Mit Papa daheim Wenn Männer Babypause machen Robin Hood in Spanien – ein Bürgermeister raubt Läden aus
Käse vom Hof statt grosses Geld: eine Bauernfamilie geht ihren eigenen Weg
Nr. 285 | 5. bis 18. Oktober 2012 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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Titelbild: Angel Sanchez (Selbstauslöser-Porträt mit Sohn Pavel)
Eines Morgens in der Krabbelgruppe. Die Kleinen tun, wozu sie hier sind, nämlich krabbeln, Spielzeug ablecken und ihre Brötchen zerkrümeln. Die Mütter sind hier, um in der neuen Situation Leute zu treffen, denen es gleich geht: kleines Kind, anderer Alltag. Sie sind hier, um sich über Breikonsistenzen und durchwachte Nächte auszutauschen. Aber eines Morgens, da tauscht man sich über den beruflichen Hintergrund aus und stellt fest: Keine der fünf Mütter, die an diesem Tag zugegen sind, ist nur freiwillig hier. Alle haben ihren Mutterschaftsurlaub hinter sich und kurz vor dessen Ende erfahren: Die Abteilung wurde in den vergangenen 14 Wochen umstrukturiert und sorry, die Stelle gestrichen. Eine wollte auf Teilzeit reduzieren, aber es gab leider keine Möglichkeit dazu. Einer anderen wurde schon vor der Geburt von der Chefin eindrücklich erklärt, wie anstrengend das Muttersein DIANA FREI werden würde, wie zehrend, und dass bei ihrer Arbeit eine hohe Flexibilität Vor- REDAKTORIN aussetzung sei. Die Schilderungen wurden so eindringlich, dass die Frau Einsicht zeigte und ihre Stelle kündigte. Kurz: Es ist nicht so, dass Mütter nach einer Geburt aufgrund ihrer biologischen Disposition sich nichts sehnlicher wünschen, als sieben Tage 24 Stunden zu Hause zu bleiben. Einige Wochen und mehrere Monate sicher, in vielen Fällen, und auch die freiwilligen Vollzeitmütter gibt es und soll es geben dürfen. Aber bei der vielzitierten Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt geht es im Kern um die Frage, wie man die Wirtschaft dazu bringt, sie nicht loswerden zu wollen, wenn sie ein Kind bekommen. Hilfreich wäre es, wenn es normal werden würde, Kinder zu haben und trotzdem Geld verdienen zu dürfen. Hilfreich wäre es, wenn das Kinderkriegen in der Männerwelt ankommen würde. Wenn auch Väter ihren Papa-Urlaub nehmen dürften und müssten, würde sich die Akzeptanz von berufstätigen Eltern vielleicht ein wenig beschleunigen. Wir sind sicher froh, gibt es den Mutterschaftsurlaub und müssen wir nicht wie unsere älteren Schwestern mit Ringen unter den Augen und Babykotze auf der Bluse nach einigen Wochen zusammengeklaubten Ferien wieder morgens um acht Uhr zur Arbeit erscheinen. Wenn aber allein die Mutter Pause macht, werden die alten Rollenbilder erst recht zementiert. Nicht ein Kind schweisst ein Paar zusammen, sondern die gemeinsamen Erfahrungen, die man mit ihm macht. Die gelten in der Schweiz bis heute als Privatsache, aber es gibt Männer, die sie trotzdem machen wollen. Lesen Sie ab Seite 18, was sie zu erzählen haben. Wir wünschen Ihnen eine unterhaltsame Lektüre Diana Frei
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@vereinsurprise.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 285/12
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BILD: ZVG
Editorial Brei statt Job
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10 Kleinbauern Käse aus der Agglo BILD: DAVIDE CAENARO
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Inhalt Editorial Zementierte Rollenbilder Basteln für eine bessere Welt Ausgeleuchtet Aufgelesen Rechtsextremes Engagement Zugerichtet Tränenreiche Verhandlung Surprise Strassensport Homeless World Cup in Mexiko Starverkäufer Alok Fechner Porträt Blühendes Business Surprise Strassensport Schweizermeisterschaft 2012 Wörter von Pörtner Tschechischer Lufttransport Verzehrtheater Ein voller Bauch studiert nicht gern Kulturtipps Theaterpublikum in Stadionlaune Ausgehtipps Aus dem Mittelalter herausgestolpert Verkäuferporträt Davongerannt Projekt Surplus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
Wer im Hofladen der Familie Triaca-Brandenberger einen Raclettekäse oder einen Camembert kauft, der hat ein Lebensmittel in der Hand, das gerade mal 50 Meter Transportweg auf dem CO2-Gewissen hat. Die Kleinbauern führen in Dietikon in der Zürcher Agglomeration einen Biohof mit eigener Käserei: Vom Gras bis zum fertigen Käse entsteht alles auf einem Hof. Die Kleinbauern stellen Nachhaltigkeit über alles und sind damit Exoten in der Bauernlandschaft. Die Rechnung geht für sie trotzdem auf.
13 Wirtschaftskrise Geschichten von der neuen Armut BILD: MYRTO PAPADOPOULOS
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Der Portugiese Paulo Lis, einst erfolgreicher Unternehmer, hätte sich nie träumen lassen, dass er und seine Frau heute ohne Hilfe der Mutter nicht einmal genug zu essen hätten; der Kunstmaler Leon aus Athen landete vom einen auf den anderen Tag auf der Strasse. Die Wirtschaftskrise hat viele auf dem falschen Fuss erwischt. In Spanien eilt ihnen ein Bürgermeister als moderner Robin Hood zu Hilfe.
BILD: ANGEL SANCHEZ
18 Elternurlaub Windelwechsel, Rollenwechsel Die Diskussionen um einen Elternurlaub flackern in der Schweiz seit den Achtzigerjahren immer wieder auf. Aber entsprechende Bemühungen hatten politisch nie eine Chance, denn sie kosten: Neuste Vorschläge sehen Ausgaben von jährlich über einer Milliarde Franken vor. Trotzdem lässt der Bundesrat jetzt erstmals eine Auslegeordnung verschiedener Modelle erarbeiten. Wir haben derweil Männer gefunden, die sich einen Vaterschaftsurlaub auf eigene Kosten geleistet haben. Sie mussten zum Teil finanziell massive Abstriche machen. Aber sie sagen: Es hat sich gelohnt.
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ILLUSTRATION: SIMON DREYFUS | WOMM
1. Nehmen Sie eine Spitzzange und ziehen Sie der Glühbirne als Erstes den Kontakt heraus, brechen dann den Isolatorkranz aus Plastik weg und ziehen als Letztes den Glühstock heraus (Achtung: knirscht hässlich und macht Splitter – am besten über dem Abfalleimer machen).
2. Bohren Sie mit einer Aale auf jeder Seite ein Loch.
3. Für eine Hängelampe: Ziehen Sie eine Schnur durch. Für eine Ständerlampe: Formen Sie aus dickem Draht einen Ständer.
4. Und fertig ist die Glühbirne der Zukunft: langlebig und ressourcenschonend.
Basteln für eine bessere Welt Wir sind traurig: Weil sie zu viel Strom verbraucht, wurde die gute alte Glühbirne in der Schweiz per 1. September für illegal erklärt. Dagegen wäre eigentlich nichts einzuwenden – wenn ihr Ersatz, die Energiesparlampe, nicht so hässlich und so giftig wäre. Und die Glühbirne nicht von so formvollendeter, zeitloser Schönheit! Wir raten: Schenken Sie Ihrer letzten verglühten Edison-Birne ein ewiges Leben als Designervase. SURPRISE 285/12
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Japaner in Not München. Vertreter von «The Big Issue Japan» sind zum Strassenmagazin BISS nach München gereist, um von dessen Modell der Festanstellung von Verkäufern zu lernen. In Japan ist die Not gross: Als Arbeitsloser erhält man nur drei bis fünf Monate Unterstützung, und auch die reicht kaum zum Überleben aus. Dazu seien die Scham und die Angst vor Diskriminierung ungleich grösser als in Europa, sind sich die Big-Issue-Gründer einig: So hätten zwei ihrer Verkäufer sich entschieden, lieber auf der Strasse zu sterben, als Sozialhilfe zu beantragen.
Rechte Frauen Hannover. Professorin Michaela Köttig forscht zu Frauen in der rechten Szene. Sie sagt, dass viele von ihnen eine klare berufliche und private Perspektive hätten – das anderslautende Klischee sei längst empirisch widerlegt. Der Frauenanteil in ultrarechten Cliquen liege zwischen 30 und 60 Prozent. Sie würden von vielen nicht als gefährlich wahrgenommen – und deshalb gezielt dazu angehalten, sich in Kindergärten, Schulen und Sportvereinen zu engagieren, um dort die rechtsextreme Ideologie an die nächste Generation weiterzugeben.
Verkaufsschlager Dalai Lama Glasgow. Die Beliebtheit des spirituellen Oberhaupts der Tibeter ist offensichtlich ungebrochen: Verkäufe von Strassenzeitungen auf der ganzen Welt schnellten mit seiner Heiligkeit als Cover Boy in die Höhe, viele waren ausverkauft. 1,1 Millionen Dollar verdienten Strassenverkäufer insgesamt weltweit mit der Ausgabe, in der ein exklusiv von Danielle Batist vom INSP geführtes Interview mit dem Dalai Lama erschien. Auch Surprise hatte dank ihm ausserordentlich gute Verkäufe. Wir sagen: Tuschitscheh!
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Zugerichtet Die andere Frauenquote Unschön, was der schöne junge Brasilianer seinen Opfern angetan hat. Mit einem Kumpel, dessen Identität er eisern verschweigt, beging er im Zürcher Langstrassenquartier zwei fiese Raubtaten. Eines der Opfer schloss gerade sein Velo ab, das andere erleichterte in einem Hinterhof seine Blase, als das Duo zuschlug, mit Fäusten, Füssen und Waffen. Im Detail sind die Taten Beispiele für Verhalten, das den Gerichten besonders sauer aufstösst: Selbst als der erste Geschädigte bereits zu Boden gegangen war, traktierte der Angeklagte ihn weiter mit Tritten in den Oberkörper. Im zweiten Fall hielt der Angeklagte das Opfer fest, während der Komplize ihm wiederholt mit den Fäusten heftig gegen den Kopf schlug. Und selbst als es flüchtete, aber stürzte, war noch nicht genug: Nun schlug auch der Beschuldigte zu. Mit einer Waffe, auf den Kopf. Je länger sich die Befragung des 22-Jährigen hinzieht, desto öfter sind aus dem Zuschauerraum Schneuzgeräusche zu vernehmen. Dort sitzen Hand in Hand die Mutter und die Ehefrau des Angeklagten. Auch von ihnen ist die Rede, sie sind unfreiwillig Teil des Prozesses. Die Verteidigerin führt aus, wie der neu Eingewanderte und frisch Verheiratete damals mit der Verantwortung überfordert war. Erst recht, als dann auch noch das Baby kam. Die Dinge entwickelten sich nach einem Standarddrehbuch männlicher Logik, dem Frauen schlecht folgen können: Probleme bei der Arbeit, Kündigung, Alkohol und Drogen, schliesslich Kriminalität und Gewalt. Nicht selten gegen die Frauen selbst. Nicht im vorliegenden Fall, aber der soziale Abstieg reicht ja auch. Die junge Familie konnte sich nach dem Stellen-
verlust keine eigene Wohnung mehr leisten und musste zur Mutter des Täters ziehen. Während sich Frau und Mutter um das Familienwohl kümmerten, zelebrierte der Angeklagte seinen Frust über den Statusverlust und stürzte ab. Als Motiv für seine Taten gibt er an, er habe die Krankenkassen- und Telefonrechnungen nicht mehr bezahlen können. Weibliche Angehörige sind zu oft unbeteiligte Opfer der männlichen Täter, Kollateralschäden mit einer Packung Taschentücher auf der Zuschauerbank. Ihre Schneuzer wachsen sich zu Schluchzern aus, diese bei der Urteilsverkündung je nach Strafmass in leises Weinen oder einen hysterischen Heulkrampf. Man kann versuchen, sich ihr Gefühlschaos auszumalen. Mit der Straftat hören sie ja nicht auf, ihre Söhne oder Männer zu lieben. Mit dem Urteilsspruch verlieren die Frauen zudem oft ihren unmittelbaren Lebensmittelpunkt, besonders wenn es Migrantinnen trifft. Andererseits müssen sie mit Enttäuschung und Wut über ihre Männer umgehen, die bei ihren Taten nicht an sie und ihre Zukunft dachten. Schliesst etwa unsere Brasilianerin ihren Räuber nach milden 18 Monaten wieder in die Arme – weitere 18 Monate wurden bedingt ausgesprochen – warten zehntausende Franken Gerichts- und Untersuchungskosten sowie Wiedergutmachungszahlungen. Den umgekehrten Fall gibt es praktisch nicht. Junge Familienmütter, die schwere Raubtaten begehen, sind extrem selten. Wie überhaupt weibliche Kriminalität eher selten ist: Das Bundesamt für Statistik verzeichnete 2010 bei allen Verurteilten eine Frauenquote von 15 Prozent. Aufholen sollten die Frauen hier lieber nicht. YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 285/12
Surprise Strassensport Von Zürich nach Mexiko
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch
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Stehend, v.l.: Tai Flury, Thomas Bickel, Ralf Breidenbach, Christian Meier, James Duske, Pascal Zuberbühler, Michael Steiner, Michel van Oudheusden Knieend v.l.: Edwar Casaran, Roger Bögli, Lukas Kunz, Leonardo Nigro, Hamsabasan Umakandan, Franco Di Jorio, Beni Fueter
Schweiz wurde einer äusserst starken Gruppe zugelost. Nicht nur treffen die Schweizer auf den amtierenden Europameister Polen, sondern mit der Ukraine auch auf den HWC-Weltmeister 2009. (ojo) ■
Wie sich die Schweizer Nati schlägt, erfahren Sie täglich auf: www.facebook.com/SurpriseStrassensport (auch ohne Facebook-Profil einsehbar)
BILD: ZVG
Gilbert Gress entpuppte sich bei seiner Ansprache zu den 10. Schweizermeisterschaften von Surprise Strassensport – nicht ganz überraschend – auch als Fachmann in Sachen Strassenfussball. Zudem wurde der Kultexperte seinem Ruf als Monsieur Bonmot gerecht: «Heute gibt es nicht nur einen Sieger, hier dürfen sich alle Teilnehmer als Sieger fühlen.» Am Ende konnten trotzdem nur drei Teams die Trophäen in den Himmel über dem Helvetiaplatz in Zürich stemmen. Während mit Surprise Zürich ein Gründungsteam der Liga den Fairplay-Pokal holte, gingen die weiteren Titel an zwei Neulinge. Die Street Dogs aus Liestal beendeten ihre erste Saison gleich als Schweizermeister im B, und auch im A feierte der FC Haudenäbe Schwyz Liga- und Meister-Premiere. Die neuformierte Schweizer Nationalmannschaft nutzte die Schweizermeisterschaften als Formtest. Man unterlag in einer so unterhaltsamen wie torreichen Partie gegen die Surprise All-Stars mit 4:8. Bedenkt man, dass die AllStars nebst Torwart Pascal Zuberbühler mit weiteren ehemaligen Nati-Spielern wie Franco Di Jorio und Thomas Bickel gespickt waren, kann man mit dem Resultat gut leben. Wirklich ernst gilt es für die Surprise Nati erst am Samstag, 6. Oktober. Dann startet in Mexico City der 10. Homeless World Cup. Die
BILD: RUBEN HOLLINGER
Mit den Schweizermeisterschaften fand die Jubiläumssaison für die Liga-Teams ein würdiges Ende. Die Nationalmannschaft dagegen startet erst ins Fussball-Jahr 2012.
