Weise Worte Der Dalai Lama im Exklusivinterview Recycling – Schweizer Sammelwut schafft kostbares Gut
Rauschen im Blätterwald: was Bäume für Geschichten erzählen können
Nr. 281 | 10. bis 23. August 2012 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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Titelbild: Simon Murphy, INSP
Editorial Weise und intelligent BILD: ZVG
«In der Vergangenheit halfen uns die Bäume. Ihre Blüten schmückten uns, ihre Früchte nährten uns, ihre Blätter und ihre Fasern kleideten uns und gewährten Unterschlupf. Heute, wo wir von komplizierten Maschinen und Computern in unseren modernen Büros umgeben sind, ist es leicht, unsere Verbindung zur Natur zu vergessen», lautet ein beliebtes Zitat des Dalai Lama, und es klingt, wie weise Worte oft klingen – nämlich etwas anachronistisch. In einer Welt, die von Breaking News geprägt ist, tendieren sie zu null Nachrichtenwert. Denn sie benennen viel grundsätzlichere Dinge als die Aktualität. Da sitzen wir also bei der Bildauswahl an unseren Computern und sehen uns Bäume an. Michel Brunner hat sie für seinen Bildband «Baumriesen der Schweiz» foto- DIANA FREI grafiert und eigens für uns ihre Geschichte erzählt. Das sind keine Breaking News, REDAKTORIN aber es ist eine weise Angelegenheit. Denn die Geschichten öffnen den Blick aufs Ganze. Rücken die Relationen etwas zurecht. Eine Eiche von 1500 Jahren zum Beispiel. Die fing an zu wachsen, als die Franken gerade damit beschäftigt waren, die Alemannen und Westgoten zu besiegen. Und jetzt, da Hollande und Merkel telefonieren, um die Eurozone zu retten, steht sie immer noch da. Die Eiche hätte was zu erzählen. Bäume seien intelligent, sagt Baumspezialist Michel Brunner: «Intelligenz ist die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Optionen wählen zu können. Das können Pflanzen.» Es ist eine überraschende, weil instinktive Art von Intelligenz. Eine ebenso wenig geläufige Definition fand der Dalai Lama im Gespräch mit Danielle Batist vom Internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP: Intelligenz als Korrektiv der Emotion, das uns hilft, unser Verhalten zu beurteilen. Die Intelligenz ist dazu da, gerade auch unerfreulichere Gefühle wie Wut und Missgunst in Schach zu halten. Fazit: Es kann nie schaden, seine Intelligenz nicht nur in die prestigeträchtigen Aufgaben am Computer zu investieren, sondern sich bei aufkeimendem Zorn bewusst zu machen, wozu man eigentlich so intelligent ist. Statt wie die Axt im Walde zu wüten. Mit dieser Ausgabe verabschieden wir Delia Lenoir als Kolumnistin, danken ihr für fast sieben Jahre Familiengeschichten und Irene Meier für ebenso viele Jahre der optischen Umsetzung. Wir werden Oncle Paul und Tante Catherine vermissen. Aber wir freuen uns auch auf einige Neuerungen im nächsten Heft. Legen Sie sich für die Lektüre unter einen knorrigen Baum und geniessen Sie das Rauschen der Blätter. Herzlich Diana Frei
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@vereinsurprise.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 281/12
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10 Dalai Lama «Auf eine gewisse Art bin auch ich heimatlos» Der Dalai Lama hat im Sommer Grossbritannien besucht und dem internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP ein exklusives Interview gegeben. Mit der Journalistin des INSP hat er nicht nur über die Lage der Tibeter gesprochen, sondern auch darüber, was die Verkäufer von Strassenzeitungen direkt betrifft: über Heimat, Einsamkeit und Sparmassnahmen in der Wirtschaftskrise.
BILD: SIMON MURPHY, INSP
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Inhalt Editorial Baumgeflüster Basteln für eine bessere Welt Geschickt gewickelt Aufgelesen Kicken gucken Zugerichtet Zu viel Zivilcourage Leserbriefe Heimweh-Kompressoren Starverkäufer Tesfagabir Ghebreab Porträt Pistenpunk Lösungen Bimarus und Sudokus aus Heft 280 Le mot noir «Häschen, ich brauchte ein Thema» Heldentheater Schweizerisch-iranischer Mythentausch Kulturtipps Wie man Wünsche wahr macht Ausgehtipps Theatralischer Grillabend Verkäuferporträt Biologe schnuppert Käse Projekt Surplus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
14 Recycling Die Wegwerfgesellschaft ILLUSTRATION: PATRIC SANDRI
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Recycling ist eine gute Sache. Material wird zu neuem Material, zumindest teilweise. Immer mehr Stoffe können wiederverwertet werden: In ersten Versuchen werden im Zürcher Oberland Getränkekartons rezykliert, und in Bern kann Plastik zur Sammelstelle gebracht werden. Es gibt aber ein Problem. Beim Recycling werden nicht nur Abfallstoffe wiederaufbereitet, es wird auch das Gewissen der Menschen gereinigt.
BILD: MICHEL BRUNNER
16 Faszination Baum Unter mächtigen Kronen Schweizer Wälder und Wiesen sind voll mit bemerkenswerten Bäumen, die oft unbeachtet bleiben. Michel Brunner hat viele davon besucht und fotografiert. Eine kommentierte Bildergeschichte über eine dicke Linde, eine verdrehte Eibe, eine eitle Eiche und andere ungewöhnliche Bäume.
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ILLUSTRATION: WOMM
Oyster
Oyster
1. Sie brauchen: 400 Gramm Klebreis (= Sushireis), 150 Gramm grüne, getrocknete Mungbohnen, 1 Paket Bananenblätter, 3 Esslöffel Fischsauce (alles im Asia-Shop erhältlich), 250 Gramm Schweinefleisch, gestossener Pfeffer, 2 Meter Kordel
2. Waschen Sie den Klebreis, bedecken Sie ihn mit kaltem Wasser und lassen Sie ihn über Nacht einweichen. Weichen Sie die Mungbohnen mindestens zwei Stunden in warmem Wasser ein, giessen Sie sie ab und kochen Sie sie in reichlich Wasser weich. Zerdrücken Sie sie dann zu Püree. Marinieren Sie das Schweinefleisch in Fischsauce und Pfeffer.
3. Nehmen Sie die Bananenblätter aus der Packung, falten Sie sie auseinander, säubern Sie sie mit einem feuchten Tuch und bügeln Sie sie kurz mit einem Dampfbügeleisen, bis sie biegsam geworden sind.
4. Legen Sie ein Bananenblatt auf der Arbeitsfläche aus und legen Sie darauf im rechten Winkel ein zweites. Häufen Sie Klebreis darauf, dann eine Schicht Bohnenpüree und Schweinefleisch, dann wieder Bohnenpüree und zum Schluss den restlichen Reis.
5. Falten Sie die linke und rechte Seite der Bananenblätter zur Mitte hin, legen Sie die oberen und unteren Blätter darüber und verschnüren Sie das Ganze zu einem Paket. Kochen Sie Ihre Pakete im Wasserbad etwa 3 bis 4 Stunden, lassen Sie sie abkühlen.
6. Packen Sie sie aus und schneiden Sie den Inhalt mit einem Draht in dünne Scheiben. Servieren Sie sie Ihren Bürokollegen mit etwas Fischsauce und Pfeffer.
Basteln für eine bessere Welt Sie lesen es im vorliegenden Heft: Was wir an Essen kaufen, verursacht Abfall, und unser Autor redet uns ab S. 14 ins Gewissen, Recyceln sei nur die halbe Lösung, Vermeiden die bessere. Wir haben noch einen Vorschlag: Kochen Sie Ihren Reiskuchen einfach in Bananenblättern und nehmen Sie ihn so ins Büro mit! SURPRISE 281/12
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Mageres Verständnis für Dicke Stuttgart. «Mit Gewicht wird nur Negatives assoziiert wie Faulheit, oder dass man ungepflegt, fast schon asozial ist», erklärt eine 30jährige Frau mit 218 Kilo. Alkoholiker, Drogensüchtige und andere Menschen am Rande der Gesellschaft können mit mehr Verständnis rechnen. Dicke sind in den Augen der Allgemeinheit selber schuld, dabei sind oft auch Krankheit und falsche Medikamentierung ein Grund für das Übergewicht. Trottwar setzt sich mal für eine andere Randgruppe ein.
Mitgehangen London. In der Olympia-Ausgabe spricht Goldmedaillengewinner Tommie Smith von Peter Normann, dem weissen australischen Sprinter, der 1968 mit ihm und John Carlos auf dem Podest stand, als sie ihre schwarz behandschuhten Fäuste zum Black Power Salute streckten. Normann unterstützte sie nicht nur mit Bürgerrechts-Button. Er hatte auch die Idee, dass sie das eine Paar Handschuhe teilen. Wegen seiner Zivilcourage wurde er 1972, obwohl Landesbester, nicht selektioniert. Selbst als 2000 die Spiele in Sydney stattfanden, wurde er nicht eingeladen.
Am Ball Paris. Die jungen Filmemacher Mitja Thomas und Konstantin Stell haben beim Homeless World Cup 2011 in Paris nicht nur wunderbare Spiel- und Turnierimpressionen eingefangen. Für ihren kurzen Dokumentarfilm «Offsight» befragten sie Spieler und Betreuer der 64 Teams aus aller Welt unter anderem dazu, was für sie homeless, also obdachlos sein, bedeutet. So unterschiedlich die Herkunft und Lebensumstände der Spieler, so verschieden auch ihre Ansichten. Eindrücklich, ergreifend und inspirierend. http://vimeo.com/36866674
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Zugerichtet Hände aus den Hosentaschen! Heiss sei es gewesen an jenem Freitag im Juli 2007. Der Schweiss sei ihm in den Hemdkragen gelaufen, als er um etwa 14.45 Uhr mit seiner Partnerin vom Auto zu einer Tierhandlung unterwegs gewesen sei, erinnert sich der spätere Geschädigte. Dabei passierte das Paar eine Patrouille des polizeilichen Assistenzdienstes (PAD), die gerade dabei war, in der sengenden Hitze einen Drogensüchtigen bis in die letzte Ritze zu filzen. Gegenüber seiner Begleiterin bemerkte er noch, wie himmeltraurig elend der Junkie doch auch zwäg sei. Und wie menschenverachtend, wie man ihn hier mitten in der Stadt in der Sonne schmachtend auseinandernehme wie einen Schwerverbrecher. Um circa 15.30 Uhr forderte eine PAD-Patrouille bei der Einsatzzentrale Verstärkung an. Wenige Minuten später trafen drei Beamte der «Wache Spezial» am «Tatort» ein, wo sich der spätere Geschädigte jetzt lauthals empörte. Er zahle doch nicht Steuern für nutzlose Kontrollen der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft! Und beim Anblick der anrückenden Polizisten brüllte er: «Ihr würdet besser einen Kranken- als einen Kastenwagen bestellen!» Der Wachtmeister verlangte vom tobenden Störer einen Ausweis, welchen dieser aber nicht vorweisen konnte, weil er ihn im Auto hatte. So begaben sich die beiden zum Parkplatz, der aber, oh Schreck, leer war. Seine Partnerin müsse inzwischen weggefahren sein, erklärte der zu Kontrollierende. Sie komme sicher gleich wieder, versicherte er, schliesslich müsse sie ihn ja noch abholen. Der Polizist nahm wohl an, er werde veräppelt. Zudem hatte der Stö-
renfried inzwischen die Hände in die Hosentaschen gesteckt und traf auch keine Anstalten, diese wieder herauszunehmen, nachdem er dazu aufgefordert worden war. Zwanzig Sekunden lang. Die Weigerung führte dazu, dass dem Mann «polizeilicherseits die Hände aus den Hosentaschen gezogen und mit Handschellen auf dem Rücken zusammen gebunden wurden», wie es in der Anklageschrift heisst. Nur Augenblicke später fuhr tatsächlich die Partnerin vor, und die Identität des Mannes konnte geklärt werden. Zu spät. Der Mann, nun vollends ausser sich, wurde verhaftet und auf die Wache verbracht. Das hätte die Polizei nicht tun dürfen, urteilte nun eine Richterin und sprach den Einsatzleiter der Freiheitsberaubung und des Amtsmissbrauches schuldig. Besteht kein dringender Verdacht auf ein Verbrechen und kann ein Bürger sich ausweisen, darf er oder sie nicht verhaftet werden. Auf der Wache wurde der Mann dann auch noch mit einem Nasen-Kopf-Drehgriff zu Fall gebracht, als er sich weigerte, die Arrestzelle zu betreten, wobei er sich mittelschwer am Knie verletzte. Was einem zweiten Polizisten eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung einbrachte. Nur jener, der die Leibesvisitation durchführte, wurde freigesprochen. Die Verteidiger der Polizisten zeichneten in der Verhandlung vom Geschädigten das Bild eines schwerst renitenten Mannes, der eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt. Einer, der vorliegend aus ideologischen Gründen gehandelt habe. Stimmt, meint der Geschädigte, schliesslich sei er ja auch Pfarrer.
YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 281/12
Leserbriefe «Die Grabesruhe in der Stadt sollte noch viel ausgiebiger gestört werden»
Bettler geben sich als Strassenmusikanten aus Es ist grundsätzlich festzuhalten, dass es nicht einfach den Sammelbegriff «Strassenmusik» gibt. Meine Frau und ich sind oft in Luzern anzutreffen. Dort musizieren gerade in der Ferienzeit vielfach junge Leute spontan auf der Strasse, um etwas Geld zu verdienen. Es handelt sich dabei unverkennbar meist um Studierende. Diese verbleiben aber nicht länger an demselben Standort. Manchmal fragen sie in benachbarten Geschäften sogar noch, ob sie mit ihrer Darbietung nicht stören würden. Sie bieten einzeln oder in Gruppen Musik verschiedener Gattung auf recht hohem Niveau, sie betteln nicht, verhalten sich höflich und belästigen niemand. Das ist uns dann gut und gerne auch einmal ein «Nötli» wert. Ganz anders verhält es sich mit den organisierten Bettlerbanden sattsam bekannter Herkunft. Diese Leute hocken dann vor irgendeinem Geschäft, malträtieren ihren «Heimweh-Kompressor» (Handharmonika) und erzeugen schauerliche Töne, die mit Musik nichts mehr zu tun haben. Dabei belästigen sie mit ihrer Bettelei die Passanten zum Teil recht massiv. Da ist bei mir ganz sicher nichts zu holen. Ganz schlimm wird es, wenn solche «Musikanten» in Horden in Trams und Busse in Zürich einfallen, wo ihnen ihre Opfer nicht so ohne Weiteres entkommen können. Entsprechend aggressiv, frech und anmassend wird dann gebettelt, oft kann man das Vorgehen sogar direkt als Bedrohung und Nötigung gerade gegenüber älteren Personen bezeichnen. Mit Erfolg habe ich schon die Polizei gerufen, wenn die Bettelei allzu arg ausartete. Abschliessend noch ein dickes Kompliment für das Strassenmagazin Surprise, dieses hat in letzter Zeit inhaltlich, von der Themenwahl her stark zugelegt. Auch ich bin dadurch zum regelmässigen Leser geworden, obwohl meine Hauptlektüre ein anderes Segment betrifft. Meine Frau ist regelmässige Käuferin des Magazins. Hugo Enz, Adliswil
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch
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Strassenmusiker entschädigen statt schikanieren Surprise und die Idee dahinter gefällt mir! In der letzten Nummer vor allem der Artikel über die Strassenmusik. Ruhestörer find ich übrigens einen sehr treffenden Titel. Die Grabesruhe, die zuweilen in der Stadt herrscht, sollte noch viel ausgiebiger gestört werden! Man sehe sich die Innenstadt einmal an einem Sonntag oder abends nach Ladenschluss an. Sowas von Kulturlosigkeit im öffentlichen Raum! Der Kommerz mag lieber die Kultur in geschlossenen Räumen. Der Stadt würde es viel besser anstehen, sie würde die Strassenmusiker ihrerseits für ihre der Allgemeinheit dienenden Anstrengungen entschädigen, statt den Wünschen der Geschäftemacher zu gehorchen und die Strassenmusiker zunehmend zu schikanieren! Beni Gnos
Nr. 279: Wir rätseln Treffend: Spuk, Krimi und Pörtner Ich bin schon seit Jahren Leserin Ihres Magazins und freue mich immer auf die neuen Ausgaben. Die letzte ist sehr gut gelungen. Und zwar von Anfang bis Ende. Besonders gefallen haben mir die beiden Artikel über Spukphänomene und Kriminalistik sowie die Wörter vom Pörtner. Treffender hätte ich es nicht sagen oder schreiben können! Sandra Gerber, Winterthur Kreuzworträtsel für den Freundeskreis Mit dem Heft zum Thema Rätsel haben Sie den Vogel abgeschossen. Die Beiträge sind wie immer aufschlussreich, informativ, zum Teil humorvoll – kurz: einfach gut. Basteln für eine bessere Welt hat mich ganz besonders angesprochen. Ich habe gleich zwei mir liebe Personen mit einem selbstgebastelten Kreuzworträtsel beglückt. Hoffentlich haben sie ebenso viel Spass beim Lösen wie ich beim Ausdenken! Und der Hinweis auf Blingding wird meine Freundin und mich im November nach Baden locken. Ganz herzlichen Dank für die sehr ansprechenden Hefte. Ruth Schifferli, Bertschikon
BILD: ZVG
Nr. 278: Ruhestörer Im Rhythmus der Reglemente
Starverkäufer Tesfagabir Ghebreab Doris und Thomas Hochheimer Baumberger aus Muri schlagen Tesfagabir Ghebreab als Starverkäufer vor: «Tesfagabir Ghebreab verkauft jeweils an Wochenenden beim Coop in Muri. Er ist sehr diskret, äusserst freundlich (auch wenn wir kein Heft kaufen), nie aufdringlich. Er fragt, wie es einem geht, lässt Grüsse ausrichten, ist aber nie anbiedernd. In Gesprächen erzählt er auf sehr natürliche und offene Art von sich und seiner Familie. Er ist unser Starverkäufer.»
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Porträt Rotzlöffel macht Tische In ihrer Jugend schaffte es Katharina Keller aus blosser Fahrfreude an die Weltspitze der Snowboardszene. Doch dann wurden die Pistenpunks zu Spitzensportlern. Und Katharina Keller wurde zur Schreinerin. VON MANUELA DONATI (TEXT) UND DAVIDE CAENARO (BILD)
Katharina Keller schaut auf ihre Hände. Sie sind kräftig, aber nicht klobig. Jetzt gerade sieht man ihnen nicht an, dass sie an drei Tagen der Woche hart mit ihnen arbeitet: schleift, fräst, schneidet, lackiert. Arbeitet sie mit Massivholz, kann es gut sein, dass sie eine Woche lang schwarze Hände hat. Katharina Keller ist Schreinerin in der Zürcher Genossenschaft Tigel. «Es gefällt mir, dass ich etwas herstelle, dass ich am Ende des Tages sehe, was ich geschaffen habe», sagt sie. Im Tigel stellt sie fast ausschliesslich Tische her, doch in ihrer Wohnung in Zürich Wipkingen sind viele Möbel selbst gemacht. Manchmal sind ihr ihre Hände aber zu gross. In einer aufgestylten Frauenrunde fühle sie sich manchmal irgendwie nicht feminin genug, auch wenn sie zuvor zwei Stunden lang gebadet hat, um die Hände wieder sauber zu kriegen. Auch wenn Stellen mittlerweile für beide Geschlechter ausgeschrieben werden: Die Schreinerbranche ist nach wie vor ein traditionelles Arbeitsmilieu. So war es für sie nicht immer einfach, sich in einer Männerdomäne zu behaupten. Die blöden Sprüche auf der Baustelle zu ignorieren. Oder den Stolz herunterzuschlucken, wenn Kunden lieber mit dem männlichen Lehrling sprachen oder gleich den Chef verlangten. Katharina Keller lernte, damit umzugehen, denn sie ist ein praktischer und pragmatischer Mensch. Und vor allem macht ihr der Beruf so grossen Spass, dass sie von einer Passion spricht. Die Geburt ihrer Tochter Ida führte allerdings zu neuen Schwierigkeiten. «In der Baubranche muss alles schnell gehen», sagt sie. «Auf ein krankes Kind kann keine Rücksicht genommen werden.» Schliesslich machte sie sich auf die Suche nach einer Teilzeitstelle, die sie dann im Tigel fand. Seit sieben Jahren arbeitet die 36-Jährige nun als Schreinerin. Zuvor lebte sie ihre Leidenschaft, das Snowboarden. Als Jugendliche gehörte Katharina Keller zu den Pionieren des Sports in der Schweiz. Vom älteren Bruder motiviert, verbrachte sie so viele Tage wie möglich im Schnee. Es machte ihr nicht nur Freude, sie war auch gut – so gut, dass sie an ihrem ersten Contest gleich den Sieg holte und die anderen Fahrerinnen in den Schatten stellte. «Dieser Sport war wie für mich gemacht», erinnert sie sich. «Die Mischung aus Bewegung und Koordination machte Spass und war gleichzeitig auch eine Herausforderung.» Katharina Keller brach das Gymnasium ab, lebte ihre Sturm-und-Drang-Phase in der Snowboardwelt aus und zog mit ihrer Boarder-Clique umher, immer auf der Suche nach dem besten Schnee. «Als Snowboarder waren wir damals die Punks auf der Piste. Ich gefiel mir in der Rolle des Rotzlöffels.» Snowboarden sei weit mehr als nur ein Sport gewesen, eine richtige Lebensphilosophie. Doch die Snowboardszene veränderte sich. Die ehemalige Randsportart wurde 1998 olympisch, was eine Professionalisierung auslöste.
Manager, Trainer und Sponsoren kamen und veränderten die Branche. Katharina Keller, die zuvor ohne grossen Effort an der Weltspitze mitgehalten hatte, hinkte ihren Konkurrentinnen plötzlich hinterher – im Gegensatz zu ihr bereiteten sich diese nun wie Spitzensportlerinnen auf die Wettkämpfe vor. Schliesslich wechselte sie die Disziplin, von Freestyle zu Boardercross, einem Wettkampf, bei dem vier oder mehr Fahrer gleichzeitig gegeneinander einen Parcours hinunterfahren. Auch dort war sie immer vorne dabei, doch für die drei ersten Plätze reichte es selten. «Ich war nicht gemacht für den Leistungssport. Ich konnte mit dem Druck nicht umgehen und fühlte mich nicht mehr wohl», sagt sie rückblickend. Aus dem Lebensgefühl war ein Zwang geworden. Der Wendepunkt war dann ihr Sturz am ersten Weltcup der Saison 2000 in Sölden. Katharina Keller zog sich einen Kreuzbandriss zu und war fast froh, im Spital zu liegen und nicht an den Wettkämpfen teilnehmen zu müssen: «Es war wie ein Zeichen.» 2003 stieg sie dann endgültig aus. Der Abschied vom Snowboardzirkus, so sehr er ein eigener Entscheid war, fiel dann doch nicht leicht. Noch drei Jahre nach dem Ausstieg war Katharina Keller orientierungslos, auf der Suche nach einer neuen Passion, die so gross sein sollte wie die alte. Sie versuchte sich als Journalistin, machte einen einjährigen Lehrgang und schrieb über das
«Ich habe zwar keine Karriere im klassischen Sinn gemacht, aber ich habe immer geschaut, dass ich weiterkomme.»
