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Mode ist Politik. Ist Mode Politik?

Act loc glob l l, think

„Für mich braucht die Mode die Politik spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem ich meine Marke globalisieren möchte. Spätestens dann sind Regularien wichtig, die nicht nur für ein Land gelten, für einen gesunden und fairen Wettbewerb. Das wich tigste Thema der nächsten Jahre wird also sein, dass die Firmen, egal aus welchem Land sie stammen, gleichberechtigte Wettbewerbspartner im jeweiligen Markt sein können, mit gleichen Steuergesetzen für alle Länder und daraus resultierenden glei chen Kosten. Die Steuerpolitik und Infrastruktur Italiens erschweren das Business, außerdem ist das System korruptionsanfällig, was natürlich das Wirtschaftswachs tum bremst. Dennoch ist ‚Act local and think global‘ meine Maxime für eine Marke, die ihre Wurzeln in der italienischen Heimat hat, aber weltweit funktionieren kann.“

Stefano Colombo, Marketing Manager Colmar Originals

Flexiblere La den ö nungszeiten

„Wünschenswert wäre eine Lockerung der Ladenöffnungszeiten. Vor allem der E-Commerce hat das Einkaufsverhalten der Konsumenten grundle gend verändert. Natürlich ist es im stationären Handel kaum realisierbar, die 24 Stunden Möglichkeit, die das Onlineshopping bietet, umzusetzen. Flexiblere Ladenöffnungszeiten würden aber sicherlich dazu beitragen, die stationären Anbieter hinsichtlich ihrer Abverkäufe zu unterstützen. Das Shoppingerlebnis würde so beim Konsumenten auch wieder mehr in den Fokus rücken.“ Gerrit Schweisfurth, Geschäftsführer

Milestone Sportswear

086 SO LÄUFT’S ist mode politik? statements Kulturgut „In Ländern wie Frankreich oder Italien ist Mode ein hohes Kulturgut. Wird die Mode als Kulturgut geachtet, ist sehr vieles auch von Seiten der Politik möglich. Ich habe große Achtung vor dem Pitti Florenz, der staatlich gestützt wird. Man überlässt es dort nicht dem Zufall, den Messeschauplatz für die wunderbaren Produkte aus Italien und aus aller Welt zu stellen. Die Italiener halten zusammen, sie lassen nichts an ihren Pitti kommen und haben es so geschafft, den Pitti als international geachteten Schauplatz zu etablieren. In Barcelona haben wir mit der Bread & Butter ähnliches Wohlwollen erfahren. Der Bürgermeister von Barcelona wie auch der Ministerpräsident Kataloniens haben unsere Gäste willkommen geheißen. Wir bekamen zwar keine finanzielle Unterstützung, aber man hat uns viele Möglichkeiten gegeben. Wir durften unsere Welcome Party im Palau Nacional veranstalten, einst Residenz der königlichen Familie und heute Nationalmuseum für kata lanische Kunst – zwar mit Auflagen verbunden, aber wir durften. Zu unserer Kick-off-Veranstaltung im Dezember 2004 konnten wir den deutschen Pavil lon von Mies van der Rohe nutzen, mein absoluter Lieblingsbau. In Deutschland wäre das undenkbar. Barcelona hat für die Bread & Butter die große Brunnenanlage vor dem Palau schon im Januar statt wie üblich erst im April in Betrieb genommen und auf eigene Kosten die Hauptstraßen mit unseren Kampagnenfahnen beflaggt. Das hat die ganze Stadt inspiriert; die Händler haben auf Sales-Schilder verzichtet und stattdessen ihre Schaufenster mit neuer Ware dekoriert. Die Tageszeitungen haben seitenlang berichtet. So hat Barcelona die internationalen Gäste willkommen geheißen. In Deutschland dagegen wird Mode leider nicht als Kulturgut gesehen, sondern als Geschäft. Als Klaus Wowereit sich für den Modestandort Berlin und auch für den Tempelhof als Location für die Bread & Butter einsetzte, wurde er als Partybürgermeister beschimpft und von den Wählern zusätzlich abgestraft. Kaum jemand in der Politik sieht, dass Wowereit durch seinen persönlichen Einsatz und seine Willkommenskultur den Modestandort Berlin erst möglich gemacht hat. Die Modemessen haben in den letzten zwölf Jah ren sehr viel Geld in die Stadt gebracht und haben Berlin zu einer international viel beachteten Lifestyle-Metropole verholfen. Wir bekommen seitens der Politik keine Unterstützung, eher Gegenwind. Unser Mietvertrag ist seit 2009 noch immer Streitthema. Das Land Berlin hat mit seiner Messegesellschaft eine Gegenveranstaltung aufgebaut und ist damit in Konkurrenz zu den etablierten Veranstaltungen getreten. Damit hat sich der Wettbewerb hier in Berlin verschärft. Dadurch verschenken wir Chancen. Frankreich und Italien profitieren in erheblichem Maße, das ist ja bereits deutlich sichtbar. Ausstel ler und Besucher wenden sich zunehmend ab. Sehr bedauerlich für Berlin, denn mit diesem Verhalten sehe ich den Modestandort Berlin in Gefahr.“