Starverkäufer Alok Fechner Jeremy Schaller und Jutta Schönhofer nominieren gemeinsam Alok Fechner als Starverkäufer: «Es hat uns beide sehr berührt, mit welch schüchterner Freundlichkeit er am Abend noch seine Zeitschriften verkauft. Wir haben noch nie erlebt, dass sich ein Mensch so sehr darüber freuen kann, wenn man ihm eine einzige Zeitschrift abkauft, und wünschen ihm noch unzählige Erfolgserlebnisse für die Zukunft!»
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Porträt Die Stadtgärtnerin Gudrun Ongania begeistert sich für stinkenden Dünger und entspannt sich beim Jäten. Die einstige Personalberaterin will die Städter näher zur Natur bringen. Und stellt mitten in Zürich mobile Gartenbeete auf. VON MANUELA DONATI (TEXT) UND DAVIDE CAENARO (BILD)
Als Jugendliche mochte sie sich noch nicht festlegen und studierte in Innsbruck und Dublin internationale Wirtschaftswissenschaften. Sie sei eher eine Generalistin und habe sich lange nicht auf eine Leidenschaft beschränken können, sagt Ongania über sich selbst. Das Wirtschaftsstudium habe dem entsprochen und Einblicke in viele Bereiche ermöglicht. Erst später habe sich das Gärtnern dann als Passion herauskristallisiert, «ein richtiger Findungsprozess» sei es gewesen. Währenddessen arbeitete sie weiterhin als Beraterin bei verschiedenen grossen Unternehmen. Sie betreute und schulte Mitarbeiter bei beruflichen Veränderungen – eine gute Position mit entsprechendem Lohn. Dennoch fragte sie sich: «Ist das Umfeld eines Grossunternehmens wirklich das Richtige für mich?» Für eine wie sie, die impulsiv ist und gerne einfach loslegt und umsetzt, ohne gross zu diskutieren. Es wurde immer klarer: Die Festanstellung engte sie ein. Ende 2011 kündigte sie ihren Job, um ihren Traum zu verwirklichen und sich selbständig zu machen. Zwei Monate und viel Brainstorming später gründete sie «Veg and the City». Mit dem Slogan «Hol dir den Garten nach Hause» will sie Stadtbewohner zum Bepflanzen ihrer Fenstersimse und Balkone motivieren. In einem Webshop bietet sie moderne Versionen der üblichen Balkonkisten an, die in jede Wohnung oder auf jeden noch so kleinen Balkon passen. Ausserdem vermittelt sie ihr Wissen in Kursen und gibt ihren Teilnehmern praktische Anleitungen zum Anpflanzen in der Stadt mit. Früher trug Gudrun Ongania bei der Arbeit Anzug oder Kostüm – wie es in der
Gudrun Ongania hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: «Ich möchte 100 000 Wohnungen und Arbeitsplätze in der Schweiz begrünen», erklärt sie. Ein Topf mit Kräutern in einer Ecke sei damit nicht gemeint, sondern eine individuelle Gartenlösung, je nach Bedürfnissen und Möglichkeiten. Gleichzeitig will sie mit ihren Kursen und urbanen Gemüsestationen die Verbindung der Konsumenten zum Lebensmittel wieder herstellen: «Oft wissen wir gar nicht mehr richtig, was wir da auf dem Teller haben und wie das, was wir gerade essen, angepflanzt wird.» Studien belegen ihre These: Die Generation der 30- bis 40-Jährigen hat ein grosses Bedürfnis nach Nähe zum Lebensmittel. «Der Wille zum SelbstAnpflanzen, Ernten und Kochen ist da», bestätigt Gudrun Ongania. «Veg and the City» heisst Onganias Projekt, es ist eines von vielen Beispielen von Urban Gardening. Der Begriff ist zurzeit in aller Munde. Der Trend ist ursprünglich in Krisenzeiten entstanden, in denen Stadtbewohner zur Selbstversorgung Gemüse anpflanzten. Heute ist Urban Gardening ein Hobby für Stadtbewohner mit grünem Gewissen. Auch in der Schweiz boomt die landwirtschaftliche Nutzung von Grünflächen im urbanen Raum: In vielen Städten sind Gemeinschaftsgärten entstanden, in denen die Betreiber zusammen Gemüse anbauen und ernten. Wenn Gudrun Ongania über Pflanzen spricht, wird eines schnell klar: Sie hat «Veg and the City» nicht gegründet, um von einem Hype zu profitieren. Spricht sie über ihre Lieblingspflanzen, leuchten ihre blauen Augen und die Hände wirbeln zur Unterstützung der Worte energievoll durch die Luft. Früher trug Gudrun Ongania bei der Arbeit Anzug oder «Zum Essen mag ich Erdbeeren am liebsten, Kostüm. Heute trägt sie die Farben eines Gemüsebeets. beim Anbauen die Kapuzinerkresse, deren schöne Blüten sich sogar essen lassen. Auch Tomaten sind spannend: Man kann viel falsch machen, und es gibt so Wirtschaftswelt halt so üblich ist. Heute ist ein Kleid in sattem Grün ihr viele verschiedene Sorten.» Es fällt leicht, sich vorzustellen, wie Gudrun Signature-Look. Dazu kombiniert sie Pumps in knalligem Rot-Orange Ongania schon als Kind ihre Eltern dazu anregte, im heimischen Garten oder ein Jäckchen in Senfgelb – und trägt somit die Farben eines Genicht nur Obstbäume und Zierpflanzen zu setzen, sondern auch Kartofmüsebeets. Früher musste sich Gudrun Ongania nach den Kunden richfeln und Radieschen. Gespannt beobachtete sie, wie sich die Setzlinge ten. Heute kann sie sich ihre Zeit selbst einteilen – ein Glück, ist sie doch entwickelten. «Ich fand das schon damals faszinierend: Man steckt etfür «Veg and the City» ständig auf Achse und zwischen ihrem Zuhause was rein in die Erde und dann wächst da etwas, das man dann ernten in Feusisberg und Zürich unterwegs. und essen kann.» Heute ist es für sie immer ein Highlight, wenn sie Ongania hat in nur kurzer Zeit mit «Veg and the City» viel erreicht. jeweils im Januar ihren 20 Quadratmeter grossen Garten neu planen Das einzige Hindernis der Startphase – die potenziellen Kunden überkann: Mit Bleistift und Papier überlegt sie sich genau, was wohin gesät haupt auf das Angebot aufmerksam zu machen – hat sie mühelos werden kann, damit der Boden nicht ausgelaugt wird, welche Pflanzen überwunden. Das zeigt das Interesse an den Kursen und die vielen Gesie selber zieht und was für Setzlinge sie noch dazukaufen will. Dass sie spräche, die entstehen, wenn sie in ihrem grünen Kleid neben dem beim Unkrautjäten «abschalten und fokussieren» kann und begeistert mobilen Gemüsebeet oder auf Märkten anzutreffen ist. Auf den Lorein übelriechendes biologisches Düngemittel kreiert hat, spricht von beeren ausruhen wird sie sich trotzdem nicht. Für nächstes Jahr plant wahrem Enthusiasmus. Alles, was im weitesten Sinne zum Gärtnern gesie in Zürich ein Netzwerk von Mietgärten und Erntestationen. Die hört, ist heute zentraler Bestandteil im privatem und beruflichen Leben kleinen Gewächshäuser sollen mitten in der Stadt «eine Erlebniswelt der gebürtigen Österreicherin, die der Liebe wegen vor acht Jahren in und eine Begegnungszone» bieten – und natürlich saisonales und fridie Schweiz kam. Doch die Leidenschaft zum Gärtnern musste erst ein sches Gemüse. ■ bisschen warten, bis sie ausbrechen durfte. SURPRISE 285/12
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Kleinbauern Ackern für eine bessere Welt Mitten in der städtischen Agglomeration versucht ein idealistisches Jungbauernpaar so viel Nachhaltigkeit zu verwirklichen wie nur irgend möglich. Das ist schön. Und unglaublich anstrengend. VON MENA KOST (TEXT) UND DAVIDE CAENARO (BILDER)
«Schnell, einen Hornstrick!» Anita Triaca steht im Stall zwischen Venus und Juna und stemmt deren behornte Köpfe auseinander. Die hochträchtige Venus war gerade zwei Monate auf der Dauerweide, heute ist ihr erster Tag zurück im Stall. Nachbarin Juna ist die schwächere der beiden Braunen, also wird sie von Venus attackiert. «Die Rangordnung in einer Kuhherde ist brutal», schnauft die 37-jährige studierte Tiermedizinerin und greift nach dem Strick, den ihr Partner Fabian Brandenberger hinhält. Ruckzuck schlingt ihn die zierliche Frau um Venus’ Hörner und bindet die Kuh fest. Der Familienbetrieb «Im Basi» mit der einzigen hofeigenen Kleinkäserei weit und breit liegt nicht in irgendeiner Heidikulisse, sondern in Dietikon, mitten in der Limmattaler Agglomeration. Vom Bahnhof aus ist er zu Fuss in 15 Minuten zu erreichen – vorbei an der Kirche, an diversen Kebabständen und Billig-Kleiderläden –, und noch bevor die Hauptstrasse die letzten Wohnblocks hinter sich lässt, zweigt ein Weg
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ab, der direkt auf den Hofplatz führt: Sonnenblumen und Tagetes blühen hier, vom Brunnenstock plätschert’s in den Steintrog, eine alte Holzbank lädt zum Verweilen und Labradormischling Cancho reckt seine Schnauze in die Sonne. Auf dem Hofgut der Familie Triaca-Brandenberger gelten eigene Regeln: Nicht Wirtschaftlichkeit steht hier im Vordergrund, sondern Nachhaltigkeit. Die Kühe haben Hörner, die Hühner Auslauf und die Schweine dürfen in der Erde wühlen. Sieben Jahre ist es her, dass das Paar auf dem Hof von Anitas Eltern eingestiegen ist, seit bald zwei Jahren wirtschaften die beiden 37-Jährigen nun hauptverantwortlich, diesen Winter wird die von ihnen eingeleitete Umstellung auf biologische Produktion vollzogen sein. «Dann sind wir Voll-Knospe», freut sich Anita und streicht sich eine braune Locke hinters Ohr. «Der Entscheid für Bio hatte bei uns nichts mit finanziellen Anreizen zu tun», erklärt Partner Fabian. Bio bedeute nämlich in erster Linie mehr Arbeit und weniger Ertrag. Wer nur wegen der höheren Direktzahlungen umsteige, produziere meist bald wieder konventionell. «Für uns steht die Ideologie im Vordergrund. Wir wollen etSURPRISE 285/12
was Sinnvolles machen – für uns und für die Welt. Hier produzieren wir mit unseren Tieren zusammen Nahrung für Menschen und halten den Boden fruchtbar, so dass auch kommende Generationen noch von ihm leben können.» Der studierte Ingenieur-Agronom, der aus einer Familie stammt, die mit Landwirtschaft nichts am Hut hat, entschied sich schon früh für diesen Beruf. Noch während der Schulzeit, nach einem Austauschjahr in Neuseeland, war für ihn klar, dass er, wenn schon nicht Schafscherer, dann Bauer werden würde: «Der schönste Beruf, den es gibt.»
