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Wir machen uns den Markt kaputt

Wir uns Markt machen den

kaputt

Überall gibt es das Gleiche im Überfluss und das Meiste ist auch noch reduziert. Wir stecken tief in einer selbst verursachten Entwertungsspirale. Wie kommen wir da wieder raus? Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@ Caroline Seidler

Warendruck erzeugt Umsatzplus! In den 1980er- bis weit in die 1990er-Jahre war das ein treu befolgter Merksatz der Branche. „Damals hat das auch tatsächlich funktioniert; viele Händler haben so ihren Erfolg begründet“, sagt Torsten Müller, Inhaber der Vertriebsagentur Room Nine. „Heute siehst du von Flensburg bis Garmisch nur Vergleichbares von den üblichen Verdächtigen, stationär wie im Netz. Die Folge: große Langeweile und schwindende Umsätze.“ Womit das eigentlich Schlimmste eingetroffen wäre, denn die Begehrlichkeit ist verloren gegangen. „Die entsteht nur dann, wenn du als Kunde das Gefühl hast, dass du dir nicht viel Zeit lassen kannst, weil du sonst leer ausgehst“, sagt Florian Ranft, Inhaber der Vertriebsagentur Komet und Helden und des Münchner Stores Stereo Muc. „Aber heute hast du auch reduziert noch die volle Auswahl.“ „Wir entwerten uns selbst“, so Evelyn Hammerström, Inhaberin von Jades und More Jades. „Große Mitbewerber in derselben Stadt beschleunigen den Sales-Wahn. Gefühlt bekommt der Kunde schon zu Beginn der Saison großzügige Rabatte. Das setzt alle unter massiven Druck. Es macht keinen Spaß, wenn du als Händler nur vier bis sechs Wochen Zeit für den regulären Abverkauf hast. Und es funktioniert auch nicht, weil weder das Wetter mitspielt noch die Laune der Kunden.“ „Zu den Flächenzuwächsen im Markt kommt, dass der Onlinehandel in den letzten drei Jahren geradezu explodiert ist“, sagt Harm Hesterberg, Geschäftsführer Stiesing in Bremen. „Noch dazu hat die Industrie ihre Absatzkanäle nicht mehr im Griff, weil sie wie mit der Gießkanne Ware breit im Markt verteilt.“ Dass die Fehler bereits im Vertrieb beginnen, findet auch Malte Kötteritz von der Vertriebsagentur Heritage Agents. „Da wird die Rotpreisphase über einen bewusst hohen Wareneingang gesteuert und von nicht wenigen bekannten Marken dem Handel viel Geld für Abschriften zur Verfügung gestellt. So wird Quote und Umsatz mit Reduzierungen gemacht.“ Für Marken wie Polo Ralph Lauren & Co sind Outlets heute bereits die größte Einkommensquelle. Mindestbudgets, bei Erfolgsmarken heute gang und gäbe, erhöhen den Warendruck

„Mich persönlich würde es als Endverbraucher stören, immer die gleichen Anzeigen in allen Zeitschriften zu finden. Es macht für mich das Produkt nicht wirklich begehrlicher.“ Markus Meindl, Geschäftsführer Meindl Authentic Luxury zusätzlich. „Früher gab es zwei Liefertermine pro Saison, heute sind es vier für Pre- und Maincollection, die du bei den großen Marken schreiben musst“, erklärt Evelyn Hammerström. „Bei allen wird das Budget klar vorgegeben. Einen Monat nach der Pre- wird die Maincollection geschrieben, die vier bis sechs Wochen später geliefert wird. Du musst heute auf den Punkt einkaufen, Fehler kannst du dir nicht mehr leisten. Das Business ist ernsthafter geworden.“ Auf Handelsseite werden die Prozesse ebenso angetrieben – beispielsweise, wenn sie mit

„Der eigene Laden ist die Marke. Es ist wichtig, sich wieder eine Identität zu geben und für etwas zu stehen.“ Peter Boy Weber, Geschäftsführer Modenhaus Ehlers Wyk auf Föhr Eigenmarken im allzu großen Stil der Industrie vorgreift oder nur noch nach Abverkaufsquote und Deckungsbeitrag entscheidet. „Es geht um nackte Zahlen und maximale Quadratmeterumsätze“, so Florian Ranft. „Großen Händlern bleibt aber gar nichts anderes übrig, als so zu agieren, sonst gäbe es sie in fünf Jahren nicht mehr. Die großen Flächen in den Großstädten werden zu teuer, um anders bespielt zu werden. Gleichzeitig bietet das aber kleineren Handelskonzepten die Chance, sich abzuheben und auf das Besondere zu setzen.“

