thomas: Ja, eine gute Recherche ist schon unser Markenzeichen, aber damit wollen wir uns nicht besonders brüsten: Vor allem ist sie einfach die attraktivste Phase des Schreibprozesses. Dieses wunderbare Abenteuer mit seinen unzähligen unerwarteten, wertvollen Entdeckungen bietet noch alle Freiheiten der Welt, um spontan in alle Richtungen zu gehen. Ziemlich


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