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Gerichte der Kindheit

Die Gerichte unserer Kindheit

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Der erste Gaumengenuss? Wir alle haben da sofort Bilder und Gerüche im Kopf. Zwei Wirtinnen und ein Chefkoch erzählen davon, wie sich ihre kulinarische Erinnerung durch ihr Leben zieht – und niemals schwindet

Text — LENZ KOPPELSTÄT TER, Fotos — CAROLINE RENZLER

Der Turmwirt, das AO, der Ahner Berghof – an Orten wie diesen wird Tradition zeitgemäß lebendig erhalten.

MARIA GASSER (39), Turmwirt in Gufidaun

„Der Turmwirt ist mein Heimathaus, meine Familie lebt hier in fünfter Generation. Schon als kleines Mädchen musste ich immer mithelfen. Gegessen habe ich damals am liebsten bei Oma Rosa in Waidbruck. Bei ihr saß ich mit meiner Schwester und meinen Cousinen zusammen und es gab häufig unser Leibgericht: Erdäpfelblattln mit Sauerkraut. Die Blattln waren schön weich und fluffig, damit konnte man das Sauerkraut perfekt einrollen. So schmeckte es uns. Elf Blattln hintereinander waren schnell weggeputzt.

Obwohl ich eigentlich eine andere Schule besuchen wollte, entschied ich mich schlussendlich für die Landesberufsschule für das Gast- und Nahrungsmittelgewerbe Emma Hellenstainer in Brixen. Bei einem Schnuppertag gab es köstliche Buttergipfelen und allerlei Süßspeisen. Wenn es die zur Pause gibt, dachte ich mir, dann ist das die richtige Schule für mich. Außerdem gab es weniger Mathematik als in anderen Schulen und kein Latein, dafür mehr Fremdsprachen. Ich absolvierte zwei Jahre in Brixen und drei weiterführende Jahre in Meran an der Landeshotelfachschule Kaiserhof.

Nach dem Abschluss flog ich mit einer Freundin nach Florida, um mein Englisch auf Vordermann bringen. Wir arbeiteten in einem Golfclub, das war eine völlig andere Welt für mich und ich sammelte viele neue Erfahrungen. In den folgenden Jahren zog es mich noch nach Österreich und in die Toskana – eine sehr schöne und unbeschwerte Zeit, auch wenn ich viele Stunden hart arbeitete. Schließlich kehrte ich nach Gufidaun in unseren Gastbetrieb zurück und unterstützte meine Eltern. So richtig sesshaft war ich aber noch nicht. In den Wintermonaten war unser Restaurant für einige Zeit geschlossen, so konnte ich weiterhin Auslandserfahrungen sammeln.

Vor ein paar Jahren reiste ich erneut um die Welt – allein. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Und irgendwann machte es klick: Ich verstand, dass das Reisen schön ist, ich aber auch einen Pol, eine Heimat brauchte. Das ist jetzt der Turmwirt, mein Heimathaus. Ich bin angekommen! Auch heute noch finden sich auf unserer Speisekarte Erdäpflblattln mit Sauerkraut – nach dem Rezept unseres Chefkochs Daniel Trenkwalder.“

www.turmwirt-gufidaun.com

Erdäpfelblattln mit Kraut

4 Personen

Für die Blattln

250 g mehlige Kartoffeln 2 Eigelb Salz ca. 125 g Mehl 2 Esslöffel braune Butter

Für das Sauerkraut

500 g Sauerkraut 1 mittelgroße Zwiebel 1 Knoblauchzehe 50 ml Weißwein 200 ml Fleisch- oder Gemüsebrühe evtl. Kümmel, Lorbeer, Wacholder

Für die Blattln die Kartoffeln in Salzwasser kochen und dann durch eine Kartoffelpresse drücken. Die lauwarmen Kartoffeln mit den restlichen Teigzutaten mischen und gut kneten, bis eine homogene Masse entsteht. Eventuell noch Mehl hinzufügen. Ausrollen, rechteckige Blattln ausschneiden und auf ein bemehltes Blech geben. In den Kühlschrank stellen. Für das Sauerkraut zunächst Zwiebeln und Knoblauch in einem Topf anschwitzen. Sauerkraut dazugeben und mit Weißwein aufgießen, einkochen lassen. Danach mit Brühe aufgießen und mit etwas Kümmel, Wacholder und Lorbeer würzen – je nach Geschmack. Die Blattln in heißem Öl frittieren und sofort mit dem warmen Sauerkraut anrichten.