Karl-Heinz Müller, Geschäftsführer Bread & Butter

Feste Reduzierungsph sen

„Die Begehrlichkeit und Attraktivität für Mode und Bekleidung ist vielfach verloren gegangen. Mit permanenten, ganzjährigen Reduzierungen haben wir uns systematisch immer wertloser gemacht.Wir haben die Kunden über Jahre erzogen, nichts mehr regulär kaufen zu müssen. Noch viel schlimmer ist der langfristige Effekt, der Geringschätzung gegenüber Bekleidung. Das übertriebene, aggressive Preismarketing vieler Saisons führt zu der momentanen Gleichgültigkeit der Kunden im Modeeinzelhan del. Der Gesetzgeber muss hier dringend eingreifen. Wir brauchen wieder feste Reduzierungsphasen (wie auch nach wie vor in den meisten europä ischen Nachbarländern). Ein Kunde von uns aus Norddeutschland hat es ausprobiert, im Winter erst ab Januar zu reduzieren. Er berichtete uns von besseren Umsätzen, bei geringerem Wareneinsatz. Ich denke, wenn nicht mehr pausenlos der Rotstift angesetzt werden kann, werden auch die Warenbestückungen auf den Flächen auf ein Normalmaß zurückgehen. Mehr Regulierung bei den Preisen, mehr Lockerung bei den Öffnungs zeiten: Am Sonntag zu öffnen, sollte gesetzlich freigestellt werden. Ausnahmeregelungen von verkaufsoffenen Sonntagen sind schon sehr erfolgreich. Am Sonntag haben die Familien Zeit zu shoppen. Warum sollen sie das nicht dürfen? Hier ist momentan noch der Onlinehandel klar im Vorteil. Um eine Vielfalt im Textileinzelhandel zu erhalten, brauchen wir diese dringenden Veränderungen. Die Attraktivität der Innenstädte, als auch der Mode insgesamt, sollte nicht noch weiter sinken.“ Dominik Meuer,

Inhaber Die Hinterhofagentur

Freiheit SO LÄUFT’S 087 ist mode politik? statements ist nicht lles „Früher waren die Schlussverkaufszeiten geregelt, die Geschäfte durften nur innerhalb dieses Zeitraums reduzieren und, wer umbaute und deshalb Ware vorab reduzieren wollte, musste das erst genehmigen lassen. Das war zwar mit Schwierigkeiten verbunden, aber ganz ehrlich, das würde ich mir zurückwünschen. Die Mode braucht wieder die Politik. Wenn jeder machen kann, was er will, gibt es bald nur noch die ganz großen Handelskonzepte plus Monolabel-Stores, während die kleineren Multi brand-Händler weggefegt werden, mit der Folge, dass die Innenstädte veröden. Der Markt hat sich radikal verändert, beschleunigt auch durch die rasante Entwicklung der Webstores. Wer auf dem Land lebt, braucht nicht mehr in die Stadt zu kommen, weil alles im Netz erhältlich ist und die Ware auch noch nach zwei oder drei Wochen ganz easy zurückge schickt werden kann. Ich fände es sehr angebracht, gesetzliche Regeln aufzustellen, die den Wettbewerb fair und allgemeingültig regeln, sodass es wieder Zeiten gibt, wo wir regulär verkaufen und somit auch Geld verdienen können. Auch wenn ich immer für Freiheit war und bin: Diese Art von Wettbewerb geht auf Kosten der Vielfalt im Markt – und damit auf Kosten von uns allen.“ Evelyn Hammerström, Geschäftsfüh

rerin Jades und More Jades, Düsseldorf

Regeln st tt Ch os

„Ich sehe die Zukunft der Städte in Gefahr, wenn die jeweilige Regierung weiterhin recht wahllos große Verkaufsflächen auf der grünen Wiese befürwortet. Das schwächt die Innenstädte erheblich. Stattdessen sollten sich die Stadtväter mit der Kaufmannschaft an einen Tisch setzen und gemeinsam überlegen, wie sie ihre Innenstadt attraktiver gestalten können, umso die Spannung für die Konsumen ten aufrechtzuerhalten. Denn genau die gibt es nicht, wenn man in jeder Stadt dieselben Marken und auch noch im Outlet findet. Wie viele Städte haben denn noch ihre Heroes wie Dallmeyer in München oder Garhammer in Waldkirchen, also Größen, für die die Konsumenten explizit in die Stadt gehen? Viele Städte haben sich das systematisch kaputt gemacht, dazu gehört auch mal das tolle Café, das dran glauben musste, weil die Mieten mit Kaffee und Kuchen nicht mehr zu erwirtschaften sind. Ändern wird sich nur etwas durch die Politik. Manches funk tioniert nun mal nicht ohne Gesetze: Würden wir im Straßenverkehr fahren, wie wir wollten, gäbe es auch nur das blanke Chaos.“ Michael Brockmann,