Raus aus der Gleichförmigkeit Bei der Sortimentsgestaltung fängt es an. Schnelligkeit ist für Evelyn Hammerström für ein trendbewusstes Handelskonzept wie Jades wichtig, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Dafür ordert sie Zwischenkollektionen: die Adidas-Kooperation von Pharell Williams, die innerhalb von einem Tag bei More Jades ausverkauft war, oder die Bloggerkollektion Anine Bing, die Hammerström spontan in der Saison dazugeordert hat. „Ich muss einen Vorsprung haben“, sagt sie. „Designerbrands wie Isabel Marant und Balmain führe ich bis Köln exklusiv. Dafür muss ich ein hohes Budget investieren, aber das ist es mir wert, weil ich trotz eigener Webshops der Marken gute Umsätze erziele. Die Kunden kaufen einfach gern bei uns, sie mögen unsere Atmosphäre und schätzen unseren Service.“ Service verbunden mit einer großen Denimauswahl machen More Jades noch einzigartiger in Düsseldorf. „Jeans verkaufen sich nur mit guter Bedienung, dafür schulen wir unsere Mitarbeiter regelmäßig“, sagt Evelyn Hammerström. Torsten Müller, der neben der Agentur drei Womensweargeschäfte namens Room Nine führt, vermeidet mittlerweile Sortimentsüberschneidungen mit seinen Mitbewerbern in der Stadt Bonn. „Alles, was irgendwie anders ist, verkauft sich gut bei uns: Zum Beispiel Labels wie Bash, die verrückteren Teile von Maison Scotch oder Strick von Jeff. Ich behaupte, dass es uns nur deshalb noch gibt, weil wir auf Impulse reagieren und sehr emotional einkaufen.“

Emotion und Storytelling Auch Harm Hesterberg geht es um Emotionen. So wird das Stiesing-Sortiment mit Storytelling-Produkten und Manufakturlabels spannend bereichert,

„ Wir einzigartig müssen

Wie kann sich der stationäre Fachhandel über sein Sortiment abheben? Helmut Eder aus Kitzbühel, einer der wegweisenden Händler im Modebusiness, antwortet im style in progress Interview. Text: Nicoletta Schaper. Foto: Helmut Eder

Alles gibt es überall. Wie kann sich der stationäre Modefachhandel heute noch profilieren? Indem er besonders ist. Ich denke, wir bringen in unseren Stores einen guten Mix von Designern, Newcomern und witzigen, neuen Labels. Das kann ein Poeme Bohemien, Common Projects oder Marsèll sein. Von großen Designern wie Gucci, Prada und Dolce & Gabbana haben wir uns verabschiedet, weil wir nicht so vergleichbar sein möchten und weil ich den großen Budgetdruck nicht mag. Ich sage den Agenten grundsätzlich, was ich leisten kann und was nicht. Es macht keinen Sinn, etwas zu ordern, das nicht zu uns passt. Ist diese Konsequenz der Grund Ihres Erfolgs? Wir versuchen, perfekt zu sein, vom Produkt bis hin zum Service. Die Kunden sollen sich bei uns wohlfühlen und uns weiterempfehlen. Bei uns findet die 18-Jährige ebenso etwas wie die 80-Jährige. Auch im Herrengeschäft wird der klassische Kunde ebenso glücklich wie der sehr modische. Wenn ich nur einen Kundentyp bedienen kann, wird die Luft sehr dünn. Ist Exklusivität noch ausschlaggebend – obwohl ja spätestens im Internet alles verfügbar ist? Schon, ja. Die Marken, die ich hier führe, möchte ich am Standort auch exklusiv haben. Ihre Kunden kommen allerdings von überall her. Wir merken natürlich die frühen Reduzierungen überall. 30 Prozent Rabatt Anfang Mai, das ist Wahnsinn! Wir müssen das Rad zurückdrehen und dahin zurückkommen, dass zum Beispiel vor Weihnachten auch im Designbereich nicht

