Pfingst-Interview: Ein deutscher Pfarrer in Nord-Böhmen (Seite 3)
Sudetendeutsche Zeitung Neudeker Heimatbrief
Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang
HEIMATBOTE
Jahrgang 73 | Folge 20 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 21. Mai 2021 Die Heimat im Ohr
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Neuer Museumsdirektor Stefan Planker nach München
wechselt Seite 9
Mährische Indianer
300. Geburtstag von David Zeisberger Seite 11
Subventions-Streit
B 6543
„Der lange Marsch zum Dialog“: 71 Jahre Sudetendeutscher Tag
KURSE
Neues von Musikkabarettist André Hartmann Seite 8
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Die Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft sind immer auch ein Gradmesser der deutsch-tschechischen Beziehungen
Sudetendeutsche Mundarten aufgezeichnet Seite 5
SL-Förderpreisträger
VOLKSBOTE
„Es geht um die Gedächtniskultur des ‚Nie wieder‘ auch über die Generation der direkt Betroffenen hinaus. Es geht darum, daß Menschen, die das gleiche Schicksal verbindet, Grenzen überwinden. Es geht darum, daß Tschechen und Sudetendeutsche wieder zueinander finden. Die Sudetendeutschen Tage an Pfingsten sind seit über sieben Jahrzehnten die nachhaltigste Plattform für die Völkerverständigung im Herzen Europas und damit ein wichtiges Element deutscher Nachkriegsgeschichte“, erklärt Bernd Posselt, Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe.
Sudetendeutscher Tag 1954 auf der Theresienwiese in München. Bilder: Fischer/Archiv
Prag will Geduld der EU „testen“ A Im EU-Subventionsstreit um den Konzern Agrofert des tschechischen Premierministers Andrej Babiš geht die tschechische Regierung ungewöhnliche Wege. Man teste, so Wirtschaftsminister Karel Havlíček, wie weit die EU gehen werde.
E
ine halbe Million Kronen, umgerechnet rund 20 000 Euro, hat die Tschechische Republik aus europäischen Mitteln an die Firma Fatra überwiesen, ein kleines Tochterunternehmen des Konzern Agrofert. Man wolle, so Wirtschaftsminister Karel Havlíček, der als rechte Hand von Babiš bekannt ist, testen, ob die Europäische Kommission die Summe zurückfordern wird.
Weiter unter Druck: Andrej Babiš. Der Hintergrund: Babiš hat die Kontrolle über seinen Konzern zwar an zwei Treuhandfonds übertragen, zieht aber nach Ansicht der Rechnungsprüfer der EU-Kommission im Hintergrund immer noch die Fäden. Als Firma eines Regierungsmitgliedes hätte Agrofert damit zu Unrecht mehrere Milllionen Euro EU-Subventionen erhalten. Sollte die EU die vergleichsweise geringe Summe bei Fatra zurückfodern, werde die Tschechische Republik vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, erklärte der Minister. Ein Urteil hätte dann Signalwirkung für alle Subventionen an Agrofert. JŠ
n diesem Pfingstwochenende hätte der 70. Sudetendeutsche Tag in Hof stattfinden sollen. Das Treffen mußte aber auf Grund der Corona-Pandemie verschoben werden und findet jetzt vom 16. bis 18. Juli in München statt. „Im Sommer haben wir mehr Möglichkeiten, auch unter Corona-Bedingungen Veranstaltungen durchzuführen. Eine Absage, wie im Vorjahr, wollten wir unbedingt verhindern“, so Posselt. Als „der lange Marsch zum Dialog“ hat vor Jahren die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Sudetendeutschen Tage beschrieben – eine durchaus treffende Charakterisierung, da die Pfingsttreffen ein Gradmesser der jeweils aktuellen Nachbarschaftsbeziehungen sind.
