Strandgut 7-8/2021

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MUSEEN

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Es gibt auch sehr berührende künstlerische Exponate, z.B. die Objekte von Shan Goshorn, die sie »We are them, embracing the pressure« genannt hat. Dabei handelt es sich um winzig kleine Körbe aus pflanzlichem Material, in denen Namen und Gebete von 700 indigenen Frauen eingeflochten wurden. Jeder Korb trägt ein Fotoporträt einer Cherokee-Frau in ihrem traditionellen Schmuck. Diese Kunstwerke hat die Leiterin der Amerika-Abteilung Mona Suhrbier für das Haus erworben. Ganz anders, nämlich ganz heutig sind die beiden Säle im oberen Stockwerk, die der Ausstellung zugeschlagen wurden. Echte Ethnografie und deren Transformation at its best, mehr sei nicht verraten. Der Treppenaufgang ist mit Kurzbiografien von Widerstandsikonen wir Frantz Fanon, Aimé Césaire und Julius Nyerere gepflastert. Wieder zurück zur Führung. Weiter geht es durch die Taunusanlage zur Kaiserstraße, wo in der Nummer 71 im ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts ein Panoptikum eingerichtet worden war, das, ganz dem damaligen Publikumsgeschmack entsprechend, eine Völkerschau anbot, also das Zurschaustellen afrikanischer Männer, Frauen und Kinder. Viele dieser Schauen wurden in den Zoos präsentiert, aber eben auch hier. Der Gründer des Hamburger Zoos, Carl Hagenbeck, ist damit berühmt geworden. Wir hören das Zeugnis von Theodor Wonje Michael, der 1925 als Sohn eines Kameruners und einer Deutschen in Berlin geboren wurde und mit seinem Vater in Berliner Völkerschauen arbeiten musste. In Nazideutschand trat er als schwarzer Junge in Propagandafilmen für den Kolonialismus auf. Als Geldhaus für die Kreditvergabe an Handelshäuser mit überseeischen Vertretungen wurde die Deutsche Bank 1871 gegründet, und auch hier schlägt »Frankfurt postkolonial« rassistische Kapitel auf: mit ihrer Hilfe wurden die »Schutztruppen« in Namibia finanziert, sie beteiligte sich am Bau der Eisenbahn in der deutschen Kolonie Tsingtao in China, die zum Abtransport von Erzen benutzt wurde. Es ist ein lohnender Besuch, es ist eine aufreibende Führung. Nein, es ist nicht in erster Linie wichtig zu urteilen, es ist erst einmal wichtig zu wissen.

Struwweladler trifft Fußballgott

Der Comic-Zeichner Michael Apitz im Struwwelpeter Museum Der Sommer wird lustig, kündigt das Struwwelpeter Museum mit Fug und Recht an. Nur wenige Meter vom Caricatura Museum entfernt mit der neuen Ausstellung »Greser & Lenz« (ab 22. Juli), stellt das Haus Am Hühnermarkt vom 30. Juni an das komische Werk von Michael Apitz aus. Die Schau »Adler, Karl und Struwwelpeter« sollte schon vor Jahresfrist eröffnen – konnte aber nicht. Völlig fraglos dürfte zu den Highlights der 30 Schaffensjahre umfassenden Werkschau der »Struwweladler« des bekennenden Eintracht-Fans Apitz gehören, konfrontiert dieser sich doch an berufenem Ort mit dem Schöpfer der Figur, dem als Urahn aller Comic-Zeichner geltenden Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann. Eine Gegenüberstellung, bei der sich der »Struwweladler« des Beistands von ganz oben erfreuen kann, erscheint doch der Fußballgott persönlich zur Vernissage. Muss man ihn mit Namen nennen? Nicht in Frankfurt, nicht im Strandgut.

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Eine geschichtsträchtige Ikone der Zeichenkunst aber ist ohne Zweifel auch Michael Apitz‘ Rheingau-Held »Karl, der Spätlesereiter«, der 1988 das Licht der Comic-Welt erblickte und es mittlerweile auf zwölf Bände bringt. Die Ausstellung läuft bis zum 31 Dezember. Die Besuchszeiten finden sich auf der Homepage des Museums: www.struwwelpeter-museum.de

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Willy Keim, Nizza, Minigolfplatz, 1964 © HMF

Tradition. Sein Gründer, der Arzt Dr. Bernhard Hagen, arbeitete auf den Plantagen in Sumatra und verstand das Museum ausdrücklich als eine Austauschplattform für Handelsgesellschaften mit Niederlassungen in den überseeischen Kolonien. Da ploppen die Fragen nur so in die Höhe: Von wem wurden die Objekte bereitgestellt? Waren es nicht auch Händler? Auf Expeditionen erworbene Stücke? Von wem, für wieviel Geld? Waren sie vielleicht nicht auch geraubt? Zum Beispiel die Bambusrohre, die in einer Glasvitrine pendeln. Sie entstammen einer Frobenius-Expedition unter Hermann Niggemeyer in den 1930er Jahren. Damals stand der Fundort Seram auf den Molukken, damals stand das spätere Indonesien unter holländischer Kolonialherrschaft. Beim näheren Betrachten erkennt man Gravuren und Zeichnungen auf den Röhren. Sie schildern Begegnungen zwischen dem Europäer als Soldat – er schultert ein Gewehr – und den Inselbewohnern, die Gepäck tragen und kurze Hosen anhaben, man sieht verschiedene Interaktionen, Frauen spielen mit Kindern. Das Museum für Weltkulturen will laut seiner Kuratorin Julia Albrecht den Blick schärfen für das »Andersherum«: normalerweise sieht man diese Kolonialbegegnungen aus der Sicht der Europäer, hier sehen wir, wie die Inselbewohner sie sahen. Die Kolonisierten werden oft als Opfer gesehen, ihnen wurde Gewalt angetan. Man sieht sie nicht als politisches Subjekt, und hier haben sie ihre Geschichten festgehalten, wenn auch nicht schriftlich, sondern bildnerisch. Eine weitere Vitrine zeigt Schmuckstücke der Herrero, schwere Fuß-/ Armreifen, ein große geometrische Rautenbrosche, Messer mit Scheide. Das Museum hat herausgefunden, wie diese Stücke in seinen Besitz gelangten, in einem militärischen Kontext nämlich: das erfuhr es durch Tagebuchnotizen eines Herrn Stuhlmann, der darin die Plünderungen in Herrero-Siedlungen während des Genozids durch die so genannten Schutztruppen festhält, auf die wir später noch zu sprechen kommen.

Susanne Asal Weltkulturen Museum »Hidden in Plain Sight« bis zum 5.9. www.weltkulturenmuseum.de Frankfurt postkolonial: http://frankfurt.postkolonial.net

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