sein

Helmut Eder ist Händler aus Leidenschaft und führt ein Mens- wear-, ein Womenswear- und ein sportives Fashiongeschäft in Kitz- bühel. www.helmuteder.com

reduziert wird. Die Showkollektionen werden ohnehin sehr spät geliefert, sodass nur zwei, drei Wochen zum regulären Verkauf bleiben. In unseren Stores hängt grundsätzlich nichts Reduziertes. Die Ware kommt erst nach einer Saison in unser Outlet. Ist es für Sie ein Ausschlusskriterium, wenn eine Marke auch bei Zalando liegt? Natürlich hätte ich keine Freude daran, wenn eine Marke wie Isabel Marant bei Zalando läge. Sicher ist Online nicht wegzudenken. Aber ich glaube daran, dass die Kunden wieder vermehrt nach Spannendem im Fachhandel suchen werden. Bislang leidet der Handel unter mangelnder Kundenfrequenz. Was tun Sie dagegen? Wir versuchen, immer frisch zu bleiben und besonders zu sein: darunter Namen wie Lederlinge, Maglia, William Lockie und Mackintosh. „Das, was wir sind, vermitteln wir auch mit unserem eigenen Magazin, für das sich Prominente gern als Model zur Verfügung stellen“, so Hesterberg. „Es geht darum, die Kunden auf eine Reise mitzunehmen – und darum, die Seele des Ganzen sichtbar zu machen.“

„Alle rennen um die Wette, es geht viel zu sehr ums Verdrängen und Vernichten. Auch wir haben noch nicht die perfekte Strategie gefunden, wie wir auf den Kannibalismus da draußen reagieren sollen.“ Harm Hesterberg, Inhaber Stiesing

Mit ähnlicher Motivation hat Peter Boy Weber seit vier Jahren das Sortiment von Ehlers auf Föhr konsequent umgestellt. Ein mutiger Schritt, sich von einstigen großen Zugpferden wie Polo Ralph Lauren oder Moncler zu trennen. „Ich verzichte heute auf Marken, die generell zu früh reduzieren lassen“, so Weber. „Lieber setze ich auf Produkte, die es nicht so oft gibt, mit dem Erfolg, dass ich mit weniger Umsatz mehr Gewinn mache. Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass jeder alle

Kürzlich haben wir im Herrengeschäft Maßtage gehabt, Maßfertigung ist ein echtes Thema. Darüber hinaus glaube ich, dass die Kunden gern zu uns kommen, weil wir ein gut geschultes Beraterteam mit spürbarem Spaß an der Arbeit haben. Unsere Umsätze geben uns Recht. Was empfehlen Sie anderen Händlern? Weniger ist mehr! Man kann nicht von allen Marken alles haben, sondern sollte Schönes auch hochwertig inszenieren. Wenn ein Agent zu mir sagt: Das sind unsere Bestseller, ist das für mich nicht ausschlaggebend. Wir kaufen für Kitzbühel sportiver und kerniger ein, wie es für unseren Ort passt. So werden wir es auch in Zukunft halten. bedienen kann.“ Qualität statt Quantität – dieses Bewusstsein wächst, spürt Peter Boy Weber bei seinen Kunden: „Sie kaufen eher nur zwei hochwertige Teile statt fünf weniger hochwertige. Das kann der Pulli von Villa Gaia sein, der auf der Handstrickmaschine gefertigt wird, ein Gürtel von Werkstatt München oder ein Cashmere-Schal von 8 Eden & Avenue.“ Teile, in die der Kunde investieren muss, die aber auch zu Lieblingsstücken avancieren können – und, ganz wichtig, eine Assoziation zu ihrem Herstellungsland haben.

