SO LÄUFT’S 125
Wir machen uns den Markt kaputt! Überall gibt es das Gleiche im Überfluss und das Meiste ist auch noch reduziert. Wir stecken tief in einer selbst verursachten Entwertungs spirale. Wie kommen wir da wieder raus? Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@ Caroline Seidler
Warendruck erzeugt Umsatzplus! In den 1980er- bis weit in die 1990er-Jahre war das ein treu befolgter Merksatz der Branche. „Damals hat das auch tatsächlich funktioniert; viele Händler haben so ihren Erfolg begründet“, sagt Torsten Müller, Inhaber der Vertriebsagentur Room Nine. „Heute siehst du von Flensburg bis Garmisch nur Vergleichbares von den üblichen Verdächtigen, stationär wie im Netz. Die Folge: große Langeweile und schwindende Umsätze.“ Womit das eigentlich Schlimmste eingetroffen wäre, denn die Begehrlichkeit ist verloren gegangen. „Die entsteht nur dann, wenn du als Kunde das Gefühl hast, dass du dir nicht viel Zeit lassen kannst, weil du sonst leer ausgehst“, sagt Florian Ranft, Inhaber der Vertriebsagentur Komet und Helden und des Münchner Stores Stereo Muc. „Aber heute hast du auch reduziert noch die volle Auswahl.“ „Wir entwerten uns selbst“, so Evelyn Hammerström, Inhaberin von Jades und More Jades. „Große Mitbewerber in derselben Stadt beschleunigen den Sales-Wahn. Gefühlt bekommt der Kunde schon zu Beginn der Saison großzügige Rabatte. Das setzt alle unter massiven Druck.
Es macht keinen Spaß, wenn du als Händler nur vier bis sechs Wochen Zeit für den regulären Abverkauf hast. Und es funktioniert auch nicht, weil weder das Wetter mitspielt noch die Laune der Kunden.“ „Zu den Flächenzuwächsen im Markt kommt, dass der Onlinehandel in den letzten drei Jahren geradezu explodiert ist“, sagt Harm Hesterberg, Geschäftsführer Stiesing in Bremen. „Noch dazu hat die Industrie ihre Absatzkanäle nicht mehr im Griff, weil sie wie mit der Gießkanne Ware breit im Markt verteilt.“ Dass die Fehler bereits im Vertrieb beginnen, findet auch Malte Kötteritz von der Vertriebsagentur Heritage Agents. „Da wird die Rotpreisphase über einen bewusst hohen Wareneingang gesteuert und von nicht wenigen bekannten Marken dem Handel viel Geld für Abschriften zur Verfügung gestellt. So wird Quote und Umsatz mit Reduzierungen gemacht.“ Für Marken wie Polo Ralph Lauren & Co sind Outlets heute bereits die größte Einkommensquelle. Mindestbudgets, bei Erfolgsmarken heute gang und gäbe, erhöhen den Warendruck „Mich persönlich würde es als Endverbraucher stören, immer die glei chen Anzeigen in allen Zeitschriften zu finden. Es macht für mich das Produkt nicht wirklich begehrlicher.“ Markus
Meindl, Geschäftsführer Meindl Authentic Luxury
zusätzlich. „Früher gab es zwei Liefertermine pro Saison, heute sind es vier für Pre- und Main-
collection, die du bei den großen Marken schreiben musst“, erklärt Evelyn Hammerström. „Bei allen wird das Budget klar vorgegeben. Einen Monat nach der Pre- wird die Maincollection geschrieben, die vier bis sechs Wochen später geliefert wird. Du musst heute auf den Punkt einkaufen, Fehler kannst du dir nicht mehr leisten. Das Business ist ernsthafter geworden.“ Auf Handelsseite werden die Prozesse ebenso angetrieben – beispielsweise, wenn sie mit „Der eigene Laden ist die Marke. Es ist wichtig, sich wieder eine Identität zu geben und für etwas zu stehen.“ Peter Boy Weber, Geschäftsführer Moden haus Ehlers Wyk auf Föhr
Eigenmarken im allzu großen Stil der Industrie vorgreift oder nur noch nach Abverkaufsquote und Deckungsbeitrag entscheidet. „Es geht um nackte Zahlen und maximale Quadratmeterumsätze“, so Florian Ranft. „Großen Händlern bleibt aber gar nichts anderes übrig, als so zu agieren, sonst gäbe es sie in fünf Jahren nicht mehr. Die großen Flächen in den Großstädten werden zu teuer, um anders bespielt zu werden. Gleichzeitig bietet das aber kleineren Handelskonzepten die Chance, sich abzuheben und auf das Besondere zu setzen.“ Raus aus der Gleichförmigkeit
Bei der Sortimentsgestaltung fängt es an. Schnelligkeit ist für Evelyn Hammerström für ein trendbewusstes Handelskonzept wie Jades wichtig, um sich von der Konkurrenz abzusetzen.
Dafür ordert sie Zwischenkollektionen: die Adidas-Kooperation von Pharell Williams, die innerhalb von einem Tag bei More Jades ausverkauft war, oder die Bloggerkollektion Anine Bing, die Hammerström spontan in der Saison dazugeordert hat. „Ich muss einen Vorsprung haben“, sagt sie. „Designerbrands wie Isabel Marant und Balmain führe ich bis Köln exklusiv. Dafür muss ich ein hohes Budget investieren, aber das ist es mir wert, weil ich trotz eigener Webshops der Marken gute Umsätze erziele. Die Kunden kaufen einfach gern bei uns, sie mögen unsere Atmosphäre und schätzen unseren Service.“ Service verbunden mit einer großen Denimauswahl machen More Jades noch einzigartiger in Düsseldorf. „Jeans verkaufen sich nur mit guter Bedienung, dafür schulen wir unsere Mitarbeiter regelmäßig“, sagt Evelyn Hammerström. Torsten Müller, der neben der Agentur drei Womensweargeschäfte namens Room Nine führt, vermeidet mittlerweile Sortimentsüberschneidungen mit seinen Mitbewerbern in der Stadt Bonn. „Alles, was irgendwie anders ist, verkauft sich gut bei uns: Zum Beispiel Labels wie Bash, die verrückteren Teile von Maison Scotch oder Strick von Jeff. Ich behaupte, dass es uns nur deshalb noch gibt, weil wir auf Impulse reagieren und sehr emotional einkaufen.“ Emotion und Storytelling
Auch Harm Hesterberg geht es um Emotionen. So wird das Stiesing-Sortiment mit Storytelling-Produkten und Manufakturlabels spannend bereichert, style in progress 315