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Bewusst unterwegs

Text — TESEO L A MARCA, Fotos — MICHAEL PEZZEI

Umweltbewusst Urlaub machen und trotzdem auf nichts verzichten – geht das überhaupt? Wir haben ein junges Paar losgeschickt, um es auszuprobieren. Sie erlebten Tage nachhaltigen Glücks

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Links: Wanderleiter Raimund Gietl

bringt die Besucher in die ehemalige Kornkammer Südtirols.

Unten: Gastwirt Elmar Braun will zeigen,

dass nachhaltiger Genuss auf höchstem Niveau möglich ist.

D

„Wenn du dich hier nicht am schlichten Dasein erfreust, dann wo?“

er Verdacht, einem Irrtum aufgesessen zu sein, kommt schleichend: beim veganen Abendmenü zwischen Paprika-Kokos-Suppe und BuchweizenRisotto mit frischen Pfifferlingen, beim Lustwandeln von der rebenbewachsenen Gartenlaube zum Infinitypool mit Blick auf die Dolomiten oder auch beim Verkosten eines Sylvaners im beheizten Wasserbottich, wo wir uns am späten Abend noch fläzen und am spätsommerlichen Nachthimmel Sternbilder suchen.

Nein, das alles klingt nicht nach Entbehrung. Dabei war Verzicht doch die erste Assoziation, als wir uns für diesen Urlaub entschieden hatten. Wir wollten mit reinem Gewissen nach Südtirol reisen, nach Brixen, Klausen, in die Dörfer hoch über dem Eisacktal, wir wollten mit reinem Gewissen zurückkehren. Doch reines Gewissen, das geht mit Verzicht einher, so dachten wir. Eigentlich immer schon. Nicht erst, seit Flugreisen und SUVs für uns tabu sind. Ich glaubte das schon als Kind gelernt zu haben, als meine Mutter im Supermarkt lieber zum Bio-Müsli griff, während ich vergeblich nach zuckertriefenden Schokoflakes verlangte. Die Lektion war klar: Bio ist das, wo man einen Aufpreis fürs gute Gewissen und gesunden Lebensstil zahlt, aber nicht unbedingt für mehr Genuss. Oder?

Oder eben nicht. Elmar Braun zum Beispiel, der sieht das ganz anders. Der 40-jährige Familienvater führt das zertifizierte Bio-Hotel Pennhof an den sonnigen Westhängen des Eisacktals in Barbian, wo wir nun einige Tage zu Gast sind. Als veganer Chefkoch lebte und arbeitete Braun viele Jahre in Portugal, Thailand, den Niederlanden, bevor es ihn wieder zurück nach Südtirol verschlug – in „das schönste Land der Welt“, wie er sagt: „Die Berge, die Seen, die Weinreben, das gute Essen – wenn du dich hier nicht am schlichten Dasein erfreust, dann wo?“

Elmar Braun war zehn Jahre alt, da verwandelten seine Eltern den Bauernhof der Familie bereits in einen Bio-Hof. Das hat den Grundstein für Brauns heutigen Gastbetrieb gelegt. Als er einmal auf seinen Reisen selbst in einem Bio-Hotel Urlaub machte, war für ihn klar: „Ich will das auch machen, ich will das nach Südtirol bringen.“ Während er nun den Gastbetrieb leitet, kümmern sich die Eltern und der Bruder weiterhin um den anliegenden Bauernhof. Dort können wir dank Mutterkuhhaltung Kühe beobachten, wie sie sorgsam ihre Kälber lecken, wir füttern Schweine und Ziegen im Streichelzoo mit Brot und sehen aus sicherer Entfernung einem gackernden Heer von Bio-Legehennen beim Scharren im Freien zu. Es fühlt sich auf Anhieb gut an, dieser Mix aus gehobenem Hotel-Service zwischen Abendmenü und Alpensauna einerseits und Urlaub-aufdem-Bauernhof-Feeling andererseits.