Ohne Verfallsdatum Meindl Authentic Luxury ist langlebige, nachhaltige Lederbekleidung, die mit entsprechendem Know-how und Liebe zum Detail in Deutschland gefertigt wird. „Wir versuchen den langsamen Weg zu gehen und unsere Kunden langfristig zu binden, mit Freude am Produkt“, sagt Markus Meindl, der Lodenfrey in München, Springer’s Erben in Wien und Kraftstoff in Meilen zu seinen Kunden zählt. „So gut wie alle unsere Produkte sind zeitlos und können auch mal drei Saisons später nachbestellt werden, sofern die Rohware in der Qualität verfügbar ist. Auch diese natürliche Kapazitätsbegrenzung macht die Begehrlichkeit unserer Produkte aus. Begehrlichkeit wird allzu oft im Handel vergessen; auch durch die Presse wird alles schnell

„Wer auf Markenseite Konditionen und ungesunde Rücknahmemengen anbietet, glaubt nicht an das Produkt.“ Florian Ranft, Inhaber Komet und Helden

uninteressant gemacht. Zu viele Händler werden unruhig, wenn der August nicht schon kalt ist und fangen bereits im Oktober an zu reduzieren, weil sie nicht mehr an den Winter glauben. So sind auch die Kunden nicht mehr bereit, Geld auszugeben.“ Oft fallen die Bedarfskäufe in die Rotpreisphase, weiß Florian Ranft. Der letzte Winter wurde erst im Januar richtig kalt. Woolrich wurde in den eigenen Stores bis in den Februar hinein noch zum regulären Preis verkauft – nicht nur die Erfolgsmodelle Arctic Parka und Eskimo, die

„ Kunden gegen l ässe

werden Preisnach immun

Sale ist immer. Und überall. Denn ein Rabattgesetz kennen die USA nicht. Ein mögliches Rezept gegen das Reduzierungsrennen hat Jennifer Mankins. Sie arbeitete in New York als Einkäuferin bei Barneys und gründete ein Modelabel mit, ehe sie ihren Modeshop Bird eröffnete. Mit Labels wie Alexander Wang, Isabel Marant oder Marni ist sie auch in ihrem Onlineshop www.shopbird.com erfolgreich. Interview: Petrina Engelke. Foto: Bird

Frau Mankins, wie gehen Modeläden in den USA mit der Konkurrenz von Onlineshops um? In New York haben wir schon immer mit den größten und besten Läden konkurriert, von fest etablierten Kaufhäusern wie Bergdorf Goodman und Barneys bis zu neuen Onlineshops wie neta-porter.com. Aber, statt sich Sorgen zu machen über etwas, das man nicht beeinflussen kann, finde ich es am produktivsten und effektivsten, sich auf das zu besinnen, was man ändern kann – deshalb konzentriere ich mich auf mein Geschäft und meine Designer. Nichtsdestotrotz weiß ich über die Vertriebs- und Werbestrategien der Konkurrenz Bescheid. Ich bemühe mich, bei Bird eine so einzigartige Erfahrung zu schaffen, dass meine Kundinnen dort auch dann kaufen, wenn sie das Teil anderswo auch finden könnten. Kunden sind sich heute sehr bewusst, dass das begehrte Kleid von heute morgen im Ausverkauf landet. Wie sor gen Sie dafür, dass sie nicht einfach auf den Preisnach lass warten? Als Fachhändlerin lagere ich nicht so viel Inventar oder Einheiten pro Modell wie meine größeren Konkurrenten. Ich will nicht, dass zehn Frauen in Park Slope das gleiche Kleid tragen. Meine Kundinnen wissen: Wenn sie etwas Schönes finden, sollten sie zugreifen, denn wenn sie das nächste Mal

