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Berlin, Berlin. Wer fährt denn nach Berlin?
Berlin denn , Berlin ! Wer nach Berlin ? fährt
Immer mehr Messen werben um immer weniger Handelsbesucher, die ohnehin mit vielen Messeund Orderterminen in der Saison belastet sind. Was heißt das für die Zukunft von Berlin als Modestadt? Text: Nicoletta Schaper. lllustration: Claudia Meitert.
„Markus Wahl ist gutgelaunt, er freut sich auf Berlin. Für den Herrenmodehändler aus dem schwäbischen Ertingen ist es keine Frage, zum Saisonstart in die deutsche Hauptstadt zu kommen. „Für einmal nach Berlin fliegen bekomme ich auf den Messen einen umfassenden Überblick“, sagt er. „Ich komme aus meinem täglichen Trott heraus, die Inspiration ist wichtig und die Stimmung beflügelt uns nachhaltig in unserem Daily Business.“
Meet and Greet Berlin ist erklärter Kick-off, mit einem breiten Angebot von ungefähr zwölf Fachmessen, ergänzt von der Mercedes Benz Fashion Week und Formaten wie dem neuen Berliner Modesalon, der von Vogue-Chefin Christiane Arp initiiert wurde, um Design made in Germany zu stärken. All das macht Berlin zu einem der wichtigsten Schauplätze der Branche. Aber nicht für alle. Dafür gibt es heute einfach zu viele Termine im Kalender der Händler, deren Reisetätigkeit sich in den letzten Jahren ohnehin nahezu verdoppelt hat – bei nahezu gleichem Volumen. Was einigen die Überlegung nahelegen dürfte, etwas davon zu streichen – und zwar den Termin, bei dem am wenigsten der saisonalen Arbeit zu erledigen ist. „Ich reise im Jahr bis zu 30 Mal zu Messen und zum Ordern, das ist mir manchmal zu viel“, sagt Petra Fischer, Geschäftsführerin Modehaus Fischer. „Letztes Jahr musste ich Berlin für Mailand und Paris ausfallen lassen, einfach weil die Kollektionen dort für mein Business sehr wichtig sind. Wir sehen zwar auf der Premium viele unserer Lieferanten, aber manchmal frage ich mich nach Berlin, was ich überhaupt geschafft habe, weil das viele Meet and Greet mit konzentrierter Orderarbeit wenig zu tun hat.“ Einen guten Teil ihrer Trendrecherche erledigt Petra Fischer mittlerweile im Netz. „Ich schaue mir zum Beispiel die Schauen auf style.com an, zusätzlich blättere ich in allen möglichen Zeitschriften und lasse mich vom Straßenbild in Paris und Mailand inspirieren“, sagt sie. „All das liefert mir mindestens so wichtige Impulse wie die Messen.“ Auch Susanne Lindner ist für ihren Store Standby Lindner viel im Netz unterwegs. „Ich entdecke zum Beispiel „Es geht in Berlin weniger um Partys als vielmehr um Business und Innovationskraft. Aus meiner Sicht haben wir das Hoch als Modemetropole noch nicht erreicht. Dafür müssen wir weiterhin nachhaltig arbeiten und den Standort Berlin kontinuierlich weiterentwickeln.“ Anita Tillmann, Geschäftsführerin Premium Exhibtions
einiges auf Instagram, manchmal schreibe ich das Label an und stelle einen ersten Kontakt her“, so die Dortmunderin. „Manches Neue kommt aber auch auf mich zu, wie zum Beispiel Anine Bing, eine super erfolgreiche Kollektion, die ich Woche für Woche nachordere. Daran merke ich, dass es Begehrlichkeit noch gibt – und ich diese aber nicht unbedingt nur auf den Messen finde.“ „Berlin hat sich vor allem für den D-A-CH-Markt etabliert, der frühe Zeitpunkt und das große Angebot sind ideal. Wir können hier auf der Premium und Show & Order unverbindlich schauen, anders als in den Showrooms von Mailand und München.“ Ambros Strolz, Inhaber Strolz
Euphorie und Business Keine Frage, die ganz große Berlin-Euphorie der Branche ist vorbei. Als die Bread & Butter 2009 von Barcelona nach Berlin zurückkehrte, brachte sie gleich einen Schwung südeuropäischer Händler mit in die Stadt. Der Andrang war so groß wie das vielsprachige Stimmengewirr, Berlin eine einzige Party und internationaler Fashion-Hotspot, mit einem prallen Angebot an Jeans- und Urban Lifestylebrands in Tempelhof und der kontinuierlich aufstrebenden Premium für Premiumwear on Top. „Dieser Mix war für uns ideal und so auch nur in Berlin zu finden“, sagt Ambros Strolz, Inhaber Strolz in Lech. Heute ist die Marktsituation eine ganz andere. „Viele Besucher aus Italien und Spanien bleiben weg, weil sie mit der wirtschaftlichen Lage zu kämpfen haben“, sagt Ambros Strolz. Aber nicht nur für Händler aus diesen Märkten ist der Berlinbesuch zu dieser Saison zumindest mit einem Fragezeichen versehen. So impulsreich die Stadt ist, so anregend