Braun, der frühere Globetrotter, der sich noch immer zweimal im Jahr auf sein kleines Grundstück in Kolumbien zurückzieht, will aber nicht nur erfolgreicher Gastwirt sein. Er will den Beweis erbringen, dass nachhaltiger Genuss auf allerhöchstem Niveau möglich ist – ohne dabei einen großen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Kann das gelingen?

Die Antwort erwartet uns zwischen Vogelgezwitscher und dem entlegenen Plätschern eines Wildbachs. Hier, am Fuße des Alpenhauptkamms, folgen wir gemeinsam mit dem pensionierten Wanderleiter Raimund Gietl einem Pfad über Wiesen und Fichtenwälder bis hin zu einer kleinen Holzhütte, der die Verwitterung im Laufe der letzten 500 Jahre eine unverwechselbare alpine Patina verliehen hat. In der Hütte tuckert und knarrt es aber auch heute noch. Als Besucher werden wir hier Zeugen einer

Technologie, die seit Jahrhunderten allein durch Wasserkraft funktioniert und aus Korn feines Mehl gewinnt.

Keine komplizierte Mechanik, keine Elektronik. Und doch dreht sich hier ein tonnenschwerer Mahlstein ohne Zutun menschlicher Kraft und sorgt für Nahrung. Ich werfe einen Blick zu unserem Wanderleiter und merke, dass wir mit dem Staunen nicht allein sind. Denn während Gietl die Funktionsweise der Wassermühle erklärt, kann er seine eigene Hochachtung vor dieser einst lebenswichtigen Technologie kaum verbergen: Wie die Kraft aus dem horizontalen Wellbaum durch das Ineinandergreifen von Kammrad und Ritzel in senkrechte Energie verwandelt wird. Wie aus dem Korntrichter durch regelmäßige Erschütterungen das Korn zwischen die Mahlsteine rieselt. Und wie durch nur wenige Handgriffe das daraus rieselnde Mehl feiner oder gröber wird.

Dass sich ausgerechnet hier, in der Nähe von Terenten, so viele ❶ Kornmühlen befinden, ist kein Zufall. „Lange Zeit galt diese Gegend als die Kornkammer Südtirols“, erzählt uns Gietl. Nachdem die Erträge von den kleinen Feldern der Hochebene nicht mehr mit den Importen aus dem Ausland mithalten konnten, stellten jedoch die meisten Landwirte seit den 1950er-Jahren ihre Betriebe auf die Milchwirtschaft um. Statt Korn wuchs auf den Wiesen nun saftiges Gras, das den Milchkühen als nährreiches Futter diente.

Erst in den vergangenen Jahren wagten es einige junge Landwirte, in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten und es noch einmal mit dem Anbau von Korn zu versuchen – diesmal biologisch. Die Rechnung ging auf. Inzwischen kann in einem regionalen Kreislauf wieder Korn geerntet, Mehl gemahlen und Brot gebacken werden.

Dass das nicht nur emissionsarm ist, sondern auch köstlich schmeckt, stellen wir im Anschluss an unseren Besuch bei den alten Kornmühlen am Tötscherhof in Terenten fest. Hier wird in einem alten Ofen, der als eigenständiges überdachtes Bauwerk vor dem Hof steht, nach altüberliefertem Bauernre❶ zept noch Brot aus Sauerteig gebacken.

In den vergangenen Jahren wagten es junge Landwirte, in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten, und bauen seitdem Korn an – biologisch!

Terner Mühlen

Ein Ausflug zu den Terner Kornmühlen ist nicht nur eine faszinierende Zeitreise zu alten Traditionen und eindrucksvollen Wasserrädern, sondern auch eine gemütliche Wanderung. Vom Dorfzentrum von Terenten führt der Mühlen-Lehrpfad in ca. 45 Minuten durch Wiesen und Kiefernwälder an surreal anmutenden Erdpyramiden vorbei bis zur ersten Mühle. In den Sommemonaten kann man montags eine Mühle in Funktion von innen besichtigen. Ein ortskundiger Wanderleiter kann beim Tourismusverein Terenten angefragt werden.

www.gitschberg-jochtal.com

Bis zu 500 Brotlaibe gibt der Ofen an einem einzigen Tag her, wenn frühmorgens mit dem Backen angefangen wird.