Nach mehr als 16 Jahren im Modegeschäft verlässt sich Jennifer Mankins immer noch auf Instinkt und Neugierde. kommen, ist das Modell in der Größe oft schon weg. In den USA gibt es viele Arten von Preisreduzierung wie BOGO, Rabatt für Lehrer am Ende der großen Feri en, Online-Codes etc. Wie gestalten Sie das? Ich finde, der Markt wird mit so vielen Preisnachlässen überschwemmt, dass die Kunden dagegen immun werden. Anders als viele Warenhäuser überschlagen wir uns nicht mit Rabatten und Reklameaktionen. Bei Bird haben wir meist einen Sale am Memorial Day (Mai) und Black Friday (November) und nach den Feiertagen. Ich denke, der „race to the bottom“, wie es Mickey Drexler von J. Crew gern nennt, ist definitiv nicht tragfähig. In anderen Branchen ist der Preis hoch, wenn die Nachfrage hoch ist. Dau nenjacken werden dagegen ausgerechnet im Februar heruntergesetzt. Wird sich das je ändern? Ich rede ständig mit Designern und Ladenbesitzern darüber, wie wir das derzeitige System so ändern können, dass wir die passenden Produkte zur rechten Zeit im Laden haben. Ich will nicht im Juni Pelzmäntel geliefert bekommen, wenn das Wetter endlich schön wird und meine Kundinnen Sommerkleider kaufen möchten. Der gesamte Zeitplan für Produktion und Auslieferung wurde von den großen Warenhäusern unerbittlich immer früher gesetzt, damit generell nicht reduziert werden. „Das zu warme Wetter im November und Dezember haben wir regelrecht ausgesessen, aber die Woolrich-Kunden haben auch nicht nach Reduziertem gefragt“, sagt er. „Weil die Kunden eine Woolrich-Jacke nicht als Trendprodukt, sondern als Klassiker sehen, den sie sich für mehr als eine Saison leisten.“ Begehrlichkeit hängt immer auch mit dem Preis zusammen, meint Yves-Oliver Wilke, der gemeinsam mit seinem Bruder Dennis das Konzept Brosbi mit Contemporary Menswear gegründet hat und außerdem als Berater für Sortimente und Einzelhandelskonzepte tätig ist. „Alle Seiten müssten gegen zu frühen Sale steuern, damit alle wieder gutes Geld verdienen können. Dafür geht es allein darum: Wie wir dem Produkt die Wertigkeit zurückgeben, die es verdient.“ Brosbi ist bei rund 30 Händlern vertreten, darunter Voo Store in Berlin, Harvest in München, Brooks in Bielefeld und Dictionary in Mailand. Dagegen hat sich die junge Marke entschieden, ab der kommenden Herbst-/Winter-Saison mit Han

„Eigentlich müssten sich die Händler einer Stadt an den Tisch setzen und wieder Regeln für die Reduzierphasen einführen. Denn das, was wir jetzt machen, ist für alle absolut ungesund.“ Evelyn Hammerström, Inhaberin Jades und More Jades

sie große Werbeaktionen machen können. Das halte ich nicht für zukunftsfähig, es ist auch für niemanden gut, auch nicht für die Kunden! Ich glaube, es ist eine Frage der Zusammenarbeit mit Designern, es muss vermittelt werden, was der Markt wirklich braucht, und dann werden wir hoffentlich langsam wieder dorthin zurückkehren, wo der Warenfluss im Einklang mit der Nachfrage ist. delsformaten wie Zalando und Urban Outfitters nicht zusammenzuarbeiten. „Die schnellen Reduzierungen stören uns“, begründet Yves-Oliver Wilke. „Midseason-Sale ab Anfang April macht für uns als Brand keinen Sinn.“ Stattdessen die Sortimente spannender zu gestalten, hält Wilke für den richtigen Weg. „Ein Voo Store zum Beispiel denkt in Lifestyle mit allem, was schön ist, das können Bücher sein oder auch ein besonderes Duschgel. Auch die Sneakers nicht nur auf der Schuhwand können Spannung erzeugen. Allgemein denkt der Handel noch zu stark in Abteilungen und Schubladen – es fehlt an Mut und Konsequenz.“

Verantwortung Mehr Verantwortung und Beratung auf Vertriebsseite wünscht sich Malte Kötteritz, um die Händlersortimente nicht allzu gleich aussehen zu lassen. „Drei Kunden in einer Stadt wie München reichen für eine Kollektion wie Lardini. Bediene ich in Mannheim Engelhorn, braucht es dort auch keinen weiteren Kunden, denn in einem solchen Haus können wir auch in die Tiefe arbeiten“, sagt Kötteritz, der wie sein Partner Michael Brockmann acht Jahre bei der Holy Fashion Group gearbeitet hat. Mit ihrer Agentur Heritage Agents, die jetzt in die dritte Saison geht, setzen sie bewusst auf inhabergeführte Marken. „Für uns ist es schön, dass wir mit vielen Familien arbeiten, in denen das Produkt gelebt wird“, so

„Reyer in Hallein, The Listener in Frankfurt oder Stereo Muc erzeugen Kauflust. Diese Händler spielen spannend ihr Sortiment und haben ihr Profil geschärft.“ Malte Kötteritz, Geschäftsführer Heritage Agents