„Messen sind auch heute zeitgemäß und wichtig für uns Händler, um Trends zu sichten. Wie viele Showrooms sollte ich mir ansehen, um diesen Überblick zu bekommen?“ Torsten Mansfeld, Inhaber Bazar Royal die neuen Stores, Restaurants und Clubs auch sein mögen: Berlin ist zur Routine geworden. Dazu kommt die Tatsache, dass es wenig starke neue Trends und dafür mehr Vergleichbarkeit im modischen Angebot gibt. Zudem kann für manchen Tophändler der unverbindliche Gang über die Messe anstrengend werden, wenn er von den Vertretern aus jedem Stand angesprochen wird. Nicht zuletzt kommt der allgemeine Druck des stationären Handels hinzu, sei es durch rasant wachsende Umsätze der Onlinegiganten oder auch durch große Brands, die vorrangig in eigene Retailstrategien investie
„Mich wundert es, wenn ein Händler sagt, er schafft Berlin nicht, weil er am selben Tag einen Termin in Mailand hat. Warum also nicht den Termin in Mailand verlegen, um dafür hier in Berlin bis zu 3.000 Kollektionen sichten zu können?“ Jörg Wichmann, geschäftsführender Gesellschafter Panorama
ren und folglich nicht mehr auf der Messe zeigen. „Für uns ist es sehr bedauerlich, dass viele große Jeanser keine Notwendigkeit mehr in Messen sehen, dabei ist es für uns wichtig, zu verfolgen, welchen Weg die Marken gehen und welche Menschen dahinterstehen“, so Stefan Crämer von Crämer & Co in Nürnberg. „Aber das sollte umso mehr Ansporn für uns als Multibrand-Händler sein, uns mit Individualität abzuheben. Und die Kollektionen dafür finden wir wiederum auf den Messen.“
Neue Karten Durch die Insolvenz der Bread & Butter wurden die Karten neu gemischt. Die Seek, ursprünglich im Kühlhaus in direkter Nach
barschaft zur Premium, einem kleinen, feinen Angebot an progressiver Menswear vorbehalten, ist letzte Saison mit 280 Marken stark vergrößert in die Treptow-Arena gezogen, flankiert von „Berlin ist für viele First Look, First Impression. Kleine Händler müssen sich genau überlegen, welche Reisen für sie sinnvoll sind, und versuchen, die Termine, so gut es geht, zusammenzulegen. Anders können sie nicht überleben.“ Petra Fischer, Geschäftsführerin Modehaus Fischer
der Bright. Das neue Format Selvedge Run in den Schöneweider Rheinbeckhallen soll Heimat für handwerklich orientierte Brands werden und startet mit Namen wie Nudie, Stetson und Wolverine. Die großen Messen heute heißen Premium und Panorama, während sich die Bread & Butter ab Januar 2016 mit ihrem Kooperationspartner Zalando in Tempelhof mit neuem Konzept als großer Consumer Event aufstellen will. Rund 1.000 Brands zählte die Premium im vergangenen Winter, die Saison für Saison an ihrem trendorientierten Portfolio mit 20 bis 30 Prozent Neuausstellern feilt. „Es erfordert intensive Recherche, Investitionen und ein sehr gutes internationales Netzwerk, um kontinuierlich am Puls der Zeit zu sein“, beschreibt Premium Exhibitions Geschäftsführerin Anita Tillmann. Die Weiterentwicklung der Serviceangebote gehört ebenfalls dazu, um es den Handelsbesuchern so einfach wie nur möglich zu machen, angefangen bei Easy Travel Paketen, Shuttle Service, Joint Ticketing für Premium, Seek, Show & Order, Bright, Green Showroom und der Ethical Fashion Show bis hin zum Brand-Match-System, das dem Einkäufer eine auf ihn zugeschnittene Auswahl von Kollektionen vorschlägt. Die Panorama hat sich als Marktplatz für konsumstarke Kollektionen etabliert. „Wir müssen beide Seiten verstehen und uns nach dem Bedarf der Händler ausrichten“, so Jörg Wichmann, geschäftsführender Gesellschafter der Panorama. „Dabei wollen wir nicht nur marktstarke Marken abbilden, sondern verstärkt auch neue Trendlabels integrieren.“ Auch Verena Malta, die mit der Show & Order ins vierte Jahr geht und jetzt 300 Brands im Kraftwerk präsentiert, freut sich über wachsende Bestätigung ihres Konzepts. „Wir haben uns als Messe für neue Brands etabliert, die auf dem deutschen Markt Fuß fassen möchten, es ist wichtig, eine USP zu haben“, sagt die Show & Order Geschäftsführerin. Erstmalig kooperiert sie diese Saison mit Sophie Guyot, Entrepeneurin der Fame von der Who’s next Paris, die ihr neues Showroom-Konzept So... by Show & Order vorstellt. „Ich bin geehrt, mit so professionellen Partnern zusammenzuarbeiten“, so Verena Malta. „Das ist eine sehr spannende Bereicherung für die Show & Order.“
