style in progress 3/2015 – Deutsche Ausgabe

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SO LÄUFT’S 117

Berlin, Berlin! Wer fährt denn nach Berlin? Immer mehr Messen werben um immer weniger Handelsbesucher, die ohnehin mit vielen Messeund Orderterminen in der Saison belastet sind. Was heißt das für die Zukunft von Berlin als Modestadt? Text: Nicoletta Schaper. lllustration: Claudia Meitert.

„Markus Wahl ist gutgelaunt, er freut sich auf Berlin. Für den Herrenmodehändler aus dem schwäbischen Ertingen ist es keine Frage, zum Saisonstart in die deutsche Hauptstadt zu kommen. „Für einmal nach Berlin fliegen bekomme ich auf den Messen einen umfassenden Überblick“, sagt er. „Ich komme aus meinem täglichen Trott her­ aus, die Inspiration ist wichtig und die Stimmung beflügelt uns nachhaltig in unserem Daily Business.“ Meet and Greet

Berlin ist erklärter Kick-off, mit einem breiten Angebot von ungefähr zwölf Fachmessen, ergänzt von der Mercedes Benz Fashion Week und Formaten wie dem neuen Berliner Modesalon, der von Vogue-Chefin Christiane Arp initiiert wurde, um Design made in Germany zu stärken. All das macht Berlin zu einem der wichtigsten Schauplätze der Branche. Aber nicht für alle. Dafür gibt es heute einfach zu viele Termine im Kalender der Händler, deren Reisetätigkeit sich in den letzten Jahren ohnehin nahezu verdoppelt hat – bei nahezu gleichem Volumen. Was einigen die Überlegung nahelegen dürfte, etwas davon zu streichen – und zwar den Termin, bei dem am wenigsten der saisonalen Arbeit zu erledigen ist. „Ich reise im Jahr bis zu 30 Mal zu Messen und zum Ordern, das ist mir manchmal zu viel“, sagt Petra Fischer, Geschäftsführerin

Modehaus Fischer. „Letztes Jahr musste ich Berlin für Mailand und Paris ausfallen lassen, einfach weil die Kollektionen dort für mein Business sehr wichtig sind. Wir sehen zwar auf der Premium viele unserer Lieferanten, aber manchmal frage ich mich nach Berlin, was ich überhaupt geschafft habe, weil das viele Meet and Greet mit konzentrierter Orderarbeit wenig zu tun hat.“ Einen guten Teil ihrer Trendrecherche erledigt Petra Fischer mittlerweile im Netz. „Ich schaue mir zum Beispiel die Schauen auf style.com an, zusätzlich blättere ich in allen möglichen Zeitschriften und lasse mich vom Straßenbild in Paris und Mailand inspirieren“, sagt sie. „All das liefert mir mindestens so wichtige Impulse wie die Messen.“ Auch Susanne Lindner ist für ihren Store Standby Lindner viel im Netz unterwegs. „Ich entdecke zum Beispiel „Es geht in Berlin we­ niger um Partys als vielmehr um Business und Innovationskraft. Aus meiner Sicht haben wir das Hoch als Mode­ metropole noch nicht erreicht. Dafür müssen wir weiterhin nachhaltig arbeiten und den Stand­ ort Berlin kontinuierlich weiterentwickeln.“ Anita Tillmann, Geschäftsführerin Premium Exhibtions

einiges auf Instagram, manchmal schreibe ich das Label an und stelle einen ersten Kontakt her“, so die Dortmunderin. „Manches Neue kommt aber auch auf mich zu, wie zum Beispiel Anine Bing, eine super erfolgreiche Kollektion, die ich Woche für Woche nachordere. Daran merke ich, dass es Begehrlichkeit noch gibt – und ich diese aber nicht unbedingt nur auf den Messen finde.“

„Berlin hat sich vor allem für den D-A-CH-Markt etabliert, der frühe Zeitpunkt und das große Angebot sind ideal. Wir können hier auf der Pre­ mium und Show & Order unverbindlich schau­ en, anders als in den Showrooms von Mailand und München.“ Ambros Strolz, Inhaber Strolz

Euphorie und Business

Keine Frage, die ganz große Berlin-Euphorie der Branche ist vorbei. Als die Bread & Butter 2009 von Barcelona nach Berlin zurückkehrte, brachte sie gleich einen Schwung südeuropäischer Händler mit in die Stadt. Der Andrang war so groß wie das vielsprachige Stimmengewirr, Berlin eine einzige Party und internationaler Fashion-Hotspot, mit einem prallen Angebot an Jeans- und Urban Lifestylebrands in Tempelhof und der kontinuierlich aufstrebenden Premium für Premiumwear on Top. „Dieser Mix war für uns ideal und so auch nur in Berlin zu finden“, sagt Ambros Strolz, Inhaber Strolz in Lech. Heute ist die Marktsituation eine ganz andere. „Viele Besucher aus Italien und Spanien bleiben weg, weil sie mit der wirtschaftlichen Lage zu kämpfen haben“, sagt Ambros Strolz. Aber nicht nur für Händler aus diesen Märkten ist der Berlinbesuch zu dieser Saison zumindest mit einem Fragezeichen versehen. So impulsreich die Stadt ist, so anregend „Messen sind auch heute zeitgemäß und wich­ tig für uns Händler, um Trends zu sichten. Wie viele Showrooms soll­ te ich mir ansehen, um diesen Überblick zu be­ kommen?“ Torsten Mansfeld,

Inhaber Bazar Royal

die neuen Stores, Restaurants und Clubs auch sein mögen: Berlin ist zur Routine geworden. Dazu kommt die Tatsache, dass es wenig starke neue Trends und dafür mehr Vergleichbarkeit im modischen Angebot gibt. Zudem kann für manchen Tophändler der unverbindliche Gang über die Messe anstrengend werden, wenn er von den Vertretern aus jedem Stand angesprochen wird. Nicht zuletzt kommt der allgemeine Druck des stationären Handels hinzu, sei es durch rasant wachsende Umsätze der Onlinegiganten oder auch durch große Brands, die vorrangig in eigene Retailstrategien investie„Mich wundert es, wenn ein Händler sagt, er schafft Berlin nicht, weil er am selben Tag einen Termin in Mailand hat. Warum also nicht den Termin in Mailand verlegen, um dafür hier in Berlin bis zu 3.000 Kollektionen sichten zu können?“ Jörg Wichmann, geschäftsführender Gesell­ schafter Panorama

ren und folglich nicht mehr auf der Messe zeigen. „Für uns ist es sehr bedauerlich, dass viele große Jeanser keine Notwendigkeit mehr in Messen sehen, dabei ist es für uns wichtig, zu verfolgen, welchen Weg die Marken gehen und welche Menschen dahinterstehen“, so Stefan Crämer von Crämer & Co in Nürnberg. „Aber das sollte umso mehr Ansporn für uns als Multibrand-Händler sein, uns mit Individualität abzuheben. Und die Kollektionen dafür finden wir wiederum auf den Messen.“ Neue Karten

Durch die Insolvenz der Bread & Butter wurden die Karten neu gemischt. Die Seek, ursprünglich im Kühlhaus in direkter Nachstyle in progress 315


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