Geschäftsführer The Heritage Agents

Subventionieren und Fördern

„Wo Kreative arbeiten, entscheidet sich die Zukunft. Politik schafft dafür die Rahmenbedingungen. So kann die Politik die Modebranche bei der Existenzgründung neuer Labels unterstützen, Ateliers und Arbeitsplätze subventionieren, durch Stipendien und Preisgelder den Nachwuchs för dern. Mode braucht die Politik, weil ein Land wie das unsere Ausbildung und Modebranche im globalen Wettbewerb verankern muss.“ Prof. Dr.

Ekkehart Baumgartner, Mitglied der Geschäftsführung AMD Akademie Mode & Design

Überreguliert

„Natürlich müssen Nachhaltigkeit und Ehrlichkeit in unserem Bewusstsein und in unseren Taten wachsen. Auch Regularien sind wichtig, damit weder Mensch noch Umwelt ausgebeutet werden. Es stellt sich hierbei nur die Frage, ob bereits der richti ge Weg gefunden ist, diese Regularien zu kontrollieren. Es muss dabei vermieden werden, dass durch Testinstitute eine neue Lobby geschaffen wird, die durch teure Zertifikate den Produkti onspreis künstlich in die Höhe treiben. Wir finden es wichtig, dass Rahmenbedingungen auf die jeweiligen Produktionsländer und auf die Ausstattung der Fer tigungsbetriebe angepasst werden. In seriösen Betrieben sollte es möglich sein, während der in der Textilbranche klassischen Peak Season durch adäquate Entlohnung von Überstunden die Produktivität vorübergehend zu erhöhen – gerade Akkordarbei ter befürworten solche Zeiten, da sie letztlich dann auch mehr verdienen. Überstunden und Mehrschichten werden jedoch teils durch pauschale Betrachtungen der Zertifizierungen gebremst. Im Vordergrund sollte jedoch immer die Frage stehen, was der Umwelt, den Prozessen und vor allem dem Menschen wirklich nützt.“ André Berger, Geschäftsführer Handstich

Tr nsp renz ge r gt

„Selbstverständlich brauchen wir die Politik, ohne sie könnten wir keine Mode machen! Heute wird weltweit Mode produziert, doch nicht immer geht aus dem Etikett hervor, wo hergestellt wird. Für mich steht die Politik hier in der Pflicht, die Produktionskette trans parenter zu machen – nicht nur bei dem Luxushemd made in Italy, sondern auch bei dem Billigshirt made in Sri Lanka. Nicht nur für den freien Handel, sondern auch für ethisch korrekte Arbeitsbedingungen und gerechten Lohn muss länderübergreifend Sorge getra gen werden. Dafür müssen die Länder zusammenarbeiten. Aber obwohl die Bekleidungsindustrie in Deutschland groß ist und viel Geld einbringt, hat sie keine Lobby und keinen politischen Einfluss. Ich habe auch nie darüber gehört, dass in der EU Produktionsbe dingungen in der Bekleidungsbranche zum Thema gemacht werden. Dabei ist es ebenso wichtig wie das Klima oder die Lebensmittelindustrie. Ich selbst komme aus Sri Lanka, wo viel billig gefertigt wird. Ich weiß also, wovon ich spreche. Für mein Label lasse ich in Italien produzieren, wo ich davon ausgehen kann, dass die Näher unter vertretbaren Bedingungen arbeiten und ein vernünftiges Gehalt bekommen. Aber das darf nicht nur das Privileg bei hochwertiger Mode sein.“

Ignatious Joseph, Geschäftsführer Ign. Joseph

Ökobil nz

„Wir machen uns so viele Gedanken darüber, wie wir die Umwelt besser schützen können und Abfälle vermeiden. Momentan geht es um die Frage, ob Plastiktüten verwendet werden dürfen. Die EU will die Plastiktüten verbannen, eigentlich eine gute Entscheidung. Aber gleichzeitig schauen wir alle zu, wie durch den boomen den Onlinehandel 100.000 Pakete in alle Welt geschickt werden. Da werden zehn Paar Schuhe von München nach Berlin geschickt und neun landen wieder beim Versender. Die Transporteure freuen sich und es werden Unmengen Verpackungs material verwendet. Ökologisch betrachtet ist das der völlige Wahnsinn. Wie nachhaltig ist da doch der stationäre Einzelhandel.“ Matthias Schwarte,