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Snowboarden. Diese Aussensicht half ihr, sich von ihrem alten Leben zu verabschieden. Als sie sich für eine Schreinerlehre entschied, wusste sie: «Ich habe wieder etwas gefunden, das mir Freude macht.» Heute trägt sie die Erinnerungen an ihre Snowboardkarriere im Herzen. Töchterchen Ida spielt mit den Medaillen, ihr Freund trägt T-Shirts aus der Zeit zum Schlafen. «Ich habe keinen Schrein aufgebaut», meint sie lachend. Nur die Startnummer von den US Open habe sie aufbewahrt, «es war immer ein Traum von mir, dort mitzufahren». Ganz abgewandt vom Schneesport hat sich Katharina Keller aber nicht: Sie würde gerne wieder mehr auf dem Brett stehen, und auch Ida soll bald Skifahren lernen. In den nächsten fünf Jahren wird sich Katharina Keller aufmachen auf die Suche nach einer neuen Passion, denn aus körperlichen Gründen wird sie nicht ewig als Schreinerin arbeiten können. Einige Ideen hat sie schon im Hinterkopf, doch bis es so weit ist, will sie vor allem eines: mit sich selbst im Einklang sein. Zu diesem Wunsch hat die kleine Ida massgeblich beigetragen. «Ich habe zwar keine Karriere im klassischen Sinn gemacht, aber ich habe immer geschaut, dass ich weiterkomme», sagt sie. «Mit einem Kind relativiert sich das alles, und man lernt, mehr im Jetzt zu leben.» ■
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Dalai Lama «Emotionen und Intellekt bilden eine perfekte Kombination» Eines der grössten spirituellen Vorbilder unserer Zeit, seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama, gab auf seiner Reise nach Grossbritannien dem International Network of StreetPapers (INSP) ein exklusives Interview. Es wurde ein Gespräch über Heimatlosigkeit, Spiritualität jenseits von Religion und darüber, was passiert, wenn der Dalai Lama inkognito mit Strassenkehrern spricht.
VON DANIELLE BATIST (INTERVIEW) UND SIMON MURPHY (BILDER)
Massnahmen zu ergreifen. Das ist sehr schwierig. Das Traurige ist, dass Abertausende von Menschen am Existenzminimum leben. Aber um ehrlich zu sein, weiss auch ich nicht, wie man die Situation angehen könnte.
Viele Strassenzeitungsverkäufer haben kein Daheim. Buddha war die meiste Zeit seines Lebens ohne Zuhause. Und Sie haben fast Ihr ganzes Leben im Exil verbracht. Was bedeutet HeimatlosigÜber sich selbst haben Sie oft gesagt, das Wichtigste sei, die Hoffkeit für Sie? nung zu bewahren. In Ihrer Biografie schreiben Sie, Sie seien schon Menschen, die kein Zuhause haben, fehlt die Basis, die man zum Leben 1953 davon überzeugt gewesen, dass die Lage – egal was passiert braucht. Sie haben keinen Anker. Das ist sehr traurig. Aber von einem – schlussendlich besser werden würde. Wie schaffen Sie das? weiteren Blickwinkel aus betrachtet würde ich sagen, die ganze Welt ist unser Zuhause. Der Einzelne mag sich in einer schwierigen Situation befinden, aber er bleibt «Ich mische mich manchmal inkognito unters Volk. Denn mit immer ein Teil der Weltgesellschaft. Ich denke, es ist dem Menschen eigen, helfen zu wollen, dem Dalai Lama sprechen die Menschen nicht so offen wie wenn er sieht, dass es jemandem schlecht mit einem normalen Mönch.» geht. Auf eine gewisse Art bin auch ich heimatlos. Aber das kann auch ein Vorteil sein, Ich verlor im Alter von 16 Jahren meine Heimat. Dann verlor ich mit 24 denn so öffnet sich einem der Blick dafür, dass man auch anderswo ein mein Land. In den letzten 52 Jahren hat es viele Probleme gegeben. Die Zuhause finden kann. Wenn man nur eine einzige Heimat hat, kann Tibeter haben all ihre Hoffnung und ihr Vertrauen in mich gesetzt. Ich man darin leicht gefangen sein. kann aber nicht viel tun. Deshalb fühle auch ich mich manchmal hoffnungslos und verzweifelt. Aber letztendlich ist es viel besser, mit einer Strassenzeitungen sind vermehrt mit Verkäufern konfrontiert, die optimistischen Lebenseinstellung an Probleme heranzugehen. Man darf nicht die typischen Lebensgeschichten mitbringen, sondern bisnicht trübsinnig und mutlos werden. Das bringt gar nichts. Ich treffe vielang gut integriert waren. Schuld daran ist die globale Rezession: le Leute, die in einer schwierigen Situation leben. Trotz der widrigen Viele Menschen verlieren ihren Job und landen dann auf der Umstände erkläre ich ihnen, dass sie unbedingt immer selbstbewusst Strasse. Was denken Sie über die strikten Sparmassnahmen, mit sein und hart arbeiten müssen. denen manche Regierungen der Wirtschaftskrise begegnen? Das ist eine überaus komplizierte Situation. Ich denke, dass RegierunWie gelingt es Ihnen, Gefühlen wie Angst, Frustration oder gar gen zunächst verantwortlich sind für ein Land als Ganzes. Von daher Hass keine Chance zu geben? sind manche Massnahmen vielleicht tatsächlich nötig. Aber wenn man Merkt man, dass man an einer Situation nichts ändern kann, sollte man die Situation genauer betrachtet, tragen die früheren Regierungen und sich nicht zu sehr sorgen. Das führt nur zu Frustration, und die wiedeeinige Unternehmen die Schuld an der Misere. Ohne einen richtigen rum endet oft in Wut. Emotionen können zu viel Ärgernis führen. DesPlan und ohne Vorgaben denken sie zuallererst an ihren unmittelbaren halb hat uns Gott oder die Natur mit einem Gegengewicht ausgestattet: Gewinn. Sie kümmern sich nicht um langfristige Konsequenzen. Von der menschlichen Intelligenz. Wir Menschen sind aufgrund unserer Indiesem abstrakten Blickwinkel aus betrachtet – nicht aus der Sichtweise telligenz in der Lage, unser Verhalten zu beurteilen und einzuschätzen. des Einzelnen – ist die aktuelle Situation eine direkte Konsequenz ihres Emotionen und Intellekt bilden eine perfekte Kombination. Handelns. Erst jetzt, wo die Probleme deutlich werden, fangen sie an,
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In Ihrer Autobiografie «Das Buch der Freiheit» werfen Sie den staatlichen chinesischen Medien vor, die Menschen in die Irre zu führen, indem sie die Situation in Tibet von den Fünfzigerjahren an falsch darstellen. Wie wichtig ist die Rolle von unabhängigen Medien? Unabhängige Medien sind extrem wichtig. So wie ich das sehe, sind die Medien fast wie ein drittes Auge. Heutzutage ist manchmal sogar das dritte Auge etwas voreingenommen.(Lacht.) Das ist ein Problem. Wenn die Medien zuerst eine objektive Analyse erstellen und anschliessend den Menschen davon berichten, dann ist ihre Rolle sehr hilfreich und überaus effektiv. Wenn ich Medienleute treffe, sage ich ihnen immer, sie sollen ihre Nase überall hineinstecken und nach allen Seiten hin recherchieren – nicht nur das Vordergründige, sondern auch hinter den Kulissen.
Moral und Ethik die Basis eines glücklichen Lebens sind. Eines haben die grossen Religionen und Traditionen sowie auch die Nicht-Gläubigen gemeinsam: Jeder möchte glücklich sein und eine glückliche Familie haben. Manche Menschen glauben, dass ihr Leben sinnvoll ist und sie glücklich macht, wenn sie nur Macht und Geld haben. Das ist ein Fehler. Glück und Leid sind Teile des Verstands. Sie sind eine mentale Erfahrung. Nur über mentales Training ist es möglich, Schmerzen und Trauer zu lindern sowie Glück und Freude zu steigern. Seit 2009 gab es laut dem Tibetischen Zentrum für Menschenrechte und Demokratie 37 Selbstverbrennungen. Wie denken Sie darüber, dass manche Ihrer Landsmänner zu solch extremen Methoden greifen, um auf die Unterdrückung der Tibeter hinzuweisen? Die Dinge, die in Tibet geschehen, sind natürlich sehr, sehr traurig. Auf eine Art zeigen sie, dass die Tibeter stark an Gewaltlosigkeit glauben: Sie wollen anderen nicht weh tun. Sie tun sich selbst weh, indem sie sich anzünden. Das ist sicher ein Ausdruck der Verzweiflung. Vom buddhistischen Standpunkt aus hängt jede Tat davon ab, welche Motivation dahintersteckt – egal, ob die Tat positiv oder negativ ist. Wir müs-
Wenn Sie an Ihr Land denken: Was sind die wichtigsten Geschichten, die erzählt werden müssen? Man muss sich klarmachen, dass der Kampf der Tibeter strikt gewaltlos ist und ganz im Geiste der Versöhnung steht. Deshalb sind wir auf weltweite Unterstützung angewiesen. Wir müssen erfolgreich sein. Wenn wir verlieren, wird das die Menschen ermutigen, die auf andere Methoden setzen, Gewalt «Wir müssen mit unserem gewaltlosen Kampf erfolgreich eingeschlossen. Zudem gibt es ein wichtiges Thema, das nichts mit Politik zu tun hat, sonsein. Wenn wir verlieren, wird das die Menschen ermutigen, dern mit Umweltschutz. Das Hochland von Tidie auf andere Methoden setzen, Gewalt eingeschlossen.» bet, ein Teil des Himalaja-Gebirges, spielt eine grosse Rolle bei der Erderwärmung. Fast alle sen jeden Vorfall unter buddhistischen Gesichtspunkten bewerten. Poligrossen Flüsse in diesem Teil der Erde entspringen dort. Deshalb ist die tisch gesehen sind die Tibeter in Tibet mein Chef. Ich halte mich seit 52 Bewahrung der tibetischen Natur nicht nur im Interesse der Tibeter. Jahren für das freie Sprachrohr des tibetischen Volkes. Von daher habe Mehr als eine Milliarde Menschen sind abhängig von diesen Flüssen. In ich kein Recht, über das Verhalten meines Chefs zu urteilen. den Fokus gehören auch Berichte über die tibetische Kultur, eine Kultur des Friedens, der Gewaltlosigkeit und des Mitgefühls. Wir leben in einer Sie haben nun mehr als 50 Jahre im Exil gelebt und sind weltweit sehr materiellen Welt, in der es nur um Konsum geht. Dabei gibt es vieeine der am meisten anerkannten Persönlichkeiten. Wie schaffen le moralische Probleme, die manchmal zu Gewalt führen – vor allem unSie es, dem alltäglichen Leben innerhalb und ausserhalb von Titer Jugendlichen. Sobald sich diese jungen Menschen einem Problem bet verbunden zu bleiben? gegenübersehen, reagieren sie oft mit Gewalt. Innerhalb von Tibet gab es ein paar Gelegenheiten, bei denen ich mich bei meinem Reisen inkognito unters Volk gemischt habe. Manche haben Denken Sie, dass die Unruhen in Grossbritannien im letzten Sommich gefragt, wo der Dalai Lama sei. Denen habe ich gesagt: Oh, der Damer ein Beispiel dafür sind? lai Lama ist da drüben. Später hielt ich eine Rede und entdeckte im PuJa, ich denke, das ist ein Indikator. Ich dachte, die Menschen in Grossblikum eine Frau, die ich auf einem meiner Inkognito-Ausflüge kennenbritannien wären reifer und friedlicher. Als ich dann die Nachrichten gelernt hatte. Als sie mich erkannte, konnte sie es kaum glauben. hörte, war ich überrascht und schockiert zugleich. Das zeigt sehr deut(Lacht.) Das war immer recht lustig. Mein Beweggrund war allerdings lich, dass man nicht alles als selbstverständlich annehmen sollte. Und herauszufinden, was wirklich vorgeht. Wenn die Menschen wissen, man sollte auf keinen Fall alten Denkweisen nachhängen. Wir müssen dass du der Dalai Lama bist, sprechen sie nicht so offen mit dir, wie uns jetzt ernsthafter mit den sozialen und kulturellen Zuständen bewenn sie denken, dass du ein normaler Mönch bist. In der Vergangenschäftigen. heit antwortete nicht einmal meine Entourage ganz ehrlich, wenn ich sie etwas fragte. Deshalb habe ich vor allem die Strassenkehrer gefragt. Sie haben 4,5 Millionen Follower auf Twitter und vier Millionen Denn sie waren ungebildet und unschuldig. Sie äussern sich immer geFans auf Facebook. Einer Ihrer letzten Tweets lautete: Ich bin radeheraus – und üben auch Kritik an Regenten, an hohen Offiziellen überzeugt davon, dass die Zeit reif dafür ist, einen Weg zu finden, oder an hohen Lamas. um Spiritualität und Ethik jenseits vom Thema Religion zu denken. Wie kommen Sie zu dieser Ansicht? Unsere Verkäufer sehen sich mit vielen sozialen und ökonomiBei sieben Milliarden Menschen ist selbstverständlich ein grosser Teil daschen Problemen konfrontiert. Aber am schlimmsten ist für sie bei, der überhaupt kein religiöses Interesse hat. Und in der Gruppe der das Gefühl der Einsamkeit. Sie verbrachten Ihre Kindheit unter Gläubigen gibt es einen grossen Teil, der die Sache nicht wirklich ernst Erwachsenen im Kloster. Sie mussten die verantwortungsvolle nimmt. Für viele hat Religion mit einem täglichen Ritual zu tun. Es hat Aufgabe übernehmen, schon mit 15 Jahren der spirituelle Führer nichts mehr von Ernsthaftigkeit. Dass diese Menschen sonntags eine Ihres Volkes zu sein. Das führte auch bei Ihnen zu Gefühlen der Kirche aufsuchen oder einen Tempel – Buddhisten eingeschlossen –, hat Einsamkeit. Vor diesem Hintergrund: Welchen Rat würden Sie unfür sie keine echte Bedeutung. Sie beten zu Buddha oder Gott. Aber in seren Verkäufern geben? ihrem wahren Leben haben sie kein Problem damit, ungerecht und korWenn ich über mich nur als Tibeter oder Buddhist denke, dann verurrupt zu sein, Lügen zu erzählen oder zu betrügen. Dieses Benehmen sacht das in mir eine gewisse Distanz. Deswegen sage ich zu mir selbst: steht allen grossen Religionen und traditionellen Lehren entgegen. DesVergiss das. Du bist ein menschliches Wesen, eines von sieben Milliarhalb brauchen wir einen breiteren Ansatz, um zu verdeutlichen, dass
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«Die Tibeter in Tibet sind mein Chef. Ich bin ihr Sprachrohr und von daher habe ich kein Recht, über das Verhalten meines Chefs zu urteilen.»