LEVIN GRÜTEN (27), Restaurant AO in Brixen

„Ich bin in Belgien groß geworden, in der Nähe eines Städtchens so groß wie Brixen. Mein Vater war Notarzt, da hatte er stets 24 Stunden Dienst – dann zwei Tage frei. Zwei Tage frei, das hieß bei ihm: zwei Tage kochen. Und ich schaute ihm über die Schulter. So begann meine Liebe zur Küche. Wir lebten auf einem Bauernhof, den meine Eltern restauriert hatten. Es gab Hühner, Schafe, Äpfel, Beeren, Kirschen, Gemüse. Wir kombinierten unser Fleisch und die Früchte unseres Gartens mit allerlei Gewürzen aus der arabischen Welt oder etwa aus dem Kongo, die in Belgien allgegenwärtig sind. Wenn es aber etwas zu feiern gab, dann aßen wir auswärts, und zwar stets: Filet Americain! Das ist eine Spezialität in Belgien, etwas ganz Feines! Im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Art Tatar – nur eben noch feiner, beinahe ein Aufstrich. Das ist meine kulinarische Kindheitserinnerung.

Nach der Schule habe ich mich für die Gastronomie entschieden. Ich absolvierte meine Ausbildung in einem klassischen französischen Restaurant, danach ging ich nach Melbourne. Ich heuerte bei einer Großpatisserie an, wir fertigten alle Donuts, Muffins, Croissants für McDonald’s in Australien und Neuseeland. Wahnsinn! Ich würde das nie wieder machen, aber es war eine gute Schule. Denn ich finde: Backen gehört zum Kochen. Nach Belgien zurück wollte ich nicht, zu viel Grau, zu viel Regen. Ich landete in St. Moritz, lernte Teresa kennen, zog mit ihr nach Südtirol. Die Berge hatte ich mittlerweile lieb gewonnen. Und Südtirol bald auch. Wo Wein wächst, sagte ich mir, gibt es immer auch gutes Essen. Und es gibt hier so viele junge Menschen, die sich die Welt ansehen – und mit neuen Ideen zurückkommen.

Ein letztes Mal zog es mich für ein paar Monate weg, ins Noma nach Kopenhagen, das als eines der besten Restaurants der Welt gilt. 200 Bewerbungen gehen da täglich ein – ich wurde tatsächlich genommen. Ich wollte unbedingt noch Erfahrungen sammeln für das, was wir hier in Brixen, in Teresas Familienhotel, realisieren wollten: moderne Küche – ohne die Traditionen zu leugnen, mit guten, ehrlichen, nachhaltigen Produkten aus der Umgebung. Keine Austern, kein Hummer. Gemüse und Fleisch von kleinen Bauernhöfen. Das Fleisch eines Tieres, das im Sommer auf der Weide grast, schmeckt einfach besser.

Manchmal kommen meine Eltern aus Belgien zu Besuch. Mein Vater liebt Speck und den Eisacktaler Wein. Und ab und zu bereiten wir gemeinsam meine Kindheitserinnerung mit Südtiroler Ingredienzien zu – und verfeinern sie etwas. Dünnes Kartoffelstroh, Eigelb. Deftig. Lecker. Dazu ein Glas Gewürztraminer.“

www.byhaller.com

Filet Americain

4 Personen

Für die Mayonnaise

3 Eigelb 1 EL Senf 50 ml heller Weinessig Salz 300 ml Samenöl

Für das Filet

600 g Filet Tatar vom heimischen Rind 2 EL hausgemachte Mayonnaise 1 EL mittelscharfer Senf 2 TL Worcestersoße 2 TL Paprikapulver 2 EL Chilisoße Pfeffer und Flockensalz

Für das Kartoffelstroh

3 große festkochende Kartoffeln Salz

Zum Anrichten

frisch geschnittener Schnittlauch

Für die Mayonnaise Eigelb mit Senf, Weinessig und Salz in einer Schüssel gut verrühren. Unter stetigem Weiterrühren langsam das Öl einträufeln lassen. Für das Filet Americain alle Zutaten in eine Küchenmaschine geben und kräftig rühren lassen. Für das Kartoffelstroh die Kartoffeln in gleichmäßig dünne Streifen schneiden (Julienne), diese für zehn Minuten in kaltes Wasser legen. Danach die Kartoffelstreifen gut trocknen und in einem Topf mit heißem Öl bei 150 °C in etwa 6–7 Minuten goldgelb frittieren. Das fertige Kartoffelstroh auf Küchenpapier abtrocknen und salzen.