Malte Kötteritz. „Die Kreativität und den Mehrwert der Produkte versuchen wir im zweiten Schritt dem Handel nahezubringen, auch mit Schulungen. Wir erfahren dort eine wunderbare Wertschätzung, weil wir uns kümmern. Es reicht schon lange nicht mehr, dem Job nur in der Orderphase nachzugehen.“ Pinko aus dem Portfolio der Agentur Aco Mode Deutschland

ist eine modische Kollektion, die sich auf die Fahne geschrieben hat, mit angepasstem Rhythmus auf die Bedürfnisse einzelner Märkte und Handelskunden einzugehen. „Die Marke kennt die Herausforderung der richti

„Die Marke muss sich fragen: Ist ein Zalando mein richtiger Kunde? Dass Karstadt und Kaufhof in der Krise sind, zeigt, dass man nicht jeden bedienen kann.“ Yves-Oliver Wilke, Gründer von Brosbi gen Sortimentsgestaltung sehr genau aus dem eigenen Einzelhandel“, sagt Aco Deutschland Geschäftsführer Michael Schulz. „Wir geben dem Kunden die Möglichkeit, durch gezielte Lieferrhythmen ein sich ständig veränderndes Warenbild zu schaffen. Das heißt Pre- und Mainkollektion zu den üblichen Terminen liefern, aber die Auslieferung themenbezogen zu gestalten und zusätzlich kleine Flashprogramme passend zur Jahreszeit herauszubringen. Auch der Austausch von Lowsellern innerhalb der Saison machen wir möglich, um dem Waren- und Preisdruck entgegenzuwirken.“

Timing Hat die Industrieseite in Sachen Timing dazugelernt? Der richtige Zeitpunkt am Point of Sale entscheidet oft, ob die Ware beim Kunden das Haben-wollen-Gefühl auslöst. Aber der richtige Zeitpunkt ist nicht für jeden Händler identisch. „Der sehr informierte Jades-Kunde muss die Ware sofort haben“, sagt Evelyn Hammerström. Peter Boy Weber wünscht sich die Winterware früh und die Sommerware spät für das Touristengeschäft auf Föhr – und damit antizyklisch zu den Städten auf dem Festland. „Ab Mitte Januar muss ich Frühjahr-Sommer-Ware zeigen“, erklärt er. „Auch wenn ich im März noch warme Sachen verkauft habe. Mitunter stapelt sich die neue Ware im Lager, aber wir steuern sie bewusst so ein, dass der Kunde den Eindruck immer neuer Ware hat.“ Dafür dekoriert Weber zweimal wöchentlich um, denn der Tourist, der durchschnittlich zehn Tage auf der Insel bleibt, will zweimal wöchentlich ein neues Bild sehen.

Cleaning – ohne die Begehrlichkeit zu zerstören Irgendwann muss die alte Ware der neuen Platz machen; ohne Cleaning geht es nicht. Wie aber am besten? „Wir lassen die Ware lange am PoS und tauschen unter unseren Läden aus, inszenieren also immer neu“, sagt Torsten Müller. „Erst Anfang Februar haben wir die Winterware in unser Outlet gebracht. Im August zum Schulbeginn muss das Herbstfenster da sein. Früher haben wir oft zu früh reduziert, aber diese Saison haben wir ganz gut hausgehalten, sodass wir nicht gezwungen sind, das hektisch frühe Reduzieren mitzumachen.“ Peter Boy Weber zählt zu den Händlern, die grundsätzlich Reduziertes aus dem Store verbannen und ins eigene Outlet geben. „Man bleibt immer auf irgendetwas sitzen, wenn man emotional einkauft“, sagt Peter Boy Weber. „Dennoch glaube ich, dass Emotion wieder wichtiger wird. Der Kunde muss die Ware schön finden – um sie wieder wertschätzen zu lernen.