den. Wenn man das sagt, kommt man sich sofort näher. Wenn die Menschen der Tatsache zu viel Bedeutung beimessen, dass sie arm, obdachlos oder in einer schwierigen Situation sind, dann stellen sie das zu sehr in den Mittelpunkt. Gewiss ist das eine Form von Realität. Aber eine andere Realität ist, dass jeder von uns einer von sieben Milliarden Menschen weltweit ist. Ich weiss, dass das im praktischen Sinne wohl keine grosse Relevanz hat. Aber emotional gesehen kann das sehr hilfreich sein. ■
Übersetzung: Sabrina Eisenreich, Bearbeitung: Reto Aschwanden
Der Fotograf Simon Murphy spendete die Fotos für dieses Interview. Mehr über seine Arbeiten finden Sie auf seiner Website www.simonmurphyphotographer.com.
www.street-papers.org / INSP SURPRISE 281/12
Ein Leben im Exil Der 14. Dalai Lama wurde am 6. Juli 1935 in einem kleinen Dorf an der heutigen Grenze Tibets geboren. Seine Eltern, die ihn Lhamo Dhondrub genannt hatten, waren Bauern. Als er zwei Jahre alt war, erkannte ihn ein Suchtrupp buddhistischer Geistlicher als Reinkarnation des vorherigen, 13. Dalai Lamas. Noch vor seinem vierten Geburtstag wurde er inthronisiert. Danach wuchs er im Kloster auf und erwarb den akademischen Grad Geshe Lharampa, ein Doktorat in buddhistischer Philosophie. 1950, als er 15 Jahre alt war, marschierte die Armee des kommunistischen Regimes unter Mao Tse-Tung in Tibet ein. Der Dalai Lama floh zu Fuss nach Indien und liess sich in Dharamsala nieder, wo heute die tibetische Exilregierung ihren Sitz hat. Etwa 80 000 Tibeter folgten ihm ins Exil. Dort begann der Dalai Lama mit seiner Arbeit: die Kultur der Tibeter zu bewahren und ihre Notlage weltweit bekannt zu machen. Der Dalai Lama befürwortet einen «mittleren Weg» zur Lösung der Tibetfrage, setzt sich also für die Autonomie Tibets innerhalb der Volksrepublik China ein. Er bekennt sich zum gewaltlosen Widerstand und erhielt dafür 1989 den Friedensnobelpreis. Im März 2011 erklärte der Dalai Lama, dass er fortan nicht mehr als politisches, sondern nur noch als geistliches Oberhaupt agieren würde. Ein taktischer Schachzug, denn viele Staatschefs fürchten bei Treffen mit dem Dalai Lama die Reaktion der chinesischen Regierung. Der Rollenwechsel konnte allerdings nicht verhindern, dass der Empfang beim britischen Premierminister David Cameron im Mai in China Unmut auslöste. Der heute 77 Jahre alte Dalai Lama kommentierte die Affäre gelassen: «Das passiert doch immer. Es ist schon beinahe Routine.»
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Recycling Wir sind Sammelweltmeister Kein Land sammelt so fleissig Abfall und führt ihn der Wiederverwertung zu wie die Schweiz. Ein Gewinn für die Umwelt ist das trotzdem nicht.
VON STEFAN MICHEL (TEXT) UND PATRIC SANDRI (ILLUSTRATION)
wandelt. Noch besser, als Plastik zu verbrennen, wäre es, ihn zu neuem Plastik einzuschmelzen. Dinkel hält fest: «Die Technik ist vorhanden, um die verschiedenen Plastiksorten wie Polyethylen, Polypropylen oder Polystyrol* zu trennen und sie wieder als solche zu verwerten. Ökologisch ist es immer am besten, Material möglichst hochwertig wieder zu verwerten.» Beim PET geschieht das bereits. In der Schweiz werden PET-Flaschen zu 40 Prozent aus PET-Rezyklat hergestellt. Taugen PEPlastikfolien aus hygienischen Gründen nicht mehr zu Lebensmittelverpackungen, werden aus ihnen Kabelschutz- oder Abwasserrohre hergestellt. Der Haken der «werkstofflichen Wiederverwertung», wie das technisch heisst: Das gesammelte Material muss rein sein. Patrik Geisselhardt, Geschäftsführer von Swiss Recycling, dem Dachverband der
In einer Diszipin ist die Schweiz Serienweltmeister: im Abfallsammeln. Jahr für Jahr weisen wir die höchsten Sammelraten für Papier, Glas, Aluminium und PET aus. Eindrückliche 92 Prozent aller Getränkeverpackungen landen in der Wiederverwertung. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verkündet auf seiner Website: «Das Potenzial der Separatsammlungen ist damit in der Schweiz weitgehend ausgeschöpft.» Anders gesagt: Besser geht's nicht. Oder auch: Mehr ist leider nicht möglich. Die Zahlen beeindrucken: Seit 1990 ist die Menge der verbrannten oder auf Deponien gelagerten Abfälle nicht mehr gestiegen, obwohl der gesamte Abfallberg der Schweiz um rund 20 Prozent zugenommen hat – von gut vier Millionen Tonnen auf 5,5 Millionen Tonnen. Der Anteil des Abfalls, der rezykliert wird, hat sich im gleichen Zeitraum verdoppelt. Die wachsende «Dass man Kunststoff jetzt offiziell abgeben kann, ist Schweizer Bevölkerung schmeisst also pro sehr beliebt. Schliesslich ist es gratis – im Unterschied Kopf zwar immer mehr weg, aber wenigstens rund zur Hälfte in die Tonne der Recyclingzur Entsorgung im Gebührensack.» sammelstelle. Ökobilanzspezialist Fredy Dinkel vom Beratungsunternehmen Carbotech ordnet Schweizer Recycling-Systeme, erklärt: «Versuche mit Gemischt-Plastikein: «International gesehen ist das Schweizer Recycling-System eines sammlungen haben gezeigt, dass rund die Hälfte des gesammelten der besten», doch er sieht Verbesserungsmöglichkeiten: «GetränkekarMaterials Ausschuss ist und verbrannt werden muss.» Auch er findet: tons und weitere Kunststoffprodukte neben den PET-Flaschen würden «Plastik-Recycling ist nur dann sinnvoll, wenn aus dem gesammelten sich ebenfalls rezyklieren lassen.» Material wieder Plastik wird.» Geisselhardt ist einer der Autoren einer Erste Versuche, leere Getränkekartons zu verwerten, laufen in den GeStudie des BAFU zu Möglichkeiten eines erweiterten Plastik-Recyclings meinden Grosshöchstetten im Emmental und Weisslingen im Zürcher in der Schweiz. Zwischenresultat: Das Potenzial wäre vorhanden. Oberland. Die Website www.getraenkekarton.ch (betrieben von den drei grössten Herstellern der Schweiz) erklärt, wie das Recycling funktioniert: China kauft Schweizer PET «Die Getränkekartons werden in Kartonfabriken im Inland und im grenzDass die Stadt Bern Plastik zu sammeln begann, lag nicht an der tolnahen Ausland aufgearbeitet. Der Zellstoff (75 Prozent des Verpalen Ökobilanz der Verölung, sondern war eine Anti-Littering-Massnahckungsmaterials) wird zu Karton verarbeitet. Kunststoff und Aluminium me, wie Martina Tschan von Entsorgung und Recycling der Stadt Bern werden voraussichtlich in Schweizer Zementwerken als Ersatzbrennstoff erklärt: «Viele Leute deponierten Säcke voll Plastik an den Sammelsteleingesetzt und helfen so, fossile Energieträger zu reduzieren.» len. Dass man Kunststoff jetzt offiziell abgeben kann, ist sehr beliebt. Schliesslich ist es gratis – im Unterschied zur Entsorgung im GebührenAus Plastik Plastik machen sack.» 2011 nahm die Hauptstadt 310 Tonnen Plastik entgegen, presste Etwas weiter ist das Recycling von Plastik. Einige grössere Gemeinden, ihn zu Ballen und lieferte ihn Plastoil zur Wiederverwertung. allen voran Zug und Bern, nehmen auch andere Plastiksorten als nur PET Der Erfolg des «klassischen» Recycling in den Bereichen Papier, Altzurück: von Kosmetik- und Ölflaschen über Waschmittelbehälter und metall und PET hat zu einem weiteren Problem geführt: Das Material ist Joghurtbecher bis zu Plastiksäcken und Folien. Bern und Zug schicken begehrt. Allen voran chinesische Unternehmen kaufen in Europa sauber ihren Plastik nach Baar (ZG) zur Firma Plastoil. Dort wird der Plastik gesortierte Wertstoffe ein – zu höheren Preisen, als die Schweizer Recycler reinigt, gehäckselt und schliesslich in einem chemischen Verfahren zu Öl zahlen. Im Heimatland verarbeiten sie sie weiter. «Das ist super», findet verdampft. Dieses Öl wird als Brennstoff in Heizungen verwendet. Ökobilanzspezialist Fredy Dinkel spontan, «denn Recycling funktioniert Die mediale Begeisterung war gross, als das Verfahren vor einigen nur, wenn man mit dem Material etwas herstellen kann. Der Transport Jahren vorgestellt wurde. Doch Fachleute sind skeptisch. Fredy Dinkel grosser Mengen nach China und in verarbeiteter Form wieder zurück kritisiert: «Es macht nur beschränkt Sinn, Plastik in einem aufwendigen fällt verglichen mit der Energieeinsparung durch das Recycling nicht Verfahren zu verölen und ihn dann zu verbrennen, wenn man ihn direkt gross ins Gewicht.» Das Problem liegt woanders: «Das Recycling in der verbrennen und die Energie nutzen kann.» In den KehrichtverbrenSchweiz oder im grenznahen Ausland kann durch den Export gefährdet nungsanlagen, wo der nicht separat gesammelte Plastik landet, wird er werden», relativiert der Ökobilanzexperte. zusammen mit dem übrigen Abfall in Fernwärme oder Strom umge-
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Aus dem chinesischen Hunger nach unserem Recycling-Gut machte die Nachrichtensendung «10 vor 10» einen Hilferuf der Schweizer Recycling-Industrie. Diese fürchte, dass ihr der Rohstoff ausgehe, so der Bericht. Im Gespräch mit Surprise sieht es Patrik Geisselhardt nicht mehr so dramatisch. «Preisschwankungen sind normal. Es gab Zeiten, da war PET-Rezyklat teurer als neues PET. Da kauft der Chinese nicht mehr. In der Schweiz wird weiter rezykliert, auch wenn es sich ökonomisch nicht lohnt.» Grund dafür ist das Gesetz, welches bestimmt, dass ein Pfand erhoben wird, falls die Recycling-Quote der verkauften PET-Flaschen oder Aludosen einmal unter 75 Prozent sinken sollte.