Phase 0: Das Fundament Der erste Sudetendeutsche Tag findet 1950 in Kempten statt. Das Motto „Gebt uns die Heimat wieder“ unterstreicht die Gefühlslage vieler Betroffenen. Aber trotz der millionenfachen Traumata durch die völkerrechtswidrige Vertreibung und der zehntausenden Toten unterzeichnen die Sudetendeutschen im selben Jahr die „Charta der Heimatvertriebenen“ und bekennen sich darin zum Verzicht auf Rache und Vergeltung. In der Charta wird erstmals ein „Recht auf Heimat“ postuliert, das ein von „Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit“ ist. „Vor Kempten hatte es bereits regionale Treffen gegeben“, erinnert sich Peter Hucker, der sich auch mit 88 Jahren weiterhin engagiert für die Sudetendeutschen einsetzt. „Wir sind bereits 1949, ich war damals in Bayreuth auf dem Gymnasium, auf Anregung einiger Lehrer, die ebenfalls Sudetendeutsche waren, zu einem Treffen in den Park der Eremitage gegangen“, erzählt Hucker, der ab dem zweiten Sudetendeutschen Tag 1951 in Ansbach jedes Jahr (bis auf eine krankheitsbedingte Ausnahme) teilgenommen hat. „Die Pfingsttreffen sind fester Teil unseres Jahreszyklus. Für die Älteren waren die Pfingsttreffen damals eine Möglichkeit, Freunde und Be-
Als erstes Mitglied einer tschechischen Regierung spricht Kulturminister Daniel Herman 2016 auf dem Sudetendeutschen Tag. Ministerpräsident Horst Seehofer (kleines Foto mit Bernd Posselt) lobt die Rede als „historisch“
Ministerpräsident Dr. Hans Ehard 1954 in München (rechts).
men. 1984 spricht mit Karl Carstens der erste Bundespräsident auf dem Pfingsttreffen. Und 1986 folgt Helmut Kohl als erster Bundeskanzler – was in der damaligen Tschechoslowakei zu heftigen Diskussionen führt. „So ein Auftritt ist Wasser auf die Mühlen derer, die unbelehrt von der Geschichte die Staatsgrenzen angreifen, die aus dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind“, empört sich Rudé právo, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei.
treibung zu gedenken. 2013 hält Premierminister Petr Nečas eine für die Sudetendeutschen historische Rede im Bayerischen Landtag. Der Regierungschef: „Wir bedauern, daß durch die Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen nach Kriegsende aus der ehemaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung, unzähligen Menschen viel Leid und Unrecht angetan wurde.“ 2016 folgt Kulturminister Daniel Herman. Als erstes Mitglied einer tschechischen Regierung nimmt er offiziell am Sudetendeutschen Tag in Nürnberg teil und spricht gleich zu Beginn seiner Rede die anwesenden Vertriebenen mit „Liebe Landsleute“ an. Anschließend drückt Herman in Deutsch sein tiefstes Bedauern über die Vertreibung aus, die das jahrhundertelange Zusammenleben von Deutschen und Tschechen zerstört hat. Ministerpräsident Horst Seehofer nennt den Auftritt Hermans „historisch“ und sieht darin eine „Sternstunde in den bayerischtschechischen Beziehungen“. „Das gleiche Schicksal zu haben, eine Einheit zu sein, das prägt die Sudetendeutschen Tage noch immer“, erklärt Dr. Günter Reichert, der ehemalige Landesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Nordrhein-Westfalen und Vorstandsvorsitzende der Heiligenhof-Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk. Hinzu käme aber heute auch ein gewisser Kongreßcharakter. „Es gibt viele interessante Vorträge und Diskussionen. Und seit zehn bis 15 Jahren sind auch sehr viele Tschechen mit eigenen Informationsständen dabei. Da hilft man sich dann gegenseitig, so wie es unter guten Nachbarn üblich ist.“ Torsten Fricke
kannte wieder zu sehen. Für uns Jüngere ging es darum, die Erinnerung weiterzutragen. Wir wollten zeigen, daß unsere Volksgruppe noch lebt, und auch politisch ein Zeichen setzen.“
Phase 1: Bayern und der vierte Stamm 1954 hält auf dem Sudetendeutschen Tag der bayerische Ministerpräsident Dr. Hans Ehard die Festrede in München und gibt eine ungewöhnliche Zusage: „Eingedenk auch der Tatsache, daß mehr als die Hälfte der Heimatvertriebenen in Bayern Sudetendeutsche sind, habe ich mich bereit erklärt, der an mich ergangenen Bitte zu entsprechen, namens der bayerischen Staatsregierung die Schirmherrschaft über die große Gemeinschaft der sudetendeutschen Volksgruppe zu übernehmen.“ Die Sudetendeutschen sind damit der Vierte Stamm Bayerns. 1959 findet der Sudetendeutsche Tag erstmals in Österreich statt. Über 300 000 Menschen nehmen daran teil. In den 1970er Jahren stehen die Ostverträge im Mittelpunkt der bundesdeutschen Politik. Dabei werden die Anliegen der Vertriebenen von der Bundesregierung eher als störend wahrgenommen. 1973 wird im Prager Vertrag die sudetendeutsche Frage ausgeklammert, aber immerhin einigen sich Bonn und Prag auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.