unseren Käse nicht. Den gibt’s halt jeden Tag.» Dabei ist der Käse die Spezialität im «Basi»: Pro Jahr werden in der Hofkäserei rund drei Tonnen davon hergestellt – von Frischkäse über Weichkäse bis zu Hartkäse und Raclettekäse. Käse, Joghurt, Eier, Zwiebeln, Kartoffeln und Kürbisse werden im Hofladen verkauft. Ausserdem beliefern Anita und Fabian Volg-Läden, einen Marktstand, eine Metzgerei und ein Alterszentrum. «Das Interesse an unserem Käse ist gross», sagt Fabian, der das Käserhandwerk mit Anita auf der Alp erlernt hat. Ausserdem sei es einfach genial, aus der verderblichen Milch etwas Haltbares herzustellen. «Das Besondere an unserem Käse ist, dass er ein total transparentes Produkt ist», sagt Anita. Jeder, der Lust habe, könne vorbeikommen und schauen, wo die Kühe ihr Gras fressen, wo sie gemolken und wie sie behandelt werden. Ausserdem gebe es keine Transportwege. «Fast keine», korrigiert Fabian: «Die Milch wird vom Stall zur Käsi gefahren. Das sind immerhin 50 Meter.» «Wenn ich sehe, wie das Gros der Leute im Supermarkt auf Schnäppchenjagd geht, ist mir das sehr fremd. Ganz besonders beim Fleisch», sagt Anita. «Wenn wir wieder einmal sechs Säuli zum Schlachthof bringen und sehen, wie zweistöckige Doppelanhänger Hunderte von zum
Die Krone der Kuh In der Schweiz gibt es derzeit noch 57 000 Landwirtschaftbetriebe, jährlich gehen 1000 bis 2000 ein. Betroffen sind hauptsächlich Kleinbetriebe, auf ihnen lastet der grösste Druck. Auch der Hof von Anita und Fabian fällt in diese Kategorie. «Kleinstrukturen sind nicht mehr erwünscht», erklärt Fabian. «Ein Beispiel: Wir planen zurzeit den Bau eines Freilaufstalles für unsere behornten Kühe. Im neuen Stall werden 28 Tiere mit Hörnern Platz haben. Hätten die Kühe keine Hörner, könnten wir 60 Stück unterbringen.» Wären 60 Tiere im Stall, würde allerdings das hofeigene Futter knapp und das Bauernpaar müsste zukaufen, zum Beispiel aus Nord«Unser Käse ist ein total transparentes Produkt: Jeder italien. Ausserdem würde mehr Kuhmist anfallen, als man auf einem Bio-Hof zum Düngen kann vorbeikommen und schauen, wie die Kühe ihr Gras der Felder ausbringen darf. Trotzdem würden fressen und wo sie gemolken werden.» sie für einen Stallbau für 60 Kühe Subventionen vom Bund erhalten. Da Fabian und Anita Teil zerbissenen und zerkratzten Säuen anliefern und wie die Tiere in aber nicht mehr Tiere beherbergen wollen und ihnen ausserdem die den Schlachthof getrieben werden, dann habe ich damit grosse Mühe.» Hörner – oder die «Krone», wie sie sagen – lassen möchten, müssen sie Sie wisse zu viel, als dass sie Fleisch essen könne, von dem sie nicht wisauf Bundeshilfe verzichten. «Die Logik, die sich aus der aktuellen Polise, wie es produziert wurde. «Die Menschen sollten grundsätzlich wieder tik ergibt, funktioniert folgendermassen: Wer sich vom System aus Anmehr Geld ausgeben für nachhaltig produziertes, regionales Essen», sagt reizen und Subventionen bestimmen lässt, nimmt seinen Tieren die Fabian. In den Augen des drahtigen Mannes blitzt seine Überzeugung Hörner ab, stellt mehr Stück Vieh in seinen Stall und kauft günstiges auf: «Wenn wir jegliche Tradition zerstören auf dem Weg hin zu ratioFutter ein, das unter hohem Energieaufwand in die Schweiz transpornellen Betrieben, wird es irgendwann nur noch riesige Milchfarmen an tiert werden muss.» der Autobahn geben, wo der Lastwagen, der die Milch holt, einfach zuObwohl «Im Basi» die Ideologie wichtiger ist als der Ertrag, muss nafahren kann. Im europäischen Vergleich konkurrenzfähig werden wir türlich rentabel gewirtschaftet werden: Bisher konnten sogar zwei Partrotzdem nie sein, dafür sind die Schweizer Strukturen zu klein und die teien vom Hof leben – Fabian, Anita und ihre beiden Kinder sowie AniStandards trotz allem zu hoch.» So, wie weltweit auf Kosten der Natur tas Eltern. Allerdings: «Wir leben sehr bescheiden und arbeiten extrem produziert werde, komme es ihm vor, als bretterten wir mit 100 Stunviele Stunden», sagt Fabian. Allein die Käserei und der Hofladen braudenkilometern auf eine Wand zu. Heute seien wir noch wenige Meter dachen rund 35 Stunden pro Woche, weitere 80 Stunden wendet das Paar von entfernt und könnten nicht mehr bremsen. «Und das Schlimmste dafür den restlichen Hofbetrieb auf. Dazu kommen noch einmal 60 bis 80 bei ist, dass hinten im Auto die nächste Generation mitfährt.» Stunden, die Anitas Eltern mitarbeiten. Die Stundenlöhne dürfe man Die Mittagszeit ist vorüber, Sanna und Elia machen sich wieder auf erst gar nicht ausrechnen, murmelt Anita. Dann sagt sie: «Die endlose den Weg in Kindergarten und Schule. Bald wird es anfangen zu regnen, Arbeit belastet auch manchmal. Es gibt Momente, in denen ich mich nur einer muss das Heu hereinholen, einer muss «maisen». Anitas Vater noch hinlegen und lange, lange schlafen will.» übernimmt das Heu, Fabian den Mais und Anita schaut nochmals nach den Kühen. «Mein Traum wäre, dass mehr Leute in die Landwirtschaft Milchfarmen an der Autobahn könnten, die wirklich Lust darauf haben, nachhaltig zu produzieren. Im Kuhstall ist wieder Ruhe eingekehrt. Venus und Juna stehen einSeien das Familien oder Genossenschaften, egal. Das Fernziel müsste trächtig kauend nebeneinander und das Kälbchen, das gerade von Anisein, dass sich die Schweiz möglichst weitgehend selbst versorgen ta geschöppelt wurde, steht jetzt etwas sicherer auf den Beinen. Anita könnte», sagt Fabian und schlüpft in seine blaue Jacke. Während er auf und Fabian streifen sich im Vorraum zum Wohnhaus die grünen Stallden Traktor steigt, ruft er noch: «Das gilt auch für alle anderen Länder. stiefel von den Füssen und waschen die Hände. Bald ist es Zeit fürs MitDort, wo unser Kaffee herkommt, sollten sie auch besser zuerst einmal tagessen, Sohn Elia (7) und Tochter Sanna (5) kommen von Schule und ihre eigenen Leute versorgen. Wenn dann noch Kapazitäten bleiben, um Kindergarten angewieselt. Die Küche und Wohnstube der Familie TriaKaffee für den Export zu produzieren, dann kaufe ich das Kilo auch gerca-Brandenberger erinnert ein wenig an Pippis Villa Kunterbunt: Die ne für 50 Franken. Und trink dafür einfach nur noch einmal die Woche Wände sind selbst verputzt, die Holzböden selbst verlegt, Schränke sind ein Tässchen.» bunt angemalt, und gegessen wird an einem Tisch, der aus dem eigenen ■ Apfelbaum geschreinert wurde: Es gibt Nudeln-Bolognese, Fleisch und Salat aus eigener Produktion, selbstverständlich alles biologisch. DarüFabian Brandenberger ist Mitglied der Gewerkschaft Uniterre, die eine vertraglich ber wird der eigene Käse geraffelt. «Das beste Gefühl ist, wenn ausser geregelte, lokale und nachhaltige Landwirtschaft unterstützt. Uniterre wiederum ist der Mayonnaise alles vom Hof ist», schwärmt Fabian. Elia und Sanna Mitglied bei Via Campesina, einer internationalen Bewegung von Kleinbauern und wollen hingegen weder von der Fleischsauce noch vom Käse. «Bäääh», Landarbeitern, die unter anderem das Konzept der Ernährungssouveränität vertritt. sagt Sanna, und Elia verdreht die Augen. «Jaja», sagt Anita, «sie mögen Infos: www.uniterre.ch, www.viacampesina.org SURPRISE 285/12
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Bio-Bäuerin Anita Triaca: «Wenn ich sehe, wie das Gros der Leute im Supermarkt auf Schnäppchenjagd geht, ist mir das sehr fremd, besonders beim Fleisch.»
Agrarpolitik 2014 – 17 Mehr Ökonomie, mehr Ökologie VON CHRISTOF MOSER
Einmal mehr ging es hoch zu und her, als in der letzten Septemberwoche im Nationalrat um die Zukunft der Agrarpolitik gestritten wurde: Insgesamt zwölf Stunden lang diskutierte das Parlament das Geschäft «AP 14–17», also den Vorschlag von Bundesrat Johann Schneider-Ammann für die Agrarpolitik in den Jahren 2014 bis 2017. Kein Wunder: Es ging um 2,8 Milliarden Franken Direktzahlungen pro Jahr. Insgesamt wird die Schweiz im Zeitraum dieser vier Jahre 13,6 Milliarden Franken für die Landwirtschaft aufwenden. Die Debatte endete mit einer faustdicken Überraschung: Die mächtige Bauernlobby unterlag in einem zentralen Punkt der Vorlage. Künftig soll nicht mehr die Anzahl Tiere, sondern die genutzte Fläche für die Direktzahlungen massgebend sein – eine Niederlage für SVP, CVP und Teile der FDP. Gewinner sind Grüne, SP und Grünliberale, die damit eine weitere Ökologisierung der Landwirtschaft unter ökonomischen Gesichtspunkten durchgesetzt haben. Die Abschaffung der Tierbeträge soll auch zu einem besseren Einkommen für Kleinbauern führen. Konkret ging es um die Beiträge «für die Haltung Raufutter verzehrender Nutztiere» und «für die Tierhaltung unter erschwerenden Pro-
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duktionsbedingungen», die der Bundesrat abschaffen, der Bauernverband aber beibehalten wollte. Die Tierbeiträge sorgten bisher dafür, dass sich für den einzelnen Bauern ein hoher Tierbestand lohnte, obwohl die deshalb produzierten Rekordmengen an Fleisch und Milch die Preise immer weiter sinken liessen. Dies kam einem Grundeinkommen für Grossbauern gleich. «Landwirte sind Produzenten und keine Landschaftsgärtner», proklamierte die Bauernlobby im Parlament – und verschwieg dabei, dass die Bauern im Rahmen der neuen Agrarpolitik sogar Geld für die Pflege ihrer Geranien bekommen. Vor 16 Jahren sprachen sich mehr als drei Viertel der Schweizer Stimmbürger dafür aus, dass der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und die Pflege der Kulturlandschaft zu den Zielen der Schweizer Landwirtschaftspolitik gehören. Unter diesem Deckmäntelchen wird seither um das grosse Geld geschachert. In der Debatte um die Landwirtschaftspolitik steht die Politik zuweilen Kopf: Die frühere Landwirtschaftsministerin Doris Leuthard brachte es 2007 auf den Punkt, als sie sagte: «In dieser Diskussion ist es spannend, dass die SP und die Grünen für Wettbewerb sind und die bürgerlichen Kolleginnen und Kollegen eine staatliche Verteilung der Zollkontingente bevorzugen.» ■ SURPRISE 285/12
BILD: MYRTO PAPADOPOULOS
Ikonenmaler Leon (rechts) vor seinem neuen Zuhause, der Notunterkunft Klimaka im Zentrum Athens.