Zum Anrichten die Filet-Americain-Masse in einen runden Ausstecher geben und glattstreichen. Darauf etwas frisch geschnittenen Schnittlauch und Kartoffelstroh sowie ein paar Tupfer der Mayo setzen. Wir reiben im Restaurant auch noch etwas gebeiztes Eigelb darüber, das ist aber kein Muss. Wir servieren unser Filet Americain klassisch mit hausgemachtem Sauerteigbaguette. Fragen Sie beim Bäcker Ihres Vertrauens nach einem schönen knusprigen Weißbrot.

Schwarzplentene Knödel mit Graukäse und Krautsalat

SIMONE KLAMMER (35), Ahner Berghof in Rodeneck

3 Personen

3 altbackene Semmeln oder Roggenbrot 50 g Lauch ½ Zwiebel 1 Knoblauchzehe 20 g Butter 2 Eier 100 ml Milch 50 g Schwarzplentnmehl (Buchweizenmehl) 20 g Weizenmehl Salz und Pfeffer 100 g Graukäse für die Füllung Parmesankäse und Butter Krautsalat und Speckstreifen zum Garnieren

Für die Knödel das Brot in kleine Würfel schneiden und in eine Schüssel geben. Lauch, Zwiebel und Knoblauch fein hacken, in der Butter anrösten und zum Brot geben. Eier und Milch gut verquirlen und über die Masse gießen. Das Weizen- und Schwarzplentnmehl zur Knödelmasse geben. Salzen, pfeffern und gut durchmischen. Die Masse für eine halbe Stunde zugedeckt ruhen lassen, dann kleine Knödel formen und dabei in die Mitte jeweils ein Stück Graukäse geben. Anschließend in kochendem Salzwasser 20 Minuten ziehen lassen.

Die Knödel auf Krautsalat anrichten, anschließend geriebenen Parmesan, geschmolzene braune Butter und geröstete Speckstreifen darübergeben. „Aufgewachsen bin ich in Rodeneck, unten im Dorf, jetzt wohne ich hier oben auf dem Berg. Ein Traum. Der Hof gehörte den Großeltern meines Mannes Armin, er hatte ihn bereits im Alter von 18 Jahren übernommen. Wir haben uns früh kennengelernt – und uns war klar: Das ist es! Mein Mann liebt es, bei den Tieren zu sein, ich habe schon bei meinen Eltern stets in der Hotellerie gearbeitet und diesen Bereich lieben gelernt. Hier wollten wir beides verschmelzen – Landwirtschaft mit Gastwirtschaft.

Meine Mutter Maria arbeitet noch heute – mit 71 Jahren – in der Gastronomie. Wenn ich meinen Besuch ankündige, weiß sie schon, was sie kochen soll. Das, was ich auch als Kind am liebsten aß: Schwarzplentene Knödel, mit Graukäse gefüllt. Dazu Krautsalat. Und ein Glas frisch gemolkene, warme Milch. Ein Gericht nicht für jedermann. Die Knödel aus herbem Buchweizen, der Käse sehr aromatisch und würzig. Typisch tirolerisch – man muss es mögen. Ich mochte es immer schon.

Und deshalb stehen die Schwårzplentenen mit Graukas auch hier bei uns auf der Karte. Ich gebe noch geröstete Speckstreifen dazu, ich finde, das passt gut. Weil wir ja einen eigenen, guten Speck produzieren! Wir haben 35 Kühe und zehn Schweine. Wir machen auch Salami und Kaminwurzen. Auch sonst ist alles hausgemacht: Schlutzkrapfen, Nudeln und eben die Knödel. Meine beiden älteren Kinder, die Mara und der Jonas, essen mein Lieblingsgericht zum Glück auch sehr gerne. Bei uns – und natürlich bei der Oma.“

www.ahner-berghof.com

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