Inzwischen wächst es wieder und mit ihm das begehrte Recycling-Gut. Da fragt sich der kritische Geist: Ist das umfangreiche Recycling-System Antrieb unserer Wegwerfmentalität? Schliesslich schmeissen wir nicht nur unser Leergut in den Sammelcontainer, sondern laden auch Flasche für Flasche ein bisschen schlechtes Gewissen ab. Oder sind die gut ausgebauten Separatsammlungen die logische Folge unseres Wohlstands und das Pflaster, das wir über dessen negative Konsequenzen kleben? «Was ist da ursächlich?», fragt sich auch Fredy Dinkel vom Beratungsunternehmen Carbotech. «Verbrauchen wir mehr, weil wir recyceln, oder beheben wir mit dem Recycling den Schaden, den wir anrichten?»
Wegwerfmentalität mit gutem Gewissen «Es ist fraglich, ob die Leute beim Recycling weiterhin so gut mitmachten, wenn alles nach China exportiert würde», stellt Geisselhardt in den Raum. Er zählt auf die Einsicht der Firmen, die Alt-PET, Altmetall oder Altpapier abzugeben haben. «Es gibt immer jemanden, der mehr bezahlt. Aber es ist auch etwas wert, wenn die Ware regelmässig zum vereinbarten Zeitpunkt abgeholt wird. Dass die Schweizer Abnehmer weniger bezahlen als die ausländischen, geht auf die Dauer natürlich auch nicht.» Wie es um die Vaterlandsliebe bestellt ist, wenn anderswo ein Preisvorteil lockt, zeigen die Milliardenverluste der Schweizer Detailhändler durch den Einkaufstourismus. Geisselhart meint: «Sicher ist der Wertstoffexport nach Fernost eine Sache, die wir beobachten müssen.» Trotzdem sieht er das Schweizer Recycling-System nicht in Gefahr. Dass den Schweizer Wiederverwertern das Material nicht ausgeht, daran arbeitet die Bevölkerung: Denn wir rezyklieren so viel, weil wir so viel wegwerfen. Der wichtigste Faktor für die Abfallmenge ist das Bruttoinlandprodukt. Das zeigte die Krise 2009, als das Volumen zum ersten Mal seit der Rezession anfangs der Neunzigerjahre wieder leicht sank.
Einmal jährlich die Müllabfuhr Dass gutes Recycling die Menschen motiviert, mehr zu kaufen und wegzuwerfen, ist nicht bewiesen. Das gute Image, das die Wiederverwertung hat, hält sie sicher nicht davon ab. Dinkel erzählt das Beispiel einer Frau, die aus ökologischen Gründen Milch in Plastikflaschen kauft, weil diese rezykliert werden. «Dabei gibt es Ökobilanzen, die zeigen, dass Getränkekartons besser sind als Kunststoffflaschen, selbst wenn Erstere im normalen Kehricht landen.» Über 700 Kilo Abfall produziert jede in der Schweiz wohnende Person pro Jahr. Ob wir gleich viel wegwerfen würden, wenn wir diesen Materialberg zu Hause aufbewahren müssten, bis einmal jährlich ein Lastwagen der Müllabfuhr käme, um ihn abzuholen? Recycling ist sinnvoll, das leistungsfähige Verwertungssystem in der Schweiz ein Segen. Doch viel umweltfreundlicher, als Abfall zu rezyklieren, ist es, solchen gar nicht erst zu verursachen. ■
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*Polyethylen: z.B. Milchflaschen; Polypropylen: z.B. Plastikboxen; Polystyrol: z.B. Joghurtbecher
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Faszination Baum Wenn die Äste Geschichten wispern Bäume begleiten die Menschheit seit Anbeginn der Zeit. Sie liefern Schutz, Brennholz und Früchte. Und seit jeher üben die grünen Riesen eine eigentümliche Faszination auf die Menschen aus. Michel Brunner hat über die Jahre Hunderte von ungewöhnlichen Bäumen entdeckt und fotografiert. Hier erzählt er ihre Geschichten.
VON RETO ASCHWANDEN (PROTOKOLL) UND MICHEL BRUNNER (BILDER)
Bergahorn, Wiesenberg NW (Seite 16) «Es gibt in den Schweizer Bergen viele Bäume von rekordverdächtigen Ausmassen. Der 500-jährige Bergahorn von Wiesenberg gehört mit 9,65 Metern Stammumfang zu den dicksten der Welt. Bergahorne dienen als Schutzbäume, dieser hier ist auf der Rückseite beschädigt von Steinen aus einem Murgang. Früher wurden seine Blätter auch als Winterfutter verwendet. Man muss diese von Hand abstreifen, denn der Bergahorn hat Mühe, nach einer Beschneidung wieder auszutreiben.»
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Eiche, Morrens VD (Seite 17) «Es gibt historische Ansichtskarten, wo unter diesem Baum eine Plattform zu sehen ist, von der aus vermutlich Bekanntmachungen verkündet wurden. Dieser Baum erinnert an eine Tanzlinde – eine Tradition aus Deutschland, bei der man die Bäume bewusst in die Breite gezogen und dann einen Tanzboden ins Geäst gelegt hat. Nur hat man statt einer Linde eine Eiche genommen, weil die Linde im Waadtland weniger verbreitet ist. Die Form ist sicher nicht natürlich gewachsen: Wahrscheinlich wurde die Krone geköpft und anschliessend die Äste auf die Seite geleitet und dann mit Stützen versehen. Für eine Eiche ist das einzigartig.»
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1 Sommerlinde, Aebnit BE «Mit einem Stammumfang von über elf Metern ist dieser Baum die dickste Linde der Schweiz. Linden wurden früher bewusst gepflanzt: auf dem Dorfplatz, vor Kirchen oder wie hier auf einem Bauernhof. Es werden ihnen unheilabwehrende Kräfte zugeschrieben – angeblich gegen Dämonen, sicher aber gegen Blitze, die statt in Haus und Scheune in die Linde schlagen, die das meist gut wegstecken kann. Zudem liefern die Blüten auch die Grundlage für Tee. Im rückseitigen Stamm öffnet sich ein Hohlraum, wo man reinsteigen kann.» 2 Eibe, Crémines BE «Mit etwa 1500 Jahren ist diese Eibe wahrscheinlich der älteste Baum der Schweiz. Trotzdem ist sie relativ klein. Der Drehwuchs ist für Eiben untypisch, das zeigt, dass sie Mühe hatte zu wachsen. Die Eibe gehört zu den am meisten mystifizierten Bäumen. Man kann sie fast nicht töten, denn sie treibt immer wieder aus, sie ist so eine Art Jungbrunnen. Die kulturhistorisch bedeutsamsten Eiben stehen fast alle auf Friedhöfen. Früher glaubte man, die Wurzeln würden zu den Toten hinunterwachsen und durch den Mund zur Seele gelangen, die dann im Baum weiterlebt.» 3 Bergmammutbaum, Walenstadt SG «Ein Kollege von mir hat das Haus gekauft, um den Baum auf diesem Grundstück zu erhalten. Aufgrund ihrer Grösse werden Bergmammutbäume gern vom Blitz getroffen, darum hat dieser einen Blitzableiter. Zudem ist er mit Zugseilen gesichert, und mein Kollege muss regelmässig tonnenweise Zapfen entfernen lassen. In Walenstadt windet es oft stark, und bei einer Höhe von 48 Metern können die Zapfen zu schmerzhaften Projektilen werden.»
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Edelkastanie, Altirolo TI «Fast 13 Meter Stammumfang und ein gewaltiger Hohlraum, das ist ungewöhnlich. Wahrscheinlich steckte früher ein grosser Steinblock drin, der irgendwann rausgearbeitet wurde. Bevor ich das Bild machte, benutzte der Besitzer den Hohlraum als Lagerplatz für Holzbeigen, es sah aus wie eine Krippe. Interessant ist auch, dass der Stamm sich trotz der Schräglage wieder aufgerichtet hat.»
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Faszination Baum Sanftmut schlägt Eitelkeit Michel Brunner, von dem die Bilder auf den Vorderseiten stammen, ist Buchautor und Gründer des schweizerischen Bauminventars «pro arbore». Im Interview spricht er über die Intelligenz der Bäume, Vorträge vor Bankern und halbstarke Eichen.
Herr Brunner, woher kommt Ihre Faszination für Bäume? Als Kind verbrachte ich die Ferien oft in Rüderswil, einem kleinen Ort im Emmental. Im Dorfzentrum stand ein alter Baum, die sogenannte Leuenberger-Linde, die zum Andenken an den Bauernführer, der gegen die Zürcher kämpfte, gepflanzt worden war. Ich bin viel in dieser Linde herumgeklettert, und immer wenn ich sie sah, wusste ich: Jetzt fängt die freie Zeit wieder an.
Wer ist Ihr Publikum? Neulich sprach ich vor Bankern. Der Baum als Bild von Beständigkeit, als Symbol für Anlagen und Wachstum, das fanden sie faszinierend. Meist sind es ganz verschiedene Leute, die Freude an der Natur haben und sich von meiner Begeisterung anstecken lassen. Es gibt viele Leute, die Bäume aus dem Buch aufsuchen und mir dann berichten, was sich verändert hat. Deshalb habe ich auch das Wanderbuch «Wege zu Baumriesen» geschrieben. Ein Bild kann nur schwer vermitteln, wie sich ein Baum im Wind bewegt, welche Geräusche und Düfte dabei entstehen.
Wie reagieren Passanten, wenn Sie mit dem Massband um einen Baum herumgehen? Es kamen auch schon Fragen wie: Was wollen Sie mit dem Baum, brauchen Sie Holz?
«Ich glaube nicht, dass der Mensch per se intelligenter ist als ein Baum.»