Geschäftsführer Agentur Schwarte

7-9 JULY 2015 AIRPORT BERLIN TEMPELHOF

Mode ls Wirtsch tsktor

„Coco Chanel hat einmal gesagt: ‚Mode ist nichts, was nur in Kleidung existiert. Mode ist in der Luft, auf der Straße, Mode hat etwas mit Ideen zu tun, mit der Art, wie wir leben, mit dem, was passiert.‘ Was hat da die Politik zu suchen? Sicher ein ganze Menge, denn Mode bedeutet nicht nur Individua lität, Kreativität und Inspiration. Mode ist auch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor mit Umsätzen in Milliardenhöhe und einer starken Globalisierung. Da macht es natürlich Sinn, dass es bestimmte Rahmenbedingungen und verbindliche Regeln für alle gibt. Diese Regeln kann nur die Politik definie ren, vorgeben und am Ende auch kontrollieren. Ich denke, das ist besonders wichtig in allen Bereichen, in denen es um Arbeitssicherheit oder Umwelt schutz geht. Aber auch Dinge wie der Umgang mit Ressourcen wie zum Beispiel Leder fallen zuneh mend in den Bereich der politischen Einflussnahme. Gerade die starke Globalisierung der Modebranche macht es dabei nicht immer einfach, einen gemein samen und sinnvollen Nenner für alle zu finden. Und am Ende sollten wir dabei auch nicht die eigentliche Idee von Mode aus den Augen verlieren.“ Kirstin

Deutelmoser, Director GDS & tag it! Br ssel, wir h ben ein Problem!

„Wer aktuell die Wechselkurse studiert, wird mit Schrecken feststellen, wie schwach der Euro zwischenzeitlich gegenüber dem chinesischen Yuan oder dem US-Dollar steht. Ebenso, wie sich der Schweizer Franken seit der Freigabe auf dem Devisenmarkt gegenüber dem Euro manifestiert. Zusammengefasst würde ich es analog zum denkwürdigen Funkspruch aus dem Film „Apollo 11“ formulie ren: Brüssel, wir haben ein Problem! Was ich damit meine? Betrachten wir doch einmal die sogenannte Wertschöpfungskette der Einfachheit halber aus der Per spektive eines technischen (Sport-)Bekleiders mit Firmensitz in Deutschland und einem Kernabsatzmarkt in der EU: Angenommen, die Marke ist im mittleren bis gehobenen Preissegment beheimatet und kauft seine Stoffe bevorzugt in China ein. Kostete der benötigte Stoff für eine Bestellung Jacken zum Ende des Jahres noch 200.000 Euro, so sind es zum jetzigen Zeitpunkt schon 230.000 Euro. Das ist, allein durch die Währungsdifferenzen, ein Anstieg um 15 Prozent. Ein Preisan stieg, der an unserer Beispielmarke hängen bleiben würde, da erstens die Order in Euro fakturiert wurde und zweitens auch der Händler augenscheinlich keine Luft mehr hat, seine Preise weiter zu erhöhen. Folglich würde der währungsbedingte Kostenanstieg für unsere Beispielmarke bei ihrem anteilig am FOB-Preis berech neten Mark-up wiederum einen weiteren Anteil ihrer ohnehin nicht sehr hohen Marge aufzehren. Das Ergebnis ist ebenso leicht vorherzusehen wie unangenehm: Sofern sich der Devisenmarkt nicht sehr schnell wieder beruhigt und der Euro seinen Sinkflug beendet, wird es irgendwann im August, wenn die kostenintensive Winterware auf dem Container Richtung Europa verschifft wird und die Rechnun gen der Lieferanten fällig werden, für unsere Beispielmarke ein schmerzhaftes Erwachen geben. Denn irgendwie müssen die Rechnungen bezahlt werden. Es ist offensichtlich, dass dieses Problem branchenübergreifend und europaweit existiert. Bei allen Marken, die in Europa beheimatet sind, aber im EU-Ausland Rohware einkaufen und dort auch produzieren, wird es aufgrund der aktuellen Entwicklungen der Devisenkurse geringere Margen geben. Dann müssen alle Part ner der Wertschöpfungskette damit zurechtkommen – sofern sie es können. Deswegen, denke ich, ist es Zeit, einen sehr dringenden Funkspruch nach Brüssel abzusenden und zu hoffen, dass unsere EU-Politiker die Zeichen der Zeit richtig verstehen und entsprechend reagieren. Denn Dank des Griechenland-Dilemmas dürfte eine zeitnahe Stabilisierung und Aufwertung des Euro wohl als illusorisch zu betrachten sein. Deshalb sehe ich kaum eine andere Chance, als die europäischen Importzölle für Wirtschaftsgü ter aus Asien zeitweise drastisch zu reduzieren oder auch auszusetzen, bis die Talfahrt des Euro weitestgehend durchgestanden ist. Daher glaube ich, unsere Branche braucht die Politik heute dringender denn je! Ohne Intervention durch die Politik wird es für alle europäischen Marken, die in Europa entwickeln und designen, aber in Asien und mit Materialien aus Nicht-EU Ländern produzieren, noch ein wenig enger. Sofern man dann noch die Ergebnis se der letzten beiden Winter mit einrechnet, vermute ich sogar, für einige zu eng.“

