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Im selben Boot
Limitgespräche, Konditionenverhandlungen, Budgetdruck – da bleibt die Freude gerne auf der Strecke. Warum es gerade in Zeiten wie diesen so klug ist, nicht Zahlen, sondern Menschlichkeit regieren zu lassen. Text: Martina Müllner. Illustration: Claudia Meitert@ Caroline Seidler
„Vor 25 Jahren, da hat Modehandel Spaß gemacht. Zu diesem Gefühl müssen wir wieder zurück! Wenn wir keinen Spaß haben, unsere Mitarbeiter keinen Spaß haben, wie sollen denn dann unsere Kunden Spaß haben?“ Wenn Frank Häusler, Inhaber zweier Multibrandund eines Franchise-Stores in Immenstadt und Oberstaufen, das mit Nachdruck formuliert, dann ist der Modehändler kein bisschen nostalgisch. „Der enormen Veränderung, die unsere Branche durchmacht, muss man sich stellen. Es ist eine Zeit, in der man viele Enttäuschungen erlebt, tagtäglich. Aber Höhen und Tiefen, die gehören doch dazu, bewahren uns davor, schlecht zu werden. Wer immer nur Erfolg hat, hat keinen Grund, sich zu hinterfragen und zu verändern.“ Verändert hat das Ehepaar Häusler in seinen beiden Multilabel-Stores so gut wie alles. Mit Erfolg: Die Zahlen stimmen, selbst als bei einem Einbruch im Frühjahr „die gesamten modischen Spitzen“ geklaut wurden, tat das der positiven Konjunktur der Multilabel-Stores keinen Abbruch. „Wir haben uns entschlossen, mit dem Restbestand weiterzumachen, denn von unseren Marken und Labels kann keiner nachliefern. Wir haben die verbliebene Ware showroomartig inszeniert und sind offen damit umgegangen. Das Ergebnis hat meiner Frau und mir die Augen geöffnet: Plötzlich war wieder Begehrlichkeit da, plötzlich fühlten sich die Kunden wieder zum Kaufen animiert – und das erstaunlichste: Wir haben mit weniger Ware ein ordentliches Plus gemacht.“ „Der Endkunde ist übersättigt“, konstatiert auch Wilfrid Wetzl, Inhaber der drei Casa-Moda-Stores im österreichischen Steyr, Linz und St. Pölten. „Da ist es geradezu absurd, wenn eine Marke Druck macht, dass man bestimmte Budgets schreibt. Und dann noch jede Saison mehr verlangt. Das machen wir nicht mit – und dazu stehe ich, in aller Konsequenz. Wenn eine Marke unrealistische Budgets einfordert, würde ich sie weglassen.“ Vor sieben Jahren hat er aus Leidenschaft zur Mode den renommierten Laden Casa Moda in Steyr übernommen und mit zwei neuen Filialen in zwei österreichischen Landeshauptstädten seinen Kurs vorgelegt, im Juli eröffnet Salzburg als insgesamt vierter Standort. Als Anwalt und Immobilienunternehmer kennt er die Hintergründe der Geschäftspraktiken der Konzerne gut – als Modehändler stellt er sich trotzdem dagegen. „Konzerne üben großen Druck aus, verlangen oft von Saison zu Saison höhere Budgets und reduzieren auch sonst auf vielen Wegen die Margen für den unabhängigen Multibrand-Händler: Indem
„Viele etablierte Marken haben Listen und Pläne zu erfüllen, da steht doch Gier über allem.“ Frank Häusler, Inhaber Häusler Immenstadt und Oberstaufen zum Beispiel Skontobeträge gestrichen werden oder sonstige Verschlechterungen, zum Beispiel bei Reklamationen, hinzunehmen sind. Dabei hat der hochwertige Einzelhandel diese Marken ja aufgebaut, dass er, wenn es ums Optimieren der Gewinne geht, fallen gelassen wird wie eine heiße Kartoffel, empfinde ich persönlich als sehr verwerflich.“ Auch Frank Häusler vermisst Partnerschaften auf Augenhöhe und wirklichen Dialog. „Früher sind wir als Händler von der In