INTERVIEW: RETO ASCHWANDEN
Sie sprechen im Buch von der Intelligenz der Bäume, distanzieren sich aber gleichzeitig von Überinterpretationen. Intelligenz ist die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Optionen wählen zu können. Das können Pflanzen. Es gibt Forschungen, die zeigen, dass Bäume untereinander über eine ausgeklügelte Kommunikation verfügen. Doch mit solchen Sachen muss man vorsichtig sein. Ich will nichts behaupten, sondern etwas in den Raum stellen. Fürchten Sie, nicht ernst genommen zu werden? Ich möchte es dem Leser überlassen, was er mit meinen Informationen anfängt. Persönlich bin ich überzeugt, dass Bäume über Intelligenz verfügen. Was das bedeutet, ist eine Definitionsfrage. Aber ich glaube nicht, dass der Mensch per se intelligenter ist als ein Baum. Wir bauen AKWs, die irgendwann hochgehen, da kann man sich fragen, wie intelligent wir sind.
Leserangebot Das Geheimnis der Baumriesen entdecken Mehr Baumbilder von Michel Brunner finden Sie im Bildband «Baumriesen der Schweiz». In eindrücklichen Bildern und fesselnden Texten erzählt er die Geschichten der «sanften Giganten». Im handlichen Wanderführer «Wege zu Baumriesen» führt Sie Michel Brunner zu über 100 spannenden Baumindividuen. So haben Sie die Gelegenheit, selbst unter einem Naturdenkmal zu verweilen. Spezialpreise für Leserinnen und Leser von «Surprise»: Michel Brunner Baumriesen der Schweiz Hardcover mit Schutzumschlag ISBN 978-3-85932-629-3 CHF 49.90 statt CHF 59.90 (inkl. MwSt, portofreier Versand)
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Michel Brunner
Haben Sie einen Lieblingsbaum? Grundsätzlich muss ich einen Baum kennenlernen, damit ich ihn wirklich schätzen kann. Linden haben etwas Weiches an sich, das mag ich sehr. Die Eiche hingegen hat mich nie übermässig beeindruckt. Sie ist ein imposanter Baum, aber wenn sie grösser wird, entwickelt sie etwas Unnahbares. Ich habe Eichen auch schon als «Halbstarke» betitelt. Sie protzen und bewegen sich wenig mit dem Wind, weshalb im Alter die Starkäste gerne abbrechen. Eine Linde hingegen gibt nach und bleibt meist unbeschadet. Sanftmut scheint der Eitelkeit überlegen zu sein. ■
Michel Brunner Wege zu Baumriesen Broschiert ISBN 978-3-85932-654-5 CHF 24.50 statt CHF 34.50 (inkl. MwSt, portofreier Versand) Gültig bis 7.9.2012 Bestellung per Post, Fax oder E-Mail: Balmer Bücherdienst AG Werd Verlag, Kobiboden 8840 Einsiedeln Fax 055 48 89 19, werd@balmer-bd.ch Buchtitel und Code 0170 prominent bei Bestellung angeben. SURPRISE 281/12
Das sind die Lösungen zu den Sudokus und Bimarus aus Heft 280: Bimaru, Seite 13
Sudoku 1, Seite 7
Brückenrätsel 1, Seite 2
Brückenrätsel 2, Seite 16
Sudoku 2, Seite 22
Das sind die Lösungen zu den Bildrätseln aus Heft 280 und 281:
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BILD: ANDREA GANZ
Le mot noir Neue Ufer Kürzlich abends in der Bretagne. «Kapern?», stellt Cousin André eine Dose auf den Familientisch in der Wohnküche. «Und was ist mit dem Fisch?», frage ich. «Oncle Paul steht noch am Grill», gibt André zögernd preis. «Seit drei Uhr nachmittags? Eine Dorade hat zehn Minuten, maximal!» «Wenn du mal 103 bist, wirst auch du ein bisschen langsamer.» «Und wann hat er den gefangen?», bleibt Tante Catherine misstrauisch: «Irgendwann letzten Monat oder so?» «Ich setze lieber Muscheln auf», schiebe ich meinen Stuhl zurück: «Ich helfe dir.» «Was ist das eigentlich für eine Geschichte», schenkt sich Catherine ein Glas Wein ein, während ich am Herd hantiere. «Die Sache für den Staatsanwalt. Deine Stiefmutter. Eine Bank, die sie gedeckt hat? Und deine Schwester, die da mitmischt? Klingt eher wie ein schlechter Film.» «Später», trinke ich aus ihrem Glas:
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«Gibt es noch irgendwo Knoblauch?» «Ich geh im Laden welchen holen», setzt sich André schnell in Bewegung. Catherine sieht mich weiter fragend an: «Und jetzt hörst du auch auf, dieses Dings da zu schreiben?» «Ich disponiere nur ein bisschen um. Eine Kolumne zu lesen reicht mir in nächster Zeit. Ausserdem ist es längst Zeit für eine Neue mit frischen Ideen, und auf die freue ich mich schon!» «Keine Kolumne mehr, super!», schlurft Cousin Gérôme vom Strand in die Küche. «Nach bald sieben Jahren ja», grinse ich. «Na hoffentlich schreibt die Neue wenigstens besser als du», knurrt Cousine Françoise hinter ihm. «Wie du mich in die Pfanne gehauen hast, weil ich Liebeskummer hatte, verzeihe ich dir nämlich nie.» «Häschen, ich brauchte ein Thema und deines hat sich eben angeboten», säusle ich: «Du warst so verzweifelt!» «Meine heimliche Geliebte hast du auch geoutet», stiert Gérôme auf seinen Ehering: «Hätte sie deinetwegen übrigens fast verloren.» «Und dass du geschrieben hast, dass ich das Roastbeef püriere, weil mein Sohn mit Kinnbruch betrunken in den Hortensien lag, wäre aus meiner Sicht nicht nötig gewesen», schiebt Tante Catherine nach. «Mon Dieu, seid ihr vielleicht pingelig», rühre ich in den Muscheln. «Irene, unsere Illustratorin, hat ja immer alles ausgebügelt!» «Hat jemand Oncle Paul gesehn?», ist André mit dem Knoblauch zurück. «Er steht am
Grill.» «Nein, eben nicht. Da liegt nur ein verkohlter Fisch.» «Wo kann er sein?», werde ich unruhig, als das Telefon klingelt. «Oncle Paul schwimmt auf die Sandbank zu!», informiert uns André über den Hörer hinweg. «Merde, und wer geht ihn holen?» «Oh nein, das macht jetzt mal ein anderer!», winkt Catherine ab und sieht in meine Richtung. «Ich hör mir deinen schlechten Film jetzt an. Und dann erzählst du mir von deinem neuen Leben.» Wenig später sitzen Catherine und ich mit einer Flasche Muscadet im Garten. «Alle Details, Chérie, der Reihe nach!» «D’accord», überlege ich. «Angefangen hat alles letzten Sommer nach dem Tod meines Vaters.» «Ah, dieses Meeting in der Bank?» «Genau, du weisst schon, teures Mineralwasser, alle frisch frisiert, alles schien schlüssig und simpel. Die Konten auch. Nur irgendwie hatte ich das Gefühl, hier stimmt was nicht. Dabei konnte ich gar nicht sagen, was es war …» Aber das ist jetzt eine längere Geschichte, vielleicht irgendwo ein andermal. An dieser Stelle sagt le mot noir merci à vous tous et adieu.
DELIA LENOIR (LENOIR@HAPPYSHRIMP.CH) ILLUSTRATION: MEIER IRENE (IRENEMEI@GMX.CH) SURPRISE 281/12
Heldentheater Tell bei den Persern Während am Walensee die alte Geschichte um unseren Nationalhelden für Musicalfreunde neu aufgewärmt wird, gibt es in Altdorf und Zürich einen völlig neuen Tell zu sehen: in einer iranischen Version, welche die Frau an seiner Seite ins Zentrum rückt.
Wilhelm Tell wäre mittlerweile gut 700 Jahre alt. Seit 500 Jahren wird seine Geschichte in Altdorf aufgeführt, seit 100 Jahren in Interlaken, nun ist – unvermeidlich – auch noch ein Musical dazugekommen. Unser Held wurde quer durch die Werbung und von links nach rechts durch die Politpropaganda geschleift, Schriftsteller und Historiker von Max Frisch bis Jean-François Bergier haben sich an seiner Demontage abgearbeitet. Über den heldenhaften Tyrannenmörder aus Altdorf ist also alles gesagt. Oder? Der renommierte Zürcher Theaterregisseur Niklaus Helbling ist anderer Meinung: «Nicht, wenn man die Geschichte von Iranern erzählen lässt.» «Mythentausch» nennt sich das Projekt, das er mit seiner Theatergruppe «Mass & Fieber» in Zusammenarbeit mit der iranischen Truppe «Don Quixote» auf die Beine gestellt hat, im Auftrag der Tellspiele Altdorf, zur Feier ihres 500-Jahr-Jubiläums. Denn auch die Perser haben ihren Freiheitshelden. Doch während Gessler sich einfach durch seinen unangenehmen Charakter auszeichnet, ist im persischen Nationalepos «Buch der Könige» verbürgt, dass der brutale Herrscher Zahhak seine Macht dem Teufel persönlich verdankt. Der Leibhaftige hat ihn nämlich auf die Schultern geküsst, worauf ihm dort zwei schwarze Schlangen wuchsen, die täglich mit den Gehirnen zweier Jünglinge gefüttert werden müssen. Als es den Sohn des Schmieds Kaveh treffen soll, beschliesst der Vater, sich zu wehren. Er knüpft seine Schürze an eine Lanze und versammelt Getreue zum Marsch gegen den Despoten. Nun haben «Mass & Fieber» und «Don Quixote» ihre Nationalhelden kurzerhand ausgetauscht: In der gemeinsamen Produktion führen erst die Iraner «Wilhelm Tell» auf, danach geben die Schweizer den «Zahhak». Sie erzählen diesen zwar aus einem schweizerischen Blickwinkel und geben der Geschichte einen Schuss «europäische Psychologie» bei, indem sie danach fragen, wie Zahhak zum Dämonenkönig wurde. Sie hielten sich aber eng an die Vorlage, denn dem Schweizer Publikum müsse die hier nicht bekannte Geschichte erst einmal erzählt werden, so Helbling. Die Iraner – die Tell übrigens von einem Zeichentrickfilm her bereits kannten – waren in dieser Hinsicht freier. Und diese Freiheit nutzten sie für eine sehr eigenwillige Interpretation, die ihn selber sehr beeindruckt habe, sagt Helbling. Er verspricht: «So haben wir Tell noch nie gesehen.» In einem dritten Teil präsentieren die beiden Gruppen zusammen einen «Heldengarten», in welchem der Zuschauer wandeln und sich mit 70 iranischen und schweizerischen Helden und dem Heldenbild als solches auseinandersetzen kann. Interessanterweise kommt die Geschichte in der iranischen Version frauenfreundlicher daher als im «Original». Während Friedrich Schiller SURPRISE 281/12
BILD: ALI ASGHAR DASHT
VON FLORIAN BLUMER
Und plötzlich spricht Hedwig Farsi: iranischer Wilhelm Tell.
in seinem Drama von 1804 die Frauen praktisch ganz aussparte, stellen «Don Quixote» Tells Gattin Hedwig ins Zentrum: Sie ist die Erzählerin des Stücks. Oder besser gesagt die Sängerin, denn die meisten Texte werden gesungen, in der iranischen Sprache Farsi (mit deutschen Übertiteln). Ein Schwerpunkt der Interpretation liegt bei der Reflexion über den Tyrannenmord, daneben gibt es auch einige komödiantische Einlagen: So zum Beispiel, wenn die Altdorfer üben, sich vor dem Hut zu verbeugen, ohne sich zu verbiegen. Was die beiden freien Truppen verbinde, sagt Helbling, sei die Liebe für grosse fiktive Stoffe und der Humor im Umgang damit. Fiktiv? Es gibt tatsächlich alte Quellen, die einen «Thall» aus Altdorf erwähnen. Doch seine Heldentaten finden sich dort nirgends beschrieben. Dafür in deutlich älteren nordischen Sagen. So muss zum Beispiel der dänische Meisterskifahrer Toko seinem Sohn auf Geheiss des Königs einen Apfel vom Kopf schiessen – und wird von diesem misstrauisch nach dem Zweck des zweiten Pfeils im Köcher gefragt. Aber was auf die Dauer zählt, ist nicht der Wahrheitsgehalt – sondern die Kraft einer guten Geschichte. ■ Mass & Fieber & Don Quixote: «Tell / Zahhak. Ein Mythentausch», Fr, 10. August und Sa, 11. August, Sacklager Eyschachen, Altdorf, Di, 21. August bis Do, 23. August, 19 Uhr, Theaterspektakel Zürich, Landiwiese Nord, weitere Vorstellungen im Februar 2013, Theater der Künste, Zürich
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BILD: ZVG
BILD: ZVG
Kulturtipps
So geht es Putten, die Honig schlecken wollen.