Gerhard Flatz, Geschäftsführer KT C Ltd., Hongkong

Unb rokr tische Ra hmenbedingungen

„Wir wünschen uns von der Politik die Schaffung von Rahmenbedingungen, die es Unternehmern erlauben, möglichst unbürokratisch die Zukunft zu gestalten, um zu wachsen – beispielsweise durch Freihandelsabkommen, die uns den Eintritt in neue Märkte erleichtern, oder den Schutz der Swissness, der unsere Positionierung schärft und den Manufakturstandort Schweiz sichert.“

Marcel Hossli, Geschäftsführer Zimmerli of Switzerland

Ethisch korrekt

„Die Politik muss den Rahmen für ethisch korrekte Arbeitsbedingungen schaffen, und zwar auf weltweiter Basis. Wir brauchen eine Instanz, die die Arbeitsbedingungen in der Produk tion überwacht. Eine Instanz für ein Gütesiegel, die von privatwirtschaftlichen Interessen unabhängig agieren kann. Die Industrie kann das nicht leisten, dafür ist der Preisdruck allgemein zu hoch. Wir zeigen schnell auf Primark, Kik und Co, aber im Zweifel entscheidet auch im hochwertigen Bereich der Preis. Viele Zertifikate greifen zu kurz, das zeigen die großen Diskussionen um Daune, Pelz und auch um die Fleischindustrie. Oft ist die gesamte Produktionskette nicht nachvollziehbar, dabei wäre die durchgängige und lückenlose Prüfung so wichtig. Ich sehe auch nicht, dass das ethische Bewusstsein beim Endver braucher angekommen ist. Zwar findet er die Nachricht über das eingestürzte Hochhaus in Bangladesch ganz schrecklich, aber dennoch kauft er das T-Shirt für zwei Euro, auch wenn er mehr Geld ausgeben könnte. Wer sonst kann hier die Rolle der ethischen Instanz über nehmen, wenn nicht die Politik?“ Michael Schulz, Geschäftsführer Agentur

Aco Deutschland

Der richtige Ans tz

„Was kann der Staat für die Modebranche tun? Vielen fällt da ein, nach mehr Wirtschaftsförderung zu rufen. Ich selbst bin kein Freund staatlicher Förderung. Zum einen funktioniert sie nach dem Gießkannenprinzip, zum anderen muss man den bürokratischen Aufwand betrachten, der nötig ist, an Fördergeld zu gelangen. Wir investieren unsere Energie lieber woanders und machen das, was nötig ist, selbst. Wichtiger als Wirtschaftsförderung sind mir zwei andere Punkte. Erstens: Wir sollten versuchen, das Berufsbild der Modeverkäuferin aufzuwerten. Das Image des Berufs ist nicht besonders gut. Dabei ist er ungemein vielfältig: Modeverkauf ist Psycholo gie und bietet die Chance, hautnah mit Menschen zu arbeiten. Gefragt ist nicht nur kaufmännisches Wissen, sondern Sinn und Gespür für die Bedürfnisse der Kunden. Dazu Stilsicherheit, ästhetisches Feingefühl bis hin zu Kreativität bei der Schaufens tergestaltung. Und mit den Webshops kommen völlig neue Anforderungen auf uns zu. Staat und Wirtschaftskammern sollten gemeinsam daran arbeiten, die Ausbil dung aufzuwerten, sodass der Beruf auch für junge Leute mit Matura interessant wird. Das wäre eine echte Hilfe für Unternehmen wie das unsere. Und der zweite Punkt: Schärfere Kontrollen, was die Herkunft der Waren angeht. Als Unternehmen, das ausschließlich regional produziert, also in Deutschland, Österreich und Italien, legen wir größten Wert auf die Herkunft unserer Produkte. Da stellen sich uns Fra gen: Kommt Made in Italy wirklich aus Italien, oder nicht in Wahrheit aus Rumänien oder der Türkei? Welche Schadstoffe stecken in den Produkten? Unter welchen Bedingungen für Mensch, Tier und Umwelt wurden die Fasern, Stoffe und Felle produziert? Und auf welchen Wegen kommen die ganzen Kopien in den Binnen markt? Schwarze Schafe gefährden unser Geschäft und kratzen an unserer Glaubwürdigkeit. Deshalb würde ich mir mehr Kontrollen wünschen und einen stärkeren Schutz authentischen Designs. Hier anzusetzen, wäre echte Wirtschaftsförderung.“