„Ich würde mir mehr Unterstützung von der Politik wünschen. Es müssten international wichtige Händler und Meinungsbildner eingeflogen werden, wie das auch die verstaatlichte CIFF Kopenhagen macht oder auch die Who’s next Paris. Es reicht nicht, sich nur auf die Strahlkraft Berlins zu verlassen.“ Verena Malta, Geschäftsführerin Show & Order
Heimspiel? Allem voran hat sich der Messestandort Berlin für die Händler in Deutschland, Österreich und der Schweiz etabliert. „Zeitpunkt und Angebot passen perfekt für unseren Markt. Wir Händler brauchen Berlin unbedingt, um das Neue zu finden, was im Retail als Ergänzung zu unseren Stammlieferanten vonnöten ist“, so Ambros Strolz. „Hier bekommen wir einen ersten und unverbindlichen Überblick vor allem über die Womenswear und einmal mehr über die Menswear, für die wir zuvor schon nach Florenz gereist sind, und können Termine ausmachen für die Kollektionen, die wir interessant finden, um uns dann
„Berlin bietet mir als Händler Inspiration, die mir kein Showroom der Welt ersetzen kann.“ Markus Wahl, Geschäftsführer Bekleidungshaus Wahl „Auf den Messen lernst du die Menschen hinter den Marken kennen, die Schwingung ist schon wichtig. Dafür sind wir auch in London und Kopenhagen unterwegs, um etwas zu finden, das nicht schon abgegrast ist.“ Susanne Lindner, Inhaberin Standby Lindner
im Showroom in München oder Salzburg festzulegen.“ Verwirrt die Vielfalt der Berliner Messen die Händler? Zumindest die letzte Messerunde war nicht nur für Torsten Mansfeld, Inhaber von Bazar Royal in Leipzig, schwierig, weil durch den Wegfall der Bread & Butter sich viele seiner Lieferanten auf ganz Berlin verteilt haben. „Als Besucher für drei Tage sind wir auf Effizienz aus, doch im Januar waren wir eigentlich ständig mit der Parkplatzsuche in der Stadt beschäftigt. Wir Händler brauchen Kontinuität seitens der Messen, für die beispielsweise der Pitti Uomo steht. Heute ist es so schwer, Schulterschluss mit den Herstellern und Agenturen zu haben, da braucht es zumindest in Form einer Messe einen verlässlichen Partner.“ Dennoch sieht auch Mansfeld in der Vielfalt einen Vorteil. „Finden wir auf der Premium nicht das, womit wir uns abheben können, sind wir flexibel genug, noch woanders zu schauen. Als kleines Geschäft in Nachbarschaft von Peek & Cloppenburg und Breuninger sind wir darauf angewiesen, etwas zu finden, das nicht Mainstream ist.“ Auch Markus Wahl hat die Erfahrung gemacht, dass sich Offenheit auszahlt. So wird er außer der Panorama die Bread & Butter und die Premium besuchen. „Selbst wenn vieles dort nicht zu unserem Konzept passt, lohnt immer der Blick über das eigene Geschäft hinaus.“
Alternativlos Auch diese Saison gibt es Terminkonflikte im internationalen Messekalender. Aktuell konkurriert Berlin mit den Herrenschauen in Mailand sowie den Paris Pre-Collections. Vorbeugend haben die Premium, Berliner Salon und der Showroom von Bernd Schürmann ihren Berlintermin um einen Tag nach hinten geschoben, um den High Fashion orientierten Händlern den Besuch in Berlin noch am Messefreitag zu ermöglichen, ebenso finden einige Shows am 9. und 10. Juli statt. Für Petra Fischer steht Berlin noch nicht zur Diskussion. Die Showrooms in Mailand und Paris im Juni und Düsseldorf und München im Juli stehen als Fixtermine im Kalender, genauso wie Berlin. Susanne Lindner reist diese Saison zur Revolver CPH nach Copenhagen, während ihr Sohn Tim auf der London Fashion Week Neues suchen wird. Nach längerem Überlegen hat sie sich letztendlich doch wieder zu einen kurzen Besuch von Berlin entschlossen. „Wir möchten nichts verpassen“, sagt sie. „Berlin ist und bleibt die richtige
„Berlin ist für uns zurzeit alternativ- und konkurrenzlos, kein anderer europäischer Standort kann diese Vielfalt leisten, die wir für unser Jeans- und Streetwearkonzept brauchen.“ Stefan Crämer, Inhaber Crämer & Co
Stadt“, ist Karl-Heinz Müller auch nach dem Zalando-Paukenschlag überzeugt. „Aber damit die Stadt im Messekalender bleibt, ist eine neue Willkommenskultur und wohlwollende Unterstützung der Politik nötig und der gesunde Wettbewerb unter klar geclusterten Veranstaltungen. Alles andere schwächt Berlin als internationale Modemetropole.“