„Ich sehe viele Fehler auf beiden Seiten, auch wir kaufen oft zu impulsiv. Aber würden wir das nicht machen, gäbe es uns nicht mehr.“ Torsten Müller, Vertrieb Room Nine und Inhaber von drei RoomNine-Geschäften in Bonn

Im Restaurant würde es ihm ja auch nicht im Traum einfallen, zu sagen: Tolles Menü, toller Service! Können wir da noch was am Preis machen?“

„ Ich arbeite mit Marken , die es bei den Gro SSen nicht gibt “

Ein Paradies? In Belgien ist der Schlussverkauf noch immer staatlich reguliert. Els Peeters, Inhaberin des Schuhladens Schoenen Loop in Merelbeke, erklärt im Interview mit style in progress, warum frühe Reduzierungen (noch) nicht grassieren. Ende 2015 wird sie ihren Laden als OmnichannelKonzept mit einem Brick2Click-System wiedereröffnen. Sie führt Marken wie Birkenstock, Candice Cooper, Floris van Bommel und United Nude. Interview: Kay Alexander Plonka. Fotos: Els Peeters

Reduzierungen während der laufenden Saison sind in vielen europäischen Ländern mittlerweile die Regel. Was ist in Belgien anders? Die belgische Regierung hat den Händlern ein Reduktionsverbot für den Zeitraum vor der Sale Phase auferlegt. Einen Monat vor den regulären Schlussverkaufsphasen im Januar und im Juli ist es verboten, spezielle Rabatte zu gewähren. Zur Überwachung setzt das Finanzministerium Kontrolleure ein, die bei einem Verstoß gegen das Verbot bis zu 60.000 Euro Strafe verhängen können. Wie sieht das dann in der Praxis aus? Der November ist für viele Händler der typische Monat für Midseason Sale. Die meisten Shops geben 20 Prozent Nachlass. Im Dezember und im Juni ist es dann verboten, Rabatt zu geben. Nur Maßnahmen wie „Kauf zwei Artikel und erhalte 30 Prozent Rabatt“ sind in dieser Zeit zulässig. Im Januar starten dann die meisten Läden mit 30 Prozent Nachlass auf die Preise und enden dann mit 50 Prozent. Rabatte in Höhe von 70 Prozent gibt es nur in Outlets oder auf Ware aus den Vorsaisons. In manchen Dörfern werden kleine Messen oder Straßenmärkte veranstaltet, dort sind Redukti-

Els Peeters konzeptioniert ihren Laden völlig neu: Ein durchdachter Omnichannel-Ansatz macht die Zusammenarbeit mit Labels, die schnell nachliefern können, wichtig.

onen dann zulässig. Dort wird dann oft Ware aus vergangenen Saisons mit hohen Rabatten angeboten. Und wie gehen die großen Onlineshops oder Vertikalan bieter damit um? Für die großen Anbieter ist eine Strafe von 60.000 Euro doch Peanuts im Vergleich zu der Aufmerksamkeit, die sie bekommen, wenn sie gegen das Verbot verstoßen und bestenfalls in den Nachrichten noch darüber berichtet wird. Wie gehen Sie dann mit dem Reduzierungsdruck um? Zuerst mal fokussiere ich mich auf eine andere Art von Kunden, als die großen Anbieter. Meine Kunden kaufen nicht gerne anonym im Internet oder in großen Kaufhäusern, denn sie wären frustriert, wenn die Ware nicht ihren Erwartungen entspricht oder sie nicht fachgerecht beraten werden. Smalltalk, persönliche und ehrliche Beratung und

das spürbare Einkaufserlebnis und nicht zuletzt ein perfekt passender Schuh in der richtigen Größe zählen weitaus mehr als ein paar vermeintlich gesparte Euro. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Lieferanten aus? Ich hab mich entschieden, mit Marken zu arbeiten, die nicht bei den ganz großen Anbietern im Sortiment geführt werden. Dadurch stehe ich z. B. nicht im Wettbewerb mit großen Onlineshops. Die Kollektionen, die ich führe, und die Modelle, die ich daraus wähle, unterscheiden sich sehr stark von dem Angebot durchschnittlicher Anbieter. Unsere Schuhe sieht man nicht überall. Wir setzen auf zeitlose, komfortable Modelle und verkaufen lieber hochpreisige Schuhe mit bester Qualität. Zudem muss ich mich auf die Marke verlassen können, sonst kann ich meinem Kunden keinen guten Service bieten. In unserem neuen Laden werden wir nur mit Marken arbeiten, die diese Kriterien erfüllen und eine B2B-Plattform anbieten, damit ich einzelne Paare für meine Kunden schnell und kostenlos nachordern kann.