Wirtschaftskrise Die neue Armut Mit der globalen Wirtschaftskrise kehrt auch die Armut in grossem Stil nach Europa zurück. Die Zahlen sind eindrücklich, doch hinter ihnen stehen Menschen: Wir stellen zwei von ihnen vor. Und einen Bürgermeister, der als moderner Robin Hood Lebensmittelläden ausraubt. TEXTE UND BILDER: INTERNATIONAL NETWORK OF STREET PAPERS INSP, BEARBEITUNG: FLORIAN BLUMER
Griechenland Der optimistische Obdachlose Leon* lebt seit letztem Oktober in einer Notschlafstelle im Stadtzentrum Athens. Der 64-Jährige hat eine aufrechte Haltung, leuchtend braune Augen und einen gepflegten weissen Bart. Er strahlt Selbstvertrauen aus. «Ich bin eine optimistische obdachlose Person», sagt er und lächelt schüchtern. Leon ist einer von schätzungsweise 20 000 «Neo-Obdachlosen» in Griechenland, Menschen, die im Zuge der jüngsten Wirtschaftskrise ihr Zuhause verloren haben. Nach einem abgebrochenen Medizinstudium, das er auf Wunsch seines Vaters begonnen hatte, absolvierte er die «Harrow Art School» in SURPRISE 285/12
London. Zurück in Griechenland arbeitete er erst in der Reisebranche, dann fünf Jahre später als Englischlehrer. 1994 entschied er sich dazu, seiner nie erloschenen Liebe zur Kunst nachzugehen: «Ich wusste, dass es für mich kaum möglich war, meinen Lebensunterhalt als Kunstmaler zu verdienen, aber ich hatte damals genügend Geld gespart, um ohne schlechtes Gewissen meine neue Karriere zu beginnen.» Leon wurde Ikonenmaler. «Für eine Weile lief es ganz gut. Ich hatte Arbeit, da ich schnell einen soliden Kundenstamm aufbaute. 2009, mit der Wirtschaftskrise, änder-
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Leon hat tatsächlich Grund zum Optimismus: In einem Jahr, mit 65, te sich plötzlich alles. 2010 hatte ich nur noch die Hälfte der Aufträge, sollte er seine Pension bekommen. Nach vielen Jahren, in denen er grosdie ich vorher gehabt hatte. 2011 war es noch ein Zehntel. Meine Schulse Beiträge an die staatliche Rentenkasse geleistet hat, sollte sein moden häuften sich, ich konnte meine Miete nicht mehr bezahlen und ich natlicher Scheck gross genug sein, um sich eine eigene Wohnung zu wusste, dass ich in eine Sackgasse laufe. Eines Nachts im letzten Sepmieten. Dazu erhofft er sich durch den Verkauf seiner religiösen Zeichtember klopfte es an meiner Tür. Es war mein Vermieter mit einem Räunungen ein Zusatzeinkommen. Leon ist ein Mann, der sich weigert aufmungsbescheid.» zugeben. Im Gegenteil: Er sagt, er freut sich auf die Zukunft. Leon landete auf der Strasse. «In den ersten Tagen war ich ganz überGefragt danach, was das Schwierigste für ihn war in der letzten Zeit, wältigt von dem Gefühl der Erleichterung. Das erste Mal, seit ich mich nennt er den Mangel an Privatsphäre in der Notunterkunft. Und die erinnern konnte, musste ich mir keine Sorgen um Geld, Schulden und andere Verpflichtungen machen» Der AgiosPanteleimon-Platz wurde zu seiner ‹Unter«In den ersten Tagen auf der Strasse war ich ganz überkunft›. Leon schlief etwa 45 Tage auf der Straswältigt von einem Gefühl der Erleichterung.» se, bis sein 30-jähriger Sohn es schaffte, für ihn ein Bett in einer Notunterkunft zu finden. «Ich grösste Angst für die Zukunft? «Die Zukunft meines Sohnes.» Zur Vorweiss, dass er mich zu sich nach Hause nehmen würde», sagt Leon über stellung, wie die Welt seiner potenziellen Enkelkinder aussehen könnte, seinen Sohn, «aber er lebt bei meiner Ex-Frau, und sie würde nichts dameint Leon nur: «Es ist beängstigend.» von wissen wollen.» ■ Trotz allem sagt Leon: «Ich habe ein wunderbares Leben gehabt. Ich bin um die ganze Welt gereist. Ich habe Reisen gemacht, hatte tolle Freunde, mit denen ich ausging, in Tavernen, Cafés, ins Kino, wohin auch immer. Ich habe alle Dinge getan, die eine normale Person machen würde. Ich bin ein Optimist und ich weiss, dass ich aus dieser Situation *Name geändert. wieder rauskomme.» Text: Chris Alefantis, Übersetzung: Andrea Hoffmann
Portugal Im Land der begrenzten Möglichkeiten te und Rechnungen bezahlen zu können. Ana fand keine Arbeit, also Unternehmer Paulo Lis erzählt: «Im Jahr 2003 wurde meine Frau Ana absolvierte sie einen zweijährigen Kosmetikerinnen-Lehrgang, den sie arbeitslos und ich war Geschäftsführer einer Immobilienfirma, deren im letzten September abgeschlossen hat, aber sie verdient jetzt nur 140 Gewinne nicht ausreichten, um uns beide durchzubringen. Deshalb entEuro im Monat. Ein Jahr lang hatten wir weniger als 1000 Euro pro Moschieden wir uns, über eine Temporärarbeitsfirma nach England zu genat zur Verfügung. Es war sehr schwierig, aber wir haben es geschafft, hen. Wir arbeiteten in einer Fabrik, die Chicken Nuggets für McDonald’s davon unsere Rechnungen zu bezahlen, uns zu ernähren und uns produzierte – für einen Stundenlohn von 3,50 Pfund. Wir mussten uns manchmal sogar einen Kaffee für 60 Cent zu gönnen. mit 14 Leuten eine Wohnung teilen und hatten manchmal nichts zu esWir klagten über unser Leben und dachten an England zurück, aber sen. Auch für öffentliche Verkehrsmittel reichte das Geld nicht aus, wir dann wurde alles noch schlimmer. Im Januar verlor ich meine Arbeit, mussten zwei Kilometer zu Fuss zur Arbeit gehen. und wir leben nun von den 140 Euro, die meine Frau im Monat verdient. Fast ein Jahr arbeiteten wir für die Firma, dann entschieden wir uns, Ich habe die Arbeitslosenunterstützung beantragt, die mir zusteht. Die in den Süden nach Whitestaunton zu ziehen. Dort bot man mir an, einen Buchladen zu streichen – damit begann unser Erfolg. 2010 gründete ich ein Sanie«Wir haben nur zu essen, weil meine Mutter und meine rungsunternehmen, das von Anfang an erfolgGrossmutter uns helfen.» reich lief. In der Zeit führten wir ein Leben in Wohlstand: Wir konnten die Welt bereisen, Sozialversicherungsbehörde sagt immer, wir bekommen das Geld so meine Frau ging jeden Monat nach Portugal, um ihre Mutter zu besuschnell wie möglich. Aber wir müssen jetzt essen. Wir haben nur zu eschen und zu versorgen, und wir mieteten sogar ein grosses Haus mit sen, weil meine Mutter und meine Grossmutter uns helfen und weil unGarten in Whitestaunton. ser Vermieter uns gesagt hat, wir sollen ihm die Miete erst dann zahlen, Dann aber wurde bei meiner Frau Tuberkulose diagnostiziert und wir wenn wir können – und auch, weil ich ein Mann bin, der niemals aufmussten zurück nach Portugal ziehen. Der Arzt sagte, Ana brauche Songibt. Ich versuche immer, kleine Jobs zu finden, bei denen ich 100 oder ne und Wärme. Ich wollte sie nicht allein zurückgehen lassen, aus der 200 Euro für Strom, Wasser und Ähnliches verdiene. Entfernung konnte ich aber meine Firma unmöglich aufrechterhalten. Ich hoffe, dass ich die Chance bekomme, in Portugal eine SanieAlso gab ich alles auf. Als wir in Baixa da Banheira, einem kleinen Dorf rungsfirma aufzubauen, mit der ich genauso grossen Erfolg habe wie in in der Nähe von Lissabon, ankamen, war unser Plan, eine Jeansfirma England. Und ich hoffe, dass meine Frau eine Stelle als Kosmetikerin finaufzubauen. det. Ich habe niemals die Hoffnung verloren, aber es ist unglaublich Ein Freund und Geschäftspartner von uns stahl jedoch all unser Geld. traurig, zugeben zu müssen, dass mein Land seinem Volk niemals MögDa fing der Alptraum an. Ich musste so schnell wie möglich Arbeit finlichkeiten geboten hat, zu wachsen und etwas wirklich Gutes auf die den, weil wir nicht einmal Geld für Essen hatten. Erschüttert musste ich Beine zu stellen.» aber feststellen, dass es in meinem Land keine Arbeitsstelle für mich ■ gab. Nach sechs Monaten fand ich endlich einen Job in einer Autofabrik, bei der ich 700 Euro pro Monat verdiente. Ich musste Überstunden machen, sonst hätte ich nicht genug verdient, um Nahrungsmittel, MieAufgezeichnet von Sofia da Palma Rodrigues, Übersetzung: Andrea Wieler
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BILD: JON NAZCA/REUTERS
BILD: GONCALO PORTUGUES
Ana (42) und Paulo Lis (45): «Wir leben von 140 Euro im Monat».
Juan Manuel Sanchez Gordillo, Rebell und Bürgermeister. «Es ist eine Schande.»
Spanien Der Überfall-Bürgermeister Während Gewerkschaftsmitglieder unter dem Applaus von Sympathisanten volle Einkaufswagen ohne zu bezahlen an den Supermarktkassen vorbeischoben, stand draussen der Bürgermeister Wache. Sieben Menschen wurden verhaftet, Juan Manuel Sanchez Gordillo, Bürgermeister des 2645-Seelen-Kaffs Marinaleda im spanischen Südandalusien, wurde jedoch laufen gelassen. Gegen seinen Willen: Sanchez Gordillo sagt, dass er lieber auf seine politische Immunität verzichtet hätte und gerne ebenfalls verhaftet worden wäre. «Es gibt Leute, die zu wenig zu essen haben, im 21. Jahrhundert – das ist eine Schande», klagt Sanchez Gordillo und zupft dabei an seinem ergrauenden Fidel-Castro-Bart. Die gestohlenen Lebensmittel würden an Familien verteilt, die am härtesten von der Wirtschaftskrise getroffen wurden. Er wolle die Aufmerksamkeit auf das menschliche Gesicht von Spaniens wirtschaftlicher Misere lenken. Seit 2007 hat die Armut um 15 Prozent zugenommen, ein Viertel der Arbeiter sind ohne Job, und Zehntausende verloren ihr Heim. Die Provinz Andalusien ist eine der am stärksten von der Krise betroffenen Regionen Spaniens: Hier ist jeder dritte Werktätige ohne Arbeit. Die konservative Regierung sagt zu den Vorfällen, dass es nicht angehe, dass ein Behördenvertreter das Recht verspotte. «Man kann nicht Robin Hood und der Sheriff von Nottingham in einem sein», meint Alfonso Alonso, Parlamentssprecher der regierenden Volkspartei, des Partido Popular. Und: «Dieser Mann sucht nur Aufmerksamkeit auf Kosten der Allgemeinheit.» Doch Sanchez Gordillo mobilisiert unbeirrt gegen die Sparpläne der Regierung: In der spätsommerlichen Hitze Andalusiens SURPRISE 285/12
machte sich Sanchez Gordillo auf zu einenm dreiwöchigen Marsch durch die Provinz. Sein Ziel: andere Lokalregierungen davon zu überzeugen, die Reformen zu boykottieren. Konkret: Schuldenzahlungen zu verweigern, Entlassungen zu stoppen, Hausräumungen zu beenden und Aufforderungen der Zentralregierung zu Budgetkürzungen zu ignorieren. Dieser Aufruf versetzt die Regierung von Premierminister Mariano Rajoy in Rage – denn sie versucht gerade, Investoren von spanischen Staatsanleihen zu überzeugen, um die ramponierte Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen. Sanchez Gordillo ist schon seit Langem eine schillernde Randfigur der nationalen politischen Bühne, ungeachtet der unbedeutenden Grösse des Dorfs, dem er seit 30 Jahren als Bürgermeister vorsteht. Er hat in Marinaleda ein genossenschaftliches Landwirtschaftssystem eingeführt und hat wiederholt versucht, Land für die Bauern zu gewinnen. In Spanien wächst die Armut schneller als in den meisten Ländern Europas – und mit ihr auch die Proteste gegen die Sparpläne. Sanchez Gordillos Ideen, in Boomzeiten belächelt, finden immer grössere Beachtung. «Sie sagen, ich sei gefährlich», sagt der Bürgermeister, und man meint zu sehen, wie er innerlich die Faust reckt, «und die Banker kommen mit Betrug davon? Das ist nicht gefährlich? Die Banken, die für ein Prozent Zinsen Geld von der Nationalbank leihen und Spaniern diese Schulden für sechs Prozent Zinsen weitergeben, – die sind nicht gefährlich?» ■
Text: Paul Day/Reuters, Übersetzung: Florian Blumer
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Surprise Strassensport Die Liga 2012 17 Teams aus der Deutschschweiz massen sich diese Saison bei den Streetsoccer-Turnieren von Surprise. Mehr Infos zu den Teams und der Liga unter: www.strassensport.ch BILDER: RUBEN HOLLINGER
Schweizermeisterschaft 2012 Fairplay Trophäe: Surprise Zürich Katergorie A: 1. Haudenäbe Schwyz 2. Jarajoo Bern 3. Züri Hoch1 4. Team Olten 5. AFG Boys Basel 6. SSC Elim Basel 7. Glattwägs United
Kategorie B: 1. Street Dogs Liestal 2. Surprise Basel/Bern 3. Barracudas Frenkendorf 4. AC GasseChuchi Luzern 5. Surprise Zürich
Ohne Foto: TASCH Schaffhausen, Obstikickers Rombach, AFG Aarau, SFC Olten, Schwarzwald Brasilianer Lörrach
Die Schiedsrichter
Züri Hoch1
AFG Boys Basel
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Barracudas Frenkendorf
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Glattw채gs United, Z체rich
Hauden채be Schwyz
Jarajoo Bern
SSC Elim Basel
Street Dogs Liestal
Surprise Basel/Bern
Surprise Z체rich
Team Olten
AC GasseChuchi Luzern
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Elternurlaub Die Zeit der Väter VON DIANA FREI (TEXT) UND ANGEL SANCHEZ (BILDER)