Kaspar Frauenschuh, Inhaber Frauenschuh

092 SO LÄUFT’S ist mode politik? statements Regulierung des Schlussverk u s „Als am 3. Juli 2004 die Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in Kraft trat und die Schlussverkaufsregulierung des Einzelhandels kippte, leitete das eine Entwicklung ein, die der Bekleidungsbranche in erheb lichem Maße schadete und ein kränkelndes System in Gang setzte. Seitdem treiben falsche Rabattzeitpunkte und aus dem Takt geratene Liefertermine die Einzelhändler und Hersteller in den Ruin. Saisonale Waren werden zu Zeitpunkten rabattiert, zu denen noch nicht einmal die jeweiligen klimatischen Jahreszeiten eingesetzt haben – die sich aufgrund des Klimawandels auch noch zusätzlich weiter nach hinten verschieben. Die Kernverkaufszeiten für den Bedarfskunden werden konterkariert, womit sich der Handel aufgrund der zu frühen Rabattierungen selbst schadet. Die eigentlich geplanten Deckungs beiträge werden nicht mehr eingefahren und die Abschriften bestimmen die Profite. Dadurch geraten die Hersteller unter massiven Liefer- und Preisdruck. Hinzu kommt, dass der Konsument – zum Schnäppchenjäger erzogen – sich an Rabattierungen gewöhnt hat und somit nicht mehr bereit ist, zu regulären Preisen zu kaufen und sogar Rabatte vom Handel einfordert. Durch die zu frü hen Rabattierungen kommt es unter anderem auch zu verfrühten Lieferrhythmen. Das heißt, dass Sommerblusen bei Minusgraden und Daunenjacken bei hochsommerlichen Temperaturen auf den Flächen liegen. Das ist schlichtweg absurd! Selbstverständlich muss man in modische und in bedarfsorientierte Kunden unterscheiden. Aber entscheidend ist, dass der modische Kunde die Winterjacke in der gewünschten Farbe und Größe auch erst im August kaufen würde, wenn die Ware generell erst dann angeboten würde! Eine Ausnahme stellen die saisonal abhängigen Händler in den Touristengebieten dar. Diese brauchen ihre Ware zu früheren Zeitpunkten. Der Händler auf Sylt oder in Salzburg und Kitzbühel braucht seine Ware zu möglichst frühen Zeitpunkten, um die Touristen dementsprechend bedienen zu können. Darauf muss die Industrie natürlich mit praktikablen Angeboten reagieren. Die Lieferrhythmen und Rabattierungszeitpunkte sind völlig aus den Fugen geraten. Wenige Einzelhändler reagieren mit Vernunft und agieren dieser Entwicklung entgegen und wenige haben die Macht, sich dagegen zu wehren. Jeder will der Erste sein, der neue Ware hat, jeder meint, er muss der Erste sein, der rabattiert. Jeder hat Angst, er könnte im Wettstreit nicht mithalten. Welch ein Absurdum: Demnächst überholen wir uns selber und verkaufen die Sommerware im August für das Jahr darauf! Dem Neoliberalismus entgegengesetzt, bedarf es unserer Meinung nach ein gewisses Maß an Regulierung – und zwar EU-weit und durch die EU-Regierung –, um den Textilhandel wieder in die richtige Richtung zu dirigieren und vor dem weiteren Fortschritt dieser pathologischen Entwicklung und Unwucht zu schützen.“ Melanie und Dirk Nienaber,