„Wir folgen keinen Trends

Das Münchner Label Distorted People hat einen sehr erfolgreichen Start hingelegt – und das, obwohl sich seine Gründer Matthias Gnilka, Huy Vu und Dung Vu nicht um klassische Saisonrhythmen scheren. Wie das geht, beschreibt Matthias Gnilka im Interview. Text: Nicoletta Schaper. Fotos: Distorted People

Gegen den Strom zu schwimmen, haben Sie zu Ihrem Erfolgskonzept erklärt. Wie kam das? Vor zehn Jahren sind wir mit Distorted als eine Art Partyreise gestartet, mit monatlichen Mottopartys haben wir uns ein gutes Standing in der Szene Münchens aufgebaut. Später kam ein Onlineshoppingkanal hinzu mit Printshirts, die nur anfangs reduziert zu haben waren. Woraus 2008 ein richtiger Onlineshop wurde, nach gleichem Prinzip: Wer innerhalb der ersten 48 Stunden kaufte, bekam das Shirt zum Pre-Sale von 16,95 Euro und danach zu 24,95 Euro. Damit haben wir das komplette Gegenteil von dem gemacht, was in der Modebranche üblich ist! Als kreative Clique hatten wir uns einen Namen gemacht und allein mit Brands for Friends 45.000 Shirts verkauft, aber mit zu geringen Margen. Auch die Werbung über MTV und DMax brachte zwar Traffic, aber wenig Conversion. Ende 2010 hatten

Hinter Distorted People steht ein kreatives Kollektiv, das Arbeit wie Freundschaft verbindet.

wir alle keinen Bock mehr und dafür die Erkenntnis, dass man ohne Investoren nicht wachsen kann. Was haben Sie geändert? Wir änderten Style und Sourcing, suchten neue Produktionspartner und Investoren, die an uns glaubten. Die Schnitte heute, der ruhigere zeitlose Style in Vintage-Waschungen – das sind wir, wir tragen das. Mit zwei Investorenpartnern, die mit uns sehr freundschaftlich und professionell arbeiten, konnten wir in unser Wachstum investieren und starteten 2011 mit unserem ersten Store in München. Unsere Philosophie haben wir weiterverfolgt: Immer nur das beizubehalten, was wir selbst mögen, unabhängig von Trends und Saisons. Vieles unserer Komplettkollektion gibt es das ganze Jahr über. Neue Produkte waren recht schnell ausverkauft und konnten gar nicht so schnell nachproduziert werden. Auch dieses Verknappungsprinzip hat die Nachfrage umso mehr gesteigert. Jetzt geht Distorted People mit dem Vertrieb durch die Agentur Komet und Helden nächsten Schritt. Wie kommen Händler ohne Saisonrhythmen klar? 2014 sind wir mit Konen in München gestartet, mittlerweile haben sie ihre Order verzwanzigfacht, weil es so gut läuft. Auch bei Ludwig Beck wurde innerhalb der ersten Woche 70 Prozent unserer Ware abverkauft. Damit wir aber auch für einen größeren Händlerstamm lieferfähig sind, produzieren wir mehr vor, 75 Prozent sind NOS-Artikel. Im nächsten Jahr wollen wir unsere jetzt 45 Verkaufsstellen auf 200 im D-A-CH-Markt erhöhen, dazu sind zwei weitere eigene und sieben Franchise-Stores geplant. Die selbstbestimmten Zyklen behalten wir bei und die Händler finden es cool. Auch was Sales-Zeiten betrifft? Was wir selbst an Überhängen haben, verkaufen wir im Onlineshop in einem kleinen Sale-Bereich, eine Umsatzkonstante für uns. Außerdem haben wir eine Membership für unseren Onlineshop eingeführt. Für jährlich 29,95 Euro bekommen die Kunden 20 Prozent Rabatt pro Kauf auf alles. Außerdem können sie bei uns exklusiv vorordern, was noch mal das Zugehörigkeitsgefühl stärkt. Wir haben eine extrem hohe Wiederkaufsrate. Stört der Online-Sale die stationären Händler nicht? Bisher nicht, online funktioniert noch mal nach anderen Gesetzen. Aber momentan dreht sich unsere Ware auch im stationären Handel so schnell, dass Sale kein Thema ist. Eine absolute Luxussituation!

Wolfgang Joop. Er selbst ist der Prototyp dessen, was Wunderkind verkörpern soll: eine authentische, deutsche, intellek- tuelle Kollektion, die trotz allem marktfähig ist.

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