Familienidyll oder kindlicher Wunschtraum?
Buch Geflügelte Küsse
Kino Wünsche mit Hochgeschwindigkeit
Autor Ralph Dutli folgt den Flugrouten der Bienen von den ägyptischen Riten über die antiken Mythen bis zu den Comics der Neuzeit.
Kore-eda Hirokazu, ist ein Meister der universellen Themen und Liebling der Cinéphilen. Jetzt erzählt er von einer Familienzusammenführung – oder davon, was sich Kinder darunter vorstellen.
VON CHRISTOPHER ZIMMER
VON YVONNE KUNZ
Seit dem Frühling summen sie wieder von Blüte zu Blüte: die Bienen. Und wir sind von Vorfreude (auf den Honig), aber auch von gehörigem Respekt (vor ihrem Stachel) erfüllt. Dabei hat auch das Süsse Achtung verdient. Immerhin legen diese vom sprichwörtlichen Bienenfleiss angetriebenen Hautflügler für ein Kilo Honig das Dreieinhalbfache des Erdumfangs zurück; schon ein Gramm erfordert 8000 bis 10 000 Blütenbesuche. Wo es was zu holen gibt, verraten die Bienen einander mit ihren Rund- und Schwänzeltänzen, deren Präzision atemberaubend ist. Dazu fähig ist das Bienenvolk nur als Gemeinschaft, die alte Imker auch als «der Bien» bezeichnen. Dieser Superorganismus kennt eine strenge Hierarchie und Arbeitsteilung: an der Spitze die bis zu zwei Millionen Eier legende Königin, dann die Bienen, die putzen, füttern, bauen, verteidigen und sammeln, und schliesslich die Drohnen, die beim Hochzeitsflug die Königin befruchten, wobei die Erfolgreichen mit dem Leben bezahlen und die zu kurz Gekommenen bei ihrer Rückkehr in den Stock abgeschlachtet werden. Dass aber nicht nur die biologischen Fakten Staunen machen, beweist Ralph Dutli mit seiner kenntnisreichen Kulturgeschichte der Biene. Unterhaltsam führt er uns durch ein Museum der Kulturen, und überall gibt es Bienen zu entdecken, in den Mythen, Religionen und Künsten. Ein Schwergewicht liegt auf der Dichtkunst, und so schliesst der Band mit einer Sammlung ausgewählter Bienen-Gedichte. Die Biene war zu allen Zeiten von praktischem Nutzen, als Bestäuberin und Lieferantin von Kerzenwachs und vor allem Honig, der zum Süssen, aber auch als Heilmittel diente – auch heute noch. Darüber hinaus gaben die Bienen Anlass zu vielen Wundergeschichten: Die alten Ägypter etwa hielten sie für die Tränen des Sonnengottes, in der Antike galten sie unter anderem als die verwandelten Küsse von Venus und Adonis – süss wie die Liebe, stachlig wie die Liebespein. Mal war die Biene erotisches Symbol, mal Metapher der Jungfräulichkeit, mal Sinnbild für den idealen Staat oder auch Exempel für stechende Pamphlete. «Unglaublich, wofür Bienen alles gut sind», schreibt Dutli. Für Mythen und Märchen, Satire und Comic – von den geflügelten Küssen der Venus bis zur Biene Maja.
Viele Filmemacher scheinen keinerlei Erinnerung daran zu haben, wie Kinder ticken und die Welt erleben, und so handeln Kinokinder meist nicht wie Kinder. Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda zeigt, dass es auch ganz anders geht. Sein echtes Interesse, sein Gespür für Nuancen und seine stilistische Zurückhaltung lässt die jungen Darsteller vor der Kamera aufblühen – und genau das ist es, was «I Wish» zu einem ungemein berührenden, aber nie überzuckerten Vergnügen macht. Der Film erzählt elliptisch, aber erstaunlich effektiv die Geschichte von zwei Brüdern in Südjapan, die durch die Scheidung der Eltern getrennt wurden. Der 12-jährige Koichi (Maeda Koki), pausbäckig und etwas altklug, lebt mit der Mutter und seinen Grosseltern in einer engen Wohnung in Kagoshima. Die Stadt auf der Insel Kyushu ist wenig bemerkenswert – wäre da nicht ein aktiver Vulkan. «Ich versteh’s nicht», sagt Koichi immer wieder, weniger verängstigt als konsterniert über die Gelassenheit, mit der die Menschen mit der Bedrohung leben. Sein kleiner Bruder, der hinreissende Wildfang Ryu (Maeda Ohshiro, Kokis echter Bruder), lebt am anderen Ende der Insel bei seinem Vater, einem IndieRock-Gitarristen. Sechs Monate ist die Scheidung her, und die Brüder versuchen, mit der Situation zurechtzukommen. Doch wünschen sie sich eigentlich nichts mehr, als dass die Familie wieder eins wird. Als Koichi hört, dass Wünsche wahr werden, wenn man sich an jene Stelle in Kumamoto stellt, wo sich die Hochgeschwindigkeitszüge kreuzen, mobilisiert er Ryu und einige Freunde. Und so machen sich sieben Kinder auf den Weg. Das Wichtigste im Gepäck sind ihre Wünsche, die von der Wiederbelebung eines geliebten Hundes bis hin zur Rückkehr zur antiautoritären Erziehung reichen. «I Wish» ist ein Film für Erwachsene, aus der Perspektive der Kinder. Kore-eda hat die Gabe, tiefste Emotionen zu zeigen, welche die Figuren nicht ausdrücken können oder deren sie sich nicht einmal bewusst sind. Damit entlässt Kore-eda den Zuschauer mit dem Gefühl, ein ganz kleines bisschen erleuchtet worden zu sein.
Ralph Dutli: Das Lied vom Honig. Eine Kulturgeschichte der Biene.
Ohtsuka Nene u. a. Ab 23. August in den Deutschschweizer Kinos.
Kore-eda Hirokazu: «I Wish», Japan, 128 Min., mit Maeda Koki, Maeda Ohshiro,
Wallstein Verlag 2012. 21.90 CHF
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Hemmungslos: Fai Baba schwelgt und lärmt.
Musik Radikal romantisch Fai Baba taucht Folk und Blues in lärmendes Feedback. Ohne Rücksicht auf den Massengeschmack schafft er grosse Kunst. VON RETO ASCHWANDEN
Ein Freitagnachmittag, kurz nach fünf. Er sei erst grade aufgestanden, erklärt der Zürcher Fabian Sigmund beim Interview, und deshalb muss er jetzt erst einmal frühstücken, geröstete Panini und Bier. Das Rockerklischee passt: Als Fai Baba legt Sigmund mit seinem zweiten Album «Snake Snake» eine Songsammlung vor, in der er hemmungslos schwelgt und rücksichtslos lärmt. Grosse Musik, radikal, schamlos und romantisch. Die Songs zwischen Blues, Folk und psychedelischem Krach haben durchaus Hitpotenzial. Meist jagt Sigmund Gitarre und Gesang durch Echo- und andere Effektgeräte, bis die Melodien im Feedback versinken. «Ich stehe total auf zuckersüsse Melodien», erklärt der Zürcher. Auf Akkorden rumpicken sei allerdings nicht sein Ding: «Mich interessiert, wie ich mit dem Bearbeiten der einzelnen Spuren Stimmungen schaffen kann.» Für die Aufnahmen benützt er alte Bandmaschinen, Kassettengeräte oder was sonst gerade zur Hand ist. «Dadurch kann ich im Schlafzimmer aufnehmen statt in einem professionellen Tonstudio, wo der Zähler tickt.» Konzessionen an den Massengeschmack machen für Sigmund keinen Sinn. «Es wäre ein Horror, wenn mir eine Plattenfirma Vorgaben machen würde. Zudem bringen es hierzulande auch angepasste Popbands nicht weit.» Die Plattentaufe findet im Zürcher Kaufleuten statt, was erstaunt, denn das Schickimicki-Lokal steht nicht im Ruf, eine Hochburg kompromissloser Klänge zu sein. Doch Sigmund findet: «Es ist einfach ein schöner Raum mit einer tollen Akustik. Du kannst dort richtig gut Musik machen.» Und die gerät live mit Band anders als auf den Aufnahmen, die Sigmund weitgehend allein einspielte. «Ich fände es langweilig, die Lieder live so zu spielen, wie sie auf der Platte klingen. Die Interpretation und Variation des Materials macht doch die Qualität einer Liveband aus.» Wer Fai Babas Urgewalt live erleben will, muss sich sputen. Im September reist er für ein halbes Jahr nach New York. Schon letztes Jahr verbrachte er einige Monate dort und schwärmt von den Möglichkeiten: «Ich will noch viel mehr ausprobieren. Rausfinden, was möglich ist. Mach dein eigenes Ding, so gut du kannst.»
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Zürcher Kantonalbank
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Kibag Management AG
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Knackeboul Entertainment
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Brother (Schweiz) AG
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Musikschule archemusia, Basel
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Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur
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Proitera GmbH, Basel
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responsAbility Social Investments AG
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BEVBE Ingenieurbüro, Bonstetten
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Judith Turcati, Englischunterricht, Wila
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Axpo Holding AG, Zürich
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Unternehmensberatung AbtConsulting, Wohlen
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Kaiser Software GmbH, Bern
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Klimaneutrale Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
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Inova Management AG, Wollerau
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Grenzenlos GmbH, Binningen
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projectway GmbH, Köniz
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Balcart AG, Carton Ideen Lösungen, Therwil
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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau
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Velo-Oase Bestgen, Baar
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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Otterbach
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fast4meter, storytelling, Bern
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Scherrer & Partner GmbH, Basel
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Brockenstube des Reformierten Frauenvereins Aesch-Pfeffingen
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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
Fai Baba: «Snake Snake» (A Tree In A Field Records/Irascible) Live (Plattenladen-Konzerte ohne Band): Di, 14. August, 18 Uhr, Jamarico, Helvetiaplatz, Zürich; Do, 16. August, 20.30 Uhr, Chop Records, Bern; Fr, 17. August, 17 Uhr, Plattfon, Basel SURPRISE 281/12
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BILD: D. J. STIEGER, 2009 BILD: MAREN MICHAELIS
Ausgehtipps
Säbeli Bum mit Zora Vipera samt Cirque de Loin.
Bern Zirkus am Fluss
So mächtig wie vergänglich: Sandskulptur.
Farbig die Stäbe, monoton die Musik: Light Asylum.