Phase 2: Nationale Anerkennung In den 1980er Jahren wendet sich das Blatt, und die Sudetendeutschen Tage werden erstmals auch von den Spitzenvertretern der Bundesrepublik Deutschland wahrgenom-
Phase 3: Erste Signale aus Prag 1990 eröffnet dann die „samtene Revolution“ die Möglichkeit, das Unrecht auf beiden Seiten aufzuarbeiten. „Gemeinsam die Zukunft gestalten!“ lautet dazu das treffende Motto des Sudetendeutschen Tages. Bereits Wochen vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten am 29. Dezember 1989 hat Václav Havel in einem persönlichen Brief an Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Vertreibung bedauert und das Kollektivschuld-Prinzip verurteilt. Havel betonte, die beiden Länder könnten sich nur dann auf friedliche Weise annähern, wenn sich Tschechen und Slowaken zu dem brutalen Vorgehen gegen ihre eigenen deutschsprachigen Mitbürger bekennen würden.
Phase 4: Rückfall in die Eiszeit Mit der Wahl von Miloš Zeman zum Premierminister verschlechtert sich das deutschtschechische Verhältnis rapide. So bezeichnet Zeman im Januar 2002 die Sudetendeutschen als „fünfte Kolonne Hitlers“, um dann – mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs – die rhetorische Frage zu stellen, ob „man jetzt wirklich Versöhnung für Verräter fordern“ könne. Nur Monate später, am 24. April 2002, verabschiedet das tschechische Abgeordnetenhaus einstimmig einen Beschluß, in dem die Beneš-Dekrete für „unantastbar“ erklärt werden – ein Tiefpunkt in der Beziehung zwischen den beiden Nachbarn. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft nutzt daraufhin die Sudetendeutsche Tage an Pfingsten, um immer wieder auf das Unrecht der Vertreibung aufmerksam zu machen. 2003 heißt das Motto in Augsburg „Vertreibung trennt – Heimat und Recht verbinden“, 2004 in Nürnberg „Menschenrechte achten – Vertreibung ächten“, 2005 in Augsburg „Vertreibung überwinden – Ausgleich schaffen“ und 2006 in Nürnberg „Vertreibung ist Völkermord – dem Recht auf Heimat gehört die Zukunft“.
Phase 5: Endlich ein Durchbruch Im Jahr 2010 glückt ein diplomatischer Durchbruch. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer besucht zum ersten Mal die Tschechische Republik und spricht vom „Beginn einer neuen Epoche“. Vorbereitet wird diese Reise in enger Abstimmung mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft, und zur offiziellen Delegation gehört mit Bernd Posselt auch der höchste Vertreter der sudetendeutschen Volksgruppe. Die Reise ist ein politischer Erfolg. Nur elf Monate später fährt der bayerische Ministerpräsident zum zweiten Mal in die Tschechische Republik, um gemeinsam mit Bernd Posselt an mehreren historischen Orten der Opfer der Nazi-Diktatur sowie der Ver-