Das sei früher alles für den Eigenbedarf gewesen, sagt uns der Bauer Georg Feichter, schließlich seien die Bauernfamilien bis in seine Generation herauf sehr kinderreich gewesen. Feichter wuchs selbst mit sieben Geschwistern auf. Da sei das knusprige Brot mit Speck und Käse sehr schnell wieder in den hungrigen Mäulern verschwunden. Eine Aussage, die wir ihm auf Anhieb glauben, so köstlich schmeckt das frisch gebackene Bauernbrot.

Produkte, die nach alten Rezepten und Verfahren hergestellt werden, sind aber längst nicht mehr nur beim Bauern erhältlich. Bei einem Stadtbummel unter den Giebeln und Türmen der Brixner Altstadt entdecken wir gleich mehrere Läden, die im Zeichen von regionaler und nachhaltiger Produktion stehen, so zum Beispiel der Genussmarkt ❷ Pur Südtirol, wo wir neben den Bio-Eiern unseres Gastwirts Elmar Braun auch das Bio-Mehl aus Südtiroler Korn finden. Überhaupt sind wir überrascht, wie sehr Brixen, die älteste Stadt Tirols, mit ihrer belebten Innenstadt ihren ganz eigenen Charakter bewahrt hat. Anstatt einer Open-Air-Shoppingmeile für internationale Handelsketten, wie es in europäischen Städten leider immer öfter der Fall ist, finden wir lokale Geschäfte und Einzelhändler vor, die auf faire Mode setzen wie der ❸ „Kauri Store“ oder auf Upcycling wie der Laden ❹ „WiaNui“. Wenn es um schwerere Ausrüstung geht, gilt hingegen: lieber leihen als kaufen. Im Trend liegen vor allem E-Bikes, mit denen sich die umliegende Gegend achtsam und ohne nachfolgenden Muskelkater erkunden lässt. Zu einem beliebten Ausflugsziel für E-Mountainbiker hat sich in den vergangenen Jahren das Lüsner Tal entwickelt, das sich nördlich von Brixen in einem sanften Bogen nach Südosten schwingt und zwischen der Plose und der Lüsner Alm bis zum Würzjoch aufsteigt, wo das Reich der Dolomiten beginnt.

Ohne Aufstiegsanlagen blieb das Tal vom konventionellen Wintertourismus lange ausgeschlossen. Eine Entwicklung, die den Einheimischen zunächst Sorge bereitet habe, erzählt uns Franz Hinteregger während einer gemeinsamen E-Bike-Tour

Nachhaltig shoppen in Brixen

② Pur Südtirol

Vom Wein bis zum zum Speck gibt es hier alles, was Südtirol an regionaler und biologischer Feinkost zu bieten hat. Aber auch lokale Handwerksprodukte und Kosmetik sind in den Regalen zu finden.

www.pursuedtirol.com

③ Kauri Store

Trendig? Ja, aber auch nachhaltig und fair. Diese Leitwerte zeichnen die Kleidermarken aus, die der Kauri Store in sein Sortiment aufnimmt.

www.kauristore.com

④ WiaNui

„Wie neu“ lautet das Motto der Upcycling-Initiative. Dass sich Nachhaltigkeit durchaus sehen lassen kann, beweisen die hochwertigen Stücke, die in der Stadelgasse in Brixen erstanden werden können.

www.wianui.eu

E-Biken in Lüsen

Neben den bewährten Radverleihen bieten heute auch einige Hotels ihren Gästen Elektroräder an. Empfehlenswert für eine Tour ist vor allem die Lüsner Alm, die gemeinsam mit der Rodenecker Alm ein Hochplateau bildet: 20 Quadratkilometer mit sanften Almwiesen und einer sagenhaften 360-Grad-Aussicht auf die umliegenden Berge.