Vor einigen Wochen kam Bundesrätin Simonetta Sommaruga aus Norwegen zurück und bekräftigte, dass der Elternurlaub eine gute Sache sei. Neu ist diese Einschätzung auch in der Schweiz nicht, denn seit etwa 30 Jahren versuchen Kommissionen und Parlamentarier aus unterschiedlichen Ecken, einen Elternurlaub für Mutter und Vater einzuführen. Bereits 1982 setzte sich die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF im Rahmen der Vernehmlassung zur Mutterschaftsversicherung für einen Elternurlaub ein. «Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit muss verbessert werden, um die Gestaltungsfreiheit des Familienlebens zu ermöglichen. Damit wird auch ein wichtiger Beitrag zur Armutsbekämpfung geleistet», hielt sie damals fest. Alle Vorstösse für einen Elternurlaub sind bisher allerdings gescheitert. So hat es der Nationalrat auch dieses Jahr abgelehnt, einer entsprechenden parlamentarischen Initiative der Grünen Fraktion Folge zu geben. Diese schlug einen Elternurlaub von maximal 24 Wochen vor, mit je vier Wochen individuellem Anspruch für Mutter und Vater, entsprechend dem Modell der Eidgenössischen Koordinationskommission
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für Familienfragen EKFF. Der Bundesrat favorisiert bisher andere Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf – etwa die familienergänzende Kinderbetreuung. Im September 2011 hat er aber ein Postulat von Ständerätin Anita Fetz zur Annahme empfohlen – es soll über eine begrenzte Steuerbefreiung der Eltern eine privat finanzierte Elternzeit ermöglichen. Im Zuge dessen lässt der Bundesrat zurzeit erstmalig verschiedene Modelle eines Elternurlaubs prüfen: Das Bundesamt für Sozialversicherungen wird im Auftrag von Alain Bersets Eidgenössischem Departement des Innern einen Bericht erarbeiten, den der Bundesrat voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2013 verabschieden wird. Während sich die Politik und die Arbeitswelt aber immer noch schwertun mit der Vorstellung, dass auch der Vater ein paar Wochen, Monate oder Jahre beruflich zurückstecken und Windeln wechseln könnte, entscheiden sich Männer immer wieder freiwillig dazu. Lässt man sie erzählen, erfährt man, wie man aus dem Arbeitsleben hinausgeekelt wird, wenn man zugibt, sich um ein Kind zu kümmern. Man hört von Lebensprojekten, in denen das Geld plötzlich nicht mehr wichtig ist. Und ahnt, was es heissen könnte, wenn für Vater und Mutter gleiche Bedingungen gelten würden. SURPRISE 285/12
Hans Kühne (45), Vater von Flurina (9) und Meret (7), aus Oberhofen am Thunersee, nahm sich zur Geburt der ersten Tochter ein Jahr Auszeit. Er arbeitet heute als selbständiger Grafiker. «Als Marlies schwanger war, arbeitete ich in Basel bei einer grossen Werbeagentur, ich war auf der Karriereleiter. Uns wurde klar: Wenn ich weiter 14 bis 16 Stunden pro Tag arbeite, dann habe ich gar keine Zeit für eine Familie. Ich wollte die besondere Zeit der Geburt des ersten Kindes miterleben. Wir beschlossen, eine Auszeit von einem halben Jahr zu nehmen. Ich kündete den Job, meine Frau unterbrach ihr Studium. Die Idee kam bei einem Nachtessen. Wir hatten damals zwar gerade mal rund 18 000 Franken auf der Seite. Aber wir machten’s einfach. Wir haben nicht viel überlegt. (lacht) Wir wollten auch gleich an einem neuen Ort beginnen, um unsere kleine Familie unbelastet von alten Geschichten gründen zu können. Unsere Wahl fiel auf Thun, weil die Thunerseeregion einfach eine wunderschöne Gegend ist. Es war der Hitzesommer 2003, wir waren viel am See und in den Bergen, gingen mit dem Velo einkaufen, wuschen Stoffwindeln und kümmerten uns gemeinsam um das Kind und den Haushalt. So liessen wir uns treiben, genossen die Zeit und schauten zu, wie unsere Tochter grösser wird. Zwischen mir und Marlies entwickelten sich viele gute Gespräche, wir erlebten diese Zeit auch als Paar sehr intensiv. In dieser Zeit lebten wir von 2000 Franken im Monat. Da wir eine günstige Einzimmerwohnung gefunden hatten, kein Auto hatten und auch sonst unsere materiellen Ansprüche aufs Minimum runterschraubten, reichte das tout juste. In diesem halben Jahr kristallisierte sich immer klarer heraus, dass wir nicht ins alte Leben zurück wollten. Doch uns ging das Geld aus, auch weil ich ultimativ einen grossen Teil meines Ausbildungskredits zurückzahlen musste. Der Zufall wollte es aber, dass mich in dieser Zeit meine alte Agentur für einen Freelance-Job anfragte. Zwei Wochen ging ich nach Zürich arbeiten, übernachtete dort auf dem Zeltplatz. Der Job finanzierte uns weitere drei Monate. Ende Jahr ging uns erneut das Geld aus, zwei Monate lang standen wir deswegen wirklich unter Druck. Ich gestaltete eine Serie von Postkarten, um etwas Geld zu verdienen und mich bei Agenturen zu emp-
fehlen. Eine kleine Agentur in Bern stellte mich daraufhin erst als Freelancer ein, dann mit einem Teilzeitpensum von 20, 50, 60 und schliesslich 80 Prozent. Der Wiedereinstieg fiel mir sehr leicht: Nach einem Jahr am See sitzen und Windeln wechseln freute ich mich auch darauf, wieder als Grafiker zu arbeiten. Auch Marlies begann, sich beruflich etwas Neues aufzubauen. Zwei Jahre später kam unsere zweite Tochter Meret zur Welt. Diesmal stimmte das Umfeld: In der kleinen Agentur herrschte eine kollegiale Atmosphäre, ich konnte die Arbeitszeit flexibel gestalten. Zudem arbeitete ich 60 Prozent und hatte so genug Zeit für die Familie – auch weil der Prozess der Familiengründung nach diesem Jahr Auszeit schon voll-
«Flurina und Meret rufen mich manchmal auch Mami.» Hans Kühne
zogen war. Es gab für uns keinen Grund, noch einmal alles hinzuschmeissen. Ich kann natürlich nicht beurteilen, wie die Beziehung zu Flurina und Meret wäre, wenn ich vor Flurinas Geburt einfach weitergearbeitet hätte und wir in unserem alten Netz geblieben wären. Aber ich habe schon das Gefühl, dass wir eine sehr enge Beziehung zu ihnen haben. Seit ich mich selbständig gemacht habe und von zu Hause aus arbeite, bin ich auch wieder fest in den Familienalltag eingebunden. Flurina und Meret rufen mich manchmal auch «Mami» oder Marlies «Papi», oder beide «Mapi» oder «Pami» – die Grenzen zwischen den zwei Bezugspersonen haben sich verwischt. Ich bin nicht nur der Vater, der am Abend oder am Wochenende Zeit zum Spielen hat, ich bin fester Bestandteil der Familie. Im Nachhinein kann ich sagen: Die Auszeit zu nehmen, war einer der besten Entschlüsse meines bisherigen Lebens.» ■ Aufgezeichnet von Florian Blumer
Thierry Colin (34), Vater von Amélie (19 Monate), Braumeister aus Basel. Ist seit der Geburt seiner Tochter Vollzeit-Hausmann und möchte das auch bleiben. «Ich bin ein Befürworter der traditionellen Rollenverteilung: Einer bleibt daheim, schaut auf die Kinder und macht den Haushalt. Der andere geht Geld verdienen. Als bei uns der Wunsch nach einer Familie aufkam, war ich gerade im Ausland und absolvierte dort die Ausbildung zum Braumeister. Ich war damals seit über zehn Jahren in einer Basler Kleinbrauerei angestellt und hätte nach meiner Rückkehr in die Schweiz die Braumeisterstelle übernehmen können – ein grosser Karriereschritt. Trotzdem ist mir die Entscheidung gegen die Karriere und für die Familie leicht gefallen: Erstens verdient meine Frau mehr als ich und zweitens bin ich vom Charakter her geeigneter für Haushalt und Kindererziehung als sie. Meine Frau ist Pharmazeutin und eher der technische, analysierende Typ. Ich bin geduldiger und einfühlsamer. Eigenschaften, die ich für das Zusammensein mit einem Kind als wichtig erachte. Die ersten Tage nach der Geburt von Amélie waren wunderschön. Ich habe dieses kleine Bündel oft unter meinem Kapuzen-Jäckli auf der SURPRISE 285/12
nackten Haut durch die Spitalgänge getragen. Weil wir ja wussten, dass ich die Betreuung übernehmen werde, war es wichtig, dass Amélie meinen Geruch kennenlernt, weiss, wie sich meine Haut anfühlt und so weiter. Die ersten vier Monate haben meine Frau und ich Amélie zu zweit betreut. In dieser Zeit musste ich noch ein paar letzte Tage Militärdienst leisten. Das war gut: So habe ich gesehen, wie es ist, wenn man am Morgen aus dem Haus geht und am Abend heimkommt: Die Wohnung chaotisch – überall Lätzli, Schöppeli, Windeln, und eine Frau, die bereits auf Unterstützung wartet. Umgekehrt hat meine Frau erlebt, was es bedeutet, den ganzen Tag alleine mit dem Kind zu managen und nebenher den Haushalt zu schmeissen. Das waren für uns beide wichtige Einblicke in die spätere Rolle des anderen. Nach vier Monaten hat meine Frau wieder zu 100 Prozent angefangen zu arbeiten. Von da an war ich auch für die Nächte zuständig. Und obwohl Amélie eine sehr gute Schläferin ist, habe ich in dieser Zeit das Angebot der Mütter- und Väterberatung sehr schätzen gelernt.
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Die Reaktionen auf meine Entscheidung, die Betreuung von Amélie zu übernehmen, sind eigentlich positiv ausgefallen, vielleicht sogar etwas idealisierend. Manche Männer sind neidisch darauf, dass ich mir meine Zeit frei einteilen kann. Sie stellen sich vor, dass ich den ganzen Nachmittag nur rumsitze und Kaffee trinke. Die Realität ist natürlich anders: Ich habe Zeitpläne und To-do-Listen. Ohne Disziplin läuft gar nichts. Meine Woche sieht so aus: Zwei Nachmittage sind für Haushalt und Einkaufen reserviert, zweimal in der Woche gehen Amélie und ich in einen Kindertreff im Quartier, einen halben Tag kümmere ich mich zusätzlich um das Kind von Freunden. Zweimal versuche ich ins Fitnesstudio zu gehen, natürlich eines mit Kinderhort. Und ein Tag ist für grössere Ausflüge reserviert. Wenn meine Frau am Abend heimkommt, bin ich im ersten Moment bei Amélie ziemlich abgemeldet, ich gehöre dann quasi zum Inventar. Unsere Tochter will mit ihrem Mami spielen oder mit ihr auf dem Sofa gemütlich ein Schöppeli trinken. Aber wenn sie in der Nacht aufwacht, dann ruft sie ‹Papi, Papi›! Es gibt immer wieder Leute, die mich fragen, ob mir die Bestätigung von der Arbeit nicht fehle. Da muss ich sagen: Amélie durch den Alltag
zu begleiten, in kleinen Krisen und grossen Freuden, wägt das Lob für ein besonders gut gebrautes Bier tausendmal auf. Mein früherer Job war ein Herzblut-Job. Mein Leben mit Amélie – das ist mein Herz und mein Blut. Die Zeit, in der ein Kind so intensive Betreuung braucht wie in den
«Wenn meine Frau am Abend heimkommt, will Amélie mit ihrem Mami spielen. Aber wenn sie in der Nacht aufwacht, dann ruft sie ‹Papi, Papi!› » Thierry Colin ersten Jahren, geht schnell vorbei. Ich könnte mir nicht vorstellen, diese Zeit an eine fremde Person abzugeben. Manchmal kommt es mir so vor, als fordere der Zeitgeist von Eltern, alles unter einen Hut zu bringen. Karriere, Kinder, Hund, Theater-Abo, Ferienhaus … Natürlich alles lockerflockig nebeneinander. So ist das Leben aber nicht. Das schürt meiner Meinung nach Unzufriedenheit. Es gibt so viele Schätze im Kleinen. Wenn man sich die Zeit nimmt, sie wahrzunehmen, ist die Erfüllung gross.» ■ Aufgezeichnet von Mena Kost
Phil Binkert (32), Vater von Gabriel (5), aus Zürich, war während eineinhalb Jahren Hausmann. Heute hat er eine eigene Firma für 3D-Druck. «Als ich meine Stelle als Architekt aufgab, war Gabriel etwa ein halbes Jahr alt. Ich habe sehr viel gearbeitet, in einem renommierten Architekturbüro, fast sieben Tage die Woche. Als wir das Kind bekamen, wollte ich auf ein normales Pensum reduzieren, wenigstens nur 100 Prozent, ohne Überstunden. Ich sagte, ich will mehr Zeit mit meinem Kind verbringen. Aber die Herren der Geschäftsleitung meinten bloss: ‹Wir sehen unsere Kinder auch fast nie.› Da habe ich gekündigt. Meine Partnerin arbeitete 100 Prozent, und ich dachte, es sollte kein Problem sein, einen neuen Job zu finden, es gab viele Ausschreibungen für Architekten, und ich hatte sieben Jahre Erfahrung. Auf die Zeit mit dem Kind hatte ich mich gefreut. Aber nach sechs Monaten wurde es wirklich schwierig. In den Vorstellungsgesprächen fragten sie: ‹Was haben Sie die letzten Monate gemacht?› Ich sagte jeweils klar: ‹Ich war zu Hause mit dem Kind.› Und die Antwort war: ‹Ach so, Sie haben ein Kind …› Zu einem zweiten Gespräch wurde ich nicht mehr eingeladen. Später habe ich das Kind verschwiegen und kam jeweils einen Schritt weiter im Bewerbungsverfahren. So wurden es eineinhalb Jahre, die ich Hausmann war. Es war eine komplette Umstellung. Es war anstrengend: kochen, waschen, viel aufräumen. Da merkst du, dass es nicht einfach ist, für ein Kind zu sorgen und den Haushalt zu führen. Die Zeit mit einem Kleinkind ist oft viel aufreibender als die Stunden am Arbeitsplatz. Gabriel ging ein paar Tage in die Krippe, und sonst war ich ganz oft allein mit ihm. Da war schon das Gefühl: Ich treffe im Park kaum je einen anderen Vater an, meine Freundin dagegen hat bei der Arbeit den ganzen Tag Leute um sich, sie hat ein soziales Umfeld. Und sie kriegt Feedback und Bestätigung, wenn sie etwas gut macht. Zu Hause sagt niemand: Du hast die Windeln aber schön gewechselt. Du bist halt nur anerkannt, wenn du einen Job hast. Wenn du an eine Party gehst und sagst, ich bin Hausmann, dann sagt niemand: Wow, super. Niemand fragt: Wie ist das? Da entsteht kein Gespräch.