„Der Endkunde ist übersättigt. Da ist es geradezu absurd, wenn eine Marke Druck macht, dass man bestimmte Budgets schreibt.“ Wilfrid Wetzl, Inhaber Casa Moda
dustrie geradezu hofiert worden, unser Feedback zu geben. Unsere Bedürfnisse waren wichtig und wurden gehört – das gibt es heute bei etablierten Marken nur noch selten. Einzig die kleinen, inhabergeführten Labels führen noch diesen Dialog. Alle anderen haben Listen und Pläne zu erfüllen, da steht doch Gier über allem. Zu dem Zeitpunkt der Order haben sie ja schon geplant, dass wir soundsoviel mehr schreiben sollen. Da hat keinen Platz, was wir uns von der Kollektion wünschen.“
Wie du mir, so ich dir Partner des Handels, eine vielzitierte Phrase – oft von beiden Seiten missverstanden. Während die Industrie unter diesem Deckmantel versucht, möglichst viel Mitspracherecht am PoS eingeräumt zu bekommen, versucht der Handel möglichst viel Risiko auf Seiten des Lieferanten zu parken. „Was den großen und prestigeträchtigen Händlern alles eingeräumt wird, da kann einem ja übel werden. Das kann ein spannendes, kleines Newcomerlabel gar nicht erfüllen – und ich bin der Meinung, dass es das auch nicht soll. Das ist Kommisionssgeschäft, was da vielfach gefordert wird“, erzählt Marion Hoferer von der Agentur Modeist. Große Namen hat sie in ihrem Agenturportfolio zu Gunsten echter Produktspezialisten ausgetauscht, zu denen sie ein Verhältnis pflegt, das weit über die klassische Agenten-Hersteller-Beziehung hinausgeht. „Ich bringe mich ein, sammle das Feedback aus dem Markt, gestalte die Kollektion intensiv mit, verantworte den Außenauftritt.“ Es sind ihre Babys, die Marion Hoferer gemeinsam mit den Markeninhabern, den Produzenten, anbietet. Da kommt für sie nur ein bedächtiges Platzieren im Markt in Frage. „Man kann den Kunden heute nicht mehr pressen oder erpressen – der dreht sich um und geht. Und
„Man kann den Kunden heute nicht mehr pressen oder erpressen – der dreht sich um und geht. Und das ist gut so!“ Marion Hoferer, Inhaberin Modeist
das ist gut so! Gleichzeitig muss ich als Agent auch das Rückgrat haben, dass ich nein sage, wenn ein Händler von einem Label wie Montgomery nur vier Jacken schreiben will. Dann bitte ich ihn lieber, dass er die vier Lederjacken bei einem seiner bestehenden Lieferanten sucht. Wichtig ist, dass man offen miteinander redet, respektvoll, das ist essenziell.“
Gute Beziehungen, gutes Business „Ich will gar nicht, dass ein Lieferant meinen Job macht. Austausch ist bei einer Vielzahl unserer Lieferanten leider nur in der Theorie möglich, da sich die Meisten kaum noch Ware auf Lager legen. Es ist schon ein großer Glücksfall, wenn dort die Ware vorhanden ist, die man gerne nachziehen würde. Also bleibt uns nur eine punktgenaue Vororder“, sagt Markus Daniels, Inhaber der Daniels-Läden
in Köln, Bonn und München. „Das Risiko liegt klar auf Seiten des Einzelhändlers, der alles mit seinem Vorkauf decken muss. Dabei wäre ein Nachziehen kurz nach dem Verkaufsstart so sinn
„Unser Job als Händler ist heute viel aufwändiger, man muss die ganze Saison über am Ball bleiben.“ Markus Daniels, Inhaber Daniels