www.luesen.com

auf der ❺ Lüsner Alm. Von hier genießen wir freie Sicht auf den mächtigen Peitlerkofel, die Geisler und die dahinterliegenden Dolomiten, ins Eisacktal Richtung Süden und zum schneebedeckten Alpenhauptkamm Richtung Norden. Weite Almen breiten sich zwischen duftenden Zirbenwäldern aus, im Hintergrund grasen die Kühe.

In dieser Umgebung wird schnell verständlich, was Hinteregger meint, wenn er vom Potenzial der scheinbaren Benachteiligung spricht. Im Lüsner Tal hat man dieses rechtzeitig erkannt und ein vielseitiges Netz aus Wander- und Forstwegen geschaffen, die im Winter zum Rodeln, Winter- und Schneeschuhwandern genutzt werden können. Heute steht das Lüsner Tal für sanften Tourismus und entspannten Naturgenuss. Hinteregger ist selbst auf den Geschmack gekommen: Mindestens einmal pro Woche begleitet er seine Gäste mit dem E-Bike auf die umliegenden Berge und kehrt danach müde, aber erfüllt zurück in sein Hotel.

So fühlen auch wir uns abends im Pennhof, nach einem abwechslungsvollen und begegnungsreichen Tag in den Bergen: müde, aber nicht erschöpft, zur Ruhe gekommen, aber auch mit neuem Elan. Für etwaige Strapazen entschädigt ohnehin das vielseitige Abendmenü.

Durch die Panoramafenster der Speisesaalveranda sehen wir die im Abendrot leuchtenden Dolomiten und im Vordergrund Elmar Braun, wie er gemeinsam mit einem Mitarbeiter alte Holzkisten zur Feuerstelle schleppt. Statt Brennholz werden brennbare Abfälle in ein Lagerfeuer verwandelt, ganz im Sinne des sich schließenden Kreislaufs. Kurz darauf knistert und lodert es schon, und nach und nach lösen die menschengemachten Flammen das Leuchten der Berge im letzten Abendlicht ab. Nachhaltigkeit, Glück und Genuss, das scheint uns nach einem solchen Urlaub kein Gegensatz mehr zu sein.

Weite Almen breiten sich zwischen Zirbenwäldern aus, im Hintergrund grasen Kühe.

Hofläden in Klausen und Umgebung

Tschotthof

Der Hof in Villanders bietet Fruchtaufstriche und Sirupe aus selbst angebauten Kirschen, Aprikosen, Äpfeln oder Beeren, Kräuter- und Blütensalz, Speck oder Trockenobst.

www.tschott.com Radoar

Kräftig an der Hofglocke klingeln – so gelangt man zum kleinen Laden des Radoarhofs in Feldthurns. Zu kaufen gibt’s Wein und Schnaps, Apfelsaft, Essig und Dörrobst, im Herbst auch frische Bio-Kastanien oder Nüsse.

www.radoar.com Obergostnerhof

In Pardell bei Klausen bietet Familie Gasser im kleinen Hofladen Spezialitäten aus eigenem Anbau: etwa Honig, Apfelessig oder „Kloazn“, getrocknete Birnen.

www.gasser.bz.it

Am Tötscherhof wird nach altüberliefertem Bauernrezept Brot aus Sauerteig gebacken.

Nachhaltigkeit für Kleine

Bühlerhof

Von der Milch zur Butter, vom Korn zum Brot: Am Bühlerhof in Raas (Natz-Schabs) lernen Kinder spielerisch lokale Produktionskreisläufe kennen, inklusive Verkostung des Selbstgemachten. Mit Streichelzoo, Bauernhofolympiade und kindgerechten Hofführungen erleben sie nachhaltige Landwirtschaft.

www.buehlerhof.it

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