Rorschach Im Sandkasten
Luzern Zähne fletschen
In Rorschach gibt’s heuer zum 14. Mal ein Wettsändele für die Grossen. Die thematische Vorgabe ist jedes Jahr eine andere, aktuell heisst sie Modern Ways of Living. Nun ja, denkt man, zum Glück hat das Motto nicht viel mit angewandtem Möbeldesign zu tun und das Sofa daheim zerrinnt uns während des TV-Dinners nicht zwischen den Fingern. Den internationalen Künstlerteams kommt sicher trotzdem etwas Schickes in den Sinn. In den letzten Jahren sind schon Teams aus Holland, Russland, Lettland, Tschechien, Bulgarien, Kenia und Kosovo angereist und haben ihre Kunst aus und auf Sand gebaut. Die Sache ist naturgemäss vergänglich, der Prozess an sich somit wichtig, und entsprechend darf man den Sandkastenkünstlern bei der Arbeit zusehen. (dif)
18. August 17.30 Uhr. Ausstellung bis 9. September
Light Asylum tauchten vor knapp zwei Jahren erstmals in Blogs der Gothic-Szene auf. Kein Wunder: Solche Drummachines und Sequenzer setzten Anne Clark und New Order schon vor knapp 30 Jahren ein. Die Referenzen weisen also Richtung Europa, doch Sängerin Shannon Funchess und Instrumentalist Bruno Coviello kommen aus Brooklyn. Funchess bildet mit ihrer Mordsröhre zwischen Altstimme aus der Gruft und zähnefletschendem Sprechgesang das Alleinstellungsmerkmal. Die Single «Shallow Tears» aus dem Debüt-Longplayer bringt dem Duo derzeit viel Aufmerksamkeit – und das Publikum auf eine falsche Fährte. Die Auskopplung ist eine dramatisch wogende Elektropop-Hymne, ansonsten aber widmet sich das Duo monoton motorend Material, das meist aber harsch und konfrontativ aufmarschiert. Man muss für diese Musik hart im Nehmen sein, doch wer einstecken kann, wird das Geprassel von Light Asylum mit Genuss über sich ergehen lassen. (ash)
www.sandskulpturen.ch
Fr, 17. August, 22.30 Uhr, Südpol, Luzern
Sandskulpturenfestival: Sa, 11. bis Sa, 18. August,
Schon zum vierten Mal geht es beim Säbeli Bum drunter und drüber. Das integrative Festival vereint im Berner Lorrainebad Gross und Klein, Alt und Jung und Behindert mit «Normal». Und weil Mitmachen mehr bringt als nur Zuschauen, gibt es unter anderem eine Druckstation, bei der Besucher sich ein Erinnerungsshirt machen lassen können und eine Schminklounge zur Verwandlung vom Zuschauer zum Artisten. Auf der Bühne spielen der lokale Songwriter Patrick Bishop, die zwölfköpfige Gypsy-Truppe Traktorkestar sowie die Hora’Band. Zudem präsentiert der Cirque de Loin sein aktuelles Programm «Mother’s Milk», eine Zusammenarbeit mit dem Bassisten Mich Gerber und Luk Zimmermann (Lunik), die zusätzlich angeheizt wird von der Berner Strassenkünstlertruppe Sole Confuso um die Performerin Milena Gross aka Zora Vipera. Sieht doch gut aus. (ash)
jeweils 9 bis 13 Uhr und 14 bis 19 Uhr Aufbau (ausser Mo, 13. August); Mi, 15. bis Fr, 17. August von 17 bis 19.30 Uhr Speed-Carving; Preisverleihung Sa,
Anzeigen:
Sa, 25. August, ab 13 Uhr, Lorrainebad (bei schlechtem Wetter im nationalen Pferdezentrum, Mingerstrasse 3), Bern
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Synthie-Pop für Trinkwasser: We Have Band.
Basel Jeder Tropfen zählt Viva con Agua gehört zu den Schweizer Openairs wie all die bunten Sponsoren-Lounges. Doch die emsigen Bechersammler von Viva con Agua predigen nicht nur Gutes, sondern tun es auch: Mit dem Leergutpfand werden Brunnen- und andere Trinkwasserprojekte in der Dritten Welt realisiert. Nun organisiert die Non-Profit-Organisation zusammen mit der Kaserne Basel zum dritten Mal ein eigenes Festival. Da alle Helfer ehrenamtlich arbeiten und die Bands zu reduzierter Gage spielen, ist das Festival gratis. Umso erstaunlicher das Line-Up. So spielt am Freitag nebst Phenomden & The Scrucialists mit Andy Horace auch ein internationaler Grandseigneur des Reggae. Der Samstag ist bis auf das Londoner Synthie-Pop-Trio We Have Band in Basler Hand. Es eröffnen die Indie-Youngsters The Drops und We Loyal, bevor ein Special Guest voller Liebe auf die Bühne käfert. Damit das Festival nicht nur hier Freude bereitet, sollte man feiern, was das Portemonnaie hergibt: Die Trinkeinnahmen gehen zugunsten der Wasserprojekte in Mosambik. (ojo)
Städtische Oase weicht moderner Urbanität.
Zürich An Morels Grill 1958 traf das New Yorker Starmannequin Barbara Mullen in Klosters den zwölf Jahre jüngeren Ersatz-Skilehrer Fredi Morel. Die beiden verliebten sich auf der Skipiste und sind seither ein unzertrennliches Paar. Gemeinsam zogen sie durch die grosse weite Welt, bis sie vor 30 Jahren mit ihrem Schrebergarten ein eigenes kleines Paradies in der Zürcher Pfingstweid gefunden haben. Nun werden sie von der grossen weiten Welt eingeholt und müssen sich von ihrer grünen Oase verabschieden: Das Schrebergartenareal in Zürich West wird einem urbanen Park weichen. Die Geschichte ist wahr, und bei Wurst und Bier ist das Publikum Gast an einem theatralen Grillabend, an dem die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, zwischen Bühne, Publikum und Protagonisten verschwimmen. (dif)
Viva con Agua Festival: Kaserne Basel, Fr, 10. und Sa, 11. August, Kaserne Basel www.vivaconagua.ch
Winterthur Die Stadtwüste blüht
Morels letzter Sommer: Do, 23. August bis So, 9. September, jeweils 19.30 Uhr, Familiengärten Pfingstweid, Zürich, Tickets unter 043 222 42 30 oder online
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www.morelsletztersommer.ch
Die Winterthurer Musikfestwochen machen ihrem exzellenten Ruf bei der 37. Ausgabe alle Ehre. Was in zwei Wochen kostenlos geboten wird, lässt das Interesse an den kostenpflichtigen Konzerten vom Schlusswochenende mit Sigur Rós, Franz Ferdinand oder The Hives beinahe in den Rinnstein fliessen. Gigantisch ist die Vorfreude auf das Konzert von Howie Gelbs neuer Band Giant Giant Sand. Die Verdoppelung ist kein Tippfehler. Denn mit dem Namen hat der Meister des spartanisch-spröden Wüsten-Country auch seine Band verdoppelt und seiner Heimatstadt das neuste Album «Tucson» gewidmet. Hochgerüstet mit Streichern und Trompeten spielt die zwölfköpfige Band streckenweise mitreissend schwelgerischen Tex-Mex und Americana im Stil der frühen Calexico, einem Ableger seiner Giant Sand. Doch während bei seinen ehemaligen Mitstreitern mittlerweile Jazz, Klimaanlage und Kitsch Einzug hielten, schüttelt Gelb so nur den Sand aus den Kleidern, um entspannt weiterspielen zu können. Wem es nicht nach Winterthur reicht, kann ihn davor in Luzern sehen. (ojo) Giant Giant Sand: Mi, 15. August, Südpol, Luzern, und So, 19. August,
Grösser denn je: Giant Giant Sand. SURPRISE 281/12
Musikfestwochen Winterthur www.musikfestwochen.ch
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Verkäuferporträt «Vielleicht wäre Käser ein Beruf für mich» BILD: IMO
Zeta-Os Aregay (30) verkauft Surprise in Nidau bei Biel. In seiner Heimat Eritrea hat er vor seiner Flucht nach Europa ein Biologiestudium angefangen. Nun sucht er nach einer passenden Arbeit und verbessert unterdessen stetig seine Deutschkenntnisse. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
«Ich bin im Süden von Eritrea in einer grossen Bauernfamilie aufgewachsen, mit drei Schwestern und fünf Brüdern. Am Ende der Schulzeit habe ich die Prüfung bestanden, die so ähnlich ist wie die Matura hier. Weil mich Pflanzen und Tiere sehr interessieren, bin ich in die Hauptstadt Asmara gegangen und habe angefangen, Biologie zu studieren. Zwei Jahre später entschied ich mich zur Flucht, weil ich die politische Situation und die damit verbundene Unfreiheit in meinem Land nicht mehr ertrug. Im März 2008 bin ich in der Schweiz angekommen und wohne mittlerweile in Brügg bei Biel. Da ich in meiner Heimat nur zwei Jahre studiert habe, kann ich das Studium hier nicht fortsetzen. Das heisst, ich könnte schon, aber ich würde finanziell nicht unterstützt dabei. Seit ich hier bin, konnte ich mehrere Deutschkurse besuchen und ich bin nun auf dem Sprachniveau B2. Zudem habe ich ein viermonatiges Praktikum im Bereich der Spitalreinigung absolviert und eine zweiwöchige Schnupperlehre in einer Käserei. Obwohl die Arbeit körperlich anstrengend war, gefiel es mir dort sehr gut. Vielleicht wäre das ein Beruf für mich. Mithilfe von ‹co-opera›, einem Projekt des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks zur beruflichen Integration, suche ich jetzt nach einer Ausbildungsmöglichkeit und lerne noch besser Deutsch. Mein Problem ist noch, dass ich viel besser Deutsch schreibe und verstehe, als ich reden kann. Mir fehlt die Praxis, die Gespräche mit deutschsprachigen Leuten. Mit dem Verkauf von Surprise wird es zwar immer besser, aber ich bin von Natur aus ein zurückhaltender Mensch und kann deshalb nicht einfach so auf die Leute zugehen und sie ansprechen. Den Verkaufsort gezeigt und Tipps gegeben, wie man gut verkauft, hat mir Tesfagabir, der vor mir beim Coop in Nidau war und jetzt in Muri bei Bern Surprise verkauft. Trotz dieser Unterstützung war der Anfang im letzten April etwas schwierig für mich. Wie gesagt, ich bin eher schüchtern, und dann fiel es mir auch nicht leicht, mehrere Stunden am gleichen Ort zu stehen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und verkaufe, wenn ich Zeit habe, drei bis vier Mal pro Woche Surprise. Ich habe auch schon ein paar Stammkunden, die das Heft kaufen und sich ein bisschen mit mir unterhalten. Eine sehr nette Frau schenkt mir nach dem Einkaufen jedes Mal eine Flasche Cola oder so. Sie ist über 90 und immer mit dem Rollator unterwegs. Einmal hat sie mir erzählt, dass sie früher in Kenia war und deshalb Suaheli spricht.
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Am Sonntag gehe ich immer in die Kirche. Meistens besuche ich den eritreisch-orthodoxen Gottesdienst in Biel, weil ich in der Region wohne. Unsere Kirche hat sich 1993 mit der Unabhängigkeit von Eritrea von der äthiopisch-orthodoxen Kirche getrennt, um nicht nur politisch, sondern auch religiös und kirchlich unabhängig von Äthiopien zu sein. Das Oberhaupt unserer Kirche ist Bischof Dioskoros. Es wäre schön, wenn er einmal die Schweiz besuchen würde. Mir ist der Glaube sehr, sehr wichtig. Mein Grossvater sagte mir übrigens, ich sei nach einem Engel in der Bibel benannt. Die Regeln und Rituale zum Beispiel beim Fasten halte ich immer ein. In unserer Religion gibt es sehr viele Fastentage. An diesen essen und trinken wir mindestens bis zum Mittag nichts. Und wenn wir danach essen, dann keine tierischen Produkte, also zum Beispiel kein Fleisch und keine Milch. Ich bin überzeugt, wenn mehr Leute regelmässig fasten und beten würden, gäbe es viel weniger Streit unter den Menschen oder vielleicht sogar weniger Krieg.» ■ SURPRISE 281/12
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verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!
Andreas Ammann Bern
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
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Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
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Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer, Diana Frei (Nummernverantwortliche), Mena Kost redaktion@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Yvonne Kunz, Delia Lenoir, Irene Meier, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Danielle Batist (INSP), Davide Caenaro, Manuela Donati, Stefan Michel, Isabel Mosimann, Simon Murphy (INSP), Patric Sandri Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 15000, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 61
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Macht stark.
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