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Es war eine harte Zeit, aber es war richtig, zu Hause zu bleiben. Heute gibt es den Vater und den Sohn, aber es gibt auch eine Freundschaft zwischen uns. Das ist wirklich ein schönes Gefühl. Ich habe zum Beispiel erlebt, wie Gabriel zu laufen anfing. Der Rollenwechsel hat uns gut getan, ich bin bis jetzt nicht zu einem dieser klassischen Väter geworden, der nach Hause kommt und sagt: ‹Räum dein Zimmer auf und hör, was deine Mami sagt.› Aber die einzigen Leute, die es verstanden, dass ich 100 Prozent zu Hause blieb, waren die Mütter, die ich am Sandkasten traf. Mit meinen Eltern hatte ich Streit. Sie fragten: ‹Wer sorgt nun für das Kind?› Ich sagte: ‹Ich bin Hausmann.› Sie bohrten weiter: ‹Schreibst du Bewerbun-
«Wenn du an eine Party gehst und sagst, ich bin Hausmann, dann sagt niemand: Wow, super.» Phil Binkert
gen?› Es war mühsam, der Familie klarzumachen, dass ich auch für das Kind sorge, wenn ich zu Hause bin. Und meine Freunde meinten: ‹Du hast es easy, kannst den ganzen Tag im Park liegen …› Wenn Gabriel jeweils in der Krippe war, begann ich, eine eigene Firma für 3D-Druck aufzubauen. Wir stellen Architekturmodelle, Designobjekte, Prototypen her. Angefangen hat das Ganze mit einem Designwettbewerb, ich entwickelte eine Schiene, damit man mit einem Kinderwagen einfacher die Treppe hochkommt. Ich habe die Idee an einem Kongress in London präsentiert, und um weiterzukommen, musste ich sie patentieren lassen. Da hat sich der 3D-Druck als Möglichkeit angeboten, einen Prototypen herzustellen. Man kann also sagen, dass meine jetzige Geschäftsidee direkt aus meinen Erfahrungen während meines Vaterschaftsurlaubs heraus entstanden ist. ■ Aufgezeichnet von Diana Frei SURPRISE 285/12
Angel Sanchez (37), Vater von Pavel (1), aus Altdorf, machte zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Heute arbeitet er Teilzeit in einer Kommunikationsagentur und ist selbständiger Fotograf. «Wenn meine Frau geplant hätte, als Mutter Vollzeit zu Hause zu bleiben, dann hätte ich Nein gesagt. Ich will auch daheim sein. Bevor Pavel zur Welt kam, bin ich mit meinem Chef zusammengesessen. Ich arbeite in einer sozial ausgerichteten Firma, und darum kam er mir entgegen. Wir einigten uns auf zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Eine Woche gab mir das Geschäft, und dazu nahm ich noch eine Ferienwoche. Bei der Hausgeburt bei uns in der Wohnung war ich die ganze Zeit dabei. Eine Geburt schlaucht, und darum war klar, dass meine Frau danach Unterstützung braucht. Mir ermöglichte das, mein Kind von Anfang an kennenzulernen und mich ans Wickeln und Waschen zu gewöhnen. Ich konnte ausprobieren, ohne dass mir jemand über die Schultern schaute und trug von Anfang an Verantwortung – ein gutes Gefühl. Ich wäre gerne länger als zwei Wochen daheim geblieben, von mir aus hätte es ein Jahr sein können. Immerhin konnte ich mein Arbeitspensum senken. Vor der Geburt hatte ich je 50 Prozent als Angestellter und 50 Prozent als selbständiger Fotograf gearbeitet. Die ersten Wochen als Vater zog ich im Geschäft Überstunden ein, nach drei Monaten reduzierte ich mein Pensum auf 40 Prozent. Das Geschäft kommt mir auch bei den Arbeitszeiten entgegen, dadurch bin ich relativ flexibel. Auch die Aufträge als Selbständiger habe ich zurückgefahren, sodass ich derzeit alles in allem je nach Nachfrage zwischen 50 und 80 Prozent arbeite. Am Mittwochmorgen und den ganzen Donnerstag bin ich fix zu Hause und kümmere mich um meinen Buben. Unter dem Strich ist der Aufwand grösser, wenn man sich die Betreuung aufteilt. Wenn meine Frau von der Arbeit kommt, kann ich ihr den Kleinen nicht einfach in die Hand drücSURPRISE 285/12
ken und noch zwei Stunden für mich arbeiten. Die Übergabe läuft ja nicht nahtlos. Im Job bin ich effizienter geworden, bastle nicht mehr lange rum. Ich arbeite konzentriert, aber wenn das Kind krank ist, wäre ich doch lieber daheim. Der unspektakuläre Alltag mit einem Kind ist im Moment reizvoller. Mich beeindruckt es mehr, wenn einer anständige Arbeit liefert und dazu eine aktive Rolle in einer intakten Familie spielt, als Leute, die ohne Kinder eine grosse Karriere starten. Ich könnte mir überhaupt nicht vorstellen, Vollzeit zu arbeiten und Pavel nur abends zwei Stunden zu sehen. Da müsste ich kein Kind haben. Meine Frau arbeitet seit dem Ende des Mutterschaftsurlaubs wieder eineinhalb Tage als Lehrerin. Anfangs kam oft die Frage: Wer schaut denn zum Kind? Gebt ihr es in eine Krippe? Dass der Vater daheim bleibt, ist hier in der Gegend nicht besonders verbreitet. Wir nehmen im Moment finanzielle Einbussen in Kauf. Unser Luxus ist, dass wir verzichten können: kein Auto, keine Hypothek, und Bordeaux sammle ich auch nicht. Es fällt uns leicht zurückzustecken, vielleicht weil wir vorher viel gemacht haben: Wir sind gereist, meine Frau hat als bildende Künstlerin mal ein Atelierstipendium gewonnen, und ich habe Fotobücher publiziert. Mit einem Kind wird die Welt kleiner, und das ist auch gut so. Mittelfristig möchte meine Frau neben dem Unterricht wieder als bildende Künstlerin arbeiten. Der Plan ist, das wir gemeinsam etwa 120, höchstens 140 Prozent arbeiten. So stelle ich mir das vor. Aber mit einem Kind ist es halt so: Du planst etwas, und dann kommt es doch ganz anders.» ■ Aufgezeichnet von Reto Aschwanden
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Der gläserne Lastwagen Als ich kürzlich über den Furkapass fuhr, quälte ich mich hinter einem Lastwagen her. Da macht man sich natürlich so seine Gedanken. Zum Beispiel, ob ein Wirtschaftssystem, in dem es profitabel ist, 25 Meter lange Lastwagen aus Tschechien über Schweizer Alpenpässe zu spedieren, tatsächlich an Überregulierung leidet. Noch mehr wunder nahm mich aber, was dieser Lastwagen wohl transportierte. Welches tschechische Produkt mangelte unserem Berggebiet so dringlich? Die Frage, was in diesen riesigen Lastwagen herumgekarrt wird, treibt mich immer wieder um, vor allem beim Velofahren, wo Begegnungen mit Lastwagen stets von einer gewissen Anspannung begleitet werden, seit mich einmal einer übersehen hat und ich mich nur noch mit einem beherzten Sprung vom Militärvelo, das trotz solider Bauweise völlig verbogen unter den Rädern des
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Monstrums hervorkam, vor vorzeitigem Ableben oder Invalidität retten konnte. Sind die Laderäume bis obenhin voll moderner und unentbehrlicher Gerätschaften oder enthalten sie nur eine Schachtel Zwieback, die im Hospiz schon sehnsüchtig erwartet wird? Dieses und andere Rätsel, die sich im Zusammenhang mit Sinn und Unsinn des Schwerverkehrs stellen, liessen sich leichter lösen, wenn die Laderäume der Lastwagen aus durchsichtigem Plexiglas wären. Technisch ist heute ja alles möglich. Schöner wäre es ohnehin, denn die Fuhrunternehmer glänzen nicht unbedingt durch Originalität. Die Lastwagen werden mit dem Namen des Inhabers und dem Zusatz «Transporte» in der jeweiligen Landessprache bepinselt. Der Reiz, dieses Wort in neuen Sprachvarianten zu lesen, erschöpft sich rasch. Läsen Vertreter des Schwerverkehrverbandes ASTAG diese Kolumne, würden sie die Idee wohl als hirnverbrannt geisseln. Der Lastwagen ist die heilige Kuh des Güterverkehrs. Doch die Sache wäre nur fair. Schliesslich werden über uns, wenn wir die herumgekarrten Waren konsumieren, auch Daten erhoben, dank Kundenkarten weiss man, was wir wann wo kaufen. Der Kunde ist schon längst gläsern, da dürfte es der Laster doch auch sein. Vielleicht würde sich sogar unser Konsumverhalten ändern. Was, wenn wir hinter einem Laster hertuckern, der mit Tausenden von
Computern beladen ist, deren Markenversprechen auf Individualität und Einmaligkeit basiert? Kämen uns Zweifel? Würden wir auf die natürliche Kost suggerierenden Joghurts verzichten, wenn wir sähen, wie viele Kilometer die von der Molkerei zur Verarbeitung zum Verteilzentrum zum Ladengeschäft zurücklegten? Eine Art Light-Version dieses Vorhabens wäre es, Transporteure zu verpflichten, an ihren Lastern gut sichtbar eine Anzeige anzubringen, auf der steht, zu wieviel Prozent das Fahrzeug beladen ist. Es heisst ja, mehr als die Hälfte der Lastwagen fahre leer durch die Gegend, weil, Benzinpreis hin, Logistikwunder her, immer nur in eine Richtung transportiert und dann leer heimgefahren wird. Wenn wir stets vor Augen hätten, dass vor allem Luft durch unser Land transportiert wird, würden wir vielleicht darüber nachdenken, ob diese extra aus Tschechien angeliefert werden muss.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER (MILENA.SCHAERER@GMX.CH) SURPRISE 285/12
Verzehrtheater Brot und Spiele BILD: MICHA SCHERRE
Lässt sich der Mensch unterhalten, kann er seine Finger nur schwer von Speis und Trank lassen. Eine Tatsache, die Verzehrtheater wie Clowns & Kalorien oder das Broadway-Variété zu nutzen verstehen. VON MICHAEL GASSER
Es gibt genau zwei Arten von Kinobesuchern: solche, die Popcorn essen und solche, die kein Popcorn essen. Die Futternden sind in der Mehrheit. Was zeigt, dass es vielen Menschen ein Bedürfnis ist, sich gleichzeitig auf diversen Ebenen verwöhnen zu lassen. Keine neue Erkenntnis, natürlich. Schon im 1. Jahrhundert nach Christus glaubte der griechische Philosoph Dion Chrysostomos feststellen zu müssen, dass die Einwohner Alexandrias nur auf zwei Dinge fixiert seien: Brot und Wagenrennen. Wagenrennen mögen zwar etwas ausser Mode geraten sein, aber im Grunde genommen hat sich in den letzten 2000 Jahren nicht viel verändert: Ob beim Fussballspiel oder beim Konzert – stets befindet sich ein Teil der Besucher auf dem Weg zum nächsten Essstand. Einzig in der sogenannten Hochkultur werden Aufführungen und Nahrung strikt getrennt: Während der Oper oder einer Symphonie gibt’s nichts zu beissen und nichts zu trinken. Da heisst es, sich bis zur Pause oder dem Ende des Stückes zu gedulden. Das ist bei den Verzehrtheatern entschieden anders. Bei ihnen herrscht obendrein Gleichberechtigung: Das, was auf den Tellern und Gläsern landet, soll ebenso hochwertig sein wie das Bühnengeschehen. Ein doppelter Anspruch, der ins Eintrittsgeld geht. Sprich: Unter 100 Franken läuft nichts. Auch nicht bei Clowns & Kalorien, dem Verzehrtheater von Marion und Frithjof Gasser. Was die Kombination von Show und Essen so unwiderstehlich mache, sei die Gemütlichkeit, erklärt Marion Gasser. «Um in den Genuss eines runden Abends zu kommen, müssen die Gäste bei uns nicht extra von einer Location zur nächsten wechseln.» Essen, trinken, schauen und sitzen bleiben als Gesamtpaket. Nur leicht anders klingt das bei Luca Botta, der seit Kurzem neuer Mitbesitzer des 1947 gegründeten Broadway-Variétés ist, das lange Jahre von Jrma und David Schoenauer geführt wurde: «Einen Hochgenuss für alle Sinne», nennt er das aktuelle Programm «La Gant». Einen Anlass, bei dem «lukullische Leckerbissen von extravaganten artistischen Darbietungen und unverfrorenen komödiantischen abgelöst werden». Was natürlich pure PR-Sätze sind. Doch sowohl bei Gasser («Prinzipiell bin ich eine Tüpflischisserin!») wie auch bei Botta scheint klar durch, wie wichtig es ist, den perfekten Gastgeber zu geben. Ist das nicht der Fall, dann hat ein Verzehrtheater nur beschränkte Erfolgsaussichten. Wir erinnern uns an einen rund zehn Jahre zurückliegenden Versuch einer Truppe, eine Konkurrenz zum Broadway-Variété auf die Beine zu stellen. Bei der Premiere waren die Teller eiskalt, das Essen lauer Kantinenfrass und die Showeinlagen frei von Timing und künstlerischem Gehalt. Was dazu führte, dass der Event binnen 24 Stunden abgesetzt wurde. Derartige Verfehlungen leisten sich die eingespielten Teams von Clowns & Kalorien oder vom Broadway-Variété selbstredend nicht. «Dank unserer Erfahrung wird ein Fehler vom Publikum nur bemerkt, wenn die Störung offensichtlich ist», betont Botta. «Etwa, wenn keines der Mikrofone mehr funktioniert.» Und selbst solche Momente würden am Ende Teil des Gesamterlebnisses. Damit ein Abend gelingt, dürfen Darbietungen nicht gleichzeitig mit dem Essen präsentiert werden, sondern abwechselnd, erklärt Gasser. «Essenziell ist es auch, den Gästen fürs Essen genügend Zeit zu lassen.» SURPRISE 285/12
Perfekte Gastgeber zu sein, ist das Grundprinzip des Broadway-Variétés.