Inhaber Marlino

Einheitliche Regelungen

„Ich würde mir von der Politik eine stärkere Reglementierung für bestimmte Bereiche der Branche wünschen, vor allem aber eine Wiedereinführung der ge setzlich geregelten Schlussverkaufszeiten. Derzeit ist es so, dass die Ware nach Belieben und zum Teil viel zu früh in der Verkaufssaison reduziert wird. Obwohl der Dezember mit dem Weihnachtsgeschäft der über das Jahr gesehen wirt schaftlich stärkste Monat für Winterware ist, beginnen einige Anbieter schon im November mit der Reduzierung der Ware. Für uns bedeutet das auch, dass die neuen Kollektionen teilweise schon zu einem wesentlich früheren Zeitraum aus geliefert werden müssen, um überhaupt einen angemessenen Verkaufszeitraum sicherzustellen. In der Praxis heißt das, das hochmodische Frühlingsware, wie von einigen Einkäufern teilweise gewünscht, schon im November oder Dezem ber ausgeliefert werden soll. Das stellt für viele Lieferanten oftmals ein Problem dar. Extrem frühe Reduzierungen, vor allem auch im Onlinebereich, wären mit einer einheitlichen Regelung vom Tisch. Gleiches gilt für eine europaweit einheitliche Regelung der nationalen Zollsätze, -tarife und -abkommen. Denn es gilt der Discount-Mentalität Grenzen zu setzen und allen bekannten Textildiscountern weniger Möglichkeiten zu bieten, durch noch günstigere Produktionsmöglichkeiten die Menschenrechte in Indien oder anderen Herstellungsländern immer weiter zu untergraben. Und das nur, damit sie ‚konkurrenzfähig‘ sind und ihre Jeans zu einem Verkaufspreis von 15 Euro anbieten können. Nur wenn im Bereich des Imports und Exports von Textilien für alle Akteure die gleichen Regeln gelten und homogene Ausgangsbedingungen geschaffen werden, wird für alle Beteiligten ein fairer Wettbewerb gewährleistet sein.“ Ilya Morgan, Inhaber Deluxe Distribution

Stärkere Förderung & gröSS ere Gest ltung

„Die Zukunft des Facheinzelhandels ist in den Großstädten nach wie vor ein großes Problem. Jede Stadt gleicht der anderen: Mode und Billigketten prägen das Bild der Städte. Inhabergeführte Einzelhandelsgeschäfte haben es immer schwerer, ihre Positionen zu behaupten, aufgrund hoher Mieten und schlechter Infrastruktur. Eine stärkere Förderung von mittelständischen und Start-up-Unter nehmen in der Mode wäre anzustreben. Eine größere Gestaltung der öffentlichen Hand wäre sicher in manchen Bereichen wünschenswert, zum Beispiel flexible Öffnungszeiten, um gegenüber dem Onlinehandel bestehen zu können. Wichtig ist auch Zölle für den Einzel- und Großhandel einfacher zu gestalten. Waren aus dem nicht europäischen Raum sollten höher besteuert werden, wie es einige Länder bereits handhaben, damit handmade in Europe wieder einen höheren Stellenwert bekommt. Erstrebenswert wäre eine weitere Belebung der Innenstädte durch eine Branchenvielfalt mit einem größeren Gastronomie- und Kulturangebot. Die bereits begonnene Rückentwicklung, die Innenstädte wieder als Wohnraum zu nutzen, ist ein weiterer Gesichtspunkt zur Innenstadtbelebung.“ Matthias Scho,

Geschäftsführer SchoShoes

Gesunder Br nchenmix

„Wir brauchen die Politik – wie zum Beispiel zur Überwachung innenstadtrelevanter Sortimente. Auch bei uns in Waldshut gibt es immer wieder Anfragen großer Anbieter, Outlets oder Shoppingcenter, die sich auf der grünen Wiese ansiedeln wollen. Bisher achtet der Bürgermeister wie die regierende Partei darauf, nichts zu genehmigen, was die Innenstadt stört, weil sie sich bewusst sind, dass eine attraktive Innenstadt den funktio nierenden Handel braucht. Auch deshalb haben wir hier einen gesunden Branchenmix, der die Leute in die Stadt zieht, mit Modegeschäften, zwei einheimischen Bäckern und Metzgern, Foto- und Blumenladen, zwei tollen Cafés, die vom Kuchen bis zur Schoko lade alles selbst machen. Eine Kleinstadt zum Verlieben! Damit das aber auch erhalten bleibt, muss die Politik klare Spielregeln aufstellen, denn es tut keiner Innenstadt gut, wenn Frequenz und Kaufkraft auf die grüne Wiese umgeleitet werden. Spinnt man den Gedanken noch weiter, leiden darunter nicht nur die Händler in der Innenstadt, sondern auch die Handwerker und auch das Dienstleistungsgewerbe, das stark vom einheimi schen Handel abhängt. All das wird in vielen Städten Deutschlands und Österreichs zu wenig bedacht. Umso mehr sind Regierung, Landesregierung und auch die Kommunen gefragt, mit Konzepten durchzugreifen – aber viele haben leider gar kein Konzept.“

Thomas Wartner, Geschäftsführer Stulz: Mode: Genuss: Leben

Verlässliche Ra hmenbedingungen

„Ich wünsche mir grundsätzlich weniger Eingriff der Politik. Zu einer Marktwirtschaft gehört, dass von Seiten der Politik Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dann aber auch verlässlich und mit einer Konstanz versehen sind. Ein Beispiel aus meiner Sicht ist unser Ladenöffnungsgesetz. Sonntags muss der stationäre Handel mit wenigen Ausnahmen geschlossen sein. Online geht immer. 24/7. Aus meiner Sicht eine große Wettbewerbsverzerrung. Darüber hinaus wünsche ich mir eine innenstadtfreundlichere Politik. Stärkung des Marktplatzes, aber eben auch die Erreichbarkeit dessen.“ Thomas Ganter,

