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Kleiner Raum, große Kunst

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Spektakuläre Orte

Spektakuläre Orte

Kleiner Raum, g roße Kunst

— MICHAEL PEZZEI Fotos — MARIANNA K ASTLUNGER, Text

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Peter Senoner

Porträts

Mal engagiert, mal kolossal, mal filigran. Die Kunstszene des Eisacktals ist lebendiger denn je, sie steckt voller Abwechslung und Überraschungen – und schaut längst über den Südtiroler Tellerrand hinaus. Drei Atelierbesuche

AliPaloma

Astrid Gamper

Schmieden, Schlossereien und Glasbläsereien. AliPalomas Werke werden in den Werkstätten befreundeter Handwerkerinnen und Handwerker gefertigt.

Unten rechts:

So entstehen Bergminiaturen aus Wachs.

Die Engagierte AliPaloma

In Stufels, dem ältesten Stadtteil Brixens, ist ein besonderes Flair spürbar: Kopfsteinpflaster, malerische Altbauten und diverse Ateliers prägen die Seele dieses Viertels, das auch der Konzeptkünstlerin AliPaloma eine Heimat bietet. „Ich liebe Stufels, das ist ein sehr intimes Ding“, sagt sie. Ihr Arbeitsplatz ist ein CoWorking-Büro in einer ehemaligen Metzgerei, die in den vergangenen Jahrzehnten schon mal zum Obstladen, Nudelgeschäft und Internetcafé umfunktioniert wurde. Ihre Werke entwirft sie hier am Computer. „Ich finde mein Thema, überlege mir ein passendes Material und das dazugehörige Medium“, schildert die Künstlerin, die eigentlich Alexandra Paloma Angerer heißt, grob ihre Arbeitsweise.

Aktuell untersucht die 28-jährige Künstlerin gesellschaftspolitische Dringlichkeiten wie den Klimawandel und die Zerbrechlichkeit der Risikogesellschaft, erschafft dazu Bergminiaturen aus Wachs und fragile Ankerketten aus Glas. Produziert werden die Artefakte in den Werkstätten befreundeter Handwerkerinnen und Handwerker. „Schmieden, Schlossereien, Glasbläsereien, da gibt es so manche Universalgenies, die immer Lust haben, eine Lösung zu finden, egal wie experimentell der Entwurf auch sein mag“, erzählt sie. Fragt man AliPaloma nach ihrer persönlichen Einschätzung zur lokalen Kunstszene, so antwortet die gebürtige Brixnerin mit großem Enthusiasmus: „Ich habe hier viele Entfaltungsmöglichkeiten, die ich in der Großstadt, schon allein wegen des Überangebots, nicht hätte“, stellt sie fest. Die Südtiroler Szene habe auf verhältnismäßig kleinem Raum tolle Präsentationsangebote. Dazu gehört die Brixner Stadtgalerie, aber auch die Festung in Franzensfeste, die die studierte Architektin im vergangenen Sommer mit einer Installation aus Kristallglasziegeln und einer Performance bespielte. „In der Feste wurden 20 Millionen Ziegeln verbaut, die eine beklemmende patriarchalische Macht versprühen“, sagt sie. Ein Thema, das sie ebendort anhand einer 250 Kilogramm schweren Glaswand darstellte. „Gegen Ende der Ausstellung dachte ich, ich kann diese Wand nicht einfach brav abtragen … und habe sie für eine Videoperformance umgeworfen. Das war sehr emotional.“

Ihre Heimat mag AliPaloma auch wegen der Natur und Landschaft, wo sie oft sportlich unterwegs ist: „Als AliPaloma schlüpfe ich immer in eine Rolle. Die Leute sind dann fast enttäuscht, wenn sie sehen, wie normal ich privat eigentlich bin.“ Manchmal wundert sie sich über das romantisierte Bild ihres Künstlerberufes, das laut Klischee nur im Wahn zu bewerkstelligen ist. „Dabei besteht mein Joballtag aus viel Organisation, Recherche, Getüftle und Geschleppe.“