Zeit muss aber auch für die Aufführungen sein. Denn in einem Verzehrtheater dreht sich ja nicht ganz alles ums leibliche Wohl. Bei Clowns & Kalorien setzt man auf Klassiker wie Bauchredner, TempoJongleure oder Schattenspiele, während beim Broadway-Variété eher die Akrobatik und das Poetische im Vordergrund stehen. In beiden Fällen resultiert ausgeklügelte und bewährte Unterhaltung. Bleibt als Fazit: Wer kein Herz für Circensisches hat, dürfte in einem Verzehrtheater falsch am Platz sein. Hier werden die Gefühle, das Auge und der Bauch angesprochen, weniger der Intellekt. Eine Kombination, die zur Jahreszeit passt. Schliesslich hat man’s im Herbst am liebsten wieder gemütlich. ■ Clowns & Kalorien: «Das himmlische Verzehrtheater», Chur, Obere Au, bis 28. Oktober. Mo bis Sa, jeweils 19.30 Uhr. Ab 3. November in Winterthur. www.clowns.ch
Broadway-Variété: «La Gant – alles, was die Welt nicht braucht», Basel, Gartenbad St. Jakob, bis 17. November. Di bis Sa, jeweils 19 Uhr. www.broadway-variete.ch
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Kulturtipps
Wer spaziert, muss auch mal Pause machen.
Er ist nicht Woody Allen, sieht aber vielleicht besser aus.
Buch Lob der Langsamkeit
Kino Neurosen à la française
In seinem Manga «Der spazierende Mann» erzählt der japanische Zeichner Jiro Taniguchi von der Fülle des stillen Glücks.
Cherchez l’homme ist die Devise der Apothekerin Alice. Was gar nicht so einfach ist. Trotz der vielen guten Ratschläge, die sie in «Paris-Manhattan» von Woody Allens Stimme erteilt bekommt.
VON CHRISTOPHER ZIMMER VON MICHAEL GASSER
Ein junger Mann zieht mit seiner Frau in eine japanische Vorstadt. Während sie damit beschäftigt ist, das Haus einzurichten, erkundet er auf Spaziergängen die Umgebung. Er scheint alle Zeit der Welt zu haben. Lächelnd und staunend streift er durch die Strassen, manchmal begleitet von einem Hund, der ihnen zugelaufen ist. Die Erlebnisse des jungen Mannes sind unspektakulär, alltägliche Begebenheiten. Er begegnet einem Ornithologen und beobachtet Vögel, er holt für ein paar Jungs ein Spielzeugflugzeug aus den Zweigen eines Baums und geniesst von dort die Aussicht, er folgt einem alten Mann auf dessen langem Weg, bis sie sich in stillem Einverständnis wieder trennen, er verläuft sich, gerät in so enge Gassen, dass er sich durchzwängen muss, macht einen Gang zur Post oder trifft unter einem Kirschbaum auf eine junge Frau, die neben ihm einschläft. Es regnet und schneit, Donner grollt, und manchmal kehrt der junge Mann durchnässt nach Hause zurück. In den 18 kurzen Episoden seiner 1990 entstandenen Graphic Novel «Der spazierende Mann» («Aruku hito») schildert der japanische Zeichner Jiro Taniguchi die Freuden des stillen Glücks, das für alle, die sich darauf einlassen, eine Fülle an Leben und Erleben bereithält. Die Zeichnungen des Buches sind realistisch und voller Details, nur selten unterbrechen Sprechblasen den Fluss der Handlung. Viel öfter tauchen Geräuschwörter auf, die die Stille kaum zu stören scheinen, Schritte, Tierlaute, das Aufreissen eines Bonbonpapiers, die Geräusche von Wind und Regen, das «Klacketiklack» einer Hochbahn oder das immer wiederkehrende «Twuut» einer Blockflöte. Das letzte Kapitel – in der Neuauflage zum ersten Mal in Farbe – spielt zehn Jahre später. Einer inneren Eingebung folgend steigt der Mann eine Station vor seinem Büro aus. Doch dieser Spaziergang ist nicht mehr so unbeschwert wie früher. Wenn der Mann zum Schluss denkt: «Wozu sich immer hetzen müssen?», zeigt dies, dass die einstige unbekümmerte Selbstverständlichkeit verloren gegangen ist. Und das Schwarz auf Weiss der vorherigen Kapitel erscheint nun wie der Blick auf das ferne Glück vergangener Tage. Jiro Taniguchi: Der spazierende Mann. Carlsen 2012. 21.90 CHF.
Und die Filmgeschichte wiederholt sich doch. In «Play It Again, Sam» (1972) war es Woody Allen, der nach einer Frau suchte und bei seinen Anstrengungen viel Rat von der Erscheinung Humphrey Bogarts, seinem Vorbild, bekam. Vierzig Jahre später wünscht sich Alice (Alice Taglioni) einen Mann fürs Leben, schaut aufs Woody-Allen-Poster in ihrem Appartement und bildet sich ein, von der Stimme des New Yorkers mit Lebensweisheiten aus dessen Filmen versorgt zu werden. Wie die Werke des Amerikaners spielt sich auch «Paris-Manhattan», das Regiedebüt von Sophie Lellouche, in der besseren Gesellschaft ab. Also da, wo man bestens auf seine Psyche, sich selbst und die Liebe oder deren Abwesenheit fokussieren kann. Alice ist Apothekerin, versorgt ihre Kunden jedoch öfters – und bisweilen erfolgreicher – mit Filmen von Woody Allen statt mit Medikamenten. Und weil die Geschichte in Paris ihren Lauf nimmt, erweist sich ihre Klientel als unglaublich charmant, voller Esprit und über die Massen interessiert am Leben und Leiden der Protagonistin. Privat hingegen vergisst Alice mitunter ihre guten Manieren, ist neurotisch und zeigt sich kratzbürstig. Denn sie will erobert werden. Am liebsten von jemandem, der neben Woody Allen auch den Sound von Cole Porter schätzt. Was dauert, weshalb ihr Vater (Michel Aumont) und ihre Schwester (Marine Delterme) sie zu verkuppeln versuchen. Etwa mit Vincent (Yannick Soulier), der allen Anforderungen von Alice entspricht, aber letztlich zu perfekt ist, um wahr zu sein. Victor (Patrick Bruel), der in ihrem Ladenlokal eine Alarmanlage einbaut, wirkt für sie da authentischer. Bloss: Er – ein desillusionierter Romantiker – macht Alice keine richtigen Avancen. Ein Happy End gibt’s natürlich trotzdem. «Paris-Manhattan» ist nicht nur eine Hommage ans Schaffen von Woody Allen, sondern auch eine beschwingte Komödie mit einem Hauch bitterzarter Untertöne. Ein nur in den wärmsten Farben gedrehter Film, in dem es so märchenhaft zu- und hergeht, dass sich alle familiären Probleme, wie der Alkoholismus der Mutter (Marie-Christine Adam) oder die Untreue des Schwagers (Louis-Do de Lencquesaing), ganz nebenher, im Nu und im Nichts, auflösen. Sophie Lellouche: «Paris – Manhattan», Frankreich 2012, 78 Min. Ab 4. Oktober in den Deutschschweizer Kinos.
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Da stehen aber zwei alleine da mit ihrer Meinung: aus der Londoner Vorstellung. 01
Klimaneutrale Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
Theater Total Zürich Mit London und Berlin fing es an: Rimini Protokoll stellen normale städtische Einwohner gemäss statistischen Daten auf die Bühne. Jetzt kommt Zürich dran. VON DIANA FREI
Das deutsch-schweizerische Regietrio Rimini Protokoll hat vor über zehn Jahren das Theater neu definiert und bewegt sich seither mit seinen internationalen Projekten an der Grenze zwischen Fiktion und Realität. So haben Stefan Kaegi, Helgard Haug und Daniel Wetzel die Zuschauer in Berlin schon auf ein begehbares Stasi-Hörspiel geschickt und mit «Call Cutta» authentische indische Callcenter-Mitarbeiter mit hiesigen Zuhörern verbunden. Der Schweizer Stefan Kaegi – in seinem ersten Beruf Journalist – findet: «Theater wurde viel zu lange dazu benutzt, Literatur wiederzugeben.» Viel lieber bauen Rimini Protokoll Experimentieranlagen, wie jetzt mit «100 Prozent Zürich». Demnächst stehen hundert Zürcher auf der Bühne: 50 Männer, 50 Frauen, entsprechend dem Geschlechterverhältnis der Stadt, 1 Prozent – also einer – aus dem Kreis 1, 17 aus Oerlikon, Schwamendingen oder Affoltern, zwei Portugiesen, acht Deutsche, ein Sans-Papier, sechs Null- bis Fünfjährige, 16 über 65 – und viele mehr. Jeder steht für 3900 Bewohner der Stadt, erarbeitet wurden die Grundlagen zusammen mit dem statistischen Amt Zürich. Aber Rimini Protokoll lassen die Menschen Fragen beantworten, die in den Statistiken nie vorkommen: «Wer hat seinen Partner, seine Partnerin schon einmal betrogen?» Da teilen sich die Einwohner in die Gruppen «Ich» oder «Ich nicht» auf, vielleicht halt mit Kapuze über dem Gesicht, wenn’s heikel wird. Auch nach der politischen Einstellung wird gefragt, oder ganz einfach: «Wer fährt mit dem Velo zur Arbeit?» Das Projekt ist eine Art soziologische Forschungsarbeit, aber natürlich ungleich lustvoller. «Bei den Vorstellungen in London und Berlin war die Stimmung ähnlich wie bei einem Fussballmatch. Da wurde ein Mann beklatscht, der sich offen zu seinem Schwulsein bekannte, oder die Zuschauer melden sich zu Wort, wenn sie gleicher Meinung sind wie einer auf der Bühne», sagt Kaegi. Seine hundert Zürcher vergleicht er mit dem Stadtrat – zwar bilden sie keine Exekutive, aber als Stellvertreter der Zürcher Bevölkerung sind sie sicher repräsentativer. Denn hier haben wir die vor uns, die Zürich wirklich ausmachen: Kinder, Hausfrauen, Ausländer und Alte genauso wie Party-People, Karrieristen und Bildungsbürger.
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Scherrer & Partner GmbH, Basel
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Balcart AG, Carton Ideen Lösungen, Therwil
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Psychiatrische Dienste Aargau AG (PDAG)
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Locher, Schwittay Gebäudetechnik GmbH, BS
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fast4meter, storytelling, Bern
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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
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Schweiz. Tropen- und Public Health-Institut, BS
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seminarhaus-basel.ch
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Supercomputing Systems AG, Zürich
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AnyWeb AG, Zürich
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VXL gestaltung und werbung ag, Binningen
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Cilag AG, Schaffhausen
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Coop
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Zürcher Kantonalbank
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Kibag Management ‹AG ›
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Knackeboul Entertainment
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Brother (Schweiz) AG
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Musikschule archemusia, Basel
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Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur
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Proitera GmbH, Betriebliche Sozialberatung, BS
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responsAbility Social Investments AG
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BEVBE Ingenieurbüro, Bonstetten
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Judith Turcati, Englischunterricht, Wila
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Axpo Holding AG, Zürich
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
Rimini Protokoll: «100 Prozent Zürich»: Do, 18. bis So, 21. Oktober und Mi, 24. bis Sa, 27. Oktober, jeweils 20 Uhr, Gessnerallee Zürich. www.gessnerallee.ch SURPRISE 285/12
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Ausgehtipps
Der Gladiatorenkampf der Redenschwinger.
Winterthur Literatur als Sport Es ist ein grosses Klassentreffen der Bekannten und weniger Bekannten der Slammerszene, ihr Höhepunkt des Jahres: die Schweizermeisterschaften. Da kommt alles, was Rang und Namen hat: Gabriel Vetter, Preisträger des Salzburger Stiers 2006, ist dabei, Patrick Armbruster und Etrit Hasler führen als Moderationsduo «bisschen böse» durch den Finalabend und Lara Stoll moderiert die U20-Meisterschaften. «Slam ist Literatur als Sport. Ein Gladiatorenkampf der Redenschwinger. Ein Ringkampf der Alliteraten», findet Hasler, und wie schreibt Beni Thurnheer in seinem Grusswort so schön? «Liebe Wettkämpferinnen und Wettkämpfer, ich beneide Euch! Endlich einmal ein Anlass, bei dem es nicht heisst, da hätte jemand zu viel geredet.» Ein schweisstreibender literarischer Event steht da also an, und nach dem Finale gibt’s Karaoke from Hell. (dif)
Hat die schöne Helvetia ein Imageproblem?
Wenn’s pressiert, passiert’s: Mischu stolpert ins Heute.