voll. Wäre es nicht gerade die Kompetenz eines Mittelständlers, sich Stoffe und Garne auf Stock zu legen und in der Saison noch einmal nachzuproduzieren? Sonst sind uns die Massimo Duttis dieser Welt immer einen Schritt voraus“, formuliert der Multilabel-Händler seine Wünsche. Im Sortiment setzt Markus Daniels „immer mehr auf Spezialisten, mittelständische Familienunternehmen, weil deren Produkt nicht nur spezieller ist, sondern auch mehr Unterscheidung zum Angebot der großen Marken und Vertikalen bietet“. Ein wichtiges Kriterium – neben Stil, Verfügbarkeit und Preis-Leistungs-Verhältnis – sei die Güte der Zusammenarbeit: „Unser Job als Händler ist heute viel aufwändiger, man muss die ganze Saison über am Ball bleiben und jeder Fehler wird einem direkt präsentiert. Da erwarte ich selbstverständlich von meinen Lieferanten ebenso Professionalität. Wenn ich mich zwischen zwei Strickkollektionen entscheiden muss, dann ist ja klar, dass ich den bevorzuge, mit dem ich ganzjährig eine gute Zusammenarbeit habe. Am besten funktioniert das mit Labels, die selbst nur mit einer überschaubaren Zahl an Händlern zusammenarbeiten wollen und nicht nur Wachstum um jeden Preis im Blick haben. Solche Marken zu entdecken, macht Spaß.“
Verknappen und nicht verprellen „Wir leben vom Verkaufen, nicht vom Reindrücken. Ich habe noch nie einem Kunden ein Budget gesetzt, ich habe noch nie eine noch so kleine Order abgelehnt – ich sehe es als meine Aufgabe, mit meinen Produzenten auch spannende Artikel in kleinen Stückzahlen möglich zu machen – zu realistischen Preisen und pünktlichen Lieferterminen“, erklärt Valentino de Luca die Philosophie seiner Marken Lucky de Luca, Barb’one, B36 und Brooklyn Dumbo. „Wie das geht? Indem man miteinander spricht. Denn genau wie ich meine Kunden nicht drücke, drücke ich auch meine Lieferanten nicht. Aber ich bin dort, ich spreche mit den Leuten, ich schreibe keine E-Mails, ich fahre hin. Es findet sich immer ein Weg. Aber nicht mit diesem Produzentensqueezing, das viele große Marken betreiben. Die Ware, die dabei rauskommt, wenn man immer noch billigere Konditionen einfordert, die sieht auch so aus. Das macht doch keinen schöner – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Es gibt einfach keine Rolex für den Preis einer Swatch. Punkt.“ Wenn Valentino de Luca in den Produktionsstätten und -ländern
„Rückgaberecht, Abschriftenbeteiligung, all solche Sachen, da ess ich lieber Sägespäne, als dass ich mein Geld so verdienen muss.“ Valentino de Luca, Inhaber Lucky de Luca
vor Ort ist (und wir sprechen von Europa), kocht in ihm der Unmut über das Modesystem hoch. „Leute ausbeuten kann jeder, sag ich dann immer. Diese Gier, die macht doch das ganze System krank. Denn, was diese Firmen im Sourcing sparen, das geht doch nicht an den Endverbraucher – das geht ausschließlich in die Gewinnmaximierung. Freilich, ich freue mich auch, wenn die Geschäfte laufen und es mehr wird, aber mit Maß und Ziel. Selbst wenn ich mir 20 Porsche wie meinen 356er aus 1957 leisten könnte, ich könnte immer nur einen fahren.“ Valentino de Lucas Konsequenz ist konsequent: „Ich verknappe ganz bewusst: Was vorbestellt wurde, wird produziert, mehr gibt’s nicht.“ Dem Buhlen großer
„Ein guter Hirte tauscht seine Herde nicht aus, nur weil ein Tier hinkt.“ Michi Klemera, Gründer Luis Trenker
Kunden widersteht er beharrlich. „Die machen mir doch nur mein Label kaputt, steigen erst ein, wenn’s schon läuft und beginnen dann zu drücken. Rückgaberecht, Abschriftenbeteiligung, all solche Sachen, da ess ich lieber Sägespäne, als dass ich mein Geld so verdienen muss.“