www.alipaloma.com

Wer auf der Autobahn Richtung Norden unterwegs ist, hat ihn womöglich schon mal oben an den Hängen vor Klausen gesichtet: den „COR circus“, einen zehn Meter hohen Bronzekoloss auf einem knallpinken Stahlgerüst, der über das Eisacktal wacht. Er ist ein Werk von Peter Senoner, Bildhauer und Künstler mit einer Vorliebe für große skulpturale Setzungen, die eine räumliche, ja fast architektonische Komponente einnehmen. In seinem Großatelier oberhalb des Kolosses wird aber ersichtlich, dass sich der 51-Jährige letztens auch intensiv mit Zeichnungen beschäftigt, speziell mit dem Zusammenspiel der Materialien in performativen Settings. Davon zeugen großformatige androgyne Porträts und artifizielle Landschaften, die 2021 beim zeitgenössischen Kunstfestival Transart im TerraXCube des Bozner Technologieparks NOI entstanden sind. Das Atelier wurde in den Kubus verlegt, in dem klimatische Bedingungen wie auf 4.500 Meter Höhe herrschten, bei -35 Grad Celsius, Wind und Schneesturm. In diesem unwirtlichen Raum arbeitete Senoner live an der Werkserie ARTARCTIC mit Grafit und Pigmenten auf speziell vorbereiteten Holzpaneelen. „Ich wusste nicht, wie sich das Ganze auf meine Kreativität und Arbeitsweise auswirken würde, musste immer wieder Eisschichten wegschlagen. Ein unglaubliches Erlebnis“, so beschreibt er die Performance, die zudem in Tokio virtuell in einem Galeriesetting erlebbar war. Mit seinen Positionen untersucht Senoner seit 25 Jahren die menschliche Existenz zwischen Technologie und Naturwissenschaften. Geprägt haben ihn mehrere Jahre Arbeit in Deutschland, den USA und Japan. Ebenso international lesen sich die Adressen der Transportkisten, in denen Skulpturen zu Ausstellungen nach München, Mailand oder Los Angeles verfrachtet werden. Freie Mitarbeiter unterstützen ihn dabei. „Ich arbeite an mehreren Werken und Projekten gleichzeitig, zusätzlich gibt es immer wieder Einladungen zu freien Lehraufträgen, etwa am Institut für experimentelle Architektur Innsbruck, der Fakultät für Kunst und Design Bozen oder aktuell an der TH Rosenheim. Dadurch bin ich viel unterwegs“, sagt er, während er das Tor zu seinem zweiten Atelierraum öffnet. Nach Jahren des Pendelns hat er sich dazu entschieden, sich hier fix einzurichten, wo er konzentrierter arbeiten und seine Aufenthalte im Ausland gezielter planen kann. „In diesem Atelier passiert völlig analoge Bildhauerei“, sagt Senoner und deutet auf einen noch unbearbeiteten Holzblock. Aus diesem kreiert er Figuren, die aussehen, als wären sie gar nicht aus Holz, mit Attributen wie Headsets und ineinanderwachsenden, organischen Formen. Die vollendete Skulptur dient dann als Vorlage für die Gussform der eigentlichen Bronzeplastik, die später im Atelier satiniert, patiniert oder hochglanzpoliert wird. Neben dem Holzblock stehen einige Güsse mit rauem Körper und spiegelglattem, maskenhaftem Gesicht. Je nach Blickwinkel und Lichteinfall wirken sie faszinierend oder verstörend.

Einen Ausgleich zur Arbeit findet der passionierte Bergsportler in der Südtiroler Natur mit all ihrem Facettenreichtum. Und wie lebt es sich auf dem Land? „Dank Internet hat sich alles verändert. Man kann selbst im höchstgelegenen Bergdorf intellektuell mit der ganzen Welt verbunden sein“, sagt er. Außerdem kämen Sammler und Kuratoren gerne hierher: „Sie sind positiv überrascht von der kulturellen, landschaftlichen und kulinarischen Vielfalt des Landes. Nach dem Atelierbesuch lade ich sie gerne ins Dorfgasthaus ein“, sagt er abschließend, „auch das macht diese Vielfalt aus.“

Der Mann fürs Kolossale Peter Senoner

www.petersenoner.com

Links: In seinem

Atelier setzt sich der Künstler mit androgynen Porträts und artifiziellen Landschaften auseinander.

Rechts: „COR circus“,

zehn Meter hoch, an den Berghängen über Klausen.

Rechts: Schichten,

Verwischungen, Kratzer. Aus mehreren Zeichnungen, die zerrissen und neu aufgeklebt werden, entstehen Figuren.