Geschäftsführer L+T Lengermann + Trieschmann

Innenstädte retten

„Ich halte grundsätzlich nicht viel von Politik. Zu oft muss erst einmal etwas passieren, damit irgendjemand auf die Idee kommt, den Schalter umzulegen. Reagieren ist auf jeden Fall mehrheitsfähiger als agieren. Schön wäre also, wenn die Politik wenigstens auf die Missstände in den Innenstädten reagie ren würde. Im Rahmen der Städteplanung sollte mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse des stationären Einzelhandels genommen werden. Es ist sehr schade zu sehen, dass die Fachgeschäfte und Spezialisten immer weniger werden. Das betrifft selbstverständlich nicht nur die Mode, sondern genauso die Buchhandlung oder den Kurzwarenladen. Die Situation in den Innen städten ist natürlich nicht die einzige Hürde, die der klassische Einzelhandel nehmen muss, aber eben ein Bereich, den die Politik maßgeblich beeinflus sen könnte. Die guten Lagen können nur noch von Vertikalen bezahlt werden und somit veröden zuerst inhaltlich und dann im wörtlichen Sinn die Innenstädte. Wie das dann aussehen kann, hat uns die USA sehr deutlich veranschaulicht. Unterstützt wird der Trend von einer Vielzahl an Malls, deren Sortiment welt weit identisch zu sein scheint. In einer Großstadt fällt das vielleicht nicht so auf, da die Größe immer noch Raum für Segmente lässt. In der Kleinstadt ist der Grad an Vereinheitlichung und somit auch eine Art von Reglementierung allerdings oft ziemlich deprimierend. Und genau hier sollte die Politik eingreifen, für ein gesundes Stadtbild sorgen und humane Innenstädte schaffen. Das ist nicht nur ein Problem für den Handel, sondern auch verlorene Lebensqualität, die jeden Bürger betrifft. Vielleicht ist das aber auch nur eine Art von nostalgischer Verklärtheit und der moderne Mensch will Gemüse aus dem Supermarkt, egal ob bio oder nicht, und das Outfit von einem der Top Ten der deutschen Textiloutlets.“

Thomas Martini, CEO Bright Tradeshow F irer Wettbewerb

„Im kreativen Bereich sollte die Mode weiterhin komplett autark bleiben, das ist klar. Auch provokative Werbekam pagnen sind eine Art der freien Meinungsäußerung und sollten keinerlei Regulation unterliegen. Von der Steuerpolitik hingegen würde ich mir eine ganz klare Regelung wünschen, dass Unternehmen ihre Steuern und Abgaben dort abfüh ren, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Nur so ist ein fairer Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern möglich. Auch bin ich absolut für eine Reglementierung der Reduzierungs phasen, wie es sie in einigen Nachbarländern gibt. Dies gilt auch für den Onlinehandel. Durch klare Zeitspannen, in denen Reduzierungen ausschließlich stattfinden dürfen, wäre für den Kunden eine größere Vergleichbarkeit der einzelnen Händler gegeben. Der psychologische Effekt von mittlerweile fast kontinuierlich stattfindenden Sales-Schlachten ist nicht zu unterschätzen: In den letzten Jahren ging vielen Kunden dadurch komplett das Bewusstsein für ein gutes Preis-Leis tungs-Verhältnis verloren. Ebenso die Bereitschaft, für hohe Qualität auch einen höheren Preis zu bezahlen. Die Wahrneh mung von Qualität und Nachhaltigkeit würde sicherlich durch eine Regulierung der Reduzierungsphasen wieder steigen. Bezüglich der Innenstadtbelebung ist definitiv politischer Handlungsbedarf angesagt. Es muss ein Weg gefunden werden, der schleichenden Verarmung der Innenstädte entgegenzuwirken und dort einen für den Konsumenten ansprechenden Mix von individuellen, interessanten Händlern zu sichern. Aktuell scheint dies ohne Einfluss der Politik auf die Immobilienvermietung kaum möglich. Es sollten Gremien entstehen, in denen Stadtentwickler und Händler gemeinsam dafür sorgen, dass ein eigenständiger urbaner Charakter wieder hergestellt wird. Abgesehen vom Mietermix sind dafür auch andere innovative Ansätze notwendig. Z. B. freies Par ken in der Innenstadt wäre sicherlich ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, den die Politik beeinflussen kann.“

Oliver Beuthien, CEO Wormland

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