Bern Der Berner Oscar
Bern Zurück ins Mittelalter
Die Berner haben aus der Verleihung ihres Filmpreises ein ganzes Festival gebaut. An vier Tagen sind Dokumentar-, Animations- und Spielfilme zu sehen, die die Expertenjury aus 45 eingereichten Filmen ausgewählt hat. Es bietet sich dabei die Gelegenheit, Verpasstes nachzuholen: zum Beispiel den hochgelobten «Mary & Johnny» von Samuel Schwarz (das ist der von der Theatertruppe 400asa) oder «Image Problem» von Simon Baumann und Andreas Pfiffner, der dieses Jahr am Filmfestival Locarno lief. Zur Auswahl im Kampf um den «Berner Oscar» stehen auch die Dokumentation des Anti-AKW-Camps vor dem Hauptsitz der Bernischen Kraftwerke oder ein Kurzspielfilm über eine junge Afghanin in einem Schweizer Durchgangszentrum. Überhaupt sind gerade auch Kurzfilme zu entdecken, denn die sind im normalen Kinoprogramm kaum je zu sehen: Hier geht’s um das «Bier im Tier», wie ein Titel ankündigt, um die grosse Liebe nach einem durchgeseuchten Burn-out und um nichts Geringeres als die Entstehung der Völker. Wir sind gespannt auf den Jurypreis. Und beim Publikumspreis darf man selbstverständlich mitreden. Das Ganze findet in den fünf Programmkinos von Bern statt, die sich in Abgrenzung zu den kommerziellen Kinokästen zusammengeschlossen haben: Cinématte, Kino Kunstmuseum, Kino in der Reitschule, Kellerkino und Lichtspiel/Kinemathek Bern.(dif)
Mischu, Bote von Beruf, ist im Jahr 1477 beim Ausüben seiner Tätigkeit unverhofft ins Jahr 2012 gestolpert. Des einen Leid, des anderen Freud: Mischus Lapsus gibt Jungen und Mädchen von heute die einmalige Gelegenheit, aus erster Hand Geschichten aus vergangenen Tagen zu erfahren: Wie wurde die Schlacht von Murten gewonnen? Wie was das, als Anno Domini 1405 die halbe Stadt abbrannte? Und wer war der grösste Narr von Bern? Während Mischu erzählt und die Zuschauer und Zuhörerinnen zu Begegnungen mit Zeitgenossen durch die Altstadt führt, treibt ihn die Frage um, wie und ob er wohl jemals in seine Zeit zurückfindet. Klingt spannend, nicht? Theaterspaziergang nennt sich das Ganze, und richtet sich an Kinder ab acht Jahren, inklusive ihren Vätern, Gotten oder Grosis. (fer) «Mischu – der Bote aus dem Mittelalter», So 14. Oktober, 15.30 Uhr und So 21.Oktober, 15.30 Uhr. Treffpunkt vor dem Rathaus, Bern, Anmeldung unter 031 839 64 09.
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Berner Filmpreis: Do, 11. Oktober bis So, 14. Oktober, verschiedene Kinos. Festivalpass CHF 50 www.bernerfilmpreisfestival.ch
Poetry Slam 2012: Schweizermeisterschaften, Fr, 19. und Sa, 20. Oktober in Winterthur: Casinotheater, Albani Music Club, Kraftfeld http://2012.poetryslam.ch
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CAMILLO PARAVICINI, 2009
FRANZ GERTSCH, C/O MUSEUM FRANZ GERTSCH
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Sinnlicher als geknipst: Gertschs überlebensgrosse «Maria».
Burgdorf Gemalter Zauber Der Berner Franz Gertsch ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler der Schweiz, grosse Ausstellungen im Museum of Modern Art in New York, in Tokio, Berlin und London würdigten sein Werk. In seinem Heimatland war allerdings lange Zeit wenig von ihm zu sehen. Diesem unhaltbaren Zustand setzte die Gründung des Museums Franz Gertsch in Burgdorf vor zehn Jahren ein Ende. Zur Feier des Jubiläums gibt es eine Ausstellung zu sehen, die Gertschs faszinierendes Werk ab 1980 zeigt: grossfromatige foto- und hyperrealistische Gemälde und Holzschnitte zu den Themen Landschaften und Porträts. Höhepunkt der Ausstellung ist des Künstlers jüngstes Werk «Maria», ein riesiges Aktbildnis seiner Frau am Strand von Guadeloupe, gemalt nach einer Fotovorlage. Es ist Teil einer Trilogie zu den Themen «Werden – Sein – Vergehen» – «Maria» steht «mit seiner überlebensgrossen Sinnlichkeit» für das Sein, wie aus der im Museum aufgelegten Beschreibung zu erfahren ist. Doch eigentlich braucht es zu Gertschs Bildern gar keine grossen Erklärungen. Unsere Empfehlung zur fachgerechten Kunstbetrachtung: Stellen Sie sich vor das Bild, atmen Sie einmal tief durch und lassen Sie sich ganz einfach verzaubern. (fer) «Franz Gertsch. Momentaufnahme», Ausstellung noch bis zum 3. März 2013, Franz Gertsch Museum, Burgdorf.
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Alles wird gut Die Ringelblume geht unter die Haut. Hilft immer und überall.
«Reading Helps» heisst dieses Bild. Wir hoffen das Beste.
Zürich Umblättern auf Wolke Sieben Der Umgang mit Büchern führe zum Wahnsinn, befand schon Erasmus von Rotterdam, und der musste es ja wissen, schliesslich ist er auf Abbildungen kaum je ohne eins zu sehen. Und der französische Arzt Guy Pratin pathologisierte seine eigene Bücherliebhaberei, indem er sie «Bibliomanie» nannte und damit die rauschhafte Wirkung anklingen liess. Mögen die Grenzen zwischen Begehren und Tollheit fliessend sein, die Leidenschaft für Bücher besitzt eine eigene Faszination. In Büchern können Kinder versinken wie als Erwachsene später nie mehr, sie können dem weissen Kaninchen aus «Alice im Wunderland» ins Loch unter dem Baumstamm folgen und mit Bastian «Die unendliche Geschichte» mit der eigenen verwischen lassen. Bücher wurden aber je nach religiösem, politischem oder moralischen Inhalt immer auch zensiert und vernichtet, ihre Urheber verfolgt. Bücher können Himmel und Hölle sein. Die Ausstellung im Museum Strauhof lässt das Publikum assoziativ durch Räume und Themen wandeln und auf wütende Kritiker, verschachtelte Textwelten, labyrinthische Bibliotheken treffen und den Giftschrank der Zensur öffnen. Und auf der Schwelle des digitalen Zeitalters fragt die Ausstellung, wozu Bücher in Zukunft noch taugen. (dif) Bücherhimmel – Bücherhöllen: Lesen & Sammeln zwischen Lust & Wahn, noch bis 25. November, Museum Strauhof, Augustinergasse 9, Zürich. www.strauhof.ch
grundsätzlich ganzheitlich Beratung täglich (auch sonntags) von 8–20 Uhr St. Peterstrasse 16, 8001 Zürich (nähe Paradeplatz) Bestellung online: www.stpeter-apotheke.com
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Verkäuferporträt «Ich bin einfach davongerannt!» Der Bieler Surprise-Verkäufer Ghide Gherezgihier (31) fuhr in Eritrea erst mit dem Rennrad den meisten davon, dann schnürte er die Laufschuhe und war ebenfalls einer der Schnellsten. Am diesjährigen Basler Marathon lief er für Surprise als Charity-Runner mit.
«Ich bin ein leidenschaftlicher Läufer, deshalb war es für mich selbstverständlich, dass ich am 23. September in Basel den Halbmarathon gelaufen bin. Ich hatte eine Zeit von 1:33:36. Damit bin ich zufrieden, weiss aber, dass ich schneller sein kann. Mein Fehler war, dass ich zu schnell gestartet bin. Am Luzern-Marathon Ende Oktober möchte ich sowohl meine Zeit wie auch mein Spendenresultat für Surprise noch verbessern! Momentan trainiere ich drei bis vier Mal pro Woche. Von meinem Wohnort Nidau laufe ich, soweit möglich, entlang des Bielersees bis Täuffelen, manchmal auch bis Erlach und zurück. Das sind jeweils 15 bis 30 Kilometer. Hier in der Schweiz ist der Laufsport für mich mehr zu einem Hobby geworden, aber in meiner Heimat Eritrea wollte ich Profisportler werden, erst Velorennfahrer, dann Langstreckenläufer. Wenn man wie ich in Eritrea in einer Bauernfamilie auf dem Land aufwächst, ist es ganz normal, dass man lange Strecken zu Fuss geht oder auch rennt. Meine Mutter starb, als ich fünf Jahre alt war, und somit musste ich als Ältester sehr viele Arbeiten übernehmen. In die Schule gehen konnte ich erst im Alter von zwölf Jahren. Dazu musste ich zwar weg von der Familie und in die Nähe der Provinzhauptstadt Mendefera ziehen, aber ich konnte viel Neues lernen. Zum einen Lesen, Schreiben und Rechnen, zum andern gab es sehr viel Sport- und sogar Theaterunterricht. Zum Velofahren bin ich durch einen Jungen aus der Nachbarschaft meiner Schule gekommen. Mit seinem Velo bin ich die ersten Meter gefahren und war sofort begeistert. Mein erstes eigenes Velo, ein sehr teures Rennvelo, konnte ich mir erst fünf Jahre später kaufen. Das Geld dafür hatte ich selbst verdient. Weil meine Familie kein Geld hatte, arbeitete ich während der ganzen Schulzeit vor und nach dem Unterricht bei einem Gemüsebauern. Mit diesem Rennrad konnte ich dann einem Veloclub beitreten. Der Radrennsport ist in Eritrea sehr beliebt wegen den Italienern, die nach der Kolonialzeit im Land geblieben sind. Dank ihnen gibt es seit 1946 den Giro d’Eritrea, das älteste Radrennen Afrikas. Ich selbst bin ebenfalls Rennen gefahren, habe auch ein paar gewonnen, aber das waren nur regionale. Als ich weitermachen und an nationalen Rennen teilnehmen wollte, bekam ich die Unterstützung und Empfehlung der Provinzregierung nicht. Ein Grund dafür war sicher der Grenzkrieg, der zwischen Eritrea und Äthiopien wieder ausbrach, ein anderer war möglicherweise, dass ich den Zuständigen keine ‹angemessenen Geschenke› machen konnte. Dazu kommt, dass es ausserhalb von Asmara überhaupt schwierig ist, an gute Ausrüstung heranzukommen. Die Rennvelos werden in die Hauptstadt geliefert und dort sofort verkauft. Mitte 2005 habe ich mich entschieden, nicht weiter in den Velorennsport zu investieren. Ich liebe den Wettbewerb, ich will mich mit anderen Leuten messen und meine Leistungen steigern, und das war unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Also wechselte ich zum Laufsport. Schon bald lief ich auch dort vorne mit und hoffte somit auf Unterstützung für eine Profi-Karriere. Doch daraus wurde nichts – ich
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AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
musste ins Militär. Dort versuchte ich noch im Geheimen zu trainieren, rannte jede mögliche Strecke, um meine Kondition zu halten. Aber mit dem Essen und den Schuhen, die ich dort hatte, war das nicht möglich. Nach zwei Jahren sah ich keinen anderen Ausweg als die Flucht. Über den Sudan gelangte ich nach Libyen, wo ich wie viele Ausländer im Gefängnis landete. Dank meiner Schnelligkeit und Ausdauer konnte ich mich selbst befreien – ich bin einfach davongerannt! Unmittelbar nach meiner Ankunft in der Empfangsstelle Basel, im August 2008, fing ich wieder an zu trainieren. Seither habe ich an verschiedenen Läufen in der Schweiz teilgenommen. Laufen und auch Rennvelofahren sind und bleiben meine Leidenschaft. Hätte ich die finanziellen Mittel, würde ich an viel mehr Läufen – auch an Velorennen – teilnehmen. Aber da die Ausrüstung, das Startgeld, die Reise und Verpflegung so teuer sind, kann ich mir nur wenige Wettkämpfe leisten.» ■ http://charityrun.vereinsurprise.ch/runner SURPRISE 285/12
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Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–
Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
Geschenkabonnement für: Vorname, Name Impressum Strasse
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Datum, Unterschrift 285/12 Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch
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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer, Diana Frei (Nummernverantwortliche), Mena Kost redaktion@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Chris Alefantis, Paul Day, Davide Caenaro, Manuela Donati, Michael Gasser, Ruben Hollinger, Christof Moser, Isabel Mosimann, Jon Nazca, Sofia da Palma Rodrigues, Myrto Papadopoulos, Goncalo Portugues, Angel Sanchez Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 15000, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Oscar Luethi (Leitung)
Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83, M +41 79 428 97 27 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10, F +41 61 564 90 99 Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat, David Möller o.joliat@vereinsurprise.ch, www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold
Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 285/12
Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.
Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50 neon-orange schwarz
Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.– rot schwarz
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Surprise Rucksack (32 x 40 cm); CHF 89.– rot
285/12
*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch
Dazu passend: Leichtes T-Shirt, 100%Baumwolle, für Gross und Klein.
Schön und gut. Grosses Badetuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise-Logo eingewebt und von A bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.
Herren CHF 25.– S (schmal geschnitten) Kinder CHF 20.– XS S Alle Preise exkl. Versandkosten.
Strandtuch (100 x 180 cm) CHF 65.–
50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.
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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch SURPRISE 285/12
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Laufen für Surprise! Surprise macht stark – machen Sie uns stärker und unterstützen Sie unsere Läufer. Der Verein Surprise stellt ein eigenes Team auf. Vier Surprise-Verkäufer nehmen am 28. Oktober am Charity Run beim «Luzern Marathon 2012» teil und zeigen ihren Durchhaltewillen.
Reto Bommer Surprise-Vertriebsleiter Zürich Halbmarathon «Für mich ist es eine WinWin-Situation: Mir tut es gut, und Surprise profitiert auch davon.»
Peter Conrath 5 Mile Run «Ich laufe beim Luzerner Marathon, um Surprise in Luzern bekannter zu machen. Zusätzlich kann ich etwas für meine Gesundheit und meine Kollegen machen.»
Ruedi Kälin 5 Mile Run
Michael Hofer 5 Mile Run
Markus Thaler 5 Mile Run
«Ich laufe für Surprise, weil ich momentan zu wenig Kondition habe und etwas für meine Gesundheit machen möchte. Ausserdem ist der Lauf eine gute Sache.»
«Ich laufe für Surprise, weil sogar Joschka Fischer schon an vielen Marathons war – und ich noch nie. Deshalb fange ich mit dem 5 Mile Run an.»
«Teamgeist und Freundschaft sind für mich sehr wichtig. Ausserdem möchte ich Surprise etwas zurückgeben, weil ich hier eine faire Chance bekommen habe.»
Setzen Sie ein Zeichen gegen soziale Ausgrenzung und Ungerechtigkeit. Unterstützen Sie unsere Surprise-Läufer mit einer Spende! Weitere Informationen finden Sie unter: www.charityrun.vereinsurprise.ch
Spendenkonto: PC 12-551455-3 Verein Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99