Unten: Vom kleinen

Atelier aus blickt man in die Altstadt von Klausen – und bis hinauf zum Kloster Säben.

Der Blick fürs Filigrane Astrid Gamper

Künstlerische Auseinandersetzung mit dem Körper, speziell mit dem weiblichen Akt – stets mit empathischem Blick.

Von ihrem kleinen Atelier im Torhäuschen zum Ansitz Griesbruck in Klausen hat Astrid Gamper einen wunderbaren Blick auf den Eisack und Kloster Säben. Wenn man ihn wieder retour auf die altehrwürdigen Mauern des Ansitzes schweifen lässt, entdeckt man zarte Parallelen zu ihrem Schaffen. „Siehst du die verwitterten Fresken und die Zeichnungen dort an meinem Turm? Die Geschichte dieses Ortes und die vergangene Zeit sind in diesen Mauern spürbar“, sagt sie. Dass Zeit spürbar wird, ist der Künstlerin auch in ihren Werken wichtig. Träger ihrer künstlerischen Auseinandersetzung ist der Körper, speziell der weibliche Akt, wobei ihr Blick auf den Körper ein ganz besonderer ist: Astrid Gamper hat Haltung und Gestalt aus der Perspektive der Mode studiert. In ihren großformatigen Zeichnungen zeigt sie einen empathischen Blick auf die Empfindsamkeit und Verwundbarkeit des Lebens.

Mit schwarzem Grafitstift und einem weiten Spektrum an Grauschattierungen zeichnet sie Frauenfiguren auf weißem Papiergrund. Jeder dargestellte Körper besteht aus mehreren Zeichnungen, die sie zerreißt, um Teile davon wieder aufzukleben und zu einer einzigen Figur verwachsen zu lassen. Die Risse, Verwischungen und Kratzer sowie die Häutungen, die durch das Wegnehmen der Schichten entstehen, zeigen Verwundungen und Verwandlungen. „Mich faszinieren die Spuren, die sich im Laufe des Lebens in die Körper und Seelen eingraben“, sagt Gamper. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Spuren bleiben zurück. Ist es nicht schlimm, alte Zeichnungen zu zerstören? Sie lacht. „Ja sicher. Es wirkt zerstörerisch, aber für mich ist es die Basis einer gelingenden Umwandlung. Es ist genau das, was mich interessiert. Im Laufe des Lebens verändern wir uns durch unsere Erfahrungen und Erlebnisse und daraus entwickeln sich unsere Persönlichkeit und Identität, diese Metamorphose zeige ich auch in meinen Zeichnungen.“ Die Suche nach der Quelle der inneren Stärke ist Gamper dabei besonders wichtig. Ihre Figuren scheinen zart und verletzlich, aber sie ruhen in ihrem Gleichgewicht. In ihrer Zartheit liegt die ganze Kraft des Lebens.

Mit dem letzten großen Werk, einem raumhohen Papierkokon, gewann sie 2021 in Florenz den Kunstpreis „Lorenzo il Magnifico“ in der Kategorie „Installation Art“. Der Kokon ist im Fallen, die Figuren darauf lösen sich auf. Das Baby liegt am Boden und ist auf abgeblätterte Stücke des Papierkokons gezeichnet. „Ich versuche mich einzufühlen, empfindsam zu sein, mein Blick auf diese Welt ist ein empathischer“, sagt die 50-jährige Künstlerin und nennt ein Beispiel: „Wenn ich Babys zeichne, frage ich mich automatisch, wie wir mit dieser Welt umgehen und was wir unseren Kindern hinterlassen.“

Und wie schätzt sie die Eisacktaler Kunstszene ein? „Ich bin selbst Kunst- und Kulturschaffende in Klausen“, sagt sie mit Freude. „Es gibt hier große und kleine Projekte, die das Künstlerstädtchen in die Zukunft führen werden.“ Im Kulturgüterverein engagiert sich Gamper schon seit vielen Jahren für die Kulturschätze der Stadt und im Bildungsausschuss bringt sie als Vorsitzende mit viel Energie Projekte auf den Weg. „Ich fühle mich stark verbunden mit meiner Heimatstadt Klausen. Meine Kreativität schöpfe ich aus meinem Inneren. Aber meine feinen Antennen habe ich in der Welt draußen.“

www.astridgamper.com

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