Schäfchen ins Trockene „Ein guter Hirte tauscht seine Herde nicht aus, nur weil ein Tier hinkt.“ Das kann nur einer sagen, der die Berge liebt und lebt: Michi Klemera, Mastermind hinter der alpinen Lifestylemarke Luis Trenker, sagt über sich selbst, er habe „Geduld erst lernen müssen. Aber in der aktuellen Marktsituation bleibt uns nichts als Geduld, Vertrauen in die eigenen Leute und Selbstbewusstsein, das Richtige zu tun.“ Vielen seiner Lieferanten sei er seit zehn, 15 Jahren treu. „Wegen ein paar Euro Ersparnis wechseln wir nicht“, trotzdem es selbstverständlich auch bei Luis Trenker gilt „jeden Millimeter jedes Rädchens zu hinterfragen – ständig. Nur so bleibt man wach und kann in diesem Wettbewerb überhaupt bestehen.“ Seine Devise: „Zusammenrücken!“ Nicht nur mit seinen Kunden und beruflichen Vertrauten. „Ich suche ganz bewusst den Austausch zu inspirierenden Unternehmerkollegen wie Christian Obojes von room with a view oder Henrik Soller von Komet und Helden, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ein geistiger, mentaler Austausch, ohne dass wir Geschäfte miteinander machen. Aber ich bin überzeugt, dass aus solchen Gesprächen immer etwas entsteht – allein die gegenseitige Wertschätzung ist schon Grund genug, die Diskussion zu suchen. Die Guten in unserer Branche haben immer den Austausch gesucht – aber es sollten viel mehr sein, die das tun.“
Gemeinsame Sache Wenn von allen Seiten rauer Wind weht, dann werden auch untereinander die Sitten rau. Oder eben nicht. Stephan Lanzer, Inhaber von Knilli in Graz und vier Monolabel-Stores in Österreich und Slowenien, hat immer schon gerne über den Tellerrand geschaut und eines Tages einfach gewagt, was vielen anderen zumindest einen Zacken in der Krone gekostet hätte. „Ich habe Wilfrid Wetzl, Inhaber der drei Casa-Moda-Stores, angeschrieben, ob wir nicht kooperieren möchten.“ Keine Larifari-Unternehmerfreundschaft, sondern das volle Programm: Gemeinsam einkaufen, Warenwirtschaft synchronisieren und damit ermöglichen, dass der Kunde in Steyr kaufen kann, was in Graz oder Kitzbühel noch verfügbar ist. „Diesen Showroomeffekt werden wir auch online abbilden, das Projekt startet gerade und Ziel ist ein gemeinsamer Onlinestore.“ „Wir haben uns einmal getroffen, um die Zusammenarbeit zu besprechen und ein zweites Mal, um sie zu beschließen“, berichtet Wilfrid Wetzl von der Entschlussfreudigkeit. Beiden Unternehmern ist klar: Den vielen Änderungen und Herausforderungen, dem Wandel, dem der stationäre Handel unterliegt, denen begeg
„Wer kein Vertrauen hat, braucht auch keine Partnerschaft einzugehen.“ Stephan Lanzer, Inhaber Knilli
net man im Duo besser als allein. „Das Einkaufsvolumen wird durch diese Partnerschaft entsprechend vergrößert und analog dazu erwarten wir uns natürlich auch, dass wir von den Lieferanten stärker wahrgenommen werden“, so der Casa-Moda-Inhaber. Eine Kooperation aus Stärke soll es sein: „Wir müssen diesen Mono-Stores und auch der Konkurrenz aus dem Web die Stirn bieten – indem wir die Sortimente spannend gestalten und in unserer Beratungsqualität überzeugen“, so Wilfrid Wetzl. Stephan Lanzer ergänzt: „Aber wir müssen gleichzeitig leisten können, was Monos und Online können: eine Verfügbarkeit von Ware, die weit über das im Laden gezeigte hinausgeht. Wenn ein Kunde zu uns auf die Fläche kommt, dann muss er die Sicherheit haben: Das ist der Ort, wo ich alles bekommen kann – wenn das nicht gegeben ist, ist er – verständlicherweise – verärgert.“ Um das umzusetzen, hieß es Transparenz auf beiden Seiten schaffen. „Selbstverständlich liegen jetzt die Zahlen für den jeweils anderen offen. Aber wer kein Vertrauen hat, braucht auch keine Partnerschaft einzugehen.“ Ein Wort.